Die Rache des Inquisitors

- -
- 100%
- +
Ich war ein guter Soldat und gehorchte allen Befehlen. Zu dieser Zeit hatte ich noch nicht viel über die Inquisition gehört. Ich hielt sie lediglich für eine eigene Bruderschaft unter den zahllosen Orden der Kirche, nicht stärker oder gefährlicher als die anderen auch.«
Markus griff nach seiner Tasse und trank einen Schluck Tee. Seine Hand zitterte, als er das Gefäß aufnahm und sich an der Wärme erfreute. »Es war ein Dorf wie dieses. Die Menschen waren Bauern, arbeitsam und ehrlich. Der Priester führte uns zu einem Haus, etwas abseits der Dorfstraße, vor dem eine kleine Menschenmenge wartete. Sie sahen elend aus. Ihre Kleider waren zerrissen. Die Frauen hatten zerzaustes Haar und schmutzige Gesichter. Sie versuchten, ihre weinenden Kinder zu beruhigen, die ihre Angst mit aller Kraft herausschrien.
›Treibt sie ins Haus und vernagelt die Türen‹, befahl uns der Priester,
Natürlich befolgte ich diesen Befehl. Es kam oft vor, dass Familien unter Hausarrest gestellt wurden, wenn sie sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten. Damals war ich noch blind«, sprach Markus weiter und schüttelte den Kopf. »Ich sah nicht, dass die Frauen missbraucht worden waren, dass die Männer unter den Schmerzen überstandener Folter kaum laufen konnten und ihre Kinder in Todesangst zitterten. Und so trieben wir sie in das Haus hinein. Die Männer flehten uns um Gnade an, die Frauen weinten und baten uns, wenigstens die Kinder zu verschonen.
Noch immer verstand ich nicht, also führte ich weiter meine Befehle aus und verschloss die Türen. Kaum war die Arbeit erledigt, sah ich den Priester, mit einer großen Lampe in seinen Händen. Ich blickte in seine Augen, und die Freude darin ließ mich verstehen, was ich getan hatte.
Er warf die Lampe mit einem Lächeln auf das Dach. In diesem Moment schien alles um mich herum stillzustehen. Ich sah, wie das Feuer das Dach erfasste und sich die Flammen ausbreiteten. Ich hörte die flehenden Schreie der Eingeschlossenen wie aus weiter Ferne und spürte die Wärme auf meinem Gesicht, aber ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich stand vor dem Haus, hörte die Menschen in den brüllenden Flammen sterben und begriff, dass ich an ihrem Tod die Schuld trug.«
Klara sah Tränen in Markus’ Augen schimmern. Nach einem Moment straffte der Mann seine kräftigen Schultern und erzählte weiter. »Seit diesem Tag sollte ich nie mehr eine Nacht durchschlafen. In jener Nacht schlief ich gar nicht, bis zum Morgen wälzte ich mich auf meinem Lager und flehte Gott um Vergebung für meine Sünden an, doch die Last wurde nicht leichter. Am nächsten Tag stürzte ich mich in die Schlacht, mit dem festen Vorhaben, nicht lebend daraus zurückzukehren.
Selbst drei Treffer einer Axt hielten mich nicht. Blutüberströmt rannte ich weiter, hoffend, dass der Feind endlich Erbarmen zeigen und mir einen schnellen Tod gewähren würde. Ein Pfeil traf mich in den Rücken und ließ mich in gnädige Bewusstlosigkeit sinken.
Ich erwachte drei Tage später im Krankenlager und verstand, dass Gott mir noch immer nicht vergeben hatte.«
Markus leerte die Tasse und stellte sie auf den Tisch. »Es dauerte Wochen, bis ich wieder laufen konnte, also gab ich meine Arbeit als Soldat auf und kehrte hierher zurück. Während ich mit deinem Vater dieses Haus baute, gab mir deine Mutter die Kraft, mich dem Leben wieder zu stellen. Die Erinnerungen suchten mich noch immer heim, aber sie waren nicht mehr so stark.«
Markus blickte Klara in die Augen. »Sei vorsichtig und wachsam, Klara, wenn wir morgen zur Versammlung gehen. Vertraue auf dein Herz und deinen Verstand. Lass dich nicht von falschen Anschuldigungen blenden.« Dann lächelte Markus und vertrieb damit die Trauer aus seinem Gesicht. »Es wird Zeit, sich schlafen zu legen.«
Klara räumte die Tassen zur Seite, während ihr Onkel noch ein Scheit Holz in den Kamin legte. Tausend Fragen bewegten sie, doch sah sie die Müdigkeit in Markus’ Augen. Aufgewühlt ging sie zu Bett.
