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Gerhard versuchte einzulenken.
„Klar, Hartmut, über dein Boot kannst du bestimmen. Über sonst nichts. Dann nehme ich eben den T65 von Marc. … Und wenn du dich nicht sofort hier und jetzt einkriegst, dann trennen wir uns. Dann such dir deinen Weg alleine. Ich habe keinen Bock mehr auf deine Launen. Lass endlich deine dummen Anspielungen, lass Marc und Shonessi in Ruhe! Akzeptiere das endlich, je früher desto besser. Am besten wir schlafen alle eine Nacht darüber, besuchen morgen die Quellen und entscheiden dann, wie es weitergeht.“
Am nächsten Morgen, sehr früh gegen 07.00 Uhr schreckte Marc hoch. Der Reißverschluss zu seinem Zelt wurde aufgezogen. Shonessi hatte sich vorgenommen, vor allen anderen bei den heißen Quellen zu sein.
„Komm, beeil dich. Wir brechen auf. Ich will da nur mit dir hin, hast du was zu essen. Ich hab nichts dabei?“
Marc war sofort hellwach, zog sich an, packte noch schnell etwas Essbares zusammen. Dann zogen beide los zu den Tuffsteinterrassen mit den heißen Quellen. Mit 27m Höhe und 70m Breite sind die Quellen die größten ihrer Art in Kanada, dabei schwer zugänglich. Die sieben Kilometer lange Wegstrecke meisterten sie in eineinhalb Stunden. Als sie die Tuffterrassen erreichten, bot sich ihnen ein großartiger Ausblick.
Der Tuffstein selbst war durch das kalkhaltige Wasser verfärbt, schimmerte in der Sonne von weiß bis orange. Unter ihnen im Tal zog der breite South Nahanni seine Bahn, Kiesbänke, Nebenarme und Inseln waren immer noch verschwunden. Der Fluss hatte eine braun-gelbliche Färbung. Hochwasser eben.
Shonessi war bereits einige Meter weitergelaufen und winkte Marc zu. Sie kletterten weiter hinauf, unter ihnen lagen jetzt die Terrassen in den einzelnen Stufen. Was für ein Anblick, das Wasser leuchtete in den Farben blau, türkis, grün und gelb, war dabei glasklar. Ganz am Rand entdeckten sie einen kleinen Pool, wie geschaffen für sie. Das Wasser war hier nicht ganz so heiß, so um die 33-35°.
Ohne Marc zu fragen, entledigte sich Shonessi ihrer Kleidung und stieg ins Wasser. Marc stand einfach nur da und schaute sie fasziniert an. Sie lachte, winkte ihm zu.
„Lakota, was ist los mit dir? Auf was wartest du? Willst du nicht auch ins Wasser kommen? Es ist herrlich.“
Marc machte es Shonessi nach und setzte sich dicht neben sie. Nur ihre Köpfe ragten aus dem Wasser. Sie wandte sich ihm zu, setzte sich auf ihn, legte ihre Arme um seinen Hals und gab ihm einen flüchtigen Kuss. In dieser Umgebung, allein mit ihr in weiter Wildnis, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Er zog sie fest an sich, küsste sie leidenschaftlich, fühlte eine unendliche Glückseligkeit. Er küsste ihre kleinen festen Brüste, spürte ihren Schoß. Sie gab sich ihm hin, genoss jede einzelne Sekunde.
„So schön war es noch nie.“ Marc schwieg, fühlte gleich.
Das Wasser schlug kleine Wellen und klatschte gegen den Tuffsteinrand.
Eng umschlungen lagen sie im warmen Wasser. Er streichelte ihre Haare, blickte sie verliebt an.
„Shonessi, was wird jetzt aus uns? Okay, wir fahren gemeinsam den South Nahanni hinunter. Aber irgendwann kommen wir an, und dann?“
„Was möchtest du denn? Mit mir zusammen sein? Ich will das, mit dir zusammen sein!“
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich.
