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Andi Herzog war über den Wechsel begeistert, bezeichnet er Marković, den späteren Präsidenten des kroatischen Fußballverbandes, doch heute noch als Glücksfall für seine weitere Entwicklung – wenngleich Herzerl von ihm wie auch schon unter Barić immer nur „Kleines“ genannt wurde. Seine Vorzüge jedoch: Marković erkannte Herzogs Wert und dachte offensiv.
„Kleines, will ich, dass Sie spielen wie Ruud Gullit. Aber will ich Sie nicht einmal in der eigenen Hälfte sehen.“
Also quasi nix verteidigen. Nach Gludovatz endlich mal ein Trainer, der wie die Faust aufs Auge zu mir passte. Er will mich nicht in der eigenen Hälfte sehen. Des wird leiwand und lustig. (Andreas Herzog)
Doch es sollte ganz anders kommen. Nach einem klaren 4:0-Sieg gegen den Wiener Sport-Club, bei dem Herzog laut eigener Aussage ein überragendes Spiel inklusive zweier geschossener Tore und einer Torvorlage vorzuweisen hatte, wurden alle Mitspieler in der Kabine überschwänglich gelobt – nur er nicht.
Beim folgenden Gang zum Trainingsplatz hielt Marković plötzlich noch einmal an, winkte mich samt der ganzen Mannschaft zu sich heran und sagte: „Ach, habe ich was vergessen, bevor wir gehen zu Training. Kleines, wann beginnen Sie endlich zu laufen?“
Ich hab mir gedacht: Kleines, das bin ja normal ich, aber der kann mi ned meinen, weil ich hab ja super gespielt. Nein, er hat mich gemeint. (Andreas Herzog)
„Ich war nicht gut seiner Meinung nach“, erzählt Herzog heute schmunzelnd, obwohl er doch mehrere Tore geschossen und mindestens ein weiteres Tor vorbereitet hatte. Ein Phänomen, das ihm noch bei manchen Trainern begegnen sollte – und zwar immer dann, wenn er ein besonders gutes Spiel gemacht hatte. Ähnlich wie später auch Otto Rehhagel hob Marković in solchen Fällen andere Spieler hervor, um Herzerl dann noch ganz bewusst zu kritisieren. Die Absicht dahinter:
Wenn ich gut war und die Schlagzeilen gehabt hab, hat er mich kritisiert und in den Arsch getreten, wenn es mir schlechter gegangen ist, so als junger Spieler, wenn ich ein kleines Tief gehabt hab, hat er dann wieder das Gefühl gehabt und mich wieder aufgebaut. Also, er war der erste Trainer, der von mir extrem viel verlangt hat, aber eigentlich nur die Stärken von mir, wenn ich schlecht war, hat er mich aufgebaut. (Andreas Herzog)
Da sind wir wieder beim dynamischen Selbstbild, das sich nur auf diese Weise entwickeln kann – eben nicht alles beklatschen, sondern durch wenig Lob und sachliches Feedback: Was war gut, was muss noch besser werden. „Damals habe ich das noch nicht kapiert“, meint Herzog rückblickend – um es als heutiger Trainer auf ähnliche Weise umzusetzen. Alles eben eine Sache der Erfahrung.

Lieber mit Stöger und Glatzmayer bei Vienna ballestern: „Ich wollte nicht zurück zu Rapid!“
Diese durfte unser Protagonist in den kommenden vier Jahren bei seiner geliebten Rapid zuhauf sammeln. Im ersten Jahr unter Marković, in den dann folgenden drei Jahren unter Hans Krankl.
Das war schon eine prägende Zeit, denn dann ist der Hans Krankl gekommen. Also, das war ja quasi auf meinem ersten Trainingslager noch mein Vorbild, ich hab mich ja nicht mal gescheit getraut „Hallo“ zu sagen, obwohl er zu mir ein enges Verhältnis gehabt hat, weil mein Vater früher gegen alle gespielt hat, war ich halt schon ein bisschen bekannt, nur ich hab das eigentlich nie ausgenutzt, war sehr ehrfürchtig vor solchen Topstars – wie später bei Bayern. Das war allerdings mein Hauptfehler, unter uns gesagt. (Andreas Herzog)
Bei Rapid hatten zu dieser Zeit viele Topspieler dem Verein den Rücken gekehrt, und Hans Krankl war mit seinen gerade mal 36 Jahren ein noch ganz „frischer“ Trainer, hatte er doch eben erst seine Profilaufbahn beendet und das Team übernommen.
