Seewölfe - Piraten der Weltmeere 7/II

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Der Soldat Tinkler rieb sich die Hände und grinste breit. Der Profos starrte den Seewolf verdattert an. Und Captain Burton stand dicht vor einem Schlaganfall. Er hatte Froschaugen und schnappte nach Luft.
Als er genug gepumpt hatte, brüllte er: „Profos! Die Leute sollen ihre Waffen nehmen! Sofort wird die Galeone besetzt – äh – geentert!“ Er streckte den Degen in die Luft. „Die vier Strolche da – sofort festnehmen!“
Mit einem blitzschnellen Griff zog Hasard die Pistole und richtete sie auf den Captain.
Seine Stimme war eisig: „Die erste Kugel werden Sie einfangen, Burton, die zweite Ihr Profos. Und begehen Sie nicht den Irrtum, zu denken, ich bluffe. Es wäre dann Ihr letzter, weil tödlicher Irrtum.“ Über die Schulter sagte er: „Dan, lauf hinunter zu unserer Landestelle. Ich möchte die ‚Isabella‘ in drei Minuten gefechtsklar sehen. Kein Soldat wird ihr Deck betreten.“
„Aye, aye.“
Dan O’Flynn war weg wie ein Blitz.
Ben Brightons Stimme röhrte über die Bucht. Er hatte alles mitgekriegt – und bereits gehandelt.
„Schiff ist gefechtsklar. Alle Mann sind auf Gefechtsstation. Den Captain Burton hat Ferris im Visier – mit der Drehbasse! Ein Schuß, und der Captain steht ohne Kopf da!“
Hasard grinste vor sich hin. Die Soldaten standen steif wie Zinnfiguren. Nur der Soldat Tinkler bewegte sich. Er fischte einen Brotlaib aus einer Rationskiste und säbelte sich einen Kanten ab.
„Sind Sie wahnsinnig?“ schrie der Profos.
„Nein, hungrig“, sagte Tinkler.
Captain Burton war inzwischen weiß vor Wut, aber sterben wollte er auch nicht. Zum Sterben waren die anderen da. Aber die standen nicht in der Schußlinie. Nur er war unmittelbar bedroht.
Hasard und seine beiden Männer zogen sich zu dem Beiboot zurück. Dennoch hatte der Captain keine Chance. Hasard tat ihm nicht den Gefallen, ihm den Rücken zuzudrehen.
Es war ein sehr schlechter Trumpf, den der Captain meinte, noch ausspielen zu müssen.
Er sagte: „Ihr habt es alle gehört, Männer. Der Feigling Killigrew kneift. Er hat Angst, die Spanier anzugreifen. Aber wir! Wir werden kämpfen! Wir werden die Spanier und Iren, dieses gottverdammte Pack, vernichtend schlagen. Profos! Die Truppe hat in einer halben Stunde marschbereit zu sein. Wir umgehen die Bucht und stoßen nach Süden zur Stiefelspitze vor. Es lebe die Königin!“
„Es lebe die Königin“, sagte der Profos lahm.
Die Soldaten hatten mürrische bis finstere Gesichter. Für die königliche Lissy würden sie schon kämpfen, alles was recht ist. Aber nicht unter dem Kommando eines Holzkopfes wie Burton. Da war der Killigrew ein anderes Kaliber. Fast neidisch äugten sie zu der Galeone hinüber.
„Es lebe die Königin!“ brüllte Burton. „Ich höre nichts!“
„... lebe die Königin“, murmelten ein paar.
Und Tinkler sagte sehr laut und deutlich: „Eßt eure Brote auf, Männer, da sind schon die Maden drin.“
„Dieser Kerl ist unter Arrest zu stellen!“ schrie Captain Burton mit überschnappender Stimme.
„Jetzt oder später?“ frage der Profos. „Verzeihung, Sir. Aber ich glaube, wir brauchen jeden Mann. Ich hab hier auch keine Arrestzelle. Und zur Bewachung von Tinkler kann ich auch keinen Mann abstellen, wenn wir in den Kampf marschieren.“
„Äh – sehr richtig, Profos. Dieser Dingsda wird nach dem Sieg unter Arrest gestellt. Disziplinarmaßnahme. Truppe hat zu gehorchen. Haben die Leute inzwischen mein Badewasser geholt?“
Der Profos war ein übler Schinder und um nichts besser als sein Captain. Immerhin war er in diesem Augenblick schlichtweg entgeistert.
