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Danach war es dessen Neffe James Weatherby, der nach langer Arbeit und Durchforschung von Rennaufzeichnungen und privaten Gestütsbüchern 1727 das Englische Gestütsbuch wirklich startete und die Stuten mit ihrem Pedigree und ihren Produkten alphabetisch auflistete. Dazu gehörten auch Farbdetails, Geschlecht und der Vater des jeweiligen Fohlens.
Die fortführenden Bände zwei bis sechs erschienen 1821, 1832, 1836, 1845 und 1849. Danach veröffentlichte Weatherbys das jeweils neueste General Stud Book aller vier Jahre. Im Band 19 formulierte das Vorwort etwa Folgendes: Für die Aufnahme im General Stud Book sind acht oder neun Kreuzungen reinen Blutes nötig, die wenigstens 100 Jahre zurückführen, und das einzutragende Pferd muss zusätzlich die Leistungsmerkmale der Rasse Thoroughbred (durchgezüchtet) zeigen.
Im 19. Jahrhundert begannen auch Europäer, Australier, Japaner und Südamerikaner Vollblüter von der Insel einzuführen. Doch während die Franzosen, die 1817/1818 ihre Importe starteten, für den Sport in Frankreich noch Zeit brauchten, und der Französische Jockey Club erst 1830 gegründet wurde, hatten die Amerikaner schon vorher bessere Pferde nach Amerika geholt und schrieben 1745 in Maryland bereits Rennen für „pedigree horses in the English Style“ aus. Und diese Provinz war, zusammen mit Virginia, gleichzeitig auch das Zentrum der colonialen Vollblutzucht.
Vor der Revolution waren besonders Messenger (1788), der die Flying Childers Hengstlinie vertrat, und Derbysieger Diomed (1777) wichtige US-Importe, wobei der 1788 in Philadelphia seine erste Decksaison absolvierende Messengers wenig Einfluss in der Vollblutzucht hinterließ, aber als einer der Gründerhengste der amerikanischen Traberzucht gilt. Anschließend steuerten die drei wichtigsten Beschäler der frühen Jahre erheblich zum Genpool des moderneren amerikanischen Vollblüters bei. In Prozent ausgedrückt waren das für Matchem etwa 5-6, für Herod 17 oder 18, und Eclipse war mit 11 bis 12 % beteiligt. Zu den späteren Hengsten, die das amerikanischen Vollblut ebenfalls erheblich beeinflussten, zählte auch Derbysieger Hermit (1864; Newminster), der in England/Irland von 1880 bis 1886 an der Spitze der Beschäler stand und fünfmal der beste Vater von Mutterstuten war, dessen direkte Hengstlinie aber ausstarb. Ein anderer, der kleine Hampton (1872; Lord Clifden), begann in Verkaufsrennen und startete auch über Hürden, bevor sein Stern in den großen Handicaps, Cup-Rennen und sieben Queen’s Plates aufging. Er zeugte drei Derbysieger, stand 1887 bei den Beschälern an der Spitze, und sein bester Sohn Bay Ronald setzte seine Hengstlinie fort, die mit The Darley Arabian begann und über den Riesen Eclipse führte. Galopin (1872; Vedette), gewann das Derby und acht von neun Starts, konnte lange und kurze Strecken gehen, wurde Vater von St. Simon und siebenfacher Championbeschäler, viermal davon bei den Vätern erfolgreicher Mütter. Isonomy (1875; Sterling) hätte das Derby wohl spielend gewonnen, doch zog sein Besitzer diesem möglichen 5.825 Pfund-Gewinn einen einzigen Start als Dreijähriger im Cambridgeshire vor, der ihm einen Wettgewinn von 40.000 Pfund sicherte. Als Vierjähriger galt es jedoch, seinen Wert als Beschäler zu steigern. In der Ascot Gold Vase schlug er den Derbysieger von 1877, Silvio; dann folgten Brighton Cup, Ebor Handicap, Manchester Autumn Cup unter 62 Kilo, während er im Ascot Gold Cup den hervorragenden Franzosen Verneuil und die erstklassige Janette schlug. Und diese Lord Cliften-Tochter hatte die Oaks, Yorkshire Oaks, St. Ledger, Champion Stakes und den Jockey Club Cup gewonnen. Im Gestüt zeugte er Isinglas, der Englands „Triple Crown“ gewann, und sein Sohn Gallinule wurde Vater der großen Pretty Polly. Auch Bend Or (1877; Doncaster), den der Duke of Westminster zog; St. Simon (1881; Galopin), der auf das Züchterkonto von Prince Batthyani ging und auf der Rennbahn die Farben des Duke of Portland trug, und Domino, der als Zweijähriger 1893 in Amerika alle neun Starts gewann und in seiner Heimat zu den schnellsten Pferden des 19. Jahrhunderts zählte, trugen mit ihren Genen ebenfalls erheblich zur Vervollkommnung des amerikanischen Vollblüters bei.
