100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 4

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Zurück auf der Straße begleiten uns bis zum South Beach Küste und Strände so weit das Auge reicht. Der „Vierer“ hat eine Zufahrt, die anderen erreicht man über kurze Wege. Wir selbst wählen den „Einser“, zwischen dessen ausgeblichenem Treibholz und dem Meer sich herrlich marschieren lässt. Ein paar „Geister“ treffen wir im windgepeitschten Klippenwald nach dort unten auch. Eigentlich sind es nur „Burls“ die entlang des Spruce-Burl-Rundweges auffallend häufig an den Fichten auftreten, doch zeichnen diese knollenartigen großen und kleinen Wucherungen an Stämmen und Ästen im Nebel geisterhafte, gespenstische Konturen. So, als wären hier Gnome unterwegs, die unerkannt vorüberhuschen möchten und nur kurz innehalten, wenn sich jemand nähert. Der Sand am Strand ist weiß und weich, das Wasser eisig kalt, doch wäre das hier gefährliche Meer auch bei wärmeren Temperaturen nicht zum schwimmen geeignet. Was hier reizt ist die raue Natur mit frischer, feuchter Salzluft und der Ursprünglichkeit der Klippen, Bergen von Treibholz, Steine aller Größen und der kräftige Wind, der das Rauschen des Meeres untermalt. Zwischen den Steinen, die die Wucht der Wellen am Strand hinterlassen hat, dominieren die Hellgrauen, während die Weißen hilflos in der Unterzahl sind. Und einen dieser „Exoten“, hühnereigroß, nehme ich mit nach Hause weil ihm seine sechs kleinen, glitzernden Löcher ein lächelndes Gesicht verleihen. Vielleicht gar einer der winzig kleinen Gnome, die ihren großen dunklen und mürrischen Gesellen die Freundlichkeit gestohlen haben?
Nach diesem Abstecher führt uns die Küstenstraße über den Queens River und dann, südostwärts ziehend, durch die Quinault Indian Reservation zum Lake Quinault, wo sie nach Süden Richtung Aberdeen strebt. Auf der geschäftigen „8“ nach Olympia – Washingtons Hauptstadt mit der im Osten von ihr leuchtenden weißen Gletscherkappe, die auf den Riesen des Kaskadengebirges, den Mount Rainier hinweist – sind wir ebenso kurz Gäste wie danach auf der „5“ Richtung Tacoma, denn unser nächstes Ziel, der Mount Rainier, verlangt bei Puyallup die „7-Süd“ und danach bei Elbe die „706“. So richtig flott geht das allerdings nicht, denn auf den insgesamt sechs Spuren wird Richtung Olympia „Stopp and Go“ wie in Europa praktiziert. Schuld daran sind die unzähligen Einfahrten, die auf den nächsten zehn bis fünfzehn Kilometern in den Highway münden und deren Benutzer um diese Zeit nach Hause möchten. Richtung Elbe, durch Farmland und Wald, wird der Verkehr schnell geringer, und als wir am Silver Lake im Henley’s Resort – Wochenend-Domizil für Angler – nach 333 Tageskilometern um 22 Uhr schlafen gehen, regnet es in Strömen.
Ein sonnenüberstrahlter Tag war am nächsten, sehr frühen Morgen zwar noch nicht ganz verbürgt, aber es sah danach aus. Für uns wäre es ein regelrechtes Geschenk, denn wir sind auf dem Weg zu dem majestätischen, weißköpfigen Mount Rainier, den wir gern in seinem besten Kleid sehen würden. Richtung Elbe passieren wir den Alder Damm, wo 1912 am Nisqually River eines der ersten Wasserkraftwerke im amerikanischen Westen entstand, wechseln dann zur „706“, und die bringt uns über Ashford schon mit Sonnenschein zum Nisqually-Parkeingang des Mount Rainier Nationalparks. Sie wird sich durch den gesamten Südteil des Parks mühen, um im Ostzipfel des Schutzgebietes, beim Stevens Canyon Eingang, auf die von Norden kommende „123“ zu treffen, die in nördlicher Richtung am Cayuse Pass an den über den Chinook Pass (1.657 m) kommenden und in Richtung Seattle ziehenden Mather Memorial Parkway („410“) anknüpft. Und dieser schickt, auf der Höhe des Wild River Einganges, eine nur von Juli bis September offene Straße, zum „Sunrise“, dem mit 1.950 Meter höchsten Punkt im Park (Visitor Center; Lodge), der mit dem Auto erreichbar ist. Nach Süden verlässt die „123“ am Ohanapecosh Visitor Center den Mount Rainier National Park und verbindet dort auch zum nächsten wichtigsten Naturdenkmal, dem Mount St.Helens.