„Für uns junge wilde Horde“, wie Herzog die damalige Mannschaft bezeichnet, genau der Richtige in einer „sehr emotionalen Zeit“. Leider ging in diesen Tagen zweimal das Cupfinale verloren, und auch sonst war die Konkurrenz in der Liga stark – Ernst Happel trainierte Wacker Innsbruck, und die Austria war sowieso immer auf Augenhöhe.
Die ersten Rapid-Jahre müssen für den jungen Andreas Herzog in seiner Spielerkarriere eine absolut prägende Zeit gewesen sein. Sogar zweimal Meister durfte er in der Saison 1986/87 sowie 1987/88 werden, wenngleich er nur selten zum Einsatz kam. Es war vielmehr eine Phase, in der er seine Spielweise durch das bloße Tun und wiederkehrendes Messen mit anderen Profis auf hohem Niveau besonders entwickeln und verfeinern konnte.
Er spielte auf der richtigen Position und hatte seinen festen Stammplatz im Mittelfeld gefunden, verfügte über den nötigen Freiraum und Weite und hatte wichtige Unterstützer im Rücken – im defensiven Mittelfeld genauso wie bei seinen Trainern –, selbst wenn Marković hin und wieder die Rückwärtsbewegung von ihm einforderte. Offensive war angesagt, Pässe, Tempodribblings, feinste Technik – und der vom Gegner gefürchtete Linksschuss aufs Tor.
Österreichs Fußballidol Hans Krankl bezeichnete Andi Herzog während dessen ersten Jahren bei Rapid einmal als den „weißen Gullit“ und meinte: „Seine Klasse ist außergewöhnlich. Er könnte ein Großer des europäischen Fußballs werden, wenn er von Verletzungen verschont bleibt.“
KAPITEL 9:
„LASS PFEIFEN, DIE TROTTLN!“ – OFFENSIV STATT TIKI TAKA
RAPID WIEN 1988–1992
Es stellt sich die Frage, was den Unterschied ausmacht, zwischen einem gestandenen Profi und einem, der das Zeug dazu hat, eine ganze Nation zu bewegen – und das im Idealfall über einen langen Zeitraum hinweg. Liegt es am Trainingsfleiß oder der Charakterstärke oder schlichtweg am einzigartigen Talent? Ist es Erfahrungswissen, gepaart mit einer besonderen Form von Resilienz und Mentalität? Biss und Ehrgeiz haben alle Profisportler, doch nur wenige können den Unterschied ausmachen, wenn es wirklich darauf ankommt. Natürlich ist das immer auch eine Sache der Position – und ein kreativer Mittelfeldspieler oder Stürmer hat andere Möglichkeiten als ein Kicker der Defensive. Diese spielen auf hohem Niveau solide mit, sichern ab, machen ihren Job und wachsen je nach Spielsituation auch über sich hinaus, sorgen jedoch seltener bis nie für das Momentum – durch eine einzigartige Berührung, einen Pass, ein Zuspiel oder eine Zauberei, um dem Spiel die entscheidende Wendung zu geben. Dafür sind nur wenige Spieler geschaffen – und sie bleiben in der Erinnerung haften.
In der modernen Trainersprache spricht man hier vom Unterschiedspieler. Andi Herzogs linkes Pratzerl hatten wir in diesem Zusammenhang schon erwähnt – ein wunderbares Alleinstellungsmerkmal und immer gut für den entscheidenden Pass oder das Tor.