„Ahmik lehnt dich ab. Mein Vater wird es wahrscheinlich auch. … Und mein zukünftiger Möchtegern-Ehemann wird dich als Feind sehen.“, sie blickte ihm direkt in die Augen, „das wird sehr schwer, ich weiß nicht.“
„Aber ich weiß es. Shonessi, ich liebe dich und ich will mit dir zusammen sein. Ich bin unendlich glücklich, dass wir beide uns hier begegnet sind. Und gerade eben, das war einfach unglaublich. So habe ich es noch nie erlebt.“
„Hast du denn keine Freundin? Oder gar eine Frau?“
„Ich hatte eine Frau, sie ist bei einem Autounfall tödlich verunglückt“, er blickte sie ernst an, „aber das ist lange her, jetzt zählst nur du für mich. Wenn es hier in Kanada für dich nicht möglich ist, mit mir zu leben, … dann kommst du eben mit nach Deutschland.“
„Nach Deutschland? Ich kann ja noch nicht mal eure Sprache…“
„Die kann man lernen.“
„Ich kenn auch nicht euer Essen, Sauerkraut zum Beispiel…“
„Du kannst essen, was du magst. Bei uns gibt es alles.“
„Und die Menschen, wenn die alle so sind, wie dein Freund…“
„Gerhard ist nicht so. Auch bei uns sind die Menschen unterschiedlich, wie hier!“
„Ach Lakota, ich weiß nicht…“
„Lass uns bitte zusammen bleiben, ich bleibe auch hier in Kanada. Die Sprache kann ich ja schon.“
Er versuchte zu lächeln, war aber eher gequält. Sie schaute ihn lange an, sprach kein Wort, stieg aus dem Pool, zeigte ihm den Rücken. Langsam kletterte sie zum Tuffrand, stellte sich breitbeinig auf den Stein, hob ihre Arme in den Himmel und begann zu singen. Für Marc in einer unverständlichen Sprache. Nachdem sie geendet hatte, verharrte sie einen Augenblick in dieser Position, drehte sich dann unvermittelt um, hob ihre Arme erneut in den Himmel, legte ihren Kopf in den Nacken und fiel in den gleichen Singsang. Brach plötzlich und unvermittelt ab, ließ sich nach vorne in den Pool fallen.
Prustend tauchte sie vor Marc auf, der wortlos zugeschaut hatte. Eine magische Ausstrahlung war von ihr ausgegangen. Sie umklammerte seine Knie, zog sich zu ihm hoch, bis sie in Augenhöhe mit ihm war, legte ihre Arme um seinen Hals. Und wieder spürte er ihre Lippen. Sie beugte sich zurück, drückte den Rücken durch, schnellte nach hinten in das Wasser, versank. Als sie auftauchte, hingen ihr die nassen Haare wild ins Gesicht.
„Lakota, ich liebe dich und ich bleibe bei dir. Egal wo in dieser Welt!“
Marc erhob sich, umfasste sie sanft und legte sie vorsichtig auf dem blanken Tuff oberhalb des Pools ab. Das warme Wasser und die Sonne ließ beide nicht abkühlen. Es vergingen die Stunden und es wurde Mittag. Schnell aßen sie das mitgebrachte von Marc, zogen sich an und machten sich auf den Rückweg.
Einige Stufen abwärts trafen sie auf Gerhard und Hartmut. Marc spürte deutlich die Spannung zwischen Hartmut und Shonessi. Gerhard verwickelte Shonessi in ein Gespräch, während Hartmut und Marc schweigend hintereinander marschierten. Nach einer Stunde, sie waren kurz vor dem Hauptquartier, konnte sich Hartmut nicht mehr zurückhalten.
„Na, hattet ihr ordentlich Spaß miteinander? Wie oft hast du sie gefickt…“
Marc drehte sich zu Hartmut um und schlug ohne Vorwarnung zu. Hartmut ging sofort zu Boden, bevor er sich wieder aufgerappelt hatte, ging Gerhard dazwischen.
„Ich hab nur Spaß gemacht, du Idiot. Gleich zuschlagen, das war völlig harmlos.“
„So, war es das? Der Ton macht die Musik. Du hast Shonessi und mich beleidigt. Zumindest weiß ich jetzt, was ich machen werde.“
„Was hast du vor?“
„Wartet es beide einfach ab.“
Marc ging zu Shonessi, beide kamen als erste beim Hauptquartier an. Der Himmel hatte sich wieder bewölkt und es begann erneut zu regnen. Unter einer großen Plane, die sie zwischen die Bäume gespannt hatten, saßen sie am Feuer, das nicht zu groß sein durfte, da es unterhalb der Plane lag. Der Parkaufseher, Ahmik, Shonessi, Marc, Gerhard und Hartmut beratschlagten über die weitere Vorgehensweise. Marc hörte sich alles einige Zeit an, dann unterbrach er.
