Die Pest der Korruption

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Als ich im Yachtclub ankam, erzählte ich einer Freundin diese Geschichte. „Das war wirklich ziemlich merkwürdig“, sagte ich. „Er ist mir einfach immer wieder gefolgt.“
„Du Dummkopf“, sagte meine Freundin. „Du könntest einfach verschwinden. Alles, was er tun muss, ist sichergehen, dass du es bist, dich dann schnappen, dein Fahrrad in die Dünen schmeißen und dein Mobiltelefon ins Wasser werfen. Und wenn sie eines Tages deine Leiche finden, werden die Leute sagen, du hättest dich wohl umgebracht, weil die Sache mit deiner XMRV-Studie keinen Erfolg hatte. Gott helfe mir, aber wenn du noch einmal mit diesem Fahrrad fährst, werde ich dich persönlich umbringen. Ich fahre dich nach Hause. Und von jetzt an wirst du dich niemals allein an einem Ort aufhalten, an dem Leute wie der dich finden können.“
Sie war unerbittlich und ich willigte ein, weil mir klar wurde, dass einer meiner blinden Flecken darin bestand, nicht wahrzunehmen, wenn jemand beabsichtigte, mir etwas zuleide zu tun. Man hat mich oft eine „Laborratte“ genannt. Diese Bezeichnung verpasst man Wissenschaftlern, die ihre Zeit lieber am Labortisch verbringen und Experimente machen als Politikern und Geldgebern freundlich die Hände zu schütteln oder vor Doktoranden lange Reden zu halten über die Arbeit, für die der leitende Wissenschaftler dann den Ruhm einheimst. Ich war lieber bei der praktischen Arbeit im Labor, Schulter an Schulter mit Frank, mit Forschungsassistenten und Studenten. Ich bevorzugte es, sie anzuleiten und herauszufordern und mich zu vergewissern, dass die Erklärungen, die ich ihnen gab, und die Schlussfolgerungen, die wir zogen, korrekt waren, während sie das Gleiche taten.
Dort habe ich die meiste Zeit meines Berufslebens mit Frank verbracht, um immer dann ein herrschendes Dogma herauszufordern, wenn das, was wir durch die Linse eines Mikroskops sahen, etwas anderes besagte.
Ich stand jedoch kurz davor, über die dunklen Künste der Menschheit, über das Land der Furcht und der Lügen eine Lehre erteilt zu bekommen. Ich habe die Macht derer, die diese Künste ausüben, nicht richtig eingeschätzt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Weg zurück ins Licht wiedergefunden habe.
Ich glaube, dass mehr von uns unter diesem Fluch stehen, als wir begreifen.
* * *
Wie begeht man in der Wissenschaft das perfekte Verbrechen?
Wir sind von Anfang an benachteiligt, weil das eine Frage ist, die wir uns niemals stellen. Mehr als dreißig Jahre lang hat Frank mir und anderen beigebracht, unsere Daten exakt aufzuzeichnen, sie mit denen anderer Forscher auf der ganzen Welt zu vergleichen, die Extremwerte zu verwerfen und zu einem Konsens zu kommen. Wir wissen, dass es Abweichungen gibt. Aber wenn die Masse der Belege in eine bestimmte Richtung zeigt, sind wir überzeugt, dass wir ein besseres Verständnis der biologischen Prozesse im Menschen gewonnen haben.
Wenn es nur das wäre, was in der realen Welt geschieht.
