100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2

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Im Wäldchen empfängt uns eine Lichtung, und dort verraten vier dicke, quadratisch um die Feuerstelle angeordnete Baumstämme das „Wohnzimmer“, in das auch gleich Leben einziehen wird. Vorerst sind aber die Pferde an der Reihe. Trensen abnehmen, an einem Baum anbinden und absatteln. Kontrolle und Pflege folgen später, wenn David und Paul die Packpferde entladen haben. Kisten und Packsäcke werden unter einem Baum abgestellt, Seile und Gurte kommen daneben auf einen Haufen, und die Sättel bekommen sofort ihren Extraplatz für die Nacht. Vorrang beim Abladen haben die grünen Küchenkisten und das Feuergestell, das sich Joyce auch sofort schnappt und aufbaut. Links und rechts stellt sie einen der beiden nach oben gegabelten, schweren Eisenständer auf, hängt an beiden jeweils das Ende einer Doppelkette ein, die einen großen rechteckigen Feuerrost als Kochstelle für Pfannen und Töpfe unter sich trägt. Eine waagerecht in die Gabelungen eingeklickte Eisenstange stabilisiert die Konstruktion und erlaubt den „Billys“, den großen Wasserkannen für Tee und Kaffee, ihren Platz direkt über dem Feuer einzunehmen. Und während unsere Gastgeberin zum nahen Bach eilt, das mitgebrachte Nass durch die tragbare Filteranlage schickt, drei oder vier Hände voll Kaffee in eine der Eisenkannen gibt – der Tee kommt in einem Leinensäckchen in eine zweite- ist David schon beim Feuermachen. Wir holen inzwischen unsere beiden „Duffel Bags“ und das Zelt vom großen Haufen und bringen auch die Satteltaschen, das Regenzeug und unsere Foto- und Filmausrüstung zum ausgesuchten Übernachtungsplatz, während die dicken Satteldecken als Sitzkissen auf den Baumstämmen um die Feuerstelle abgelegt werden. Danach, und vor dem Zeltaufbau, machen sich die meisten von uns nützlich, fällen kleinere, dürre Bäume, hacken Holz, holen frisches Wasser vom Bach, unterhalten das Feuer oder helfen Joyce bei der Einrichtung ihrer „Küche“. Mittelpunkt ist dort die Tischplatte, deren zwei breite, gehobelte Bretter mit ihren Enden in die Schienen einer Hängevorrichtung geschoben werden, deren Ketten links und rechts an einem Baum ihre Haken finden. Die Konstruktion, unter der sich noch ein Hängeregal befindet, passt durch seine variablen Ketten zwar zwischen die meisten Bäume, doch wird dieses Camp in den Schwarzen Bergen auch bei vielen Touren angesteuert und könnte die Mindestmaße geliefert haben. Wir werden hier sogar zwei Nächte verbringen, denn morgen reiten wir ohne Packpferde in die Regenbogenberge und kommen am Abend wieder zurück. Man kann sich also richtig häuslich einrichten.
Rund vierzig Minuten nach unserer Ankunft sind die dringendsten Handgriffe erledigt, und am Feuer gibt’s jetzt erst eine kurze Verschnaufpause, mit Gebäck, Kaffee oder Tee, mit oder ohne Milch, Zucker, Kakaopulver oder Honig, oder, unsere Version, pur und schwarz. John versteht das gar nicht und meint: „Dann braucht ihr wenigstens hiervon“, grinst und gießt uns einen Schuss von seinem guten Kognak ins Gebräu. Seinen eigenen mixt er ähnlich, fügt aber noch Honig und Kakaopulver hinzu. Gelegentlich machen wir im Winter jetzt diese Mixtur zu Hause nach, und das Rezept behielt auch seinen Namen, „John-Kaffee“. Anschließend gibt es wieder Arbeit, denn neben dem Sortieren von Trensen, Sätteln, Traggeschirren, Seilen, Planen und dem Ordnen oder Auspacken der Kisten, müssen auch die Pferde versorgt werden, die noch angebunden und von allen Lasten befreit vor sich hindösen. Abbürsten, Fell, Beine, Hufe überprüfen, nach Druckstellen tasten, mit Bremsenöl einreiben, die „Ausreißer“ an den Vorderbeinen „koppeln“, damit sie nur kleinere Schritte machen und sich nicht zu weit entfernen können. Dann werden sie für die Nacht auf die Wiese entlassen, denn Futter und Wasser suchen sich die Tiere selbst. Mit all diesen Arbeiten haben wir Gäste offiziell nicht das Geringste zu tun, doch in unserer Truppe fasst jeder mit an und tut das, was er kann. Mit den Western- und Stocksätteln musste ich mich aber auch erst vertraut machen, denn ihre diversen Lederriemen, Schlaufen und Spezialknoten waren mir fremd wie die langen, wenig Bewegungsfreiheit bietenden Bügel, die bis auf das untere Drittel fest mit dem Sattel vernäht sind. Mit deren Gesamtlänge hatte ich anfangs ohnehin ein Gefühlsproblem, denn ich bin Rennpferde gewöhnt und fühle mich nur mit kürzeren Bügeln richtig sicher.