Doch da gab es noch etwas: Es war die Mathematik, genauer gesagt die Geometrie oder die Kunst, das Spiel lesen und kreativ verändern zu können. Natürlich, Herzog ging in keine Key School, dennoch wäre an dieser Stelle ein Interview mit seiner früheren Volksschullehrerin hochinteressant, sowie die Frage, wie häufig er dort – mathematisch oder besser gesagt geometrisch gesehen – in den Flow-Zustand kam, also so vertieft in strategisches und räumliches Denken abtauchte, dass er alles um sich herum vergaß.
Ein bewegendes Beispiel, wie der junge Herzog sein kreatives, mathematisches und vorausschauendes Denken in Pässen, Lupfern und Übersteigern bis hin zur Unberechenbarkeit immer auf den Platz bringen wollte, schildert die Begegnung mit Franz Hasil am Rande eines Rapid-Spiels. Kreativ-Fachleute unter sich – nicht immer verständlich für den passiven Zuschauer, und schon gar nicht für den Laien. Aber 100 Prozent Herz mit großem Lerneffekt.
Franz Hasil, kennst du den? Der war bei Feyenoord Rotterdam mit dem Ernst Happel, da war Feyenoord die weltbeste Mannschaft. Dann hat ihn Rapid dazugeholt, als dritten oder vierten Co-Trainer, ein bissl als Dankeschön für frühere Leistungen. Der war mit auf Trainingslager. (Andreas Herzog)
In der Tat galt der gebürtige Wiener Franz Hasil als einer der besten Spieler Österreichs, der in den 60er-Jahren zunächst für Rapid kickte, dann für ein Jahr in den Kohlenpott zu Schalke 04 wechselte, um in den folgenden Jahren seine großen Erfolge in den Niederlanden unter Ernst Happel zu feiern. Sein Mitspieler Alois Jagodic, Mannschaftskollege bei Austria Klagenfurt, einer späteren Station des „vergessenen Champions“, wie ihn der Wiener „Kurier“ einmal bezeichnete, schwärmt noch heute: „Wenn er wollte, war er Weltklasse. Wie keinem anderen gehorchte dem Franz der Ball.“
Und in der Tat drückte sich Franz Hasil, der in der Nachkriegszeit aufgewachsen war und von seinen Eltern weder sportlich noch fußballerisch gefördert werden konnte, eben so aus, wie er großgeworden war: auf unbekümmerte Art und Weise, im breiten Wiener Dialekt und mit noch tieferer Seele. Rückblickend weiß der heute 77-Jährige, der noch immer im 2. Bezirk in Wien lebt und als ehemaliger Ausnahmekicker rund 2000 Euro Pension bezieht – übrigens inklusive der 26 Euro, die er monatlich für seine Dienstzeit bei Schalke 04 bekommt –, dass seine Lebensweise nicht immer förderlich für die Persönlichkeitsentwicklung war: „Ich war kein Spieler, ich war ein Trottel“, bemerkt er heute selbstkritisch, weil so manche Siegesprämie in den Casinos verschwand. Doch auch wenn Hasil und dessen Sprachschatz nicht gerade studiert daherkamen, hatte er doch etwas, was Herzog das Herz aufgehen ließ – und ihm eine wichtige Lehre für die Zukunft sein sollte.
Da spielen wir mal ein Spiel, und ich krieg den Ball, und der Pass misslingt, und das ganze Stadion pfeift mich aus und lacht mich aus, und er kommt nach dem Spiel zu mir: „Herzog, geh, hast das gehört, die Trottln?“
Sag ich: „Was?“
„Na, wie’s di ausgepfiffen haben, die Trottln, du wolltest des, des, des, des, des war genau richtig, denn wenn der Pass da hinkommt, passiert das so, so, so und so.“
Und ab dem Zeitpunkt habe ich vor dem Menschen so einen Respekt gehabt, abgesehen davon, dass er vielleicht der beste Fußballer Österreichs aller Zeiten war. (Andreas Herzog)
Eine Begegnung, die den damals noch ganz jungen Herzog heute noch bewegt – verbunden mit der Botschaft, anderen immer auf Augenhöhe zu begegnen, von jedem Menschen etwas lernen zu können und respektvoll miteinander umzugehen.
