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Christoph von Karlowitz geleitete Anfang 1533 den jungen Moritz nach Halle an den Hof seines Patenonkels Kardinal und Erzbischof Albrecht. Dabei meinte sein Onkel Georg der Bärtige, er solle dort Latein lernen. Demnach musste Moritz zu dieser Zeit seine Grundausbildung für die Schule beendet haben. Er konnte lesen und verstand zu schreiben. Moritz hat später eine klare und gut lesbare Handschrift. Diese weist in ihren Formen eher auf die Schreibschriften der mitteldeutschen Humanisten als auf die deutschen Traditionen aus dem 15. Jahrhundert, wie sie etwa bei Luther zu sehen sind. Diese Schriftformen stammen aus der Freiberger Kindheit. Wer schreiben konnte, vermochte auch zu lesen. Moritz hat aber später nicht sehr gern Briefentwürfe verfasst, sondern sie lieber seinen persönlichen Sekretären diktiert. Seine eigenen Schreiben haben kurze klare Sätze, anders als man sie in den Kanzleien der Zeit formulierte. Viel selbst zu schreiben, wird in der fürstlichen Familie in Freiberg kaum als Tugend gegolten haben. Seine diktierten Entwürfe zeigen die gleiche klare Form.
Merkwürdig ist, dass sich Moritz als Erwachsener an drei Stellen, wo sein innerstes Empfinden spürbar wird, Narr genannt hat. Immer dann, wenn er sich in seiner Denkfähigkeit nicht ernst genommen sah – so in der Beratung zum Sturm auf Pest 1542, beim Streit mit Markgraf Johann am Abend des 3. Oktober 1551 und in einem kleinen Brief an seine Frau um den 1. Juni 1552.6 Hat sich Moritz von Kind an dagegen gewehrt, gegenüber den älteren Schwestern und gegenüber der Mutter ein Narr zu sein, und blieb ihm diese Unsicherheit? Nahm seine Mutter das altkluge Reden des Kindes vor den großen Schwestern nicht ernst, zumal er noch körperlich schwächer war als der kleinere Bruder Severin?
Die Mutter regierte ihre Umgebung, oder ihre Kinder, manchmal dadurch, dass sie ihnen tage- oder auch wochenlang jedes Wort verweigerte. Sicher ist, dass Moritz zu seiner Mutter nie ein herzliches Verhältnis hatte. Andererseits nennt Christoph von Karlowitz, der Moritz von Kindheit an kannte, unter den Eigenschaften von Moritz zuerst die Vernunft7, d. h. die Denkfähigkeit, in seinem Briefnachruf. Erst danach werden Geschicklichkeit, Redlichkeit, Mannhaftigkeit und Tapferkeit aufgezählt.

Die Mutter – Herzogin Katharina, Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., Öl auf Lindenholz 1514, auf Leinwand übertragen
Es war üblich, mit fünf bis sechs Jahren den Unterricht der fürstlichen Kinder zu beginnen. Friedrich der Weise ließ seinen Neffen Johann Friedrich d. Ä., der für die Nachfolge als Kurfürst vorgesehen ist, in diesem Alter in einer kleinen Gruppe von Georg Spalatin unterrichten. Mutter Katharina, die möglichst viel mit ihren Kindern erreichen wollte, bemerkte wohl das schnelle Begreifen ihres Ältesten früh. Der erste Erzieher („Zuchtmeister“) für Moritz und seinen Bruder Severin ist Balthasar Rische,8 von ihm wird er auch das erste schulische Wissen erhalten haben.
Neben Balthasar Rische werden Christoph Ering, Johann Kriegmann9 und Martin Obendörfer als Lehrer genannt. Sie hatten in Leipzig studiert und ließen sich in Merseburg zum Priester weihen. Leipzig ist in seiner Artisten- und Juristenfakultät schon vor 1500 dem Humanismus offen. Ulrich von Hutten, Hermann von dem Busche, Richard Crocus, Johann Aesticampianus, schließlich Petrus Mosellanus und Dr. Heinrich Stromer aus Auerbach lehrten in Leipzig. Dr. Georg Komerstadt und Christoph von Karlowitz, Dr. Melchior von Ossa, die sich als Humanisten fühlten, studierten hier. Sofort nach der Disputation Luthers versuchten Leipziger Magister ein an Wittenbergs Ordnungen angelehntes Vorlesungsprogramm an der artistischen Fakultät durchzusetzen. Christoph Ering stammt aus einer Leipziger Familie, die schon vor 1524 evangelisch dachte. Bei Herzog Georg war er seit 1516 bis 1525 Hofkaplan. Dieser entließ ihn 1529 als Prediger wegen evangelischer Predigt in Annaberg. Von Kriegmann wissen wir, dass er 1544 evangelischer Domvikar in Meißen, 1549 evangelischer Pfarrer war.
