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„Bingo!“, rief sie fast laut. „Ich hab’s gewusst, ein Wollfetischist. Das wird Leila auch freuen.“
Sie überlegte, ob sie sich über den schlafenden Ben hermachen sollte, liess es aber bleiben, da sie nicht sicher war, ob die Frauen zurückkommen. Einen Schlüssel zum Schliessen fand sie auch nicht. Sie löschte das Licht im Korridor, öffnete leise die Schlafzimmertür und verliess Bens Wohnung und machte sich auf den Heimweg, um ihrer Tochter die Neuigkeiten zu erzählen.
„Und, was denkst du?“, fragte Kala gespannt. „Willst du ihn schon zu Hause abfangen, wenn er auf dem Weg ins Geschäft ist? Morgen geht er nicht zur Arbeit. Aber übermorgen könnte er wieder gehen.“
„Woher weißt du das?“
„Aus einem Zettel, den eine der Tussen geschrieben hatte. „Er solle zuhause bleiben und sich erholen, stand geschrieben.“
„Von was erholen?“
„Was weiss ich. Vielleicht ist er ja wirklich krank. So hat er heute Abend auch ausgesehen. Total fertig. Konnte kaum laufen.“
„Was waren das für Tussis?“
„Ich weiss es nicht. Ich glaube nicht, dass es ‚Schwestern’ waren. Höchstens eine. Die kam mir ein wenig bekannt vor. Aber ich konnte das Gesicht nicht genau sehen.“
„Wenn es ‚Schwestern’ waren, dann kannst du ihn morgen vergessen. Dann wird er so fertig sein, dass er frühestens übermorgen oder gar noch einen Tag später wieder fit sein wird“, ereiferte sich Leila. Sie war aufgestanden und unruhig im Wohnzimmer hin- und hergelaufen.
„Wir müssen einen Plan entwerfen, wie wir ihn uns schnappen können, bevor die anderen sich wieder ihm widmen“, sagte Leila.
„Und wie soll der Plan aussehen?“
„Weißt du, wo der Kerl arbeitet?“, wollte Leila wissen. Sie war nun ziemlich aufgeregt.
„Nein, aber das kann ich raus finden. Gib mir zwei oder drei Tage.“
„Spinnst du! Zwei bis drei Tage! Wir müssen das sofort wissen. Ich habe da nämlich eine Idee“, lächelte Leila verschmitzt. Ihre grünen Augen glühten vor Entschlossenheit. „Komm setzt dich zu mir her!“
Leila hatte sich aufs Sofa gesetzt und das iPad auf den Schoss genommen. „Wo hast du die drei zuerst gesehen? An welcher Strasse? Hat es da grössere Firmen?“
Kala nannte die Strasse und ein zwei Firmen, die ihr spontan einfielen. Leila suchte mittels Google-Map die Strasse und eruierte noch zwei andere Firmen.
Nun rief sie die Firmen im Internet auf, um eventuell an ein Organigramm der Firma zu gelangen. Bei der ersten Firma wurde sie fündig.
„Schön“, sagte sie freudig, „da haben wir doch was. Wie war der Name des Kerls?“
„Ich habe nur Ben rausgefunden. Auf der Klingel stand auch kein anderer Name.“
„So wird das nichts. Bist du denn unfähig? Es gab doch sicher auch einen Briefkasten. Dort müsste ja der Nachname auch stehen, sonst kriegt der ja keine Post.“
„Du hast Recht“, antwortete Kala kleinlaut.
„Also suchen wir mittels Google-Map zuerst seine Adresse. Vielleicht werde ich ja dann im Telefonbuch fündig.“
Leila suchte nun Bens Adresse und schaute dann im Telefonverzeichnis nach.
„Na, also, da haben wir ihn ja: Ben Benjamin. Kein Wunder, schreibt der nur Ben an die Hausglocke.“
Sie suchte nun im Organigramm der ersten Firma, ob es dort einen Ben Benjamin gibt.
„He, he, erste Firma: Volltreffer! Der arbeitet in der Buchhaltung. Siehst du, sogar mit Foto ist der drin.“
„Ja, das ist er!“, rief Kala hoch erfreut. „Du bist ein Genie!“
„Ach, das ist doch nichts, kleine Recherche, weiter nichts“, machte Leila bescheiden, war aber insgeheim schon stolz, alles so schnell rausgefunden zu haben.
