100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 4

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Die Toketee Falls, ein Ort zum Nachdenken
Die Attraktionen der durch den Umpqua National Forest nach Diamond Lake am gleichnamigen See führenden „138“ sind Regenwald und vierundzwanzig Wasserfälle, für die vier Flüsse sorgen. Und nach einem ersten Spaziergang zu den Susan Creek Falls stand sofort fest, dass wir zu Fällen wandern möchten, wo der Weg lange, oder besonders spektakulär, direkt von dieser Straße aus durch diesen wunderschönen Regenwald führt. Und unter diesem Gesichtspunkt empfiehlt uns die Broschüre, die die Wasserfälle im hiesigen National Forest vorstellt, noch mindestens drei an: Fall Creek, Tokeete und Watson. Nur bei den Yakso Falls des Little Rivers und des „Hemlock“ machen wir eine Ausnahme, weil sie fotogen in den Regenwald eingebunden sind. Ersterer springt achtzehn Meter über die Klippen, und der andere rauscht zwischen Farnen und hohen Bäumen 24 Meter äußerst druckvoll nach unten. Der „Watson“ rückt zwar schon nach etwas mehr als einem halben Kilometer ins Blickfeld, doch bietet dafür die kleine Holzbrücke, die dort den Watson Creek überspannt, nach beiden Seiten erstaunliche Blicke. Auf der einen Seite kippt der mit 83 Metern höchste Wasserfall im Südwesten Oregons steil und ohne Verzögerung über seine Basaltkante, und entgegengesetzt sucht sich der Fluss zwischen bemoosten rötlichen Felsen und hohen Bäumen schäumend seinen weiteren Weg.
Absolut begeistert haben uns aber zwei andere Fälle, weil der Weg zu ihnen unglaubliche Schönheit bot. Es war ein Pfad wie durch einen Märchenwald, auf dessen feuchtem Boden eindringende Sonnenstrahlen hin und her huschen, als würden sie mit ihrem Spiel den Schatten necken wollen. Dazu uralte Bäume, deren Äste und Stämme von dickem Moos überzogen sind; frischer, feuchter Duft, hellgrünen Farne, kleine, großen und überdimensionalen Felsen, die unter ihrem grünen, feucht-weichem Moospelz die Fantasie anregen, ihnen irgendeine Figur anzudichten. Anderswo recken sich an den Ufern des kleinen Flusses steile, hochaufragende Klippen in den blauen Himmel, die grün-gelb und rotbraun leuchten. An ihren zerfurchten Fels krallen sich hier und dort Nadelbäume, während die Häupter der basaltenen Gesellen mit dicken Moospolstern bemützt sind. Von diesen Fantasiewäldern mit ihren Giganten, der kleineren Vegetation und den Wasserspielen wie sie der Tourist am Fall Creek- und den Toketee Fällen erlebt, sind wir restlos begeistert. Es ist pure Natur und ohne laute Menschen ein großartiges Naturerlebnis. Erstere, die in zwei Stufen von elf und fünfzehn Metern ihr neues Bett erreichen, zeigen sich nach einer Meile Fußmarsch entlang einer engen Schlucht mit üppiger Vegetation, während sich die Toketee Fälle schon früher präsentieren. Ihr Pfad, der mit zweihundert Stufen durch den uralten Wald und entlang des Flusses, der sich seinen Weg durch den engen Gorge auch mit kaskadenartigen Sprüngen erzwingen muss, unterstützt wird, verlangt jedoch viel Zeit. Das Auge wird hier immer wieder aufs Neue beschäftigt, rät zum Verweilen, und hinter jedem Felsvorsprung, an dem sich der schmale Pfad vorüberdrängt, warten Motive, die zur Kamera greifen lassen. Der