Drei der Erzieher hatten sich zum Priester weihen lassen, deshalb ist nicht mit einer religiös gleichgültigen Bildung zu rechnen. Bestimmt haben aber die Erzieher Moritz einen positiven Gesamteindruck moderner, d. h. humanistischer Bildung gegeben, wenn auch nicht sehr viele ihrer Inhalte vermittelt. Der Humanismus in Mitteldeutschland war anders als in Italien von Erasmus her und noch mehr durch Melanchthon christlich geprägt. Die schulische Erziehung bestand damals zu einem sehr großen Teil aus dem Auswendiglernen und Einprägen bestimmter Stoffe. Aus der Erinnerung an seine Kinderzeit stammt deshalb vermutlich auch die private Äußerung von Moritz gegenüber seiner Frau, dass er so gern schreibe, wie er bete. Beides waren wohl mechanische Lernstoffe des Freiberger Unterrichtes. Moritz ist es immer um das selbstständige Bedenken und Kombinieren und nicht um die reine Wiederholung des Gewohnten gegangen. Er kam für humanistisches Denken aufgeschlossen nach Halle.
Das Reiten und die Jagd wird Moritz in der Freiberger Kindheit an der Seite des Vaters kennen gelernt haben. Die Jagd war für die Fürsten ein wichtiges Vergnügen. Moritz ist gern zur Jagd geritten. Gegenüber seiner Frau muss er sich später heftig verteidigen, dass er lieber bei der Saujagd sei als bei ihr. Er musste nicht wie sein Vetter Kurfürst Johann Friedrich mit einer Leiter aufs Pferd steigen. Als Fürst ist er mehrfach mit geringer Begleitung und in hohem Tempo zu wichtigen Verhandlungen geritten. Zur Verwunderung eines königlichen Gesandten kam er nur mit fünf Pferden im Februar 1552 im Schlosse zu Dresden an, während sonst ein Fürst seines Ranges etwa auf den Reichstag mit 100 Pferden reiste.

Turm von Schloss Freudenstein in Freiberg (vor der Restaurierung)
Der Hof in Freiberg neigte seit der Mitte der zwanziger Jahre dem neuen, evangelischen Glauben zu, denn Herzog Georg verlangte 1529 in seinen Anmerkungen zu einem Ehevertrag für den noch kindlichen Moritz mit Bohunka von Pernstein aus dem böhmischen Hochadel, dass diese nicht in die lutherische Sekte gedrängt werden dürfe.10
Am Renaissancehof in Halle
Halle war durch seine unerschöpfliche Salzsiederei und den um 1530 dahin verlegten Regierungssitz des Erzbischofs wirtschaftlich bedeutender als Wittenberg, Torgau und Dresden. In der reichen Stadt Halle konnten die Bürger sich dreistöckige Häuser in Stein und Fachwerk unter hohen Dächern leisten, die nicht nur einen Giebel, sondern die Traufe zur Straße zeigten. Durch den Kardinal Albrecht aus dem Hause Hohenzollern war Halle ein humanistisches Zentrum, an dem sogar Ulrich von Hutten einige Zeit lebte. Matthias Grünewald stand die letzten Jahre seines Lebens bei dem Kardinal im Dienst. Albrecht war der mächtigste Kirchenfürst im deutschen Reich – als Erzbischof von Mainz und Magdeburg und Bischof von Halberstadt in einer Person.