„Badewasser?“
Der Captain wippte auf den Fußballen.
„Ja, Badewasser. Ich möchte baden, bevor ich den Feind schlage.“
„Sir“, sagte der Profos und würgte den Kloß in seinem Hals hinunter, „in einer halben Stunde soll die Truppe marschbereit sein.“
„Na und?“
„Tinkler!“ brüllte der Profos und knallte wutentbrannt seine Stiefelspitze unter jenes Grasbüschel, wo laut der Zeichnung des Captains „hart und erbarmungslos“ zugeschlagen werden sollte. „Der Captain möchte baden, bevor er den Feind schlägt. Holen Sie das Badewasser!“
„Ich stehe unter Arrest“, sagte Tinkler. „Ich kann hier nicht weg.“ Er hatte inzwischen ein Stück Speck zwischen den Zähnen und grinste breit.
„Brown! Smith! Plummer! Badewasser für den Captain!“ schrie der Profos.
Die drei Männer trollten sich.
„Ihr habt die Segeltucheimer vergessen“, sagte Jake Tinkler freundlich. „Oder wollt ihr das Badewasser für den Captain mit der hohlen Hand heranschleppen?“
Die drei Männer kehrten zurück und schnappten sich die Eimer. Ihren Mienen war zu entnehmen, daß sie die Welt für ein Jammertal hielten. Ihr Gang entsprach dem von Sargträgern.
„Die Leute sollen nicht so trödeln“, nörgelte Captain Burton. „Und wo bleibt denn nur die Segeltuchwanne, Profos?“
Der Profos versteckte seine Hand hinter dem Rücken. Sie war zu einer Faust geballt, und wenn er gekonnt hätte, dann hätte er mit dieser Faust jetzt einen Granitbrocken zertrümmert.
Als Hasard über die Jakobsleiter hochenterte und auf die Kuhl sprang, zog Ben Brighton den Kopf ein. Bei Hasard standen die Zeichen auf Sturm. So finster hatte ihn der Bootsmann noch nie gesehen.
„Badewasser!“ stieß Hasard hervor. „Der feine Herr möchte baden, bevor er in die Schlacht zieht – dieser Narr, dieser dreimal verdammte Narr!“
Er starrte hinüber zum Lager, wo der Profos fluchend und brüllend die Soldaten antrieb.
„Wir sollten verhindern, daß er mit seiner Truppe losmarschiert“, sagte Ben Brighton.
„Wie denn?“ fauchte ihn Hasard an. „Mit Pulver und Blei, damit die ganze Gegend erfährt, daß wir hier sind?“
„Du hättest Burton festnehmen sollen“, sagte Ben Brighton ruhig.
„Ach? Und die fünfzig Soldaten? Die hätten zugesehen und Däumchen gedreht, wie?“
„Die meisten hätten auf deiner Seite gestanden.“
„Hätten – hätten! Darauf konnte ich mich nicht verlassen. Die Situation war sowieso heikel genug – fünfzig Soldaten gegen uns vier. Die hätten uns in weniger als einer Minute zu Brei gestampft.“
„Wir hätten eingegriffen.“
„Hör auf, Ben“, sagte Hasard wütend. „Sollten hier auf irischem Boden Engländer gegen Engländer kämpfen und sich gegenseitig massakrieren?“
Ben Brighton schwieg. Er mußte Hasard recht geben.
2.
Gegen neun Uhr abends verließ die Truppe Burtons das halbfertige Lager an der versteckten Nebenbucht der Dungarvanbai. Gefällte Baumstämme lagen herum, ein paar Erdhaufen markierten, wo geschanzt worden war, der Graben um das Lager war erst zu einem Viertel ausgehoben. Die These, sich bei Schanzarbeiten kein Bein auszureißen, hatte sich wieder einmal als richtig erwiesen. Immerhin hatte Captain Isaac Henry Burton sein Bad gehabt. Die drei Soldaten hatten neun Eimer Wasser herangeschleppt – dafür waren sie dreimal zur Quelle und zurück gelaufen.
