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Neben dem Umgang anderer Parteien und Medien mit Rechtspopulismus wird das Thema der politischen Meinungsbildung im digitalen Raum einen prominenten Platz im letzten Kapitel einnehmen. Es scheint, als haben dort in den letzten Jahren antidemokratische Kräfte die Oberhand gewonnen. Teilweise mit dem Einsatz unlauterer Mittel wie Meinungsrobotern (Social Bots) oder der systematischen Verbreitung von Desinformation. Ich plädiere in diesem letzten Kapitel deshalb für die konsequente Durchsetzung demokratischer Prinzipien auf digitalen Plattformen, zum Beispiel sollten für digitale Wahlwerbung ähnliche Regeln wie für Wahlwerbung in traditionellen Medien und öffentlichem Raum greifen. Gleichzeitig muss das Böckenförde-Diktum genauso im Netz gelten: Ein demokratisches Ethos ist auch im digitalen Raum gefragt. Grundvoraussetzung für die Ausübung einer »digitalen Bürgerpflicht« ist die flächendeckende Ausbildung einer Informationskompetenz in unserer Gesellschaft, die mindestens drei Dinge umfassen sollte: digitale Zivilcourage und digitales Rechtsbewusstsein, etwa im Umgang mit »Hatespeech« und Desinformation, Basiskenntnisse über Algorithmen und die Mechanismen digitaler Informationsauswahl sowie eine kritische und aufgeklärte Haltung gegenüber Geschäftsmodelle, die auf der Monetarisierung privater Daten beruhen. Die Ansätze für eine bessere kommunikative Demokratie nenne ich im dritten Teil dieses Buches Demokratie 4.0.
Eine letzte Vorbemerkung: Als hauptberuflicher Kommunikationsberater verstehe ich unter politischer Kommunikation nicht allein die Vermittlung von Politik, sondern Politik an sich. Der demokratische Wettbewerb ist im Kern ein kommunikativer Wettbewerb, kein physischer oder militärischer. Ein Wettbewerb um Themen, Argumente, Deutungen, Aufmerksamkeit, Identitäten, Vertrauen, Allianzen und ganz wichtig: Werte. Sprache in der Politik bedeutet sprachliches Handeln. Und wer Politik für das Gemeinwohl machen möchte, muss diese Politik ansprechend ausbuchstabieren. Nach dem Prinzip: Worte wirken und Werte entscheiden. Schlussendlich gilt es ein kommunikatives Gegengift zum Rechtspopulismus zu entwickeln.
TEIL 1
DAS RENNEN NACH RECHTS
Der 15. März und der 7. Mai 2017 dürfen als Tage der kollektiven Trauma-Bewältigung in der europäischen Politik dokumentiert werden. Die Parlamentswahlen in den Niederlanden und die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich waren seltene Momente europäischer Innenpolitik. Ganz Europa hielt an diesen Abenden den Atem an. Denn anders als bei der im Herbst folgenden Bundestagswahl, drohte in diesem europäischen Frühling alles von innen zusammenzubrechen. Insbesondere die französischen Wählerinnen und Wähler stimmten nicht nur über das Schicksal ihres Landes, sondern über nicht weniger als die Zukunft des Kontinents ab: Gewinnt Le Pen, stirbt Europa. Im Jahr zuvor war Europa zweimal mit einem Schock aufgewacht – mit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA und der Abstimmung für den Brexit in Großbritannien. Nun endlich sollten die Wunden geheilt werden. Vermeintlich kam es so auch: Im März gewann Mark Rutte die holländischen Parlamentswahlen, sieben Wochen später wurde Emmanuel Macron zum neuen Präsidenten der französischen Republik gewählt. Europa atmete auf. Doch die Erleichterung lösten eigentlich nicht die Kandidaten aus, die gewonnen hatten, sondern diejenigen, die nicht gewonnen hatten: Geert Wilders und Marine Le Pen.