Nach der kurzen Pause und den helfenden Handgriffen muss noch das von David gemietete Zelt aufgebaut und das Nachtlager hergerichtet werden. Und das ist mein Job, während Sabine bereits mit der Videokamera unterwegs ist. Als sie das Camp verließ, war sofort Willie unaufgefordert an ihrer Seite. David hat sie so erzogen, denn im Bärenland bedarf es dieses Schutzes. Loben muss man auch die „Hausfrau Joyce“, gebürtige Engländerin, exzellent im Sattel und ein regelrechtes Organisationstalent. Was sie auf dieser Tour in kurzer Zeit in ihrer „Feldküche“ gekocht, gebraten und gebacken hat, war enorm. Nie hat es an etwas gefehlt, nichts gab es zweimal, die Auswahl war reichlich, und der heiße, schwarze Kaffee aus der rußigen Cowboykanne, die über der Feuerstelle hing, war morgens auch schon fertig, wenn der Erste danach Ausschau hielt. Mit Johns Kognak „gestreckt“ wurde er bei der abendlichen Ankunftspause dann fast zum Kult.
Nachdem die Zelte alle stehen, findet sich einer nach dem anderen am Lagerfeuer ein, wo die Steaks noch ein paar Minuten brauchen. Es sind Riesendinger, und jedem sind zwei davon zugedacht. In unserem Fall wird das sicher nicht gehen, zumal auf dem zweiten Rost auch noch Würste grillen und als Beilagen gemischter Salat und geröstetes Knoblauchbrot oder Baguette zur Verfügung stehen. Und wie alles in Kanada, so war auch der Wein nicht in kleinen Gebinden, sondern im Tetrapack, fünf Liter Rot, die gleiche Menge Weiß. Leer werden diese Kartons heute aber nicht mehr, denn die Müdigkeit greift schnell um sich, und auf dem Weg zum Zelt muss ich daran denken, dass es noch keine zehn Monate her ist, als wir ebenfalls unter ein paar Bäumen in ein kleines Zelt krochen. Das war auch nach dem Essen am Lagerfeuer und ohne jede Abzäunung zur Umgebung, allerdings in Afrika, im Moremi Nationalpark in Botswana! Dort hatten wir, weil unser Auto für das feuchte Gebiet im Okavango Delta nicht geeignet war, vor Ort einen Fünftagetrip mit Guide, Militärjeep und Zelt gebucht und unausgesprochen angenommen, dass der „Campingplatz“ nachts mit einem mitgebrachten Elektrozaun geschützt wird. Dem war aber nicht so. Wir waren auch keine Neulinge auf afrikanischem Boden, sondern dort schon sehr oft auf eigene Faust in mehreren Ländern unterwegs gewesen, aber ein Zelt ist eben kein schützendes Rondavell, und erst recht keine Lodge. Und auch die Erklärungen unseres Guides, dass Elefanten nicht auf Zelte treten, Hyänen nur neugierig, aber feige seien, Löwen um geschlossene Zelte einen Bogen machen überzeugte nicht so recht. Und der Guide schob auch sofort nach, das die beiden Engländer, die hier vor einigen Wochen von Löwen aus dem Zelt geholt worden sind, wegen der Temperaturen im offenen Zelt geschlafen hatten. Auf die Nilpferde, die nachts aus dem nahen See zum Grasen kommen, kam es dann auch nicht mehr an. Da blieb uns nur noch der Trost, dass wir auch drei Engländer dabei hatten …