Um die Jahreswende 1532 zu 1533 wurde der junge Moritz durch Herzog Georg mit Zustimmung seiner Eltern nach Halle zum Kardinal und Erzbischof Albrecht geschickt, unter das Patronat seines erzbischöflichen Paten gestellt. Junge Adlige wurden in diesen Jahren unter Aufsicht eines Hofmeisters nach ihrem zehnten Lebensjahr üblicherweise an eine Universität gegeben. Hans von Schleinitz sollte als Hofmeister für die gesamte Versorgung des Knaben Moritz und wahrscheinlich auch für die zur Ausbildung nötigen Lehrer sorgen.11 Sobald Moritz selbst regierte, nahm Schleinitz, der im Auftrage Georgs handelte, seinen Abschied.12
Wahrscheinlich wollte Herzog Georg Moritz auch vor dem stetig wachsenden evangelischen Einfluss in Freiberg etwas sichern. Herzogin Katharina verheiratete 1533 ihre älteste Tochter Emilie mit dem bewusst evangelischen Markgrafen Georg von Brandenburg-Ansbach, einem der Erstunterzeichner des evangelischen Augsburger Bekenntnisses von 1530. Geschah das im erklärten Gegensatz zur „katholischen“ Erziehung von Moritz in Halle?
Da eine Universität erst entstehen sollte, konnte Moritz in Halle noch nicht studieren. In dieser Zeit bemühte sich der Kardinal Albrecht um die Gründung einer altgläubigen Universität in Halle, die neben dem Dom Platz finden sollte. Eine Genehmigung des Papstes lag schon vor. Der Aufenthalt an einer Universität hätte die Lateinkenntnisse einer Stadtschule vorausgesetzt, die Moritz noch nicht besaß. Herzog Georg hat auf eine Unterrichtung in der Gelehrtensprache Latein gedrängt. Er wollte mit dem Latein, um das sich Schleinitz wohl nicht gekümmert hat, eine höhere Ausbildungsstufe für Moritz erreichen, als durch Katharina bisher verordnet war. Sie meinte vielleicht, was solle der Sohn mehr können als die Mutter. Georg gab aber Moritz den humanistisch gebildeten Christoph von Karlowitz als Reisebegleiter. Karlowitz gewann am erzbischöflichen Hof soviel Anerkennung, dass er im Juli in den Dienst des Erzbischofs treten konnte. Er begleitete zwar Moritz Anfang Januar 1534 zurück nach Dresden, ging dann aber wieder nach Halle, um im Dienst des Kardinals zu bleiben. Moritz rief Christoph von Karlowitz erst nach seinem Regierungsantritt 1541 aus Halle nach Dresden unter seine Räte.
Herzog Georg der Bärtige ließ Moritz auch von Freiberg nach Halle bringen, weil der Hof in Freiberg immer deutlicher dem neuen Glauben zugetan war. Georg jedoch hielt im albertinischen Sachsen am alten Glauben fest und wollte ihn im Freiberger Ländchen wenigstens durch einen altgläubig erzogenen Moritz stützen. Kardinal Albrecht forderte entsprechend, dass in der Begleitung des jungen Herzogs Moritz keine Person der lutterey anhängig sein dürfe.13 Also wird das der junge Karlowitz auch nicht gewesen sein. Zu gleicher Zeit wurde von Herzog Georg der zweite Freiberger Sohn, Severin, an den Hof König Ferdinands nach Wien gegeben. Er ist aber in Innsbruck schon im Oktober des Jahres 1533 verstorben.

Halle mit Burg, Dom und Marktkirche, Kupferstich (Ausschnitt) aus „Beschreibung und Contrafactur von den vornembsten Stetten der Welt“, Köln 1576
Der evangelische Glaube war in den Ländern des ernestinischen Kurfürstentums Sachsen von gut 80 Prozent der Gemeinden anfangs selbstständig angenommen und seit 1526 durch Kurfürst Johann den Beständigen in den Visitationen zum neuen Kirchenwesen geordnet worden. Georg suchte die Ausbreitung der neuen, evangelischen Gedanken soweit ihm möglich zu verhindern. Deshalb schickte er seine Neffen nach Halle und Wien.
Moritz wird sich gefreut haben, in der Hallenser Burg zu wohnen, die mit ihm den gleichen Namenspatron hatte. Kardinal Albrecht ließ ab 1533 ihre Befestigungsanlagen verbessern. Die Burg war erst vom Vorgänger des Kardinals neu errichtet worden und bezeugte die Macht des Erzbischofs über seine Residenzstadt Halle.
