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„Muss es denn ein Stag sein?“, fragte mein Freund lakonisch. Es gäbe in Deutschland noch 30 solcher Autos und sein Modell wäre zurzeit das einzige fahrtüchtige Auto dieser Marke. Teure Ersatzteile und die zunehmende Inkompetenz entsprechender Werkstätten, ein solches Auto auch zu reparieren, waren ein weiterer Einwand. Das war er also, ein richtiger Freund, der mich vor einer lausigen Fehlentscheidung bewahren wollte. „Aber“, meinte er, „meine Cousine Konstanze ist gerade in Scheidung und besitzt ein altes Mercedes Benz Cabrio, 190 SL, schwarz mit roten Ledersitzen, den sie sicher verkaufen würde.“ Ja, das wäre eine schöne Alternative zu einem englischen Oldtimer, dachte ich. Man hätte keine Probleme mit englischer Autotechnik und Ersatzteile und kompetente Werkstätten gäbe es auch noch ein halbes Jahrhundert für dieses Auto.
Bei näherer Rücksprache mit Konstanze ergab sich allerdings, dass sie keinen Mercedes Benz Cabrio 190 SL, schwarz mit roten Ledersitzen besaß, sondern ein Mercedes Benz Cabrio SL 560, Bj. 1981 in grün, das mir überhaupt nicht gefiel. Es war eine echte Enttäuschung. „Wenn du schon einen Sportwagen haben willst, warum kaufst du dir keinen Porsche?“ Es war meine Frau, die mir diese Frage gestellt hatte.
„Ja, warum eigentlich nicht?“, sagte ich mir. Für gewöhnlich kostet ein Porsche ein Vermögen. Dieser hier wurde im Internet angeboten und war gebraucht so teuer wie ein neuer VW Golf, ein schwarzer Porsche 911 Carrera 2, Cabrio mit schwarzen Ledersitzen. Der Verkäufer hatte sich das Auto gerade erst drei Wochen zuvor gekauft. Das hätte mich stutzig machen müssen. Aber er versicherte mir, dass der Vorbesitzer ein Automechaniker gewesen sei. Das Auto würde etwas Öl verlieren, was bei einem älteren Porsche nicht ungewöhnlich sei, denn er fährt in Verbindung mit dem luftgekühlten Motor mit 12 Litern Öl spazieren. Ansonsten sei das Auto aber in Ordnung und er würde es nur verkaufen, weil er gemerkt hat, dass er ihn nicht braucht. Wer braucht schon einen Porsche? Nachdem ich ihn gekauft hatte, wurde mir bei genauer Inspektion klar, worauf ich mich eingelassen hatte. Es zeigte sich, dass an den vier Rädern Reifen von drei verschiedenen Herstellern montiert waren, der vordere Querlenker musste erneuert werden, abgesehen von den Bremsblöcken und Belägen. Der Wagen hatte einen starken Ölverlust, weil ein ursprünglich gebogener Ölschlauch durch einen geraden ersetzt worden war, der dadurch geknickt war und einen Ölstau verursachte. Ein Zylinderkopf war lausig repariert worden. Man hatte eine Hülse in eine Ventilführung eingebaut und eine Ventilfeder war gebrochen, wobei sich das gebrochene Endteil in das Federgewinde eingespult hatte, zum Glück, sonst wäre der Motor ein Totalschaden gewesen. Es war auch, wie man der Schilderung entnehmen kann, die reinste Eselei, ein solches Auto einfach so blauäugig zu kaufen. Aber so etwas gehört gelegentlich auch dazu, „Lehrgeld“ zu bezahlen, etwas, das in der Berufswelt unterdessen völlig aus der Mode gekommen ist. Jetzt, nachdem alles sachgemäß in Ordnung gebracht wurde, ist das Auto die reinste Lebensfreude, auch wenn es bis zu diesem Punkt eine finanzielle Herausforderung war und auch ich dieses Auto eigentlich gar nicht brauche.
In Karlsruhe, auf der Durchgangsstraße in Richtung Wörth, vor der Rheinbrücke wurde ich zum ersten Mal geblitzt. Ich hätte es eigentlich wissen müssen, denn das ist mir hier schon einmal passiert. Aber so ist es nun einmal. Man sitzt in einem schnellen Auto und fährt in den Urlaub und träumt vor sich hin. Das wissen auch die Stadtväter und lassen immer an den schnellen Ein- und Ausfahrtsstraßen die Blitzer aufstellen, an Orten, an denen man automatisch schneller fährt, weil einem keine Fußgänger in die Quere kommen. Mit dem festen Vorsatz, jetzt doch etwas kontrollierter autozufahren, fuhr ich auf der A35 über die Grenze und weiter in Richtung Straßburg. In Straßburg mündete die Autobahn direkt in eine Schnellstraße, die durch die Stadt führt. Hier wurde ich das zweite Mal geblitzt. Na, das ging ja schon gut los. Mir schwante, dass mich meine Reise zu dem Start und Ausgangspunkt einer Wanderung mit meinem Hund und einem Esel durch die Cevennen für längere Zeit zu einem Fußgänger degradieren würde. Ich war mir plötzlich nicht sicher, ob ich meinen Führerschein nach Beendigung der Reise noch haben würde, wenn ich wieder zu Hause angekommen bin.
