Die Rache des Inquisitors

- -
- 100%
- +
»Willkommen im Schäumenden Krug, meine Herren, willkommen!«, sagte er und deutete in den Schankraum. »Darf ich Euch etwas zu essen reichen?«
»Etwas Fleisch und Gemüse«, antwortete Thomas, ohne den Wirt eines Grußes zu würdigen. »Richtet bitte ein Zimmer für mich und den Prior her, und sorgt dafür, dass unsere Männer gut untergebracht sind. Über alles Weitere werden wir Euch unterrichten, wenn wir die Zeit für gekommen erachten.«
Der Wirt verneigte sich wieder und ging in die Küche. Thomas führte den älteren Inquisitor zu einem Tisch in der Mitte und brachte ihm einen Stuhl. Dann setzte auch er sich und wartete auf das Essen.
Der Wirt lief durch die Gaststube, so schnell es seine kurzen Beine erlaubten. Er herrschte eine ältere Frau an, sich mit dem Schneiden des Fleischs zu beeilen, während er einen Krug mit Wein abfüllte. Eilig polierte er noch zwei Tonbecher, bevor er diese zum Tisch trug und vor den beiden Inquisitoren abstellte.
»Keinen Wein, Rainald«, sagte Thomas ungehalten und scheuchte den Mann mit einer schroffen Handbewegung weg. »Wir wollen nur etwas essen.«
Der Wirt zog sich, eine Entschuldigung stammelnd, zurück. Dann hastete er in die Küche und half der Frau mit dem Essen.
Baselius richtete seine Augen auf den jungen Pater. »Wart Ihr schon einmal in Reheim?«, fragte er interessiert.
»Nein«, antwortete Thomas. »Wie kommt Ihr darauf?«
»Ihr habt den Wirt mit seinem Namen angesprochen.«
»Ich habe ihn aufgeschnappt, als wir hereingekommen sind«, antwortete Thomas.
Baselius wollte darauf etwas erwidern, aber die Frau kam zum Tisch geeilt und stellte zwei große Teller mit Fleisch und einem großen Stück warmen Brotes ab. Als der Wirt noch eine Schüssel mit Gemüse brachte, unterbrachen die beiden Inquisitoren ihre Unterhaltung endgültig und begannen zu essen.
Friedrich spürte noch immer die Angst, die ihn nach dem Gespräch mit den Dominikanern erfasst hatte. Eilig ging er die Straße zur Kirche entlang. Er brauchte den Rat von Vater Liborius. Der Pfarrer war schon viele Jahre sein geistlicher Beistand und ihm immer ein guter Freund gewesen.
An der Kirche angekommen, hätte Friedrich vor Freude beinahe gejubelt, als er Vater Liborius auf dem kleinen Vorplatz erblickte. Er hatte eine alte braune Kutte übergezogen und fegte die Treppen vor dem Eingang. Als er Friedrich gewahr wurde, hielt er in seiner Arbeit inne und blickte den Stadtrat lächelnd an.
»Vater Liborius«, sagte Friedrich außer Atem.
»Was ist los?«, fragte Liborius besorgt. Sein Lächeln war einem ernsten Ausdruck gewichen. »Warum seid Ihr so in Eile?«
»Die Inquisition ist in Reheim«, antwortete Friedrich, »und die Männer wollen Euch sofort sehen.«
Vater Liborius hielt die Luft an. In seinem sonst so sanften und sicheren Blick zeigte sich Überraschung.
»Habt Ihr eine Ahnung, was die Männer hier wollen?«, hakte Friedrich nach.
»Nein«, sagte Liborius abwehrend. »Ich habe damit nichts zu tun«, stammelte er weiter. »Ich bin ebenso verwundert wie Ihr.«
Für einen Moment hingen beide Männer schweigend ihren Gedanken nach.
»Wir sollten die Inquisitoren nicht warten lassen«, drängte Friedrich. »Vielleicht erfahrt Ihr mehr über den Grund ihrer Anwesenheit.«
»Wartet einen Moment«, sagte Liborius und ließ den Besen fallen. »Ich ziehe eine andere Kutte an. Dann können wir gehen.«
Friedrich kam wieder zu Atem. Es hatte keinen Sinn, sich über die Anwesenheit der Dominikaner Sorgen zu machen. Sicher war alles nur ein Missverständnis, aber die Furcht, die ihn seit der Ankunft der Inquisitoren erfasst hatte, ließ ihn noch immer zittern.