In der realen Welt gibt es Konzerne, seien es Pharma-, Agrar-, Öl- oder Chemiekonzerne, die Milliarden von Dollar in die Arbeit von Wissenschaftlern stecken. Wenn jemand Milliarden von Dollar hat, kann er die dunklen Künste der Beeinflussung nutzen, um Werbefirmen anzuheuern, die dann die entsprechenden Produkte anpreisen, kann die Saat des Zweifels über denjenigen ausstreuen, die diese Produkte infrage stellen. Er kann Werbung auf Nachrichtensendern kaufen, sodass diese keine negativen Meldungen über die Produkte verbreiten, es sei denn, sie haben keine andere Wahl. Außerdem kann er an Politiker aller Couleur Spenden verteilen. Dann, wenn diese Politiker gewählt wurden, können sie Gesetze zum Nutzen ihrer großzügigen Spender verabschieden. Wie es im 17. Jahrhundert so wortgewandt von einem prominenten Mitglied an Königin Elisabeths Hof ausgedrückt wurde: „If it prospers, none dare call it treason.“ [„Wenn etwas erfolgreich ist, wagt niemand, es als Hochverrat zu bezeichnen.“]
Dieser Maschinerie von Geld und Konzernen steht der naive und wissbegierige Wissenschaftler gegenüber. Uns wird nicht beigebracht, kämpferisch zu sein. Wir belegen keine Hochschulseminare in Mut. Wir werden ermutigt, an die Rohdaten zu glauben, sofern alle experimentellen Kontrollen durchgeführt wurden, und wir berichten ALLE Daten, auch dann, wenn wir sie nicht verstehen.
Ich habe oft gedacht, in der Wissenschaft seien wir gut beraten, wenn wir dem Beispiel der Juristen folgen würden. Wenn ich mit Anwälten spreche, ist es eindeutig, dass sie das intellektuelle Gefecht genießen. Sie stellen sich hin und verteidigen das verhassteste Individuum einer Gesellschaft, weil sie glauben, dass diese Person aufrichtig unschuldig ist oder dass ein bestimmtes Verfahren befolgt werden muss, bevor ein Urteil gefällt werden kann. Frank hat mir beigebracht, solche intellektuellen Gefechte zu lieben. Aus Franks Sicht hat man die Pflicht, die Daten leidenschaftlich zu verteidigen, wenn man der wissenschaftlichen Methode gefolgt ist. Und mit Frank musste man die Daten überprüfen und noch ein zweites und drittes Mal überprüfen, bevor er einem erlaubte, sie vorzuzeigen.
Ein Kollege sagte uns einmal: „Die wichtigsten Daten in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung sind die Daten, die man nicht vorzeigt.“ Diese Aussage machte Frank wütend. Er sagte oft: „Die besten Artikel sind diejenigen, die beim Leser mehr Fragen als Antworten hinterlassen.“ In unserer Publikation in Science vom 8. Oktober 2009 ließen wir alle Daten drin, auch diejenigen, die wir damals noch nicht verstanden. Auch wenn diese Publikation meinen beruflichen Werdegang beendete, entspricht sie bis zum heutigen Tag der Wahrheit.
Denjenigen, die als Juristen tätig sind, wird beigebracht, kämpferisch zu sein. Ich bin dankbar, dass Frank mir beigebracht hat, so kämpferisch wie jeder Jurist zu sein.
Die besten Wissenschaftler in der Geschichte waren diejenigen, die auf ähnliche Weise gegen den Strom der traditionellen Denkweisen geschwommen sind. Man denke an Galileo, der verkündete, dass die Sonne nicht um die Erde kreist. Oder an Darwin, der die biblische Vorstellung infrage stellte, die gesamte Schöpfung, alle Pflanzen und Tiere, das Land und das Meer seien in sechs Tagen erschaffen worden und Gott habe dann am siebten Tag geruht.
Eines Tages, als ich über die negativen Artikel jammerte, die angeblich den Zusammenhang zwischen XMRV und ME/CFS widerlegten, nahm Frank mich in sein Büro mit und zeigte auf einen Aktenschrank in der Ecke. In den Schubladen lagen Publikationen, in denen behauptet wurde, seine Aussagen über den T-Zell-Wachstumsfaktor (Interleukin-2) oder HTLV-1, das adulte T-Zell-Leukämie verursacht, seien falsch. Eine dieser Veröffentlichungen war gerade erst erschienen! Er sagte: „Wenn du die Hitze nicht verträgst, geh nicht in die Küche. Jetzt lass uns weiterarbeiten.“
Ich ermutige Sie, die wissenschaftlichen Fragen, die in diesem Buch gestellt werden, auf die gleiche Weise zu betrachten, wie Sie einen der Kriminalfälle betrachten würden, die von Zeit zu Zeit die Aufmerksamkeit der Nation auf sich ziehen. Sie bekommen mit, dass eine Behauptung aufgestellt wird. Diese Person wird beschuldigt, eine andere Person umgebracht zu haben. Sie hören sich die Beweise an, die vorgebracht werden, und sehen, wie sie von der Gegenseite in Zweifel gezogen werden. Und dann treffen Sie eine eigene Entscheidung, welche Beweise glaubwürdig sind und welche nicht. Das ist ein methodisches Vorgehen. Nachdem jede Seite ihre Beweise vorgelegt und sich mit den von der Gegenseite vorgebrachten Zweifeln auseinandergesetzt hat, kommen Sie zu einer eigenen Schlussfolgerung.
