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Ziel waren die Moose Ponds, die Quellseen des South Nahanni Rivers in den Selwyn Mountains. Marc und Hartmut hatten bereits mit dem Aufbau der Boote begonnen. Beim Eintreffen von Gerhard lagen diese bereits fertig montiert auf dem flachen Kiesstrand. Um die Haut der empfindlichen Faltboote nicht zu verletzen, erfolgte die Beladung im Wasser. Nach einer weiteren Stunde war auch das geschafft.
Marc saß bereits im Boot und machte diverse Übungen, um Fahr- und Trägheitsverhalten kennenzulernen. Vorsichtig legte er das Kajak auf die Kante, stützte sich dabei zuerst mit einer flachen und dann mit einer hohen Paddelstütze ab. Zufrieden paddelte er zu Gerhard und Hartmut. Gerhard schimpfte jetzt schon über ihr Faltboot und mokierte sich über die Schwerfälligkeit des riesigen Kajaks. Um den Tiefgang zu minimieren, wurden die beiden Luftschläuche bis zum Anschlag aufgeblasen. Immerhin brachte das nochmals ein paar Zentimeter an Auftrieb.
Am Ausfluss des Sees war der Wasserstand so niedrig, dass die Boote getreidelt, also mit einer Leine im Wasser gezogen werden mussten. Glücklicherweise hatte der See viele kleine Abflüsse, die sich nach einigen hundert Metern zum eigentlichen Fluss vereinigten. Die Wassertiefe unter dem Kiel war jedoch immer noch recht knapp, so zog Marc es vor, das Kajak noch einige hundert Meter vom Ufer aus zu ziehen.
Die Strömung verstärkte sich jedoch immer mehr. Es gab kein Zurück mehr, er musste in das Kajak, auch auf die Gefahr von Verletzungen der Haut hin. Vorsichtig suchten er und seine Freunde die Ideallinie. Schon nach kurzer Zeit übernahm Marc die Führung, denn er hatte das kleinere und wendigere Boot. Der Abstand betrug ungefähr dreißig Meter zu seinen Freunden im Dickschiff. So bezeichneten er und Gerhard das Boot von Hartmut, weil es einfach riesenhaft war.
Immer wieder liefen kleine Bäche von den seitlichen Bergen zu. Die Wassermenge wurde mehr, der Fluss immer schneller. Die Breite hatte beträchtlich zugenommen. Der Charakter kam einem „sportlichen“ Fluss in den europäischen Alpen sehr nahe. Einfach schnell fließende Schwallstrecken über leicht abfallende Kiesbänke wechselten ab mit geringfügig verblockten Stellen, was so viel bedeutet, dass einzelne Felsbrocken im Gefälle der Strecke lagen, die aber ohne Probleme zu umfahren waren. Immer wieder folgten ruhige Passagen.
Hier, im oberen Bereich, überwog das leichte Wildwasser. So konnten sie sich hervorragend einfahren und bekamen das entsprechende Gefühl für ihre Kajaks.
Der Wasserstand war ideal, das Wetter trübe, aber trocken und die Sicht gut. Der Fluss wurde immer schneller. So meisterten sie am ersten Tag, obwohl sie erst um 01.00 Uhr mittags auf das Wasser kamen, noch fünfundzwanzig Kilometer. Am Spätnachmittag stoppten sie an einer großen flachen Kiesbank. Die Kajaks wurden wiederum im Wasser entladen, die Zelte aufgebaut.
Der erste Abend in unberührter Natur!
Hartmut suchte trockenes Holz, nach einer halben Stunde brannte das Feuer. Am Dreibein hing ein Wasserkessel, der im Lauf der Tour fast schwarz werden sollte. Gerhard hatte sich in ungefähr dreihundert Metern Entfernung auf einer kleinen Halbinsel am Ufer niedergelassen und seine Angel ausgeworfen. Ein großer Kochtopf stand mitten im Feuer. Hartmut bereitete das Kesselgulasch zu.