Würde man eine Psychologin fragen, wie man ein Trauma am besten bewältigt, würde diese vermutlich so etwas sagen wie: »Finden Sie zur Ruhe, bewegen Sie sich in gewohnten Bahnen und ganz wichtig: Denken Sie an Erfolge!« Es schien als hätten viele Kommentatoren vor diesen beiden Wahlen mit einem Psychologen gesprochen. Oder einem Motivationscaoch. Denn in der Bewertung der Ergebnisse wurde immer wieder in Fußballmetaphern gesprochen, die sich vorzüglich zur Benennung von Gewinnern und Verlierern eignen. Es war Mark Rutte persönlich, der das europäische Superwahljahr 2017 zu einem »Match« gegen den Populismus ausgerufen hatte. Nach der Wahl in den Niederlanden schrieb DIE ZEIT, dass der Populismus ein »Abstiegskandidat« sei. »EU 1, Nationalisten 0« hieß es bei POLITICO. »Die rechtspopulistische Welle in Europa ist gebrochen« stand in der Süddeutschen Zeitung nach der Wahl in Frankreich. DER SPIEGEL beschwor die »Kraft der Demokratie« – wenige Monate zuvor sah man noch das »Ende der Demokratie«. Nun aber war das Spiel offenbar gedreht. Das beruhigt!
Allein, die Rechtspopulisten verlieren nicht. Marine Le Pen erzielte 2017 das beste Wahlergebnis in der Geschichte ihrer Partei, bei den anschließenden Parlamentswahlen im Juni vervierfachte sie die Sitze ihrer Partei in der Nationalversammlung. Geert Wilders wurde erstmals zweitstärkste Kraft in seinem Land. 2021 gewannen radikal rechte Parteien in den Niederladen ein weiteres Mal Sitze hinzu. Bei den Europawahlen 2019 erreichten rechtspopulistische Kräfte so viele Sitze im Europäischen Parlament wie nie zu vor. Und auch nach dieser Wahl verabreichten Medien und demokratische Parteien sich gegenseitig verbale Beruhigungspillen. In Wahrheit sind rechtspopulistische Kräfte heute fest in den Parlamenten Europas etabliert. Das bedeutet zuallererst, dass sie eine zuverlässige Quelle für öffentliche Ressourcen zum Ausbau ihrer politischen Aktivitäten haben. Noch wichtiger ist aber, und darum soll es in diesem ersten Kapitel gehen: Die Rechtspopulisten haben nicht nur nicht verloren, sie haben gar nicht richtig mitgespielt. Denn für Populisten ist die Wahlkabine nicht das wichtigste Spielfeld. Stattdessen ist der öffentliche Diskurs ihre bevorzugte Arena, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Nicht Sitze im Parlament sind – wie eingangs erwähnt – ihr Mittel zur Einflussnahme, sondern Sprache in der öffentlichen Debatte. Dazu brauchen sie zwischenzeitlich gute Umfragewerte, um sich interessant zu machen, Wahlergebnisse können dagegen auch durchwachsen ausfallen. In diesem Kapitel wird es darum gehen, welche Techniken der politischen Kommunikation die Rechtspopulisten anwenden – vornehmlich realitätsumdeutende »Frames« und polarisierende »Soundbites« –, um gesellschaftliche Realitäten zu verändern. Es soll gezeigt werden, dass die Art und Weise, wie Rechtspopulisten kommunizieren, besonders gut mit der Auswahl- und Darstellungslogik der Massenmedien korrespondieren und sowohl der Journalismus als auch andere Parteien durch ihren Umgang mit dem populistischen Jargon mithelfen, dass Populisten durch ihre Sprache die gesellschaftliche »Normalität« verändern können. Bevor ich zu der Wirkung populistischer Sprache komme, wird in diesem Kapitel das dem Buch zugrunde liegende Verständnis von Populismus erläutert und die noch junge, aber wirksame Allianz rechtspopulistischer Parteien in Europa beschrieben.