Doch sie fand keinen Schlaf. Ihr Onkel war ein verschlossener Mann, der nicht gerne von seiner Vergangenheit sprach. Klara hatte ihn auch nie dazu gedrängt. Sie wusste, dass er früher einmal Soldat gewesen war. Nach seiner Verletzung war er nach Reheim zurückgekehrt und hatte im Haus ihrer Mutter und ihres Vaters gelebt. Sie konnte sich kaum an eine Zeit ohne Markus erinnern. Klara hatte ihren Onkel als großzügigen und ruhigen Menschen kennengelernt. Umso erstaunter war sie, dass er getötet haben sollte. Diese Vorstellung passte nicht zu dem Bild, das sie von ihm hatte.
Klara wälzte sich in ihrem Bett. Am liebsten wäre sie zu Agnes gelaufen, um mit ihr über Markus’ Beichte zu reden. Die Weisheit der alten Frau fehlte ihr in dieser Nacht. Sobald die Versammlung vorbei war, würde sie zu ihr gehen. Sie zog die Decke über ihre Schultern, schloss die Augen und versuchte, zur Ruhe zu kommen.
Auf den ersten Blick war es eine Nacht wie jede andere. Die Läden der Häuser waren zugezogen, die Tiere von der Weide geholt und die Felder verlassen. Die Gerste war ausgesät, und der bevorstehende Herbst färbte bereits die ersten Bäume rot. Der Wind ließ die Blätter rascheln, und die Straßen des Dorfes waren leer. Doch hinter den verschlossenen Türen herrschte Angst.
Ruhelos wälzten sich die Bürger in ihren Betten. Sie fürchteten sich vor dem, was kommen würde und was sie nicht verhindern konnten. Es war wie das Warten auf einen nahenden Sturm. Man sah schon von Weitem, wie er den Himmel vereinnahmte, spürte, wie die Luft abkühlte und der Wind zunahm. Man konnte sich nur in Sicherheit bringen und warten, bis alles vorbei war.
Doch dieser Sturm war anders. Er konnte jeden erfassen, und es gab keinen Schutz vor ihm. Kein Dach bewahrte einen vor dem prasselnden Regen, und keine Mauer konnte den Wind abhalten. Die Menschen waren gefangen in ihrer Hilflosigkeit, dazu verdammt, abzuwarten, während andere über ihr Leben entschieden. Selbst der Klügste unter ihnen konnte sie aus dieser Lage nicht herausreden und selbst der Stärkste den Feind nicht niederknüppeln.
So warteten die Bürger von Reheim darauf, dass die Nacht verging. Ihre Gedanken kreisten um die Schrecken, die man ihnen antun würde, um die Fehler, derer sie sich schuldig gemacht hatten, und die Sünden, welche sie begangen hatten. Sie lagen in ihren Betten und flehten zum Herrn um Vergebung. Ihre Versprechungen wurden mit jeder Stunde größer. Sie beteten, dass das Auge der Inquisition sie nicht beachten und dieser Albtraum ein Ende nehmen würde.
Es war eine Nacht, in der jeder Bürger von Reheim insgeheim Verrat beging. An den Freunden, die er für seine Unversehrtheit opfern würde, und an den Nachbarn, deren Blut er vergießen würde, nur um nicht selbst in die Fänge der Inquisition zu geraten. Es dauerte nur wenige dunkle Stunden, bis die Bewohner von Reheim ihre Gemeinschaft aufgaben.
Pater Baselius hatte sich zum kleinen Gefängnis des Dorfes bringen lassen. Die Zellen rochen vermodert. Er hörte Ratten umherhuschen. Seine Schritte hallten laut. Als ihm die Tür geöffnet wurde, quietschten die Angeln. Dann drehte er sich zu Thomas um, der ihn hierher geführt hatte.