Waschbär, der am Ende dieses Trails über den stabilen Holzboden einer Aussichtsplattform huschte, durch den ein gewaltiger Stamm nach oben strebt und einer Bank Anlehnung verschafft, war allerdings zu schnell. Und hier auf der Bank, unter dem Blätterdach der gewaltigen Zeder, lassen sich Wasserfall und Regenwald so richtig genießen. Der Fluss stürmt in zwei Stufen, zwölf und vierundzwanzig Meter, über einen Wall vulkanischen Gesteins, landet schäumend in dem Pool, den er selbst geschaffen hat und trägt ganz dezent mit seiner eigenen Symphonie zu einer zauberhaften, wunderschönen Regenwaldkulisse bei, in der die Natur mit all ihrer Harmonie, Facetten, Farben und Geheimnissen so meisterhaft gezaubert hat. Und wenn märchenhaft und Zauberwald die richtigen Ausdrücke sind, hier treffen sie zu …
Die Schönheit des Crater Lakes, dessen Gewässer in einem nahezu irrealen Blau leuchtet, hat Menschen seit Generationen fasziniert und in ihren Bann gezogen. Sechshundert Meter überragt es der Felsengürtel des Kraters mit seinen dunklen Nadelwäldern, und auf dem Rand des Kraters verläuft eine Autostraße, die von Mitte Juni bis Mitte Oktober befahrbar ist und atemberaubende Aussichten auf das Gewässer und die kleine vulkanische Insel Wizard Island garantiert. Als der ebenfalls im Kaskadengebirge liegende, vor einer halben Million Jahre entstandene Vulkan Mount Mazama vor etwa 7.700 Jahren explodierte und sich auslöschte, war das die schwerste Eruption, die Nordamerika in Hunderten von Jahrtausenden erlebt hat. Zurück blieb ein Krater von neun Kilometern Durchmesser, in dem sich Amerikas tiefster See bildete. 592 Meter sind es bis zum Grund, auf dem heiße Quellen aktiv sind. Spätere Eruptionen türmten nur Wizzard Island hoch genug auf, um heute in dem durch Regen, Quellen und Schnee gespeisten Crater Lake als Insel im westlichen Bereich die Blicke auf sich ziehen zu können. Wanderer mit guter Kondition können über den Cleetwood Trail das Seeufer erreichen, an einer geführten Bootstour teilnehmen und den Gipfel von Wizard Island besteigen. Entdeckt wurde der See 1853 durch Goldsucher und am 22.Mai 1902 zum Nationalpark erklärt, in dem es heute auch 140 Meilen Wanderwege, Lodges und Campingplätze gibt. Die äußeren Hänge der Berge werden inzwischen von Wäldern und Canyons bedeckt, und für acht bis neun Monate überzieht Schnee diese Landschaft. Wildblumen blühen spät und kurz, weil der harte Bimssteinboden ein karger ist, und neben kleinerem Getier sind auf diesem Abschnitt des weiten Plateaus der Cascade Range, die sich von Kanadas Mount Garibaldi bis zum Lassen Peak in Nordkalifornien hinzieht, auch Hirsche, Schwarzbären oder Stachelschweine unterwegs. Um ihnen hier im Park zu begegnen braucht man allerdings sehr viel Glück. Völlig ungeniert zeigen sich dagegen die beiden höchsten Berge im Rim, der Mount Scott (2.721 Meter) und Hillman Peak (2.485 Meter). Auch die Vulkanasche der nördlich gelegenen Pumise Desert, fünfzig Zentimeter tief, ist noch ein Produkt der Eruption, doch die eigentliche Attraktion ist das Blaue Juwel. Und von diesem sind wir nach unserem Frühstück am Diamant Lake und der Zahlung der Zehn-Dollar-Tagesgebühr am Nordeingang des Crater Lake National Parks nur noch wenige Kilometer entfernt.
