- -
- 100%
- +
„Gott kann deshalb nur durch Gott erkannt werden; er kann nur erkannt werden, wenn er sich selbst zu erkennen gibt.“33 Zu einer solchen empfangenden Hermeneutik fordert schon das Wort „Gott“ selbst heraus, indem es ein „Sprachereignis“ impliziert: „Das Wort Gott bringt die Wirklichkeit so zur Sprache, daß es zugleich an der Welt selbst ‚etwas‘ aufleuchten läßt, was mehr als Welt ist. […] Damit ist die […] Rede von Gott […] immer ein wirksames Wort. In ihm geht es nicht um das, was die Welt immer schon war, um ihr bleibendes Wesen, sondern um ihre offene Zukunft.“34 Von daher hat der Gottesbegriff an sich bereits Begegnungscharakter, weil er den sprachlich konstituierten Menschen schon allein als Begriff auf die Gemeinschaft mit Gott anspricht. 35 Dabei verlangt die in der Gottesrelation gegebene „Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und der Welt“36 Aussagen tragfähiger Erkenntnis- und Heilsgewissheit – im Unterschied zu den immer nur annähernden Aussagen, welche die Weltrelation des Menschen betreffen.37 „Jedenfalls für die Gotteserkenntnis ist es charakteristisch, daß sie – als Erkenntnis der Alles (also auch den Erkennenden selbst) bestimmenden Wirklichkeit – erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie im Menschen daseinsbestimmendes Vertrauen weckt und findet.“38 Das wiederum gelingt nur, wenn Gott sich in seiner Heilsrelevanz selbst tragfähig (erfahrbar) zusagt und nicht Produkt menschlicher Gottesspekulation ist. Diese kann nämlich aufgrund ihrer eigenen Grenzen, die mit der Transzendenz gesetzt sind, keine letzte Gewissheit erlangen. „Die Gottesgewissheit soll uns von sich aus und durch sich selbst vergewissern; sie will und soll uns verbindlich und verantwortlich in Anspruch nehmen“, weil „es hier tatsächlich um alles geht, um Heil und Unheil, um Wahrheit oder Lüge“39. Entsprechend geht es beim Gottesbegriff um „einen Beziehungsbegriff, dessen Maß und Norm Gott selbst in dieser Beziehung“40 setzen muss, wenn solche Gottes-Gewissheit erlangt werden soll.
So wird Gott nur als sich selbsterschließendes offenbares Geheimnis zugänglich, dessen Verborgenheit positiv die Eigenständigkeit von Personalität charakterisiert, wobei sich der verborgene Gott der Versuchung menschlicher Vereinnahmung verweigert und damit die wahre – und definitiv zugesagte – Gotteserkenntnis durch den offenbaren Gott ermöglicht. Gottes Verborgenheit impliziert also weder die Undefinierbarkeit Gottes für menschliche Erkenntnis noch die Möglichkeit der rationalen Ableitbarkeit seines Wesens, sondern die notwendige Öffnung für seine Selbsterschließung. Eine resignative Hermeneutik, die meint, über das Wesen Gottes nur schweigen zu können (L. Wittgenstein), ist gegenüber den aufgezeigten Implikationen des Gottesbegriffs also ebenso unangemessen wie eine spekulativ-rationale Hermeneutik, die die Möglichkeit einer Rekonstruktion des Wesens Gottes aus natürlichen Voraussetzungen postuliert. Vielmehr bedarf es einer empfangenden Hermeneutik der Offenheit.