Der heutige Dom war als zweite Bischofskirche im Erzstift Magdeburg seit 1520 glanzvoll erneuert und ausgestattet worden. Seine Reliquiensammlung stand in Konkurrenz zur innig gepflegten Sammlung Kurfürst Friedrichs des Weisen in der Wittenberger Schlosskirche. 1533 wurde auch das hohe Dach auf die neu errichteten Umfassungsmauern der Marienkirche am Markt gesetzt. Diese Mauern verbanden die Turmpaare von zwei Vorgängerkirchen. Albrecht hatte den Neubau von der Stadt erzwungen. In diesem Jahr 1533 war auch die Moritzkirche der Augustiner-Chorherren im Innern noch im Bau.
Das alles musste der junge Freiberger Fürstensohn ebenso wie die aufwendige Hofhaltung des Kardinals begreifen und bewundern. Er kannte solch vielfältigen Glanz bisher nicht. Seine bestimmende Mutter Katharina musste und wollte in Freiberg sparen. Das immer wieder erneuerte und umgebaute Freiberger Schloss stammte zum Teil noch aus der Zeit der Romanik des 13. Jahrhunderts, obwohl Herzog Heinrich anfing, es „Freudenstein“ zu nennen. 1549 war über den Gemächern Katharinas eine größere Dachreparatur fällig.14 Erst Moritz selbst hat 1553, kurz vor seinem Tod, dort einen großzügigen Neubau begonnen.
Moritz schrieb im Januar 1533 einen Dankesbrief für seine Übersiedlung nach Halle an Herzog Georg, den er mit der üblichen Kinderrede beginnt, er habe eigentlich nichts zu schreiben. Danach lenkte wohl ein Erzieher die Worte15, da er es nicht durch Werke könne, wolle er seine Dankbarkeit durch die Worte des Briefes zeigen … usw. Wegen einer sich länger hinziehenden Krankheit holte Georg Moritz zu sich nach Dresden. Da in der Ehe seines Sohnes Johann mit Elisabeth von Hessen, der Schwester des Landgrafen Philipp, die Hoffnung auf Kinder immer mehr schwand, wollte sich Georg vielleicht in Moritz einen Nachfolger heranziehen in Erinnerung an sein eigenes frühes Hineinwachsen in die Landesverwaltung.
Bei Herzog Georg, dem frommen Verwalter
Christoph von Karlowitz brachte nach nur einem Jahr den Knaben Moritz wieder zurück. Moritz konnte auch danach in Dresden am Hof Herzog Georgs seine Krankheit nicht gleich überwinden. Herzogin Elisabeth schreibt es als Informantin der Schmalkaldener an Kurfürst Johann Friedrich nach Torgau. Von der Art seiner Erkrankung erfahren wir nichts.
Dresden war für Georg das Verwaltungszentrum der albertinischen Lande. An der Gestaltung des neuen Georgentores am Schloss zeigte er, dass sich sein Leben zwischen dem Leben durch Christus und dem Tod und der Vergänglichkeit der Welt spannte. Die Außenseite des Torbaues stellte den Tod vor die Augen, die Innenseite das neue Leben in Christus.
Georg wollte der getreue Verwalter seiner Lande sein. Er ist am besten als Mensch zu verstehen, der im Tiefsten der Ordnung verpflichtet ist. Er wollte in der Ordnung des „Corpus christianum“, der christlichen Einheit des Mittelalters, leben. Diese geordnete Einheit sah er durch die Schäden der Papstkirche und die Stürme der lutherischen Reformationsbewegung gefährdet. Er wollte Reformen in Kirche und Land, aber keine Unruhe durch die Glaubenserhebung des einzelnen Mönches Luther gegen den Papst, den Herrn der allgemeinen Kirche. Georg wollte keinen Aufruhr der Bauern, Ritter oder Fürsten gegen die Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
In seiner Kindheit war Georg von seiner Mutter zum Geistlichen bestimmt worden. Sie wollte dadurch den „Ketzertod“ ihres Vaters, des Böhmenkönigs Georg von Podiebrad, wieder gutmachen. Georg wurde aber vom Vater Albrecht zu seinem Stellvertreter in der Staatsleitung bestimmt. Er hatte dadurch die Mühen der Staatslenkung von Jugend an erfahren und beherrschte diese Dinge auf das Beste. Georg wollte als Fürst in beständiger christlicher Ordnung leben und handeln.