Der Vorgänger des Amerikanischen Gestütsbuches von 1868 fand seinen Niederschlag in der Erstausgabe von 1873. Nach der Gründung des Jockey Clubs (1864) kaufte dieser auch die Rechte am Gestütsbuch, doch ging dessen „Entwicklung“ sehr langsam vor sich, weil amerikanische Pferde auch im Englischen Gestütsbuch registriert werden konnten. Als jedoch durch die amerikanischen Antiwettgesetze eine Schwemme von US-Pferden mit zweifelhafter Abstammung in England zu erwarten waren, zogen die Briten 1913 den entsprechenden Paragraphen im Band 22 ganz eng und wiesen darauf hin, dass nur Pferde eingetragen werden dürfen, deren Vorfahren auf beiden Seiten auf Pferde zurückführen, die bereits in früheren Ausgaben des Englischen General Stud Books registriert sind. Diese als „Jersey Act“ bekannte Aktion schloss damit auch zwei der einflussreichsten amerikanischen Beschäler aus, Man O’War (1917; Fair Play) und Whirlaway (1938; Blenheim). Dieser, der von 60 Rennen 32 gewann und 18 zweite und dritte Plätze belegte, gewann Amerikas „Triple Crown“, und Man O’War wurde in zwei Saisons bei 21 Starts nur einmal geschlagen, etablierte fünf Weltrekorde, gewann selbst mehr als 250.000 $, und seine Nachkommen brachten mehr als drei Millionen auf ihre Konten. Aber sie hatten Lexington in ihrem Pedigree.
Für die Amerikaner war die Neufassung jenes Paragraphen somit eine Katastrophe, denn ihre Pedigrees waren noch viel zu jung, und ihr herausragender Beschäler, der 1850 geborene Lexington, der 16 Mal die Liste der Deckhengste anführte, stammte zwar von Englands erstem Derbysieger Diomed ab, hatte jedoch auf seiner mütterlichen Seite „ein Loch“, eine unbekannte Stute im Stammbaum, und somit war auch er, wie seine Nachkommen, nach der Neuformulierung ein Halbblut. Als Durbar II 1914 das Derby gewann, war er nicht nur das erste französische Pferd seit Gladiateur, der das 1865 schon konnte und die Engländer schockierte, sondern seine mütterliche Urgroßmutter stammte auch noch von Lexington. Durbar gehörte zwar zu einer der besten Familien Amerikas, doch zum Zeitpunkt seines Sieges wäre er für das Englische Gestütsbuch durch dessen neuen Paragraphen nicht qualifiziert gewesen. 1949 wurde dieser revidiert und wieder auf die frühere Version beschränkt, sodass auch die vielen französischen, amerikanischen und italienischen Sieger nach dem Zweiten Weltkrieg in England „rechtens waren“. Beseitigt wurde dabei auch das Problem, das nun auch sehr zeitige Importe in das englische Gestütsbuch eingetragen werden konnten, die vor der letzten Korrigierung der Voraussetzungen ausgeschlossen waren.