»Ich gehe davon aus, dass diese Räume hergerichtet werden. Die Zellen müssen sicher sein. Alle Schlüssel müssen uns übergeben werden. Einzig unsere Soldaten dürfen das Gebäude bewachen. Niemand darf sich ohne unsere ausdrückliche Erlaubnis dem Gefängnis nähern. Es ist jedem verboten, mit den Gefangenen zu reden.«
»Sehr wohl«, sagte Thomas und führte Baselius weiter.
Der ältere Mann ging langsam. Der Boden war uneben und glitschig von der Feuchtigkeit, die sich in langen Jahren hier gesammelt hatte. Eine Tür knarrte, und Thomas sagte: »Wir sind da.«
Pater Baselius hätte auch ohne seinen Helfer gewusst, wo sie waren. Er roch die Angst, die Menschen unter der Folter ausdünsteten. Es stank nach Schweiß und Exkrementen. Das Klirren von Ketten zeigte ihm, dass die Frau schon aufgehängt war. Normalerweise begannen die Ketzer schon bei seinem Anblick, um Gnade zu flehen, aber die Gefangene schwieg. Baselius nickte ein wenig mit dem Kopf. Dieser Fall schien etwas hartnäckiger zu sein.
»Schließt die Tür«, sagte er und trat in den Raum hinein. »Wir haben eine lange Nacht vor uns.«
2
Agnes
Die Glocken der Kirchen läuteten die Zusammenkunft ein. Alle Bürger waren gekommen und strömten in den großen Versammlungssaal. Der Saal war oft Ort hitziger Diskussionen gewesen, als über die Verteilung von Weiderechten und Wegzöllen diskutiert worden war, aber jetzt feierte man hier ausgelassene Feste, beging Hochzeiten oder hob das Glas auf die Geburt eines neuen Stammhalters.
Klara hatte nur gute Erinnerungen an diesen Saal, doch als sie mit ihrem Onkel in den düsteren Raum hineinging, schien jede Freude aus ihm gewichen zu sein. Die beiden Dominikanerpriester saßen auf ihren Stühlen und musterten die einströmende Menge. Auch wenn der alte Priester blind war, so war sein trüber Blick starr auf den Gang gerichtet, als könnte er die Menschen sehen.
Die Kamine im Raum waren aus, nur spärliches Kerzenlicht erhellte den Saal. Die Angst der Bewohner war fast mit Händen zu greifen. Niemand sprach ein Wort. Alle blickten zu Boden, und selbst die Kinder schienen sich des Ernstes dieser Versammlung bewusst zu sein. Sie redeten nicht, tollten nicht umher und ließen sich zu keinerlei Streichen anstiften.
Die Bänke waren voll besetzt, als Pater Baselius aufstand. Klara biss sich nervös auf die Lippe. Sie redete nicht schlecht über Gott, ging jeden Sonntag in die Kirche und betete morgens und vor dem Schlafengehen.
Noch vor ein paar Tagen hatte sie mit Agnes über Recht und Unrecht gesprochen. Es war um die Bestrafung eines Viehhirten gegangen, der seine Tiere auf einer ungenutzten Wiese seines Nachbarn hatte grasen lassen. Wie immer hatte Agnes zu keiner Zeit gesagt, »das war richtig« oder »das war falsch«. Sie hatte von Klara verlangt, selbst zu beurteilen, was in einem solchen Fall zu tun war. Als Klara dann die Entscheidung getroffen hatte, dass es nicht anstößig war, seine Tiere auf eine brachliegende Wiese zu treiben, auch wenn sie einem nicht gehörte, hatte Agnes nur zufrieden genickt. Ihre Meinung dazu hatte sie wie immer für sich behalten.
Es gab keinen Grund für Klara, ein schlechtes Gewissen zu haben, das war ihr bewusst, und doch konnte sie den Dominikanern nicht in die Augen sehen, sondern senkte eingeschüchtert den Blick. Vielleicht lag es an der Macht über Leben und Tod, die die Männer innehatten. Möglicherweise war es auch die Angst, die durch die unzähligen grausigen Geschichten von der Inquisition geschürt worden war.
