- -
- 100%
- +
„Ich war gerade wegen Angelikas Vater im Krankenhaus, die Polizei war auch da. Wir haben übrigens keine Anzeige erstattet.“
Christiane war in einem Stadium höchster Erregung. Mikes Antwort hatte sie überhaupt nicht mehr registriert. „Frau Rösler, oder wie Sie auch immer heißen mögen, wie kommen Sie dazu, bei meinem Sohn alles kaputt zu machen? Eine Verlobung ist ein Heiratsversprechen, da haut man nicht einfach dazwischen.“
Mona antwortete ganz ruhig. „Ich habe nicht dazwischengehauen. Wir haben uns ganz einfach verliebt. Nur damit es keine Irritationen gibt, auch ich liebe ihren Sohn und das mehr, als Sie sich vorstellen können.“ Mike lächelte Mona an und nickte unterstützend. „Unsinn, nach einer Woche wissen Sie gar nichts. Eine Liebe muss wachsen. Das glaube ich Ihnen nicht. Sie können hier viel erzählen. Da kommt mir gerade ein anderer Gedanke. Haben Sie überhaupt eine Aufenthaltsgenehmigung oder suchen Sie nur einen Dummen, damit sie hier leben können!“
Totenstille legte sich in den Raum.
Nach kurzer Pause antwortete Mona mit spannungsgeladener Stimme in ungewöhnlicher Schärfe und stand dabei auf. „Ich bin Deutsche und in diesem Land geboren. Mein Vater ist Deutscher und Weißer. Meine Mutter kam aber als Flüchtling nach Deutschland und war hochschwanger mit mir. Es gibt keinen Grund sich hierfür zu schämen. Mein Vater hat sie geheiratet um die Abschiebung zu verhindern. Und hören Sie mir jetzt genau zu: Ichliebe Ihren Sohn! Dass können Sie akzeptieren oder auch nicht, es ändert nichts an der Tatsache, dass es so ist.“ Christiane sprang ebenfalls auf. „Wie reden Sie mit mir. Das muss ich mir nicht sagen lassen und erst recht nicht von einer, … einer Schwarzen aus dem Busch!“
Mike war ebenfalls aufgesprungen. „Mama, was soll das, reiß dich bitte zusammen!“ Mona hatte sich wieder im Griff. „Warum, ist da ein Unterschied zwischen schwarz und weiß?“
„Das ist ein Unterschied, jawohl.“
Christiane drehte sich um, ging zum Buffet und griff nach einem Foto auf der Ablage. Auf diesem Foto waren Angelika und Mike abgebildet: beide Köpfe dicht aneinander geschmiegt und glücklich lächelnd. Ihre rotblonden Haare wehten im Wind. „Schauen Sie sich dieses Bild an!“ Christiane hielt das Foto Mona direkt unter die Nase. „Das haben Sie allein zerstört!“ Sie tauschten giftige Blicke aus. „Zu einer Beziehung gehören immer noch zwei. Wir beide, ich betone nochmals, wir beide wollen diese Beziehung …“ Christiane schnaubte vor Wut und unterbrach brüsk Mona. „So ein Blödsinn. Was haben Sie, was Angelika nicht hat. Ich kann hier nirgendwo auch nur einen klitzekleinen Vorteil für Sie erkennen. Eine Schwarze, ich fass es nicht. Für eine Schwarze lässt mein Sohn dieses bildhübsche Mädchen im Stich. Was soll das mit euch zwei werden? Wo wollt ihr leben? In Afrika?“
Mike hatte sich das Rededuell sprachlos angeschaut, er wollte dazwischen gehen, nur seine Mutter war dermaßen in Fahrt, dass sie sich nicht unterbrechen ließ. „Und wenn ihr dann mal Kinder habt, was wird dann? Alle dunkelbraun oder vielleicht hellbraun? Mischlinge, damit man gar nicht mehr weiß, wo sie hingehören? Immer irgendwelchen Vorurteilen ausgesetzt. Eure Kinder tun mir jetzt schon leid. Womöglich will mein Sohn Sie eines Tages noch heiraten. Er scheint Ihnen ja völlig verfallen zu sein.“ Christiane schrie fast. „Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht?“ Das war zu viel für Mike, er explodierte. „Mama, bist du noch ganz bei Trost, was redest du da? Das geht zu weit, was bist du nur für ein Mensch. Ist das dein wahres Gesicht, meine Mutter ist eine Rassistin?“ Mike hatte ohne zu Zögern Partei für Mona ergriffen. Er schaute seine Mutter dermaßen wütend an, dass die unwillkürlich zurückwich.