Das ist das Los eines Porschefahrers. Man ist immer ein paar km/h zu schnell auf der Straße, ohne es zu merken. Nobby machte während der Fahrt das einzig Richtige: Er schlief und störte mich nicht ein einziges Mal. Gelegentlich dachte ich, anhalten zu müssen, und ihm die Gelegenheit zu geben, sein Geschäft zu machen, aber Nobby war zufrieden. Er hatte die Angewohnheit, während der Fahrt weder zu trinken noch etwas zu essen. Bei meinen Tankpausen lief er mit mir zwar spazieren und fand auch gelegentlich den einen oder anderen Punkt, an dem er seine Duftmarke hinterlassen musste, ich hatte aber den Eindruck, dass es für ihn nicht unbedingt zwingend war.
Irgendwann während der Fahrt merkte ich, dass ich sehr müde geworden war. Die vergangenen Tage und die körperlichen und mentalen Strapazen waren nicht spurlos an mir vorbeigezogen. Sei’s drum, dachte ich mir. Besser ich komme später an, als gar nicht und so habe ich auf dem nächstbesten Rastplatz vor Besançon angehalten und bin sofort über dem Steuer eingeschlafen. Keine halbe Stunde später wachte ich mit einem panischen Schrecken auf. Ich hatte geträumt, während der Fahrt eingeschlafen zu sein. Jetzt war ich wieder richtig wach.
Um 16 Uhr war ich in Lyon. Es regnete. Vor der Mautstelle hatten sich lange Schlangen gebildet. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis ich an der Zahlstelle war. Ich wollte gerade die Mautstelle verlassen, als mich ein Polizist anhielt und mich in geschliffenem Deutsch fragte: „Wohin fahren Sie?“ Scheiße, dachte ich, schon wieder zu schnell gefahren. „In den Urlaub“, sagte ich. „Wohin?“, fragte der Polizist erneut. Was wollte er von mir? Was sollte ich sagen? „Nach Frankreich“, sagte ich. So einen Schwachsinn habe ich tatsächlich geantwortet. Ich bin in Frankreich und erzähle einem französischen Flic, dass ich nach Frankreich fahren werde. „In welche Stadt?“, wollte er dann wissen. Ich muss zugeben, ich war etwas irritiert. „In die Nähe von St. Étienne“, fiel mir dann gerade noch ein. Es folgte ein „partirez“. Ich fuhr weiter und war erlöst, aber immer noch verwirrt. Mag sein, dass diese Frage nichts mit meinem Auto zu tun hatte, sondern mit dem Verkehr. Da es Freitag war und ich meinem Navigator folgte, der mir vorschlug, durch Lyon zu fahren, war damit ein Stauerlebnis verbunden, auf das ich gerne verzichtet hätte. Vielleicht war ich tatsächlich zu schnell gefahren und der Flic wollte sich nur davon überzeugen, dass ich nicht mit Drogen im Kofferraum auf der Flucht war. In diesem Fall muss die Art, wie ich reagiert habe, auf ihn einen so unprofessionellen Eindruck gemacht haben, dass ich als argloser Deutscher mit einem kleinen Hund als Beifahrer für ihn plötzlich völlig uninteressant war.
Hinter Lyon ließ der Regen etwas nach und dann zeigte sich stellenweise sogar die Sonne. In St. Étienne dachte ich, ich müsse das Verdeck meines Cabrios öffnen. Bis Le Puy bin ich offen gefahren. Der Himmel zog sich wieder zu und die Temperatur sank von 20 auf 11 °C. Das war dann doch kein ungetrübtes Cabrio-Feeling mehr. Verdeck wieder zu und ab ging’s nach Langogne.