Rhetorik hin oder her – Hasil hatte aufgrund seiner langen und internationalen Erfahrung und sicherlich der Tatsache, dass er auf einer ähnlichen kreativen Position wie Herzog spielte, Erfahrungswissen, was der allgemeine Zuschauer nicht einmal erahnen konnte: Ein Gefühl für Ball, Mitspieler und Gegner zu entwickeln, für das Momentum des richtigen Abspiels, den freien Raum und den eigenen Stürmer, der auf den tödlichen Pass lauert – wenn dieser denn mitdachte. Er hatte den Blick für das Spiel, konnte es wie Herzog vorausahnen, das Spiel lesen, in „Wenn-dann-Beziehungen“ denken – die Kunst der ganz Großen.
Der Pass ist misslungen, alle haben geschimpft und gepfiffen, und der andere Kreative, 20 Jahre vor mir, hat mir gesagt, dass es genau das Richtige war. Der hat genau meine Ideen, was ich da gespielt hab, erkannt. Und ein anderer Trainer sagt: „Andi, das geht nicht, du musst ihn nach hinten spielen, spiel sicher.“ Der Trainer hätte mich auf Deutsch gesagt am A… lecken können. Und dann hätt ich den nächsten Pass mit noch mehr Risiko gespielt. Weißt, ich war ja so ein Sturkopf. Ich hab verschiedene Trainer gehabt. Die einen wollten, dass ich nur reinhaue, dass die Funken sprühen, und dann hab ich einen Co-Trainer gehabt, der die gleiche geniale Art zu spielen gehabt hat wie ich. Und auf wen glaubst, hab ich da gehört? Auf Franz Hasil oder auf die, die nur gesagt haben, ich soll reinhauen, dass die Funken sprühen? Das hat mich nämlich gar nicht interessiert. (Andreas Herzog)
Wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass Weltklasseakteure, egal in welcher Profession, ihr spezielles Können mindestens 10.000 Stunden lang trainieren. Talent und Größe sind also nicht angeboren, sondern erwachsen durch aktives Lernen, unabhängig davon, wer man ist. Wenn wir also davon ausgehen, dass sich Andreas Herzog ab dem fünften Lebensjahr im Durchschnitt täglich zwei Stunden mit dem Ball beschäftigte, kommt er mit Anfang 20 schon locker auf die genannten 10.000 Stunden plus X. Es ist also davon auszugehen, dass sich in dieser Zeit und je intensiver er unter Profis in der Kampfmannschaft kickte, nach und nach sein Stil entwickelte, ihm klar wurde, was er wollte, und was nicht. Risiko statt Tiki Taka.
In einer gewissen Zone am Spielfeld musst du für mich auch teilweise Risiko spielen – Guardiola nicht, der will nur Ballbesitz kreuz und quer. Mit dem hätt ich als Spieler wahrscheinlich auch Probleme gehabt. Wenn ich 20 Meter vorm Tor steh und schieß, und der schreit „Naa, du musst nach außen spielen“, damit man noch mal um den Strafraum herum spielt – ist halt eine andere Idee vom Fußball. Aber das ist nicht meins. (Andreas Herzog)
Doch lässt sich der Fußball der 90er-Jahre nur bedingt mit dem heutigen Fußball vergleichen. Überhaupt fällt es Herzog nicht leicht, ähnliche Spielertypen zu finden, wie er es einmal war: „Es ist schwer, weil der Fußball hat sich schon verändert. So eine richtige Nummer 10 gibt es auf der Position nicht mehr – aber Spieler, die den Unterschied ausmachen schon. Messi und Ronaldo sind andere Typen.“

Franz Hasil erweichte Andi Herzogs Herz
Interessant noch der Gedanke, wie sich Herzog heute mit seinen Ausnahmekompetenzen als Fußballer in einem Spielsystem der Gegenwart sehen würde.