Marc setzte sich mit einer Tasse Tee auf einen Snag, einen toten Baum, der als Treibgut bei ablaufendem Hochwasser auf der Kiesbank liegengeblieben war. Seine Gedanken kreisten um Shonessi, er konnte ihr Bild einfach nicht aus seinem Kopf bekommen. Sie hatte Ella doch tatsächlich verdrängt. Wie schön sie doch war. Bei ihr stimmte nach Marcs Geschmack einfach alles; sie war von sehr schlanker Gestalt, dabei geschmeidig in ihren Bewegungen. Ihr Lachen verzauberte Marc, ihre braunen Augen zogen ihn in seinen Bann. Ihre langen glatten fast schwarzen Haare reichten ihr weit über die Schulterblätter hinab, glänzten wie Seide. Er hatte ihr Bild vor Augen, als sie sich zu ihm wandte, in diesem Ladengeschäft. Wie sie ihn ansah! Dieses Bild von ihr nahm immer mehr Raum bei ihm ein, wie sehr wünschte er sich, bei ihr zu sein.
Werde ich sie je wiedersehen?
Dunkle Wolken zogen sich am Horizont zusammen und die Moskitos wurden immer lästiger und bissiger. Das Abendessen wurde zur Qual. Geschützt durch Hut und Netz ließ es sich gerade soeben aushalten. Dann fing es an zu regnen. Alle zogen sich in ihre Zelte zurück, der Regen wurde stärker, er trommelte förmlich auf die Zeltplane. Bei Regen konnte Marc immer besonders gut schlafen. An den kommenden zwei Tagen wird der Fluss sie fordern, mehrere schwere Wildwasserpassagen standen an, dabei zwei besonders anspruchsvolle.
Am nächsten Morgen, es regnete immer noch in Strömen. Der Pegel war erheblich gestiegen, die Feuerstelle lag nun direkt am Wasser, am Tag zuvor noch zehn Meter entfernt, was einen halben Meter mehr Wasser bedeutete und das an dieser Stelle, der Fluss war breit und hatte Platz, viel Platz. Hartmut beobachtete prüfend den Fluss, während Gerhard und Marc das Frühstück zubereiteten. Eier mit Speck sollte es geben. Die Vorräte an frischen Sachen, wie Kartoffeln, Eier und Speck reichten für fünf bis sechs Tage. Zwei Stunden nach dem Aufstehen waren sie startbereit. Der Fluss war inzwischen noch weiter angestiegen und die Feuerstelle und Zeltplätze ebenfalls überflutet.
Hartmut stand unschlüssig auf der nur noch schmalen Kiesbank und kratzte sich hinter dem Ohr.
„Oh Mann, oh Mann. Das wird heftig heute. Hoffentlich halten das die Boote aus.“
Marc stellte sich neben ihn, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Hartmut, was redest du da? Das wird richtig interessant, die Faltboote halten was aus. Früher sind sie nur mit den Dingern gefahren. Euer Dickschiff ist doch bei der Wasserwucht eher von Vorteil.“
Schwierig war das Einsteigen. Direkt am Ufer hatten sie keine Chance. So wählten sie die kleine Halbinsel, auf der Gerhard am Abend zuvor gefischt hatte. Hier hatte sich ein starkes Kehrwasser gebildet, ideal zum Ausfahren in die Strömung.
Marc legte nun sein Kajak zuerst in das fast ruhige Wasser, setzte sich in das Boot und paddelte flussaufwärts steil in die heranbrausende Strömung. Diese nahm das aufgekantete Kajak in Windeseile mit. Mitten auf dem Fluss stützte er nunmehr das Boot und ließ sich ansonsten treiben. Die Fließgeschwindigkeit betrug an die fünfzehn Stundenkilometer, mit steigender Tendenz. Auch Hartmut und Gerhard fuhren ebenfalls sicher in die Strömung ein. Nun hieß es aufpassen und die Kräfte für die Stromschnellen einteilen.
Die leichten Schwallstrecken des Vortages waren verschwunden. Alle Stellen mit leichtem Wildwasser ebenso, der Fluss schoss einfach mit langgezogener kräftiger Wellenbildung darüber hinweg. Aber die schweren Stellen, die hatten es in sich. Der jetzt ungefähr fünfzig Meter breite Fluss verfiel auf die gesamt Strecke in eine lange Dünung, fast wie auf dem Meer. Auch die Biegungen waren relativ einfach zu meistern, indem sie die Innenkurve wählten. Beachten musste sie die vielen Nebenarme, mussten in der Hauptströmung bleiben. Die Geschwindigkeit war inzwischen sehr hoch, Kehrwasser an den Ufern nicht mehr vorhanden. Beide Kajaks knarrten und knirschten, liefen dabei dermaßen gut, dass es ein Genuss war. Die meisten mit Felsen verblockten Passagen waren abgesoffen, der Fluss selbst so breit, dass sie immer einen guten Weg wählen konnten.