5.Hermeneutische Bedingungen für die Erkenntnis Gottes
Aus der Transzendenz von Welt und Mensch und den Implikationen des Gottesbegriffs geht hervor, dass der Mensch aus sich selbst keine tragfähige Gotteserkenntnis ableiten kann, sondern sich in empfangender Hermeneutik der Selbsterschließung Gottes zu öffnen hat. Nur so wird er dem Zusammenhang von „Ahnung“ und „Offenbarung“ gerecht. Dieses Begriffspaar kann die geschichtliche Selbsterschließung des dreieinigen Gottes angemessen zum Ausdruck bringen: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zu vermitteln, während umgekehrt eine natürlich ableitbare Gotteserkenntnis die Offenbarung in feststehende Kategorien zwängen würde. Entsprechend verweist die aus menschlicher Selbsttranszendenz resultierende Ahnung von Gottes Existenz auf die Notwendigkeit seiner Selbsterschließung, welche um der allgemeinen Verständlichkeit willen wiederum an die natürlichen Voraussetzungen anknüpft. So ermöglicht die sich in Wort und Tat vollziehende heilsgeschichtliche Offenbarung des dreieinigen Gottes authentische Gotteserkenntnis und damit Heilsgewissheit. Im Blick auf das Geheimnis von Mensch, Welt und Geschichte wird offenbar, dass Gott und Mensch in der Liebe dasselbe Geheimnis teilen.
Aus den gezeigten Dimensionen der Transzendenz von Welt und Mensch sowie aus den dargelegten Implikationen des Gottesbegriffs gehen bereits die – in diesen Abschnitten angeklungenen – Bedingungen für eine angemessene Gotteserkenntnis hervor. Demnach erkennt die vernünftige Vernunft, dass sie aufgrund der kosmologischen und anthropologischen Selbsttranszendenz und der Verborgenheit Gottes nur zur Gottesidee als einem Grenzbegriff der Vernunft gelangen kann.41 Bei bewusster Betrachtung gelangt die menschliche Perspektive lediglich zu einer Ahnung von Gott, weil der Mensch aufgrund seiner über sich selbst hinausweisenden Grenzen die alles bestimmende göttliche Wirklichkeit nicht zu erfassen vermag – zumal sich der Grund des Seins als selbstursächliche und unverfügbare Eigenwirklichkeit aufdrängt, die hinter dem Geheimnis menschlicher Transzendenz steht. Werden diese Bedingungen ernst genommen, müsste den Menschen deutlich sein, dass sie Gott weder aus anthropologischen noch aus kosmologischen Voraussetzungen ableiten können. Die Menschen sind nicht in der Lage, sich selbst ein tragfähiges Bild bzw. Bildnis von Gott zu machen, weil sie keine dem Erkenntnisgegenstand angemessene Möglichkeit haben, diesen zu rekonstruieren. Zudem verweist die personale Struktur des Menschen als Bedingung und Anknüpfungspunkt der Gottesidee auf ein personales göttliches Gegenüber, das sich dem Menschen vermitteln kann und Antwort auf das Geheimnis menschlicher Personalität in ihrem universalen Kontext zu geben vermag. Die mit der Charakteristik von Personalität einhergehende unverfügbare Eigenwirklichkeit korrespondiert den entsprechenden Dimensionen der Gottesidee und beinhaltet, dass sich Gott wie der Mensch verschließen und erschließen kann. Wird diese in unterschiedlichen Facetten hervortretende selbstursächliche Freiheit wahrgenommen, die sich mit der für die Menschen nicht greifbaren Dimension Gottes verbindet, kann der Mensch Gott nicht spekulativ konstruieren, sondern muss sich in empfangender Hermeneutik der – möglicherweise erfolgenden bzw. erfolgten – Selbsterschließung Gottes öffnen, wenn er zu tragfähiger und begründeter Gotteserkenntnis gelangen will. Denn nur wenn sich der Mensch in hermeneutischer Offenheit „auf den Ort der (erhofften) Selbsterschließung Gottes“42 ausrichtet, werden die Gottheit Gottes und die Kreatürlichkeit des Menschen ernst genommen.
Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis von „Natürlicher Theologie“ und „Offenbarungstheologie“ bzw. das Verhältnis von „natürlicher und übernatürlicher Offenbarung“ (De Deo uno – De Deo trino) zu modifizieren. Denn schon in der Scholastik wurde die Trinitätslehre durch die natürliche Vorordnung des Traktats „De Deo uno“ zunehmend funktionslos für die Lehre von Gott und die Lehre vom Heil des Menschen (Soteriologie), so dass der christliche Gottesbegriff seine theologische und kirchliche Tragweite zugunsten einer aus natürlichen Grundlagen rekonstruierten Einheit Gottes verlor. Deshalb ist daran zu erinnern, dass bereits der Kirchenvater Gregor von Nazianz (ca. 325–390) aus gutem Grund die Alternative zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung überwand, indem er die natürliche bzw. ableitbare rationale Erkenntnis (kataphatisch) mit der übernatürlich orientierten Erkenntnis vermittelte, die das göttliche Geheimnis nicht zu umschreiben vermag (apophatisch). Die Vermittlung geschieht durch die dritte Dimension der existentiellen Erkenntnis (Erfahrung), in der sich kataphatische und apophatische Dimension verbinden (Oratio 28ff.). Wie in der paulinischen Theologie (Röm 1,18–20; 2,14f.) existiert eine natürliche Gottesahnung, die auf Gottes Existenz hinweist, aber aufgrund der Transzendenz von Mensch und Welt sowie der menschlichen Selbstvergöttlichungsneigung (Verkehrung natürlicher Hinweise) ambivalent bleibt (Röm 1,21ff.). So bedarf die natürlich-kataphatische Ahnung von Gott der apophatischen Offenbarungserkenntnis, insofern als das apophatische Moment nicht die Unerkennbarkeit Gottes beinhaltet, sondern auf die transzendente, personale und somit freie Wirklichkeit Gottes verweist, die nur durch die Selbsterschließung Gottes zugänglich wird. Diese Selbsterschließung vollzieht sich in der Heilsgeschichte – und damit unter den Bedingungen der Welt. Die Selbsterschließung Gottes in der heilsgeschichtlichen Wirklichkeit knüpft also um der Verständlichkeit des Offenbarten willen an die natürliche Ahnung von Gott an, welche wiederum der selbsterschließenden Offenbarung des göttlichen Geheimnisses bedarf. Dadurch ist sowohl die Gottheit Gottes bzw. die Eigenständigkeit der Offenbarung gewährleistet als auch deren Relevanz für die Wirklichkeit des Menschen und der Welt (Universalität).
Um dieses differenzierte Offenbarungsverständnis, das den Bedingungen der Gotteserkenntnis angemessen ist, zum Ausdruck zu bringen und vor bisherigen Einseitigkeiten zu schützen, hat der Verfasser das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ eingeführt. So schützt der Begriff Ahnung gegenüber den Begriffen „natürliche Theologie“ oder „natürliche Offenbarung“ besser davor, durch rationale Ableitungen oder metaphysische Rückschlussverfahren aus natürlichen Voraussetzungen einen spekulativen Gottesbegriff zu rekonstruieren. Gleichzeitig beinhaltet der Begriff aber auch die natürlichen Anknüpfungspunkte der Gotteserkenntnis. Er erlaubt also weder eine natürlich-theologische Definition Gottes, die zum Kriterium der übernatürlichen Offenbarung wird (Vorordnung des „De Deo uno“), noch eine Offenbarungstheologie, die natürliche Anknüpfungspunkte als Voraussetzung der Verständlichkeit und Universalität des Offenbarten vernachlässigt. So wird der in den bisherigen Begriffspaaren bestehenden Gefahr einer pauschalen Polarität gewehrt. Der in dem neu gewählten Begriffspaar nur einmal vorkommende Begriff Offenbarung schützt wiederum vor der Gefahr einer undifferenzierten Nivellierung, die bei der Rede von „natürlicher Offenbarung“ und „übernatürlicher Offenbarung“ besteht, weil eine solche Terminologie die Offenbarungsqualität beider Seiten als gleichwertig erscheinen lässt, wodurch natürliche Erkenntnis erneut zum Maßstab heilsgeschichtlicher Offenbarung werden kann (kriteriologische Vorordnung des Traktats „De Deo uno“). So gewährleistet das Begriffspaar „Ahnung – Offenbarung“ die Beachtung des folgenden offenbarungstheologischen Zusammenhangs: Die Offenbarungswirklichkeit wäre ohne eine vorläufige Ahnung von der göttlichen Dimension kaum verständlich zur Sprache zu bringen, während umgekehrt eine natürlich-apriorische Gotteserkenntnis die Offenbarung lediglich unter feststehende Kategorien subsumieren würde, die zudem den Charakter spekulativer Rekonstruktion hätten.43