Hasard stand mit schmalen Lippen auf dem Deck des Achterkastells und sah die Marschkolonne im Wald verschwinden. Für kurze Zeit hörte er noch das Scheppern und Klirren von Metall, dann verstummte auch das.
Mit einem Ruck drehte er sich zu Ben Brighton um.
„Hol Ferris, Ben. Wir müssen etwas besprechen. Ich bin in meiner Kammer. Die Gefechtsbereitschaft ist aufgehoben, aber wir werden etwas unternehmen – auch ohne Kapitän Drake und Captain Norris.“
„Aye“, sagte Ben Brighton knapp.
Als die beiden Männer Hasards Kammer betraten, stand der Seewolf über eine Karte gebeugt, die auf dem einzigen Tisch ausgebreitet war. Es war eine Karte der Dungarvanbai, wie Ben Brighton mit einem Blick feststellte.
Hasard nickte ihm und Ferris Tucker zu. Er tippte auf die Karte, dann glitt sein Finger von ihrem Ankerplatz in der versteckten Nebenbucht nach Westen.
„Hier marschiert dieser Holzkopf jetzt mit seiner Truppe“, sagte er. „Was heißt marschiert? Sie müssen sich durch das hügelige Waldgelände quälen, bepackt wie die Maulesel. Dort im Westen mündet der Colligan in die Bai. Wo sie den überqueren werden, ist mir schleierhaft. Vielleicht finden sie eine Brücke, auf dieser Karte ist keine eingezeichnet. Dann müssen sie südwärts an Dungarvan vorbei und am Stiefel entlang bis zur Spitze, wo sich vermutlich der Landeplatz für das Ausladen der fünf Karavellen befindet.“
Hasards Finger markierte den Landeplatz und wanderte dann noch einmal die gesamte Strecke bis zur Nebenbucht zurück.
„Was meint ihr, wie lange Burton für diesen Marsch braucht?“ fragte er.
Ben Brighton und Ferris Tucker beugten sich tiefer über die Karte und taxierten die imaginäre Marschroute.
Ben Brighton sagte: „Bis zum Morgengrauen müßte er es geschafft haben, falls die Truppe bis dahin unentdeckt bleibt.“
Ferris Tucker nickte.
„Das schätze ich auch.“
Beide blickten den Seewolf erwartungsvoll an. Wie sie ihn kannten, hatte er wieder was auf der Pfanne.
Hasard sagte: „Wir müssen verhindern, daß die Iren durch den wahrscheinlichen Angriff Burtons auf den Landeplatz gewarnt werden und dann die Waffenverstecke räumen. Das setzt zwei Bedingungen voraus. Erstens: Wir müssen schneller als Burton sein. Zweitens: Wir müssen in Erfahrung bringen, wo sich die Verstecke befinden. Die erste Bedingung ist zu erfüllen – auf dem Wasserweg. Wir brauchen nur quer über die Bai überzusetzen, während Burtons Truppe dem Verlauf der Bai folgend herummarschieren muß. Unser Weg ist der kürzere. Nun zur zweiten Bedingung. Auch sie sollte hinzukriegen sein und erfordert nur etwas Versteckspielen. Das heißt, wir pirschen uns an den Landeplatz heran. Ich gehe davon aus, daß die Spanier noch in dieser Nacht ihre Karavellen entladen, um so schnell wie möglich wieder verschwinden zu können. Wenn das so ist, dann hängen wir uns an die Kerle an, von denen die Ladung in die Drum Hills gebracht wird. Sie führen uns zu den Verstecken.“
„Und dann?“ fragte Ben Brighton gespannt.
„Das hängt jetzt tatsächlich von diesem Holzkopf Burton ab“, erwiderte der Seewolf grimmig. „Wenn er so wahnsinnig ist, anzugreifen, dann wird bei der Landestelle der Teufel los sein. Wo Krach ist, rennt man hin. Das werden auch die Iren tun, die bei den Verstecken in den Drum Hills die Ladungen in Empfang nehmen und lagern. Vielleicht lassen sie Posten zurück. Aber genau zu diesem Zeitpunkt haben wir die Chance, zuzuschlagen und die Lager auszuheben oder in die Luft zu jagen.“
„Phantastisch“, sagte der riesige Schiffszimmermann und grinste. Für ihn war bereits klar, daß er der Sprengmeister sein würde.