Von diesen als Halbblüter eingestuften Pferden, die nicht in das General Stud Book Einlass fanden, weil in der geforderten Ahnenreihe „ein Loch“ war, gehörte auch die Stute Lavant aus der „Verdict-Familie“, die eine Urenkelin der Verdict war. 1970, im Band 36, konnte Lavant mit ihren Produkten dennoch aufgenommen werden, denn diese Linie hatte bewiesen, was im korrigierten Paragraphen zusätzlich gefordert war, dass sie inzwischen der Definition und den Leistungen eines Vollblüters entsprach. 1965 und 1968 gehörten Lavants Söhne Lucasland und So Blessed, der ein Jahr früher schon der schnellste Zweijährige in England war, zu den absoluten Top-Sprintern. Lavant war, wie ihre Mutter Firle, selbst Siegerin, und die Großmutter Versicle zählte zu ihren acht Erfolgen sogar den Coronation Cup. Und Verdict, nach der diese Familie benannt ist, brachte die Linie bereits mit Quashed (Oaks und Ascot Gold Cup) und Thankerton (Dritter in den 2000 Guineas und im Derby) in Gang. Die eine dubiose Stute in Lavants direkter Mutterlinie war eine etwa 1837 geborene Tochter von Perion (2. im Derby 1832) der von Derbysieger Whisker stammte; die andere kam über Verdict’s Vater Shogun ins Spiel, der vom General Stud Book ausgeschlossen war, weil seine 7. Mutter, die von Rosedon stammende, etwa 1812 geborene Rosedon Mare, auf der mütterlichen Seite keine identifizierbaren Vorfahren besaß. Lavant selbst konnte in ihrer Stutenlinie zwar zehn Vollblutkreuzungen nachweisen, und nur die entfernteste, die zehnte war dubios, weil die von Perion gedeckte Stute unbekannter Abstammung war. Rein theoretisch spielte das aber keine Rolle, denn die ersten sieben Kreuzungen waren schon automatisch hinfällig, da der Vater von Verdict, Shogun, die Sequenz dadurch unterbrochen hatte, weil seine siebte Mutter, Rosedon Mare“ aus einer unbekannte Stute stammte, und ihm damit den Eintrag ins General Stud Book nicht gewährte. Somit waren die verlangten zehn Vollblutkreuzungen der Mutterseite nicht gegeben, und Lavant galt als Halbblüterin. Erst als sie bewiesen hatte, dass die Leistungen ihrer Nachkommen denen eines Vollblüters entsprachen, war der Eintrag nach der Neufassung des Paragraphen möglich.
Das erste „wirkliche Rennpferd“ in der Geschichte der neuen Rasse war der 1715 in England von Darley Arabian gezogene Hengst Flying Childers, dessen Vorfahren ausschließlich „aus dem Osten“ kamen. Er war das beste Pferd seiner Zeit und soll die Meile in einer legendären Minute gelaufen sein. Auf der Mutterseite ist er das Produkt von Inzuchttheorien und somit ein Triumph neuer Erkenntnisse in der Tierzucht. Über seine Rennen ist wenig aufgezeichnet, doch gewann er auch ein Match über 9.600 Meter. Ein wesentlich besserer Maßstab seiner damaligen Größe stammt jedoch aus dem April 1722, als er den hervorragenden Fox (1714; 11 Siege;) schlug, der drei King’s Plates, ein Ladie’s Plate und mehrere Match-Rennen gewann, unter denen sich auch eins um 2.000 Guineas befunden haben soll. In jenem Match soll Flying Childers mindestens sechs Kilo mehr im Sattel gehabt haben und Fox, der 1737 und 1735 Englands Champion-Vererber war, über eine unbekannte Distanz mit vierhundert Metern Vorsprung besiegt haben. Seine Urenkelin Allabaculia gewann zwar unter John Singleton 1779 das erste St. Ledger, doch konnte Flying Childers keine dauerhafte Hengstlinie etablieren. Das tat jedoch sein nicht gelaufener Bruder Bartlett’s Childers, der Squirt zeugte, dessen Sohn Marske der Vater des großen Eclipse wurde. Auch in den Adern des englischen Derbysieger von 1966, Charlottown, pulsierte noch Blut von Flying Childers, dessen Enkel Snap (1857; 3 x 3 auf Fox ingezogen) eines der besten Rennpferde seiner Zeit war und das Blut seines Vorfahren erfolgreich weitertrug. So auch in den Derbyiegern Saltram, der 1783 zu Epsom triumphierte und 1799 nach Virginia exportiert wurde, und dem vier Jahre jüngerem Sir Peter. In beiden Fällen war Snap, der in die USA exportiert wurde, der mütterliche Großvater. In den Pedigrees der Derbysieger Whalebone, Whisker, Phantom und Pope stand Snap in deren Ahnenreihen ebenfalls weit vorn.