Mount Rainier, ein aktiver Vulkan, der sich in den Cascade-Bergen 4.392 Meter in die Höhe reckt
Der Nationalpark ist ein Bergwunderland mit dichten Wäldern, klaren, eiskalten Bächen, bunten Wildblumenwiesen, gewaltigen Schneefeldern und zerklüfteten Gletschern, von denen es um den Gipfel des Mount Rainier sechsundzwanzig gibt. Mit blauem Himmel, Sonne, der von Bäumen, Blumen und Erde gewürzten frischen Luft, mit intensivem Grün ringsum und der weißen Kappe des Königs der Cascade Range ist es ein Tag wie gewünscht. Aber dieser friedliche Riese ist ein aktiver Vulkan, der als Symbol für die Schönheit und Kraft der Natur steht, doch jederzeit sein Gesicht radikal verändern kann. Sein letzter großer Auftritt liegt zwar etwa zweihundert Jahre zurück, doch brachte er sich im 19. Jahrhundert auch zweimal in Erinnerung, zuletzt 1963. Und seine Familie, die Cascade Bergkette, die schon seit Millionen von Jahren vulkanisch aktiv ist, weil sie sich dicht an der Westflanke der nordamerikanischen tektonischen Platte befindet. Der Berg selbst ist allerdings noch ein Jüngling, denn geologisch betrachtet sind 500.000 Jahre nur ein Atemzug. Aber wie die anderen Vulkane der Cascades auch, hat er jederzeit das Potenzial zu einem neuen Ausbruch. Ähnlich unberechenbar ist hier auch das Wetter, denn wenn die vom Pazifik kommenden Regenfronten gegen die Hänge des Berges treffen, dann laden sie enorm viel Regen ab, und in den höheren Lagen auch Rekordmengen an Schnee. Und diese Niederschläge gestalten alles, was der Besucher hier sieht. Von den Gletschern, die sich an die Bergspitzen krallen, bis hin zu den dichten Wäldern, in denen uralte Douglas-, Hemlocktannen und Zedern die Altbestände sichern. In den subalpinen Abschnitten und an den Schultern der Berghänge, wo sich genügend Feuchtigkeit mit vulkanischem Boden und intensivem Sommerlicht verbindet, bedanken sich grandiose Wildblumenwiesen für diese Kombination. Die wenigen Straßen sind schmal und eng, und besonders in den Niederungen reicht der Wald fast bis an die Räder, denn die Parklandschaft sollte so wenig als möglich belastet werden. Im Winter sind alle geschlossen. Nur die achtzehn Meilen zwischen dem Südwesteingang und „Paradise“, als auch die Zufahrt an der Nordwestecke des Schutzgebietes zum Carbon River-Eingang sind frei. Aber dort gibt es auch die größten Niederschläge, die die Carbon River Road oft überschwemmen.
Als wir durch den Nisqually-Eingang fuhren und kurz darauf den Sunshine Point Campingplatz passieren sind wir äußerst gespannt, denn der Abschnitt bis zum Longmire Museum, das neben dem Hotel „National Park Inn“ zu finden ist und nur wenige Schritte vom Wilderness Information Center entfernt seinen Standort hat, gilt als eine der schönsten Waldstraßen, die man auf unserem Globus finden kann. „Longmire“, erhielt seinen Namen von James Longmire, der 1888/89 mit seiner Familie dort Heilquellen entwickelte, und dessen Standort nach der Parkgründung 1899 vorerst zum Hauptquartier der Verwaltung wurde, ehe es zum Museum mutierte. Viel Zeit schenken wir diesen Einrichtungen nicht, denn uns hat längst der Blick auf den Berg fasziniert, und somit genießen wir „den Weg und diese Natur“ und halten dort, wo die Straße den Kautz Creek überbrückt für die ersten Fotos an. Auf der Weiterfahrt zur Hochebene „Paradise“ reißen die schönen Blicke nicht ab, und auch der Hauptakteur des Parks zeigt sich immer wieder anders.