Nachdem sie von Agnes zurückgekommen war, hatte Klara ihre langen, blonden Haare aufgesteckt und ihren Korb genommen, um noch etwas Gemüse bei einem Bauern zu holen. Es dämmerte schon, als sie das Dorf erreichte. Auf dem Marktplatz hatten die Menschen kleine Gruppen gebildet und unterhielten sich leise flüsternd. Es war voller als an einem Markttag, doch die Stimmung war gedrückt und düster. Klara konnte kaum etwas verstehen, daher ging sie näher heran. Sie wollte gerade den Krämer des Dorfes ansprechen, als jemand ihren Arm ergriff und sie unsanft zur nächsten Ecke zog.
»Lieber Himmel, was soll das denn jetzt?«, rief Klara erbost, während sie versuchte, sich aus dem Griff zu lösen. Im Zwielicht der Dämmerung erkannte sie Peter. Sie ließ sich noch ein paar Schritte mitziehen, bevor sie ungehalten stehen blieb.
»Sei leise«, flüsterte Peter.
»Was ist hier los?«, murmelte Klara. »Warum ziehst du mich in die Gasse wie einen gemeinen Räuber? Warum haben sich alle auf dem Marktplatz versammelt und zittern wie Schafe vor dem Wolf?«
»Sprich nicht so laut und beruhige dich«, antwortete Peter. »Dann erzähle ich dir alles.«
Ihre Neugier siegte, also atmete sie tief durch und strahlte Peter mit einem gezwungenen Lächeln erwartungsvoll an.
»Schon besser. Setz dich hin«, sagte Peter und ließ sich auf einer Stufe nieder. Klara nahm neben ihm Platz.
»Heute Mittag ist die Inquisition in Reheim angekommen.«
»Die Inquisition?«, rief Klara und sprang wieder auf.
»Zum letzten Mal, sei endlich leise«, sagte Peter mit zorniger Stimme. Er zog Klara am Arm, die sich daraufhin wieder hinsetzte.
»Heute Mittag kam eine Kutsche in Begleitung von acht Soldaten hierher. Aus der Kutsche stiegen zwei Priester des Dominikanerordens. Sie haben kurz mit meinem Vater geredet. Scheinbar wird jemand im Dorf der Ketzerei bezichtigt.«
Klaras Hände krallten sich nervös in ihren Rock, während sie weiter den Worten Peters lauschte.
»Sie haben Vater Liborius zu sich kommen lassen. Er ist noch immer bei den Dominikanern.«
»Was wollen sie von ihm?«
»Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich suchen sie jemanden, der ihnen den Namen eines Ketzers verrät.«
»Das kann nicht sein«, fuhr Klara auf. »Vater Liborius ist ein freundlicher, ehrlicher Mann. Er würde niemals einen von uns verraten, selbst wenn er sich der Ketzerei schuldig gemacht hätte.«
»Wach auf, Klara«, sagte Peter und winkte mit der Hand vor ihrem Gesicht. »Die Inquisition ist im Dorf. Die Dominikaner sind nicht ohne Grund hier. Einer von uns ist ein Verräter.«
»Das glaube ich nicht.«
Peter richtete seine Augen gen Himmel.
»Deine Unschuld in allen Ehren, Klara, aber du bist einfältig.«
Klara wollte eben eine bissige Bemerkung machen, als sich Stimmen in der Menschenmenge vor dem Wirtshaus erhoben. Sie stand auf. Peter kletterte auf einen Heuwagen und zog Klara mit sich. Von dort konnten sie über die Köpfe der Leute hinwegsehen.
Die Tür des Wirtshauses hatte sich geöffnet. Von einem Soldaten begleitet, trat Vater Liborius hinaus. Sein Kopf war nach unten gebeugt, als schämte er sich, den Bürgern von Reheim in die Augen zu blicken.
»Was wollen die Inquisitoren von uns?«, rief ein Mann aus der Menge.