Bei dem ersten wahrhaften Rennpferd, das 49 Jahre später diese Welt betrat, Eclipse, stand Flying Childers Vater Darley Arabian als Ururgroßvater bereits drei Generationen weiter hinten, und seine Mutter Spiletta war eine Enkelin von Godolphin Arabian. Der von Marske stammende Hengst, der sieben Heats und 19 Rennen im Spaziergang gewann, muss dabei in nur zwei Jahren etwa 2.200 Kilometer gewandert sein, um 100 Kilometer in seinen Rennen zu laufen, denn Transportmöglichkeiten gab es damals noch nicht. Der 1764 während einer Sonnenfinsternis geborene Fuchs wurde nie geschlagen, war stets überlegen, eisenhart, gesund, eine Legende und als Deckhengst von überragender Bedeutung. Heute – 2007 waren es 95% – steht sein Name in fast allen Pedigrees der Vollblüter rund um die Welt. Die Pferde unserer Zeit würden ihn schlagen, aber damals muss er ein Überpferd gewesen sein. „Eclipse Erster, der Rest nirgendwo“, ein Spruch, den uns jene Zeit überlieferte. Mit diesem Phänomen überlappte sich auch die Zeit dreier weitere bedeutender Hengste: Dem harten Steher und Godolphin Arabian-Enkel Matchem (1748-81); Herod (1758-80), ein Ur-Ur-Enkel von Byerly Turk, der die Besten seiner Zeit schlug, achtmal die Deckhengstliste Englands anführte, und dessen Sohn Florizel (1768) zehn Rennen gewann und an Diomed Englands ersten Derbysieger zeugte. Der Dritte war Herold’s Sohn Highflyer (1794-93), den Sir Charles Bunbury zog, Richard Tattersall besaß und der 13 Deckhengst-Championate gewann. Mit diesen Pferden standen den Züchtern auch alle Möglichkeiten offen, um in der Zucht zu experimentieren oder neue Kreuzungen zu versuchen. Und auch die vielerorts verpönte Inzucht wurde von den frühen Züchtern intensiv genutzt (heute spricht man nur noch von Inzucht, wenn der gleiche Vorfahre weit vorn, bis zur dritten und vierten Generation, vorkommt, denn der Vollblüter als solcher ist insgesamt ingezogen). Auch die Idee des ausgewiesenen Pferdemannes Richard Tattersalls, das Blut Herod’s mit dem von Eclipse durch dessen Töchter und Hyfligher zu vereinigen resultierte in drei Derbys, zwei St. Ledgers und Frankreichs Derby 1912.
Wichtiger als die Statistik ist jedoch die Tatsache, dass ihr Einfluss die kritische Phase in der Vollblutzucht dominierte. Sie liefen zu Beginn dieser neuen Zucht, als sich die Pferde viel langsamer entwickelten als heute (Eclipse lief erstmals als Fünfjähriger), und das „Kings Plate“, das Eclipse elfmal gewann, besaß damals den größten Prestigewert. Aber diese Rennen basierten auf Kraft und Ausdauer, und die Pferde hatten 12 Stones (76,2 kg) über vier Meilen zu tragen. Ihre Nachfahren aber liefen in einer neuen Zeit, und in dieser galten Speed und Frühreife als immer wichtigere Faktoren. Es gab nun auch Rennen für Zweijährige, und für die Dreijährigen wurden die „Classics“ St. Ledger, Oaks und Derby als der ultimative Test entwickelt. Es war jedoch keiner dieser vier großen Hengste – Eclipse, Herod, Matchem, Highflyer – allein für die neue Entwicklung verantwortlich, sondern die Kombination von Eclipse und Herod galt für die „klassische Zucht“ als das frühe Rezept. Bestes Beispiel war damals der Derbysieger von 1793, Waxy, ein Hengst von Pot-8-Os (Eclipse) aus der Herod-Tochter Maria (1777), der von William Clift geritten wurde. Sein Trainer Robson gewann sieben Derbys, zehn Oaks und galt in jenen Jahren als Bester seiner Zunft. Er starb 1838 in Newmarket. Und Waxy zeugte die Derbysieger Pope, Whalebone, Blucher und Whisker.