Für mich ist jetzt halt die Frage, weißt, in einem 4-2-3-1 wäre ich jetzt wahrscheinlich der Spieler hinter der einen Spitze. Das wäre für mich mein Traumjob gewesen, Gegenpressing, fünf oder zehn Meter draufsprinten. Wir haben uns immer zurückgezogen, wir haben den Ball vorne verloren, ich hab 50 Meter zurückrennen müssen, wir haben den Ball gewonnen, ich bin wieder 50 Meter nach vorne gerannt. Das ist ja nur hin und her gegangen. Jetzt mit dem Klopp Gegenpressing, das wäre für mich fantastisch gewesen. Auch wenn alle sagen, der wollt ja nicht verteidigen, aber wenn ich die Chance hab, dass ich den Ball in der gefährlichen Zone des Gegners kriege, wäre i grennt wie a Wahnsinniger. Mir ist das auf die Nerven gegangen, wenn sich die Verteidiger hinten verstecken ohne Risiko. (Andreas Herzog)
Aus all den Gedanken und Gesprächen wird offensichtlich, wie eigen doch die Handschrift des Herzogschen Fußballspiels gewesen sein muss – und wie kreativ offensiv er noch heute denkt. Auf jeden Fall ein inspirierender Gedanke, Herzerl unter Jürgen Klopp im Gegenpressing noch einmal auflaufen zu sehen.
Es fällt ihm bisweilen regelrecht schwer, sich mit anderen zu vergleichen. Ein Stück weit sieht er sich im heutigen Brasilianer Coutinho, der ebenfalls bei Bayern nicht glücklich wurde und wieder zu Barca heimkehrte, und auch in den italienischen Heroen der 80er- und 90er-Jahre – Del Piero oder Francesco Totti, wenngleich diese eher die zweite Spitze bildeten, mit wenigen Defensivaufgaben wie Herzog, aber bei Ballbesitz genauso wie er immer anspielbereit und vor allem torgefährlich. Echte Spielmacher eben, die in kleineren Vereinen Großes bewirken können, weil sie den Mittelpunkt ausmachen – das Herz der Mannschaft bilden, den Rhythmus vorgeben und die Kreativität leben.
Herzog liebt die Kreativität. Auch heute noch. Kindern und Jugendlichen so viele Optionen wie möglich anbieten, statt immer nur ein oder zwei Wege zulassen: „Du musst die Kinder von klein auf einfach spielen lassen, nicht immer alles vorgeben, ihnen so viele Möglichkeiten wie machbar anbieten. Selbstentdeckend lernen“, meint Herzog.
Ein Ribéry oder Robben ist gefürchtet, weil beide dribbeln und Doppelpass spielen können – sie sind eben nicht berechenbar, denken und lenken in Optionen –, das ist sein Credo, das geht nur durch Freiraum. Auch ein Grund, warum er den brasilianischen Fußball von klein auf liebt.
Die Freude am offensiven Spielstil zieht sich durch Herzogs ganze Karriere: „Ich habe es schon als Spieler gehasst, wenn alle verteidigt haben.“
Wir halten fest: Herzog ist Herzog. Und Herzog bleibt Herzog. Mit ganz eigenem Stil, Kreativität, Kopf, Herz und Schmäh. So machte er sich Ende der 80er auf, Rekordnationalspieler zu werden und Kathi zu erobern. Eben offensiv statt Tiki Taka.
KAPITEL 10:
VOM BALLAUFLEGEN MIT GEFÜHL – UND SEI JA KEIN HUDRIWUDRI!
RAPID WIEN 1988–1992
Wieder einmal hatte ich bei Familie Herzog am Esstisch Platz nehmen dürfen. Gemütlich saß ich mit Andi in einem Teil des Wohnzimmers, während Frau Kathi gleich nebenan in der Küche mit dem Geschirr klapperte. Und wieder einmal drehte sich alles um das runde Leder:
„Jetzt habe ich eine andere Frage: Warum san die Brasilianer und die Afrikaner in Europa momentan so beliebt? Weil sie mit acht oder zwölf Jahren schon in ein Schema reingepresst werden? Oder spielen die frei von der Leber weg, was sie wollen? Des is für mich immer die große Kunst. Die große Frage. Waßt, was i mein? Afrikaner, Brasilaner. Die san …“
„Nicht zu berechnen“, fügte ich ehrfürchtig lauschend hinzu.
