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„Kai, was du ihr an den Kopf geworfen hast, war menschenverachtend, sie hat sich nur gewehrt.“
„Gewehrt, ich fass es nicht, ich habe sie nicht angerührt!“
„Auch Worte können verletzend sein und das weißt du!“
„Vater, es gibt eine andere Lösung: sag dich endlich von denen los. Mona ist noch nicht einmal deine Tochter. Merkst du nicht, dass meine sogenannte Stiefmutter sie ständig bevorzugt? Mona tanzt dir auf der Nase herum, dein Angebot hat sie ebenfalls ausgeschlagen. Mich hast du nicht einmal gefragt.“
Martin blickte seinen Sohn durchdringend an. „Du weißt auch sehr wohl warum. Sie hat vor drei Jahren eine so negative Erfahrung mit ihrem Freund und seiner Familie gemacht. Erinnerst du dich? Der Vater war ein persönlicher Freund von mir. Sie haben aber meine dunkelhäutige Tochter nicht anerkannt und ihr Freund ist dann umgefallen wie ein Strohhalm im Wind. Das scheint mir bei diesem Mike wohl nicht der Fall zu sein. Sie wollte mit solchen Leuten nie mehr etwas zu tun haben. Liebend gerne hätte ich sie bei mir in die Firma aufgenommen.“
„Ich wäre gerne in deine Firma gekommen, aber mich hast du ja nicht mal gefragt.“ Das klang schon sehr vorwurfsvoll.
Martin war erbost. „Auch das weißt du, wir haben schon oft genug darüber gesprochen. Bring erst mal was zu Ende und zeig mir deinen Willen. Dann bin ich durchaus bereit.“ Martin war gleichzeitig traurig über dieses Gespräch, das er so oder so ähnlich schon zigmal geführt hatte. Beide saßen sich gegenüber und fixierten sich.
„Meine Mutter würde dich gerne wiedersehen!“
„Was redest du da, sie hat mich damals verlassen, übrigens mit dir, ohne ein Wort zu sagen. Ich will sie nicht wiedersehen. Thelma ist meine Frau.“
„Was soll das? Okay, du hast Thelma gerettet, aber die passt doch überhaupt nicht zu dir. Du kannst doch wieder zu Mutter zurück!“
„Aha, und wie stellst du dir das mit Denise und Kevin vor, sie sind meine Kinder, und noch mal, Thelma ist meine Frau, nicht Gabriele. Wir sind geschieden.“
„Vergiss diese Bastarde, sie sind Kinder von dieser schwarzen Frau. Ich bin dein Sohn!“
Martins Blick verfinsterte sich. Wut stieg in ihm hoch. „Pass mal auf, mein Freund! Ich denke, es reicht, du hast mich lange genug ausgenutzt. Heute ist das Fass endgültig übergelaufen. Ich gebe dir zwei Wochen Zeit, dann ziehst du aus. Haben wir uns verstanden. Das ist endgültig, ich habe dir lange genug Zeit gegeben, auch ich habe die Nase voll! Du ziehst deine Geschwister und deine Stiefmutter nicht länger durch den Schmutz!“ Er stand auf und ging ebenfalls. „Mein lieber Vater, hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Leise sprach Kai zu sich selbst.
Letzte Hoffnung
Drei vollgepackte Koffer mit Kleidung und zwei Kartons mit persönlichen Dingen waren der ganze Umzug. Am Abend konnte Mike endlich seine geliebte Mona in die Arme schließen. Er war erleichtert, dass er mit ihr zusammen war und dass sie fest zu ihm stand. Sie waren jetzt seit knapp drei Wochen ein Paar.
Am Samstag hätte die Hochzeit mit Angelika sein sollen. Zu seinen Eltern hatte er bis jetzt keinen Kontakt mehr, nur mit Melanie telefonierte er regelmäßig. An diesem Samstagvormittag klingelte das Telefon, am anderen Ende war seine Mutter. Mike schöpfte Hoffnung, freute sich sehr über den Anruf. Der Tag jedoch irritierte ihn, es wäre der Tag der Hochzeit gewesen.