„So, nun brauchen wir noch seinen Vorgesetzten oder einen Mitarbeiter.“
„Für was?“, fragte Kala, die nichts wirklich begriff.
„Überleg mal“, sagte Leila nur und schaute höher im Organigramm.
„Du, da ist die eine Frau, die Ben begleitete, die Schwarze. Sie arbeitet mit ihm zusammen.“
„Bist du sicher?“
„Ja, die muss auch den Zettel geschrieben haben. Wie heisst sie? Tanja steht da. Ich bin mir fast sicher, dass Tanja auf dem Zettel stand.“
„Ich will aber den Vorgesetzten. Da haben wir ihn ja, oder besser da haben wir sie ja. Eine Frau. Der rufen wir morgen an.“
„Wir rufen sie an, wieso denn das? Was kann die uns nützen?“
„Das gehört zu meinem Plan. Ich muss wissen, wie ihre Stimme tönt.“
„Ah, ich verstehe“, nickte Kala, die aber rein gar nichts verstand.
„Was will ich denn bei ihr erreichen?“, fragte Leila schlitzohrig, weil sie genau wusste, dass ihre Mutter nichts verstanden hatte.
„Öhm...äh…“, stammelte Kala wie von Leila erwartet.
„Wenn ich weiss, wie ihre Stimme tönt, dann kann ich sie auch nachmachen, verstehst du? Dann rufe ich Ben an und gebe mich als seine Chefin aus.“
„Ja, und dann?“
„Ach, Gott, bist du begriffsstutzig. Ich sage ihm, dass wir ihn dringend im Geschäft brauchen. Er müsse so schnell wie möglich im Büro antraben. Wir, resp. du wartest vor dem Haus, gut versteckt, auf ihn. Sobald er in die Strassenbahn steigt, rufst du mich an. Ich werde dann an der nächsten Haltestelle einsteigen. Dann kriegen wir ihn bestimmt. Du fährst dann schleunigst mit dem Auto nach Hause und hältst dich bereit, wenn ich mit ihm komme.“
„Genial, einfach genial!“, rief Kala. „So kriegen wir ihn bestimmt. Ich freue mich schon.“
„Ja, und ich mich erst“, lachte Leila und fuhr sich mit der Zunge lasziv über die Lippen. „Ich benötige dringend einen Schwanz. Bin schon richtig auf Entzug.“
„Was soll ich denn sagen?“, jammerte ihre Mutter. „Bei mir ist schon bald Ende Feuer, wenn ich nicht bald was kriege.“
Die beiden Frauen gingen schlafen, voller Vorfreude auf den morgigen Tag, den sie kaum erwarten konnten.
Erwischt!
Ben lief zum klingelnden Telefon. „Wer mag das sein? Vielleicht Tanja oder gar Isabelle?“, fragte er sich. Die Nummer war unterdrückt.
„Ben“, meldete er sich.
„Ja, hallo Ben, ich bin’s, Anita“, sagte die Frau am anderen Ende. „Wie geht es dir? Bist du sehr krank?“
„Ha…hallo Chefin“, antwortete Ben ganz verdutzt. Er nannte seine Vorgesetzte immer Chefin. Nie beim Vornamen. Es war eine Marotte von ihm. „Es geht, fühle mich ein bisschen schwach.“
„Bitte komm trotzdem am Nachmittag ins Geschäft. Wir ertrinken in Arbeit. Ich werde mich dann ein anderes Mal auch erkenntlich zeigen. Geht das?“
„Do..doch, Chefin, geht klar. Ich bin in einer Stunde bei euch. Bis dann.“
„Vielen Dank für dein Verständnis. Bis später.“
Ben war nicht gerade begeistert, als er unter die Dusche ging. Er fühlte sich schon schwach, aber er konnte doch der Chefin keinen Korb geben. Sie schaute immer, dass es ihren Mitarbeitern gut ging und drückte öfters mal ein Auge zu, wenn er mal ausserordentlich frei wollte.