»Sag uns, was passiert ist«, verlangte eine ältere Frau.
»Warum warst du so lange bei ihnen?«
»Was habt ihr besprochen?«
Vater Liborius wich vor den Fragen zurück. Er wollte schon wieder in das Wirtshaus hineingehen, als Thomas aus dem Haus trat. Er hob seine Hände, und die Menge wurde ruhig.
»Wir werden alle eure Fragen beantworten. Morgen, bei der Versammlung.«
»Was für eine Versammlung?«, rief der ältere Mann dazwischen.
»Morgen, zur Nona, gebieten wir, dass sich alle Bürger von Reheim im Festsaal zu versammeln haben. Ein Fernbleiben müssen wir als Missachtung der Kirche ansehen und somit als Ungehorsam gegenüber Gott.«
Für einen Moment hatten seine Augen einen harten Ausdruck angenommen. Dann sprach er mit ruhiger Stimme weiter: »Geht nach Hause. Morgen werdet ihr alles erfahren. Wir wünschen keine weiteren Störungen.«
Dann drehte sich Thomas um und ging in das Wirtshaus zurück.
Vater Liborius blieb allein vor dem Haus zurück. Als er die Blicke der Bürger auf sich spürte, lief er zu seiner Kirche am Dorfrand zurück.
Viele Bürger blickten ihrem geistlichen Beistand überrascht oder erschreckt nach, doch dann zerstreuten sich die Menschen auf dem Marktplatz langsam und gingen nach Hause. Klara blieb bis zuletzt auf dem Wagen stehen. Dann nahm sie Peters Hand und drückte sie fest, als suchte sie Halt, bevor sie ohne ein weiteres Wort zu verlieren vom Wagen hinunterkletterte und nach Hause ging.
Peter sah ihr noch lange nach. Als er sie nicht mehr ausmachen konnte, verbarg er sein Gesicht in den Händen und schüttelte den Kopf. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er echte Angst. Nicht die Furcht vor dem prügelnden Vater, dessen Tochter er verführt hatte. Diese Angst ging tiefer. Es war die Furcht vor Folter, vor Demütigung und dem qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen. Peter war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, doch in dieser Nacht würde er zu Gott beten und seine Gnade erflehen.
Die Dunkelheit hatte die letzten Strahlen der Sonne vertrieben. Wolken bedeckten den Himmel und ließen kaum das Licht des Mondes hindurch. Pater Thomas zog den Saum seiner Kutte über seinen Kopf und trat vor das Wirtshaus. Er nickte einer Wache zu, ihm zu folgen, und lief über den Marktplatz. Sein Weg führte ihn durch die Gassen des Dorfes, vorbei an stinkenden Hühnerställen, dampfenden Misthaufen und heruntergekommenen Fuhrwerken. Die Straßen waren eng, die Häuser schief, und der Dreck an seinen Stiefeln ließ ihn würgen.
Thomas versuchte, die trüben Pfützen zu meiden, bis er an einem kleinen Haus angekommen war. Er gab dem Soldaten ein Zeichen, der daraufhin nach vorne trat und zweimal fest an die Tür klopfte. Einen Augenblick später waren aufgeregte Schritte zu vernehmen. Ein wenig Licht drang durch den Türschlitz, als sich jemand dem Eingang näherte. Ein Riegel wurde hochgeschoben, und die Tür öffnete sich einen Spaltbreit.
Thomas erblickte eine alte, ergraute Frau, deren Haare ihr in einem wilden Durcheinander über den Rücken fielen. Sie trug ein zerschlissenes Nachtgewand, das an vielen Stellen geflickt war. Der Geruch von Knoblauch, Dung und Exkrementen drang durch die Tür. Thomas musste sich beherrschen, um nicht den Kopf vor Ekel abzuwenden.
»Maria Höfner?«, fragte Thomas.
»Jawohl«, antwortete die Frau leise und zog sich ängstlich einen Schritt zurück.
»Prior Baselius vom heiligen Orden der Dominikaner möchte mit Euch reden. Kleidet Euch an und kommt mit uns.«
»Was möchte der Prior denn von mir?«, fragte Maria mit leiser Stimme.
»Das wird er Euch selbst sagen«, antwortete Thomas und rang sich ein Lächeln ab.
