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„Das versuchen wir herauszufinden, Herr Pielhop“, sagte Lapschies. „Mit welchen Menschen hatte Ihre Frau Kontakte?“
Nüchtern stellte Lapschies seine erste Frage. Jasmina Gante hatte zwischenzeitlich ihren Block und einen Stift hervorgekramt und wartete. Die Namen und Telefonnummern, die sie bald vom frischen Witwer erhalten würde, brachten ihr und ihren Kollegen mühselige Recherchearbeit für die nächsten Tage ein.
„Zuallererst ich selbstverständlich. Brauchen Sie meinen Ausweis? Dann hole ich meine Geldbörse.“
„Später, im Moment nicht“, beschwichtigte Lapschies Georgs Eifer.
„Dann unsere Putzfrau Amelie Wurps, ihre Mutter Aloisia Märis, ihre Freundinnen, mit denen sie manchmal Golf spielte, ihre Gruppe von alten Schulfreundinnen, Frau Hempel, meine Sekretärin. Elvira arbeitete halbtags bei mir im Büro. Sie erledigte die Buchführung und dort traf sie Frau Hempel. Wer kam noch mit ihr zusammen?“, rätselte Georg.
„Kochte sie hier selbst?“, fragte Lapschies.
„Ja, sie bereitete sich, wenn sie mittags von der Arbeit kam, eine kleine Mahlzeit zu. Sie achtete ständig auf ihr Gewicht und ihre Figur. Außer dienstags, dann kochte Frau Wurps eine Kleinigkeit für sie“, erklärte Georg.
„Fallen Ihnen noch mehr Kontaktpersonen ein?“, wollte Lapschies wissen.
„Lassen Sie mich überlegen. Sie ging zweimal in der Woche zur Gymnastik, einmal im Monat zum Friseur und alle zwei Monate zur Kosmetikerin. Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Jedenfalls keine Personen, von denen ich weiß.“
„Alte Freunde?“ Der Kommissar half Georg auf die Sprünge.
„Ja, ich erinnere mich. Da war einer. Das lief damals etwas unschön ab. Elvira trennte sich spontan von ihm und war dann mit mir zusammen. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Er stalkte sie ein paar Wochen lang. Dann ließ das nach und sie hatte ihre Ruhe.“
„Können Sie mir seinen Namen sagen?“, hakte Lapschies nach.
„Nein, an den Namen kann ich mich nicht erinnern. Der ist vielleicht in ihren Unterlagen zu finden. Sie führte Tagebuch, falls es zu einer Anzeige kommen sollte.“
„Können Sie mir das Tagebuch geben, Herr Pielhop?“, fragte Lapschies vorsichtig.
„Ich hole es aus ihrem Zimmer, einen Moment.“
Währenddessen schauten sich Lapschies und Jasmina im geräumigen Wohnzimmer um. Wo könnten die Umweltschadstoffe sein?
Georg kam wieder und hielt ein Notizbuch in Händen.
„Hier ist es, bitte“, und überreichte Lapschies das Buch.
„Danke. Sie bekommen es selbstverständlich zurück.“
„Okay.“
„Herr Pielhop, die Spurensicherung muss das ganze Haus nach Blei- und Quecksilberquellen durchsuchen. Geht das morgen? Ich gehe davon aus, dass Sie dann anwesend sind?“
„Und am Montag untersuchen wir Ihr Büro", ergänzte der Kommissar.
„Ja, kein Problem. Ich bin zur Stelle. Dann handelt es sich wirklich um Mord?“, wurde ihm schlagartig und mit Schrecken bewusst.
Elvira ermordet? Wer sollte einen Grund dafür gehabt haben, sie zu ermorden. Ausgerechnet die harmlose Elvira. Wer sollte das sein? Vielleicht sah der Mörder es auch auf ihn ab? Seine Hände zitterten. Die Spurensicherung würde nicht nur der Polizei Klarheit bringen, sondern auch ihm. Dann wusste er wenigstens sicher, ob er auch im Visier des hinterhältigen Mörders stand.
„Haben Sie einen Verdacht?“
„Nein, mir fällt kein Mensch ein. Sie war nicht streitsüchtig, ganz im Gegenteil.“
„Herr Pielhop, eine Frage noch, dann sind wir vorerst fertig. Haben Sie eine Lebensversicherung abgeschlossen?“
„Ja, ich schloss einen Vertrag für uns beide ab. Falls einer von uns beiden zuerst sterben sollte, bekommt der andere die Summe ausgezahlt“, gab Georg dem Kommissar bereitwillig Auskunft.