Waxys Vater, der noch als Zehnjähriger im Training war, war ebenfalls ein gutes und hartes Pferd, das die Spitzenkönner seiner Zeit alle schlug. Er gewann 35 Rennen, und 17 davon führten über mehr als vier Meilen auf Newmarkets Beacon Course. Im Gestüt war er extrem erfolgreich. Er zeugte noch zwei weitere Derbysieger, und in Waxys Derby war er der Vater von sechs der dreizehn Starter. Waxy, der im Derby Gohanna (Mercury) schlug, focht mit diesem anschließend noch zahlreiche Duelle aus. Insgesamt behielt dabei aber der Derbysieger die Oberhand, doch hatte der schmale Gegner die Courage eines Löwen.

Eclipse (1764), das überlegene Rennpferd seiner Zeit
Im Gestüt war er ebenfalls erfolgreich, und sein Derbysieger hieß 1807 Election, der John Arnull im Sattel hatte. Für Lord Egremont war dieser Fuchs der vierte Derbysieger in Folge.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sah ebenfalls zwei ungeschlagene, brillante Vollblüter: St. Simon und Ormonde, den Gewinner der „Dreifachen Krone“. Aber sie erlebte mit Stockwell, Hermit und St. Simon auch drei außergewöhnlich erfolgreiche Deckhengste. Und diese Pferde waren gleichzeitig ein messbarer Prüfstein dafür, dass sich das Englische Vollblut weiterentwickelt hatte. Dieser Beweis wurde spätestens 1975 erbracht, als die Siegerzeiten von Derby, Oaks und St. Ledger wissenschaftlich analysiert wurden und in dem Ergebnis resultierten, dass es bis 1900 pro Dekade eine stetige Verbesserung um etwa 2 % gab. Danach war diese Tatsache kaum noch feststellbar. Wahrscheinlich war das Vollblut damals am Ende seiner genetischen Entwicklung angekommen.
Admiral Rous schrieb bereits 1850: „Es wird angenommen, dass ein erstklassiges englisches Vollblut-Rennpferd dem besten Araber, der zu finden ist, sechs Stones (etwa 38 Kilo) geben kann“. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass sich damit die neue Rasse „Thoroughbred“ gewaltig verbessert und zu einer neuen, sich über alle anderen Pferderassen erhebenden eigenen Rasse entwickelt hat, deren Markenzeichen Speed (Schnelligkeit) ist. Und in diese Entwicklung flossen auch Faktoren ein wie der Import von „Speed“ zur Jahrhundertwende aus den USA, die Inzucht auf St. Simon, die sich auch in den beiden mächtigen klassischen Vererbern des 20. Jahrhunderts, Hyperion und Nearco, zeigte. Auch der Einfluss so großer Stallions wie Phalaris und Blandford, die Etablierung des englischen Nationalgestüts, das Spitzenhengste aufstellte, Geldspritzen aus den Wettumsätzen und anderen Quellen in den Sport, moderne Erkenntnisse zu Fütterung, Aufzucht, Training, Veterinärmedizin oder Geläufspflege dürften sich auf dem Weg zum „vollendeten Vollblüter“ ebenso positiv ausgewirkt haben, wie die US-Hengste, die in den 1960er Jahren nach England kamen, oder die 1969 eingeführten Gruppen-Rennen und die Globalität, die Zucht und Sport erfasste. Wenn auch die Zucht keinen mathematischen Formeln folgt, das heutige Rennpferd entwicklungsmäßig vielleicht fast „ausgereizt“ ist, so dürfte es aber auch in der Zukunft Pferde geben, die, wie zuletzt ein Frankel, immer noch einen Tick genialer sind, als der beste Vorgänger. Und wenn sich diese wunderbaren Geschöpfe mit ihren Champions auch weiterhin „nur“ so präsentieren, wie das inzwischen der Fall ist, dann müsste man doch eigentlich voll zufrieden sein, zumal das Spiel der Gene ohnehin in jeder Generation für neue Spannung sorgt.
