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Der ideologische Nukleus des Populismus beruht also zunächst auf einer romantischen Verklärung des Volkes, einem Mythos, der eine Fiktion zum Fakt erklärt. Dieser kontrafaktische Kern des Populismus lautet: Das Volk ist homogen und handelt moralisch, arbeitet hart, verhält sich stets ehrlich, rational und anständig und wird deshalb immer die richtigen Entscheidungen treffen. Wer sich dem Volk zugehörig fühlt, darf sich an dieser Stelle vom Populismus geschmeichelt fühlen. Doch die Gemütslage des Volkes ist im Populismus wenig beschwingt. Das Volk ist wütend, denn es muss sich mit einem Problem herumschlagen, ohne dass der Populismus nicht lebensfähig wäre: Das moralische Volk wird von einer unmoralischen Elite unterdrückt. Politik, Lobbyismus, Konzerne, Medien, Bürokratie in gläsernen Brüsseler Bürotürmen – die »Elite« ist das Sammelbecken, in das der Populismus all seine Feinde wirft. Ihr verbindendes Merkmal ist, dass sie das Volk betrügen, mehr sogar, es aussaugen wie ein Vampir, etwa durch zu hohe Steuern oder Freiheitseinschränkungen. Oder sie wollen das Volk komplett abschaffen, durch das Anwerben von Millionen Migranten. In dieser Unterjochung durch die Elite gärt eine Wut, die sich bis in die Ablehnung des gesamten Systems steigern kann, in jedem Fall aber zur Voraussetzung für eine Revolte gegen die bestehenden Verhältnisse taugt.
Das Volk, das wie Jan-Werner Müller treffend anmerkte ein »Fake Volk« ist, da es auf der Annahme falscher Tatsachen beruht (homogen, ein Wille, rational), steht also einer parasitären Elite gegenüber. Dieses Fundament jeder Form des Populismus ist kein sonderlich komplexes Glaubenskonstrukt. Cas Mudde spezifiziert Populismus daher als eine »dünne Ideologie«, ein Begriff des Ideologietheoretikers Michael Freeden.14 Eben diese Eingängigkeit macht Populismus so einladend für Strömungen ganz unterschiedlicher Art. So lässt sich die simple Idee des Antagonismus von »Volk« und »Elite« bei Bewegungen und Parteien erkennen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Zum Beispiel bei der von Bauern angeführten »People’s Party« in den USA im 19. Jahrhundert, eine Art Agrarpopulismus. Oder den »Narodniki« (Volkstümler, Volksfreunde), eine Gruppe junger Intellektueller, die sich in den 1890er-Jahren in Russland zusammenschloss. Ebenso bei den französischen »Poujadisten«, eine Anti-Steuer-Bewegung von Händlern und Handwerkern in den 1950er-Jahren.
Über den zentralen Bezug auf das »einfache Volk« hinaus hatten diese drei Bewegungen wenig gemeinsam. Das heißt auch, dass der kleine ideologische Kern des Populismus mit weiteren Überzeugungen angedickt wird. Mit anderen Worten: Der Populismus braucht einen »Wirt«, der etwa in Form von Sozialismus, Nationalismus oder rechtem Extremismus in Erscheinung tritt, woraus dann ein links- beziehungsweise rechtsgerichteter Populismus entsteht. Die Wirte des Populismus geben Auskunft darüber, wer eigentlich genau das Volk sein soll. Weil der Populismus das offen lässt, ist er paarungsfähig mit Ideologien, die eine präzise Vorstellung vom Volk haben. Die Bestimmung