„Hallo Mama, das ist mal eine tolle Überraschung.“
„Hallo Mike, freust du dich über meinen Anruf?“
„Ja ich freue mich sehr über deinen Anruf“. Mona kam mit hinzu. Mit Hilfe von Gestik wies er auf seine Mutter hin. Mona schaltete den Lautsprecher ein, um mitzuhören.
„Wie geht es dir?“
„Nicht so besonders nach der Trennung. Kannst du dir sicherlich vorstellen. Aber ich bin so enttäuscht. Ich hätte nie gedacht, dass du eine solche Rassistin bist. Wie war es euch überhaupt möglich, mich vor diesem Hintergrund zur Toleranz zu erziehen.“ Mike redete sich schon wieder leicht in Rage.
„Mike, hör mir bitte zu. Du weißt ganz genau, dass ich keine Rassistin bin. Aber deine … deine neue Freundin hat mich dermaßen provoziert und du gleich mit, das ich einfach ausgerastet bin. Dein Verhalten, alles einfach wegzuschmeißen nach nur ein paar Tagen hat mich dermaßen aufgeregt, ich bin bis heute noch nicht darüber hinweggekommen. Es geht mir nicht um deine neue Freundin, die Beziehung ist eh viel zu frisch. Da muss man noch sehen, wo das hingeht. Aber was anderes, ich habe mit Angelika ein langes Gespräch gehabt. Übrigens, hast du ihren Vater angezeigt?“
„Nein, haben wir nicht. Das hatte ich aber schon an dem Abend gesagt. Sag mal, du hast mit Angelika gesprochen, bevor du mit mir redest? Ich fass es nicht!“
„Mike, nun mach mal einen Punkt, ja. Ich habe mit ihr gesprochen, weil ich wissen wollte, wie schwer du sie vor den Kopf gestoßen hast.“
„Mama, das weiß ich selbst. Ich habe sie schlimm verletzt. Sie kann für meine Liebe zu Mona gar nichts, hat absolut nichts zum Scheitern beigetragen. Das war ich alleine.“
„Genau so hat sie mir es auch erzählt. Sie ist getroffen, sehr tief. Aber, hör genau zu! Sie gibt dir noch mal eine Chance. Auch zu uns kannst du zurückkommen, schließlich bist du mein Junge.“ Mike musste tief Luft holen. Mona blickte ängstlich zu Mike. „Wie bitte? Was, bitteschön, war bei meiner Entscheidung für Mona nicht zu verstehen? Was soll ich denn noch sagen. Es gibt für mich keinen Weg zurück zu Angelika, kapiert?“ Mike wurde laut.
Mona besänftigte ihn leise. „Ist da jemand bei dir? Etwa deine neue Freundin? Hat sie alles mitgehört?“
„Ja. Warum? Schlechtes Gewissen?“
„Nein, mit Sicherheit nicht, es macht es nur nicht gerade leichter. Ist sie immer bei dir?“
„Du willst wissen, ob sie bei mir wohnt? Ja, sie ist seit fast zwei Wochen bei mir eingezogen. Mama, du hast gesagt, ich kann zu euch zurückkommen? Das würde ich gerne …“
„Ihr wohnt schon zusammen. Hast du dir das auch gut überlegt? Es geht doch nicht nur um dich, denk auch zur Abwechslung mal an die anderen.“
„Doch Mama, das habe ich mir sehr gut überlegt und ich bin wahnsinnig glücklich, dass sie hier ist.“ Am anderen Ende war zuerst Schweigen. „Dein letztes Wort? Ich habe mit allen gesprochen, mit Papa, Angelika und sogar ihren Eltern. Du kannst das alles noch retten, nur wollen musst du!“
„Und Melanie, wie steht sie dazu?“
„Melanie, nein, mit der habe ich nicht gesprochen, die ist zu weit weg. Außerdem ist sie bezüglich deiner Person nie objektiv.“
„Ach ja, auf gut Deutsch steht ihr kein Urteil zu. Ich werde sie selber fragen. Mal angenommen, ich geh auf deinen Vorschlag ein, wo bleibt dabei Mona? … Keine Antwort ist auch eine Antwort. Mama, noch mal. Ich verlass Mona nicht.“
Wieder kurzes Schweigen. „Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen. Denn beides geht nicht. Entweder oder! Du hast dich entschieden. Ich verstehe. Leb wohl.“ Mike hörte nur noch ein Knacken in der Leitung. Seine Mutter hatte, ohne die Antwort abzuwarten, aufgelegt.