Der Übergang in das 74.000 Hektar große Schutzgebiet ist ziemlich fließend, denn das, was es begrenzt heißt im Norden Umpqua Forest und Mount Thielsen Wilderness; im Westen Rogue River Forest, während der Osten und Süden vom Winema National Forest umschlungen wird, der am äußersten Südwestzipfel auch die Sky Lakes Wilderness noch zu dulden hat. Auf halbem Wege der etwa 15 Kilometer langen Zufahrt schneidet die Straße auch die Pumise Desert, ein kahles staubiges Gebiet, in der die Asche-Lawine des Kraterausbruches das einstige Tal dreißig Meter unter sich begrub. Wasser ist in der Tiefe zwar vorhanden, aber der nährstoffarme Boden gibt Pflanzen selbst nach über 7.000 Jahren kaum Chancen. Und es wird noch sehr lange dauern, bis die wenigen halbhohen Pinien, die wie vergessen in der kahlen Gegend ausharren, diesen trostlosen Bereich in einen Wald verwandelt haben werden. Kurz später künden die Berge Red Cone und Grouse Hill, die die Zufahrtsstraße flankieren, den Rim Drive mit dem, den Kraterrand überragendem Llao Rock (2.423 Meter) und dem Merriam Point bereits an, der einen ersten Blick auf den azurblauen See gewährt. Für die Rundfahrt auf dem 33 Meilen langen „Rim Drive“, der hier und dort auch eine größere Schleife ziehen muss, um Bergzügen auszuweichen, nehmen wir uns sehr viel Zeit, um keinen der Aussichtspunkte auszulassen und den See, seine Klippen und Berge, Hänge, Wasserfälle und den Blick auf ein unendlich weit erscheinendes Land zu genießen. Und nach vielen Stunden, am Ende der Rundfahrt, mussten auch wir so strapazierten Worten wie majestätisch, betörend, faszinierend oder überwältigend beipflichten.

Oregons blaues Wunder, der Crater Lake ist 593 Meter tief
Und das galt nicht nur für den See und seine Umgebung, sondern auch für die Straßenführung, die am Cloudcap Overlook aus 545 Meter über dem Crater Lake keine Wünsche offen lässt, das „Phantom Ship“ am Südostufer näher präsentiert, wo die Erosion einem etwa 16 Etagen hohen Fels die Konturen eines Piratenschiffes verlieh, das von Bäumen eingerahmt wird, auf dem Weg zum Rim Village die Vidae Fälle ins Bild rückt, die kaskadenartig dreißig Meter über Klippen hüpfen oder am Watchman Overlook am Westrim das beste Foto vom Wizzard Island garantiert. Und wenn ein so schöner Tag auch noch auf einem gepflegten Campingplatz unter uralten Zedern mit zarten T-Bone-Stakes und Lagerfeuer ausklingt, dann sind keine Wünsche unerfüllt geblieben. Natürlich gäbe es hier noch mehr „Natur“, so die Scenic Byways „Volcanic Legacy“, der nach Kalifornien zieht, den „Cascade Lakes“, der auf seinen 66 Meilen vierzehn Bergseen berührt oder, mit der „242“ als Zentrum, die vielen Möglichkeiten, die sich zwischen den National Forests „Willamette“, in dessen Three Sisters Wilderness sich die Proxy-Fälle mit einem Sechzigmeter-Sprung zeigen, und dem „Deschutes“ bieten. Und dann wäre da noch das „Outback“ mit dem Columbia Plateau, der Alvord Desert und dem Harney Basin, in der sich das Hart Mountain National Antelope Refuge befindet. Aber alles geht eben nicht, man muss Kompromisse machen.