Die genannten offenbarungstheologischen Zusammenhänge werden auch durch die Implikationen der biblischen Aussage bestätigt, dass niemand den in einem unzugänglichen Licht wohnenden Gott je gesehen hat (Joh 1,18a; 6,46; I Tim 6,16; I Joh 4,12). Denn damit ist nicht die grundsätzliche Unkenntlichkeit Gottes gemeint, sondern der Aspekt seines transzendentalen und personalen Geheimnisses, welches Gott als von sich aus Redender und Handelnder selbst in der menschlichen Geschichte erschließt: „[…] der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt“ (Joh 1,18b). Zugleich deutet sich hier eine weitere zentrale hermeneutische Bedingung angemessener Gotteserkenntnis an, nämlich die Tatsache, dass sich die trinitarische Selbsterschließung Gottes in der gegenseitigen Abhängigkeit bzw. Interdependenz von Wort- und Tatoffenbarung vollzieht. Weil sich die biblisch bezeugte Wort- und Tatoffenbarung Gottes in gegenseitiger Bestätigung zu einer großen Geschichtslinie verbindet, wird die authentische44 personale Selbsterschließung Gottes ermöglicht: Der sich im Heiligen Geist und im Sohn Jesus Christus auch als himmlischer Vater erschließende dreieinige Gott erweist sich nämlich nicht nur als verkündigtes Objekt der Gotteserkenntnis, sondern auch als bleibendes Subjekt dieser in der Heilsgeschichte sich vollziehenden Erkenntnis. Wie Gott im Heiligen Geist den Menschen die im Wort bezeugte Geschichte ihres Heils existentiell erfahrbar werden lässt, so steht in Christus die Tat des von Gottes Liebe erzählenden Wortes vor Augen, wobei der verkündigte Christus als Auferstandener im Heiligen Geist selbst das Werk der Verkündigung weiter vorantreibt (der Verkündigte ist zugleich der Verkündiger).
Da im Kontext dieses biblischen Offenbarungsbegriffs die Dimension des Geheimnisses nicht wie in neuplatonisch oder aufklärerisch geprägten theologischen Traditionen auf Über-Rationales oder die Unbegreiflichkeit Gottes verweist, sondern auf das in der personalen Selbsterschließung offenbare Geheimnis, ist Gott weder schweigend als unsagbar zu bejahen (Mystik) noch atheistisch als undenkbar zu negieren oder theistisch im Rückschlussverfahren abzuleiten. Vielmehr ist er als personales Geheimnis in seinen selbsterschließenden Worten und Taten ernst- und wahrzunehmen.
Dann werden auch die heilsrelevanten Inhalte der christologischen und pneumatologischen Selbsterschließung des dreieinigen Gottes erkennbar, was hier zunächst nur grundsätzlich im Blick auf die Erkenntnismöglichkeiten erörtert wird. Die christologische Selbsterschließung lässt erkennen, dass sich Gott der Vater in seinem ewigen Sohn bzw. seinem ewigen Wort (Logos) als sein eigenes innertrinitarisches Bild offenbart (Joh 14,9), in welchem er sich selbst aussagt und selbst Ziel und Gemeinschaft ist. Dabei tritt durch die Identität des Wortes Gottes mit Gott (Joh 1,1) nicht nur die sprachliche Konstitution Gottes hervor, sondern auch die wesensmäßige Voraussetzung dafür, dass sich die Selbstmitteilung Gottes an die ebenfalls sprachlich konstituierten Menschen im Sohn (Logos) vollzieht. Weil der Sohn sowohl das Bild Gottes (Kol 1,15) als auch das Bild des wahren Menschen verkörpert, insofern als die Menschen nach dem Bild des Sohnes geschaffen wurden (Kol 1,16f.), erklärt sich, warum der sprachlich und personal konstituierte Mensch Ebenbild Gottes ist (imago Dei), warum gerade der Sohn Mensch wurde und warum im Sohn Gottes wahre Gottes- und Menschenerkenntnis gegeben ist. Denn in ihm wird sowohl die innergöttliche liebende Antwort des Sohnes an den Vater offenbar als auch die vertrauensvolle Glaubensantwort der Menschen an den himmlischen Vater. Deshalb vermittelt der Sohn das Wort des Angebots und des Lebens, das den Menschen in der Freiheit ihrer Ansprechbarkeit die Freiheit der lebensbejahenden Antwort ermöglicht.
