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Der Traum ist schnell ausgeträumt. Der Wirt ohne Patent und blockiert darin, den entsprechenden Fachabschluss nachzuholen, sieht sich gezwungen, dafür einen Kollegen einzustellen. Das kostet. Dazu addieren sich Fehlinvestitionen. Der im Handel Ungeübte lässt sich viel zu teuren Wein aufschwatzen, die Ausgaben summieren sich, langsam rutscht Robi Minder in eine finanzielle Schieflage, versucht diese mit der Expansion auf ein zweites Lokal aufzufangen. Nach nur zwei Jahren kommt das Aus, er muss seine Insolvenz erklären. Und wird, als geschlagener Hans im Glück, erneut auf den Arbeitsmarkt katapultiert. Zurück in die Welt der Dienstleister, der Kellner. Mit seinen guten Arbeitszeugnissen findet Robi bald wieder Arbeit. In einem Basler Tanzlokal, dem Happy Night, einer In-Diskothek, die über die Landesgrenzen hinaus bekannt und auch im Elsass, im Rheinland beliebt ist, ein bisschen spleenig mit einem richtigen englischen Taxi in der Saalmitte; da sitzt der DJ drin und legt seine Platten auf. Es ist die Show, die zieht, und dann natürlich die Musik. Und ein bisschen auch Hanny, die Frau hinter der Bar, die so gar nicht in das Klischee einer Bardame passen will. Sie fasziniert. Auch den neu eingestellten Kellner Robi Minder. Und für einmal gerät ihm seine Schüchternheit zum Vorteil. Die beiden finden sich als Paar, heiraten, werden Eltern eines kleinen Sohnes und bleiben sich zuverlässige Lebensgefährten. Bis heute.
Eine eigene Familie
Mit seiner Vaterschaft erlebt Robi Minder zum ersten Mal in seinem Leben die bewegte Vielfalt eines Familienalltags. Seine Nachtarbeit erlaubt ihm eine Nähe und Präsenz bei seinem Sohn und seiner Partnerin, die er geniesst. Und die ihm guttut. Er staunt ob der Anmut und Poesie des kleinen Wesens, holt und verteilt Zärtlichkeiten, wagt sich damit in unbekanntes und auch irritierendes Neuland. Bei der Arbeit findet er gleichzeitig in eine gewisse Routine, die Gespenster der Angst werden leiser. Robi Minder sieht die Zeit gekommen, sich vom Alkohol, dem alten Helfer, loszusagen. Er plant, unterstützt von einem Arbeitskollegen, den Ausstieg aus seiner Sucht. Denn auch Anton, der Türsteher des Happy Night, Gewichtheber, ein Brocken von Mann, der ihm wohlgesonnen ist, sucht nach einer Veränderung. Sein Muskelfett, seine 120 Kilogramm, die die Frauen abstossen oder ängstigen, sollen weg. Gemeinsam joggen die beiden, laufen gegen Alkohol und Fett um die Wette, während annähernd zehn Jahren, und werden Freunde.
Anton lockt Robi Minder nicht nur auf die schönen Kieswege am Ufer des Rheins, er zeigt ihm noch eine andere, ihm gänzlich unbekannte Welt. Sie versteckt sich in einem Hinterzimmer, wo sich ein eingeschworener Kreis von Männern trifft. Regelmässig kommen sie, setzen sich an ihre Tische, ziehen Zigarren und Geldbündel aus ihren Taschen, verteilen Karten – und dann wird gespielt. Gepokert. Mit Pokern lässt sich eine Menge Geld verdienen. Wenn man dafür begabt ist. Und Robi Minder ist begabt. Denn will man in diesem Spiel Erfolge verbuchen, braucht man Geduld, Beobachtungsgabe, Psychologie und Menschenkenntnis, aber auch Strategie, Risikofreude und Verantwortungsbewusstsein. Darin ist Robi Minder ein Meister, er hat alle diese Eigenschaften auf seinem langen Leidensweg bis ins Feinste entwickelt und ausdifferenziert. Hinzu kommt – und das ist für ihn matchentscheidend –, dass man im Pokerspiel niemandem verpflichtet ist. Ausser sich selbst. Die sozialen Beziehungen sind ausgesetzt, die Mitspieler am Tisch vollkommen egal. Man kennt Namen und Beruf. Und nicht einmal dies wäre nötig. Es geht nicht um Freundschaft, keiner hat ein Recht auf Rechenschaft. Die einzige Instanz ist die Regel des Spiels. Und die einzige Referenz der eigene Gewinn.