Der Morgen auf dem Big Pines RV Park in Crescent ist neblig-diesig als wir dort, gut ausgeschlafen, die „97“ wieder unter die Räder nehmen und gespannt darauf sind, was der neue Tag mit den Zielen Oregon City und Hells Canyon bereithält. Aber nicht nur diese sollten sich als lohnend erweisen, sondern die gesamt Fahrt durch Zentral- und Ostoregon war ein Volltreffer, mit Vulkanlandschaften in sanften oder schroffen Formen, rostroten Felsen, Salbeisträuchern in grau bis gelb, Wachholder in dunkelgrün, gelben Prärien mit trockenem, hartem Gras und schwarzen Rindern, eingerahmt von sehr viel Sonne und einer Landschaft, der nur mit künstlicher Bewässerung sattes Grün abzuringen ist. Und schon südlich von Bend lädt das Newberry National Volcanic Monument ein, sich einen Eindruck von den „Lavalands“ im zentralen Oregon zu verschaffen, wo auf mehr als zwanzigtausend Hektar Lavaflüsse, Kraterseen, Lavagesteinslandschaften und spektakuläre geologische Charakteristiken zu finden sind, und der Tourist auf seiner Fahrt auch durch die siebzehn Quadratmeilen große Caldera eines Schild-Vulkans geführt wird, der für sich fünfhundert Quadratmeilen beanspruchte und damals mit reichlich 3.000 Metern Höhe das Zentrale Oregon-Bassin beherrschte. Nach seinen Ausbrüchen über die Jahrhunderte und den letztendlichen Kollaps blieben dem Paulina Peak als höchste Erhebung im 21 Meilen langen Rim des Newberry Craters nur noch 2.434 Meter übrig. Von den beiden Seen zeigt sich der „Paulina“ mit 615 Hektar als der größte, und der Paulina Peak auch als weite Aussicht auf die Oregon Cascades und die High Desert im Südosten. Nach diesem Abstecher geht es für uns zu Redmond auf die „26“ und dort ostwärts in den „Wilden Westen“ Oregons, auf dessen trockenen Hügeln Schafe und Rinder zu Hause sind.

Unterwegs begleitet uns heißes, karges Cowboyland
Es ist auch eine Region mit roter Erde, Kegelbergen und Hügeln, kahl, kantig oder von gelbem Gras überzogen, schroffen Felsformationen und Lavagestein. Kontraste setzen in der ausgedörrten Landschaft, in der Salbeisträucher, große und kleine Kakteen zum Alltag gehören, deren harte, spitze Stachel mehrere Zentimeter messen, kleine Wäldchen, einzelne Baumgruppen, Bäche, schmale Flüsse, Rinderherden und dunkelgrüne Bewässerungsstreifen. Redmond, das kaum mehr als 6.000 Einwohner zählt, verweist auch auf seinen Smith Rock State Park, dessen Canyonlandschaft viele Freunde hat, während nebenan kleine Orte wie Prineville, Mitchel und Dayville typisches Westernflair verkörpern und im Ochoco National Forest die braunen und bunten Berge und die Wilderness Gebiete begeistern. In Mitchel, das als „Gateway“ zu Oregons farbigen Badlands und Painted Hills gilt, erfreuen in der heißen Vulkanlandschaft besonders die Old West-Style-Gebäude Little Pine Café und die Wheeler Country Trading Company, die mit „Croseries, Sporting Goods, Hardware, Antiques & Needfull Things“ wirbt, und bei einem Holzschnitzer schauen wir zu, wie er „Burls“ gekonnt zu Möbelstücken verarbeitet. Sie brauchen aber viel Platz, sind teuer und Geschmacksache, doch hat der Mann auch einen Abfallhaufen, und in dem finden wir zwei kleinere Stücke, die mit ihren eleganten Formen und der Farbkombination Schoko-Kern, elfenbeinfarbiger Mantel äußerst dekorativ wirken, zumal der Mantel den Kern nur teilweise umschließt. Vielleicht hat der lustige Bursche uns mit seiner Antwort „Fünf Dollar“ auch bedauert, doch wir hätten auch zehn bezahlt.