„Ich für meinen Teil klinke mich hiermit aus. Hartmut, dein Verhalten heute hat mir die Augen geöffnet. Ich dulde in keiner Weise deine Beleidigungen gegenüber Shonessi. Ich will dich nicht mehr bei mir haben…“
Shonessi fiel Marc ins Wort.
„Das gleiche gilt für mich, auch ich steige aus. Lakota und ich setzen gemeinsam unsere Fahrt fort. Wir nehmen das Kanu.“ Sie wandte sich Marc zu, ergriff seine Hände, „ich bin mir sicher, dass du mich heil ans Ziel bringst.“
Ahmik hatte bis jetzt geschwiegen. Er sah erst seine Schwester an, dann Marc. Mit Resignation in der Stimme akzeptierte er ihre Meinung, obwohl längst nicht überzeugt.
„Dann brauchst du mich ja nicht mehr. Ich warte Morgen auf das Flugzeug und gehe nach Fort Liard. Dort erwarte ich euch. Was wollt ihr dann machen?“
„Das erfährst du früh genug. Wir beide bleiben auf jeden Fall zusammen. Das habe ich Lakota geschworen!“
Das war es also, was Shonessi am Pool gemacht hatte, ein Schwur. Mit Bewunderung schaute er sie an, drückte zur Bestätigung ihre Hände.
Gerhard und Hartmut sagten beide nichts. Für Gerhard brach die Traumreise auseinander. Hartmut erkannte er nicht wieder und Marc hatte sich entschieden.
„Marc, wenn du nichts dagegen hast, würde ich gerne bei euch bleiben, nehme deinen T65. Ich verspreche euch auch, ich werde euch nicht zur Last fallen.“
Marc brauchte nicht zu antworten, das übernahm Shonessi.
„Du darfst gerne mitfahren, du störst auch nicht. Ich freue mich, wenn du dabei bist.“
Hartmut senkte die Augen. Mit verbissener Stimme antwortete er in Deutsch, „dann ist es wohl entschieden. Auch ich fliege mit dem Flugzeug zurück. Gratuliere Marc, deine kleine Hure hat unseren Traum kaputtgemacht. Du bist ihr ja vollkommen verfallen. Sie hat dich regelrecht verhext. Ich habe gedacht, Freundschaft zählt mehr bei dir. Da habe ich mich wohl in dir getäuscht. Erst hast du mir Ella weggenommen und jetzt wirfst du unsere Freundschaft wegen einer 'Indianerin' weg. Ich verachte dich.“ Er sprach das so abfällig aus, dass der Begriff Indianerin in höchstem Maße abwertend zu verstehen war.
Dann holte er zu einem Rundumschlag aus, Marc stand bereits mit geballten Fäusten, nahm eine bedrohliche Haltung ein. Allein Gerhard hielt ihn zurück.
„Gerhard, auch du bist ein Verräter und fällst mir in den Rücken. Bin ja gespannt, was du deiner Frau und deinen beiden Kindern zuhause erzählst. Ihr beide seid für mich gestorben, endgültig!“
Er stand auf und ging in sein Zelt.
In letzter Minute
Am nächsten Morgen, vor Sonnenaufgang. Shonessis erster Weg galt Marc, seinem Zelt. Sie zog leise den Reißverschluss auf, schlüpfte zu dem schlaftrunkenen Marc in den Schlafsack. Langsam kam er zu sich.