Herbststimmung im Mount Rainier Nationalpark
Aussichtspunkte und Frühstücksplätze locken überall zum Verweilen, wie auch mehr als zwanzig Wasserfälle, die sich mit etwa zwanzig bis zweihundert Meter präsentieren, und von denen der „Christine“ in unmittelbarer Nähe der „706“ gelegen ist. Und auch der Wanderweg zu einem der beiden schönsten im Park, den „Comet Falls“ – der andere ist der breitgefächerte, 107 Meter hohe Spray Falls – beginnt etwa vierhundert Meter westlich der Brücke, die sich an den Christine Falls über den gletschergefütterten Van Trump Creek spannt. Nach weniger als drei Kilometern steht man zwischen Longmire und Paradise vor seinen drei Sprüngen, die er mit 119, 16 und sechs Metern vollführt. Der am meisten besuchte Ort im Park ist „Paradise“, mit dem Hauptbesucherzentrum auf 1.647 Metern und der schönen, nur im Sommer geöffneten Lodge. Bekannt ist es für sein grandioses Panorama, das im Sommer durch Wildblumen, im Herbst durch das Rot des Laubes auf den Hügeln noch zusätzlich unterstrichen wird. Wer den Rucksack schultern möchte, kann das ebenfalls tun, bis hin zu den 93 Meilen des „Wondertrails“, der mit Start und Ziel zu Longmire in einem großen Bogen den Park durchzieht und hier und dort auch Begegnungen mit Schwarzbären, Hirschen, Rehen, Bergziegen, Eichhörnchen oder Murmeltieren ermöglicht. Die Zufahrtsstraße wird auch im Winter geräumt, denn in der Paradise-Region fallen jährlich mehr als siebzehn Meter Schnee, der Langläufer, Schlittenfahrer und Schneeschuhwanderer begeistert.
Nach ein paar Stunden in dieser herrlich bunten Bergwelt kurvt unsere Straße am felsigen Hang des gewaltigen Paradise Valleys entlang und windet sich in Schleifen um Seen und Felskanten hinunter ins Tal. Unterwegs berührt sie die Stevens- und Box Canyons und schlägt zwischen den Cougar- und Silver Falls ein langes „V“, um die Backbone Ridge zu umgehen. In der Nähe des „Grove oft the Patriarchs Trailheads“ und des Stevens Canyon Einganges, wo der Höhenunterschied in etwa wieder ausgeglichen ist, geht die Straße zu Ende und trifft auf die „123“. Hier sofort nach Süden zu fahren, um den Park am Ohanapecosh Visitor Centers zu verlassen, in dessen altem Wald wieder wunderschöne Zedern, Tannen und der Campingplatz am gleichnamigen Fluss locken, sollte man vermeiden, sondern vorher noch die etwa vierzig Kilometer auf der „123“ nach Norden fahren, und zum „Sunrise“ abzuzweigen. Wer dort das Glück eines klaren Sonnentages wie heute hat, dem zeigt dieser Park dort auch seine Schokoladenseite mit bunten Bergblumenwiesen, dem Mount Rainier, Emmons Gletscher und weitere Vulkane dieser Bergkette. Übernachten muss man aber vor den letzten Kehren, zu White River, weil der dortige Campingplatz auf 1.341 Metern die letzte Möglichkeit ist, und die Sunrise Day Lodge (1.950 m) nur mit einem Restaurant aufwartet.