„Und die fünf Karavellen?“ fragte Ben Brighton. „Wenn die in den Kampf an dem Landeplatz eingreifen, dann gibt’s Kleinholz.“
„Das ist das Problem unseres Feldherrn Burton“, sagte Hasard hart. „Ich bin nicht sein Kindermädchen. Die Brocken, die er zu verschlingen beabsichtigt, muß er selbst verdauen. Mir geht es darum, bei diesem ganzen Unternehmen noch das zu retten, was zu retten ist. Vorrangig sind die Waffen- und Munitionsverstecke der Iren. Auch wenn sie geräumt werden sollten, bevor wir sie ausheben können, müssen wir zur Stelle sein und dann Fühlung halten, um zu erfahren, wohin der Kram verlagert wird.“
„Aber die fünf Karavellen ...“, begann Ben Brighton wieder.
„Moment, Ben.“ Hasard hob die Hand. „Wenn die Dons in den Kampf eingreifen, kann ich das auch nicht ändern. Ihre Order wird dahin lauten, die Materialien zu landen und wieder zu verschwinden, und zwar unauffällig, um den ganzen spanischirischen Waffenschmuggel nicht auffliegen zu lassen. Für Irland Waffen zu liefern, ist die eine Sache, für Irland im Kampf zu sterben, aber eine ganz andere. Vielleicht hast du recht, daß sie dennoch eingreifen, aber das auch nur, wenn sie noch nicht entladen sind. Wenn sie entladen sind, werden sie abhauen. So, und jetzt kommt deine Aufgabe.“
„Meine?“
Hasard grinste.
„Genau. Hier, schau dir die Seekarte an. Die Fahrrinne in die Bai ist sehr tief, aber nicht sehr breit – etwa siebzig Yards. Hier bei uns auf der nördlichen Seite der Bei sind außerhalb der Fahrrinne Kliffs und nur bei Ebbe sichtbare Felsbarrieren. Dort drüben am südlichen Ufer sind Sände, die bei Flut knapp anderthalb Yards unter der Wasseroberfläche liegen.“ Hasards Finger tippte auf die Sände. „Dorthin mußt du die Karavellen treiben, wenn sie auslaufen. Du legst die ‚Isabella‘ hier an der Nordseite des Fahrwassers am Ausgang der Bai mit dem Bug zur See vor Anker, so daß die Steuerbordbreitseite zur Fahrrinne weist. Mit Heckanker, versteht sich. Jede auslaufende Karavelle wird unter massives Feuer genommen und damit wahrscheinlich auf die Sände getrieben. Falls eine versucht, hier in die nördlichen Kliffs auszuweichen, wird sie wahrscheinlich zu Bruch gehen. Aber die Backbordbreitseite muß ebenfalls gefechtsklar sein – für alle Fälle. Auf diese Weise kannst du die Ausfahrt aus der Bai abriegeln. Versuche, dir das Gefechtsbild vorzustellen. Sie werden in Kiellinie auslaufen, eine Karavelle hinter der anderen. Anders geht es gar nicht, dazu ist das Fahrwasser zu schmal. Es kommt darauf an, daß ihr schneller ladet und feuert als jemals zuvor. Haut ihnen Kettenkugeln in die Takelagen, damit sie manövrierunfähig werden. Die Schußentfernung wird lächerliche fünfzig Yards betragen, da muß jeder Schuß sitzen. Rechne damit, daß du die erste Karavelle auf die Sände treibst, aber irgendwie müssen die vier anderen reagieren. Aber wie? Könnten sie versuchen, die ‚Isabella‘ zu entern? Läuft das Wasser zu dieser Zeit auf oder ab? Was ergibt sich daraus? Können sie in dem engen Fahrwasser wenden oder halsen? Wie steht der Wind? Alles das mußt du bei deinen Entscheidungen berücksichtigen.“
„Hm“, sagte Ben Brighton, „alles klar.“ Und ziemlich rabiat fügte er hinzu: „Und wo steckt derweil der Kommandant der ‚Isabella‘?“
„In den Drum Hills, mein Guter.“ Hasard grinste.