Mona war nachdenklich. „Ich verstehe deine Mutter nicht. Ich denke, sie hat nichts gegen mich als Schwarze, zumindest nicht viel. Sie muss ja wahnsinnig an dieser Angelika hängen.“ Mike nickte. „Die beiden waren ein Herz und eine Seele, du kannst dir das nicht vorstellen. Na ja, das war’s dann wohl mit meinen Eltern. Wenigstens tickt Melanie anders. Meine Mutter hätte sie mit keinem Wort erwähnt.“
„Es ist schon traurig, wie sie deine Schwester abgebürstet hat. Damit weißt du aber, dass sie zu dir steht. Gib deiner Mutter Zeit, es wird sich schon noch einrenken.“
„Ich hoffe, Mona. Stell dir nur einfach vor, es wäre deine Familie.“
„Bei meiner Familie stimmt auch einiges nicht.“ Mona erzählte Mike von dem Vorfall mit Kai und der Reaktion von ihrer Mutter.
Melanies Drohung
Das Elternhaus von Mike war eine Doppelhaushälfte im Wohngebiet Breitwiese aus den 70er Jahren mit Garage und Garten an der Rückseite, direkt am Fluss Rems gelegen. Schönster Raum im Innern war das Wohnzimmer mit offenem Kamin. Die übrigen Räume waren klein und verhältnismäßig niedrig. Auffallend waren die vielen Blumen und Pflanzen um das Haus herum wie auch im Haus.
Dort diskutierte Familie Häußler, wie mit der gesamten Situation umzugehen ist. Mike hatte umgehend nach dem Telefonat mit seiner Mutter mit Melanie gesprochen. So zornig und wütend hatte er bisher seine Schwester noch nicht erlebt.
Melanie fuhr am Wochenende ohne ihren Mann Michael nach Lorch. Bitterböse stellte sie besonders ihre Mutter zur Rede und ermahnte sie mehrfach, ihren Sohn wieder in den Familienkreis aufzunehmen. Ihre Mutter war aber nicht zu erweichen. Im Gegenteil, der Mahnruf mündete in einen offenen Streit. Melanie konnte nicht verstehen, dass ihre Mutter Angelika höher stellte als Mike. Schließlich eskalierte die Auseinandersetzung derart, dass sie ihrer Mutter regelrecht drohte. Wenn sie nicht einlenkt, hat sie bald keine Kinder mehr. Auch sie, Melanie würde sich dann von ihr abwenden. Jetzt bekam es Uwe, der Vater, mit der Angst zu tun, das wollte er auf keinen Fall. Er bat aber um Zeit. Melanie verstand und billigte ihrer Mutter diese Zeit zu. Zugleich machte sie ihr deutlich, dass dieses Zeitfenster auf keinen Fall über das Jahr hinausgehen wird.
Nachdem Melanie wieder abgefahren war, machte sich die Mutter Luft. Sie sah sich als das Opfer. Leid tat ihr, dass sie so heftig auf die Rassismus-Schiene aufgesprungen war. Noch war sie nicht bereit, hier auch nur etwas zurückzustecken oder sich gar zu entschuldigen.
Sie konnte sich nur nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Mike für eine farbige Frau Angelika in die Wüste geschickt hatte. Im Prinzip hätte sie auch keine andere Frau für ihren Sohn akzeptiert, Angelika war für sie die Wunschpartnerin für ihren Sohn schlechthin. Christiane und Angelika hatten sich blendend verstanden und das wollte sie nicht aufgeben.
Mike hatte das durchaus richtig erkannt. Dass Mikes neue Freundin eine …, sie wusste noch nicht einmal, wo seine Freundin überhaupt herkam. Nur das ihre Mutter Migrantin war, wusste sie. Als ihr Mann Uwe für sie überflüssigerweise noch bemerkte, dass die neue Freundin doch für sein Selbstverständnis ungewöhnlich hübsch sei, verbot sie sich jedes weitere Gespräch zu diesem Thema. Womöglich wollte er diese Frau eines Tages auch noch heiraten, da sie schon zusammengezogen waren.