Gegen 19 Uhr kamen wir an und als ich von der Höhe hinunter in die Stadt fuhr, erkannte ich, dass ich in meinem Leben schon einmal in Langogne gewesen war. Das musste vor mehr als 25 Jahren in Verbindung mit einem Urlaub in der Bretagne gewesen sein. Wir waren damals dem Ruf eines befreundeten Wieslocher Ehepaars gefolgt, das uns diese wunderschöne Landschaft und ein verfallenes Steinhaus abseits des Ortes in einem Tal in der Nähe des Sees zeigen wollte. Sie hatten es vor geraumer Zeit entdeckt und träumten davon, es zu kaufen und zu renovieren. In Verbindung mit unserer Anreise damals entwickelte sich ein chaotisches Ferienerlebnis. Um das Haus zu besichtigen, waren wir auf einem schmalen Wanderweg in dieses Tal gefahren, in einem Citroen CX Familiale, einem riesigen Kombi mit drei Sitzreihen und zwei hintereinander liegenden Glasdächern, das damals in Autozeitschriften als „Raumschiff Orion“ bezeichnet wurde. Jetzt befanden wir uns fernab von einer befestigten Straße, mit vier Kindern und Kegel im Auto. Auf dem Dach hatte ich ein Segelboot festgemacht und dann gab es noch einen Wohnwagen als Anhänger. Nur, wie kommen wir hier wieder heraus? Die logistische Herausforderung bestand darin, dieses Gespann jetzt wieder auf eine normale Straße zu bekommen. Wenden war nicht möglich, denn der Weg wurde zunehmend schmaler und führte direkt in den See. Schließlich haben wir es dann doch hinbekommen mittels einer gehörigen Portion Adrenalin und der Hilfe unseres Gelände-erfahrenen Freundes. Von Langogne ging es damals an die Atlantikküste, nach La Rochelle und weiter in die Bretagne, nach St. Anne la Palud, wo wir noch bezaubernde Urlaubstage verbrachten. Das alles hatte ich längst vergessen und kam mir jetzt bei unserer abendlichen Einfahrt in dieses kleine Städtchen wieder in Erinnerung.
Heute, ein halbes oder auch dreifünftel Leben später, hatte mich der Zufall wieder nach Langogne geführt, um von hier aus meine Eseltour zu starten. Zunächst aber hatte ich ein Problem damit, unser Hotel zu finden. Nach einigem Hin und Her und Leutefragen fand ich es und merkte, dass ich schon dreimal daran vorbeigefahren war. Le Grill du Gaillard lag am Eingang des Städtchens gleich hinter der Pont d’Allier. Auf einem kleinen Platz davor befanden sich eine Tankstelle und ein kleiner Supermarkt. Der Begriff „Hotel“ war wohl etwas zu hoch gegriffen. Es war eine Gaststätte mit Zimmern und zwei Étoiles. Jetzt, nachdem ich im Internet danach suche, kann ich es nirgends finden. Man sollte also eher „Etablissement“ dazu sagen.
Das Zimmer war sehr spartanisch eingerichtet, um nicht zu sagen ärmlich. Aber das ist für mich in der aktuellen Situation nicht so wichtig. Eigentlich sind mein Hund und ich recht anspruchslos. Ein Bett, ein Stuhl, ein Bad mit Dusche und Klo, mehr brauche ich nicht und mein Hund begnügt sich mit einem Stuhl, auf dem eine Decke liegt, einem Schälchen Wasser, ein paar Krümeln Hundefutter und der Gewissheit, dass sein Herrchen, also ich, ihn bei dringenden Anlässen ins Freie führt. Vor dem Abendessen machte ich mit meinem unglaublich einfühlsamen Hund noch einen Abendspaziergang und lief mit ihm aus dem Dorf hinaus, über die Brücke und längs des Flusses Allier, vorbei an Fabrikruinen und Feldern. Die Sonne kam heraus und entschädigte mich in kurzer Zeit für einen verregneten Reisetag. Mein Hund rannte vergnügt vor mir her und ich beschloss, mich meinem Schicksal als Porschefahrer zu fügen und an den abgelaufenen und verkorksten Reisetag keine weiteren Gedanken mehr zu verschwenden. Jetzt begann unser Urlaub.
Zurück im Hotel brachte ich Nobby ins Zimmer, um zum Abendessen zu gehen. Das ist einer der besonderen Charaktereigenschaften meines intelligenten Hundes. Das erste Mal, als wir ihn bei früheren Hotelbesuchen alleine im Hotelzimmer zurückgelassen hatten, meldete er sich nach Schließen der Zimmertür mit einem Protestgebell. Damals bin ich zurückgegangen und habe meinem Hund erklärt, dass ich, oder wir, meine Frau und ich, jetzt etwas essen würden und bald wieder zurück wären. Von diesem Zeitpunkt an war Ruhe und er hat uns ziehen lassen und geduldig auf unsere Rückkehr gewartet. Auch heute habe ich das so gemacht, als ich zum Abendessen in die Wirtsstube ging.