Und so kommt es, dass Robi Minder nach sorgfältigem Abwägen und einer buchhalterischen Auswertung seiner Gewinne über ein paar Monate hinweg noch einmal einen beruflichen Wechsel wagt. In seinem 31. Lebensjahr steigt er aus der Gastronomie aus und ins professionelle Pokerspiel um. Er wird den Schritt nie bereuen, er und seine Familie werden in den nächsten zwei Jahrzehnten mit diesen Einkünften gut leben. Einzig die Sache mit den Steuern plagt den gewissenhaften Spieler. Wie soll er, der doch gar nicht betrügen will, die Gewinne aus einem illegalen Spiel versteuern? Und wie an den Sozialversicherungen weiterhin partizipieren? Er löst das Dilemma über kleine Nebenbeschäftigungen, die ihn auch künftig in der Arbeitswelt verankern. Er arbeitet als Maler, als Gärtner, als Bodenleger oder Reiniger von Boilern. Und schliesslich, Jahre später, als Hauswart im Nebenamt.
Als Hauswart unterwegs
Die Weichenstellung dazu verdankt er einer Annonce, die er zufällig entdeckt, «Wohnung mit Hauswartspflicht». Das klingt für Robi Minder mit seinen Stressbelastungen interessant. Denn als Hauswart kann er seine Arbeit selbstständig einteilen und ohne Chef agieren, kann sich, wenn die Kontakte mit Mieterinnen und Mietern ihm wegen seiner Sozialphobie Kopfschmerzen bescheren, in die Gartenarbeit oder auf eine nächste Liegenschaft zurückziehen. Das sind, zusammen mit der Aussicht auf eine grössere Wohnung, eine Menge Vorteile. Robi Minder bewirbt sich, und es klappt. Ein erster Schritt seiner Rückkehr in eine bürgerliche Berufswelt. Doch die Angst vor Menschen ist nicht kleiner geworden. Und die Mietergespräche werden tatsächlich zu einer Qual, die bereits bei der Planung beginnt. Sie treiben ihm den Schweiss auf die Stirn und in den Nacken, die Hände werden dabei fahrig, und die Formulare verkehren sich in widrige Gegenspieler bei seinem Kampf um den Schein souveräner Ruhe. Manchmal hat Robi Minder eigentliche Panikattacken. Undenkbar ist für ihn ein gemütlicher Kaffeeschwatz mit einem Handwerker oder einer Mieterin, zu sehr fürchtet er den Verlust der Kontrolle über seine zitternden Hände, die den Kaffee verschütten, noch bevor die Tasse am Mund ist, oder böse Zungen in der Verwaltung und Mieterschaft, die ihm etwa Faulheit vorwerfen könnten.
Robi Minder, der Hauswart, gerät mehr und mehr in einen Dauerstress, was zu schlimmen Muskelschmerzen führt. Äusserlich gibt er sich ruhig und gewissenhaft und schafft es, in seiner Rolle vollkommen zu überzeugen. So sehr, dass man ihm schon bald weitere Liegenschaften zur Obhut anvertraut. Die neuen Aufträge sind ihm, trotz wachsender Belastung, hoch willkommen, denn an seinem geliebten Pokertisch machen sich neuerdings Männer aus fremden Kulturen breit, die das regelkonforme Spiel durch dreiste Bandentricks verdrängen. Nach zwanzig Jahren verabschiedet sich Robi Minder für immer von dem verrauchten Hinterzimmer mit den Glück bringenden Karten und den gewinnträchtigen Geldbündeln. Les jeux sont faits.