Ihre Hand umfasste das silberne Kreuz, eines der wenigen Schmuckstücke, die ihr noch von ihrer Mutter geblieben waren. Sie schloss die Augen und dachte an ihr sanftes Lächeln. Immer wenn sie sich fürchtete, war ihre Mutter in ihr Zimmer gekommen, hatte sie in die Arme geschlossen und ihr sanft über den Rücken gestrichen. Dann waren die Schreckgespenster aus den Albträumen verschwunden, das Gewitter nicht mehr so bedrohlich erschienen und die bösen Kreaturen vor ihrem Fenster geflohen.
Die kratzige Stimme des älteren Priesters riss sie aus ihren Erinnerungen. »Da wir, Pater Baselius und Pater Thomas vom heiligen Orden der Dominikaner, mit all unserer Kraft dafür kämpfen, dass das christliche Volk und der katholische Glaube geschützt und von allem ketzerischen Ungemach ferngehalten werde, haben wir diesen Prozess einberufen. Dies geschehe zum Ruhm und zur Ehre des verehrungswürdigen Namens Jesu Christi und zur Vernichtung der Häresie und des Hexentums hier in Reheim.«
Pater Baselius machte eine kurze Pause. »Man hat uns von ketzerischen Handlungen berichtet, von Schaden an Mensch und Tier, von Hexerei und dem Verkehr mit Dämonen. Jeder, der die heilige Inquisition in ihrer Arbeit behindert, soll vom Stab der Exkommunikation niedergestreckt werden. Jede Enthüllung, die einen Ketzer überführt, wird mit Absolution der Sünden vergolten.«
Der Dominikaner setzte sich wieder und winkte einem seiner Soldaten. »Man bringe die Gefangene.«
Die Menge im Versammlungssaal wurde unruhig. Klara blickte sich um und versuchte festzustellen, ob alle Bürger gekommen waren, wer fehlte. Von ihrer Bank aus hatte sie schlechte Sicht, daher wollte sie sich erheben, aber ihr Onkel fasste sie am Arm und zog sie auf ihren Platz. Sein ernster, warnender Blick ließ keinen Widerspruch zu, und so setzte sie sich.
Aus dem hinteren Teil des Saals hörte man das Klirren von Ketten. Die Soldaten führten eine kleine Gestalt hinein. Sie zog ihr rechtes Bein ein wenig nach. Ihr Kopf wurde von einem Sack verborgen, und ihr hagerer Körper war von einer alten, zerrissenen Kutte bedeckt. Klara versuchte zu erkennen, wer es war.
Die Frau wurde nach vorne gebracht, sodass sie von jedem Besucher gesehen werden konnte. Auf einen Wink von Pater Baselius zogen die Soldaten der Gefangenen den Sack vom Kopf und rissen ihr das Gewand vom Leib.
Klara erblickte Agnes. Die Haare waren ihr vom Kopf geschoren worden. Ihr linkes Auge war geschwollen und ihre Nase offenbar gebrochen. Ihr Körper war von Peitschenhieben verunziert, und ihr linker Arm hing in einem grotesken Winkel schräg von ihrer Schulter weg. Der kleine Finger ihrer linken Hand war nur noch ein Stumpf, und auf ihrer Brust waren mehrere Brandwunden.
Klara übergab sich auf den Boden. Der Saal war in Aufruhr. Mütter bedeckten ihren Kindern die Augen, Frauen fingen an zu weinen, und selbst die stärksten Männer wandten sich von diesem Anblick ab.
Agnes stand zitternd in der Mitte des Saals und konnte sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Ihr Blick war starr zu Boden gerichtet.
»Bedeckt sie«, sagte Pater Thomas. Die Soldaten warfen ihr das Gewand über die Schulter, das ihre Blöße nur unzureichend verhüllte.