„Nicht zu berechnen“, wiederholte Herzog vielsagend.
Irgendwie hatten wir uns in diesen Tagen am Thema „Kreativität“ festgebissen. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass wir uns auch aufgrund seiner fußballbegeisterten Söhne über die Entwicklungen im Jugendbereich unterhielten (und sich Herzog gerne und zu Recht über zu viel Schablonenhaftes echauffierte), vielleicht aber auch einfach daran, dass Herzog nun einmal seiner Kreativität auf dem Platz so ziemlich alles zu verdanken hatte – der an anderer Stelle erwähnte individuelle Fingerabdruck, DAS Thema seines Lebens. Und natürlich Top eins auf der Liste, wenn man ihn nach drei Dingen fragt, die ihn als Spieler immer ausmachten.
Dennoch definierte sich Herzog nicht nur über Kreativität. Es war auch sein Ehrgeiz, der Beste sein zu wollen – allerdings nicht im stupiden Hin- und Herrennen auf dem Trainingsplatz, sondern dann, wenn es um Entscheidendes ging, um Schönheit, Wucht oder Ästhetik. Das war sein Antrieb: „Ich hab mich immer dann geärgert, wenn ein anderer im Training den Ball ins Kreuz geschossen hat und ich ned.“
Als dritten Punkt nennt Herzerl seine körperliche Konstitution. So war er relativ selten verletzt, was er auf eine gesunde Lebensweise zurückführt. Heute würde man wohl von gutem Umfeldmanagement sprechen.
Es war auch so, dass ich dafür gelebt hab. Ich war jetzt nicht so, dass ich die ganze Nacht weg war. Weißt, im Nachhinein, denk i mir, i habe eigentlich nie eine Muskelverletzung gehabt. Und auch wenn viele sagen: „Der is ja nicht so viel grennt“, is des a Blödsinn. Ich bin genauso viel grennt und öfter gefoult worden wie jeder andere vielleicht, und trotzdem war ich jetzt nicht so oft verletzt. Kommt sicher auch noch hinzu, dass ich für einen Sportler vernünftig gelebt habe. (Andreas Herzog)
Inzwischen hatte sich Frau Kathi dazugesellt. Umfeldmanagement – das interessierte sie besonders, hatte sie doch bewusst oder unterbewusst seit Anfang der 90er ein großes Stück dazu beitragen können, dass ihr Andi sich so entwickelte, wie er sich entwickelte. Immer mal wieder hatte sie zuvor neugierig um die Ecke geschaut und gelauscht und natürlich an passender Stelle darauf hingewiesen, dass ihr Mann sich momentan auch „a bissl mehr“ wie ein Sportler ernähren könnte – statt zu großen Gefallen an Wiener Süßspeisen oder Gugelhupf zu finden. Natürlich, welcher Frau würde das nicht gefallen, und natürlich allzu verständlich, lag ihr doch die Gesundheit ihres Mannes am Herzen. Aber irgendwie ließ sie ihn auch einfach so sein, wie er war – was mir wiederum gefiel; wohl das beste Rezept überhaupt für eine lange und tiefe Beziehung.
In ihren Augen war es übrigens auch die Kreativität, die ihren Andi immer schon ausmachte – oder besser gesagt das „einmalige Auflegen von Bällen“ –, wie Kathi Herzog es bevorzugt ausdrückte, wenngleich sie damit etwas ganz anderes meinte, wie sich später herausstellte.
All das machte mich neugierig – und schon gerieten wir alle gemeinsam ins Plaudern, um in den kommenden Minuten nochmals in die ganz speziellen ersten Jahre bei Rapid abzutauchen, in denen er Nationalspieler wurde – und Kathi und Andi sich kennenlernen durften.