In jener ersten Nacht haben wir uns nicht nur einmal gefragt, worauf wir uns eigentlich eingelassen hatten, und saßen sehr lange mit einem dicken Knüppel in der Hand im kleinen Zelt. Die ersten Besucher waren tatsächlich die Hyänen, in deren Augen sich unser Taschenlampenlicht spiegelte. Danach grunzten die Hippos durchs Camp, während die Löwen mehr in der Ferne zu vernehmen waren. Irgendwann hatte uns der Schlaf dann doch übermannt, und die weiteren Stimmen jener Nacht vor uns verborgen. Am nächsten Morgen waren wir damals aber heilfroh, dass die Sonne wieder schien und wir alle gemeinsam am Frühstückstisch saßen, auch die Engländer. Dennoch hatten uns die Elefanten die Botschaft hinterlassen, dass sie, wie von unserem Guide angekündigt, zwischen den Zelten sehr sorgsam durchgezogen waren, denn direkt vor unserer Haustür lag die „Post“ der Dickhäuter, ein ziemlich großer Haufen. Wahrscheinlich passierten sie uns am ganz zeitigen Morgen, denn gehört hatten wir sie nicht. In den folgenden Nächten haben wir die Stimmen Afrikas zwar voll genossen, doch ist es schon sehr beruhigend, dass es diese Raubtiere hier in Kanada nicht gibt. Und weil für die Bären Willie und Rio zuständig sind, können wir die warmen Schlafsäcke auch bis über die Ohren hochziehen und dem neuen Tag entgegenträumen.
Dieser beginnt am eiskalten Bach, und wer zum Zähne putzen heißes Wasser braucht, macht einen Umweg zum Lagerfeuer. Um diese Zeit ist es zwar noch ziemlich frisch, doch entschädigt dafür der Sonnenaufgang, und der verspricht auch genau den Tag, den wir heute für den Ritt in die Regenbogenberge brauchen. Dass die Pferde wieder schweres Gelände meistern müssen, konnte man sich denken, nicht aber die Wirklichkeit reell vorstellen. Diese Vierbeiner sind jedoch gezielt auf ihren Job vorbereitet worden, absolut zuverlässig und geländesicher, denn die Trail-Lehrzeit beginnt erst nach einer gründlichen Reitausbildung. Hat der Neuling im Gelände als Rote Laterne und Letzter im Pulk, der Sägen, Äxte und Benzin zu tragen hat, Erfahrung gesammelt und Trittsicherheit gewonnen, arbeitet er noch mehrere Jahre als Packpferd. Und erst, wenn er das beherrscht, steigt er zum Reitpferd auf. Wir steigen auch, aber über die dicken Sitzbalken am Lagerfeuer, denn Joyce hat ein englisches Frühstück parat mit Eiern, Speck und Wurst, als auch Brot, Butter, Marmelade und frische Pfannkuchen mit Honig.