Melanie packte Mike an der Schulter. Sie wollte verhindern, dass er auf seine Mutter losging. Mike stand mit geballten Fäusten vor seiner Mutter. „Hört sofort auf damit, euch gegenseitig zu kränken. Mama, siehst du, wie weit Mike bereit ist zu gehen? Er ist dein Sohn, willst du ihn verlieren? Es ist doch völlig egal, was sie für eine Hautfarbe hat. Mama, bitte, wenn Mike doch Mona liebt. Und das tut er, glaub mir! Dazu kenne ich ihn viel zu gut. Ich denke, wenn Mike nach einer Woche mit Mona zusammen seine Hochzeit absagt, steckt doch mehr dahinter, meinst du nicht?“
Christiane hatte sich keinesfalls beruhigt, im Gegenteil: ihr Zorn wandte sich voll gegen ihren Sohn, „Ja, jede Menge Dummheit, fehlende Reife und Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner Familie. Ganz zu schweigen von Angelika und ihrer Familie. Du Mike, du bist ein Egoist der Extraklasse, denkst nur an dich. Deine Familie ist dir völlig egal, ich bin dir egal, Melanie und dein Vater auch. Für so eine würdest du uns aufgeben? Antworte!“
Mike musste schlucken. Mona blickte ihn verstohlen an. Das darf nicht wahr sein. Jetzt knickt er ein. Mona, du hast es doch gewusst und Mami auch. Sie hat mich noch gewarnt.
Mike war plötzlich die Ruhe selbst. „Du willst allen Ernstes eine Entscheidung zwischen euch und Mona?“ Mit dieser Frage hatte Mike seine Mutter in die Enge getrieben. Auch sie zögerte. Alle standen mit großen Augen und offenen Mündern da, ohne zu reagieren.
Melanie fing sich als erste wieder. „Mama, sag’s nicht. Du kannst das nicht von Mike verlangen!“
„Oh doch, das kann ich!“ Mit grimmiger Miene forderte sie die Entscheidung ein. „Sie oder wir. Entscheide dich!“ Mona wollte schon einlenken. Mike wies sie zurück. „Kein Wort von dir, das ist meine Sache!“ Er sagte dies scharf, einen Widerspruch nicht zulassend. Mona ließ sich auf das Sofa fallen. Alles aus. Wieder die „A-Karte“. Ihre Selbstsicherheit war weg. Ängstlich sah sie zu Mike, das Schlimmste erwartend.
Mike holte tief Luft. „Also gut, ihr alle sollt sie haben. Hier ist meine Entscheidung. Für Mona! Ich liebe diese Frau hier über alles.“ Seine Hand ging dabei zu Mona und fasste die ihre. Er zog sie eng an sich und legte seinen Arm um ihre Hüfte. „Und damit du es weißt, Mama. Es ist mir leicht gefallen. Gar keine Entscheidung, das hätte ich mir gewünscht. Wenn aber eine Entscheidung, dann nur Mona und nochmals Mona und niemand anders. Ich hoffe, es ist bei dir jetzt angekommen, dass ich sie liebe.“ Mona schaute Mike nur liebevoll an, tiefe Dankbarkeit strahlten ihre Augen aus. Sie sprach kein Wort, umschloss Mikes Arm mit festem Griff.