Dann wurde der Fluss enger, der schwerste Abschnitt stand bevor, ein sogenannter dreifacher 'Dreier'.
Die Schwierigkeitsgrade beim Wildwasser werden von eins bis sechs gezählt. Eins kann auch noch von ungeübten Fahrern angegangen werden uns ist ungefährlich. Bei ´Sechs´ endet die Zählweise. Sie gilt gemeinhin als unfahrbar. In jüngster Zeit ist die Skala nach oben geöffnet worden, da früher als unfahrbar geltende Passagen befahren wurden. Bei Stufe zwei sind Felsen im Fluss, die von geübten Fahrern leicht umfahren werden können, der befahrbare Weg ist in der Regel gut zu erkennen. Die Stufen drei und vier erfordern sicheres fahrerisches Können. Fünf und sechs gelten als sehr schwer.
Voraus schien der Fluss in einer Waldschlucht zu verschwinden. Die Wellen erreichten Höhen von eineinhalb Metern, immer noch in Form einer langgezogenen Dünung. Es war ein Gefühl, ähnlich wie in einem Fahrstuhl. Ursprünglich wollten sie anlanden und die Stellen erkunden, der reißende Fluss und die Ufer ließen das jedoch in keiner Weise zu.
Marc, der voraus fuhr, erkannte die Gefahr erst sehr spät, in einer Rechtskurve plötzlich das „Inferno“, der erste 'Dreier', der bei diesem Wasserstand zum 'Vierer' mutierte. Im letzten Moment sah Marc linker Hand einen riesigen Felsklotz, groß wie ein kleines Einfamilienhaus, im Wasser liegen. Die Strömung ging knapp drüber. Mit letzter Kraft drückte und zog er sein Kajak knapp rechts vorbei. Neben ihm klaffte ein zwei Meter tiefes Loch mit einer mächtigen Walze dahinter.
Bloß nicht da hineinfahren!
Auch diese passierte er knapp auf der rechten Seite. Er wollte sich umdrehen, nach seinen Freunden sehen, der Fluss erforderte jedoch seine ganze Aufmerksamkeit.
Das Wasser vor ihm wurde zu einem zischenden gurgelnden Etwas, es gab weder eine Ideallinie noch eine erkennbare Durchfahrt. Der zweite 'Dreier' folgte. Fast wäre er an einem Felsbrocken gekentert, krachte mit seinem Boot seitlich dagegen, lautes Knacken signalisierten einen Spantenbruch. Mit letzter Kraft warf er sich mit seinem Körper auf den Felsen und vermied dadurch das Kentern. Die Strömung nahm ihn samt Boot schnell mit. Zum Glück wurde es etwas ruhiger, die Strömung war nach wie vor hoch. Er drehte sich um, hinter ihm sah er das zweite Kajak und den in die Luft gereckten Daumen von Gerhard. Ein altes Sprichwort wurde wahr: die Ruhe folgt vor dem Sturm. Vor ihm schien der Fluss einfach aufzuhören.
Hier gibt es doch keinen Wasserfall?
Marc wurde unruhig, seine Anspannung stieg ins Unermessliche. Die Hände krallten sich um sein Paddel. Das Weiße der Knöchel trat hervor. Als er die Kante erreichte, hielt er den Atem an.
Der dritte 'Dreier', normalerweise ein Parcours mit einem hohen Gefälle und kleineren Verblockungen. Auf den Bildern hatten sie diese Stelle eher als Zweier abgetan. Der Fluss schoss kerzengerade einen Abhang hinunter. Auf eine Länge von vierhundert Metern verteilten sich bei normalem Wasserstand viele kleine Stufen.