Der junge Inquisitor erhob sich von seinem Platz, entrollte ein Schriftstück und begann, laut vorzulesen. »Agnes Barand. Ihr habt Euch der Ketzerei schuldig gemacht. Ihr habt Christus entsagt, die Sakramente geschändet und dem Teufel Opfer dargebracht. Man wirft Euch die Schuld am Tod dreier Kinder vor, weiter sollt Ihr ein Viehsterben verursacht und die Felder eines Bauern verhext haben. Ihr wurdet gesehen, wie ihr zum Hexensabbat geflogen seid. Dort habt Ihr Unzucht mit dem Teufel in Gestalt eines großen Ziegenbocks getrieben. Bei der anschließenden Zusammenkunft mit anderen Hexen habt ihr ihm kniend gehuldigt, ihn angebetet und einen Pakt mit ihm geschlossen.«
Thomas rollte das Schriftstück zusammen und wandte sich direkt an die Gefangene. »Im Angesicht dieser rechtschaffenen Bürger bitte ich Euch, gesteht Eure Häresie. Widerruft den Pakt mit dem Teufel und kehrt zurück in die Gemeinschaft der Gläubigen.«
Agnes blickte noch immer zu Boden. Sie schüttelte leicht den Kopf.
Thomas flüsterte Baselius etwas zu. Die beiden Männer besprachen sich einen Moment, dann erhob der Prior die Stimme.
»Ruft den ersten Zeugen.«
Thomas erhob sich und rief in die Menge der Zuschauer. »Maria Höfner. Tretet vor.«
Die alte Frau stand auf und trat zögernd nach vorne. Ihr Blick war auf ihre Füße gerichtet, als schämte sie sich, hier zu sein. Für einen Moment sah sie zu Agnes, doch ihr Anblick schien ihr Qualen zu bereiten, und so wandte sie sich schnell wieder ab. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie vor den Tisch trat.
»Maria Höfner«, sagte Thomas mit ruhiger Stimme. »Entspricht es der Wahrheit, dass Euer Mann die der Ketzerei angeklagte Agnes Barand kannte?«
Maria nickte nur ein wenig, hielt den Kopf aber gesenkt.
»Sprecht laut«, fuhr Pater Baselius dazwischen und schlug mit der Hand auf den Tisch.
Maria zuckte wie von einem Peitschenschlag getroffen zusammen. »Ja«, sagte sie laut.
»Und entspricht es der Wahrheit«, fuhr Thomas fort, »dass Euer Mann die der Ketzerei angeklagte Agnes mehrfach eine Hexe nannte?«
»Ja.«
»Entspricht es der Wahrheit, dass Agnes Barand Euren Mann, als dieser schwer erkrankte, mit Tränken und Salben behandelt hat?«
»Nun, Agnes ist nicht nachtragend, daher kam sie sofort, als ich …«
»Ein einfaches ›Ja‹ genügt«, unterbrach sie Thomas. Der strenge Blick von Pater Baselius war auf sie gerichtet. Maria begann zu zittern.
»Ja«, antwortete sie leise.
»Und entspricht es der Wahrheit, dass Euer Mann kurz darauf starb?«
»Er war schwer krank, und Agnes war gekommen, um seine Schmerzen zu lindern.«
»Ja oder nein?«, fragte Thomas ungeduldig.
»Ja.«
»Und entspricht es der Wahrheit, dass Euer Mann nur wenige Tage nach der Walpurgisnacht, der Nacht, in der die Hexen ihre größte Macht erlangen, erkrankt ist?«
»Ich verstehe nicht …«
»Ihr sollt die Fragen nur mit ›Ja‹ oder ›Nein‹ beantworten«, befahl Baselius mit drohendem Unterton. »Jedes weitere Wort sehen wir als Missachtung der heiligen Inquisition und somit als Ketzerei an.«
Maria nickte ängstlich mit dem Kopf.
»Entspricht es also der Wahrheit, dass Euer Mann nur wenige Tage nach der Walpurgisnacht, der Nacht, in der die Hexen ihre größte Macht erlangen, erkrankt ist?«
»Ja.«
»Und kam die Krankheit für Euch überraschend?«
»Ja«, antwortete Maria. Tränen schossen ihr in die Augen.