Schweigen legte sich über den Raum. Christiane war erst rot und dann blass geworden. Uwe war fassungslos. Auch Melanie brachte keinen Ton mehr heraus. Christiane lachte schrill auf, brach abrupt ab und antwortete mit schneidender eiskalter Stimme. „Mir reicht es auch, endgültig. Verschwindet, beide. Mike, ich will dich hier nicht mehr sehen. … Uwe sag auch mal was.“ Nun ergriff auch Uwe das Wort. Er versuchte aus seiner Sicht noch einzulenken, zumindest was Mike betraf. „Es ist alles gesagt, heute kommen wir nicht mehr weiter. Mike, denk noch mal über dein Tun nach! Wir, deine Mutter und ich, können dein Handeln nicht gutheißen. Geht jetzt bitte. Mike, wenn du möchtest, kannst du natürlich bleiben, aber allein!“
Uwe meinte, er würde damit seinem Sohn die „goldene Brücke“ bauen. Mike war entsetzt. Er ließ Mona nicht mehr los. Sie spürte, dass er nach einem Halt suchte. Enttäuscht erwiderte er seinem Vater. „Papa, wo bleibt deine so hochgelobte Toleranz, das ist unwürdig, was du hier ablieferst.“
Mike packte Mona bei der Hand und zog sie mit sich. „Bloß weg hier, ich hab aber so was von die Schnauze voll.“ Mit lautem Knall flogen die Türen ins Schloss. Melanie lief Mike noch hinterher. „Du bleibst hier!“, hörte sie noch ihre Mutter rufen. Es kümmerte sie in keinster Weise. „Mike, Mona, wartet einen Moment.“ Vor dem Haus holte Melanie sie ein. „Mike, lass uns bitte den Kontakt halten.“ Mike nahm sie in den Arm. „Sehr gerne, Melanie.“ Dann umarmte Melanie noch Mona. „Ihr gehört zusammen, das habe ich gesehen. Werdet glücklich. Lasst uns miteinander telefonieren.“
Eine entwürdigende Erfahrung
Beide stiegen ins Auto und fuhren ins Hotel. Mike war froh, im Auto zu sitzen. Auf der Fahrt sagte er kein Wort, Tränen schimmerten auf beiden Wangen. Er wusste, er hatte soeben seine Familie verloren. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Wie würde Mona sich weiter verhalten? Seine Mutter hatte sie zutiefst verletzt. Und ihn auch.
Als sie im Hotel ankamen, gingen sie zuerst auf ihr Zimmer. Mike hatte sich immer noch nicht beruhigt. Mona legte ihren Arm um seine Schulter.
„Mike, lass es gut sein. Damit konnte niemand rechnen. Außerdem geht das alles gegen mich. Das war auch nicht das erste Mal für mich. Nur gab es diesmal einen riesigen Unterschied, mein weißer Freund hat zu mir gehalten! Als deine Mutter dich vor die Entscheidung stellte, dachte ich: Aus, vorbei. Wie schon einmal, nur wesentlich schlimmer.“ Mike bekam große Augen. „Du hast das schon mal erlebt?“
„Ja, Mike. Das ist auch der Grund, warum ich weiße Jungs bisher immer abgelehnt habe. Ich hatte schon einmal einen weißen Freund. Er hielt unsere Beziehung gegenüber seinen Eltern immer geheim. Sein Vater war ein enger Freund und Geschäftspartner von meinem Vater. Nachdem wir es publik gemacht hatten, stellten sich seine Eltern voll gegen mich. Er hat sich für seine Eltern entschieden und einen Satz gesagt, den ich bis heute nicht vergessen habe.“
„Jetzt verstehe ich auch deine Reaktion nach unserer ersten Nacht. Was hat er denn zu dir gesagt?“
„Es gibt auch noch andere Mütter mit schöneren … und weißen Töchtern.“
„Das hat er so gesagt? Was für ein Kotzbrocken! Sei froh, dass nichts aus euch geworden ist. Lang hätte die Beziehung nicht gehalten. Außerdem wären wir dann auch nicht zusammen.“
Mona atmete tief durch, „und wie ich nun festgestellt habe, gibt es noch andere auch weiße Söhne, die zuverlässig sind. Meine Mutter hat mich noch genau vor dieser Situation gewarnt. Gott sei Dank! Sie hatte in einer Beziehung Unrecht.“
„Oh, wie meinst du das?“ Er stockte, „du, mich treibt aber was ganz anderes um. Was wirst du jetzt tun? Wirst du weiterhin zu mir halten oder mich auch verlassen, nach allem was man dir an den Kopf geworfen hat.“
Mona nahm Mikes Hände in die ihren, legte ihren Kopf leicht auf die Seite, lächelte und sagte leise, „ich bin bei dir an deiner Seite, ich lass dich nicht im Stich, jetzt nicht und später auch nicht! Ich liebe dich viel zu sehr. Die Worte deiner Mutter konnten mich nicht verletzen, weil du mit ungeheurer Stärke dazwischen gegangen bist und mich geschützt hast. Und genau da sind die Befürchtungen meiner Mutter nicht eingetroffen. Ich war mir in Berlin schon sicher, dass du mich schützen wirst. Ich habe mich nicht getäuscht, dafür bin ich dir sehr, sehr dankbar!“ Mona blickte Mike liebevoll an und drückte ihn fest an sich.