Diese Allianz rechter Kräfte hatte schon vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien die politische Diskurslage in Europa in einem wesentlichen Punkt verändert. Denn die trügerische Erleichterung über die Wahlergebnisse in Frankreich, den Niederlanden und der Europawahl 2019 offenbart, dass es heute in der Europäischen Union in erster Linie um die politische Existenz Europas geht.5 Emmanuel Macron nannte die Europawahl 2019 (bei der seine Partei schlechter abschnitt als die von Le Pen) eine »existenzielle Frage« für Europa und sprach von einer Entscheidung zwischen »Proeuropäern« und »Antieuropäern«.6 Allein diese Zuspitzung ist ein Erfolg für Europafeinde wie Geert Wilders, Marine Le Pen, Nigel Farage, aber auch die AfD in Deutschland. Sie üben so viel Druck auf die Parteien aus, die sich mehr oder weniger für Europa aussprechen, dass diese Parteien sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner »grundsätzlich für Europa« zusammenrotten müssen. So wie es links und rechts im politischen Spektrum gibt, haben die Rechtspopulisten »Ja« und »Nein« zur europäischen Integration als eine neue Konfliktlinie etabliert. Eine enorme Verschiebungsleistung im politischen Diskurs. Denn proeuropäisch wurden einst nur solche Kräfte genannt, für die Europa mehr als nur ein Binnenmarkt ist; die für eine vollständige politische Union eintreten, in der Europa stärkere Kompetenzen etwa auch in der Sozial- oder Steuerpolitik bekommt. Die Vereinigten Staaten von Europa sind für manche von ihnen das anvisierte Zukunftsmodell. Solche Stimmen hörte man lange Zeit vor allem aus liberalen, grünen und, mit Einschränkung, auch aus sozialdemokratischen Parteien. Heute ist jeder ein Proeuropäer, der nicht den Austritt seines Landes aus der EU befürwortet. Der zentrale Konflikt ist nicht mehr wie eine gemeinsame Politik in Europa aussieht, sondern ob es überhaupt diese gemeinsame Politik gibt. Diese Verschiebung führte die Tagesschau am Tag nach der Wahl in den Niederlanden eindrucksvoll vor: »Die Niederlande bleiben auf Pro-Europa-Kurs« verlas Susanne Daubner als erste Nachricht. Doch Mark Rutte ist kein Proeuropäer im klassischen Sinne. Genauso wenig wie der österreichische Kanzler Sebastian Kurz, der sich trotzdem unentwegt so bezeichnet. Im Gegenteil, ihre Parteien wollen, allgemein gesprochen, weniger gemeinsame europäische und mehr nationale Politik. »Brüssel mischt sich in zu viele Bereiche ein« heißt es im Wahlprogramm von Ruttes VVD. »Die EU sollte sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Dieses Kerngeschäft bezieht sich in erster Linie auf die Wirtschaft. Alles andere können die Mitgliedsstaaten viel besser für sich selbst regeln.«7 Das ist keine Umarmung, sondern zuallererst eine Distanzierung von Europa. Wäre Geert Wilders nicht als Konkurrent zu Mark Rutte bei der Wahl angetreten, hätte die Tagesschau bei gleichem Wahlausgang mit dem Satz »Die Niederlande wählt EU-kritisch« aufmachen müssen.
Nach einem Beinahe-Grexit und tatsächlichem Brexit ist »pro« nicht mehr »progressiv-europäisch«, sondern schlichtweg »contra Exit«.
DAS ETABLIERTE ANTI-ESTABLISHMENT
In dem europäischen Superwahljahr 2017 war nicht nur die »irgendwie für Europa«-Allianz neu. 2017 war auch das erste Jahr, in dem rechtspopulistische Parteien gemeinsam in die jeweiligen nationalen Wahlkämpfe gezogen sind. Zum Wahlkampfauftakt trafen sich am 21. Januar in Koblenz die Anführer und Claqueure jener Parteien, die im Europaparlament in der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) zusammensitzen. An diesem Samstag im Januar betraten sie begleitet von Fahnenträgern und pompöser, fast apokalyptischer Musik, den Saal der Rhein-Mosel-Halle: Frauke Petry und Marcus Pretzell (damals noch AfD), Marine Le Pen (Rassemblement National), Geert Wilders (PVV), Harald Vilimsky (FPÖ) und Matteo Salvini (Lega). Der Ablauf des Spektakels folgt einem einstudierten Drehbuch, das bereits in ähnlicher Konstellation bei der Konferenz der »Europäischen Visionen« im Februar 2016 in Düsseldorf, beim »Patriotischen Frühling« ein paar Monate später in der Nähe von Wien sowie vor der Europawahl im März 2019 in Mailand abgespult wurde: heroischer Einlauf der Parteispitzen, danach eine Rede nach der anderen, keine Debattenformate, aber ein Gruppenfoto mit strahlenden Gesichtern, eine lange Pressekonferenz und ein gemeinsames Essen. Anschließend fahren alle wieder zurück in ihre Heimatländer und ärgern sich vermutlich darüber, dass sie beim Grenzübertritt nicht ihren Pass vorzeigen dürfen.