»Und wäre es denkbar, dass jemand, der mit den dunklen Mächten im Bündnis steht, Eurem Mann diese Krankheit angehext haben könnte?«
»Ja.«
»Und entspricht es der Wahrheit, dass das Grab Eures Mannes nur wenige Tage danach zerwühlt vorgefunden wurde?«
Maria fiel auf die Knie und schluchzte hemmungslos.
Klara beobachtete dieses Schauspiel mit regungsloser Miene. Alles war ein einziger Albtraum. Die gefolterte Agnes, das Gebaren der Inquisitoren und die bedauernswerte Maria, die zum Verrat an ihrer Jugendfreundin getrieben wurde. Jeder wusste, dass der Friedhof von einer Rotte Eber zerstört worden war. Das Grab von Marias Mann war nicht das einzige gewesen, und doch konnte sie nichts gegen diese heimtückische Befragung tun, ohne sich selbst der Ketzerei schuldig zu machen.
»Antwortet auf die Frage«, herrschte Thomas sie an.
»Ja«, schluchzte Maria.
Thomas schüttelte den Kopf und blickte Maria voller Verachtung an.
»Bringt sie weg«, sagte er. Ein Soldat ging zu ihr und hob die alte Frau auf. Die tränenüberströmten Augen von Maria trafen sich mit denen von Agnes. Ihr geschundenes Gesicht war kaum zu einer Regung fähig, doch sie nickte leicht und schien für einen winzigen Augenblick zu lächeln, als wollte sie ihrer alten Freundin bedeuten, sich nicht zu grämen. Dann wurde Maria hinausgeführt.
Thomas wartete, bis die Frau den Raum verlassen hatte, bevor er sich wieder von seinem Stuhl erhob.
»Ich rufe den nächsten Zeugen, Vater Liborius.«
Der Aufgerufene erhob sich von seinem Platz in der ersten Reihe und ging nach vorne. Er war als einer der Ersten in die Versammlung gekommen, hatte aber kein Wort gesprochen und nur schamerfüllt zu Boden gesehen.
Er war in eine weite Kutte gekleidet, die er auch sonntags zur Predigt trug. Seine lichtes Haar war zurückgekämmt, und seine Stiefel waren geputzt. Als er nach vorne ging, blickte er Agnes in die Augen. Sein Gesicht war in Schuld und Kummer verzerrt. Er hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Die Zuschauer warteten angespannt. Die schlurfenden Schritte des Paters waren die einzigen Geräusche in der Halle. Der Priester drehte sich zu Thomas um.
»Vater Liborius, wie lange seit Ihr schon Hirte in Reheim?«, fragte der junge Inquisitor mit einem Lächeln.
»Seit fast 20 Jahren.«
»Eine lange Zeit.« Thomas nickte anerkennend. »Sicher sind Euch die Bewohner ans Herz gewachsen?«
»Als wären sie meine eigenen Kinder«, sagte der Pfarrer lächelnd. In diesem belanglosen Gespräch schien seine Anspannung etwas abzufallen.
»Und Ihr unternehmt alles, um sie vor ketzerischen Kräften zu schützen?«
»Ich würde mein Leben dafür geben, diese Gemeinde vor dem Bösen zu bewahren.«
Für einen Augenblick erschien ein tückisches Lächeln auf Thomas’ Gesicht, fast als wollte er eine Erwiderung darauf geben. Dann sprach er mit regungsloser Miene weiter.
»Erzählt uns von der ungewöhnlichen Kindersterblichkeit in diesem Jahr.«
»Es kommt manchmal vor, dass der Herr eine kleine Seele schon früh zu sich ruft. In diesem Jahr waren es derer drei. Für ein Dorf wie Reheim sind das ungewöhnlich viele tote Kinder, da wir uns nur selten über Nachwuchs freuen dürfen.«
»Könnte dies das Werk des Bösen sein?«
»Dessen bin ich mir sicher. Gott in seiner Herrlichkeit würde uns niemals so schwer bestrafen.«
»Sicher habt Ihr schon von Ketzern gehört, die einen Pakt mit dem Teufel eingehen?«
»Ja.«
»Und von Hexen, die den Gehörnten anbeten und von ihm ketzerische Kräfte erhalten?«
»Natürlich.«
»Frauen, deren harmloses Äußeres über ihre dunklen Seelen täuschen kann?«
»Ja.«
»Und die Tod und Verderben über ein Dorf wie dieses bringen können?«
»Ja.«
»Und für den Tod der drei Neugeborenen verantwortlich sein können?«
»Ja.«
»Nun, da wir festgestellt haben, dass das Böse in Reheim Fuß gefasst hat, frage ich Euch, wen Ihr dieser Taten beschuldigt?«
Vater Liborius zögerte mit seiner Antwort. »Ich verstehe nicht«, sagte er unsicher.