Die zusätzlichen Liegenschaften im Portfolio des Hauswarts bringen zwar mehr Geld. Aber auch mehr Stress und weitere Ängste. Die nun leider vor der eigenen Wohnungstür nicht mehr haltmachen. Dort also, wo Robi Minder sich mit Frau und Kind gut eingerichtet hat, in einem kleinen Nest voller Fürsorge. Die drei bleiben auf sich selbst zurückgeworfen. Für die Pflege von Freundschaften bleibt wenig Zeit, die Verwandten sind fern oder unerreichbar. Sie leben im Bündnerland, Schwester Elisabeth ist in Frankreich. Mit seiner Mutter verbindet den ehemaligen Heimbuben nur mehr ein loses Band, zudem stirbt sie früh, an kaputt gerauchter Lunge. Und der Vater, inzwischen als Vertreter von Just-Bürsten unterwegs, hat sich in Depressionen verloren und ist fast ganz aus Robi Minders Lebenswelt entschwunden. Er wird dereinst verwahrlost sterben, ein Darmverschluss gerät ihm, nach drei Tagen vergeblichen Klopfens in der Einsamkeit seiner Wohnung, zum Todesurteil. Sein herbeigerufener ältester Sohn, der ihm einst weggenommen wurde und dem er so lange nachtrauerte, wird unerwartet Zeuge dieses letzten Abschieds seines Vaters.
Die kleine Familie ist also auf sich gestellt. Frau und Kind tragen Robi Minder durch den Alltag, der Sohn gedeiht, die Frau bleibt zuverlässige Partnerin, unterstützt ihn, wenn sich neue Risse auftun unter den Füssen ihres Mannes. Ohne zu fragen, setzt sie sich neben ihn, als offenbar wird, dass er sich nicht mehr alleine ans Steuer wagt, da die Angst zu sehr mitfährt, und sie tut dies bis heute, wann immer es nötig ist. Aber trotz all dieser Liebe wird Robi Minder manchmal, wenn er sich so gar nicht verstanden fühlt, von einer ungeheuren Wut geradezu überfallen. Dann fliegen die Möbel, brechen Tischplatten, krachen Angeln aus den Haustüren, oder ein Motorrad landet in der Rabatte vor dem Haus. Dann feiern die Geister des Wiesengrunds ihre Walpurgisnacht und werden zu wüsten Monstern. Allerdings – Gewalt gegen seine Lieben, Frau und Kind, gestattet er den Monstern nie.
Die Zeit im Wiesengrund und ihre Folgen bleiben in unterschiedlichem Gewand prägende Realität in Robi Minders Alltag. Im Alter von 45 Jahren entscheidet er sich, zusammen mit seiner Schwester, zu einer direkten Konfrontation mit den ehemaligen Heimeltern. Zu viele Fragen sind offengeblieben, nagen unerlöst an ihren Herzen und peinigen sie, allen voran die eine: Wie nur konnte die Heimmutter derart brutal und gefühlskalt sein, warum nur hat sie die ihr anvertrauten Kinder, als komplett schutzlose Wesen, die sie waren, derart gequält? Und so fahren sie denn, dreissig Jahre nach dem Verlassen des Wiesengrunds, zurück ins Nachbardorf, wo das Ehepaar Furrer inzwischen in Rente lebt. Der Heimvater öffnet die Tür, zeigt sich überrascht, in der Stube sitzt, gebrechlich in einem Sessel zusammengesunken, Mutter Furrer. Robi Minders Schwester Elisabeth wird bald einmal von ihren Emotionen überrollt und überschüttet die alte Frau mit einer Kaskade von Vorwürfen und Fragen. Deren Mann Anton versucht beharrlich zu intervenieren, das Gespräch in die Gegenwart zu lenken, wie geht es euch, erkundigt er sich, was nur ist aus euch geworden. Das einst mächtige Mueti jedoch sitzt abgedreht in ihrem Fauteuil, würdigt die Besucher keines Blickes, stammelt einzig in ständiger Wiederholung, sie könne sich an nichts erinnern. Als das Geschwisterpaar wieder draussen steht, beginnen die beiden – nach einem ersten Atemholen – erschüttert zu analysieren und zu rätseln. Ob Frau Furrer wohl dement ist oder einfach eine Erinnerungsamnesie vortäuscht, um sich vor allem zu schützen? Und welche Rolle kam und kommt noch heute dem Heimvater zu? Mimt er geschickt den Ahnungslosen, und vermeidet er jedes Schuldeingeständnis – oder wusste er tatsächlich vieles nicht? Die Fragen sind nicht weniger geworden, und die Geister des Wiesengrunds fahren alle wieder mit zurück in den Alltag. Jedenfalls ergeht es Robi Minder so.