Die Geschwindigkeit, mit der diese Beziehung sich entwickelte, bereitete ihr Unbehagen. Christiane hatte eine fast panische Angst davor, dass Nachbarn und Bekannte über sie schlecht reden könnten und das noch in einer Kleinstadt wie Lorch. Das Horrorszenario zum Gespött aller Leute zu werden, bereitete ihr große Sorge. Die Auflösung der Hochzeit hatte sich natürlich in der Stadt in Windeseile verbreitet, auch das Mike mit einer „Negerin“ zusammen war. Wenn sie zum Einkaufen und auf den Markt ging, wurde sie ab und zu darauf angesprochen. Ihr Mann versuchte sich mit Sprüchen herauszuhalten oder auszuweichen.
Thelma
An einem Morgen im März bekam Mike Post von einer Rechtsanwaltskanzlei aus Schwäbisch Gmünd. Angelikas Vater wollte sein Geld für die Wohnung zurück. 50.000 Euro sollten in vierzehn Tagen beglichen werden, ansonsten werde gepfändet. Nachdem Mike sich mit Mona besprochen hatte, war er entschlossen, die Wohnung zu verkaufen, doch dafür brauchte er mehr Zeit. In diesen zwei Wochen setzte nun ein heftiger Schriftwechsel ein, der aber im Ergebnis keine wesentlichen Änderungen brachte, außer einer Fristverlängerung mit vier Wochen. Eine Klage wollte er nicht riskieren, da hier weitere Kosten zu erwarten waren.
Und wieder half einmal mehr Mona! Sie informierte ihren Vater, worauf sich ihre Eltern zu einem Sonntagsbesuch einladen ließen. Der Antrittsbesuch war in den Augen von Thelma und Martin überfällig, wollten sie doch endlich den neuen Freund ihrer Tochter kennenlernen. Beide waren sehr gespannt auf Mike.
Martin überraschte das sehr gepflegte Haus mit den gedrechselten hölzernen Eingangstüren. Nachbar Otto Schulze aus dem Hinterhaus war gerade im Hof, um wie immer nach dem Rechten zu sehen. Er war bereits seit mehreren Jahren Rentner und mit dem Zuzug im Haus überhaupt nicht einverstanden. Seitdem das Haus an eine Immobiliengesellschaft verkauft und erst vor wenigen Jahren aufwändig saniert worden war, hatte sich die Klientel stark verändert.
Die alten Mieter waren ausgezogen bis auf ihn. Er wohnte im Erdgeschoss in der einzigen nur oberflächlich renovierten Wohnung zur Miete. Besonders auf dem Kieker hatte er alle, die nicht in sein Weltbild passten. Das war über die Hälfte der Bewohner. Die Bewohner waren nicht nur unterschiedlicher Herkunft, so eine österreichische Familie, ein französisches und ein italienisches Paar, zwei irische Familien und eine iranische Arztfamilie. Es gab auch gleichgeschlechtliche Paare. Die alte Wohnkultur war für ihn verlorengegangen.
Mit Mike hatte er sich anfangs gut verstanden, da er Verständnis für seine Situation zeigte und viel hinterfragte. Seit Mona jedoch eingezogen war, kühlte sich dieses Verhältnis stark ab. Sie passte für ihn einfach nicht in das Haus. Glücklicherweise war die übrige Nachbarschaft tolerant und aufgeschlossen. Es herrschte sogar ein ausgesprochen gutes Verhältnis, insbesondere der Bewohner in der direkten Nachbarschaft. Man konnte es als freundschaftlich bezeichnen.
Als Herr Schulze nun Martin mit Thelma hereinkommen sah, stürzte er auf sie zu. „Wat wollen sie hier. Ick hab Sie hier noch nie jesehn!“
„Wir sind Gäste von Herrn Häußler, der wohnt doch hier?“, sagte Martin ganz ruhig. „Jawoll, der wohnt hier, woll’n se hier etwa ooch einziehn?“ Bei dieser Frage musterte er insbesondere Thelma.