Wer sich aufmerksam umsieht stellt fest, dass die Mannschaft schon fleißig war, denn die acht Reitpferde sind bereits geputzt, gesattelt und aufgetrenst. Nur die Sandwiches für die Mittagspause, die mit Obst und Getränken griffbereit in der Satteltasche verschwinden, belegt sich anschließend jeder selbst. Joyce, Sabine und John haben noch schnell den Abwasch erledigt, und Ferdl, der ein GPS-Gerät mit sich führt, lässt sich zur Sicherheit von David noch die Spezialkarte erklären, denn der Boss bleibt heute im Lager und übergibt den Taktstock an Paul. Und mit ihm an der Spitze reiten wir in den ersten zwei bis drei Stunden durch unebene Täler, über Bergrücken und Wiesen voller Frühlingsblumen und Bergazaleen, vorbei an kleinen Seen, niedrigen Wasserfällen und durch Bäche und dichte Weidenbüsche, die in den nassen Talbereichen sehr gut gedeihen. Was für ein Genuss. Ein ganz klein wenig mag es auch so sein wie damals, als die ersten Siedler durch den „Wilden Westen“ zogen. Sie mussten allerdings ums Überleben kämpfen, wir genießen nur dieses schöne Land, und sie waren es, die die Wege dafür ebneten. Inzwischen sind wir auch einem sehr steilen Hang näher gekommen, der sich als eine Art Steingletscher entpuppt. Steine, nichts als Steine, vom kleinen Kiesel bis hin zu tonnenschweren Gebilden. Und Paul steuert schnurstracks darauf zu. So recht kann ich es nicht glauben, dass wir mit Pferden über ein solches Geröllfeld wollen. Doch, als hätte Paul meine Gedanken erraten, hält er schon kurz an und meint ganz gelassen „die kennen das, das ist überhaupt kein Problem, ruhig und locker sitzen bleiben, und nur die Richtung vorgeben, mehr nicht“. Und die Pferde gingen, als wäre das alles ganz normal. Sie waren nur vorsichtiger und schauten in kritischen Situationen genauer hin. Zum Zick-Zack-Kurs muss ich auch Richard zwingen, denn sie alle wollen abkürzen, egal wie steil es aufwärts geht, und ihre Kondition hat nicht im Geringsten gewackelt. Und mein Schimmel beweist schon hier, welch erfahrenes Geländepferd er ist. Kein Zögern, keine Rumpler, ruhig und sicher sucht er sich seinen Weg durch diese Steinwüste nach oben.
Als wir eine der nächsten „Serpentinen“ einschlagen kann ich sehen, dass Sabine versucht auf eignen Füßen über den Hang zu kommen, um das Pferd zu schonen, doch Escort zieht sie schneller vorwärts als ihr lieb sein kann. Für sie war das ganz und gar typisch. Ihr hatte das Pferd leidgetan, und deswegen war sie abgestiegen. Das war gut gemeint, aber es funktioniert nicht. Das musste auch sie einsehen und stieg wieder auf.
Hinter dem Grad des Geröllfeldes geht es wieder hinunter in ein Tal, dort einige Zeit entlang und dann hinauf in die Rainbow Mountains, die ihren Namen den unterschiedlichen Erzen verdanken, die sie färbten. Oben angekommen, ist auf einem kleinen Plateau „Mittag“, und dieser Ort gehört ganz gewiss zu den schönsten Plätzen, an denen ich je mein Frühstück ausgepackt habe. Unter uns, tausend Meter oder mehr, liegt ein S-förmiges Tal, durch das sich ein Fluss schlängelt, an dessen Ufern es hellgrün leuchtet. Der Rest ist bewaldet und an drei Seiten wird die Talsohle von Zweibis Dreitausendern bedrängt, deren Gipfel weiße Kappen tragen, während ihre Flanken farbenfroh leuchten. Diese strahlenden Regenbogenfarben – rot und gelb dominieren – bei diesem Kaiserwetter „auf Augenhöhe“ zu sehen ist ganz sicherlich ein Privileg, und eins, das wir diesen Pferden zu verdanken haben. Der Wind pfeift hier oben zwar ganz ordentlich, und auch die Pferde haben sich längst zu einem Halbrund formiert und ihr Hinterteil gegen ihn gedreht, doch auf den nächstmöglichen Gipfel müssen wir noch rauf. Der dortige Rundblick ist grandios, und unter uns entdecke ich mit dem Fernglas auch noch eine Grizzlymutter mit doppeltem Nachwuchs, doch ein gutes Foto ist aus meiner Position nicht möglich. Mitgenommen hätte ich es sehr gern, aber irgendwann wird es schon noch einmal richtig klappen. Im Nachhinein musste ich volle acht Jahre warten, aber dann saß ich in Alaska mitten unter ihnen und bekam auch „meine“ Grizzlys für meine Bilderwand.