Auf der Weiterfahrt bleibt die Landschaft ein weites, karges, heißes Cowboyland, das uns gefällt, mit Angusrindern auf meist gelbem Gras, Tafelbergen und solchen die Säulen, Kegeln, großen Maulwurfshügeln oder Terrassen gleichen. In den Mulden ringsum leuchtet gelbblühender Salbei, verstecken sich Kakteen, und die dunkelgrünen Streifen sind weit ausfahrbaren Armen der computergesteuerten Bewässerungsmaschinen zu danken. Der Osten Oregons hat aber auch Wälder und State Parks, und in kleinen Museen werden Themen wie Grant County, Rodeo, Cowboys, Goldrausch 1862, Sumpter Valley Railway und der Chinesischen Geschichte des Amerikanischen Westens im 19.Jahrhundert dokumentiert. Dayville, im John Day Valley am gleichnamigen Fluss gelegen, ist mit seinen knapp 150 Einwohnern ein richtiges Cowboydorf, mit Farmen, die sich neben der Rinderzucht hauptsächlich der Erzeugung des proteinreichen Alfalfa- und Timothy-Heus und solchem aus Orchard Gras widmen. Blickfang sind das Dayville Café und an dessen Ostseite ein Bretterfußweg, der entlang einer Mini-Straßenkulisse aus frühere Zeiten entlangzieht und vorgaukelt, dass man in Angel’s Hotel oder die lokale Bank eintreten, den Marshall und sein Shooters Jail besuchen, im Keystome Junction einkaufen, oder seine Kinder in der Lernin‘ School abholen kann. Und dort, wo man wirklich durch die Tür tritt, im „Dayville Merc“, einem mit viel Blumen dekoriertem Mehrzweckladen, war die Dame an der Kasse nicht nur ein lustiger Zeitgenosse, sondern auch ausgesprochen schlagfertig. Als ich mir beim Bezahlen den Spaß erlaubte, auf das ausgestellte Prachtstück „Westernsattel“ zu zeigen, an dem ein 3.000-Dollar-Preisschild hängt, und dazu bemerke: „Was nützt der denn ohne Pferd?“, kommt prompt die Antwort: „Let’s go around to the paddock, and there you have the choice between two grays and a black one; Quater Horses, with top pedigrees, Twentyfive Thousand each …“
Diese großartige Landschaft, eine durch semi-arides Klima geprägte Region mit trockenen, heißen Sommern und kalten Wintern im Nordosten Oregons und östlich der Kaskadenkette gelegen, hat auch noch etwas ganz Besonderes zu bieten: Das „John Day Fossil Beds National Monument“ mit seinen drei nicht zusammenhängenden Gebieten Sheep Rock, Clarno und Painted Hills. Und dazu lässt die Informationsbroschüre des National Park Servicses wissen, dass sich unter Ostoregons Bergen und Tälern eine der größten Fossilienansammlungen der Erde befindet, eine Welt, die Millionen Jahre Entwicklungs- und Erdgeschichte abdeckt und flussaufwärts durch immer jüngere geologische Schichten führt. Und es sind die große Zeitspanne, die Vollständigkeit der Schichten und der Reichtum an tierischen und pflanzlichen Fossilien, die dieses Gebiet für die Forschung so wertvoll machen. Und diese John Day Fossil Beds, die nach dem nahen Fluss benannt sind und sich über 20.000 Quadratmeilen ausbreiten, gaben bisher nicht nur außerordentlich gut erhaltene Fundstücke frei, sondern diese auch in großer Anzahl und in bemerkenswert vielen Variationen. Und all die Überbleibsel ihrer einstigen Umgebung, von uralter Erde, Flüssen, Tümpeln, Erdrutschen, Ascheregen, Misthaufen, Trampelfaden, Prärien und Wäldern helfen der Wissenschaft, die