Ein Verschweigen dieses wichtigen Details brachte ihm ohnehin keine Vorteile, sondern eher Nachteile. Also besser bei der Wahrheit bleiben, gestand sich Georg notgedrungen ein. Gleichzeitig erkannte er messerscharf, dass eine hohe Lebensversicherung als ein lupenreines Mordmotiv galt. Damit rutschte er in den Augen der Kommissare in der Hierarchie der möglichen Täter an die erste Stelle der Favoritenliste. Georg fühlte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Doch er musste Rede und Antwort stehen. Es führte kein Weg daran vorbei. Außerdem verfügte die Polizei über Mittel und Wege, solche Informationen ans Tageslicht zu zerren. Es war naiv zu glauben, eine Lebensversicherung verschweigen zu können.
„Um welche Summe geht es da?“, fragte Lapschies nach.
„Die Versicherungssumme beträgt 500.000 Euro. Würden wir beide gleichzeitig sterben, bei einem Unfall zum Beispiel, bekämen unsere Erben das Geld.“
„Wer kommt da infrage?“
„Ich machte noch kein Testament, doch da sind mein Bruder und dessen Kinder und Elviras Mutter. Meine Eltern sind gestorben.“
Bei dieser Frage bemerkte Georg plötzlich, dass er dringend ein Testament verfassen sollte. Und was ist überhaupt mit meiner Tochter? Bisher hatte er kaum Vorsorge für seinen Tod getroffen und für unnötig gehalten. Er war erst fünfundvierzig Jahre alt, wer denkt schon an so was. Er stand in der Blüte seines Lebens und Testament sowie Vorsorge für das eigene Ende waren bislang nicht in seinen Fokus geraten. Das war doch eher etwas für alte Leute, hatte er gedacht. Testament und Vorsorgevollmacht hatte er in die hinterste Schublade seines Gehirns geschoben. Doch jetzt trat ihm sein Versäumnis vor Augen: Schicksalsschläge kamen schneller als erwartet. Er musste sich unbedingt in allernächster Zeit darüber Gedanken machen. Die hinterhältige Vergiftung hätte auch ihn treffen können. Konnte er sicher sein, dass der Anschlag nicht ihm galt oder ihn miteinbezog?
Der Kommissar unterbrach seine Gedankengänge.
„Herr Pielhop, die Leiche Ihrer Frau wurde freigegeben. Sie kann aus der Rechtsmedizin abgeholt werden“, teilte Lapschies Georg mit.
„Endlich, dann gebe ich dem Bestatter Bescheid“, musste Georg seine Erleichterung darüber eingestehen.
„Für heute sind wir fertig. Morgen kommen wir um neun Uhr, Herr Pielhop“, kündigte Kommissar Lapschies die Spurensicherung an.
Seine Kollegin und er standen auf und gingen zur Garderobe. Sie nahmen sich ihre Wintermäntel von den Haken und zogen sie über. Die Temperaturen waren im Januar recht frisch.
An der Haustür wandte sich Lapschies zu Georg um und verabschiedete sich:
„Auf Wiedersehen, Herr Pielhop, morgen dann.“
„Auf Wiedersehen“, sagte Jasmina Gante.
Sie beteiligte sich bei dem ganzen Gespräch mit keinem einzigen Wort, schrieb aber fleißig mit.
„Auf Wiedersehen, Herr Lapschies, Frau Gante“, sagte Georg und verneigte sich kurz und schloss die Tür.
Betreten schlich er ins Wohnzimmer. Das erschien ihm plötzlich gefährlich. Überall lauerten giftiges Blei und totbringendes Quecksilber. Fühlte er etwa Kopfschmerzen? Roch die Luft merkwürdig? Wenn er heute Nacht keinen Schlaf finden würde, übernachtete er in einem Hotel. Das nahm er sich vor. Augenscheinlich hatte es jemand gezielt auf Elvira abgesehen. Aber warum? Er wälzte die Gedanken hin und her, konnte sich keinen passenden Reim auf die Eröffnungen des Kommissars machen. Blei. Quecksilber. Wie kam man da ran?