Bis zum Treffen in Koblenz hatten die Zusammenkünfte der Rechtspopulisten meist nur einmaligen Charakter. Es gab keine gemeinsamen Pläne oder Projekte. Beobachter merkten hämisch an, dass die »Internationale der Nationalisten« ohnehin ein contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich sei. Also bloß nicht zu ernst nehmen. Doch in der Kooperation europäischer Rechtspopulisten hat sich in den letzten Jahren etwas fundamental verändert, und dieser gemeinsameWahlkampfauftakt ist eine der ersten Früchte dieser Zusammenarbeit. Bis zu den Europawahlen 2014 vernetzten sich einzelne Rechtspopulisten in beschränktem und meist punktuellem Maße. Andere beäugten sich gegenseitig noch sehr kritisch. So lehnten wirtschaftsliberale AfD-Vertreter den Rassemblement National wegen seiner angeblich »sozialistisch« geprägten Wirtschaftspolitik ab. Auch Geert Wilders, der seit seiner Jugend persönliche Verbindungen nach Israel pflegt, hielt sich sogar noch von Marine Le Pen fern, als diese sich schon öffentlich vom antisemitischen Kurs ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, distanziert hatte. Nach den Wahlen 2014 dauerte es noch knapp ein halbes Jahr, bis die Wende eingeleitet wurde. Im Oktober 2014 gründeten der (damals noch) Front National, die FPÖ, die italienische Lega Nord und Vlaams Belang aus Belgien die europäische Partei Bewegung für ein Europa der Freiheit und der Nationen (MENL). Im Juni 2015 erfüllte man auch die Bedingungen zur Gründung einer Fraktion im Europaparlament, auch drei Abgeordnete von Wilders PVV hatten sich angeschlossen. Die paneuropäische Anti-EU-Fraktion war somit im Europaparlament installiert. Nach der Europawahl 2019 benannte sich die Partei und Fraktion in »Identität und Demokratie« (ID) um und wurde mit 75 Abgeordneten aus zehn Ländern zur viertgrößten Fraktion. Es ist eine Fraktion, die das System von innen bekämpft. Marine Le Pen sagte im März 2019: »Die EU killt Europa«. Deshalb will sie die EU killen.
Die ID-Abgeordneten verhalten sich bei Abstimmungen im Parlament seither wenig kohärent, die inhaltliche Zusammenarbeit bei EU-Richtlinien, Berichten und Stellungnahmen des Parlaments hat für sie kaum eine Bedeutung. Ihnen geht es in erster Linie darum, Entscheidungen zurück auf die nationale Ebene zu verlagern oder die EU ganz abzuschaffen. Die Form der Kooperation, die sich seit 2014 kontinuierlich zwischen den Rechtspopulisten intensiviert hat, ist auf die gegenseitige Stärkung in den Bereichen Strategie, Organisation und Ressourcen ausgelegt. Denn in ihren Heimatländern kämpfen sie in der öffentlichen Debatte allesamt den gleichen Kampf um Aufmerksamkeit und buhlen zum Teil um ähnliche Gruppen von Wählerinnen und Wähler. In diesen drei Bereichen lässt sich die neue, verstärkte Zusammenarbeit folgendermaßen skizzieren: Erstens bauen die rechtspopulistischen Parteien ein gemeinsames Ressourcen-Netzwerk auf. Als europäische Partei hat die ID auch eine Stiftung (Association pour l’Identité et Démocratie Fondation) gegründet. Europäische politische Stiftungen werden genau wie die Parteien im Wesentlichen vom Europäischen Parlament, also mit öffentlichen Geldern finanziert. Nach den Finanzberichten des Parlaments bekam die rechtspopulistische Stiftung im Gründungsjahr 2015 knapp 250.000 Euro aus diesem Topf. 2017 standen ihr schon über 1 Million Euro zur Verfügung.8 Was macht die Stiftung damit? Sie organisiert interne Kolloquien, nicht öffentliche Konferenzen, erstellt Publikationen und gibt Studien in Auftrag. Etwa zum Euro-Ausstieg oder zur Handelspolitik und den von ihnen abgelehnten EU-Handelsabkommen. In solchen Papieren liefern Experten die Argumentationen für ihre politische Programme, etwa warum Freihandel die Souveränität der europäischen Völker bedrohe.