Die Dusche und danach das Red Bull halfen ein wenig, wieder auf den Damm zu kommen. Aber er war noch lange nicht der Alte.
Missmutig schlenderte Ben zur Tramstation. Er hatte sich, wie am Vortag, mit einem Polohemd bekleidet. Es war um einiges kälter als gestern. Als er aufs Tram wartete, wurde es ihm ziemlich kalt und er erwähnte ernsthaft, nochmals nach Hause zu gehen und sich was anderes anzuziehen, etwas Wärmeres. Doch er liess es bleiben, da er in diesem Augenblick die Strassenbahn um die Ecke kommen sah.
Um diese Zeit, waren nicht so viele Leute im Tram. Er wohnte in einem Aussenquartier und die meisten Leute waren in der Innenstadt am Essen. Zudem hatte es nicht viele Bürogebäude in der Nähe.
Er setzte sich, ganz entgegen seinen Gewohnheiten, auf einen Zweierplatz auf der linken Seite, stützte den linken Arm auf die Fensterumrandung und sein Kinn in die Handfläche und schaute teilnahmslos zum Fenster raus. So beachtete er nicht die hübsche, schwarzhaarige Frau, die an der nächsten Haltestelle wartete.
Sie stieg zuhinterst ein und sah Ben sofort. Sie war in ihren schwarzen, langen Poncho mit engem Rollkragen gekleidet. Sie hatte sich geschminkt und ein verführerisches Parfum aufgetragen, welchem noch kein Mann hatte widerstehen können.
Da diese Haltestelle ein Knotenpunkt war, stiegen auch verhältnismässig viele Leute ein. Die freien Plätze waren schnell besetzt. Leila beeilte sich, schlängelte an den Unentschlossenen vorbei und setzte sich dicht neben Ben.
Mit Absicht trat sie ihm auf die Füsse. Ben wollte unwirsch antworten, als Leila sich entschuldigte, brachte aber vor lauter Staunen kein Wort heraus.
„Heilige Scheisse, das ist sie, wirklich, das ist sie, die Frau mit dem geilen Poncho“, flippte Ben gedanklich fast aus. „Welch ein Zufall…und sie setzt sich zu mir. Ich Glückpilz!“
Er hatte sich schnell gefasst und sagte: „Kein Problem. Das kann schon mal passieren. Vor allem dann, wenn ich meine Füsse nicht bei mir halten kann.“
Ben spürte die feine, weiche Wolle auf seinem rechten Arm. Er roch ihr verführerisches Parfum, sah in die grünen Augen und war hin und weg.
„Da bin ich froh, dass ich dir…ich darf doch du sagen?“
„Ja, sicher.“
„Ja? Also, dass ich dir nicht wehgetan habe“, sagte sie mit samtweicher Stimme.
„Nein, nein“, sagte Ben mit einem Ansatz von einem Kloss im Hals, „da braucht es mehr, um mir weh zu machen.“
Leila machte es sich nun recht bequem, setzte sich richtig Platz füllend hin, drückte den linken Ellenbogen raus, damit der Poncho sich noch mehr über Bens Arm legte.
Ben seinerseits machte sich auch breiter, um noch mehr von der Wolle zu spüren. Trotz seiner Schwäche spürte er seinen kleinen Ben, wie er sich zu erheben versuchte.
„Fährst du immer mit dieser Linie?“, fragte Leila.
„Ja, eigentlich schon, nur viel früher. Ich muss heute erst später zur Arbeit. Und du? Fährst du oft mit dieser Linie?“
„Ab und zu“, antwortete Leila ausweichend. „Was arbeitest du?“
„Ich bin in der Buchhaltung. Also nichts so Spannendes.“
„Buchhaltung? Da hast du viel mit Zahlen und so. Ich liebe Zahlen und Buchhaltung. Das geht immer so schön auf“, schwärmte Leila. „Da hast du es sicher sehr streng, nicht? Gerade jetzt, am Monatsanfang?“
„Ja, deshalb muss ich hin, obwohl ich eigentlich krankgeschrieben bin.“
„Du bist krankgeschrieben? Hoffentlich nichts ernstes, was Ansteckendes?“
„Nein, bin gestern nur ein wenig vers…es war mir Übel, deshalb war ich heute Morgen zuhause“, redete sich Ben raus.