Diese, eine zierliche attraktive Frau Anfang vierzig, bemerkte sehr wohl den Unterton in seiner Frage. Sie hatte es satt und antwortete deswegen auch etwas provozierend. „Das ist ein sehr schönes Haus. Herr Häußler hat es uns empfohlen.“ In diesem Moment kam Mike schon die Treppe herunter.
„Na, Herr Schulze, jetzt freuen Sie sich aber, wir werden immer mehr ‚multikulti‘ im Haus!“, sagte Mike lachend, während er Otto Schulze mit offenem Mund stehenließ und sich seinen Gästen zuwandte. „Guten Tag, meine Name ist Mike Häußler. Seien Sie willkommen.“ Mike begrüßte zuerst Thelma.
Sie trug einen weinroten Ledermantel und darunter ein helles Kleid. Ihre fast schwarzen Haare hatte sie zu einem Dutt zusammengebunden. Sie umrahmten ein ebenmäßiges Gesicht. Mund, Nase und Hautfarbe stimmten mit Mona überein.
„Sie müssen Monas Mutter sein. Wow, hab ich ein Glück!“
„Schön für Sie, verraten Sie mir auch warum?“ Thelma lachte dabei, sie hatte eine Ahnung. Martin dagegen verfolgte überrascht die Konversation.
„Ich weiß jetzt, dass Mona immer wunderschön sein wird.“ Thelma lächelte Mike an. „Vielen Dank für das Kompliment, so etwas höre ich gerne. Mein Name ist Thelma Rösler und das ist mein Mann Martin.“ Mike gab beiden die Hand und verneigte sich leicht. „Angenehm. Mir wäre es sehr recht, wenn Sie mich mit Mike und du anreden würden.“ Martin erwiderte kurz: „Bitte auch mich mit Martin.“ Und auch Thelma: „… und mich mit Thelma.“
Mike ging mit beiden in den ersten Hof, erzählte kurz die Geschichte des Hauses und zeigte dabei den Innenhof. Dieser war von den Bewohnern als Gartenanlage mit vielen Blumen und Grünpflanzen gestaltet worden. Als Mike mitten im Redefluss war, sah er im Augenwinkel Mona auf dem Balkon. Er unterbrach und winkte ihr zu. Mona lachte.
„Passt auf, dass er euch nicht zutextet. Mike redet furchtbar gerne.“
„Ich hab schon verstanden, wir kommen gleich rauf.“ Zwei Minuten später war Mona schon unten im Hof und begrüßte ihre Eltern. „Oh, ihr seid schon per du. Da hast du bei mir damals aber länger gebraucht.“
„Da war ich auch noch schüchtern.“
Thelma schob Mona zu ihrem Vater. „Geht schon mal hoch, ich muss mit Mike kurz unter vier Augen reden.“
„Mami? Muss ich mir Sorgen machen?“
„Nein, mein Kind. Musst du nicht.“ Thelma wandte sich an Mike, der sich fragte, was jetzt wohl auf ihn zukommt. Thelma legte ihren Arm um Mikes Schultern. „Wie lange kennt ihr euch jetzt?“
„Knapp fünf Wochen.“
„Und wie entwickelt sich aus deiner Sicht eure Beziehung?“ Mikes Augen bekamen bei der Antwort einen besonderen Glanz, der Thelma beeindruckte. „Darf ich offen sein?“
„Ich bitte darum.“
Mike fasste sofort tiefes Vertrauen zu Thelma und hatte keine Bedenken, ihr seine Gefühle mitzuteilen. „Ich liebe Ihre, Entschuldigung, deine Tochter über alles und ich lasse das mir von niemandem kaputtmachen. Weder von meinen Eltern, irgendwelchen uneinsichtigen Nachbarn oder falschen Freunden. Auch nicht von euch! … Entschuldigung, diese Bemerkung war dumm von mir. Ich wollte damit nur sagen, dass Mona für mich der wichtigste Mensch auf der Welt ist.“ Thelma war beeindruckt von Mikes Offenheit.