Zweitens unterstützen sie sich bei der strategischen Ausrichtung, zum Beispiel bei der politischen Themensetzung. Islamisierung, Masseneinwanderung, Ausländerkriminalität, die verderbliche politische Korrektheit, das verräterische Establishment, die »Lügenpresse« – diese Gedankenkonstrukte führen die Parteien sehr oft mit den gleichen Narrativen, Begriffen und Slogans in die Debatte ein. Was anderswo funktioniert, wird importiert. Von dem »Bevölkerungsaustausch«, den Alexander Gauland hinter den Migrationsbewegungen sieht, hat der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache schon 2013 gesprochen. Der AfD-Slogan »Hol’ dir dein Land zurück« ist die deutsche Übersetzung des Brexit-Claims »Take back control«. Die AfD hat im Übrigen bisher kaum etwas zur rechtspopulistischen Phraseologie in Europa beigetragen. Kopieren statt kreieren, scheint bei ihr zu gelten.
Drittens hilft man sich in organisatorischen Aspekten, insbesondere im Medien- und Marketingbereich. Bei der FPÖ hat die AfD bereits das Videoformat »FPÖ TV« abgekupfert, das unter »AfD TV« bei Youtube läuft. Alice Weidel hat ihren persönlichen Sprecher ebenfalls bei der FPÖ rekrutiert: Daniel Tapp arbeitete zehn Jahre für die österreichischen Rechtpopulisten, bevor er im Bundestag Weidels Kommunikation übernahm. Auch im Agenturbereich gibt es Verknüpfungen unter den Rechtspopulisten. Die Parteien sind für Kampagnen und Veranstaltungen auf Dienstleister angewiesen. Diese zu finden ist nicht immer leicht: Der Berliner Landesvorsitzende der AfD, Georg Pazderski, räumte vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein, dass er für die Gestaltung des Wahlkamps in Deutschland keine Werbeagentur gefunden hätte. Zu einem treuen Partner europäischer Rechtspopulisten ist die Schweizer Werbeagentur Goal AG von Alexander Segert geworden. Die Agentur ist mit Kampagnen für die Schweizer Volkspartei (SVP) wie »Masseneinwanderung stoppen« bekannt geworden und arbeitete unlängst auch für die ID und deren Stiftung sowie den Rassemblement National und die FPÖ. Außerdem griff die Agentur der AfD bei der Finanzierung der Konferenz »Europäische Visionen« mit 28.000 Euro unter die Arme. Damit nicht genug: Der »Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten e. V.«, ein Verein von überwiegend anonymen Unterstützern der AfD, produziert mit Millionenbeträgen Kampagnenmaterialien als Hilfestellung für die Partei: Für den Bundeswahlkampf 2017 eine »Wochenzeitung« namens »Deutschland-Kurier« (Auflage bis zu 600.000 Stück) sowie, unter anderem zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017, die Wahlkampfzeitung »Extrablatt«. Die Gestaltung übernahm die Goal AG. Deren Erfahrungen aus zahlreichen erfolgreichen SVP-Kampagnen gab es dabei inklusive. So entsteht aus dieser organisatorischen Vernetzung letztlich auch wieder ein strategischer Mehrwert.9
Die Rechtspopulisten treffen sich mittlerweile nicht mehr nur zu dramatisch inszenierten Showveranstaltungen, sondern arbeiten auch immer enger strategisch und organisatorisch zusammen. Die AfD ist durch diesen Austauschprozess in vielfacher Hinsicht zu einer FPÖ im Zeitraffer geworden, vor allem mit Blick auf die Kommunikationsarbeit. Man lernt auch voneinander, um die Fehler der anderen zu vermeiden. Davon profitiert die AfD als jüngste der rechtspopulistischen Parteien am meisten. Sie ist Ziehsohn und Musterschüler des europäischen Rechtspopulismus zugleich. Dennoch unterscheiden sich diese Parteien nicht nur hinsichtlich ihrer Geschichte und Tradition, auch programmtisch gibt es Unterschiede, die sie mit der permanenten Beschwörung gemeinsamer Feindbilder kaschieren. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist jedoch der Wesenskern des rechten Populismus, der nun näher betrachtet werden soll.