Mit diesen sinnlosen Überlegungen kam er nicht weiter, sie brachten keine Ergebnisse. Georg verfolgte einen anderen Gedankenstrang, der sich ihm im Nachhinein aufgedrängt hatte. Verhielt er sich verdächtig? Die Sache mit der hohen Lebensversicherung war Fakt. Er hatte die Versicherung auf Gegenseitigkeit vor fünf Jahren abgeschlossen. Das musste jedem verdächtig vorkommen. Das belastete eindeutig ihn. Er sah schließlich jeden Sonntag Tatort, denn Elvira lag Sonntag für Sonntag auf dem Sofa und war verrückt auf Tatort. Georg hatte nie eine Chance gehabt, das sonntägliche Abendprogramm zu beeinflussen. Dadurch wusste er Bescheid! Und er hatte gelernt, besser gleich die Fakten erwähnen, als Heimlichtuerei zu versuchen. In Zukunft würde er sich still und unauffällig verhalten und seinen Geschäften nachgehen. Er musste Frau Hempel mitteilen, dass er morgen zu Hause bleiben musste. Und der Bestatter wartete ebenfalls auf seinen Anruf.
Donnerstagmittag 9. April
Kriminalhauptkommissar Felix Lapschies saß an seinem Schreibtisch mit der zerkratzten Tischplatte. Er trug die Fakten zusammen, die seine Abteilung zum Fall „Elvira“, wie sie ihren neuen Fall genannt hatten, inzwischen erarbeitet hatten. Die Lage war dünn, aber der Ehemann Georg Pielhop stand in der kurzen Reihe der Verdächtigen an prominenter Stelle. Die hohe Lebensversicherung verstärkte den Verdacht erheblich gegen ihn. Georg Pielhop hatte mit Elvira tagtäglich gemeinsam unter einem Dach gelebt. Er verfügte sehr wohl über Möglichkeiten, sie mit Blei und Quecksilber schleichend zu vergiften.
Lapschies Gedanken drifteten in eine Nische seines Kopfes ab, die er sonst tunlichst mied. Seine verstorbene Frau Lisbeth stahl sich in den Vordergrund. Vor acht Jahren hatte sie sich mit einer Überdosis starker Schlaftabletten an einem ganz normalen Vormittag das Leben genommen. Er war wie gewöhnlich zur Arbeit gegangen und seine Töchter in die Schule. Lapschies machte sich auch nach so langer Zeit immer noch quälende Vorwürfe für ihren tragischen und so sinnlosen Tod. Für sie war ihr Freitod keinesfalls sinnlos gewesen, sondern der einzige mögliche Ausweg aus einer Sackgasse. Er hätte wesentlich aufmerksamer ihr gegenüber sein müssen und nicht ständig an seine Arbeit denken. Er war ja damals kaum zu Hause gewesen. Die Erziehung ihrer vier Töchter hatte er ihr ganz alleine überlassen. Er schämte sich nachträglich in Grund und Boden. Die vier Töchter, die schnell nacheinander das Licht der Welt erblickt hatten, und seine ständige Arbeitsüberlastung, das war zu viel für die zartbesaitete Lisbeth gewesen. Sie hatte keine Hilfe, keine Oma und erledigte alle anfallenden Aufgaben alleine. Für eine Haushaltshilfe hatten sie kein Geld. Also hatte sie geputzt, gewaschen, gekocht. Die Mädchen waren klein und hatten ihre stete Aufmerksamkeit gebraucht. Wenigstens hatte er das kleine Reihenhaus in Brinkum, einem Vorort von Bremen, gekauft. So verfügte die wachsende Familie über ausreichenden Platz. Na ja, nicht jedes Mädchen konnte in ihrem eigenen Zimmer schlafen, mit Freundinnen spielen und Hausaufgaben erledigen. Die Mädchen mussten sich zu zweit ein Zimmer teilen. Er hatte aber den Eindruck, das machte ihnen nicht viel aus. Es gab wegen der Enge nie Streit im Haus. Oder etwa doch und er bekam es nicht mit, wenn er abgespannt und mit seinen Gedanken noch auf dem Kommissariat nach Hause kam? Lisbeth dagegen war mehr und mehr in Depressionen verfallen. Selbst hatte sie sich nicht aus dem Käfig in ihrem Kopf befreien können. Oder doch? Hatte ihr Selbstmord eine endgültige Befreiung dargestellt? Lapschies wusste es nicht. Der Faden zwischen ihnen war im Laufe der Zeit abgerissen. Einfach so, unbemerkt und schleichend. Lisbeth, die Liebe seines Lebens. Lapschies hatte beschlossen, nie mehr eine andere Frau anzusehen. Lisbeth steckte in seinem Kopf und jede Frau, die ihm über den Weg lief, verglich er mit ihr. Andere Frauen konnten da nur verlieren und sie ahnten nichts davon. Sie waren in Lapschies kritischen Augen es alle nicht wert, Lisbeth gar zu ersetzen. Keine war so wie sie. Dabei gab es genügend Frauen in seiner Umgebung, die sich sehr gut vorstellen konnten, eine Beziehung zu Lapschies aufzubauen und zu pflegen. Sie traten gegen eine unschlagbare Konkurrenz an.