Die Annahme dieses Angebots und die damit verbundene freiheitliche Liebesgemeinschaft der Menschen mit Gott werden durch die pneumatologische Selbsterschließung Gottes gewährt. Denn der Heilige Geist erschließt innertrinitarisch den Vater für den Sohn und umgekehrt, wobei er ermöglicht, dass beide nicht in egoistischer Liebe aufgehen, sondern sich auf einen Dritten beziehen können, den Heiligen Geist. Deshalb gewährt der Geist eine vollkommene heilige Gemeinschaft der Liebe, was sich im Begriff Heiliger Geist widerspiegelt. Weil der Geist das innergöttliche Leben auf die freie Gemeinschaft der Liebe hin öffnet und vollendet, kommt ihm seinem Wesen entsprechend in der Heilsgeschichte die Aufgabe zu, die Gemeinschaft freier personaler Liebe zwischen Gott und Mensch sowie zwischen den Menschen untereinander zu eröffnen und zu vollenden. Die der menschlichen Transzendenz eingepflanzte Hoffnung auf Vollendung gelangt im Heiligen Geist zum Ziel. Insofern als der Heilige Geist der Vollzug der innergöttlichen Gemeinschaft der Liebe in Person ist, verkörpert er nicht nur die Gabe göttlichen Lebens und göttlicher Liebe, sondern auch den personalen Geber dieser Gabe. So wird der Heilige Geist den Menschen einerseits als Gabe zuteil, indem die Menschen die von ihm verliehenen Charismen (Gnadengaben) erhalten, während er andererseits als Geber das personale Gegenüber der Menschen zu bleiben vermag und so die Gleichzeitigkeit von „Gegenüber und Nähe“ Gottes garantiert. Damit realisiert der Heilige Geist selbst noch einmal, was das trinitarische Wesen Gottes ohnehin schon ermöglicht, wenn etwa der unsichtbare Vater als bleibendes Gegenüber den Menschen in der Inkarnation seines Sohnes ganz nahe kommt. Durch diese Struktur von „Gegenüber und Nähe“ Gottes kann eine freie personale Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch entstehen, die die Personalität der Gottheit Gottes ebenso zulässt wie die Personalität der Menschlichkeit des Menschen („wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ – II Kor 3,17). Auf diese Weise wird die pneumatologische Selbsterschließung Gottes sowohl dem Wesen Gottes als auch dem Wesen des Menschen gerecht, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass der Geist in der Schöpfung waltet (Schöpfergeist), die er in Vergegenwärtigung des Christusheils heiligt, um sie zur eschatologischen Vollendung zu führen.
Soll die Selbsterschließung des dreieinigen Gottes nicht der Gefahr einer spekulativen Konstruktion des innertrinitarischen Wesens ausgesetzt werden, bedarf es der Orientierung an der biblisch bezeugten heilsgeschichtlichen Selbstmitteilung der trinitarischen Personen. Von daher ist die immanente (Wesens-) Trinität nur durch die ökonomische (heilsgeschichtlich erschlossene) Trinität zu erkennen. Diese Erkenntnisordnung (ökonomisch→immanent) ist allerdings von der das göttliche Wesen betreffenden Seinsordnung (immanent→ökonomisch) zu unterscheiden: Zwar bilden die heilsgeschichtlichen Sendungen erkenntnistheoretisch die Voraussetzung für die Wahrnehmung der ewigen innertrinitarischen Hervorgänge, aber umgekehrt liegt in der innertrinitarischen Seinsstruktur die ontologische Voraussetzung für die heilsgeschichtliche Selbsterschließung: „Gott wird als dreieiniger Gott in der Heilsgeschichte im Glauben erfahren und erkannt, aber er wird nicht erst in dieser Geschichte zum dreieinen Gott. Er ist dieser vielmehr immer schon, ja seine lebendige dreieinige Lebensgemeinschaft ist seinsmäßige Voraussetzung dafür, daß Gott als er selbst über sich selbst hinaustreten und sich uns als er selbst in der Geschichte offenbaren will und kann“45, und zwar in freier und ungeschuldeter Selbsterschließung für das Heil der Menschen, um diesen Anteil an seiner in sich selbst schon vollkommenen Liebe zu geben.