Wir haben das getan und verlassen später den Park über das Ohanapecosh Besucherzentrum, fahren durch den Gifford Pinchot National Forest, nutzen die „12“ und „25“ nach Süden bis sich in der Nähe von Iron Creek Falls die „99“ anbietet, um mit uns in vielen Kurven zur „Windy Ridge“, und damit zum Mount St.Helens hochzuklettern, wo nur noch Wandertrails um den Vulkan weiterführen, die teils aber eine Genehmigung voraussetzen. Als der Mount St.Helens am 18.Mai 1980 letztmals ausbrach, sah die Welt erschütternde Bilder: Bäume, die wie Streichhölzer umknickten, Aschenregen, Schlamm- und Erdmassen, die sich über die Hänge des mächtigen Vulkans schoben. Aber so furchterregend das war, erdgeschichtlich gesehen kam die Explosion am „St.Helens“ der eines Knallkörpers gleich. Als der ebenfalls im Kaskadengebirge beheimatete Mount Mazama vor 6.800 Jahren ausbrach, schleuderte er 42mal so viele Kubikkilometer vulkanischer Auswürfe in die Luft! Von wandern kann heute auch keine Rede sein, denn je höher wir uns durch Regen und Nebel nach oben tasteten, desto dichter wurde beides, und dort, wo normalerweise der Blick auf den Vulkan fällt, reichte die Sicht keine zehn Meter mehr. Es ist also ratsam, sofort wieder zu drehen, um dieser Waschküche unbeschadet zu entkommen. Ganz überflüssig war der Ehrgeiz dennoch nicht, denn dort, wo der Nebel unterwegs die Hänge hinaufglitt und den Blick auf Verbranntes freigab, schauten die damals verkohlten Baumstämme mit verschwommenen Umrissen wie rastende Gespenster von den rechten Hängen herab, während sich linkerhand bereits halbhohe grüne Nadelhölzer, Sträucher, Gras und Blumen zeigten. Mehr war nicht zu sehen, und somit blieb nur noch nachzulesen, was im kostenlosen Mount St.Helens Visitor’s Guide unter der Überschrift „30th Year Commemorative Edition Volcano Review“ zu erfahren war: Die Eruption dieses Vulkans war zwar eine der stärksten im 20.Jahrhundert, doch reichte sie nicht an Amerikas schlimmstes Ereignis dieser Art in jenem Jahrhundert heran, dass sich am 6.6.1912 in Alaska ereignete. Als damals der Novarupta im heutigen Katmai National Park dem inneren Druck nachgeben musste, schleuderte er dreißig Kubikkilometer Schlamm, Geröll und Lava aus sich heraus. Aber auch die Lawine des St.Helens, der zu dem sich um den Erdball ziehenden „Ring of Fires“ gehört, riss in wenigen Minuten mit ihrem totbringendem Feuersturm alles nieder und verwüstete ein Gebiet, das etwa zweimal so groß wie München war. Am Ende war die gesamte Nordflanke des Berges weggerissen, die Gerölllawine sehr schnell von der in Richtung Spirit Lake fließenden Lava überholt, so dass diese verheerende Schäden anrichtete, wie die Säule aus Asche und Gasen, die sich über elf Bundesstaaten verteilte. Auf dem Berg schmolzen Schnee, Eis und Gletscher, und der Vulkanschlamm erreichte sogar den fünfzig Kilometer entfernten Columbia River, während der Spirit Lake, ein glasklarer Bergsee, in kürzester Zeit seinen Sauerstoff verlor und zu kochen begann. Was im Umkreis von dreißig Kilometern stehenblieb, war verkohlt, von der Hitze gebogen und ragt noch heute astlos aus dem Boden Andererseits hat die Natur in den vergangenen dreißig Jahren gezeigt wozu sie in der Lage ist, wenn man sie in Ruhe lässt. Am See, der bereits nach zehn Jahren seine einstige Wasserqualität wieder erreicht hatte, gibt es wieder blühende Wiesen, Wapitis haben das offene Land in Besitz genommen und auf dem Berg, dessen heutiger Krater eine Meile breit, zwei