Felix Lapschies brauchte sich über mangelnde Zuwendung und die Verplanung seiner knappen Freizeit keinen Kopf machen. Das übernahmen seine Töchter gerne für ihn. Die Jüngste, Magdalena mit ihren vierzehn Jahren, vereinnahmte ihren Papa vollends. Sie stürmte durch die Pubertät mit allen hormonellen Höhen und Tiefen und riss ihren Vater mit. Lapschies fühlte sich verpflichtet, seiner Tochter bei diesem Umbruch zu helfen und führte lange Gespräche mit ihr. Sie kam zu ihm und versuchte sich Meinungen über Menschen, Ereignisse und Probleme zu bilden und ihren eigenen Weg zu finden. Was Jungen betraf, besprach sie natürlich nicht mit ihm. Dafür standen ihre drei erfahrenen Schwestern, Julia sechzehn, Katharina zwanzig und Marie zweiundzwanzig Jahre, zur Verfügung. Sie schöpften aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz, mit dem er beileibe nicht mithalten konnte.
Lisbeth hatte alte deutsche Vornamen für ihre Töchter favorisiert. Er fand das gut. Magdalena, Julia, Katharina und Marie Lapschies. Mit solchen Namen konnten sie in die Welt gehen und brauchten sich nicht über Missgriffe in den Namensgebungen ihrer Eltern zu ärgern. Seine Töchter, die alle vier sehr viel Ähnlichkeit mit seiner Frau hatten, kümmerten sich rührend um ihren Vater. Sie wohnten alle noch zu Hause und machten keinerlei Anstalten, ihre Koffer zu packen und auszuziehen. Die Mädchen erzogen sich gegenseitig, wie das bei einer großen Kinderschar oft geschieht. Sie schmissen den Haushalt und kochten für ihren Papa. Abends kredenzten sie manchmal sehr feudale Menüs mit mehreren Gängen. Er genoss das Zusammensein mit seinen Töchtern und seine Töchter offensichtlich ebenso. Ab und an durfte einer der aktuellen Freunde an der fröhlichen Tischrunde teilnehmen. Aber nur manchmal, meistens aß nur die Familie zusammen.
Die beiden Älteren studierten an der Universität im nahen Bremen. Katharina hatte sich Betriebswirtschaft ausgewählt und Marie wollte Grundschullehrerin werden. Sie studierte Deutsch und Sachkunde und würde im nächsten Jahr das Referendariat beginnen. Es machte ihr großen Spaß mit Kindern in der Altersgruppe zu arbeiten. Das hatte sie während eines Praktikums in einer Grundschule erprobt. Nein, unbedacht und leicht zu verängstigen waren seine Töchter nicht. Das mussten sie von ihm geerbt haben, denn ihre Mutter sorgte sich zu oft und hatte ein enormes Sicherheitsbedürfnis. Vielleicht hatte auch die Gefahr, die sein Beruf zwangsläufig mit sich brachte, an ihren Nerven gezerrt und sie lebensmüde werden lassen. Sie hatte sich zwar nie bei ihm beklagt. Aber er konnte es genau spüren, wenn er mal wieder von einem gefährlichen Einsatz ausgelaugt nach Hause kam. Sie hatte entsetzliche Angst um ihn gehabt.
Er war schon lange vor ihrer Ehe in den Polizeidienst eingetreten. Einige Jahre hatte er bei der Schutzpolizei gearbeitet. Danach war er mit etlichen Fortbildungen nach und nach die Karriereleiter hinaufgeklettert. Jetzt hatte er es zum Kriminalhauptkommissar gebracht und verfügte über einige Mitarbeiter. Und nun hatte er einen verzwickten Fall zu lösen, der ihm Rätsel aufgab.