„Shonessi.“
„Ja…a. Kann ich bleiben … oder soll ich wieder gehen?“
Er war hellwach: „Bleiben! Ich würde mir wünschen, jeden Morgen von dir geweckt zu werden.“
Sie lachte ihn an: „Dann sei still und genieße.“
Ahmik hatte ihr Davonschleichen beobachtet, ging ihr nach und sah, wie sie in das Zelt schlüpfte. Langsam erfasste er die Wirklichkeit, wollte es nur noch nicht wahrhaben. Niemals würde er seine Schwester, die zehn Jahre jünger war als er, verletzen. Weit entfernt war sein Verständnis für ihr Verhalten in den letzten Jahren. Das galt insbesondere für ihre Liebesverhältnisse, am Anfang euphorisch, nach einer gewissen Zeit, mal länger, mal kürzer, dann stark nachlassend. Er hielt ihr ihre Jugend zugute, gerade mal dreiundzwanzig Jahre war sie alt. Zeit für Erfahrungen. Bisher nicht nur der große Bruder, immer auch der Beschützer mit einem äußerst wachsamen Auge. Zugegeben hätte er es nie, seine Schwester war für ihn der wichtigste Mensch in seinem Leben, er liebte sie über alles.
Nun dieser Deutsche! Shonessi verhielt sich anders. Sicher bemerkte er auch hier diese Euphorie, doch verhaltener. Er fühlte eine innere Stärke, eine Kraft in ihr, die er so noch nicht gesehen hatte. Diesen Deutschen konnte er nicht einschätzen, sicher nur eine Urlaubsromanze. So hoffte er insgeheim. Die Fakten sprachen dagegen, er hatte sie beide vor einem vielleicht tödlichen Anschlag bewahrt, hatte ohne eine Spur zu zweifeln sofort für sie Partei ergriffen. Warum? Er tat sich schwer einzugestehen, dass hier auch Liebe mit im Spiel war. Die Zivilcourage rechnete er ihm hoch an.
Er und der Parkaufseher hielten sich noch im Headquarter auf, als plötzlich das Funkgerät ansprang. Ein Krächzen und unverständliche Wortfetzen waren zu hören. Der Parkaufseher nahm das Gerät in die Hand, um das Flugzeug anzufunken, lächelte Ahmik an.
„Little Bear ist der Pilot, auf den kannst du dich verlassen. Er wird dich sicher nach Fort Liard bringen.“
Sie konnten die Stimmen im Flugzeug hören, anfangs unverständlich, dann immer deutlicher. Little Bear hatte unbemerkt das Funkgerät eingeschaltet.
„Wir sind normale Touristen, hören Sie zu!“ Eine unverständliche Antwort war zu vernehmen. Dafür wurde die andere Stimme laut und deutlich: „Schnauze halten! Keine Warnung an den Parkaufseher, oder Sie sind tot, verstanden?“
Die Antwort des Piloten klang gereizt: „dann erschießen Sie mich doch, ich denke, ihr überlebt das auch nicht.“
Ein ohrenbetäubendes Heulen schallte durch das Funkgerät.
„Da stimmt was nicht, wir bekommen ungebetenen Besuch.“
Ahmik rannte, ohne die Antwort abzuwarten aus dem Haus zu den Zelten, nahm einen blechernen Kochtopf und trommelte mit einem großen Schöpflöffel darauf herum. Seine Bedenken waren wie weg geblasen. Alle schreckten in ihren Zelten auf.
„Raus mit euch, alle! Wir sind entdeckt, in zwanzig Minuten sind unsere Verfolger mit dem Flugzeug hier.“
Marc war mit einem Hechtsprung aus dem Zelt. Er ergriff sofort die Initiative.
„Gerhart, Hartmut, schmeißt alles einfach in die Boote. Shonessi, reiß das Zelt ab. Schnell, wir dürfen keine Zeit verlieren. In zehn Minuten ist Abfahrt. Hartmut, Ahmik, ihr nehmt zusammen den Aerius. Gerhard, du den T65. Nimm unser ganzes Gepäck mit. Shonessi und ich machen das Kanu flott.“
Im Laufschritt rannte der Parkaufseher mit zwei Stechpaddeln und Schwimmwesten an ihnen vorbei.