Der Zusammenbruch
Der Zusammenbruch kommt kurz vor seinem 50. Geburtstag. Die Zeichen kündigten ihn schon lange an, nun aber ist er plötzlich da, als ein Bündel von Ängsten, aufsteigend wie ein Tornado, der Robi Minder spiralförmig einschliesst und ihn durch imaginäre Lüfte wirbelt. Seit Wochen schon schleift ein Tinnitus seinen Gehörnerv, und zwar beidseitig, im Gehirn meint er einen Tumor zu spüren, und nun liegt auch noch seine Zunge gelähmt im Gaumen, verweigert ihm jegliche Artikulation, ihm wird eiskalt, Arme und Beine sterben vom Körper weg, das Herz rast. Und auch die Welt um ihn herum verändert sich, im Korridor der Wohnung flackern die Farben des Regenbogens, und draussen vor der Tür lauert das Böse. Robi Minder aber weiss nur mehr eines, und das ganz gewiss: Er darf nicht mehr schlafen, nie mehr, er muss sich selbst kontrollieren, muss das eigene Herz überwachen und beschützen, da es sonst aufhören würde zu schlagen. Herzneurose, diagnostizieren die Psychiater später in der Klinik diesen Zwang, nachdem sich der Gequälte nach fünf schlaflosen Nächten und Tagen selbst dorthin einweist. Er landet in der geschlossenen Abteilung der Universitätsklinik, wird zuallererst in einen Tiefschlaf versetzt; wieder wach, findet Robi Minder sich unter traurigen Leidensgenossen: einem kriegstraumatisierten Vietnamesen, einem Juden, der verzweifelt nach seiner verlorenen Frau sucht, einem die Bibel rezitierenden Glaubensbruder. Hier bleibt er für die nächsten Tage, das Personal wechselt ständig, seine traumatische Kindheit wird weniger im Therapiegespräch als vom Klappern der Messer und Gabeln im Speisesaal in die Gegenwart geholt. Nach zwei Wochen wird Robi Minder entlassen, «im gegenseitigen Einverständnis» und in einem durch «seine Angstsymptomatik eingeschränkten Zustand», wie die Krankengeschichte vermerkt. Für ihn jedoch kommt die Entlassung unerwartet, ist eine Art Schock, er findet sich plötzlich am Eingang der Klinik wieder, mit einer Schachtel Seropram und einem Schlafmittel für die Nacht, niemand weiss von seiner Entlassung, die Ängste melden sich in Sekundenschnelle zurück, nach einer Packung gerauchter Zigaretten und drei Stunden Panik schafft er es schliesslich, die Klinik zu verlassen und nach Hause zu gehen. Den Schwindel und das Herzrasen nimmt er wieder mit heim.
Die Schrecken dieser Welt der Panik und wahnverschobener Realitäten setzen sich dominant in Robi Minders Kopf fest. Ohne die griffbereiten Beruhigungstabletten geht er künftig nicht mehr aus dem Haus, beim Gehen sucht er die Nähe der Hauswand, das Queren eines Platzes wird zur angstbesetzten Tortur. Schwindel, Druck im Hirn, Ängste und Depressionen sind nun täglich wechselnde Begleiter, auch der Tinnitus meldet sich zurück. Robi Minders Lebenswelt wird drastisch eng, selbst das Trinken und Schlucken, das Atmen erfordern Konzentration. Und in den schlaflosen Kopf nisten sich Gedanken eines erlösenden Suizids.