Er wusste ja nicht, dass Leila Bescheid wusste, dass sie es gewesen war, die sich als Anita, seine Chefin ausgegeben hatte. Sie hatte so gegen 10 Uhr angerufen und die Buchhaltung verlangt. Direkt wurde sie zu Anita weiter geleitet. Sie gab sich als jemand von der Steuerverwaltung aus und erkundigte sich, ob ein Ben Benjamin bei ihr arbeite. Anita gab bereitwillig Auskunft und erzählte Leila, dass Ben krank sei, morgen aber zur Arbeit erscheinen werde.
„Ach so“, sagte Leila verständnisvoll. „Ich heisse übrigens Leila.“
„Leila? Ein schöner Name. Ich bin Ben. Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.“
Er drückte sich noch ein bisschen näher an Leila ran. Er spürte die Wolle jetzt noch intensiver als vorher. Er hatte das Gefühl, als ob sich die Wolle um seinen Arm wickle. Ihm wurde richtig warm. Es kribbelte am ganzen Arm. Ben wurde spitz, aber nicht so richtig, wie er sich das sonst gewohnt war. In solchen Momenten platzte sein Penis fast aus der Hose, doch heute wollte das Blut nicht richtig fliessen.
„Ich werde wohl gestern für eine Weile genug bekommen haben!“, dachte er und lächelte Leila an.
„Danke. Freut mich auch, deine Bekanntschaft zu machen, Ben“, flötete Leila. „Kommst du noch auf einen Kaffee? Ich muss an der nächsten Haltestelle aussteigen.“
Ben überlegte kurz, sagte dann aber mit Bedauern in der Stimme: „Leider kann ich nicht, ich werde dringend erwartet. Aber vielleicht ein anderes Mal?“
„Schade“, sagte Leila mit einem enttäuschten Gesicht. „Kann ich dich nicht irgendwie überreden?“ Sie legte ihren linken Arm auf seinen.
Ben spürte ihre Körperwärme, roch das verführerische Parfum und spürte die unheimlich anziehende Wolle, aber er konnte und durfte ihr nicht zusagen. Wenn er was versprochen hatte, dann hielt er es unter allen Umständen. Er war sehr zuverlässig. Das schätzten seine Mitmenschen an ihm. Zudem dachte er an Isabelle. Er wusste nicht, was sich daraus entwickeln würde und wollte nicht für einen kleinen Flirt etwas vielleicht Länger Währendes aufs Spiel setzen. Andererseits könnte sich ja auch mit Leila, die ihm wirklich sehr gefiel, etwas Dauerhaftes entwickeln. Aber wenn dem so sein sollte, dann würde es nicht auf nur diesen einen Kaffee ankommen. Deshalb sagte er: „Tut mir leid, Leila, aber ich kann wirklich nicht.“
Leila zog alle Register. Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte ihm ins Ohr: „Du siehst so gut aus, ich will dich unbedingt näher kennen lernen.“
Normalerweise hätte er nicht nein sagen können, wenn eine Frau ihm ins Ohr flüsterte. Das war auch so eine erogene Zone von ihm. Doch heute blieb das ohne Wirkung, weshalb Ben, zwar mit Bedauern in der Stimme aber doch bestimmt sagte: „Leila, es tut mir leid, aber ich kann und will nicht. Ich muss dringend zur Arbeit.“
Sie sah ihn an, ihre grünen Augen blitzten auf und mit eisiger Stimme flüsterte sie ihm ins Ohr: „An der nächsten Haltestelle kommst du mit!“
Ben fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Er spürte, wie sich Leila seinen Arm krallte. Nein, es war nicht Leila, es war der Poncho. Der entwickelte ein Eigenleben. Ben wollte die rechte Hand wegziehen, doch die war schon von der Poncho wolle umwickelt und wurde wie mit einem Schraubstock festgehalten. Die Wolle kratzte und kribbelte sehr stark.