Die Frau nickte kurz und lief dann, so schnell es ihre alten Beine erlaubten, in das Haus hinein. Thomas musste nicht lange warten. Als sie zurückkam, hatte sie ein langes, ergrautes Kleid an, das ein wenig nach Kamille duftete. Ihre Haare fielen noch immer strähnig über ihre Schultern, doch während sie zurück zum Wirtshaus liefen, schaffte sie es, sie zu bändigen und zu einem Knoten auf dem Kopf zusammenzustecken.
Thomas wunderte sich über die schweigsame Frau. Meist schworen die Leute schon bei seinem Anblick, dass sie sich keiner Ketzerei schuldig gemacht hatten. Sie erklärten, dass alle Vorwürfe gegen sie falsch waren, noch bevor er ein Wort der Anklage geäußert hatte. Maria schien sich keiner Schuld bewusst zu sein. Schweigsam gingen sie zum Wirtshaus. Thomas lief voraus. Maria folgte mit dem Soldaten einen Schritt dahinter.
Am Wirtshaus angekommen, führte Thomas die alte Frau ohne ein weiteres Wort nach oben. Er klopfte an die Tür von Pater Baselius und öffnete diese nach einem Augenblick. Dann winkte er Maria hinein. Die Frau lächelte den jungen Inquisitor freundlich an. Thomas blickte ihr verwundert nach. Anscheinend wusste sie wirklich nicht, was hier passieren würde.
Vater Liborius nahm eine Lampe zur Hand und schlich aus der Kirche. Das letzte Licht versank hinter dem Horizont, aber die Ankunft der Inquisitoren ließ ihn nicht schlafen. Seine Kirche war ihm noch nie so beengt vorgekommen. Er musste mit jemandem reden, denn selbst die Einkehr im Gebet hatte ihm nicht den Frieden gebracht, den er sonst aus der Anrufung Gottes erhielt.
Liborius ließ die Lampe noch verdeckt, bis er die Häuser Reheims hinter sich gelassen und den Wald betreten hatte. Er war den Weg noch nie in der Nacht gelaufen, aber er kannte sich gut genug aus, dass er sein Ziel auch im Dunkeln erreichen würde.
Der alte Mann war das Laufen nicht mehr gewohnt. Er war noch nicht lange unterwegs, als sein Knie zu schmerzen begann. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, und er atmete keuchend. Trotzdem weigerte sich Liborius, auf seinen Körper zu hören und stehen zu bleiben. Die Lampe vor sich, hielt er den Kopf gesenkt und den Blick auf den Boden vor sich gerichtet. Sehen konnte er nur noch ein kleines Stück Weg. Beinahe hatte er das Gefühl, seine Welt ende hinter dem Ausschnitt, den er überblicken konnte. Aber er marschierte Schritt um Schritt voran. Seine Kutte war schweißdurchnässt, als er auf einer kleinen Erhebung anhielt und den Kopf hob. Er drehte sich in alle Richtungen und hielt die Lampe hoch über seinen Kopf. Die Bäume verschluckten das wenige Licht des Mondes. Unsicher ging er umher, bis er einer alten Eiche gewahr wurde, deren knorrigen Äste wie Krallen in den Himmel strebten. Der Baum hatte schon alle Blätter verloren, und sein Stamm war eigenartig verdreht.
Liborius seufzte zufrieden. Jetzt wusste er wieder, wo er war. Bald darauf kam er an einen mit Efeu überwucherten Zaun. Einzig ein kleines Gatter war von den Pflanzen befreit und führte in einen gepflegten Vorgarten, in dem Gemüse und Kräuter wuchsen. Ohne zu zögern, betrat Liborius das kleine Anwesen und blieb vor einer Hütte stehen. Er stellte seine Lampe ab und begann, an die Tür zu klopfen. Das Geräusch hallte laut durch den stillen Wald, aber der alte Mann hämmerte weiter an das Holz, bis er innen Schritte hören konnte.
Kurz darauf öffnete sich die Tür, und die Lampe beschien das Gesicht einer alten Frau, die den Mann vor ihrer Tür verwirrt und müde anblinzelte. Als sie Vater Liborius erkannte, machte sie ein verärgertes Gesicht.