Georg war darin sehr erfolgreich. Auf seine 50 Jahre als Regent in Sachsen geht das durchgegliederte dreistufige Verwaltungssystem in Sachsen zurück. Der Hofrat mit wenigen immer am Hof anwesenden Räten lenkte unter dem Fürsten die Geschäfte. Darunter standen die Kreise, die wiederum die Ämter anleiteten. Der Adel war zum Teil dem Amt direkt unterstellt. Höherer Adel dagegen war als „schriftsässiger“ Adel mit seinem Lehensbrief dem Fürsten direkt zugeordnet. Bald hatte jedes Amt neben dem Amtmann einen Schösser, der für Steuern und Finanzen zuständig war. Moritz hat dann dieses Verwaltungssystem in seiner Kanzleiordnung 1547 vollendet.
Georg suchte in Einklang mit den Ständen, d. h. dem Adel und den Städten, zu regieren, die er fast immer jährlich zum Landtag zusammenrief. Die mannigfaltigen Fragen des neuen Bergbaus wurden durch die Bergordnungen geregelt. Schneeberg, Annaberg und Marienberg waren die großen Bergstädte, die zu Lebzeiten Georgs entstanden. Das Silber wurde nicht verkauft oder zu Schmuck oder anderem verarbeitet, sondern fast immer zu Münzen geschlagen. Durch ihren sicheren Silbergehalt wurden die Taler zur bestimmenden zuverlässigen Münze im Reich neben dem goldenen Gulden. Der heutige Dollar in vielen Ländern hat vom Taler seinen Namen.
Ein humanistischer Grundton bestand in Dresden wie in Halle, wenn auch der Hofprediger Cochläus kein Erasmianer war. Georg war viel eifriger als Kardinal Albrecht bemüht, die altgläubige Kirche zu reformieren, um sie dadurch zu sichern. Er suchte auch für die altgläubige Kirche politische Sicherungen zu bauen. Doch der schließlich 1538 erreichte Nürnberger Bund mit den Herzögen von Bayern und Braunschweig gewann keine Kraft. Georg ließ die Klöster durch seine Räte visitieren, um sie zu erhalten. Er suchte den Papst zu einer Reform als Basis des nötigen Konzils zu bewegen. Alle diese Bemühungen hat Moritz wohl am Rande erfahren und auch die Trauer des alten, ehrlichen Mannes über seinen ergebnislosen Kampf gespürt.
Moritz war ein gelehriger Schüler seines Onkels. Er hat Georgs gesundes Verwaltungssystem bei Regierungsantritt sofort wieder eingeführt. Die wichtigen, ihm zugewandten Räte Georgs stellte Moritz wieder ein. Zu den herzoglichen Räten entstand in seinen Dresdner Jahren ein Vertrauensverhältnis, besonders zum evangelisch gesinnten Dr. Georg Komerstadt. Dieser berief schon 1536 den evangelischen Pfarrer Jakob Klappe aus ernestinischem Gebiet nach Niederebersbach an die Kirche seiner Gutsherrschaft. Georg von Karlowitz, der Onkel Christophs von Karlowitz, der Moritz nach Halle geleitet hatte, behielt unter Moritz bis Anfang 1545 den gleichen Einfluss, den er unter Georg gehabt hatte.