Mike hatte Tränen in den Augen und sagte kaum hörbar. „Bitte bleib bei mir. … Und danke, dass du mitgekommen bist. Ich muss dir auch noch was gestehen. Als ich bei Angelika war, hat sie mich angefleht, bei ihr zu bleiben. Mir sind tatsächlich Zweifel gekommen, ob ich das Richtige mache.“
„Oh, und dann?“
„Dann ist mir bewusst geworden, wie sehr ich dich liebe. Dein Bild erschien vor meinem Augen mit einer unglaublichen Präsenz. Von da an wusste ich, wohin ich gehöre. Bitte verzeih mir meine Schwäche, aber das war echt hart.“ Mona lächelte ihn an. „Es ist alles in Ordnung. Ich weiß, dass das sehr schwer für dich war. Ich bin dir auch unendlich dankbar für deine Standhaftigkeit. Komm, lass uns ins Restaurant gehen und was essen.“
„Ich hab aber keinen Hunger.“
„Bitte, mir zuliebe, hm?“
„Okay, hast ja Recht. Ein gutes Viertele Trollinger wird mir jetzt nicht schaden.“ Das Restaurant lag im kleinen, aber berühmten Ort Hohenstaufen unterhalb des gleichnamigen Berges, der heute noch Mauerreste der Stammburg der berühmten Stauferkaiser trägt.
Es war bereits dunkel geworden und so konnte man vom herrlichen Panorama leider nichts sehen, nur ein paar Lichter zeigten den Standort von Gehöften oder Häusern. Bei Tageslicht hatte man einen weiten Blick über das Land auf die beiden Kaiserberge Hohenrechberg und Stuifen.
Sie saßen bereits einige Zeit im Restaurant und hatten schon gegessen. Mike hatte schon sein zweites Viertele bekommen, da wechselte Mona die Tischseite und setzte sich neben ihn. „Wie fühlst du Dich?“
„Das ging wesentlich schlimmer aus, als ich dachte. Es gibt aber einen großen Lichtblick für mich, du bist bei mir und das macht mich sehr glücklich.“ Mona sagte kein Wort, schaute ihn nur an.
Mike bestellte die Rechnung, dann gingen sie gemeinsam in ihr Zimmer. In dieser Nacht war nur Kuscheln angesagt. Nach den Erlebnissen der letzten vierundzwanzig Stunden wussten beide nun sicher, dass sie sich ineinander verliebt hatten. Mike war innerlich zerrissen, einerseits war er unendlich glücklich, dass Mona seine Liebe erwiderte, zum anderen wütend, aber noch mehr traurig, wie seine Eltern reagiert hatten.
Insbesondere seine Mutter war ihm ein Rätsel. Christiane war eine Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben stand. Er kannte sie nur als rücksichtsvoll, tolerant und hilfsbereit. Wer auf der Karriereleiter aber so steigt, musste hart gegen sich selbst und auch gegen seine Umwelt sein, das wurde ihm jetzt erst bewusst. Diese Härte, aber auch eine große Portion nicht gekannter Vorurteile, bekam er jetzt zu spüren. Niemals hätte er seiner Mutter eine solche Einstellung zugetraut.
So lag er die Nacht lange wach, drehte sich zu Mona hin, die friedlich schlief. Als er sie so eine Zeitlang im Dunkeln ansah, öffnete sie plötzlich die Augen. „Kannst du nicht schlafen?“
„Nein, ich hab immer noch Tohuwabohu im Kopf.“ Mona schlüpfte zu Mike, kuschelte sich dich an ihn und flüsterte: „Habe Mut. Wir schaffen das, gemeinsam.“
Auftritt eines Rassisten
Am nächsten Tag ging es zurück nach Berlin. Mona fuhr die gesamte Strecke alleine, dies tat sie sehr gerne. Mike hatte noch versucht mit seinen Eltern zu telefonieren, was aber gründlich misslang. Mikes Vater lehnte jegliche Kontaktaufnahme ab, seine Mutter ging erst gar nicht ans Telefon. Da er sich immer noch nicht ganz von der Prügelei mit Angelikas Vater erholt hatte, blieb Mona am Abend und über Nacht bei ihm.