Davon keine Spur mehr. Wellen von einem bis eineinhalb Metern, einzelne gar noch höher taten sich in schnellem Wechsel vor ihm auf. Es ging wie auf einer überdimensionalen Rutschbahn mit atemberaubender Geschwindigkeit bergab. Dann stockte Marc der Atem.
Ach du Scheiße, was ist das denn? Eine Monsterwalze!?
Als Wasserwalze bezeichnet man eine spezielle, bei fließenden Gewässern wie Bächen und Flüssen entstehende Strömung des Wassers, die insbesondere bei hohen Gefällen immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen und auch Todesfällen führt. Dabei kommt es an der Wasseroberfläche zur Rückströmung, aus der sich auch ein guter Schwimmer ohne Hilfe nicht befreien kann. Bei entsprechender Wasserwucht dreht man sich praktisch wie in einer Waschmaschine.
Dort wo das Ende der Gefällstrecke war, tobte eine zwei bis drei Meter hohe Wasserwand aus Gischt, Wasserdampf und brechenden Wellen. In diesem Augenblick kämpfte sich die Sonne durch ein Wolkenloch, strahlte das Chaos vor ihm an … und zeigte ihm den Weg. Er paddelte rückwärts, so kräftig es ging und versetzte das Boot so um die notwendigen Meter auf die Seite. Er hatte die Ideallinie, eine Wasserzunge schoss mittig zwischen zwei riesigen Walzen hindurch.
Die Welle am Ende der Zunge erreichte allerdings eine Höhe von über vier Metern, überschlug sich aber nur ein wenig an der Krone. Mit seinem Faltboot schnellte er wie katapultiert empor, um am Kamm in ein tiefes Tal hinab zu rutschen. Konsequent hielt er das Kajak gerade. Der gleiche Vorgang wiederholte sich dann noch dreimal, wobei die Wellen immer niedriger wurden.
Danach verlor sich der Fluss in einem See. Er wendete sich, um seine beiden Freunde zu sehen. In diesem Moment sah er die Spitze des Aerius auf dem Kamm der hohen Welle. Auch sie hatten die Ideallinie. Dann sah er Gerhard. Er hielt das Paddel triumphierend über sich und jauchzte vor Freude. Kurz darauf lagen beide Kajaks friedlich und sanft schaukelnd nebeneinander.
„Na, wie war´s?“
Gerhard flippte fast aus vor Begeisterung.
„Das war das geilste, was ich je gefahren bin. Hammer! Wahnsinn!“
Hartmut war da schon wesentlich sachlicher.
„Da wollen wir mal ehrlich bleiben. Wäre Marc nicht vorgefahren, wären wir in die Walze gekracht. Du hast uns frühzeitig den Weg gezeigt, auch oben, beim ersten Felsen. Eine solche Wasserwucht habe ich noch nie erlebt.“
Sie klatschten sich noch gegenseitig ab und paddelten an das Ufer. Auf der Wiese reparierte Marc notdürftig die gebrochene Spante mit Textilklebeband.
Marc stellte nur lapidar fest, dass der T65 ein wahnsinnig gutes Boot sei und er über diese Wahl froh und glücklich war. Sie packten ihr Kartenmaterial aus und stellten bei der Standortbestimmung fest, dass sie das schlimmste hinter sich hatten.
Bis zu den Island Lakes war es nicht mehr weit. Von dort nur noch eine Tagesreise bis Rabbitkeetle Hot Springs, dem Eingang zum Nahanni National Park. Aufgrund des hohen Wasserstandes hatten sie zwei Tage an einem geschafft und paddelten noch weiter bis Moores Cabin in der Nähe der Island Lakes. Hier wollten sie auch übernachten, da die Ausrüstung von Hartmut und Gerhard zum Teil durchnässt war. Die Spritzdecke hatte es weggerissen. Bis auf die Schlafsäcke, Kleidung und Lebensmittel, denn die waren wasserdicht verpackt.
Die Hütte stand offen, konnte von jedem benutzt werden, wie so häufig bei Hütten in der kanadischen Wildnis. Innen sehr verdreckt und verwahrlost zogen sie es vor in ihren Zelten zu übernachten.