Herzog Georg hatte einen Vorteil gegenüber der bewusst evangelischen Katharina in Freiberg errungen, indem er den jungen Moritz im altgläubigen Dresden hielt. Katharina vermochte lange Zeit ihren Gemahl nicht zur offenen Opposition gegen Georg den Bärtigen zu bewegen. Wie in Halle wird sich Moritz im Dresdner Schloss in die Ordnung des Tages und des Jahres eingefügt haben, die von den Glocken der altgläubigen Kirchen bestimmt war. Georg hat eine Einordnung gefordert, aber keinen Gewissenszwang ausgeübt. Zu Elisabeth, der Frau des Erbprinzen Johann, entstand ein so gutes Verhältnis, dass diese Moritz auch noch aus Torgau zur Fastnacht an ihren Witwensitz Rochlitz einlud und später die wichtigste Vermittlerin seiner Ehe wurde. Elisabeth wusste sich in Dresden als Evangelische. Man kann darüber nachdenken, ob der Tod seines Sohnes Johann für Georg die Hoffnung, den alten Glauben im albertinischen Herzogtum zu erhalten, zerschlug oder ob die voranstürmende Kraft des neuen Glaubens zwischen 1520 und 1540 einfach nicht aufzuhalten war, ehe nicht die katholische Kirche eine wirkliche Reform von sich aus begann. Moritz scheint aus seinen Jugendjahren die Überzeugung mitgenommen zu haben, dass die evangelische Erneuerung der Kirche sich immer weiter durchsetzen werde. So sehr Moritz die Innenpolitik Herzog Georgs auch für seine eigene Staatsleitung samt den alten Räten übernommen hatte, so wenig war bei ihm etwas von dem starren Eifer Georgs für die altgläubige Kirche, besonders gegen Priester und Mönche, die sich dem neuen Glauben zuwandten, zu spüren. Vielleicht wurde Moritz aber so auch für die entgegengesetzte Starrheit des evangelischen Kurfürsten Johann Friedrich in evangelischen Sachen immunisiert.

Herzog Georg der Bärtige, über ihm die Apostel Jakobus d.Ä. und Petrus, Triptychon (Ausschnitt) von Lucas Cranach d.Ä., Georgskapelle im Dom zu Meißen. Den Flügelaltar stiftete Herzog Georg nach dem Tode seiner Frau Barbara 1534, seitdem erst ließ er sich den beinamengebenden Bart wachsen.
Letzten Endes war Moritz in Dresden und dann noch mehr in Torgau eine Figur auf dem Schachbrett der Politik, die von anderen, d. h. seinen Eltern, Herzog Georg, Kurfürst Johann Friedrich, geschoben wurde. Aber er hat in dieser Zeit nicht ohne persönliches Empfinden und Nachdenken gelebt. Seine Neigung zum Ausgleich mag ihm in diesen Jahren eingeprägt worden sein.
Zu Gast beim „dicken Vetter“ in Torgau
Der Tod von Herzog Georgs Sohn Johann machte Anfang Januar 1537 Herzog Heinrich und seinen Sohn Moritz zu den kommenden Nachfolgern Georgs als regierende Herzöge im albertinischen Sachsen. Das bewirkte die volle und offene Hinwendung der Freiberger Familie zum Kurfürsten Johann Friedrich. Sie wollten dadurch verhindern, dass Georg seinen wohl geistig behinderten zweiten Sohn Friedrich zum Nachfolger machen würde, für den dann ein Ausschuss der Landstände die Regierung wahrnehmen sollte. Gegen solche Pläne stellte sich Herzog Heinrich in den Schutz des Schmalkaldischen Bundes. Johann Friedrich wollte aber nicht nur eine Erbschaft schützen, sondern verlangte eine deutliche Trennung der Freiberger Familie von der altgläubigen Politik des Herzogs Georg. Moritz sollte als Unterpfand vom Dresdner Hof an den Hof Kurfürst Johann Friedrichs nach Torgau umsiedeln. Im Freiberger Ländchen sollte die begonnene Reformation endgültig eingeführt werden. Unter den neuen Umständen ließ sich Heinrich von seiner Frau zu dieser Entscheidung bewegen. Im gleichen Jahr gab auch Elisabeth, die Witwe Johanns, die Reformation in ihrem Wittum Rochlitz und Mittweida frei. In Mittweida war eine große Anzahl der Bürger schon vorher offen evangelisch gewesen und hatte die Gegenmaßnahmen Georgs des Bärtigen erduldet.
Herzog Georg meinte dazu, wenn man ihn bei lebendigem Leibe beerben wolle, so wolle er tun, wie ihm Herzogin Katharina tue, denn diese lebe um so länger, je mehr er auf ihren Tod warte. Katharina bestimme in Freiberg die Richtung in Politik und Kirche. Georg wollte ebenso tun und leben, solange es Gott gefalle. Es verlängere auch sein Leben, wenn man auf seinen Tod warte.