Mona war am darauffolgenden Abend wieder in ihr Elternhaus gefahren. Anwesend war jetzt auch Martin, ihr Vater. 55 Jahre alt, schlank und recht groß mit silbergrauen Haaren. Immer war er gekleidet mit Anzug und Krawatte. Die Begrüßung war herzlich.
Voller Begeisterung erzählte sie beim Abendessen von ihrem Ausflug nach Süddeutschland, der Standhaftigkeit von Mike. Da ertönte laut ihr Handy. Sie kramte es aus der Tasche und blickte auf das Display, brach ihren Redefluss abrupt ab.
„Entschuldigt bitte. Es ist Mike. Hallo Mike! … Langsam, du klingst schlecht … Hm, ja ich höre dir zu … ja … oh … ist das nicht ein bisschen schnell? Warte, ich geh mal kurz raus. Hier hören mir gerade alle zu neugierig hin. … Ich will aber nicht … ja, Mike, natürlich will ich. Wir reden morgen darüber. … Nein, du kannst dich auf mich verlassen. Ich lasse dich nicht hängen. … Ich komme morgen Abend.“ Mona ging wieder zurück in das Esszimmer. Alle schauten sie erwartungsvoll an.
Sie setzte sich und holte tief Luft. „Mami, Papa, ich werde morgen bei Mike einziehen. Ihm geht es sehr schlecht. Er braucht mich dringend, er ist total am Boden.“
„Ist das nicht etwas überstürzt? Wie lange kennt ihr euch jetzt? Eine Woche? Er ist doch kein Kind mehr. Was ist denn das für ein Mann“, warf Martin ein. In Monas Stimme schwang ein bisschen Zorn über die unsensible Äußerung ihres Vaters, obwohl er doch vorher die ganze Geschichte, wenn auch nicht im Detail, gehört hatte.
„Papa, den letzten Satz kannst du dir sparen, das ist Machogehabe. Was ihm dort widerfahren ist, ist schon mehr als heftig. Zuerst wird er fast erschlagen und dann von seiner Familie verstoßen. Dass er sich mit seiner Familie angelegt hat, ist wegen mir. Versteht ihr das?“ Sie blickte dabei in die ganze Runde. „Die haben mich angegriffen und er wurde vor die Entscheidung gestellt. Entweder seine Familie oder ich. Ohne zu zögern, hat er sich für mich entschieden. Da ist es wohl klar, dass ich ihm jetzt beistehe. Oder ist hier jemand anderer Meinung?“
Denise bewunderte ihre Schwester, so hatte sie Mona noch nicht erlebt, auch ihr Vater zuckte zusammen. Ihre Mutter reagierte mäßigend und beruhigte dadurch die Situation. „Nun lasst Mona mal machen, sie ist keine fünfzehn Jahre mehr alt, sondern fast fünfundzwanzig und kann jederzeit selbst entscheiden, wohin sie geht. Akzeptiert das bitte. Außerdem, mein lieber Martin, hat sich der junge Mann vorbehaltlos zu unserer Tochter bekannt. Du kennst da auch ein anderes Beispiel, oder?“ Thelma liebte ihre Tochter über alles. Beide waren sich sehr ähnlich, hatten einen starken Willen und wussten sich zu behaupten.
„Hast ja Recht“, pflichtete Martin bei. „Entschuldige bitte, Mona. Ich nehme meine Sätze zurück. Geh zu deinem Mike und hilf ihm. Wenn ihr irgendetwas braucht, wie Geld oder was anderes, melde dich bitte.“
Die Familienidylle wurde jäh unterbrochen. „Das kann es wohl nicht sein, der schmeißt du dein Geld förmlich hinterher und wenn ich mal was brauche, willst du genau wissen, für was ich jeden Cent ausgebe!“ Es war Kai, der dem Gespräch gelauscht hatte. Kai ging an den Tisch und stellte sich an die abgewandte Seite von Thelma und Mona. Er lehnte es grundsätzlich ab, mit seiner schwarzen Verwandtschaft an einem Tisch zu sitzen.