„Und ich?“ fragte Ferris Tucker fast beleidigt.
„Wer ist denn der Stückmeister hier an Bord?“ erwiderte der Seewolf.
„Ich.“ Ferris Tucker reckte die breite Brust heraus.
„Na also. Ihr beiden, du, Ben, und du, Ferris, ihr werdet den Schneckenfressern das Fürchten beibringen. Oder seid ihr da überfordert?“
Ben Brighton und Ferris Tucker wechselten einen kurzen Blick. Dann starrte Ferris Tucker an die Decke, und Ben Brighton suchte neben Hasards rechtem Ohr einen Fixpunkt. Ihren Mienen war zu entnehmen, daß sie die letzte Frage ihres Kapitäns bereit waren, tunlichst zu überhören – womit sich auch die Antwort erübrigte.
„Na denn“, sagte Hasard, „ich sehe schon, wie froh ihr seid, mich endlich los zu sein.“
„Davon kann wohl gar nicht die Rede sein“, sagte Ben Brighton erbost.
„Jawohl“, sagte Ferris Tucker, „und sieh zu, daß du in einem Stück bleibst. Die Iren hauen immer mächtig drauf, aber wem sag ich das!“
Hasard grinste.
„Wen willst du mitnehmen?“ fragte Ben Brighton sachlich.
„Stenmark, Matt Davies, Tom Smith, Gary Andrews, Blacky und Batuti. Sag ihnen Bescheid, Ferris. Die sollen Pistolen, Musketen und Entermesser mitnehmen. Und etwas Proviant und Trinkwasser. Laß das Beiboot segelklar machen. Wir brechen sofort auf.“
„Aye, aye.“ Ferris Tucker verschwand.
„Was ist, wenn Kapitän Drake inzwischen einläuft?“ fragte Ben Brighton.
„Erklär ihm die Situation, Ben. Berichte ihm, wie sich Burton hier aufgespielt hat. Reib Captain Norris ruhig unter die Nase, daß sein ehrenwerter Unterführer Burton ein gemeingefährlicher Trottel sei, der uns aufgrund seiner Handlungsweise zu den jetzigen Maßnahmen gezwungen habe. Sage Kapitän Drake meine Empfehlung. Ich hielte es für ratsam, mit allen drei Galeonen die Ausfahrt aus der Bai zu blockieren. Wenn die ‚Marygold‘ und die ‚Santa Cruz‘ noch in dieser Nacht eintreffen und deine Position am nördlichen Baiausgang verstärken, haben die auslaufenden Karavellen keine Chance, durchzubrechen. Allein die ‚Santa Cruz‘ mit ihrer Kampfkraft kann es mit allen fünf Karavellen aufnehmen. Sonst noch Fragen?“
Ben Brighton schüttelte den Kopf.
„Alles klar. Sowie ihr mit dem Beiboot weg seid, gehen wir ankerauf und beziehen unsere Position am Nordausgang der Bai. Ich wünsche euch viel Glück.“
„Wird schon werden“, sagte der Seewolf, „danke, Ben. Ich wünsche euch das gleiche.“
Als sie an Deck traten, war dort der Teufel los.
Ferris Tucker ließ den brüllenden Dan O’Flynn am ausgestreckten Arm zappeln und toben. Batuti, der riesige Gambia-Neger, stand mit belämmerter Miene daneben und rollte die Augen.
„Was ist denn mit euch los?“ fauchte Hasard.