Das Wetter schlug endgültig um, es wurde sonnig und warm und oh Wunder, die Moskitos waren bis auf wenige verschwunden. Das sollte auch bis zum Ende der Tour so bleiben. Der Fluss wurde sehr breit, floss zwar immer noch sehr schnell dahin, so erreichten sie bereits am frühen Nachmittag den Eingang zum Nationalpark.
Hier war ein richtiger Steg mit Ausstieg für Kanuten angelegt. Marc paddelte mit kräftigen Schlägen vorneweg, diesmal dicht gefolgt von seinen Freunden. Auf dem Steg stand eine Person. Marc winkte und rief laut in die Richtung. Die Person winkte zurück, der Stimme nach zu urteilen eine Frau. Marc stoppte abrupt mit seinen Paddelschlägen und rief ein zweites Mal.
Täuschte er sich, oder stand dort tatsächlich Shonessi? Allein der Gedanke an sie verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Tief tauchte er das Paddel in das Wasser ein. Mit aller ihm zur Verfügung stehenden Wucht trieb er das Boot nach vorne. Er nahm so mächtig an Fahrt auf, dass seine beiden Freunde schnell zurückfielen. Immer näher kam er dem Steg, er rief ihren Namen. Deutlich erkannte er die Silhouette einer Frau mit langen Haaren. Sein Herz fing an laut zu pochen.
Er merkte, wie Bewegung in die Frau kam, sie rief ihm zu. Er konnte seinen Namen hören. Den Namen, den sie ihm gegeben hatte: „Lakota, Lakootaaa! Hier, hierher.“
Wenige Minuten später legte er an, war in Windeseile aus seinem Kajak heraus. Sie flog ihm geradezu in die Arme. Er küsste und herzte sie dermaßen, dass ein Außenstehender meinen konnte, hier hätten sich zwei Menschen ein Jahr lang nicht gesehen. Aus dem Sturm wurde die Ruhe, mündete in einen leidenschaftlichen Kuss.
Als sie endlich voneinander ließen, war es Marc, der zuerst das Wort ergriff.
„Shonessi? Du hier? Ich dachte, ihr wolltet nach Yellowknife?“
„Wollten wir auch, aber kurz vor Fort Liard haben sie uns dann aufgelauert. Wir konnten gerade noch entkommen. Ahmik hat einen Freund hier im Nationalpark.“
„Das war Schicksal, hilfst du mir beim Ausladen?“
Sie lachte ihn an, „ich habe so gehofft, dass du kommst. Ich wusste ja, dass ihr auf dem Fluss seid. Nur unser Freund sagte, dass der Fluss wegen Hochwasser gesperrt ist. … Egal, du bist da. Ich bin mir auch sicher, das sollte so sein.“
Sie schauten sich beide verliebt an. Hartmut und Gerhard hatten derweil ebenfalls angelegt. Shonessi lief mit der ersten Gepäckladung sofort los, nachdem sie seine beiden Freunde kurz begrüßt hatte. Hartmut starrte ihr nur hinterher, Marc beobachtete ihn dabei genau. Er musste an die letzten Gespräche mit ihm denken.
„Hartmut, was ist los? Willst du mir was sagen?“
Mit nicht nachvollziehbarem Gesichtsausdruck schleuderte er Marc eine Antwort entgegen, die ihn sprachlos machte.
„Kannst mich ja auch mal ran lassen, die macht mich richtig an!“
Gerhard mischte sich sofort ein.
„Hartmut, was soll das? Spinnst du? Sie ist die Freundin von Marc. Du bist sein Freund, vergiss das bitte nicht.“
Verächtlich lachte Hartmut, „Freundin? Nach einem Tag, das ich nicht lache. Die schmeißt sich doch an jeden ran und macht die Beine breit.“
Empört reagierte Gerhard: „Was redest du da? Woher willst du das denn wissen, du hast bisher kein Wort mit ihr gesprochen.“
„Hast du ihren Auftritt in Watson Lake vergessen, ich nicht!“
Marc konnte der Unterhaltung nur sprachlos folgen. Bis zu diesem Punkt. Er packte Hartmut am Kragen, seine Stimme nahm einen bedrohlichen Unterton an.
„Dann pass mal auf, mein Freund! Solltest du Shonessi auch nur ein bisschen zu nahe kommen, bekommst du Ärger. Verstanden?“
Hartmut blieb bei seiner Linie, er fasste Marc am Arm.