Überhaupt ist das ja so eine Sache mit dem Kennenlernen, wenn man mit den Privilegien eines Fußballprofis groß werden darf (keine Frage, es ist auch harte und disziplinierte Arbeit). Da hat man schnell einmal die eine oder andere Spielerfrau an seiner Seite, die man als Elektroinstallateur in der Regel nicht sein Eigen nennen darf (nichts gegen Elektroinstallateure!!). Die Bilder in den Boulevardzeitschriften zeugen jedenfalls davon – „Adabei“, wie es die „Krone“ so herrlich ausdrückt. Doch „Adabei“ wollte Kathi nie sein. Sie machte sich nicht mal etwas aus Fußball. Übrigens ein Wesenszug, den Herzerl später sehr zu schätzen wusste, nämlich immer dann, wenn er nach Niederlagen nach Hause kam und nicht darüber reden wollte.
„Also, wie kam es zu eurer ersten Zusammenkunft?“, wollte ich nun genau wissen. Zuvor hatte mir Andi beim Cruisen durch die Wiener Vorstädte immer mal wieder von fast schon schicksalhaften Parallelen berichtet, die ihm und seiner Kathi widerfahren waren – als sie sich noch nicht kannten.
Während er als Kind in der Südstadt von seiner Mutter in die Admira-Teammitte gehievt wurde – wir erinnern uns –, wohnte Kathi nur rund 200 Meter entfernt in einer Mietwohnung. Ob sie sich damals schon einmal zufällig auf einem Spielplatz begegnet waren – oder gar am Stadion? Erinnern kann sich Andi zudem noch an eine sehr traurige Geschichte, die Südstadt betreffend. So wurde ein Mädchen von nur vier oder fünf Jahren auf der Schnellstraße nahe des Stadions überfahren – sie mag in seinem Alter damals gewesen sein. Und diese wiederum besuchte den gleichen Kindergarten wie Kathi.
Doch zurück zu positiveren Fügungen: Als Andi die ersten Schritte für Rapid machte, als 14-Jähriger in der U16 und hineingestoßen von Ludwig Huyer, hatte Kathi ebenfalls mit ihren Eltern das Wohnterrain gewechselt – und wohnte unweit des Hanappi-Stadions.
Anscheinend sollte alles so kommen, wie es kam. Und so lernte sie ihren Andi Jahre später und ausgerechnet im „Hudriwudri“ kennen, einer Café-Bar, in der sich Ende der 80er die Cliquen eben so trafen.
„Hudriwudri“, fragte ich nach und schaute anscheinend recht verwundert drein. Kathi jedenfalls schnappte sich unmissverständlich ihr iPad und suchte gleich darauf los – wenngleich es ihr zunächst eher um die Bedeutung oder besser um ein Bild ging, als um den einstmaligen Intreff selbst. „Das ist so eine Art Figur“, meinte sie, während sie virtuell im Netz blätterte. Und richtig, kurze Zeit später zeigte sie mir Bilder und Skulpturen des niederösterreichischen Karikaturisten, Grafikers und Cartoonisten Manfred Deix, der wohl inspiriert durch das elterliche Gasthaus „Zur blauen Traube“ in St. Pölten Figuren „mitten aus dem Leben Österreichs“ zeichnete – wie auch in diesem Fall. Fleischhauer, Wirt oder Fliesenleger sollte Deix übrigens werden, wenn es nach dem Wunsch seiner Eltern gegangen wäre – doch er entschied sich lieber für multiple Künste und Kreativität – unter anderem für die typischen Deix-Figuren wie den „Hudriwudri“. Selbst auf einer Zigarettenschachtel sorgte dieser zu Beginn der 90er für Aufsehen. Motto: „Sei bloß kein Hudriwudri.“ Stattdessen kamen die „Tschick“ in edlem Weiß daher – und standen wohl für Coolness, Eleganz, Stil. „Voll in der Balance“, wie man heute wohl sagen würde.
Dass mit „Hudriwudri“ also ein eher unruhiger, nervöser Zeitgenosse gemeint war, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. „Nur nicht hudeln, kennst du eh“, sagte Kathi gleich den dazu passenden Spruch, um nun noch zu entdecken, dass ihr damals so beliebtes „Hudriwudri“ immer noch existierte, wenn es denn auch den Lockdown überstanden haben sollte, und zwar in der Lainzer Straße im 13. Bezirk gelegen.