„Folgt mir, schnell.“
Shonessi hatte nicht viel an, nur Slip und T-Shirt, ebenso Marc nur seine Sporthose und ebenfalls ein T-Shirt. Er packte seinen großen Rucksack, stopfte alle losen Kleidungsstücke so gut es ging hinein. Shonessi trug ihre Kleidung unter dem Arm, warf sie lose in das Kanu, sprang hinein. Marc setzte sich hinten auf das Brett, der Parkaufseher gab ihnen einen Stoß, schon waren sie auf dem Wasser. Die Strömung packte sie sofort, fast wären sie gekentert. Marc rief Shonessi nach vorne zu:
„Das ist kein Kochlöffel, sondern ein Paddel, umfass den Griff oben. Schau her zu mir, ich zeig´s dir.“ Er zeigte ihr kurz, wie man ein Paddel hält und einsetzt. „Du paddelst rechts, ich links. Und wichtig: keine Wechsel. Du bleibst auf deiner Seite. So nun eintauchen, das ganze Blatt. Und durchziehen.“
Die zierliche Shonessi setzte alle ihre Kräfte ein. Marc war zufrieden, er wendete das Kanu gegen die Strömung, dass es flussaufwärts zeigte. So überquerten sie ohne Probleme den Fluss. Kurz vor Erreichen des Ufers wendete er wieder und ließ sich abwärts treiben. Die Strömung war zwar schnell, jedoch ohne Hindernisse. Schnell näherten sich auch die beiden anderen Kajaks. Sie hörten bereits ein Brummen, Motorengeräusch. Sie mussten an Land.
Das Glück stand ihnen zur Seite, am rechten Ufer lag ein mächtiger Felsklotz im Wasser. Marc zeigte auf den Felsen, die anderen verstanden. Gerhard zog an Marcs Kanu vorbei, um als erster in das Kehrwasser hinter dem Felsen einzufahren.
„Shonessi, pass genau auf Gerhard auf, wie er das Blatt ins Wasser setzt, du machst es genauso. Hör auf mein Kommando, Wenn ich sage 'jetzt' – setzt du das Paddel ein.“
Marc steuerte den Felsen knapp an, gab das Kommando.
„Jetzt!“
Sie hielt das Paddel über den Kopf mit dem flachen Blatt ins Wasser. Nur der Druck war nicht da. Marc war mit Absicht sehr dicht an den Felsen herangefahren, mit allen Risiken, wechselte die Seite und drückte das Kanu ins Kehrwasser. Auch saß er nicht mehr auf dem Brett, sondern kniete im Boot, um es entsprechend aufzukanten. Shonessi legte sich instinktiv ebenfalls auf die richtige Seite. Gerhard zog bereits ein Boot auf das Ufer. Innerhalb kurzer Zeit waren alle drei an Land. Sie versteckten die Boote im Gebüsch.
Nur wenige Minuten später donnerte ein Wasserflugzeug über sie hinweg. Sie hatten es geschafft, in letzter Minute.
Freund oder Feind
„Hier können wir nicht bleiben, vollkommen ungeeignet für eine Übernachtung.“ Gerhard schüttelte den Kopf.
Marc verstand ihn nicht, „wieso denn? Immer noch besser, als abgeschossen zu werden. Was ist denn so schlimm hier?“
Gerhard schaute Marc mitleidig an, suchte gleichzeitig Rat bei Ahmik.
„Ahmik, du bist ein Einheimischer, deine Meinung ist mir wichtig. Geht doch mal alle nach dort hinten und überzeugt euch selbst!“
Ahmik machte eine kurze Kopfbewegung zu Marc. Hartmut reagierte nicht, hielt sich abseits. Seine Augen hafteten jedoch an Shonessi, die ebenfalls zurückblieb. Marc bekam das mit, sprach ihn direkt an.
„Rühr sie nicht an, verstanden! Das überlebst du nicht.“
Erbost reagierte Hartmut, „du kannst mir nicht drohen, du bist doch nur ein Weichei, heulst wie ein Hund, wenn es dir schlecht geht.“
Er dachte wohl, er könnte bei Shonessi punkten, weit gefehlt. Sie fuhr ihn an.
„Viel besser, als keine Gefühle zu zeigen. Mit deinem Machogehabe bleib weg von mir. Lass mich in Ruhe. Vielleicht hast du vor Lakota keine Angst, die musst du aber vor meinem Bruder haben.“
Shonessi hatte inzwischen ihre Kleidung angelegt, hielt ihr Fahrtenmesser bereit. Genau beobachtete sie Hartmut.
Der Wald war dicht verwachsen. Gestrüpp, teilweise mit Stacheln oder Dornen behinderten sie beim Gehen. Gerhard ging als erster über einen kaum erkennbaren Pfad.