Lassen Sie mich die Behauptung aufstellen, die allem zugrunde liegt, was ich im Folgenden darlege.
Die Wissenschaft ist durch den Einfluss des Geldes der Konzerne korrumpiert. Diese Korruption führt unmittelbar zu unserem schlechten Gesundheitszustand, sei es die Epidemie der Fettleibigkeit, seien es neurologische Krankheiten wie Autismus, Alzheimer, Parkinson und Multiple Sklerose, das explosionsartige Ansteigen von Krebserkrankungen oder psychische Erkrankungen unter jungen Menschen wie denen, die Schulmassaker verüben. Es gibt Leute, die behaupten, dies führe zu einem Abschlachten, wenn nicht gar einem Massenaussterben der Menschheit.
Wenn ich mir anschaue, was wir alles erlebt haben, finde ich es schwierig, dieser beunruhigenden Schilderung etwas entgegenzusetzen.
Ich bin in all das so naiv hineingeraten wie ein Student im ersten Semester.
Ich habe nicht gedacht, dass die Wissenschaft im Hinblick auf unsere Gesundheit so fundamental korrupt ist, wie ich das jetzt glaube. Betrachten Sie mich bitte einmal wie den kleinen Jungen in Hans Christian Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider. In dieser Geschichte wird dem Kaiser von Gaunern erzählt, sie würden für ihn Kleider nähen, die nur von den besten Menschen gesehen werden könnten. Alle Leute um den Kaiser herum behaupteten, sie würden die wunderbaren Kleider sehen, weil sie wollten, dass alle glaubten, sie seien die besten Menschen. Nur ein kleiner Junge, dem es gleichgültig war, was andere über ihn dachten, wies darauf hin, dass der Kaiser nackt war.
Wenn Sie dieses Buch weiterlesen, dann sind Sie praktisch als Geschworene in einer Jury eingesetzt, die über die Behauptung urteilen soll, dass die Wissenschaft auf Abwege gekommen ist. Sie haben damit implizit das Gelöbnis abgelegt, unvoreingenommen dem zuzuhören, was wir und andere sagen. Es war nicht einfach, zu unseren Schlussfolgerungen zu kommen.
Ich denke, es wird auch für Sie nicht einfach sein.
Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam beginnen.
Ich wusste nicht, ob ich dieses Buch würde schreiben können. Es ist so quälend, mir viele der Geschehnisse wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass ich befürchte, eine posttraumatische Belastungsstörung zu bekommen, eine Erkrankung, die man oft bei Soldaten, Polizisten und Feuerwehrmännern findet, die an vorderster Front kämpfen. Dies ist die Geschichte eines Kampfes von einigen tapferen Wissenschaftlern gegen einen Feind mit beinahe unbegrenzten Ressourcen.
Die Wissenschaft mag in diesem Kampf agnostisch sein, aber ich bin es nicht.
Ich bin jemand, der gläubig ist, und ich glaube, Gott möchte, dass die Menschheit bei guter Gesundheit ist und nicht leidet.
Manchmal fragen mich die Leute, wie ich es anstelle, dass ich immer noch lebe, und dann antworte ich: „Gott hat einen Sinn für Humor.“ Ich kenne mein endgültiges Schicksal nicht und weiß nicht, wie mich diese Welt einmal beurteilen wird. Das ist auch gleichgültig.
Ich werde jedoch eines Tages vor Gott stehen, der fragt, ob ich gehorsam war und ihm gedient habe, so wie er es will. Der Bericht auf den folgenden Seiten ist derselbe wie jener, den ich dem Allmächtigen am Tag des Jüngsten Gerichts geben würde.