Gegen 14 Uhr wird es Zeit wieder aufs Pferd zu steigen, und mit dem Abstieg in ein Hochtal den Heimweg anzutreten. Dort warten dann einige Kilometer in nordöstlicher Richtung, denn die heutige Tour schlägt einen Kreis um unser Lager, und das Hier und Dort trennt auch noch ein verschneiter Pass. Aber Paul kennt die Gegend und weiß, was er den Pferden zumuten darf. Also wieder nach oben und dort, wo der Schnee beginnt, wird abgesessen. Im Gänsemarsch führen wir unsere Vierbeiner etwa zwei Kilometer schräg über das große Schneefeld hoch zum Pass. Neuschnee liegt nur obenauf, darunter war er fest, so dass die Pferde, die gelassen blieben wie bisher auch, nur geringfügig eintreten. Dennoch halten wir die Abstände zwischen ihnen größer als sonst, aus reiner Vorsicht. Am Ende erwies sich der Aufstieg zwar als problemlos und eisfrei, doch ist uns der feste Boden, den wir am Pass wieder unter Hufen und Füßen haben, schon wesentlich angenehmer. Der Rest des Rittes ist reiner Genuss. Über die Flanken einiger Hügel, bunte alpine Wiesen und durch lichten Fichtenbestand tragen uns die Pferde wieder hinunter in unser Tal am Fuße der Schwarzen Berge, wo im Camp Kaffee und Kuchen auf uns wartet.
Anschließend führt der Weg zum Zelt, und von dort zum Bach, denn jenseits der Bergkuppen war es heute ziemlich heiß, und der Schweiß muss runter. Die Füße im rauschenden Gewässer signalisieren zwar sofort „saukalt!“, doch die Antwort ist militärisch: „Macht nichts, Luft anhalten, hinsetzen und abduschen!“ In 30 oder 40 Sekunden ist die Prozedur erledigt, und wieder trocken im Trainingsanzug fühle ich mich wie neu geboren und freue mich auf den Abend am Lagerfeuer. Dort wird es dann auch wesentlich später als gestern, denn auch der sehr schweigsame David taut langsam auf, erzählte von diesem Land, seiner Arbeit, den Ureinwohnern, und seiner eigenen indianischen Herkunft. Dazu eine sanfte Landschaft, die vor dunklem Wald auf gelb-grünlich schimmernder Wiese friedlich grasenden Pferde und ein wenig Rotwein am knisternden Feuer, was will man eigentlich noch mehr? Viel geredet haben wir an diesem lauen Sommerabend nicht, aber lange und aufmerksam zugehört, bis in die Dunkelheit.
Mit gepackten Duffel-Bags gehen wir am nächsten Morgen zum Frühstück. Die Zelte haben noch Zeit, mit ihnen wird eines der letzten Pferde beladen, wenn das Lager komplett abgebaut und alles auf den Packpferden verstaut ist. Der heutige Weg wird durch den Young Creek zum Crystall Lake führen, und dort weiter in das Mackenzie Valley, in dem „Dave Dorseys Horse Camp“ das Tagesziel ist. Das Tal ist wieder wunderschön, das Camp nicht viel anders als vorher. Lediglich ein großes Holzschild mit eingebrannter Schrift weist darauf hin, und Joyce’s „Küchentisch“ gehört zur Festausrüstung. Genau genommen ist es nur der Rahmen, denn zwischen zwei gegenüberstehenden dicken Bäumen wurden zwei waagerechte Stangen festgebunden. Eine vor, die andere hinter den Stämmen, und auf diese legt David zwei Böden, die eine abwaschbare Tischdecke verschönert. An den überstehenden Stangenenden finden die Wassersäcke ihren Platz, aus denen der Ansaugschlauch die Filteranlage bedient, die ihrerseits den Eimer füllt. Der Rest ist schnell erledigt: Küchenkisten griffbereit zurechtrücken und öffnen, zwei Hackklötze heranrollen, getrennt voneinander aufstellen und die Lücke zwischen ihnen mit einem Brett schließen, damit Tiegel und Pfannen ihren Platz haben. Der Koch kann loslegen. David und Paul versorgen die Pferde, wir helfen hier und dort, bauen unser Zelt auf, und nach der Dusche im Bach heißt das gemeinsame Ziel wieder Lagerfeuer, wo der Stuhl ein Baumstamm mit Satteldecke, und der Tisch die eigenen Knie sind. Als ich dort ankomme, stehen aber fast alle Mann um Joyce herum an deren Küchenplatz und schauen „nach draußen“. Zu mir gewandt meint sie „schau, da draußen, das ist mein Blumengarden“. Und tatsächlich hat man den Eindruck durch ein Fenster zu sehen, denn die beiden hochstämmigen Kiefern, die den „Küchenarbeitsplatz“ fixieren, vermitteln diesen und lenken den Blick auf die bunte Wiese außerhalb des Camp-Wäldchens. Dort blühen Tausende der farbenprächtigen Indian Paintbrushs, die in ihrer aufrechten Haltung bunten Farbpinseln ähneln. Das dominante Rot und Gelb passt auch richtig gut zum Blau der Lupinen, die eine unsichtbare Hand als Kontrast zugefügt hat, während die weißen Lilien dem Gesamtarrangement auch einen Tupfer Eleganz verleihen. Es ist wirklich ein wunderschöner Blumengarden!