„Diese Laus hier konnte ich gerade noch erwischen, wie sie ins Beiboot schlüpfen wollte“, sagte Ferris Tucker wild, „und der schwarze Affe da heult mir die Ohren voll, ‚kleines O’Flynn‘ müsse unbedingt mit. ‚Kleines O’Flynn‘! Wenn ich den Käse schon höre! Das Bürschchen braucht mal wieder ’ne saftige Abreibung, diese Rotznase!“
„Ha!“ schrie Dan O’Flynn. „Laß mich ja los, du Ochse, oder ich beiß dir die Nase ab!“
„Ruhe“, sagte der Seewolf, „hier werden keine Nasen abgebissen, Dan O’Flynn. Oder brauchst du wieder eine Rizinuskur?“
„Du mußt mich mitnehmen, ich hab die besten Augen.“
„Ja, und die größte Klappe. Ferris, stell ihn wieder an Deck, den Kleinen. Er wird uns begleiten, aber den Proviantsack schleppen.“
Dan O’Flynn strahlte.
„Und wenn du etwas daraus klaust“, sagte Hasard, „bist du die längste Zeit hier an Bord gewesen.“
Dan O’Flynns Gesicht wurde ziemlich lang.
„Mister Tucker ist dein Vorgesetzter“, fuhr Hasard ungerührt fort. „Hattest du ihn eben ‚Ochse‘ genannt?“
„Hm – ja.“
„Dann entschuldige dich bei ihm.“
„Ich bitte um Entschuldigung, Mister Tucker, Sir.“
„Ist gut“, sagte Ferris Tucker. „Hol den Proviantsack aus der Kombüse. Der Kutscher hat alles zugerichtet – zwei Speckseiten, vier Brotlaibe. Ein kleines Faß Trinkwasser ist bereits im Beiboot. Dann hilf Stenmark und Blacky, das Boot aufzuriggen.“
„Aye, aye.“ Das Bürschchen huschte zur Kombüse und holte den Proviantsack – einen Beutel aus grobem Segeltuch, der über die Schulter gehängt werden konnte.
Gary Andrews und Tom Smith mannten inzwischen die Waffen ins Boot, das an der Steuerbordseite der Galeone längsseits lag. Matt Davies und Batuti hievten den einen Mast für das Beiboot über das Schanzkleid. Stenmark und Blacky – bereits unten im Boot – nahmen ihn wahr. Er wurde durch eine Ausnehmung in der zweitvordersten Ducht gesteckt und ruhte unten in einer viereckigen Mastspur. Ein Vorsteg sowie je ein Backbord- und Steuerbordwant stützten den Mast ab. Als Besegelung diente ein dreieckiges Lateinsegel.
Eine Viertelstunde später war das Boot aufgeriggt und alles an Bord verstaut. Hasard enterte als letzter hinunter und winkte seinen Männern an Bord der „Isabella“ noch einmal zu.
Sie standen am Steuerbordschanzkleid, mitten unter ihnen Ben Brighton und Ferris Tucker. Irgendwie hatten sie alle da oben an Bord der „Isabella von Kastilien“ das Gefühl, den Mann zu verlieren, der fast so etwas wie ein Fixpunkt in ihrem Leben geworden war. Der Mann aus Cornwall aus der Sippe der Killigrews, noch jung zwar, aber was zählten da die Jahre? Dieser Mann hatte es in knappen drei Monaten geschafft, jeden einzelnen von ihnen an sich zu binden – ohne Peitsche, ohne jede Arroganz der vom Adelsstand her Bevorzugten. Er war ein Teil ihrer selbst.
Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, stand ganz vorn an der Back. Er sagte das, was sie alle dachten.
„Komm ja zurück, du verdammter Hund!“
Dieses „du verdammter Hund“ klang fast zärtlich.
Der leichte Südostwind wurde von den Felsen vor der Nebenbucht abgefangen. Hasard ließ die Riemen ausbringen und das Beiboot durch den etwa dreißig Yards breiten Eingang pullen. Als sie ihre Nase in die Dungarvanbai steckten, packte sie das auslaufende Wasser und trieb sie sofort westwärts in die Bai.
Hasard hielt den Bug gegen den Wind und ließ Lateinsegel setzen. Als es stand, fiel er etwas ab und nahm Kurs auf das gegenüberliegende Ufer, das sich vor ihnen in etwa zwei Meilen Entfernung von Osten nach Westen erstreckte. Dort drüben war Sandstrand. Hinter dem Strand wuchs hügeliges Gelände aus der Dunkelheit. Die Wälder südlich der Bai reichten zum Teil bis an diesen Strand heran.