„Marc, wach auf! Das ist nur 'ne kleine Nutte, und genauso solltest du sie auch behandeln. Sie will nur an dein Geld …“
Marc stieß Hartmut zurück.
„Du hast ihre Küsse nicht gespürt und ihre Blicke nicht gesehen. Wie kannst du so etwas behaupten. Lass mich bloß in Ruhe mit deinem dummen Gerede. Ich habe es satt, bis hier!“
Er machte dabei eine Handbewegung zur Unterstützung dieser Aussage. Er drehte sich um und stand Shonessi gegenüber, sie hatte zwar alles mitbekommen, verstand jedoch kein Deutsch. An der Heftigkeit und den Reaktionen konnte sie sich aber einiges zusammenreimen, wollte es dennoch genau wissen.
„Was hat er über mich gesagt?“
Marc nahm kein Blatt vor den Mund, er war stinksauer.
„Mein sogenannter Freund möchte dich gerne flachlegen und meint, dass du jeden ranlässt. Außerdem bist du nur auf mein Geld aus.“
„Hast du denn welches, ist ja interessant. Warum erfahre ich das erst jetzt? Dann hätte ich ganz anders reagieren können.“
Sie wartete die Antwort von Marc nicht ab, sondern ging direkt auf Hartmut zu. Ihr sonst fast immer vorhandenes Lachen war verschwunden.
„Ich weiß, dass Marc nicht alles gesagt hat. Und merk dir das eine. Du wirst mich niemals bekommen. Um nichts in der Welt, nicht in diesem Leben. Kapiert?!“, wandte sich wieder Marc zu und flüsterte ihm mit vorgehaltener Hand ins Ohr. Sein Gesicht nahm dabei eine leicht rötliche Färbung an.
Ein heißes Bad
Shonessi nahm Marc an die Hand und ging mit ihm den Weg hoch zum Hauptquartier des Parks, einem modernen Holzhaus mit kanadischer Flagge. Gerhard und Hartmut folgten, nachdem sie ihr Boot entladen und auf festem Boden abgelegt hatten.
Im Raum befand sich ein Tresen, davor stand Ahmik, vertieft in ein Gespräch mit dem Parkaufseher. Als Shonessi und Marc den Raum betraten und Ahmik ihn erblickte, wurde er blass, in gereiztem Ton stellte er die Frage an Marc.
„Wie kommst du hierher?“
Marc hörte sehr wohl den Unterton in seiner Stimme und erwiderte deswegen auch etwas provozierend, „das ist doch nicht so schwer zu erraten: mit dem Kajak. Aber das wolltest du wahrscheinlich nicht wissen. Shonessi und mich hat das Schicksal zusammengeführt.“
Zur Unterstützung seiner Worte legte er seinen Arm um Shonessi, die ihn verliebt anblickte. Ahmik wollte schon ansetzen, als der Parkaufseher das Wort ergriff.
„Wie bist du hierhergekommen? Habe ich das richtig verstanden, mit dem Kajak?“
In diesem Augenblick betraten auch Gerhard und Hartmut den Raum. Überrascht bemerkte er, „oh, nochmal zwei. Gehört ihr zusammen?“
Hartmut deutete dabei auf Shonessi. „Sie nicht, wir drei ja.“
Marc übernahm mit einem Kopfschütteln das Gespräch, drängte Hartmut auf die Seite, zumal er das wesentlich bessere Englisch sprach.
„Wir drei“, er deutete dabei auf Hartmut, Gerhard und sich, „sind mit dem Kajak hier gerade eingetroffen. Shonessi habe ich in …“
Der Parkaufseher bekam große Augen: „Mit dem Kajak? Seid ihr verrückt? Wie seid ihr durch die Waldschlucht gekommen? Die ist jetzt lebensgefährlich und für Kanus gesperrt.“
Marc schilderte kurz ihre Fahrt durch die Waldschlucht, in Shonessis Augen konnten Gerhard und Hartmut Bewunderung erkennen. Der Parkaufseher verließ seinen Tresen und schüttelte allen die Hände.