Als Moritz nach Torgau zog, wusste er sich als der Thronfolger von Onkel und Vater, die beide mit 66 bzw. 64 Jahren für die damalige Lebenserwartung hoch ins Alter gekommen waren. Doch Kurfürst Johann Friedrich scheint ihn nicht als künftig regierenden Verwandten des anderen sächsischen Teilstaates behandelt zu haben, sondern eher als einen zur Dankbarkeit verpflichteten, ärmeren Verwandten. Mit ihm wollte er den eigenen Einfluss erweitern.
In Torgau stand der neue Johann-Friedrich-Bau des Schlosses kurz vor seiner Vollendung. Er wurde ein besonderes Werk der Renaissancekunst. Der Sandstein des Wendelsteines leuchtete in weißer Eleganz. Die beengenden Wände der Treppentürme der vorangehenden Zeiten waren hier in senkrechte Säulen aufgelöst, zwischen denen sich die Aufgangstreppen frei spannten. Als Moritz dort lebte, wurde 1538 zum Schluss der ganze Außenputz des Neubaus eingefärbt. Die Werkstatt Lucas Cranachs aus Wittenberg führte die malerische Gestaltung der Innenräume des Schlossflügels durch. In dieser Zeit entstand in Moritz wohl der Wunsch, in Dresden am Sitz der Albertiner selbst ein großes Schloss neu zu errichten. Karl V. bewunderte nach der Schlacht von Mühlberg 1547 das Torgauer Schloss.16 Torgaus Schlosskirche von 1544, die Luther geweiht hatte, wurde später zum Vorbild für die Kapelle im Dresdner Neubau.
In Torgau wurde Moritz zusammen mit Herzog Johann Ernst, dem Moritz gleichaltrigen, jüngeren Stiefbruder des Kurfürsten Johann Friedrich, dem Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg und dem Sohn des Grafen Wolfgang von Barby erzogen. Der Erbmarschall Hans Löser war am ernestinischen Hof sein Hofmeister. Moritz behielt ihn auch nach 1539 noch im Dienst bis zu seinem Tode 1541. Auch zu seinem lieben Gesellen Ernst von Braunschweig hielt Moritz Verbindung. In Erinnerung der gemeinsamen Tage lud er ihn im Oktober 1548 mit Reitpferd und Turnierausrüstung nach Torgau ein, wo Moritz für Herzog August die Hochzeit ausrichtete. Zu Graf Wolfgang von Barby, dem Vater, blieb ein besonderes Vertrauensverhältnis. Als Moritz regierte, übertrug er ihm in Zeiten seiner Abwesenheit immer wieder die Statthalterschaft.

Mit dem ernestinischen Kurfürsten selbst scheinen die jungen Herren wenig persönlichen Kontakt gehabt zu haben, noch weniger mit Luther, wenn dieser auch von Wittenberg nach Torgau kam. 1538 hat Moritz den Kurfürsten Johann Friedrich nach Eisenach begleitet, wo der Schmalkaldische Bund über die Möglichkeiten von Krieg und Frieden verhandelte.17
Ab Februar 1539 erlebte Moritz in Frankfurt, wohin ihn Johann Friedrich mitgenommen hatte, über zwei Monate die mühseligen Verhandlungen um Sicherung des Friedens zwischen den Schmalkaldischen Bundesverwandten und dem Kaiser, der den Erzbischof von Lund mit den Gesprächen beauftragt hatte. Moritz war dabei immer nur Zuschauer. Er wird aber private Gespräche der verhandelnden Fürsten und Räte gehört haben. Er lernte hier den Gedanken eines vorläufigen Friedens zwischen verschiedenen Bekenntnissen im Reich kennen. Man kämpfte um die Anerkennung des Nürnberger Anstandes (vorläufigen Friedens) von 1532 für neue evangelische Reichsstände, die vielleicht dem Bund beitreten würden, für sie sollte ein erweiterter Anstand auch gelten. Da das Erbe seiner nun offen evangelischen Familie in Dresden bevorstand, wird Moritz sich aus eigenem Interesse über die Vorgänge informiert haben.