dessen, was eine Gemeinschaft ist, läuft dabei zuverlässig über die Eingrenzung derjenigen, die dazugehören, und die Ausgrenzung jener, die nicht dazuzählen. Ingroup und Outgroup, »wir« gegen »die«. Der Linkspopulist macht diese Unterscheidung klassischerweise von der sozialen Schicht abhängig. Das Volk im Linkspopulismus ist arm und wird ausgebeutet vom Finanzkapitalismus oder den Reichen, die große Konzerne und große Yachten besitzen. Im Rechtspopulismus wird das Volk ethnisch vermessen. Ob ein Mensch zum Volk gehört, wird durch das Blut bestimmt, das durch seine Venen fließt, durch seine Ethnizität. Diese Ideologie nennt Cas Mudde Nativismus, kurz gesagt, eine Kombination aus Xenophobie und Nationalismus. Laut Cas Mudde mischen radikale rechtspopulistische Parteien zur populistischen Basisideologie nicht nur Nativismus, sondern auch Zutaten des Autoritarismus. Rechtspopulismus ist allerdings in seiner Reinform nicht gleich antidemokratisch, seine Strategie besteht vielmehr darin die Trennlinie von gerade noch und eindeutig nicht demokratischen Positionen zu verwischen. Aus der Mauer, die Demokraten vom Rechtsextremismus trennt, will der Rechtspopulismus einen fließenden Übergang, einen grenzfreien Verkehr machen. Er formuliert seine offizielle Programmatik bewusst moderater, verharmlost sich selbst als »konserativ« oder »bürgerlich« und baut dabei im Hintergrund dem Rechtsradikalismus eine Brücke in die Mitte der Gesellschaft. Rechtspopulismus schafft ein »Kontinuum« von demokratischen bis extremistischen Positionen.15 Diese Strategie ist dann erfolgreich, wenn rechtspopulistische Parteien ein Wahlpotenzial vom rechten Rand bis tief in die Mitte der Gesellschaft (und mitunter sogar darüberhinaus) ausschöpfen können. Auch die AfD baut diese Brücke über das demokratische Spektrum hinaus: Der Verfassungschutz hat eindeutige rechtsextremistische Bestrebungen in Teilen der Partei identifiziert. Bei radikalen wie auch weniger radikalen Personen der Partei, beispielsweise Björn Höcke und Beatrix von Storch, findet gleichermaßen das Konzept des »Ethnopluralismus« aus dem Kreis der Neuen Rechten16 Unterstützung. Ethnopluralismus ist ein freundlich verpackter Rassismus. Statt von »Rasse« spricht er von »Kultur«. Er akzeptiert die Vielfalt von Völkern und ihrer Kulturen, hält sie aber für grundsätzlich inkompatibel, weshalb sie fein säuberlich getrennt voneinander existieren müssten. Deutschland den Deutschen, Frankreich den Franzosen, Tunesien den Tunesiern. Das ist der Idealzustand des Ethnopluralismus. Nach der konsequenten Trennung der Ethnien gilt: Wir können Freunde bleiben.
Bei der AfD lässt sich die ethnische Bestimmung des Volkes an ihrer Position zur deutschen Staatsbürgerschaft ablesen. Sie fordert in ihrer Programmatik die Abkehr vom »Geburtsortprinzip« – also deutsch ist, wer in Deutschland geboren wird – und die Rückkehr zum »Abstammungsprinzip« – deutsch ist, wer deutsche Eltern hat. Dieser Logik folgend, referierte Björn Höcke am 7. Oktober 2015 in Erfurt, dass es »nämlich nur noch 64,5 Millionen Deutsche« gebe. Der Untergang des »deutschen« Volkes ist dann natürlich schon viel näher.