»Liborius, ich hoffe, du raubst mir nicht nur wegen deiner Schmerzen im Knie den Schlaf, ansonsten …«
»Ich muss mit dir reden, Agnes«, unterbrach der Priester die Frau und drängte sich an ihr vorbei in die kleine Hütte. Drinnen angekommen, setzte er die Lampe auf einen Tisch und begann, unruhig auf und ab zu gehen.
Noch bevor Agnes die Tür ganz geschlossen hatte, sprach er weiter. »Die Inquisition ist in Reheim angekommen«, sagte er und rieb sich nervös die Hände. Ganz offensichtlich hatte er die Frau mit dieser Ankündigung überrascht, denn ihr Blick wurde ernst. Sie schien viele Fragen zu haben, aber sie ließ den alten Mann weitererzählen.
»Sie waren kaum eingetroffen, als sie mich schon zu ihnen gerufen haben«, fuhr Liborius fort. Der Priester sprach sehr schnell, was er nur tat, wenn er aufgeregt war. Agnes setzte sich auf einen Stuhl und lauschte den Worten im Schein der Lampe.
»Sie haben sich im Wirtshaus beim alten Rainald niedergelassen. Ich war kaum eingetreten, als sie mich über die Bürger Reheims ausfragten. Zuerst sehr allgemein. Ob es Vorfälle von Hexerei oder Ketzerei gegeben hat. Ob es Einwohner gibt, die schlecht über die Kirche reden, den Namen Gottes beschmutzen oder den Gottesdiensten fernbleiben. Ich habe alles verneint und gesagt, dass hier nur ehrenwerte Bürger wohnen, die sich keine Freidenkerei zuschulden haben kommen lassen. Trotzdem fragten sie weiter. Sie wollten alles über den Stadtrat wissen und über die alleinstehenden, unverheirateten Frauen in Reheim.«
»Hast du ihnen denn Namen genannt?«, fuhr Agnes dazwischen.
»Nein«, antwortete Liborius. »Das musste ich gar nicht. Sie kannten unseren Stadtrat und wussten, welche Frauen in Reheim allein leben.«
Agnes rieb sich müde über die Augen. »Das sind beunruhigende Nachrichten, Liborius, aber warum kommst du damit mitten in der Nacht zu mir?«
»Sie haben mich auch nach dir gefragt«, antwortete Liborius ernst.
Wenn Agnes überrascht war, ließ sie es sich nicht anmerken. »Nun, das ist nicht verwunderlich, denn wie du weißt, bin ich alleinstehend und war auch nie verheiratet. Also, warum wunderst du dich, dass sie auch nach mir fragen?«
»Dein Name fiel als erster, und ich musste ihnen alles sagen, was ich über dich weiß.«
Agnes wollte zu einer Frage ansetzen, aber Liborius sprach schnell weiter.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe ihnen erzählt, dass du eine ehrbare Frau bist, deren Heilkünste schon viele Leben gerettet haben.«
Agnes grunzte nur mürrisch, enthielt sich aber eines Kommentars.
»Natürlich habe ich von deiner Arbeit im Mainzer Hospiz berichtet und von der Unterweisung, die du in dieser Zeit von den Schwestern erhalten hast.«
»Und du denkst, das hat die Inquisition von meiner Reinheit überzeugt?«, fragte Agnes scharfzüngig.
»Es gibt keinen Grund, an meinem Wort zu zweifeln«, sagte Liborius etwas beleidigt.
Agnes richtete kurz die Augen zum Himmel und schüttelte den Kopf.
»Du glaubst also, dass sich die Inquisitoren ausschließlich auf deine Aussagen verlassen, wenn es um die Beurteilung des Gottesglaubens der Bürger Reheims geht?«
»Wem sonst sollten sie vertrauen? Auch wenn sie noch andere befragen, sie werden kaum zu einem anderen Urteil kommen.«
»Du redest von den gleichen Bürgern, die mich als verrückte Einsiedlerin und alte Hexe bezeichnen?«
»Du kennst doch die Leute. Das ist nicht ernst gemeint. Auch wissen längst nicht alle so gut wie ich um deine Fähigkeiten und dass du nicht schlecht über Gott und die Kirche sprichst.«
Agnes lächelte verschmitzt und schien sich eine bissige Bemerkung nur mit Mühe verkneifen zu können.