Dabei ist es für die Gottes- und Heilsgewissheit maßgeblich, dass es Gott selbst ist, der sich im Sohn und im Geist erschließt, da sonst keine definitive Gotteserkenntnis und keine definitive Heilszueignung gegeben wären. Entgegen der Annahme Immanuel Kants (1724–1804), die Trinitätslehre enthalte keinerlei praktische Bedeutung,46 erweist sich somit die zentrale hermeneutische Relevanz der trinitarischen Selbsterschließung Gottes. Denn allein die heilsgeschichtlich gewährte Gemeinschaft mit dem trinitarischen Gott entspricht wahrer göttlicher und menschlicher Personalität und offenbart diese, woraus letztgültige Heilsgewissheit erwächst: „Heil ist intensive Gemeinschaft mit Gott […]. Mit dem Kommen des Heiligen Geistes und des Glaubens kommt der dreieinige Gott selbst zum Menschen, um in ihm Wohnung zu nehmen.“47 Selbstgewissheit sowie Gottes- und Heilsgewissheit kann der Mensch aufgrund seiner ambivalenten Selbsttranszendenz nicht aus sich erlangen, sondern nur durch den empfangenden Glauben. Weil der Mensch noch unter den Bedingungen der von Gott entfremdeten Welt erkennen darf, dass Gott und Mensch in der Liebe dasselbe Geheimnis teilen, erweist sich die trinitarische Selbsterschließung Gottes als das Heilsmysterium des Menschen. Dieses wird sowohl im Kontext der natürlichen Anknüpfungspunkte (vestigia trinitatis) als auch in Überwindung der natürlichen Entfremdungen (Krisis) erfahrbar: „Die [trinitarische] Offenbarung ist also die Bestimmung des unbestimmtoffenen Geheimnisses des Menschen, seiner Welt und Geschichte.“48 Um die im Heiligen Geist ermöglichte Gewissheit über die in Christus offenbarte Wahrheit der von Gott geschenkten Schöpfungs- und Heilswirklichkeit zu erlangen, öffnet sich der Glaube der Liebe Gottes und nimmt sie an. Da der – Gottes Heilshandeln gegenüber – passive Glaube sich so zugleich als aktive Glaubensantwort erweist49, ist er weder mit synergistischen Vorstellungen (z.B. Werkgerechtigkeit) noch mit deterministischen Vorstellungen (z.B. doppelte Prädestination) zu vereinbaren (siehe Kap. X,2.3).
Die durch die Offenbarungserkenntnis zuteil gewordene Gewissheit wird erst dann zu einem daseinsbestimmenden Vertrauen, wenn sich der Mensch im Glauben existentiell darauf einlässt.50 Insofern als die Erkenntnisbedingungen dem Erkenntnisgegenstand zu entsprechen haben, verlangt die im Wort vollzogene und sich im Heiligen Geist vergegenwärtigende Selbsterschließung Gottes mit ihrer Heils-Anrede eine empfangende Hermeneutik, welche die Glaubensantwort als personale Selbstübereignung des Menschen an Gott beinhaltet. Denn die menschliche Freiheit der Ansprechbarkeit ist ausgerichtet auf die Freiheit der Antwort auf Gottes Heilszusage, in der die Menschen zu ihrer eigentlichen Entsprechung finden, weil Liebe, Gemeinschaft und Glaube die zerstörerische Selbstbegründung bzw. -behauptung des Menschen überwinden. Auf diese Weise wird das Wesen der auf Gottes Liebe angewiesenen menschlichen Existenz ebenso ernst genommen wie das Wesen Gottes, den man in der Offenheit für seine Selbsterschließung Gott sein lässt.