Zusammenhänge zu erkennen und Rätsel der Vergangenheit zu lösen. Die Forscher sind auch in unseren Tagen hier weiter bei der Arbeit und entschlüsseln auch evolutionäre Vorgänge, globale und lokale, klimatische Veränderungen, Massensterben oder neue Lebensformen, die bisher unbekannt waren und längst vergangene Ecosysteme erkennen lassen In der Museums-Galerie des Thomas Condon Paleontology Centers (mit Visitor Center an der Kreuzung „26/19“ (kurz vor Dayville in der Sheep Rock Unit gelegen) erklären acht dieser Rekonstruktionen dem Touristen die Zusammenhänge, die bis zu etwa 55 Millionen Jahre zurückreichen. 300 gefundene Pflanzenarten, 175 verschiedene Früchte und Nüsse und versteinerte Hölzer belegen, dass die Clarno Region vor 44 Millionen Jahren einem ähnlichen Dschungel wie dem heutigen in Panama entsprach. Und jenseits dieser großartigen Dokumentationen führen zahlreiche Wanderwege durch eine ebensolche Landschaft und lassen staunen. Auf der weiteren Fahrt begleiten uns weitere „Westernortschaften“ wie Mount Vernon, John Day, dessen benachbartes Canyon City während des Goldrausches 1862 die größte Stadt Oregons war, der kurze Picture Gorge, wo gewaltige Berge näher zusammenrücken, ehe ein breites Tal Rinderfarmern wieder mehr Platz bietet. Hinter Prairie City hält der kurze, steile Dixie Pass (1.609m), über den die „7“ als „Through Time Scenic Byway“ führt, nicht nur einen schönen Rundblick bereit, sondern dort erinnert auch ein überdimensionaler Planwagen daran, dass man sich unweigerlich dem Oregon Trail nähert. Aber Baker City und der berühmte Trail stehen für uns erst morgen an, weil in diesem „Karl May und Winnetou-Land“ ein Campground im hohen Ponderosa Kiefernwald am Phillips Lake lockt und wir vorher noch einen kurzen Umweg Richtung Sumpter auf der geteerten Granite Hill Road unternehmen möchten. Zu Sumpter wurde 1890 Oregons einzige Dampfeisenbahn etabliert, die, weil Holz und Goldminen in jenen Tagen ein erhebliches Potential besaßen, als „Sumpter Valley Railway“ florierte und von 1910 bis 1947 auch Prairie City mit Baker City verband. Der Pfiff der renovierten Dampflock ist zwischen Mai und September auch in unserer Zeit wieder zu hören, wenn sie an Wochenenden und Feiertagen für 15 $ ihre Runde zwischen Sumpter und McEven zieht. Und in der Nähe erinnert auch noch ein überholter und unter Schutz gestellter Goldbagger, der Sumpter Dredge, an Pioniertage, der seine letzte Schaufel goldhaltiges Gestein 1954 hob. Als er damals in Rente ging stand seine Gesamtausbeute bei mehr als vier Millionen US-Dollar. Aus jener „Mining-Zeit“ blieben hier auch einige Geisterstädte, oder deren Reste, übrig, die mit Namen wie Whitney, Bourne, Granite, Bonanza, Greenhorn, Sparta, Auburn, Clarksville, Sumpter oder McEven über die „7“ und „86“ zu finden sind. Nicht alle verdankten ihre Entstehung dem Gold, doch als Henry Griffin am 23.Oktober 1861 südwestlich des heutigen Baker Ville in einem Bach das erste Gold fand, war der Boom ausgelöst, und im Frühjahr des folgenden Jahres Auburn die erste „Stadt“, die in der Wildnis entstand. Für andere waren die Eisenbahn oder das Holz die Grundlage, und wieder andere erreichten nur Zeltstatus, weil das Gold schnell zu Ende war.