»Und wenn du dir so sicher bist, dass deine Meinung wesentlich für die Inquisitoren ist, dann frage ich dich, woher sie so viel über die Bürger Reheims wissen?«
»Sie werden vorher Erkundigungen eingezogen haben …«
»Erkundigungen bei wem?«, fuhr Agnes dazwischen. »Ich habe in den letzten Wochen keinen Inquisitor hier herumlaufen und Leute befragen sehen. Dich haben sie nicht aufgesucht und sicher auch niemanden vom Stadtrat, daher frage ich dich, wer hat die Inquisition auf uns hingewiesen? Woher wissen sie, was sie wissen?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Liborius unsicher.
»Wer immer die Inquisition aufgesucht hat, hatte nichts Gutes im Sinn. Es geht doch niemand einfach so zu diesen Männern und erzählt ihnen, wie sehr oder nicht so sehr ehrfürchtig und gottesgläubig die Menschen in Reheim sind.«
Liborius schwieg einen Moment, doch dann straffte er die Schultern und fuhr fort.
»Hier leben nur anständige Leute«, sagte er selbstsicher. »Selbst wenn die Inquisitoren böswillig ausgesprochenen Beschuldigungen nachgehen, so werden sie nichts finden, was ihren Unmut erregen wird.«
Agnes seufzte. Dann stand sie auf und fachte das Feuer in dem kleinen Ofen an.
»Ich habe deine Meinung schon immer geschätzt«, sagte Agnes und stocherte mit einem Stock in der Glut herum, »aber ich bin überrascht, wie groß dein Vertrauen in die Redlichkeit der Inquisition ist.«
»Es sind Männer Gottes«, versuchte Liborius, sich zu rechtfertigen.
»Aber sie wären nicht gekommen, wenn sie nicht schon jemanden der Ketzerei verdächtigen würden. Deine Befragung diente bestenfalls zur Bestätigung ihrer Vermutungen. Wahrscheinlich haben sie dich nur gerufen, um den Schein zu wahren.«
»Aber es gab hier keine Fälle von Ketzerei, Unzucht oder Hexentum …«
»Ich fürchte, es ist im Grunde nicht wichtig, ob es diese Fälle wirklich gibt. Die Beschuldigungen, die der Inquisition zugetragen wurden, waren schwerwiegend genug, dass sie hierhergekommen sind. Glaubst du denn tatsächlich, dass sie einfach unverrichteter Dinge wieder wegfahren, nur weil sie auf den ersten Blick keine ketzerischen Umtriebe entdecken?«
»Aber hier gibt es keine Häresie«, fuhr Liborius auf.
»Schon gut«, unterbrach Agnes den Priester kopfschüttelnd. Sie rieb sich müde über die Augen. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder milder. »Wenn du schon den langen Weg auf dich genommen hast, um mitten in der Nacht zu einer allein lebenden Frau in den Wald zu schleichen, dann kann ich uns auch gleich einen Kräuteraufguss machen.«
Liborius stand noch immer sichtlich angespannt vor dem Tisch.
»Jetzt setz dich endlich, Liborius, und werde wieder ruhiger«, sagte sie milde. »Wir alten Leute brauchen sowieso wenig Schlaf, und wenn du mich jetzt schon aus dem Bett geholt hast, dann können wir uns auch weiter unterhalten.«
Liborius lächelte die Frau an und setzte sich an den Tisch. Seine Aufregung legte sich, als er Agnes zusah, wie sie Kräuter in ein kleines Gefäß gab und mit dem Stößel zerrieb. Er wollte bald wieder zurückgehen, aber für einen Schluck von Agnes’ wohlschmeckendem Kräuteraufguss würde er sich noch Zeit nehmen.
Rainald rannte mit seiner Frau und dem Stallburschen hektisch im Stall umher. Sie hatten sich schon zu Bett begeben, als die Soldaten an seine Tür gehämmert hatten. Er hatte den Stall öffnen und den Soldaten beim Satteln ihrer Pferde helfen müssen. Der Wirt konnte sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten, aber die Angst vor einer möglichen Bestrafung ließ ihn jeden Wunsch der Soldaten mit größter Eile befolgen.