Donnerstagnachmittag 9. April
Lapschies konzentrierte sich wieder auf seine Akten. Er musste sich zusammenreißen. Wie sah sein Plan aus? Ja, die Putzfrau Amelie Wurps und die Mutter wollte er vernehmen. Das stand für Montag auf seinem Plan. Und bei der anberaumten Hausdurchsuchung konnte Götz gleich Georg Pielhop etwas genauer unter die Lupe nehmen. Er musste mehr über den Ehemann herausfinden. Vielleicht gab es zusätzliche Anhaltspunkte. Die hohe Lebensversicherungssumme war ein Motiv für die Tötung von Angehörigen. Die zu kassieren konnte auch einen gutverdienenden Mann in Verführung bringen. Und gleichzeitig wurde er noch elegant seine Ehefrau los.
Die tägliche Teamsitzung stand an, die fand im genügend großen Besprechungsraum nebenan statt. Er klaubte die Akten vom Schreibtisch zusammen und machte sich auf den kurzen Weg in den angrenzenden Raum. Vielleicht hatte Esther Koschek, die Abteilungsfee, frischen Kaffee gekocht. Denn der aus dem Automaten schmeckte wie Feudelwasser. Außerdem brauchte der Apparat meistens einige Überredungskünste, damit er überhaupt etwas ausspuckte.
Seine vierköpfige Mannschaft saß schon im Raum und wartete gespannt auf ihren Chef. Alle hatten schon von ihrem neuen Fall gehört, aber noch keine konkreten Aufgaben zugewiesen bekommen.
Lapschies begrüßte seine Gruppe mit einem kurzen Kopfnicken und wandte sich der Tafel zu, an der einige Fakten standen. Das hatte Jasmina Gante erledigt. Sie war sehr systematisch und hielt die Tafel stets auf dem Laufenden.
„Wir haben eine Meldung von der Rechtsmedizin bekommen, nach der Elvira Langelott, die Ehefrau von Georg Pielhop, durch erhöhte Blei- und Quecksilberwerte an den Vergiftungserscheinungen gestorben ist“, begann er.
Während seiner Ausführungen wies er auf die Fotos, die an der Tafel hingen.
„Wir müssen die Mutter Märis, den Ehemann Georg Pielhop, die Putzfrau Amelie Wurps und einige andere, die mit Elvira Langelott in Verbindung gestanden haben, überprüfen. Jasmina hat die Namen aufgeschrieben. Teilt ihr das unter euch auf?“
Die Kommissare Götz Zeppenfeld, Ubbo Huisinga, Jasmina Gante und Knut Dohr nickten verstehend. Die Aufgabenverteilung würden sie in der Gruppe regeln. Da gab es keine Probleme zu erwarten, denn das Team verstand sich untereinander ausgezeichnet.
„Es werden morgen Vormittag eine Hausdurchsuchung inklusive Spurensicherung bei Georg Pielhop durchgeführt. Ich hoffe, wir haben dann die ersten konkreten Hinweise. Wenn Blei oder Quecksilber im Haus sind, findet das die Spurensicherung.“
Ubbo hob langsam seinen Arm und meldete sich zu Wort: „Sind Motive erkennbar?“
„Ja, der Ehemann schloss eine Lebensversicherung über 500.000 Euro ab. Das macht ihn in meinen Augen sehr verdächtig.“
Jasmina meldete sich zögerlich zu Wort. Sie war hier im Team die Jüngste und arbeitete erst seit einem Jahr mit. Deshalb hielt sie sich meist zurück. Ihre Kollegen hatten aber inzwischen ihre gründliche Arbeit schätzen gelernt und sie hatte ihre Position in der Gruppe gefestigt.
„Ich kann mir vorstellen, dass es noch andere Motive gibt. Georg Pielhop sieht gut aus und hat Geld. Wahrscheinlich finden wir in seinem Leben einige Abenteuer. Andere Frauen können es auf ihn abgesehen haben und Elvira Langelott aus dem Weg räumen wollen.“
Alle stimmten ihrem klugen Einwand zu. Eine zu frühe Festlegung auf einen möglichen Täter konnte das Team in die falsche Richtung der Ermittlungen lenken. Sie mussten offenbleiben für andere Konstellationen und Spuren. Lapschies meinte:
„Du hast recht Jasmina. Suchen wir zuerst ihre Umgebung ab. Wir wissen bislang wenig, zu wenig. Gibt es noch Fragen oder Hinweise?“
Lapschies blickte in die Gesichter seiner Mitarbeiter. Er hatte ein gutes Team, er war stolz auf sie. Schon oft hatten sie Fälle aufgeklärt, die zäh und ohne nennenswerte Hinweise begannen. Aber sie hatten die Fälle geknackt und den Täter oder die Täterin verhaftet.