„Was soll das?“, fragte Ben. „Lass mich sofort los, sonst…“
„…sonst was?“ fiel sie ihm ins Wort. „Du bist in meiner Gewalt. Du musst mit mir aussteigen. Wehrst du dich, so werde ich schreien, du hättest mich angefasst. Weißt du, wie schnell wäre dann die Polizei hier. Es sieht jeder, dass du deine Hand unter meinem Poncho hast. Und, glaube mir, ich kann sehr, sehr überzeugend sein. Du würdest es so oder so nicht mehr zur Arbeit schaffen.“
Ben war ganz bestürzt. Was wollte Leila von ihm? Um einen Kaffee konnte es ganz gewiss nicht gehen. Aber, was hatte sie vor?
„Du hast die Wahl“, flüsterte Leila. Sie hatte sich im zugedreht und legte ihre rechte Hand auf seine Knie und schaute ihm in die Augen. „Entweder Polizei oder du folgst mir.“
Ben schluckte zweimal leer, schaute Hilfe suchend aus dem Fenster, wusste aber keinen Ausweg. Er konnte es sich nicht leisten, eine Vorstrafe zu haben, wegen sexueller Belästigung. Nicht in seinem Beruf.
„Also, was ist? Soll ich los schreien?“
„Nein, du hast gewonnen. Ich folge dir“, sagte Ben zerknirscht.
„Schön, bist du vernünftig. Du brauchst es auch nicht zu bereuen“, versicherte ihm Leila.
Sie standen beide auf und Ben musste ihr hinterher durch den Gang zur Türe gehen. Seine rechte Hand war im Poncho verschwunden. Es fühlte sich an, als ob er Handschuhe tragen würde. „Wie macht sie das?“, fragte er sich. „Sie muss eine Tasche eingearbeitet haben, in welche sie meine Hand rein zog.“
Er versuchte die Hand rauszuziehen, doch hielt ihn Leila zusätzlich fest. „Bemühe dich nicht, da raus zu kommen. Es wird dir nicht gelingen“, sagte sie zurückblickend.
Sie stiegen aus. Eine Haltestelle früher, als er normalerweise ausstieg. Er schaute sich um, ob er jemanden kannte. Doch er sah, zu seinem Leidwesen, niemanden. „Warum sind ‚meine’ Girls heute nicht zum Shopping unterwegs?“, dachte er.
Leila ging ziemlich schnell die Strasse entlang, Ben neben sich herziehend. Ben betrachtete die schöne, aber gar nicht mehr so nette Frau, von der Seite her. Ihre langen schwarzen Haare fielen weit über den Rücken hinab. Sie war unwesentlich kleiner als er und musste ziemlich schlank sein. Dem Vorstehen des Ponchos gemäss, musste sie jedoch ziemlich grosse Brüste haben. „Vielleicht hat sie auch noch einen dicken Bauch“, dachte Ben. Sie gefiel ihm. Sie war eigentlich sein Typ. Er roch das verführerische Parfum und schon sah er das Ganze nicht mehr so eng. „Vielleicht wird es ja ganz gut“, dachte er. „Von der Bettkante würde ich sie ganz sicher nicht stossen. Aber freiwillig sollte es schon sein.“
Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht richtig mit bekam, wohin sie gegangen waren. Auf einmal standen sie vor einem alten Haus.
Wie von Zauberhand öffnete sich die Eingangstüre. Sie traten in einen dunklen Korridor. Es brannte kein Licht. Nur ein wenig Restlicht von einem entfernten Fenster brachte ein wenig Licht ins Dunkel. Gerade so viel, dass sie sehen konnten, wohin sie gingen. Leila stiess einen Flügel der verglasten Schwingtüre auf und ging mit Ben durch.
Sie gingen den Korridor entlang. Nach ein paar Metern öffnete sich zu linker Hand eine Türe.
Leila drückte Ben unter dem Türzargen durch und schubste ihn ganz in den Raum. Der Poncho löste sich von Bens Hand und ehe er sich versah, schloss sich die Türe hinter ihm. Er stand alleine in einem stockdunklen Raum, in welchem er nicht die Hand vor den Augen sah.
Vermisst
„Ist Ben da?“, fragte Isabelle, als sie bei Tanja in die Buchhaltung kam.