Vom Union Creek Camping am Nordufer des Phillip-Sees (60 Plätze; 18 Dollar mit Strom pro Wohnmobil; Wasserski, schwimmen, wandern, fischen) sind die 15 Meilen bis Baker City bei blauem Himmel und Sonnenschein schnell erledigt. Die Stadt, die langsam wuchs, 1866 ein Post Office erhielt und in ihrem Tal von den Wallowa Mountains im Osten und, gegenüber, durch die „Elkhorns“ geschützt wird, liegt am berühmten Oregon Trail. Durch ihre Downtown zieht der Powder River dem „Snake“ entgegen, und auf beiden Seiten greifen große Forstbereiche nach ihr. Dennoch bleibt für die weniger als zehntausend Einwohner genügend Platz, wie auch für die im Schachbrettmuster großzügig angelegten Straßen, in deren Mittelpunkt die First Street steht. Kirche, Kathedrale und der historische Teil, in dem die City Hall zu den schönsten Gebäuden zählt, finden sich damit automatisch. Sieben Jahre vor der letzten Jahrhundertwende sorgte hier ein Achtzehn-Millionen-Dollar-Renovierungsprogramm dafür, dass der heutige Besucher wieder vom gleichen Design empfangen wird wie diejenigen, die hundert Jahre früher durch diese Straßen gingen. Lange sah es jedoch nicht danach aus, denn als man 1977 feststellte, dass die Goldrauschzeit noch 110 Gebäude überlebt hatten, war bei vielen die schöne Fassade in den 1950er Jahren längst unter grauem Einheitsputz verschwunden, dem man anschließend wieder zu Leibe rückte.
Auf unserem Stadtbummel, den wir kurz vor Acht Uhr starten, werden wir davon überrascht, dass um diese Zeit maximal der Bäcker oder ein „Coffeehouse“ die Türen schon geöffnet haben, und bei den Passanten ist es ähnlich. Man könnte sie auch per Handschlag begrüßen und würde dennoch kaum Zeit verlieren. Aber die, die wir treffen, sind unwahrscheinlich freundlich, und einer von ihnen klärt uns auch auf: „Vor 9 Uhr 30 geht nichts“. Also marschieren wir weiter, gehen frühstücken, stocken danach im „Saveaway“ für 75 Dollar unsere Vorräte auf und schauen anschließend hier und dort noch rein. Danach geht die Reise auf der „86 Ost“, dem „Hells Canyon National Scenic Byway“ weiter, dessen erste Meilen uns hinauf zum „National Historic Oregon Trail Interpretive Center“ bringen, das mit großartigen Darstellungen aufwartet; innen auch mit lebensgroßen Gespannen, außen mit mehreren Planwagen und einem sich heraufschlängelndem schmalen Asphaltstreifen. Mit diesem sollte das Stück des Oregon-Trails sichtbar gemacht werden, das hier über diesen Berg zog. Und „hier“ heißt: Wo der historische Weg auf das herrliche Baker Valley traf, und die frühen Emigranten über die Südseite des Flagstaff Hills nach oben zogen und die Blue Mountains im Westen sahen. Und das war dort, wo ein einzelner, großer und starker Nadelbaum stand. Mächtig und majestätisch behauptete er über der Talsenke seinen Platz und diente, wie ein einsamer Wächter, Indianern, Trappern, Missionaren und Oregon-Emigranten über Jahrzehnte als Wegweiser. Und dieser Ort, der hier in der Powder River-Region als „Lone Tree“ bekannt war, wurde von vielen der frühen Travellers auf ihrer langen Reise auch für eine kurze Erholung genutzt. Als sich Amerika in den 1800er Jahren von der östlichen Hälfte Richtung Westküste ausbreitete, war der Oregon Trail für etwa acht Jahrzehnte der natürliche Korridor, der über rund 3.500 Kilometer vom Missourie River Richtung Rocky Mountains westwärts zum Willamette Flusstal führte, das sich bei Oregon City, am Rande Portlands im Bundesstaat Oregon nach Süden ausbreitet und über den fast 