Ein fahles Mondlicht zeigte undeutlich die Umrisse des Südufers. Hasard steuerte das Boot quer über die Bai und merkte aufgrund der Peilungen, wie sie vom Flutstrom nach Westen versetzt wurden. Er ließ das Segel dichterholen und luvte etwas an, um nicht zu weit westwärts vertrieben zu werden. Nach knapp einer Stunde gerieten sie in die Windabdeckung des Südufers.
Hasard fiel ab und steuerte etwa dreißig Yards querab des Ufers westwärts in jene Richtung, wo er die Blinkzeichen an Land gesehen hatte. Er hatte auf der Seekarte nachgesehen, die ziemlich genau den Uferverlauf der Dungarvanbai zeigte. An der Stelle, wo die Blinkzeichen aufgeleuchtet waren, befand sich das felsige Kap, um das herum die Bai nach Süden zum Stiefel abbog. Dieses Kap hatten auch die fünf spanischen Karavellen gerundet.
War das Kap noch von irischen Ausguckposten besetzt? Wenn ja, dann mußten sie das Boot gesehen haben, wie es die Bai überquerte. Hinter dem Südufer allerdings war es schwieriger, sie zu erkennen. Das Boot würde sich vom dunklen Ufer kaum abheben. Hasard schob die Gedanken an ein Entdecktwerden beiseite. Wer etwas erreichen wollte, mußte auch etwas riskieren.
Wind und Flutstrom schoben das Boot ziemlich schnell nach Westen. Hasard steuerte zum Teil die Buchten und Landzungen aus, um in ihrer Deckung zu bleiben. Nach einer knappen halben Stunde meldete Dan O’Flynn, der vorn im Bug hockte, daß er voraus das Kap sehe.
Nach einer Viertelmeile steuerte Hasard das Boot in eine winzige Bucht und ließ das Segel wegnehmen. Mit ein paar Riemenschlägen trieben sie das Boot auf den flachen Sandstrand, sprangen an Land und wuchteten das Boot über zwei Rundstämme den Strand hoch zu einer Sandkuhle.
Sie hoben den Mast aus der Ducht und verstauten ihn samt Segel unter dem Boot. Batuti und Stenmark holten Buschwerk und Zweige, mit denen das Boot getarnt wurde. Die Schleifspuren ließ Hasard wegwischen.
Dan O’Flynn, den Proviantsack bereits über der Schulter, sicherte nach allen Seiten. Südlich von ihnen stand der schweigende Wald. Nach Osten und Westen erstreckten sich Hügelketten mit Buschbestand. Da und dort ragten klotzige Felsen aus dem Sandboden. Den letzten Höchststand der Flut im ewigen Wechsel der Gezeiten markierte ein breiter Streifen am Strand mit Muscheln, Treibholz, toten Fischen, Quallen und Tanggewächsen. Es war eine Urlandschaft, die bisher wohl kaum eines Menschen Fuß betreten hatte. Nur die skurrilen Trippelspuren von Seevögeln waren im Sand sichtbar.
Hasard kontrollierte die Sandkuhle von allen Seiten. Ja, das Boot war gut versteckt. Erst wenn man unmittelbar an der Kuhle stand, konnte man es sehen.
Er nickte seinen Männern zu und sagte leise: „Batuti, du übernimmst die Spitze. Wir gehen hintereinander, Abstand mindestens drei Schritte vom Vordermann. Seid leise und wachsam. Es kann sein, daß sich auf dem Kap irische Ausguckposten befinden. Also Vorsicht. Das Kap ist unser erstes Ziel. Falls wir überfallen werden, kämpft lautlos. Geschossen wird erst, wenn auch die Iren schießen. Alles klar?“
Die Männer nickten schweigend.
Batuti setzte sich in Bewegung.
Hasard warf noch einen Blick über die Bucht. Nur ganz vage sah er, wie sich die „Isabella“ aus der Nebenbucht schob und Kurs auf den Nordausgang der Bai nahm.
Batuti verließ den Uferstreifen und nutzte den Schatten des Waldes links von ihnen. Die Männer folgten im Gänsemarsch. Sie bewegten sich fast lautlos.
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