Kai klatschte Beifall. „Gut finde ich, dass du endlich ausziehst. Kann dich ja dein Neuer durchfüttern!“
„Oh, Kai, das sagt der richtige, du bist, erinnere ich mich richtig, fünf Jahre älter, hast keine Ausbildung, keinen Beruf, geschweige denn eine Arbeit, fährst ein dickes Auto und wirfst dein Geld für Frauen und Partys aus dem Fenster!“ Mona wurde sehr energisch.
„Wer hat denn das bezahlt? Du? Nein, wenn dein Vater nicht wäre, könntest du unter der Brücke schlafen!“
„Schluss ihr zwei.“ Martin versuchte, den aufkommenden Streit zu unterbinden, hatte aber keinerlei Erfolg damit.
„Mona, ich mache drei Kreuze, wenn du endlich weg bist, du solltest zurück nach Afrika in so eine Blechhütte, da gehörst du nämlich hin. Da fällst du zwischen dem dunklen Dreck mit deiner schwarzen Haut überhaupt nicht auf.“ Kai lachte dabei noch hämisch. „Nimm am besten deinen Neuen mit, da gehört ihr Schwarzen doch alle hin.“ Kai schaute Mona mit vernichtenden Blicken an.
„He! Kai, Mike ist weiß und Deutscher, ich glaube sogar Schwabe! Was ich bisher mitbekommen habe, hat der mit Afrika nichts am Hut. Und rhetorisch hast du gegen den keine Chance.“ Kevin kannte zwar Mike nicht, stellte aber diese Behauptung auf, um Kai zu ärgern. Er lachte dabei lauthals, als ob er einen besonders guten Scherz gemacht hätte.
Denise lachte nicht, sie bemerkte nur ganz kurz: „Kai, du bist so ein rassistisches Arschloch, nur krank im Kopf. Du solltest von hier verschwinden und zwar auf Nimmerwiedersehen! Am besten dorthin, wo du hergekommen bist.“
Thelma war aufgesprungen. „Ich will solche Schimpfworte hier nicht hören. Denise beherrsch dich bitte und du Kai geh, sofort! Ich habe deine Provokationen satt. Wenn es dir hier nicht gefällt, dann zieh endlich die notwendigen Konsequenzen und geh!“
Kai hatte einen hochroten Kopf bekommen. Ehe Martin eingreifen konnte, war Mona aufgestanden und ging langsam auf Kai zu. „Mami, lass mich das machen. Denn das war der berühmte Tropfen!“ Sie hatte ihre Stirn in Falten gelegt, ihre Stimme bebte vor Zorn.
„Du kannst froh sein, dass dein Vater hier sitzt, sonst würde die schwarze dreckige Schlampe dem weißen arroganten, nichtsnutzigen, rassistischen Kotzbrocken mal ordentlich Manieren beibringen. Das fängt mit einer körperlichen Züchtigung an. … Oh, Entschuldigung, das war ja viel zu edel ausgedrückt, das verstehst du ja gar nicht. Um in deinem Jargon zu bleiben“, und mit einem Seitenblick zu Thelma, „Mami, bitte verzeih mir die Ausdrucksweise, … werde ich dir jetzt deine Fresse polieren!“
Kai war einen Schritt zurückgewichen, er wusste über Monas Kampfsport Bescheid, den Capoeira. Dieser Kampfstil stammt im Ursprung von den brasilianischen Sklaven ab, ist hochakrobatisch und etwas tänzerisch. Selbst tödliche Schläge sind enthalten. Das Besondere dabei ist, dass der Angreifer lange Zeit im Ungewissen bleibt, wer ihm gegenübersteht.