„Menschen?“ Gerhard stellte die Frage an Ahmik.
„Nein, Tiere.“
Kaum ausgesprochen, blieb er stehen, kniete nieder und schob einen Ast mit Blattwerk beiseite. Gerhard und Marc kamen mit hinzu.
„Seht ihr das?“, sie nickten, „gut. Bärenspuren, wahrscheinlich Grizzly.“
„Was? Und wie alt?“ Marc bekam große Augen.
„Frisch, von heute.“
„Von heute? Es ist noch nicht einmal Mittag…“
„Genau, du hast es erfasst. Ich habe kein gutes Gefühl. Wir sollten zurück zu den Booten. … Gerry, ganz kurz, was gibt es da hinten?“ Ahmik verwendete den englischen Begriff für Gerhard. „Äh, … einen furchtbar stinkenden Tümpel mit Myriaden von Moskitos, und grün…“
„Okay, das reicht. Lakota, Gerry, wir kehren um. Ich möchte der Bärin mit ihren Jungen nicht begegnen.“
„Der Bärin, woher weißt du…“
„Spuren.“
Keiner sprach mehr ein Wort, zu den Booten waren es nur wenige hundert Meter.
Ahmik sprach Shonessi in seiner Muttersprache an, sie reagierte sofort, fing an, die einfach ins Boot geworfenen Utensilien aufzuräumen. Alle folgten ihr ohne Worte, so nahm jeder sein Gepäck mit ins Boot. Marc räumte den T65 leer, Gerhard den Aerius. Da Shonessi und Ahmik fast kein persönliches Gepäck hatten, musste alles sorgsam aufgeteilt werden. Bis unterhalb des ersten Canyons gab es keine Möglichkeit, Lebensmittel nachzufassen. Bis zur Camp Site der Virginia Falls waren drei Tage eingeplant, aufgrund der knappen Lebensmittelvorräte wollten sie es aber in nur zwei Tagen schaffen.
„Könntest du bitte mal mit anpacken? Oder bist du dir zu fein dafür, weißer Mann.“
Marc fuhr herum, blickte in ein lachendes Gesicht. Weit entfernt war er mit seinen Gedanken. Alle würden jetzt auf eine Anweisung von ihm warten!
Wie sollten sie sich verhalten? Auf Gott vertrauen und einfach lospaddeln? Sollten sie die Camp Site an den Virginia Falls aufsuchen? Würde das Essen reichen? Was war mit Hartmut, wird er sich loyal verhalten?
Er fühlte die Last auf seinen Schultern, nahm ihm fast die Luft zu atmen. Wie hatte sich sein Leben doch verändert. Shonessi liebte er von Tag zu Tag mehr, einerseits beeindruckten ihn ihre Unbekümmertheit, andererseits ihre tiefe Seele und Abgeklärtheit. Er musste eine Entscheidung treffen.
„Lakota, was ist?“ Ihre Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Sie flüsterte in sein Ohr, „du fällst die richtige Entscheidung, glaub mir. Wenn ich hätte sterben sollen, wäre das schon in Jade City geschehen, danach gab es auch noch ein paar Möglichkeiten. Komm, gib dir einen Ruck. Wir alle hier vertrauen dir?“
Das war sie, Shonessi. Sofort bestätigte sie seine Gedankengänge. Er nickte kurz.
„Okay, Leute. Hört mal alle her. Wir fahren jetzt los, nehmen die Flussmitte, dort wo die Strömung am stärksten ist. Wir fahren bis in den Abend hinein. Gerhard, ich nenn dich ab jetzt Gerry, gefällt mir sowieso besser, du übernimmst die Vorratsverwaltung. Mach einen Plan für die nächsten Tage. Kann jemand von euch angeln?“
Keiner meldete sich, Gerhard meldete sich zaghaft. Dann meldete sich Ahmik.
„Ich werde uns Fische besorgen, schon für heute Abend.“
Marc nickte zufrieden, wandte sich an Hartmut.
„Hartmut, du kümmerst dich um Holz für das Feuer, bist für die Küche zuständig. Ich weiß, du bist ein guter Koch.“ Marc zögerte. „Einverstanden?“
Der reagierte erst gar nicht, brummte dann aber sein Einverständnis in den Bart. Stellte dann eine Frage, „und was macht ihr? Deine Indianerin und du? Darf ich raten?“
Der letzte Teil wirkte zynisch und verletzend.