Das Volk des Rechtspopulisten hat somit zwei Feinde: Die »Elite« und die »Fremden«, wobei der erste Feind nach dem Verständnis des Rechtspopulisten das Volk nicht nur ausnutzt und unterdrückt, sondern zusätzlich den zweiten Feind heranzieht, ihn anlockt und privilegiert, um dem Volk weiter zu schaden. Dem Rechtspopulismus liegen folglich zwei Konflikte zugrunde, »unten gegen oben« (Volk gegen Elite) und »innen gegen außen« (Ethnie gegen Migrierte), er ist also von den Haltungen Anti-Establisment und Anti-Pluralismus geprägt. Dabei bezieht sich die Ablehnung von Pluralismus keineswegs nur auf ethnokulturelle Aspekte: Pluralismus ist der Leitgedanke der Legitimität moderner Demokratien. Pluralismus heißt in der Praxis, dass verschiedene Gruppen und Organisationen mit- und gegeneinander um gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Macht streiten. Solche Gruppierungen, Unternehmens- und Verbraucherschutzverbände wären zwei Beispiele, versuchen ihren Einfluss in den politischen Prozess einzubringen und gegenüber der staatlichen Gewalt durchzusetzen. Ihre Konkurrenz ist zwar nicht selten von Meinungsverschiedenheiten und erbittertem Streit gekennzeichnet, aber gleichzeitig notwendigerweise auch von der gegenseitigen Akzeptanz, also dem Eingestehen der Existenzberechtigung des anderen in der Demokratie. Die AfD wendet sich nicht nur gegen den Parteienpluralismus, indem sie einen Alleinvertreungsanspruch formuliert, also behauptet nur sie und keine andere Partei könne die wahren Interessen des Volkes repräsentieren (»Weil wir für EUCH sind, sind sie gegen uns« lautete ein Slogan der AfD Hannover im Kommunalwahlkampf 2016). Eine Reihe von Stimmen in der AfD lehnt sogar den Pluralismus als Ganzes ab. Für sie sind auch Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Kirchen Teil der zu bekämpfenden Elite. Armin-Paul Hampel, AfD-Grande aus Niedersachsen, forderte beim Parteitag am 22. April 2017 in Köln die Delegierten zum Kirchenaustritt auf: »In dem Verein sollte keiner von uns mehr Mitglied sein«, sagte er. Björn Höcke nennt die Akteure des bundesrepublikanischen Interessenpluralismus »alte Kräfte«. Höcke weiter: »Sie lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl. Aber wir, liebe Freunde, wir Patrioten, wir werden diesen Wasserstrahl jetzt zudrehen.« Wie sich die AfD darum bemüht, enttäuschte Gewerkschafter für sich zu gewinnen, zeigt auch der Slogan »Blau ist das neue Rot« der Gruppe Arbeitnehmer in der AfD (AidA). Dieser Slogan war bei den vielen Veranstaltungen der Partei zum Tag der Arbeit 2017 prominent zu sehen.
Zusammengefasst: Der Rechtspopulismus ist eine antipluralistische Ideologie, die AfD eine radikal rechtspopulistische Partei, die ein ideologisches Kontinuum bis tief in den Rechtsextremismus unterhält. Nur wenn wir rechten Populismus als demokratiegefährdende Ideologie statt als demokratisches Stilmittel verstehen, können wir rechte Populisten begrifflich so isolieren, wie es eine Demokratie aus Selbstschutz tun sollte. Verstehen wir Populismus als ein Stilmittel, das von »Guten« wie auch von »Bösen« eingesetzt werden kann, dann legitimieren wir mit unserer Sprache das Böse über das Gute. Sowenig wie es »alternative Fakten« gibt, gibt es daher auch keinen »guten Populismus«. Gewiss ist Eliten-Kritik legitim und notwendig, aber die Vorstellung von einem homogenen Volk ist schlichtweg Fiktion. Und der Nativismus will aus dem Demos einen Ethnos machen.
All das soll nicht heißen, dass es nicht auch einen typischen Sprach- und Kommunikationsstil von Populisten gibt. Im Gegenteil: Die Sprache ist das schärfste Schwert des Populismus. Weil Populisten besonders effektiv kommunizieren, übernehmen andere Politiker auch ständig Begriffe oder Denkfiguren des Populismus. Als Martin Schulz zu Beginn seines Wahlkampfs über »selbsternannte Eliten« schimpfte und der ZEIT sagte, »Ich gehöre nicht zum Machtkartell«, dann war das ein billiges Blasen in das Anti-Establishment-Horn der AfD. Schulz ist kein Populist, aber in solchen Aussagen hat er die populistische Ideenwelt der AfD auf sich abfärben lassen. Warum deren sprachliche Ausdrucksformen so verlockend sind, soll der nächste Abschnitt zeigen.
FRAMES FÜR DAS VOLK!