„Wie ist dein Name? Ihr habt es drauf. Super!“, wandte sich direkt an Marc, „du scheinst Shonessi ja gut zu kennen?“
„Nenn mich Marc, und das sind Gerhard und Hartmut. Ja, Shonessi und ich haben uns in Jade City kennengelernt.“
Shonessi lachte, „ich habe ihm einen neuen Namen gegeben – Lakota!“
Der Parkaufseher fasste Marc an die Schulter und meinte anerkennend, „das ist eine große Ehre für einen …, woher kommst du?“
„Deutschland.“
„Na, dann, willkommen in meinem Park. Und wie gesagt, das ist eine sehr große Ehre. Wann wollt ihr weiter?“
Marc drückte Shonessi an sich. Stolz blickte er um sich.
„Also, hat das nun jeder verstanden? Ab heute ist mein Name hier in Kanada – Lakota. Gefällt mir auch sehr gut!“
Weder Ahmik noch Hartmut konnten sich damit anfreunden. Einzig Gerhard fand das in Ordnung.
Marc und Gerhard bemerkten gegenüber dem Parkaufseher, dass sie auf jeden Fall einen Tag hier bleiben wollten, um die heißen Quellen kennenzulernen. Ahmik witterte seine Chance.
„Wir brechen sofort auf…“
Vehement fuhr Shonessi ihrem Bruder in die Parade.
„Nein, Ahmik, dann fährst du ohne mich weiter. Ich bleibe mit Lakota hier und werde mit ihm die heißen Quellen besuchen.“ Mit einem Augenaufschlag, der Hartmut schlucken ließ und Ahmik erzürnte, beendete sie den Satz, „und ein gemeinsames Bad nehmen, das er nie vergessen wird.“
„Das geht nicht, wir müssen weiter! Du schwebst in Lebensgefahr …, das weißt du genau. Außerdem will ich hier nicht alle in Gefahr bringen.“
Shonessi beeindruckte das in keinster Weise, „und wie willst du weiter, zu Fuß? Das Flugzeug kommt erst in zwei Tagen.“ Sie blickte ihn unwillig an. „Gib es zu, du willst mich nur von Lakota trennen. Ich sehe es dir an. Bevor du weitere Vorschläge machst, du kannst nicht mit dem Kanu fahren, das haben wir beide nie gelernt.“
„Was redest du da, ich bin auf dem Meer gefahren! Mit dem Kanu …“, empört klang seine Stimme. Shonessi ließ sich nicht beeindrucken, konterte sofort.
„Das hier ist ein Fluss mit Hochwasser. Du hast hiervon keine Ahnung! Null!“
Der Parkaufseher unterstützte Shonessi.
„Ahmik, ich muss ihr zustimmen. Der Wasserstand ist viel zu gefährlich…, ja auch auf den unteren Abschnitten. Ich sehe da aber eine Möglichkeit, ihr drei seid doch sehr gute Kanuten. Ich habe hier noch ein Kanu, könnt ihr auch mit dem Stechpaddel umgehen?“
Alle drei nickten, Gerhard bestärkte noch, „Marc kommt sogar vom Kanu her, der ist mit dem Zweier schweres Wildwasser gefahren und hat immer auch mal nicht so gute Fahrer dabei gehabt. Wir beide dagegen sind eher Kajakfahrer, also mit dem Doppelpaddel stark.“
Marc sah die Chance für sich und Shonessi.
„Stimmt, Gerhard. Ich mach euch folgenden Vorschlag: ich nehme das Kanu, Shonessi fährt bei mir mit. Wenn wir am Ziel ankommen, kann sie alles. Ich bringe es ihr bei. Hartmut, du fährst mit Ahmik im Aerius und Gerhard nimmt meinen T65.“
„Moment! Der Aerius ist noch immer mein Boot. Ich bestimme allein, wer damit fährt. Shonessi kann ja bei mir mitfahren…“
Shonessi löste sich von Marc, war mit zwei Schritten bei Hartmut. Obgleich einen ganzen Kopf kleiner, baute sie sich bedrohlich vor ihm auf, fauchte ihn an.
„Träum weiter! Niemals werde ich zu dir in dein Boot steigen. Vorher schwimme ich den South Nahanni hinunter. Hast du meine Worte von vorhin schon vergessen. Komm mir nicht zu nahe!“