lang und 2.200 Meter tief ist, hat sich Amerikas jüngster Gletscher gebildet. Als die ersten Pioniere, die für diesen Wandel sorgten, gelten Lupinen und Taschenratten. Diese benötigen jene als Futter und durchwühlten und lockerten den Boden mit Röhren und Höhlen. Und weil die tiefen Wälder offenem Land gewichen waren, trugen auch die besitznehmenden Wapitis zum Neubeginn bei. Mit ihren Tritten brachen sie in dem von den Ratten durchwühltem Boden ein, wodurch der Regen eindringen, und die Regeneration beginnen konnte. Dreißig Jahre später ist dort, wo einst der Wald die Szenerie beherrschte eine Bimssteinebene entstanden, und Pflanzen und Tiere haben das verlorene Paradies zurückerobert. Nur der Spirit Lake friert wegen der gewaltigen Treibholzansammlung nicht mehr zu, und der 150 Meter dicke neue Gletscher, der sich im Krater gebildet hat, liefert für die völlig neue Landschaft mit Tümpel und Seen das Wasser. Mit diesem kamen auch die Bieber zurück, und die durch ihre Dämme aufgestauten Gewässer nützen Amphibien und Kröten. An den Ufern gedeiht wieder saftiges Gras, und die dichten Büsche wurden zum Unterstand der Wapitis. Dreißig Jahre nach der Verwüstung ist die Natur wieder zurück und der Vulkan ruht; aber das kann sich auch sehr schnell wieder ändern. Mit dem St.Helens im Rücken, der bei der Explosion von seinen knapp dreitausend Metern vierhundert verlor, verlassen wir das Naturschutzgebiet und fahren auf der „25“ über den Elk Pass in Richtung Columbia River, bis zu dem die Curly Creek Road und der Wind River Highway die Lücke zu Carson schließen sollten. Den Weg, den sich dieser Highway sucht, berührte keine einzige Siedlung, kurvt die Anhöhen im Wald hinauf, durchzieht einsame Täler und lässt erkennen, dass es solche Straßen in Europa kaum noch gibt. Kurz vor Carson versinkt die angenehme Fahrt aber plötzlich in schwerem Regen, sodass wir auf dem einfachen Bear Creek Campground abbrechen und hoffen, dass morgen wieder besseres Wetter zurückkommt.
Wunsch erfüllt oder nur Zufall? Auf alle Fälle scheint fünfzehn Stunden später wieder die Sonne, und somit rollen wir auch frohgelaunt über die lange Brücke (0,75$ Maut) nach Hood River auf die andere Seite des Columbia Flusses, um unser Programm mit dem „Columbia Szenic Drive“, Portland und einigen Autobahnkilometern Richtung Süden fortzusetzen. Ein kurzes Zwischenziel an der den mächtigen Columbia begleitenden „84“ ist die Fish Hatchery im kleinen Ort Cascade Hocks, in deren Aufzuchtbecken sich Tausende von Forellen tummeln. Und auf dem Weg dahin entdecken wir einen kleinen einheimischen Markt, auf dem Obst und fangfrische Lachse dominieren. Einer davon, der kleinste, reist auch bei uns im Gefrierfach mit, als wir die Fahrt auf dem alten Highway zum Bonneville Staudamm fortsetzen. Eigentlich ist auch er – pro Pfund einen Dollar – für unseren Bedarf noch zu groß, doch seine Brüder waren alles Riesen, und „ohne“ wegzufahren, das ging bei diesem Angebot auch nicht. Für den alten, historischen Columbia River Highway – knappe 22 Meilen zwischen Dodson und Troutdale – haben wir allerdings den Mount Hood aufgegeben, der sich hier über die „35“ in südlicher Richtung auf einer anderen Schleife angeboten hätte. Er ist mit 3.426 m zwar Oregons höchste Erhebung, die sich an solchen Sonnentagen wie heute glasklar im Mirror Lake spiegelt, doch ist auch er ein Vulkan mit weißer Kappe, der zu den Kaskade-Bergen zählt, während der „Szenic Drive“ mit völlig anderer Umgebung lockt.