6.Glaube und Vernunft
Weil der Mensch in seiner Kreatürlichkeit aus Gottes Liebe lebt und Gott ihm diese Liebe immer wieder zusagt, ist der Glaube als vernünftig zu bezeichnen. Denn er kann in empfangender Öffnung die vom verborgenen Gott gegebene Heilszusage als Heilsgewissheit erlangen. Die Vernunft ist vernünftig, wenn sie dem geschenkten Heil „nach-denkt“, in der Einsicht, dass sie Gott aus sich selbst nicht ergreifen bzw. konstruieren kann. Glaube und Vernunft sind aufeinander angewiesen, da nur der Glaube die natürlichen Voraussetzungen auf ihre eigentliche Bestimmung hin befragen kann, während die Vernunft die nachvollziehbare Universalität des Glaubens ermöglicht. So ist weder eine Trennung noch eine Identifizierung von Glaube und Vernunft angemessen.
Es wurde deutlich, dass der empfangende Glaube die einzig angemessene und ursprüngliche Weise ist, auf die der Mensch die im göttlichen Wort angebotene Heilsgemeinschaft annehmen kann. Denn aufgrund der menschlichen Selbsttranszendenz, die den Aspekt des Geheimnisses und die Grenzen menschlicher Erkenntnis beinhaltet, ist der sprachlich und personal konstituierte Mensch auf die Heils-Anrede Gottes angewiesen, der er sich vertrauensvoll im Glauben überlassen darf. Damit entspricht der Mensch sowohl seiner kreatürlichen Angewiesenheit auf die Liebe des Schöpfers als auch dem Angebot der hingebungsvollen Liebe Gottes, der sich als vollkommene Liebesgemeinschaft offenbart. So erkennt die „vernünftige Vernunft“ die Vernünftigkeit des Glaubens, dessen Wesen der trinitarisch erschlossenen Gleichzeitigkeit von Verborgenheit und Sichtbarkeit Gottes entspricht („Gegenüber und Nähe“). Denn nur der Glaube vermag in empfangender Öffnung die vom verborgenen Gott (Gegenüber) definitiv zugesagte Gottes- und Heilsgewissheit (Nähe) zu erlangen.51
Eine dem Glauben entsprechende Vernunft ist vernünftig, wenn sie dem Ergriffen-Sein von dieser Gemeinschaft mit Gott auf reflexe Weise nach-denkt, zumal wenn sie sich eingesteht, dass sie aufgrund der kosmologischen und anthropologischen Selbsttranszendenz und der Verborgenheit Gottes nicht in der Lage ist, Gott selbst zu ergreifen bzw. zu konstruieren. Deshalb hat sich die Vernunft im Glauben der Selbsterschließung Gottes zu öffnen. Damit geht es auch für die Vernunft darum, ob sie als selbstbehauptende Vernunft fungiert und „zuerst bei sich“52 ist, wie es in einigen durch die Aufklärung vertretenen Vorstellungen von der autonomen menschlichen Vernunft zum Tragen kommt (siehe Kap. VI,1), oder ob sie in empfangender Hermeneutik Offenheit für die Anrede von außen zeigt. Erst durch solche Anrede kann die Infragestellung bisheriger „natürlicher“ Vernunfterkenntnis erfolgen (Krisis), indem etwa durch die Heils-Anrede Gottes die selbstbehauptende Verkehrung der eigentlichen menschlichen Bestimmung hervortritt. Umgekehrt vollzieht sich diese Heils-Anrede im Kontext der „natürlichen“ Schöpfungsvoraussetzungen, die der Vernunft direkt zugänglich sind. So partizipiert die Vernunft im heilsgeschichtlich-trinitarischen Zusammenhang von Schöpfung, Erlösung und Vollendung sowohl an den natürlichen Voraussetzungen des protologischen Lebensodems der Schöpfung als auch an der eschatologischen Geist-Gabe Christi. Diese knüpft wiederum an die natürlichen Voraussetzungen an, indem die Gnade sich die Natur voraussetzt und diese kritisch auf ihre Verkehrungen hin befragt, wodurch die Natur auf ihre eigentliche Wahrheit angesprochen wird. Zugleich ist der Glaube auf die Universalität und Vernünftigkeit des in ihm enthaltenen Sinnziels ausgerichtet, weil er Rechenschaft gegenüber allen Menschen geben soll (I Petr 3,15). Deshalb gilt auch: Der Glaube fragt nach der Vernunft (lat. fides quaerens intellectum).