Rettende Welten
Eine Psychiaterin begleitet die posttraumatisch bedingten Grenzgänge des ehemaligen Heimbuben Robi. Sie rät ihm unter anderem zu schreiben und zu malen. Das nützt. Aber die wesentliche Hilfe beim Versuch, seinen Ängsten auf den Grund zu kommen und sie schliesslich zu bannen, findet Robi Minder bei einem Philosophen. In einem schmalen Buch, das sein Sohn, mittlerweile ein Teenager, ihm damals in die Klinik mitbrachte. Es sind die «Meditationen» des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti. Darin entdeckt er Gedankenwürfe und Denkgänge zur Befreiung von autoritär gesetzten Wahrheiten und Zwängen. Krishnamurti entlarvt sie als machtmissbrauchende Konstrukte mit fein ausgelegten Verästelungen. Robi Minder wird sich bewusst, wie sehr die martialisch in seine Seele gehämmerte Gottesfurcht und der dabei angeführte strafende Gott den Boden auslegten für seine schrecklichen Ängste. Die auch mit seinem Austritt aus der Kirche, damals war er etwa 35 Jahre alt, nicht verschwinden wollten. Die Texte Krishnamurtis führen ihn in eine wunderbare Freiheit des Denkens, die sich ausserhalb jeder Autorität bewegt. Der Gedanke, dass keine Institution und keine Autorität die absolute Wahrheit kennt, wird zur erlösenden Selbstbefreiung, lässt ihn Konfessionen und Glauben entmachten und sogar die Angst vor den Menschen verlieren. Schliesslich wählt er für sich einen Aphorismus aus der Sammlung von Krishnamurti und ersetzt damit das Notmedikament in seiner Tasche: «Die Wahrheit ist ein pfadloses Land.» Diese philosophischen Ansätze eröffnen ihm Wege in ein ruhigeres Leben. Der Stress und die Ängste sind deswegen nicht weg, aber die Ausschläge sind nicht mehr so heftig. Dabei ist er zwingend auf inneren Frieden angewiesen. Disharmonien sind eine zusätzliche Belastung, die er nicht erträgt, die er nach Möglichkeit sofort auszugleichen versucht. Er mag selbst jenen Menschen nicht böse sein, die sich in seiner Kindheit an ihm schuldig gemacht haben. Auch wenn ihn manchmal die drängende Frage nach dem Warum nicht ruhen lässt. Und ihm das grosse Schweigen der Heimeltern damals beim Besuch mit seiner Schwester noch immer als nicht verdauter Brocken im Magen liegt. Als das Schicksal von Verding- und Heimkindern zum öffentlichen Thema wird, macht er sich 2013, mit 64, auf die Suche nach den Akten seiner eigenen Kindheit. Das zunehmende Aufkünden von Verschweigen und Scham ermutigt ihn dazu, in Basel bei der Vormundschaft und im Staatsarchiv St. Gallen nach seinen Spuren zu fahnden. Später, nach dem Wiedersehen mit Diana Bach, einer Leidensgefährtin aus der Heimzeit im Wiesengrund, beginnt er auch, sich aktiv an der öffentlichen Aufarbeitung der administrativen Versorgung zu beteiligen. Er wird Mitglied im Verein FremdPlatziert, fährt zusammen mit Diana an Treffen von Betroffenen, setzt sich zu den Aussprachen und Gesprächen mit dazu. Er mischt sich in besonderer Art in die Prozesse ein, allein mit seiner Präsenz, denn Reden vor anderen, gar vor einem Plenum, ist ihm noch immer ein Ding der Unmöglichkeit. Schliesslich zieht er sich wieder aus diesem öffentlichen Diskurs zurück.
Zehn Jahre vor seiner Pensionierung kann Robi Minder sein Teilzeitpensum in ein Vollamt umwandeln. Eine Anerkennung der Zuverlässigkeit des langjährigen Hauswarts und seines ausgeglichenen Wesens. Die Aufstockung ermöglicht ihm endlich den Anschluss an eine Pensionskasse. Das ist dringlich, denn in den Zeiten seines Pokerspiels und in allen prekären Lebensjahren davor und danach floss kein Altersgeld auf sein Konto. Auch seine Frau, zwar stets im Gastgewerbe tätig, aber oft in Teilzeit, konnte nur einen kärglichen Spartopf für die späteren Jahre äufnen. Deshalb arbeitet Robi Minder noch immer, als siebzigjähriger Rentner betreut er 29 Wohnungen und ein grosses Geschäftshaus. Anders geht es nicht.
Daneben kümmert er sich mit viel Liebe um seine inzwischen gewachsene Familie. Um seine so verlässliche Frau. Seinen längst erwachsenen Sohn, der manchmal zu ihm sagt, er habe wohl einen Teil von seines Vaters grosser Befangenheit in sein eigenes Leben mitgenommen. Auch seine Schwester Elisabeth, mit der er über das gemeinsame Schicksal stets eng verbunden ist, hat Platz in seinem Leben. Und schliesslich gibt es da noch die kleinen Enkel, zwei kräftige Springinsfelde, die ihr Grossvater allzu gerne vor allem Bösen dieser Welt schützen möchte.
Robi Minder weiss, dass dies nicht geht. Es ist ein süsser Schmerz. Damit lässt sich leben.
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