„Shonessi und ich werden dort mit zupacken, wo es am notwendigsten ist. Wenn wir ankommen, werden zuerst mal die Zelte aufgebaut und die Boote versorgt. Ich gehe auch gerne mit dir Holz suchen…“
„… und ich geh fischen, das kann ich nämlich genau so gut wie mein Bruder.“
Gerhard ergänzte noch: „Und immer für Frischwasser sorgen. Ich finde den Vorschlag von Marc gut. Lasst uns endlich hier wegfahren.“
Marc wollte noch was abgeklärt haben, da zwei der Mitfahrer keine Ahnung vom Paddeln hatten.
„Einen Augenblick noch, Shonessi, Ahmik. Gerry und ich zeigen euch jetzt ein paar Techniken zum Paddeln.“
Gerhard übernahm den Part mit dem Doppelpaddel. Marc wies Shonessi ein. Er zeigte ihr den Ziehschlag: Paddel über den Kopf und mit der flachen Seite im Wasser zum Boot hinziehend. Dann das Drücken mit einem kräftigen Rundschlag, das Gegenteil zum Ziehen sowie einige andere Beispiele.
Die Vorräte wurden zur Hälfte auf den Aerius und das Kanu aufgeteilt. Gerhard übernahm die Führung, dann folgten Marc und Shonessi und Hartmut bildete mit Ahmik im Aerius den Schluss. Das Einfädeln in die Strömung ging ohne Probleme. Das Tal des South Nahanni war breit und ausladend. Der Fluss mäanderte träge, jedoch bedingt durch den hohen Wasserstand mit guter Strömung dahin. Hindernisse in Form von Felsen oder Stromschnellen gab es keine. Die einzigen Schwierigkeiten waren das Treibgut im Fluss, welches bei dem abfließenden Hochwasser zahlreich vorhanden war. Am gefährlichsten waren hier die Snags, abgestorbene Bäume, die das Hochwasser mit sich gerissen hatte und die ähnlich Eisbergen mit der großen Masse unter Wasser lagen, was bei ausladenden Baumwurzeln durchaus gefährlich werden konnte. Da der Fluss jedoch breit genug war, konnte sie diese immer mit genügend respektvollem Abstand passieren.
Ohne behelligt zu werden, aber auch ohne eine weitere Menschenseele zu treffen erreichten sie schon am frühen Abend ihr Ziel. Eine Insel mitten im Fluss. Die Insel hatte die Form einer langgezogenen Zunge, am oberen Ende, gegen die Strömung vier bis sechs Meter hoch mit felsigem steilem Rand und grasbewachsen. Flussabwärts dagegen flach auslaufend mit hohen Bäumen bestanden und einem Sandstrand am entgegengesetzten Ende. Ungefähr auf der Mitte der Insel befand sich eine kleine Bucht, die ideale Anlegestelle.
Kaum angelandet, sprang Gerhard aus dem Boot, rannte flussaufwärts, kam nach wenigen Minuten zurück.
„Leute, die Insel ist ein Traum. Gleich da vorne ist ein ebener Grasplatz, ideal für die Zelte. Essplatz ist an dem kleinen Sandstrand. Genügend Treibholz zum Feuermachen ist auch da.“
Gerhard stand die Begeisterung im Gesicht, während er wild fuchtelnd in alle Richtungen wies.
Zuerst wurden die Zelte aufgebaut. Ahmik und Shonessi besaßen weder ein Zelt noch einen Schlafsack, auch keine Decken. Marc, Gerhard und Hartmut hatten jeweils ein Zelt. Das größte besaß Hartmut. So war schnell geregelt, wer wo mit wem schlief. Ahmik bei Hartmut und Shonessi bei Marc, wobei sein Zelt ideal für nur eine Person war. Da sich beide sowieso den Schlafsack teilen mussten, kam ihnen das sogar entgegen.
Auf dem Strand brannte ein großes Feuer, das Dreibein mit dem Kochkessel stand fast darüber. Ahmik hatte tatsächlich drei Saiblinge gefangen, Shonessi war kurz zuvor im Wald verschwunden und kam mit vielen Kräutern in der Hand zurück.