Für die frühe Importation von „Speed“ steht der 1892 geborene Topsprinter und Lexington-Urenkel Americus, dessen väterlicher Urgroßvater auch der Vater seiner Großmutter war. In Amerika lief er als Rey del Carreres. Die neue Heimat gab ihm einen neuen Namen, und er England 1905 seine Tochter Americus Girl. Und diese Fuchsstute wurde Vorfahrin einer brillanten Sprinterlinie-Linie des 20. Jahrhunderts, an deren Spitze mit Mumtaz Mahal, „the flying filly“, stand, die The Tetrarchs beste Tochter war. Die gesamte Nachkommenschaft dieser Schimmelstute, die eine der einflußreichsten Pferdedamen in der Vollblutzucht wurde, besaß Geschwindigkeit. Lexingtonblut trugen auch Sibola (Ur-Ur-Großmutter von Nearco) und Rhoda B, die Mutter von Orby, dessen Stehvermögen gerade ausreichte, um 1907 die Derbys von England und Irland zu gewinnen. 1908 wurde Americus in Irland als Hauptbeschäler für das Trakhener Hauptgestüt gekauft, wo er schon im Frühjahr 1909 an Darmriss einging.
Den offiziellen Begriff des „klassischen Rennpferdes“ gibt es nicht, doch waren und sind es die „klassischen Rennen“, die die jeweils dreijährige Hengst- und Stutenelite über unterschiedliche Distanzen prüfen und der Zuchtauslese dienen, auch wenn heute noch viele andere, internationale Großereignisse ebenfalls eine Rolle spielen. Und unter „Classic“ werden höchster Standard, berühmt für lange Existenz und Excellence, verstanden. Und lange bevor kommerzielle Interessen den „Turf“ zur Industrie machten, waren diese Rennen, die auch zur englischen Tradition gehören, längst etabliert, und ihre Sieger sind die Elite unter Tausenden von Vollblütern. Den Anfang machte das „St. Ledger“ 1776 (2.900 Meter im September zu Doncaster); die „Oaks“ folgten Anfang Juni 1779 über 2.414 Meter zu Epsom wie das „Derby“, das ein Jahr später Premiere hatte. In den ersten vier Jahren führte es über eine Meile, danach war es die gleiche Distanz, die in den „Oaks“ zu laufen ist, eineinhalb Meilen. 1814 und 1809 wurden die „1000 und 2000 Guineas“ zu Newmarket eingeführt, die beide im April jeweils über eine Meile führen. Die „Oaks“ und die „1000 Guineas“ sind nur den Stuten offen, der Rest beiden Geschlechtern, wobei Stuten gegenüber Hengsten einen Gewichtsnachlass erhalten. Und eine alte englische Turfweisheit besagt, dass das „früheste“ Pferd die 2000 Guineas gewinnt, das Beste das St. Ledger und das glücklichste das Derby. Wem der Wurf 2000 Guineas, Derby und St. Ledger gelingt, der hat die seltene „Dreifache Krone“ gewonnen. In England war West Australian 1853 der erste Sieger der „Dreifachen“, und Nijinsky 1970 unter Lester Piggott der letzte der insgesamt 15 Vollblüter, denen das auf der Insel gelang. Amerika, das bis Ende 2016 auf 12 Sieger kam, startete 1919 mit Sir Barton, während Affirmed 1978 das vorletzte Pferd war, dem der amerikanische Durchmarsch im Kentucky Derby, den Preakness- und Belmont Stakes gelang, bevor das 2015 auch American Pharoah konnte. Seit 1875, als das Kentucky Derby vom Start kam – die Belmont- und Preakness Stakes wurden schon 1867 und 1873 etabliert – wollten bis inklusive 2015 4.180 Pferde diese „Dreifache“ gewinnen. 289 von ihnen konnten sich in einer, und 52 in zwei der drei Prüfungen durchsetzen. Als Pechvogel könnte man vielleicht Pillory bezeichnen, der 1922 gar keine Chance hatte, alle drei Rennen zu gewinnen, denn in jenem Jahr wurden Derby und die Preakness Stakes am gleichen Tag gelaufen. Eine Ausnahme war 1978 auch Alydar, der in allen drei Rennen als Zweiter von Affirmed um insgesamt zwei Längen geschlagen war. Dieser Raise A Native-Sohn, der von 26 Starts 14 gewann und zehn Plätze belegte, auf der Bahn eine knappe Million Dollar verdiente und 1990 bei den amerikanischen Vererbern an der Spitze stand, musste schon im gleichen Jahr wegen eines mysteriösen Beinbruches auf der berühmten Calumet Farm eingeschläfert werden.