Die Multnomah Fälle (190 m) an der Panoramastraße Columbia Drive
Da sind viele Aussichtspunkte auf Nordamerikas viertgrößten Fluss, das Vista House auf steilem Fels am Crown Point und ein Dutzend Wasserfälle, von denen die kaskadenartigen Multnomah Fälle, die knappe 190 Meter in die Tiefe springen und auf halber Höhe mit einer schmalen Brücke in luftiger Höhe Interessierte nochmals näher bitten, die die meisten Touristen anlocken. Bereits vorher gedenkt man im Starvation Creek State Park dem Historischen Highway und nach den Bridal Veil Falls, die in zwei Etappen etwa fünfzig Meter hinter sich lassen, auch der Expedition von Lewis und Clark im kleinen Memorial Park. Als die beiden Explorer auf einem Erkundungsausflug ihr Schiff mit einem kleinen Boot verließen, sollen sie damals in etwa dort gestanden haben, wo der kleine Park ihrer heute gedenkt. Der Insel vor ihnen (Government Island) gaben sie den Namen Point Vancouver, und den Berg, den sie in der Ferne sahen, benannten sie nach Admiral Viscount Hood, während sie von den ansässigen Indianern lernten, dass sie einen wichtigen Zufluss zum Columbia erreicht hatten, der für Lewis und Clark zum Quick Sandy River wurde.
Die einstige Roadhäuser des alten Highways, die heute als Hotels oder Lodges fungieren wie das Columbia Gorge Hotel zu Hood River, die Multnomah Lodge oder das Vista House, haben den Sprung in die moderne Zeit im neuem Outfit geschafft wie auch die Straße selbst, die mit gutem Asphalt abwechslungsreich unterwegs ist, hoch oben kurvend, oder im Tal durch Wald und über schmale Brücken ziehend. Der Historische Columbia River Highway war einst Teil des Columbia River Highway Systems, das in Oregon die „30“ und die „Interstate 84“ vereinte und von Astoria bis an Idahos Westgrenze zog. Der „historische Teil“ war das Original, das den Columbia River Gorge im Bundesstaat Oregon überquerte, von Troutdale bis nach The Dalls. Und das ist dort, wo am 10.3.1957 der „The Dallas Dam“ – die Staumauer der Talsperre ist 79 Meter hoch und 2.705 lang – 88 Meilen östlich der Großstadt Portland die berüchtigten Columbia River Celilo-Fälle verschluckte, an denen die Eingeborenen schon seit zehntausend Jahren fischten, und die Männer wie David Thompson zu ihrer Zeit noch zu meistern hatten. Dieser Highway war auch der erste „Szenic Highway“, der in den USA angelegt und am 6.6.1916 am Crown Point als Columbia River Highways (Portland- Hood River) offiziell eröffnet wurde, und dessen Konstruktion als ein Meilenstein galt. An der Formung des Columbia River Gorges, der als weite Felsenschlucht die Kaskadenkette durchbricht, ein achtzig Meilen langes geologisches Wunder ist und als Grenze zwischen dem südlichen Washington und des nördlichen Oregons seines Weges zieht, war der Mensch nicht beteiligt, denn das hatten Gletscher schon lange vorher erledigt. Eingeschnürt hatte man den großen Fluss auch schon 1938, als das erste Elektrizitätswerk des Staudammes zu Bonville vierzig Meilen östlich von Portland ans Netz ging, dem 1982 ein zweites folgte. Neben Elektrizität und Wasserregulierung entstand aber auch hier, wie beim Vetter „The Dalls“ ein erhebliches Freizeitpotential.