ES GIBT KEINEN GUTEN POPULISMUS
Am Tag nach der niederländischen Parlamentswahl sagte Mark Rutte einen bemerkenswerten Satz: »Nach dem Brexit und den amerikanischen Wahlen haben die Niederlande ›Nein‹ zur falschen Art des Populismus« gesagt. Rutte implizierte, dass es neben der falschen auch eine »richtige« Art von Populismus gibt. Mit gutem Populismus will er die Wahl gewonnen haben. Der Christliberale verfolgte im Wahlkampf eine Appeasement-Strategie gegenüber Geert Wilders, der in den Umfragen monatelang vorne lag: Rutte verschärfte den Ton gegenüber Migranten, sprach in einer Zeitungsanzeige eine harte Mahnung aus: »Verhaltet euch normal oder haut ab.«10 Mit »gutem Populismus« meinte Rutte offenbar, dass »gute« Politiker die Inhalte und Rhetorik von »schlechten« Populisten übernehmen, um Wählerinnen und Wähler von ihnen zurückzuholen. Nur, kann diese Strategie gut sein? Kann es »positiven Populismus« überhaupt geben?
Populismus ist zu einem Kaugummi-Begriff der politischen Debatte geworden. Weil heute alles irgendwie populistisch sein kann, ist der Begriff nahezu sinnentleert worden. Politikerinnen und Politiker werfen ihrer Konkurrenz Populismus vor, um sie moralisch, stilistisch und inhaltlich zu diskreditieren. Dabei wird Populismus häufig nur mit unzulässiger Vereinfachung oder mit dem Einsatz von Halb- oder Unwahrheiten gleichgesetzt. Als im Frühjahr 2017 der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz seine Partei für eine kurze Episode des Wahlkampfs auf fremd gewordene Umfragewerte katapultierte, klagte die CDU umgehend an: Schulz sei nur deshalb populär, weil er populistisch sei. Wolfgang Schäuble formulierte diesen Vorwurf, weil Schulz soziale Ungerechtigkeit – ein Thema, bei dem jeder und jede ohnehin eine eigene Wahrheit zu haben scheint – beschreibe, wo keine sei. Michael Fuchs, CDU-Wirtschaftspolitiker, diagnostizierte bei Schulz »Sozialpopulismus«, weil er horrende Gehälter in den Führungsetagen großer Unternehmen eindämmen wollte. Julia Klöckner wollte in Schulz einen Populisten sehen, weil dessen Aussagen zum Thema befristete Arbeitsverhältnisse einem Faktencheck nicht standgehalten hatten.