* * *
Das Hämmern an der Tür unseres Hauses am Bootsdock im Jamestown Way in Oxnard begann am 9. November 2011 um 5 Uhr morgens. Ich stand unter der Dusche. Mein Mann David, der aufwachte und mich nicht mehr neben sich fand, dachte, ich sei bereits auf dem Weg zur Arbeit, wie das meistens um diese Uhrzeit der Fall war. Ich fange gerne früh am Morgen an.
Das habe ich immer getan. Obwohl David Hörgeräte trägt, legt er sie nachts natürlich ab. Und so stolperte er aus dem Bett, um nach unten zu gehen, und bemerkte nicht, dass ich im Bad war.
Ein Mann mit einer Dienstmarke war an der Tür und sagte, er habe ein rechtskräftiges Dokument, das er Judy Mikovits überstellen müsse.
„Sie ist nicht da“, antwortete David müde, der nur Boxershorts und ein T-Shirt anhatte. „Sie ist schon lange weggegangen. Sie wird so gegen acht Uhr wieder da sein. Sie können gerne morgen wiederkommen oder warten.“
Der Mann lehnte das Angebot ab, wiederzukommen und wartete draußen vor seinem Auto.
An diesem Morgen sollte ich zu einem Treffen an der University of California in Los Angeles (UCLA) kommen. Ich wurde begleitet von meinem guten Freund Ken, mit dem ich früher bei EpiGenX Pharmaceuticals in Santa Barbara zusammengearbeitet hatte. UCLA war 60 Meilen entfernt, und diese Strecke morgens im Berufsverkehr zurückzulegen ist kein Spaß. Es gab auch die Möglichkeit, dass Ken und ich uns später am Tag mit Patrick Soon-Shiong, dem chinesischen Milliardär, treffen würden, der später die Los Angeles Times kaufen sollte. Wir wollten eine mögliche Anstellung für eine Arbeit in einem seiner Unternehmen besprechen. Bevor er zu großem Reichtum gekommen war, hatte Soon-Shiong als Transplantationschirurg gearbeitet und ein erfolgreiches Biotechnologieunternehmen gegründet. Ken dachte, wir drei würden eine ähnliche Sprache sprechen.
David ging die Treppe hoch, als ich aus dem Bad kam, gerade bereit aufzubrechen. Ich fragte: „Was war das? Worum ging es?“
David hat sich furchtbar erschrocken. Ich könnte sagen, dass so etwas vorkam, weil mein Mann zwanzig Jahre älter ist als ich. Aber ich habe genügend Ehepaare kennengelernt, um zu verstehen, dass so etwas relativ häufig passiert.
Nachdem er sich beruhigt hatte, erklärte er mir, was passiert war.
„Das ist merkwürdig“, sagte ich und erinnerte mich daran, dass mir mein früherer Arbeitgeber am 2. November mit einem Prozess gedroht hatte. Der Brief hatte mir nur eine Frist von achtundvierzig Stunden für eine Antwort gestattet. Mithilfe meiner Freundin Louis, einer Anwältin, die an ME/CFS leidet, war es mir möglich, innerhalb der Frist zu antworten. Wir haben die Antwort am 4. November aus dem Haus meiner Freundin Lilly gefaxt und lagen gut in der Zeit.
Nach dem Vorfall mit dem unheimlichen Mann in dem weißen Kleinlaster mit dem Nevada-Nummernschild wurde ich misstrauisch gegenüber anderen Vorkommnissen. Unser Haus am Bootsdock war das letzte in einer Reihe anderer Häuser. Genau gegenüber befand sich ein schmaler Grüngürtel und daneben ein anderes Reihenendhaus, das lange Zeit unbewohnt gewesen war. Im Oktober war es plötzlich bewohnt und die neuen Bewohner hatten helle Lampen installiert, die auf unser Haus gerichtet waren. Die Anwohner montieren oft solche Lampen an ihren Häusern, um das Wasser des Hafens zu beleuchten, aber diese Leuchten schienen in einem merkwürdigen Winkel angebracht. Ich habe das natürliche Sonnenlicht immer genossen, weshalb ich keine Jalousien oder Vorhänge an meinen Fenstern angebracht hatte, und so war es, als ob wir unter einem Scheinwerfer leben würden.