Unterwegs hat sich heute auch gezeigt, wie schnell das Wetter im Küstengebirge umschlagen kann. Teilweise hat es eiskalt gepfiffen und ordentlich geschneit, dann schien wieder die Sonne. Und je höher wir kamen, desto stärker wurde auch der Nebel, so dass wir den Mackenzie-Pass streichen mussten, denn sehen würden wir dort rein gar nichts. Stattdessen machen wir einen Ritt durchs Tal, bei dem die beiden Collies zwei Bären und einige Elche aufspüren. Als David sie zurückpfiff, dreht nur Rio um. Willie hat es entweder überhört, oder folgt seinem Jagdtrieb. Da half dann auch nicht, dass er mit eingezogenem Stummelschwanz später reuevoll zurückkehrte und sich vor David hinlegte. Abseits im Wald, wohin die beiden gegangen waren, folgte die Strafe auf den Fuß. Uns tat das unendlich leid, denn dieser quirlige, liebe Kerl hatte unsere Herzen längst erobert. Wir verstanden aber auch unseren Gastgeber, der später von sich aus erklärte: „Das kann man nicht straflos akzeptieren. Er gefährdet sich selbst, könnte von Bären getötet werden, und die Gruppe braucht beide Hunde.“ Das war aber auch der einzige Ausrutscher. Unterwegs verbellten diese beiden lustigen Gesellen Bären und kontrollierten abwechselnd den ganzen Tross, von vorn bis hinten, und wieder zurück. Und sie sind stets zur Stelle, wenn jemand das Lager verlässt, gleich, ob am Tag oder in der Nacht, und ob der Weg zum Bach, zum Filmen führt, oder „für kleine Jungs“ ansteuert. Willi liebt ganz besonders die Gänge zum Bach, springt dort sofort hinein, dann auf den nächstbesten Stein und wartete darauf, „ein Stöckchen“ aus dem Wasser holen zu können. Immer wieder, unermüdlich, und auch bei Regen. Was ihre kleinen Pfoten an Kilometern abspulen, ist unglaublich. Nie betteln sie, nie betreten sie das abgesteckte „Wohnzimmer“, sondern warten immer am Rande bis auch sie an der Reihe sind. Und vor ihnen kommen stets die Pferde, dann die Menschen, sie erst ganz am Ende, wenn alle anderen schon satt und zufrieden sind. Willi und Rio sind zwei ganz treue Seelen, die wir leider nie wiedersahen, denn acht Jahre später, als wir im Eagles Nest meinen Geburtstag feiern, springen zwei neue Begleiter aus Davids Pickup, und auch Richard und Escort werden wir nicht wieder begegnen, denn auch sie sind schon im Pferdehimmel.