In Europa ist die „Dreifache“ in den letzten Jahren seltener geworden, weil der Steher nicht mehr die Rolle wie in früheren Jahren spielt und das frühreife Pferd bevorzugt wird. Und damit hat auch das St. Ledger nicht nur für den Züchter an Bedeutung verloren. Die meisten Pferde sind inzwischen auf bestimmte, kürzere Distanzen spezialisiert, und ein Derbysieger hat in unseren Tagen zusätzlich attraktivere und höher dotierte Möglichkeiten als das St. Ledger. So den Prix de l’Arc de Triomphe zu Paris, das Cox Plate in Australien, den Japan Cup, die Breeders Cup Rennen in den USA, das Dubai Welt Cup-Meeting, die Internationalen Rennen zu Hong Kong im Dezember und weitere Großereignisse. Wenn auch manche Renndaten, zu früh oder zu spät im Jahr, nicht so recht in das europäische Programm passen, so sind doch die Auswahlmöglichkeiten erheblich umfangreicher geworden als in jenen Tagen, als das St. Ledger neben dem Derby die Hauptrolle spielte. Der letzte Derbysieger, der die Dreifache Krone Englands gewinnen wollte, war der in Irland trainierte zweifache Derbysieger und Montjeu-Sohn Camelot, der 2012 als in fünf Rennen Ungeschlagener im Doncaster St. Ledger (500.000 Pfund) antrat, aber Encke, dem „Erzrivalen“ aus dem Godolphin-Stall, den Vortritt lassen musste. Und so bleibt der in Irland trainierte Kanadier Nijinsky der letzte „Europäer“, der die Englische Triple Crown 1970 gewinnen konnte. Bis er sie damals als Nächster gewann, waren 35 Jahre vergangen, doch musste Amerika noch 24 Monate länger warten, ehe es 2015 seinem American Pharoah als „jüngstem“ Triple Crown-Sieger wieder zujubeln konnte.
Gewünschte Frühreife und die Bevorzugung der neuen Großereignisse führten auch dazu, dass das St. Ledger als ältestes klassisches Rennen in einigen Ländern an Attraktivität so viel verlor, dass es dort schon vor mehreren Jahren auch für ältere Pferde geöffnet wurde, denn der Stehertyp ist längst vom Mitteldistanz-Pferd verdrängt, womit dieses Rennen auch seine ursprüngliche Aufgabe als Härtetest für den Derbyjahrgang verloren hat.