„Ich, und auch Martin werden euch mit allen Möglichkeiten unterstützen. Du bist willkommen bei uns. Ich denke, auch Mona kann sich glücklich schätzen.“ Mike umarmte spontan Thelma. „Danke. Es tut gut, wenigstens in einer Familie freundlich aufgenommen zu werden.“ Auch Thelma schloss diesen jungen Mann sofort in ihr Herz.
Anschließend gingen sie zum Fahrstuhl und fuhren nach oben. In der Wohnungstür wartete schon ungeduldig Mona. „Wo bleibt ihr denn so lange? Was war denn so wichtig?“ Thelma nahm ihrer Tochter schnell die Bedenken. „Ich denke, nicht nur Mike hat einen guten Griff getan, sondern auch du. Kann es sein, dass er ein kleiner Charmeur ist?“
Mona lachte. „Oh ja, das kann er sehr gut. Ist aber auch schön.“ Flüsternd wandte sie sich ihrer Mutter zu. „So was kannte ich bis jetzt gar nicht.“
Mike zeigte seinen Gästen die gesamte Wohnung. Nachdem sie die Wohnung besichtigt hatten, nahmen alle vier am Esstisch Platz. Mike hatte zusammen mit Mona gekocht. Ein viergängiges schwäbisch - französisches Menu hatten sie vorbereitet. Flädlesuppe aus Schwaben, Kross gebratenen, innen rohen Thunfisch auf Rucola - Papaya Salat als Vorspeise, Lammcarré mit grünen Spätzle, getrockneten Tomaten und Oliven als Hauptspeise und warme halbflüssige Schokoladentorte mit Vanilleeis und Basilikumhimbeersoße zum Dessert. Dazu gab es korrespondierende Weine. Man begann mit dem Aperitif, einem Kir.
„Mike, du hattest einen guten Geschmack und ein gutes Händchen bei der Wahl der Wohnung“, sagte anerkennend Martin. „Dann gefällt dir die Wohnung. Ich habe auch lange gesucht, ich steh nun mal auf alt, insbesondere auf Jugendstil. Angelika …, Entschuldigt bitte, meine frühere Verlobte konnte dieser Wohnung nicht ganz so viel abgewinnen, sie hätte lieber eine moderne Wohnung gehabt. Aber das ist jetzt ja nicht mehr wichtig.“
„Du kannst hervorragend kochen, ich bin überrascht. Mona, hilft sie dir?“, Thelma wechselte schnell das Thema. „Viel mehr, sie macht selber fleißig mit und hat ganz schön viel gelernt in der kurzen Zeit. Wir verbringen zusammen viel Zeit in der Küche, reden nebenher, probieren, es macht richtig Spaß!“
Mona bestätigte das und ergänzte noch: „Ja, und nicht das ihr meint, die vier Gänge sind heute was Besonderes. Wenn wir am Sonntag zu Hause sind, kochen wir immer so. Na ja, nicht ganz so aufwändig, oft gibt’s auch nur einen Salat als Vorspeise.“ Worauf Thelma sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte, dass auch ihr Martin in der Küche eine gute Figur abgeben würde, wenn er denn nur wollte. Alle mussten lachen, als Martin ungeschickt versuchte sich herauszureden.
Als man schließlich beim Dessert angekommen war, betonte Martin nochmals, dass er die Beziehung zwischen beiden begrüßt.
„Schön, dass du das so siehst Papa, Mike braucht dringend Geld. Sein Ex-Schwiegervater will sein eingezahltes Geld für die Wohnung zurück.“ Mona überfiel mit dieser Ansage förmlich ihren Vater.