Portland, die „Stadt der Rosen“, siebzig Meilen vom Pazifik entfernt und mit elf Partnerstädten in aller Welt verbunden, bringt uns die „Interstate 5“ näher, die mitten durch die Großstadt führt und uns anschließend ein paar flotte Kilometer südwärts bringen soll. Zwischen den Flüssen Columbia und Willamette schön gelegen, hat Mains Namensvetter zwar Kleinstadt-Charme, mit fast 600.000 Einwohnern und zwei Millionen im Großraum jedoch entsprechenden Verkehr und zahlreiche Straßen, so dass Sabine höllisch aufpassen muss, dass ich ohne Navigationshilfe auch an den richtigen Ecken abbiege. Als das geschafft ist satteln wir Schusters Rappen, denn die Stadt ist fußgängerfreundlich, hat viele Parks, Gärten und Grünanlagen als auch gute öffentliche Verkehrsmittel. Den ersten Kontakt mit Europäern hatte diese Gegend zwar schon 1805, als die Expedition Lewis und Clark am heutigen Fort Clatsop National Memorial – zehn Kilometer westlich der Stadt Astoria – ihr Winterlager aufschlug, während Portland 1850 noch nicht mehr als 800 Einwohner zählte. Der Seehafen der Stadt, die lange Jahre im Schatten der einstigen Hauptstadt Oregon City stand, verlor schnell an Bedeutung, als die Eisenbahn ausgebaut wurde, und Seattles Tiefseehafen immer stärker ins Blickfeld rückte. Dennoch wurde und blieb Portland die größte Stadt und das wirtschaftliche Zentrum im Bundesstaat und ist, hinter Seattle und dem kanadischen Vancouver, die drittgrößte Metropole im Pazifischen Nordwesten. Zwei Flüsse verlangen Brücken, für die Eisenbahn, die Autos und den Schiffsverkehr, dem sie allerdings Platz gewähren müssen. So befinden sich unter den 14 Brücken auch Konstruktionen wie die grüne Hawthorne Bridge, die 1910 fertiggestellt wurde und als älteste Hubbrücke der Welt gilt, während die 529 Meter lange rote Klappbrücke ein Teil der Broadway Street ist und äußerlich ausschaut wie die kleinen Brücken, die ich als Kind aus dem Märklinbaukasten für meine Eisenbahn zusammenschraubte. Als zweitlängste Stabbogenbrücke der Welt gilt die 1973 errichtete zweistöckige Fermont Bridge, die eine Stützweite von 383 Metern besitzt und sich über 656 m ausstreckt. Die jüngste begrüßte die sympathische Stadt mit dem Mount Hood am östlichen Horizont 1982, als sich die „Glenn Jackson“ über 3.581 Metern vom Government Island über den Columbia River hinüber nach Washington ausstreckte. Aber auch Galerien, Museen, Restaurants, Cafés und Sportstadien, der Portland Saturday Market oder historische Gebäude gehören zum Bild dieser Stadt. So die Konzerthalle, die 1928 als Theater begann und 1974 umgebaut wurde und im Inneren Rokokostil zeigt, das elegante Benson Hotel stammt aus 1912 und das Lloyd Center war bei seiner Eröffnung 1960 das größte Einkaufszentrum der Welt. In der Altstadt finden sich „gusseiserne Gebäude“ aus der Gründerzeit, während andernorts die Moderne himmelwärts strebt, Gemütlichkeit einlädt oder einzelne Bauten den Blick ganz für sich allein beanspruchen wie der weiße Tempel oder der auffallende rote Ziegelbau der Union Station, deren Holzbänke in der großen hellen Halle das Warten verkürzen, und deren Turm für „GO BY TRAIN“ wirbt. Gefeiert wird in einer Stadt, in der es wie überall im Pazifischen Nordwesten vom Herbst bis zum Frühjahr viel Regen gibt, im Sommer umso mehr. Zu den bekanntesten Sport- und Festlichkeiten zählen das seit 1907 jährlich im Juni stattfindende Rosenfestival, eine großen Messe, die sich Oregon Brewers Festival nennt und die Spring Beer- und Weinfestivals im Frühjahr und Herbst.