»Wen beschuldigt Ihr der Ketzerei?«, wiederholte Thomas mit ruhiger Stimme.
»Ich kenne alle Bewohner von Reheim und denke nicht, dass einer von ihnen …«
»Unsinn«, rief Pater Baselius erzürnt und stand von seinem Stuhl auf. Er richtete seine blinden Augen auf den Priester.
»Ihr habt einen Ketzer in eurer Gemeinde, der für eine Vielzahl an Schrecken verantwortlich ist. Wir haben sie alle aufgezählt, oder wollt Ihr diese Vorfälle leugnen?«
»Nein«, antwortete Vater Liborius ängstlich und schüttelte den Kopf.
»Dann sagt uns einen Namen.«
»Aber …«
»Wenn Ihr uns nicht sofort den Namen des Ketzers nennt, werden wir Euch einer peinlichen Befragung unterziehen.«
»Nein«, flehte Vater Liborius, »beim Namen des Herrn, verschont mich mit Folter. Ich bin schon alt …«
»Den Namen«, schrie Pater Baselius.
»Bitte, Herr«, flehte der Priester und fiel auf die Knie. Sein Blick wandte sich Hilfe suchend zu Agnes. Die alte Frau sah ihm in die Augen. Sie schien fast so etwas wie Mitleid mit dem alten Mann zu haben. Dann nickte sie ernst. Für einen Moment spiegelte sich Verzweiflung im Gesicht von Liborius. Er schloss kurz die Augen, als würde er im Stillen um Vergebung bitten. Seine Hände zitterten, als er sich wieder dem Inquisitor zuwandte. Er schluckte und flüsterte: »Agnes Barand.«
Ein Aufstöhnen ging durch die Menge. Pater Baselius blieb noch einen Moment stehen. Dann schien er zufrieden zu sein, und der zornige Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht. Er setzte sich wieder hin und gab Thomas ein Zeichen, weiterzusprechen.
»Ihr bezeichnet Agnes Barand als Ketzerin?«, fragte der junge Priester.
»Ja«, sagte Liborius und stand wieder auf.
»Welcher Taten hat sie sich schuldig gemacht?«
Der alte Priester blickte hilflos zu Thomas.
»Ihr wisst, dass eine falsche Anschuldigung zu einer schweren Bestrafung führt«, fuhr Thomas weiter fort. »Habt Ihr Agnes Barand unrechtmäßig beschuldigt?«, fragte er mit drohendem Unterton.
»Nein«, rief Liborius hastig. »Agnes Barand ist eine Hexe, bestimmt. Ich habe sie gesehen, wie sie auf ihrem Besen zum Hexensabbat fliegt. Dort trifft sie sich mit ihresgleichen. Sie treiben Unzucht, trinken Blut unschuldiger Opfer und essen das Fleisch von Kindern.«
Klara wollte aufspringen und diesen Lügen etwas entgegenschreien, aber ihr Onkel hielt sie am Arm fest. Sie versuchte, sich loszureißen, doch er packte sie mit beiden Händen und drückte sie auf die Bank. Sein Blick war zornig und enthielt eine unausgesprochene Warnung. Klara hatte ihren Onkel noch nie so erlebt, und so blieb sie sitzen, während Vater Liborius mit teilnahmsloser Stimme weitersprach. »Sie hat die Seelen der toten Kinder geraubt und dem Teufel als Geschenk dargebracht, damit sie weiter in seiner Gunst bleibt. Vom ersten Tag an habe ich das Böse in ihren Augen gesehen, doch solange der Teufel sie unter ihrem Schutz hatte, konnte ich nichts gegen sie unternehmen.«