400.000 Menschen zogen. Im südlichen Idaho bog ein Pfad nach Kalifornien ab, und der Mormon Trail verband von Counvils Bluff nach Salt Lake City. Entstanden ist der heute historische Weg aus zahlreichen, nicht mit einander verbundenen Indianerpfaden, die der Pelzhandel ausdehnte. In den 1830er Jahren folgten Missionare der schwachen Spur entlang des Platte- und Snake Rivers, und ein Jahrzehnt später, als westlich des Mississippis nur drei amerikanische Staaten existierten, sorgten politische Ereignisse, der Zusammenbruch des internationalen Pelzhandels und die Wirtschaftskrise für die große Wanderung nach Westen. Und der gleichen Route, die als „Oregon Road“ in die Geschichte einging, folgten bald auch die Priester, um die Indianer zu christianisieren, und diese Migration veränderte alles. Zunächst verwischte sie die Grenze zur Wildnis, und innerhalb weniger Jahrzehnte veränderte sie auch das Leben der Indianer. Auch die Grenze der Nation wurde von der Kontinentalen Wasserscheide bis an den Pazifik verschoben und das Leben von Millionen von Büffeln ausgelöscht. Schließlich einigten sich die USA und England, die das „Oregon Country“ bisher gemeinsam genutzt hatten, auf eine Grenze entlang des 49. Breitengrades. Danach bewältigte die Transkontinentale Eisenbahn die riesigen Distanzen und setzte neue Maßstäbe.
Der Weg bis dahin, und an den Willamette Fluss, der seinen südlichen Weg etwa einhundert Kilometer parallel zum Pazifik sucht, war jedoch weit, schwierig, kaum vorhanden und führte durch Gelände, bei dem jeder einzelne Abschnitt seine eigenen Probleme in den Weg legte. Am Anfang waren die „High Plains“ zu bewältigen, wo es galt, sich der Routine anzupassen, ihre Wagen in Ordnung zu halten, auf Wasser und Gras für das Vieh zu achten und miteinander auszukommen, das Camp täglich auf- und abzubauen und fairen Regeln zu folgen, die jeder einzuhalten hatte. Und als „tägliche Routine“ wurde folgendes überliefert: Der Weckruf der Nachtwache ertönte Vier Uhr morgens; eine Stunde später wurden die nachts weidenden Rinder zusammengetrieben, und ab 5 Uhr 30 stand das Frühstück bereit. Nach dem Sieben Uhr-Trompetensignal machten sich dreißig Minuten später mit Schaufeln und Hacken ausgestattete Reiter auf den Weg, um Fahrbahnprobleme zu beheben, während die Frauen das Nachtlager abbauten und die restlichen Männer die Wagen beluden und ihre Teams für den umgehenden Start fertigmachten. Nach einer kurzen Mittagspause für Mensch und Tier waren die Pioniere zwischen 13 und 17 Uhr wieder unterwegs, um täglichen 25 bis 30 Kilometer zu schaffen. War abends ein Übernachtungsplatz mit Gras und Wasser gefunden, wurde ausgespannt, die Wagen in Halbkreisen aufgestellt und um 18 Uhr ausgeladen, was gebraucht wurde. Danach wurden die Wachen für vor und nach Mitternacht eingeteilt, zu Abend gegessen und ab 20 Uhr geschlafen. Sechs Reisetagen folgte ein Ruhetag, denn die Siedler wussten von erfahrenen Stimmen, dass einige der schwierigsten Wegstrecken erst gegen Ende der langen Reise anstehen, wenn die Berge noch vor dem Winter überquert werden müssen. Der Start, der auch im Platte River-Tal (Nebraska) noch durch einfaches Gelände führte, musste unbedingt im Frühjahr erfolgen, um unterwegs auf genügend Gras und sauberes Wasser zu treffen, denn bei späterem Aufbruch war das nicht immer der Fall und der Auslöser dafür, dass unterwegs mehr Menschen an Cholera starben – ihre Ursache war damals noch unbekannt – als aus jedem anderen Grund.