Mike Hugo, mein Anwalt, konnte später durch einen Ausforschungsbeweis in Erfahrung bringen, dass ich in dieser Zeit von der Polizei von Nevada und Kalifornien sowie der lokalen Polizei überwacht wurde.
Ich rief Ken schnell an, erzählte ihm, was geschehen war, und erklärte, dass ich an diesem Tag wahrscheinlich nicht zu diesem Einstellungsgespräch mit der UCLA kommen könne.
Ken war sofort hochgradig alarmiert. Wenn irgendjemand das hohe Risiko einschätzen konnte, das meine Forschung mit sich brachte, dann war es Ken. Er kannte sich mit Finanzen aus und wusste, dass unsere Entdeckung Milliarden wert war, und es war ihm klar, worum es bei dieser Vertuschung ging. Um das geistige Eigentum! Wir hatten nicht nur eine neue Familie von Retroviren entdeckt, sondern unsere Kollegen sagten auch, dass es sich möglicherweise über Impfstoffe in der Humanpopulation verbreitet und wahrscheinlich mehr als zehn Millionen Amerikaner infiziert hatte.
Könnte ich in größeren Schwierigkeiten stecken?
„Wirf Dein Mobiltelefon weg“, sagte er. „Nimm den Akku raus und wirf es ins Wasser. Benutze das Telefon nicht noch einmal. Sie können dich über das Telefon ausfindig machen.“
Weder Ken noch ich waren Geheimagenten. Ich war eine Wissenschaftlerin und er war ein Finanzmensch mit Hintergrundwissen im Gesundheitswesen.
„Okay“, sagte ich.
„Ich werde dich entschuldigen. Aber du musst jetzt abhauen.“
Wir sprachen noch ein paar Sekunden, dann legte ich schnell auf und nahm den Akku aus dem Telefon.
Ich erinnerte mich sofort an einen gefütterten großen Umschlag, den mir eine ME/CFS-Patientin und Mutter eines autistischen Kindes aus einer der von uns untersuchten Familien im Sommer 2011 geschickt hatte.
Wir konzentrierten uns damals auf den Zusammenhang von ME/CFS und Autismus, aber in Wahrheit warf unsere Arbeit ein viel größeres Netz aus.
Eine Infektion mit einem Retrovirus kann eine Unzahl von Krankheiten verursachen, abhängig von der jeweils spezifischen genetischen Anfälligkeit einer Person.
Den Großteil der zwanzig Jahre, die ich für die Regierung in der Wissenschaft arbeitete, habe ich am National Cancer Institute verbracht. Es war ein Muster von ungewöhnlichen Krebsarten unter den ME/CFS-Erkrankten, das zuerst mein Interesse an der Krankheit geweckt hatte. Wie bei HIV-AIDS könnten Mütter mit XMRV das Virus direkt an ihre Kinder weitergeben. Eine Übertragung auf die Ehemänner war zwar möglich, aber weniger wahrscheinlich.
In dem gefütterten großen Umschlag hatte mir die Mutter mehrere Hundertdollarnoten geschickt sowie ein tragbares Campingtöpfchen, eine Kugelschreiberattrappe mit einer Kamera und einem Aufzeichnungsgerät, ein Prepaid-Handy mit einem Guthaben auf einer Karte und einem Zettel, auf dem stand: „Du verstehst das wahrscheinlich nicht, aber du wirst diese Sachen eines Tages brauchen.“
Als wir diesen Umschlag erhielten, haben David und ich uns darüber Sorgen gemacht. „Wir haben genug Geld auf der Bank. Warum brauchen wir zehn Hundertdollarscheine? Wir müssen das Geld dieser liebenswerten Mutter wieder zurückschicken.“ Ich rief die Frau an und machte ihr das Angebot, alles zurückzuschicken, aber sie lehnte dies ab. Mein Mann muss bei längeren Reisen häufig auf die Toilette, und so dachte ich, wir behalten zumindest einmal das tragbare Campingtöpfchen. Praktisch denkende Judy.