Nach getaner Hausarbeit wie abwaschen, abtrocknen, zusammenräumen, Holz sägen oder hacken, damit auch dem nächsten Trupp entsprechender Vorrat zur Verfügung steht, finden wir uns alle wieder am Lagerfeuer ein, erzählen und reden über Gott und die Welt, und mit der Zeit taut auch David- schweigsam, nachdenklich, nichts dem Zufall überlassend – immer mehr auf. In seinen Adern pulsiert noch viel Indianerblut, denn sein mütterlicher Großvater war der angesehene Häuptling Chief Squinas, und auch sein väterlicher Großvater, Lester Dorsey spielte in jenen Tagen eine wichtige Rolle. Seine Großeltern gehörten der Gruppe der „Carrier“ an, für die er noch immer ehrenamtlich mitarbeitet und im Winter das Sägewerk am Laufen hält. Seine Großväter waren zu einer Zeit aktiv, als sich drei verwegene Cowboys von Anahim aus durch die mythischen Itcha Illgachuz Berge und das unbekannte Land kämpften, um weit dahinter Millionen Hektar Grasland im Cariboo-Chilcotin zu „öffnen“ und 1937 im Norden von British Columbia die „Frondier Cattle Company“ zu gründen. David, mittelgroß und kräftig, ist einer der zupacken kann und muss. Die wenigen dunklen Haare, die dem Endvierziger verblieben sind, bedeckt ein zusammengeknotetes buntes Tuch, das er unter dem breitkrempigen Westernhut trägt, und aus seinem gutmütigen Gesicht spricht unverkennbar der Indianer. Buntes Hemd unter brauner Windjacke, die Hosen in festen Gummistiefeln aus Deutschland („das sind die Besten“), so lernten wir den Rancher und Outfitter bei unserer ersten Ankunft kennen. Für unterwegs werden dann nur noch die ledernen Westernchaps übergeschnallt und eine wetterfester Umhang übergezogen. Dass dieser in sich gekehrte Mann sehr belesen und kompetent ist, wenn es um die verschiedensten Themen dieser Welt geht, überrascht mehr, als dass man es erwartet, und seine Ansichten hierzu würden wohl die meisten seiner Zuhörer sofort unterschreiben. Und diese Persönlichkeit dürfte es auch sein, die ihn so sympathisch macht. Und sie? Joyce ist groß, hager, zäh und mittelblond, ein verlässlicher Kumpel, der ebenfalls hart arbeiten muss, und ein absoluter Pferde- und Outdoor-Typ, der nichts vom Stadtleben, Fernsehen oder Menschenmassen hält. Käme die Zivilisation der abgelegenen Ranch zu nahe, ich glaube, sie würde sich dann weiter in die Einsamkeit der Natur zurückziehen wollen. Gemeinsam sind diese beiden großartigen Charaktere ein unschlagbares Gespann, und Tochter Leslie folgt bereits den Spuren ihrer Eltern.
Beim Aufbruch am nächsten Tag regnet es heftig, doch macht das komischerweise niemandem etwas aus, obwohl wir schon zum Frühstück im wetterfestem Anorak und Regenhose antreten. Die Stimmung ist einfach bestens, und die losziehende Regenkarawane muss auch unbedingt auf Sabines Film, denn unterwegs kann man nicht bei jeder guten Gelegenheit anhalten. Unter einem großen Regenschirm klappt das auch sehr gut und ohne jegliche Folgen für die sensible Technik. Die Videofilmerei ist normalerweise ganz allein Sabines Sache, doch bei diesem schweren Regen nimmt sie lieber meinen Schimmel ins Schlepptau und zieht mit der Meute an mir vorüber. Der Boden, den wir heute betreten, ist ein historischer. Es ist ein Teilstück des „Greace Trails“, jenes Indianerpfades, der schon vor Hunderten von Jahren das Landesinnere mit der Küste verband. Von Weg ist natürlich keine Rede, sondern der Trail gibt heute eher die Richtung vor, doch mögen hier und dort die Hufe unserer Pferde durchaus auch die alten Indianerspuren direkt berühren. Wir reiten auch nicht nur durch wunderschöne Täler, tiefe Wälder oder über Hügel, sondern das Gelände ist insgesamt recht anspruchsvoll. Längere Zeit reiten wir auch am schmalen Rand einer tiefen Schlucht bergab, und dabei haben die Pferde „alle Beine voll“ zu tun, um an diesem Hang, der auf der Talsohle des Canyons endet, die richtigen Tritte zu finden. Vorher gab es auch größere Bachläufe zu durchwaten, und den einen oder anderen tiefe Graben hinter sich zu lassen. Und wie die Pferde das erledigten, obwohl sie größtenteils ungeübte Reiter im Sattel hatten, erstaunte einmal mehr. Schmale Gräben sprangen die Nachfahren jener spanischen Mustangs, die Cortez einst mit nach Amerika nahm, und die die Indianer zu Reitern machten, fast aus dem Schritt, bei breiten trabten sie unaufgefordert kurz an, sprangen an das gegenüberliegende Ufer, und mit einem zweiten Satz wieder nach oben. Dort setzten sie ihre normale Gangart fort als wäre nichts gewesen.