Eine zweite, sehr ähnliche Denkart des Populismus findet sich regelmäßig im Journalismus. Populismus wird hierbei als Form der Politikvermittlung verstanden. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung schreibt in seinem Anfang 2017 veröffentlichten Buch »Gebrauchsanweisung für Populisten«:
»Der Populismus ist nur eine Art und Weise, für Politik zu werben. Jeder gute Politiker muss auch Populist sein, weil er seine Ideen, seine Politik so darlegen, vortragen und vertreten muss, dass sie verstanden werden und begeistern können.«
Mit der gleichen Herleitung wie Prantl resümierte SPIEGEL-Kolumnist Henrik Müller kurz nach der Nominierung von Schulz zum Kanzlerkandidaten: »Der SPD-Kanzlerkandidat ist gestartet als guter Populist. Als einer, der in der Lage ist, sich in die Sorgen der Normalbürger einzufühlen.«11
Laut CDU ist Martin Schulz also ein mieser Populist, weil er Fakten ignoriere und Lügen verbreite. Laut einiger, wohlwollender Journalisten ist er ein guter Populist, weil er verständlich und identifikationsstiftend daherrede. Beiden Einlassungen ist gemein, dass sie Populismus anhand von Stilmitteln, also Formen der politischen Kommunikation, diagnostizieren. Ob diese Stilmittel legitim (Verständlichkeit) oder illegitim (Lügen) sind, ist dabei unerheblich: Populismus wird nach diesem Verständnis über die Form und nicht über den Inhalt definiert. Das Problem jedoch ist, dass dabei der Wesenskern des Populismus ignoriert wird. Halbwahrheiten sind nicht das Alleinstellungsmerkmal von Populisten, auch nicht die Vereinfachung, das manichäische Denken in »Gut« und »Böse« oder die Emotionalisierung. Genauso wenig der Appell an Gefühle, Angst genauso wie Mut oder die Schaffung kollektiver Identitäten, also das Stiften eines »Wir«-Gefühls: Das sind zunächst einmal Stilmittel der politischen Kommunikation – ungeachtet dessen, ob sie vertretbar oder verwerflich sind –, derer sich die allermeisten Parteien und Bewegungen bedienen, um überhaupt gemeinsam agieren zu können (kollektive Identität), nach innen und außen verstanden zu werden (Vereinfachung) und Unterstützung zu mobilisieren (Emotionalität). Eine brauchbare Unterscheidung zwischen Populisten und Nicht-Populisten muss darauf abstellen, was gesagt wird, nicht allein wie es gesagt wird. Nicht der Stil ist das entscheidene Disktionsmittel, sondern der Inhalt. Indem man Martin Schulz, Horst Seehofer, Sahra Wagenknecht oder Joschka Fischer als Sozial-, Rechts-, Links- oder Ökopopulisten bezeichnet, stellt man die tatsächlichen Rechtspopulisten in eine Reihe mit Demokraten. Die Definition über Stilmittel gliedert demokratiegefährdende Rechtspopulisten in das demokratische Spektrum ein. Bemisst man Populismus jedoch an seinen Inhalten, tritt sein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Kräften gut ersichtlich hervor. Inhalte leiten sich bei politischen Bewegungen nicht selten aus einer Ideologie ab. Ideologien sind der Humus, aus denen eine politische Strömung ihre »Wahrheiten« zieht. Um es mit dem britischen Kulturtheoretiker Raymond Williams zu verdeutlichen: Ideologie ist »ein System von Überzeugen, Werten und Ideen, das charakteristisch für eine bestimmte Gruppe, Partei oder Bewegung ist«.12 Die Ideologie wird zur Erklärungsgrundlage dafür, warum die Welt ist, wie sie ist und zu einem Filter, durch den die eigenen Erfahrungen interpretiert und verstanden werden. Die Ideologie einer Gruppe ist somit auch die in Anspruch genommene Wahrheit dieser Gruppe. Diese ideologische Wahrheit gründet häufig auf Glaubensgrundsätzen (zum Beispiel »Der Markt regelt das.«), die nicht immer mit einfachen Fakten zu widerlegen sind. Warum dieser Exkurs zum Ideologie-Begriff? Weil er hilft, den Kern von Populismus zu verstehen. Der Politologe Cas Mudde definiert Populismus, unabhängig davon ob er von rechts oder links kommt, als »eine dünne Ideologie, welche die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen einteilt – das ›wahre Volk‹ und die ›korrupte Elite‹ – und argumentiert, dass Politik der Ausdruck des ›volonté générale‹ des Volkes sein sollte.«13