Das Menü bestand aus einem Viertelliter Rotwein, Vin de pay de Ardeche, einer Quiche aus Blätterteig und Würstchen, nicht besonders hochwertig, aber schmackhaft. Der Hauptgang bestand aus gefüllten überbackenen Tomaten mit Reis. Das war ganz ordentlich und als Dessert gab es drei verschiedene Sorten Käse. Das war ebenfalls ganz ordentlich, ein Blauschimmelkäse, ein harter Bergkäse und ein weicher Ziegenkäse. Das Lokal war gut besucht und die meisten Gäste waren mit dem Essen sehr zufrieden. Es dauerte dann doch etwas, bis die Rechnung kam, oder man hatte mich in dem Trubel vergessen. Als ich später wieder zurück aufs Zimmer kam, begrüßte mich mein Hund überschwänglich. Die Nacht war gelegentlich von Autogeräuschen unterbrochen, denn das Hotel lag genau an der Einfahrtsstraße nach Langogne, aber es war o. k. In Erwartung des kommenden Tages und meiner Ungewissheit, was mich genau erwarten würde, schlief ich trotzdem mehr oder weniger gelassen ein.
Kapitel 3
Heute Früh bin ich so gegen 7 Uhr aufgestanden und habe geduscht. Die Dusche hatte keinen Vorhang und der Duschgriff keine Wandhalterung. Das Wasser war leidlich warm, aber es ergoss sich aus verschiedenen Ritzen des Griffs, weil der Duschgriff gesprungen war. Also musste man den Griff festhalten, um nicht noch vom Griff geduscht zu werden. Das Frühstück war spartanisch, aber es musste ja nicht immer ein Ei geben, zumal ich morgens in meinem alltäglichen Leben eigentlich nie gefrühstückt habe. Eine Scheibe Baguette, etwas Butter und Orangenmarmelade waren schon in Ordnung. Die Hauptsache, es gab genügend Kaffee mit Milch, Café au lait. Der war zwar auch nicht der Hochgenuss, aber auch das ist etwas, was mich nicht aus der Fassung bringt. Nach dem Frühstück bewegte mich dann noch die Frage, wie ich zu meinem Esel kommen würde. Auf dem Hof vor dem Hotel war kein Esel zu sehen. Mein Versuch, Gilles Becaud mit dem Handy anzurufen, der in meinen Reiseunterlagen als Vermieter des Esels mit einer Telefonnummer aufgeführt war, entpuppte sich als Reinfall. Da meldete sich keiner. Ich fragte eine ältere Frau an der Rezeption, wie ich denn nun zu dem Esel käme, die mir daraufhin etwas in geschliffenem Französisch erklärte, das ich nicht verstand. Ich konnte aber aus ihrer unaufgeregten Rede entnehmen, dass schon alles in Ordnung sei. Gegenüber von dem Hotel befand sich ein Supermarkt und ich beschloss, mich in der Zwischenzeit etwas mit Brot, einer Wurst, Tomaten und Wein zu versorgen. Nobby hatte ich vor dem Geschäft angebunden. Das gefiel ihm gar nicht, denn ich hörte ihn gelegentlich bellen. Als ich nach wenigen Minuten den Laden wieder verließ, wartete vor dem Hotel bereits der Transporter mit dem Esel. „Gilles“ entpuppte sich als Frau im mittleren Alter. Als ich mein Gepäck aus dem Wagen holte, galt ihre Sorge meinem Auto und der Frage, ob man es hier auf dem Platz stehen lassen könne. Sie rief bei jemandem an, wahrscheinlich ihrem Mann, und erklärte ihm ihr Problem. „Mais oui, il est une Porsch(e)“, kommentierte sie aufgeregt. Dann schlug sie mir vor, ihr den Autoschlüssel zu überlassen. Sie würde dafür sorgen, dass das Auto an eine sichere Stelle gebracht würde, wenn es erforderlich wäre. Mich überraschte es schon etwas, dass man hier wegen eines 18 Jahre alten Porsches so viel Aufhebens machte.
Nachdem ich mein Gepäck in dem Lieferwagen verstaut hatte, Nobby wurde auf der Rückbank platziert, fuhren wir aus der Stadt hinaus zu einer Stelle, die an einer Pferdekoppel lag. Hier wurde der Esel entladen. Nobby bellte aufgeregt und dann erklärte mir „Gilles“, wie man dem Esel das Zaumzeug anlegt, die Satteldecke und das Gerüst für die Satteltaschen mit dem Gepäck belädt. Schließlich erklärte sie mir, wie der Esel zu pflegen sei. Wie bereits erwähnt, entpuppte sich der Esel als Eselin mit Namen Lisette, nicht Modestine wie bei Stevenson. Mein Nobby stand auf der Mauer längs der Pferdekoppel und beobachtete alles mit Ungeduld. Von der Koppel kamen zwei Pferde angelaufen, die sich auch für uns und den Hund interessierten.