„Ah, haben dich deine Eltern an der Stelle auch gesponsert?“
„Natürlich Thelma, ich kann mir doch als neunundzwanzigjähriger nicht eine solche Wohnung ohne Eigenkapital leisten.“ Und zu Mona gewandt: „Mona musste das sein, hättest du damit nicht noch warten können. Irgendwie …“
„Irgendwie schaffen wir es vielleicht, aber möchtest du tatsächlich ausziehen? Das ist doch eine tolle Wohnung und ich fühle mich hier richtig wohl.“
Dann schaute sie ihren Vater so unwiderstehlich an, dass er sich verlegen räusperte. Thelma legte auch noch mal nach: „Nun gib dir schon einen Ruck, komm, bitte. Das ist doch eine Leichtes für dich!“
„Bei so viel Fürsprache kann ich überhaupt nicht mehr nein sagen. Wie viel?“
„50.000 Euro.“ Mona war schnell. „Mike hat 100.000 Euro von seinen beiden Elternteilen bekommen, seine Eltern haben bis jetzt das Geld noch nicht zurückgefordert.“
Martin überlegte kurz, jetzt kam der Geschäftsmann durch. „Okay, was kostet die Wohnung so wie sie jetzt ist.“
„250.000“, sagte Mike. „Gut Mike, du bekommst 280.000 Euro für die Wohnung, aber ich bin der zukünftige Eigentümer. Ihr beide habt kostenloses Wohnrecht, solange ihr zusammen seid. Wenn ihr euch trennt, muss Mike raus. Ist das ein Angebot?“
Mike überlegte kurz. „Ja, das ist absolut okay.“
„Wunderbar, dann lass ich nächste Woche die Verträge vorbereiten und du teilst mir die Kontonummer dieser Anwälte mit. Die 50.000 überweise ich sofort.“
Das Essen schmeckte allen Beteiligten jetzt noch besser. Als man beim Digestiv angekommen war, ging Mike kurz hinaus und kehrte mit vier Eintrittskarten zurück. „Martin, Mona sagte mir, dass du ein Opernfan bist.“
„Ja das stimmt.“
„Ich hoffe, dass euch das gefallen wird. Ich habe hier vier Eintrittskarten für die Komische Oper. Der Freischütz von Weber wird am kommenden Freitagabend gespielt.“
„Oh Mona, seit wann magst du Oper?“ Martin stellte die Frage lachend. „Mike, was hast du mit meiner Tochter gemacht, die hat bis jetzt nur Buschmusik gehört!“
„Papa, du übertreibst maßlos, stimmt doch Mami, oder?“, verteidigte sich Mona. „Und warum soll ich nicht mit in die Oper gehen, wenn es mir nicht gefällt, werde ich euch das schon sagen. Ihr tut ja gerade so, als ob ich ein Kulturbanause bin!“
„Bist du nicht?“
„Nein, bin ich nicht!“
Thelma meinte daraufhin nur noch: „Ich kann mich nicht erinnern, dass du mit uns mal in die Oper gehen wolltest und dazu noch freiwillig.“
„Es kommt eben immer darauf an, wer fragt.“ Sie lächelte dabei Mike an. Am Ende des Besuches verabredeten sie sich im Foyer in der Komischen Oper am Freitagabend.
Der Opernbesuch
Am Freitag rief Mona Mike an, dass sie zur Oper mit ihren Eltern direkt fahren werde. Mike wartete bereits ungeduldig im Foyer. Eine Viertelstunde vor Beginn kamen sie dann endlich an. Mike war überwältigt, als er beide Frauen erblickte. Sie boten einen hinreißenden Anblick: Thelma trug ein kurzärmeliges schlichtes knöchellanges Abendkleid in kräftigem Altrosa mit etwas dunklerer Stola. Mona ein ebensolches, aber ärmelloses Abendkleid in ebenfalls kräftigem Altrosa mit weißen Applikationen, darüber eine weiße Stola. Ihre Haare hatte sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über die Schulter nach vorne fiel. Am oberen Anfang des Zopfes setzte eine rosafarbene Schärpe eine besondere Note. Eine rote glitzernde Kette von Swarowski umspielte ihren schlanken Hals und funkelte mit ihren Augen um die Wette. Mike begrüßte die drei Ankömmlinge.
„Ich muss den Damen ein Riesenkompliment machen, ihr seht beide wunderbar aus. Tolles Outfit, ganz fantastisch. Mona, darf ich neben dir gehen?“
„Nein, Mike du kommst in die Mitte von uns beiden“, legte Thelma kurz fest. Martin ging voraus. Zahlreiche Augen waren auf die drei gerichtet, als sie den Zuschauerraum betraten und ihre Plätze einnahmen. Nach der Vorstellung gingen alle noch in eine Bar. Martin war sehr neugierig und wollte unbedingt wissen, wie Mona die Oper gefallen hat.