„Nein, der ist doch daheim und erholt sich.“ Tanja lachte verschmitzt. Da sie immer so schnell kalt hatte, hatte sie sich heute besonders warm angezogen. Sie trug einen dicken, roten Mohairpullover und schwarze Jeans.
„Ist er eben nicht! Ich wollte mal hören, wie es ihm geht und rief ihn an. Doch er antwortete weder auf dem Handy noch auf dem Festnetz.“
„Dann wird er nicht abheben wollen und schlafen oder sonst was machen, wobei er nicht gestört werden will“, meinte Tanja mit einem Augenzwinkern.
„Er ist zwar jung, aber ich bin mir sicher, dass er sicher nichts von dem machen kann, was du wieder meinst.“
Tanja kicherte. Anita kam die Türe rein und brachte Tanja ein paar Belege. Sie hatte gehört, dass sie von Ben gesprochen hatten und sagte: „Ben ist doch krank. Der sollte doch zuhause erreichbar sein.“
Ist er eben nicht!“, sagte Isabelle zum zweiten Mal. „So wie es ihm gestern ging, kann er heute doch schon unmöglich wieder unterwegs sein.“
„Vielleicht ist er doch unterwegs“, meinte Anita. „Da hat heute Morgen eine Frau von der Steuerverwaltung angerufen und sich erkundigt, ob ein Ben Benjamin bei uns arbeite. Sie hat noch ein paar Fragen gestellt und ich habe ihr gesagt, dass Ben krank ist und zuhause erreichbar sei. Ich habe ihr seine Telefonnummer gegeben. Vielleicht musste er ja zum Steueramt oder sie ist zu ihm gegangen.“
„Aber Anita“, sagte Tanja. „Du solltest doch wissen, dass Steuerämter, wenn sie was von dir wollen, nicht anrufen, sondern schreiben. Und sollten sie trotzdem mal anrufen, dann sicher nicht ins Geschäft und die Chefin ausfragen.“
„Ich glaube auch“, meinte nun Isabelle, „dass da was nicht stimmt.“
„Wie hat die Frau geheissen?“, wollte Tanja wissen.
„Ich kann’s beim besten Willen nicht sagen. Sie hat zwar einen Namen genannt, aber ich habe den nicht verstanden. Bevor ich zurückfragen konnte, hatte sie mich schon so ins Gespräch verwickelt, dass ich gar nicht mehr dazu kam.“
„Soll ich mal bei Ben vorbei gehen und schauen, ob alles in Ordnung ist?“, fragte Isabelle.
„Ja, das finde ich eine gute Idee“, meinte Tanja. „Ich komme mit.“
„Nein“, sagte Anita, „du kannst nicht mitgehen. Ich brauche dich hier. Wenn du gehen willst, dann musst du warten bis um fünf. Dann kannst du gehen. Ich kann nicht auch noch auf dich verzichten. Du weißt, wir müssen bis morgen Abend fertig sein.“
„Das schaffen wir locker, so ein eingespieltes Team wie wir sind. Ich bin schon fast fertig, obwohl ich Bens Aufgaben auch noch übernommen habe. Zudem hat er am Montag schon sehr viel erledigen können, am Morgen.“
„Meinst du?“, fragte Anita skeptisch.
„Ja, sicher. Ausserdem müssen wir ja erst mit dem Reporting am anderen Morgen beginnen. Wir haben also noch eine Reserve.“
„Also gut, dann geht halt in Gottes Namen. Meldet euch, wenn ihr was wisst.“
„Danke, Chefin. Das werden wir bestimmt machen.“
„Danke, Anita. Wir werden dich auf dem Laufenden halten“, versicherte auch Isabelle.