Ich steckte die Guthabenkarte in das Prepaid-Handy, brachte es zum Laufen und rief dann Frank an, von dem ich wusste, dass er zu dieser Zeit am frühen Morgen an seinem Schreibtisch in Frederick, Maryland, sein würde. Bevor er 2013 gezwungen wurde, in den Ruhestand zu gehen, hatte Frank insgesamt neununddreißig Jahre am National Cancer Institute verbracht. Ich erklärte ihm schnell, was passiert war, und fragte ihn um Rat.
„Du Dummkopf“, sagte er. „Du hast ein Boot und lebst am Wasser. Sie können jemanden nicht aus dem Wasser herausholen. So kannst du aus deinem Haus entwischen.“
Das war eine großartige Idee, und ich setzte diesen Plan schnell um.
Meine Stieftochter Elizabeth war zurzeit zu Besuch und schlief in unserem zweiten Schlafzimmer.
Abhängig von der Jahreszeit war sie entweder sechs oder sieben Jahre jünger als ich und wir sind ähnlich groß und haben eine ähnliche Haarfarbe. Es war ihr Geburtstag und wir wollten sie an dem Tag zum Mittagessen einladen. David ging in ihr Zimmer, weckte sie auf und bat sie, nach unten zu kommen.
Ich erklärte David und Elizabeth den Plan. „Ihr beide geht aus dem Haus und macht einen Spaziergang in der Nachbarschaft. Lasst uns herausfinden, was da vor sich geht.“
„Ich will aber nicht spazieren gehen!“, beklagte sich David.
„Ich auch nicht“, fiel Elizabeth ein.
„Passt auf, es wird alles gut. Sie wollen mir nur irgendein Rechtsdokument übergeben. Lasst uns herausfinden, was los ist.“
Die beiden machten sich fertig und verließen das Haus. Nachdem sie ein kurzes Stück gegangen waren, gingen drei Männer auf sie zu, darunter der eine, der an unsere Tür gehämmert hatte. „Judy Mikovits, wir überreichen Ihnen hiermit eine Anklage“, sagte er und zog ein Papier heraus.
„Ich bin nicht Judy Mikovits“, sagte Elizabeth und zog ihren Führerschein heraus, um ihn den Männern zu zeigen. „Das ist mein Vater und ich habe heute Geburtstag“, sagte sie lachend und machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Nachdem sie kurz ihren Führerschein kontrolliert hatten, ließen sie sie gehen.
Als sie wieder nach Hause kamen, war mir klar, dass ich eingekesselt war. Das Wasser war der einzige Weg zu entkommen. „Elizabeth, ich möchte, dass du raus auf Deck gehst. Zeig dich ihnen. David, ich möchte, dass du die Baby Jonah für eine Bootsfahrt fertig machst.“
David protestierte: „Ich möchte aber keine Bootsfahrt machen!“
„Du wirst deine Tochter zu einer Bootsfahrt mitnehmen, weil sie Geburtstag hat und wir versprochen haben, sie zum Essen einzuladen.“ Er willigte ein und ich wartete drinnen und achtete darauf, mich von den Fenstern fernzuhalten, durch die ich beobachtet werden konnte. Ich ging nach oben und packte einen kleinen Rucksack. Es war mittlerweile etwa elf Uhr vormittags. (Am Mittag würde Ebbe sein.)
Als David zurückkam und sagte, das Boot sei bereit, fragte ich ihn, was Elizabeth anhatte.
„Weiß ich nicht“, antwortete er.
Das machte mich fertig. Angesichts dessen, was ich in den letzten Wochen erlebt hatte, dachte ich, die Situation müsste ihnen klarer sein.