Rainald hatte keine Ahnung, wohin die Männer mitten in der Nacht aufbrachen. Einer von ihnen hatte eine grob gezeichnete Karte dabei, die er aufmerksam im Licht einer Lampe studierte, während die anderen Soldaten ihre Pferde sattelten. Der Wirt unterdrückte den Drang, einen Blick auf die Karte zu werfen, und hielt die Augen gesenkt. Er wollte sich nicht in die Arbeit der Inquisition einmischen, aber er ahnte schon, dass der eilige Aufbruch in der Nacht kein gutes Zeichen war.
Klara blieb lange auf. Ihr Onkel hatte den Kamin befeuert, während sie einen Kräuteraufguss gekocht hatte. Seit Sonnenuntergang saßen sie schon auf den alten Holzstühlen und sprachen über die Ereignisse des Tages.
»Aber es sind doch Priester«, rief Klara erregt. »Sie haben sich doch dem Wort Gottes und seiner Gnade verpflichtet.«
»Kaum ein Mensch ist weiter von Gott entfernt als ein Inquisitor«, antwortete Markus mit seiner ruhigen Stimme und trank noch einen Schluck des Gebräus. Dann blickte er Klara in die Augen, wie immer, wenn sie ein ernstes Gespräch führten. »Sie kennen keine Gnade, keine Liebe und keine Vergebung. Sie predigen Gottes Wort, doch nichts ist ihnen ferner.«
»Ich habe viele Geschichten über die Inquisition gehört«, murmelte Klara, »und kann nicht glauben, dass Menschen so grausam sein können.«
Markus erhob sich von seinem Stuhl, ging zum Kamin und legte noch ein Scheit Holz nach. Das Scheit verschwand fast in seinen großen, kräftigen Händen. Sein langsamer Gang zeigte Klara, dass er wieder Schmerzen hatte. Eine Verletzung am Rücken, die noch von seiner Zeit als Soldat herrührte, quälte ihn ab und an. Mehr wusste Klara nicht, da Markus nicht gerne über diese Zeit sprach. Er blickte einen Moment ins Feuer, dann seufzte er.
»Als deine Eltern starben, habe ich dich bei mir aufgenommen und geschworen, dich vor allem Leid zu bewahren. Deine Mutter und ich, wir liebten uns, wie es nur Bruder und Schwester können. Ich habe getan, was ich konnte, damit du eine junge Frau wirst, auf die deine Mutter einmal stolz sein kann.« Markus drehte sich um und schaute Klara wieder ins Gesicht. »Die Welt ist unvorstellbar grausam, Klara. Ich habe Menschen Taten von solchem Gräuel begehen sehen, dass sie mir heute noch den Schlaf rauben. Vielleicht war meine Verletzung ein Geschenk Gottes, auch wenn sie mich fast zum Krüppel gemacht hat, denn sie hat mich weggebracht von den Schlachtfeldern dieser Welt, hierher, wo Krieg und Mord nur Geschichten sind.«
Markus biss sich auf die Lippen, als überlegte er genau seine nächsten Worte, und lächelte dann. »Du bist eine schöne junge Frau geworden, ebenso bezaubernd, wie deine Mutter es war. Vielleicht noch etwas klüger, als sie in deinem Alter war, daher ist es an der Zeit, dich nicht mehr wie ein kleines Mädchen zu behandeln.« Er schlurfte zu seinem Stuhl zurück und setzte sich. »Ich war der Diener vieler Herren. Ich zog als Soldat durchs Land und verkaufte mich dem Heerführer, der am meisten zahlte. Dann tötete ich in seinem Namen, bis die Schlacht geschlagen war, nahm mein Bündel und suchte mir den nächsten Ort, an dem mein Schwert gebraucht wurde. Ich weiß nicht, wie viele Leben ich genommen habe. Es machte mir nichts aus, denn das ganze Land war dem Krieg verfallen, und der Tod war stets nur eine Armlänge entfernt. So zog ich umher, bis unser Hauptmann mich und meine Kameraden zur Seite nahm und zur Bewachung eines Priesters abstellte.