Tanja nahm ihren weissen Wollmantel vom Garderobenständer, legte ihn über beide Schultern, ohne mit den Armen in die Ärmel zu schlüpfen und verliess mit Isabelle ihr Büro und ging mit ihr zum Fahrstuhl. Im jenem sagte Tanja, die Isabelle betrachtete: „Wow, du siehst ja hammermässig geil aus!“
„Danke, ich dachte schon, du siehst es nicht oder es gefällt dir nicht. Du siehst übrigens auch sehr lecker aus. Hast du die Vorliebe zur Wolle entdeckt?“
„Der gestrige Nachmittag hat mich auf den Geschmack gebracht. Aber ich trug immer gerne wollige Sachen.“ Sie lächelte verschmitzt und betrachtete nun Isabelle noch genauer. Isabelle trug ein simples, hellblaues Kleid mit Rollkragen aus Angorawolle. Das Kleid war aber sehr enganliegend und Figur betonend und sah richtig kuschelig aus. Rechts war das Kleid aufgeschlitzt bis rauf zum Ansatz der Oberschenkel. Dazu trug sie kniehohe, schwarze Stiefel mit hohen Absätzen. Über die Schultern hatte sie ihren schwarzen, fast bodenlangen Mantel geworfen, den sie mit der linken Hand fest hielt.
„Mmh“, machte Tanja, „da möchte ich doch am liebsten ein wenig an deinem Busen kuscheln und deine Brüste streicheln.“
„Ich kann mir fast nichts schöneres vorstellen“, sagte Isabelle mit einem Augenzwinkern, „aber nicht jetzt. Ben ist wichtiger.“
„Du hast ja Recht, aber die letzte Nacht geht mehr nicht mehr aus dem Kopf. Es war so schön mit dir“, schwärmte Tanja.
Sie hätte sich bis gestern nie vorstellen können, was mit einer Frau zu haben. Aber Isabelle hatte sie verzaubert und im Sturm erobert. Was sie gestern im Archiv und auf Bens Bett erleben durfte, war etwas vom schönsten, was sie je erlebt hatte.
„Auch mir hat es sehr gefallen“, sagte Isabelle und trat näher und fasste Tanja unter dem Mantel durch um die Taille, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund. Tanja erwiderte den Kuss mit nicht minderer Leidenschaft und bedauerte, als das ‚Ding Dong’ ertönte und der Lift im Erdgeschoss ankam.
Mit der Strassenbahn fuhren sie zu Bens Wohnung, traten in den tagsüber offenen Hausflur und fuhren mit dem Aufzug in den 6. Stock. Bei Bens Wohnungstüre angekommen, drückten sie auf den Klingelknopf. Von aussen hörten sie den Türgong. Sie warteten. Nichts. Sie klingelten wieder und warteten erneut. Wieder nichts.
Isabelle versuchte die Türe zu öffnen und drückte die Türklinke runter. Geschlossen.
Enttäuscht schaute sie Tanja an und fragte: „Und was nun? Wenn ihm was passiert ist?“
„Wir hatten ja offen gelassen“, warf Tanja ein. „Also müsste immer noch offen sein.“
„Nein, Ben könnte ja erwacht sein und die Türe später geschlossen haben. Oder er ist raus gegangen. Du hast nicht per Zufall einen Schlüssel zu seiner Wohnung, als Arbeitskollegin?“
„Nein, leider nicht. Aber wir könnten suchen. Vielleicht hat er einen irgendwo deponiert.“
Sie schaute unter der Fussmatte, aber dort war nichts. Sie blickten sich im Treppenhaus um und schauten, wo man einen Schlüssel, ohne dass es andere bemerkten, deponieren konnte.
Doch nirgends stand ein Blumentopf oder ein Möbel, ein Schuhkasten, wo man einen Schlüssel verstecken konnte.
Sie wollten schon wieder gehen, als Isabelle auffiel, dass die Blende der Klingel nicht ganz fest an der Wand befestigt war. Sie drückte die quadratische Blende ein wenig nach rechts. Ein Loch in der Mauer wurde sichtbar. Isabelle bückte sich und schaute hinein. Sie griff mit dem linken Zeigefinger hinein und zog einen Schlüssel raus. Schnell versuchte sie ihr Glück an Bens Wohnungstüre.
„Bingo!“, rief sie ganz erfreut, als sich die Türe öffnen liess.
„Du bist genial“, wurde sie von Tanja gelobt, welche Isabelle in die Wohnung folgte.
Sie schlossen die Türe hinter sich und schauten zuerst ins Schlafzimmer. Doch von Ben war nichts zu sehen. Das Bett war ordentlich gemacht. In keinem der Zimmer fanden sie Ben.