David ging hinaus, kam zurück und sagte, sie hätte schwarze Yogahosen und ein dunkles T-Shirt an. Ich fand ein paar Kleidungsstücke, die ihren in etwa glichen, zusammen mit einem dunkelblauen T-Shirt, das mir von einer der Patientinnen geschenkt worden war und auf dem stand: „CSI. Can’t Stand Idiots.“ [„CSI. Ich ertrage keine Idioten“ – CSI ist die Abkürzung für „Crime Scene Investigation“, eine US-amerikanische Fernsehserie, die die Arbeit der Tatortgruppe der Kriminalpolizei bei der Beweis- und Spurensicherung schildert.] Ein bisschen Humor muss sein, wenn man belagert wird, nicht wahr?
Ich hatte zwei identische Baseballkappen mit der Segelnummer des Bootes meiner Freundin und gab eine davon David, damit Elizabeth sie aufsetzen sollte, denn es war ein windiger Tag. „Pass auf, ich möchte, dass du Folgendes tust: Gib ihr die Kappe, geh für ein paar Minuten auf das Boot und lass den Motor an. Ruf Elizabeth und sag ihr, dass du mit ihr zum Mittagessen fahren willst. Sie wird sagen, es sei kalt und sie wolle nicht gehen. Dann musst du ihr sagen, sie soll reingehen und sich eine Jacke holen und dann zurückkommen. Das ist der Moment, in dem wir dann tauschen.“
David schien zu begreifen, auch wenn er es für idiotisch hielt. Innerhalb von fünf Minuten war das dann alles passiert, und Elizabeth ging ins Haus. Ich sah mir an, was sie trug, und mit der Jacke, die ich anhatte, sahen wir uns ziemlich ähnlich. Ich wartete einige Momente, schnappte dann den Rucksack, ging aus der Hintertür hinaus ans Dock. Ich sprang auf das Boot, David machte die Leine los, und wir fuhren langsam den Kanal hinunter, am linken Uferdamm entlang.
Als wir zum Hauptkanal kamen, drückte David das Gaspedal runter. Er liebte es, mit diesem dreizehn Fuß langen Boston Whaler schnell über das Wasser zu fahren. Er sah mich an und sagte in diesem vorgetäuschten russischen Akzent, den er oft annahm: „Katarina, wir sind entkommen! Aber wir wissen nicht, wohin. Was sollen wir machen?“
„Ich habe eine Idee.“
Ich rief meine liebe Freundin Robin an, die ein achtunddreißig Fuß großes Segelboot besitzt, das im Channel Island Harbor angedockt war. In dem Boot sind Schlafplätze für fünf Personen, und David und ich sind oft mit Robin und ihrem Mann Steve damit gesegelt. Ich sagte ihr, wir hätten ein Problem, und fragte sie, ob ich ein paar Tage auf dem Boot bleiben könne. Sie sagte „ja, natürlich“, und ich bat sie, ob sie uns ein paar Lebensmittel mitbringen könne.
„Und noch eins. Gibt es Wodka an Bord?“
„Es gibt immer Wodka an Bord“, antwortete sie.
Obwohl es immer noch Morgen war, wusste ich, dass ich in der kommenden Nacht schlecht schlafen würde.
David kannte den Weg zum Channel Islands Harbor (an der Küste Kaliforniens) und zu Robins Boot. Innerhalb von einer Viertelstunde war er an ihr Boot herangefahren. Ich gab ihm ein paar der Hundertdollarnoten aus meinem Umschlag, sodass er keine Kreditkarte benutzen musste. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich, ich hätte es nur mit ein paar von Harvey Whittemores Wachposten aus der University of Nevada in Reno und privaten Sicherheitskräften zu tun, die entschlossen waren, mich einzuschüchtern. Wir mussten nur einen Anwalt finden, der sowohl in Kalifornien als auch in Nevada praktizieren durfte. Dann wäre ich sicher. Ich sagte David, er müsse Robins Boot meiden, bis er einen Anwalt gefunden hätte.
Nachdem wir auf das Boot gegangen waren, ging ich in eine der Kabinen hinunter und zog mein Prepaid-Handy heraus. Ich rief meine Freundin Jeanette, eine ME/CFS-Patientin, an. Sie und ihr Mann Ed sind beide Anwälte in San Francisco. Nachdem ich ihr erklärt hatte, was geschehen war, sagte sie, sie würde nach einem Anwalt vor Ort suchen, der meinen Fall übernehmen konnte.