Nachdem das Gepäck verstaut war, verabschiedete ich mich von „Gilles“, und dann machte ich mich mit Nobby an der einen Seite und Lisette an der anderen Seite mit Leine auf. Ich wusste zunächst nur, dass unser Tagesziel Chaudeyrac hieß. Man hatte mir zwar eine Karte mitgegeben, aber eine genaue Wegbeschreibung hatte ich nicht. So war der erste Reisetag ein Erlebnis gemäß des Musters „trial and error“. Am Ende wurden aus einer Tagestour von 12 km vielleicht 22 km. Anfangs scheuchte ich meine kleine Reisetruppe über eine Autostraße, wobei ich Nobby als Erstes von der Leine nahm. Er erwies sich als sehr folgsam, immer wenn ein Auto kam und ich ihn rief, stand er neben mir. Das mit dem Esel war am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, denn der Esel wollte nur halb so schnell laufen wie ich. Irgendwie dachte ich dann, dass es kein Vorteil ist, einen Esel das Gepäck tragen zu lassen, denn die Kraft, die andere dazu brauchen, um ihr Gepäck zu tragen, benötigte ich, um den Esel zu ziehen. Nach einer halben Stunde kreuzte der offizielle Wanderweg meine Straße. Von weitem sah ich eine Gruppe Eseltreiber auf diesem Weg laufen und war von da an auf der richtigen Route. In St. Flour-de-Mercoire hatte ich gegen Mittag eine größere Eselwandergruppe eingeholt, von der ich einige wichtige Informationen erhielt. Der Wanderweg hieß GR70 und ist mit einem weißen und roten Strich gekennzeichnet. Das war es, was mir bisher gefehlt hatte.
Die Gruppe machte in dem Dorf Rast und ich wanderte von da an mit meiner kleinen Truppe weiter. Das Wetter entwickelte sich traumhaft. Der Pullover war schnell ausgezogen und dann folgte meine Regenjacke. Die Sonne schien. Es war leicht bewölkt und als ich mein Problem mit meinem Esel leidlich gelöst hatte, konnte ich mich auch in der Landschaft umsehen. Lisette war eigentlich ein gutmütiger Esel. Eine Tüte Möhren als Reiseproviant tat da das Übrige, so dass ich schnell Lisettes Vertrauen gewonnen hatte. Auf einer Anhöhe mit Blick über die Felder wurde Rast gemacht. Ich packte Nobbys Proviant aus, doch dann zeigte sich, dass sich Nobby mehr für meine Salami interessierte und Lisette mehr für mein Baguette als für das umliegende grüne Gras. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass wir dabei waren, zu einer Reisegemeinschaft zusammen zu wachsen. Ich war dabei zu akzeptieren, dass Lisette keine konstante Reisegeschwindigkeit vorlegt, mal schnell lief und mal langsam. Was ich nicht akzeptieren konnte, war, wenn Lisette einfach stehen blieb. Dann schaute ich, was ihr fehlte, waren es die Fliegen, die sie quälten oder ein besonders grüner Grasfleck in der Nähe? In meiner Ungeduld und eingedenk des ersten Reisetages habe ich dann unter Einsatz meines Körpergewichts Lisette an der Leine hinter mir hergezogen, habe freundlich auf sie eingeredet, ihr eine Möhre ins Maul geschoben und sie nach besten Kräften gelobt und schließlich hat mir das Tier dann immer wieder den Gefallen getan und ist weitergelaufen. Dieses Tier hatte schon etwas Faszinierendes. Es trägt mein ganzes Gepäck. Das sind 10 kg links und 10 kg rechts und außer einem Schnauben und einer gelegentlichen Störrigkeit ist sie die Sanftmut in Person. Nobby hat sich nach seiner anfänglichen Aufregung auch schnell an die Situation gewöhnt und läuft mal links und mal recht, mal vorne und mal hinten, oder unter Lisette durch und wenn uns gelegentlich Wanderer mit Hunden begegnen, rennt er auf sie zu, um sie zu begrüßen. Abgesehen von einem temperamentvollen, schwanzwedelnden Gebell nervt er sie nicht und kann sich auch schnell wieder von den Wanderern lösen, die unsere Wege kreuzen.
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