Deshalb ließ ihr Vorgesetzter Christian Fürchtegott Meller sie auch meistens in Ruhe arbeiten. Klein und übergewichtig hätte er nur allzu gerne sein Ego größer gemacht, als es war. Neu in seiner jetzigen Position hatte er versucht, ihrer Arbeit seinen Stempel aufzudrücken. Doch wenn er es mit Autorität und Anweisungen mal probiert hatte, trugen seine Instruktionen nie zur eigentlichen Klärung der Fälle bei. Deshalb kehrte er zwar gerne den gestrengen Chef heraus und trug eine energische Miene zur Schau, akzeptierte aber die erfolgreiche Arbeit des Teams. Die Fünf waren froh darüber, dass Kriminalrat Meller sie in Ruhe ihre Ermittlungen durchführen ließ und sich wenig einmischte. Das war in anderem Teams teilweise ganz anders, wussten sie von ihren Kollegen.
„Fragen? Dann schließe ich diese Besprechung ab. Wir sehen uns morgen um die gleiche Zeit wieder“, sagte Lapschies in die Runde.
Alle erhoben sich und gingen mit ihren Blöcken und Stiften in Händen an die Schreibtische. Lapschies konnte im Moment nichts weiter tun. Er musste auf die Ergebnisse der Hausdurchsuchung und der Nachforschungen seiner Mitarbeiter warten. Zurück in seinem Büro, schnappte er seinen abgetragenen Lieblingsmantel und ging zum Auto im Hof des Polizeipräsidiums. Es dämmerte schon, die Straßenbeleuchtung war angesprungen. Gedanken zum aktuellen Fall konnte er sich ebenso gut auf der Heimfahrt machen. Zur Denkarbeit brauchte er nicht unbedingt in seinem Büro zu sitzen.
Wer hat Küchendienst, überlegte er, während er an der Ampel warten musste. Um diese Zeit war Berufsverkehr und es fuhren viele Autos aus Bremen in die umliegenden Ortschaften.
Sicher gab es etwas Gutes zu essen. Er freute sich auf sein zu Hause und die appetitliche Mahlzeit. Seine Töchter versuchten, sich gegenseitig mit Köstlichkeiten zu übertrumpfen. Neues probierten sie gerne aus und kritisierten dann während der Mahlzeit kompromisslos. Oft entschied sich schon beim Essen, ob sie eine Zutat wieder einkaufen würden oder nicht. Seine Töchter gingen mit so manchen Errungenschaften der Lebensmittelindustrie hart ins Gericht. Wenn er bei Tisch Mäuschen spielte und nur zuhörte, tat ihm die Industrie leid, denn sie gab sich außerordentliche Mühe, Neues zu kreieren. Und seine Töchter probierten und fällten ohne Hemmungen ihr manchmal sehr hartes Urteil. An seinen Fall dachte Lapschies am Abend kam noch, doch das sollte anders werden.
1815
Die ständige Unsicherheit und die Geldprobleme lassen mir keine ruhige Minute. Meine Kinder habe ich umgebracht, weil ich frei sein will für den ersehnten und geliebten Mann. Und meine Eltern habe ich umgebracht, weil sie mich als unwissendes und unschuldiges Mädchen in eine unglückliche Ehe gedrängt haben. Mein erster Ehemann ist ein saufender Syphilitiker. Meine Eltern verdienen es, sie sind kleingeistig und nur auf ihren eigenen Stand in der Gesellschaft bedacht. Durch meine Heirat mit dem notorischen Fremdgeher glauben sie, eine Stufe höher in der bürgerlichen Hierarchie zu klettern. Wie sie damit dumm angegeben haben und sich besser fühlen als ihre Nachbarschaft! Darüber lache ich nur. Ich befreie mich von diesem fürchterlichen, ekligen und kranken Menschen.
Aber dieser Sausack hinterlässt mir nur Schulden. Ich spiele die arme Frau, mache meine Schulden höher als sie sind und leihe mir Geld. Die Menschen bedauern mich, haben Mitleid mit mir. So viele Tote in meiner Familie und dann noch Schulden. Ich mache mich beliebt und helfe, wo ich kann. Ich bin die Trösterin und der Engel der Kranken, Wöchnerinnen und Armen.
Was keiner ahnt, ich verfüge über die Mieteinnahmen meines Hauses aus der Ehe mit dem Syphilitiker. Aber in Geldangelegenheiten bin ich unerfahren und verstehe nichts. Mich überkommt ständig die Angst, eines Tages mittellos zu sein.
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