In England war es ganz besonders Sir Charles Bunbury, der als erster Chef des Jockey Clubs diesen „kultivierte“ und verantwortlich war für die Änderungen, die den britischen Rennsport revolutionierten. Auf ihn gehen auch die Oaks und das Derby zurück, denn beide entstanden nach Diskussionen beim Dinner in seinem Epsom-Haus „Oaks“ mit dem 12. Earl of Derby. Als der Name mit einem Münzwurf für letzteres gesucht wurde, gewann zwar der Earl, doch der erste Derby-Sieger, Diomed, kam aus der Zucht und dem Besitz von Sir Charles Bunburry. Dessen Stute Eleanor, deren Vater Whiskey ein Eclipse-Enkel war, wurde 1801 auch die erste Stute, der das Doppl Derby und Oaks gelang. 1804 schlug sie an Quiz (Buzzard) den St. Ledger-Sieger von 1801, der ebenfalls ein sehr gutes Rennpferd war, jedoch keine 29 Rennen gewann wie Sir Charles Bunburys Stute, die bis siebenjährig im Training war. Blink Bonny (1854; Melbourne), Signotinetta (1905; Chaleureux) und Fifinella (1913; Polymelus) gewannen nach ihr jenes Doppel ebenfalls. Letztere gewann ihr Kriegs-Derby zu Newmarket, bei dem Jockey J. Childs mit dieser äußerst launischen Diva zunächst erhebliche Schwierigkeiten hatte, ehe sie urplötzlich mit vernichtendem Speed gewann. Zwei Tage später in den Oaks war sie brav wie ein Lamm und gewann mit überlegener Leichtigkeit. Nach acht Starts und vier Siegen hatte die Dame am Rennen kein Interesse mehr, ging in die Zucht und gab nur ihrem Sohn von Hurry On, Press Gang (1927), der später nach Russland exportiert wurde, etwas von ihrem Können mit. Signorinettas Züchter und Besitzer war der in Newmarket lebende Italiener E. Ginistrelli, der die Chaleureux-Tochter aus der St. Simon-Stute Signorina „erhielt“, denn sie soll das Produkt einer Romanze ihrer Mutter mit dem sehr guten Handicapper gewesen sein. Das Derby gewann sie unter William Bullock als 100:1-Chance, zwei Tage später gab es in den Oaks nur noch dreifaches Geld auf ihren Sieg. Anschließend waren, wie auch im St. Ledger, weitere Bemühungen erfolglos, und im Gestüt hatte sie an The Winter Kings (1918; Son-in-Law) auch nur einen guten Sohn. Blink Bonny, die bereits als Zweijährige sieben von elf Rennen, und insgesamt 14 von 20 gewann, war ein großartiges Rennpferd. Sie gewann das Derby nach Kampf mit einem Hals, die Oaks zwei Tage später leicht und war, nach drei weiteren Siegen, der Favorit für das St. Ledger, in dem sie allerdings um den Sieg betrogen worden sein soll. Ihr Besitzer wurde zwar vorher gewarnt, doch glaubte er an das Gute im Menschen und beließ seinen Jockey Charlton auf der Stute. Die Loyalität von Mr. W. I’Anson wurde jedoch missbraucht und die Stute im Rennen „gepullt“. Unmittelbar nach dieser Tragödie gewann sie die Park Hill Stakes zu Doncaster. Zum Vorfall berichtet Roger Mortimer in seinem Buch „The History of The Derby Stakes“, dass der Drahtzieher zu diesem Betrug ein damals führender Buchmacher namens John Jackson gewesen sein soll, der für die Manipulation der Jockeys bekannt war und früh verstarb. Von Strafmaßnahmen wird nichts berichtet, doch hatte der Besitzer von Blink Bonny mit diesem Betrug nichts zu tun. In der Zucht fohlte die Derbysiegerin, die bereits 1862 starb, Blair Athol (Stockwell), der 1864 in den gleichen Farben, die seine Mutter zum Sieg trug, selbst zu Derbyehren kam. Im Gestüt stand dieser Hengst zwischen 1822 und 1877 viermal an der Spitze der englisch-irischen Stallions. Nachdem sein Sohn Silvio 1877 Derby und St. Ledger gewonnen hatte und seine Decktaxe von 100 auf 200 Guineas stieg, wurde er von den Züchtern boykottiert. Daran konnte auch eine spätere Senkung auf 75 Guineas nichts mehr ändern. 1882 starb der Sohn der großen Rennstute Blink Bonny.