„Vater, halt sie auf!“ Martin schüttelte den Kopf. „Nein, das hast du dir selbst zuzuschreiben.“ Alle verfolgten gebannt das Geschehen. „Ach ja, ich muss dich ja warnen, bevor ich tätlich werde. … Hiermit weise ich dich Kai, darauf hin, dass du schwer verletzt werden kannst!“
Mona bewegte sich weiter auf Kai zu. Sie hatte Ähnlichkeit mit einer Großkatze, die in jedem Moment ihre Beute erlegen wollte. Kai war immer weiter zurückgewichen und stand schließlich mit dem Rücken zur Wand, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte Angst, Schweiß stand auf seiner Stirn.
„Mona, halt ein, ich nehme alles zurück.“
„Du feige Kakerlake, kommst aus der Deckung, wenn du dich sicher fühlst und wenn’s brenzlig wird, verziehst du dich.“ Mona zischte wie eine Schlange.
„Geh mir aus den Augen, hau ab. Wenn du mir noch einmal näher als zehn Meter kommst, mach ich Hackfleisch aus dir, kapiert?“
„Ihr werdet alle schon noch sehen!“ Kai heulte fast, machte kehrt und rannte hinaus aus dem Speisesaal.
Mona drehte sich um und ging zurück zu den anderen. „Fast hätte ich mich vergessen. Jetzt versteht ihr auch, warum ich für weiße Männer null Verständnis habe.“
„Ah ja, und was ist mit Mike?“ Als Thelma den Namen Mike erwähnte, entspannte sich Mona sichtlich.
„Stimmt, an den habe ich gar nicht mehr gedacht. Der ist das totale Gegenteil von Kai und ich mag ihn.“
„Du magst ihn?“
„Ach, Mami, du weißt schon, wie ich das meine, hm?“
„Was ist jetzt mit Kai. Papa, was wirst du tun? Das ging eindeutig zu weit. Ich möchte mal wissen, woher er diese Einstellung hat. Der hat bei uns nichts zu suchen.“ Denise konnte sich kaum beruhigen. „Er ist, ich muss es leider sagen, immer noch mein Sohn“, stellte Martin fest.
„Das ist richtig. Ich habe ihn gerade sehr genau beobachtet. Er wird sich an dir, Mona und auch an mir rächen wollen. Denn ausgerechnet wir beide haben ihn hinausgeworfen. Seine Augen haben es mir gesagt.“ Alle schauten sie überrascht und besorgt an.
„Wie meinst du das?“, fragte Martin. „Wir müssen abwarten, ich weiß es nicht! Aber eins weiß ich. Es fängt erst an. Martin, wir müssen reden. Ich habe Angst um Mona.“ Mona wehrte sich.
„Mami, ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Und mit Kai werde ich noch allemal fertig.“ Martin pflichtete ihr bei. Thelma schüttelte den Kopf. „Nein, ich spüre die Gefahr hier drinnen.“ Sie zeigte dabei auf ihr Herz.
„Ihr versteht mich nicht. Das könnt ihr auch nicht. Ich bin jetzt müde, mir geht es auch nicht gut. Ich muss mich hinlegen.“ Sie stand auf verabschiedete sich von ihrer ganzen Familie. Als sie in der Tür stand, drehte sie sich nochmals um. „Eines Tages werdet ihr mich verstehen, noch ist die Zeit nicht reif.“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum.
Was wollte Thelma damit sagen? Alle waren betroffen und einer nach dem anderen stand auf und verließ mit mehr oder minder guten Ausreden ebenfalls den Raum. Übrig blieb Martin, der sich fragte, was hier gerade passiert sei. Ihm kam alles plötzlich sehr fremd vor. Seine Familie war zerrissen. Es war ihm heute klar geworden, dass sein ältester Sohn sich niemals mit dem Rest der Familie arrangieren würde. Zu weiteren Überlegungen kam er jedoch nicht. Kai kam wieder zurück und stürzte zur Tür herein. Er sah seinen Vater allein im Raum sitzen.
Diese Gelegenheit nutzend setzte er sich zu ihm. „Vater, ich bin dein Sohn! Stehst du noch zu mir?“
„Dein Auftritt war nicht gerade eine Empfehlung. Natürlich bist du mein Sohn. Aber so geht das nicht weiter.“
„Wieso nur ich? Und Mona, die kann tun und lassen, was sie will? Wenn ihr nicht alle im Raum gewesen wärt, würde ich jetzt im Krankenhaus liegen, oder schlimmer!“