Als der Stadtbummel im Straßencafé abgeschlossen ist wäre es eigentlich an der Zeit, den Tag zu beenden, doch heute ist Sonntag und kein Feierabendverkehr unterwegs, sodass wir auf der dreispurigen „5 Süd“ den Höchstspeed noch eine Weile nutzen möchten, den „die Polizei“ hier erlaubt. Gemütlicher wäre es natürlich weiter im Inneren der Provinz, wo die Landstraßen durch die Mt.Hood-, Willamette- und Deschutes National Forests führen, doch bringt uns die Autobahn Zeit für andere Abstecher, und große Waldgebiete liegen im Oregon auf der Fahrt nach Osten auch noch vor uns. Reizend ist auch die „101“, die sich an der Küste von Washington bis nach Kalifornien streckt, aber die verlangt richtig Zeit, weil sich dort ein Badeort an den anderen reiht, und wir hatten sie auch schon unter den Rädern, bis hinunter nach San Diego. So lesen wir an der „5“ zunächst die Ausfahrten im Willamette Valley für die Hauptstadt Salem, Albany, Springfield und Eugene. Zwischen den abzweigenden Highways „20“ (Albany) und „38“ lockt, etwa sechzig Kilometer entfernt, auch Oregons Zentralküste mit vielen Stränden, State Parks, Recreation Sites, Aussichtspunkten, Waltouren und anderen Urlaubsangeboten. Beide Straßen eigenen sich auch um das Oregon Coast Aquarium zu Newport und die Oregon Dunes südlich des Touristenstädtchen Florence zu besuchen, dass sich von der „5“ auch ab Eugene anfahren lässt. Nördlich des Ortes finden sich das malerische Heceta Lighthouse und die Sea Lion Caves, wo Hunderte dieser Gesellen in einer vom Meer ausgewaschenen Höhle ansässig sind und durch die Kombination „Aufzug und Aussichtspunkt“ aus nächster Nähe beobachtet werden können. Oregons schöne Küste weiß allerdings auch die heimische Werbung zu vermarkten, die da meint: “When god created the earth, He spend a little extra time on the Oregon coast. And it is as He placed the Heceta Lighthous there Himself”. Übertrieben finde ich das nicht. Einen 40-Kilometer-Abstecher mit Fragezeichen hatte ich allerdings auf der Höhe von Salem in meinem Reiseplan, denn dort findet sich auf der Ostseite der „Silver Falls State Park“, der mehr als 3.600 Hektar gemäßigten Regenwald unter Schutz stellt, in dem Schwarzbären, Kojoten und Pumas heimisch, und die acht Meilen des „Trails of Ten Falls“, der sich am Silver Creek durch alte Douglas- und Western Hemlock-Bestände schlängelt, das Herzstück darstellen. Es ist ganz sicher ein sehr schöner Spaziergang, aber alles geht nicht, und heute ist es auch schon zu spät. Somit bleibt alles bei dem Stichwort Roseburg, denn dort verbindet die „138“ zu unserem nächsten Ziel, dem Crater Lake, während sie selbst als eine großartige Touristenstraße beschrieben ist, die viel versteckte Schönheit verspricht und als „Wild and Scenic River Byway“ kaum Ortschaften berührt. Wir nehmen sie heute auch noch unter die Räder, lenken unser Gefährt aber gleich auf den nächsten Campingplatz, wo wir die einzigen Gäste sind, und der Hausherr vom „Elk Haven“ sofort mit einem Grill für unseren fetten Lachs zur Stelle ist. Und erst, als auch trockenes Holz auf dem Boden liegt und die Anschlüsse für Wasser und Strom funktionieren meint der sehr nette Erdenbürger „twentythree Dollars“. Als wir das wegen der Kreditkarte in seinem „Büro“ regeln, staune ich nicht schlecht: Jenes, „besetzt“ mit Schreibtisch, PC, Kreditkarten-Lesegerät, etlichen Ordnern und Pappkartons, auf denen diverse Kleidung deponiert ist, nimmt die rechte Ecke des Wohnzimmers ein, während direkt hinter der Tür auf dem Fußboden fünfzehn bis zwanzig Paar Schuhe und Gummistiefel verschiedener Größen auf ihren nächsten Einsatz warten wie die darüber an der Wand hängenden Kappen und Hüte. Ein verstohlener Blick nach links lässt noch Küchenzeile, großen Kühlschrank, Tisch, Sitzecke und einen laufendem Fernseher erkennen, ehe mir der etwa Vierzigjährige meine „Master“ wieder in die Hand drückt und meint, dass die heißen Duschen inbegriffen sind …