»Die AfD hat die Grenzen des Sagbaren verschoben.« In fast keiner Analyse über die Partei fehlt dieser Satz. Diskursforschende verstehen unter dem »Sagbaren« alle Äußerungen und Begrifflichkeiten, die in öffentlichen Debatten verwendet werden können, ohne dass der Redende mit Sanktionen rechnen muss. Dabei können die Sanktionen von ganz unterschiedlichem Ausmaß sein, von Rügen und Empörungen anderer Diskutanten, zum Beispiel wenn gesellschaftliche Tabus gebrochen werden, bis hin zu strafrechtlichen Mitteln etwa im Fall von Verleumdungen oder Volksverhetzung. Die verbalen Grenzüberschreitungen von Rechtspopulisten bewegen sich in den meisten Fällen in Bereichen, die nicht justiziabel sind. Das heißt, sie wenden sich sprachlich nicht gegen die Rechtsordnung, dafür umso mehr gegen die bestehende Diskursordnung, die so etwas wie eine Übereinkunft bezüglich des gegenseitigen Respekts und Anstands darstellt. Diese Diskursordnung ist ihrer Meinung nach unter der Kontrolle des verhassten Establishments und für dieses ein wichtiges Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument. Die Revolte dagegen, das Aufbrechen von »Denkverboten«, das Aussprechen »unbequemer Wahrheiten«, die Verbannung von »politischer Korrektheit« gehört nach Meinung von Rechtspopulisten zu den wichtigsten ersten Maßnahmen in der Befreiung des Volkes. Provokationen, Brüche gesellschaftlicher Konventionen und Grenzüberschreitungen sollen maximale Empörung und somit maximale Aufmerksamkeit generieren. Und das bleibt nicht folgenlos. Björn Höcke sagt in dem Buch des FAZ-Journalisten Justus Bender, dass man Erfolge in der Politik erreichen könne, indem man Tabubrüche so lange wiederhole, bis sich die Menschen daran gewöhnt hätten. Das ist der Kern der gesellschaftlichen Wirksamkeit der AfD.
Entscheidend ist also, was aus den permanenten Grenzüberschreitungen folgt: Mit der Veränderung des Sagbaren verändert sich nicht allein der Sprachgebrauch von Menschen, sondern das, was sie als »Wirklichkeit« und »Normalität« empfinden. Es verändert sich nicht nur das Reden, sondern auch das Denken. Das Konzept der Konstruktion von Wirklichkeit durch Sprache geht unter anderem auf den französischen Soziologen Michel Foucault zurück. Foucault verstand gesellschaftliche Diskurse als »Kämpfe« um die Bestimmung von Wirklichkeit, kurz »Wahrheitsspiele«. Für die AfD sind diese Wahrheitsspiele die wichtigste Disziplin, um gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen. Die AfD verändert im ersten Schritt die Sagbarkeit, im zweiten aber auch die Normalität. Wenn sich Normalität verändert, verändert sich Realität, denn in der Realität strebt eine Gesellschaft nach Normalität. Was als normal gilt, kann nicht mehr zum Problem erklärt werden. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einem »Normalitätspanzer«, den sich eine Gesellschaft zulegt. Er führe dazu, dass das Normale nicht nur durch Eliten und Medien, sondern auch in der alltäglichen Kommunikation am Arbeitsplatz oder in Vereinen nicht mehr sanktionsfrei problematisiert werden kann.
Nachvollziehbar wird die sprachliche Konstruktion von Normalität an einem konkreten Beispiel in den Aufzeichnungen des jüdischen Schriftstellers Victor Klemperer. Über die Wirkmacht von Sprache lieferte er schon Jahre vor Foucault eine brillante Fallanalyse der »Sprache des Dritten Reiches«:
»Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Gift-Wirkung doch da.«
Klemperer erkannte, dass die Nazis nicht mit ihrer Sprache die Wirklichkeit beschrieben, sondern mit der Sprache erst eine Wirklichkeit erschufen, in der es eine Notwendigkeit für die Verfolgung und Vernichtung der Juden gab, die als Feinde eines Volkes markiert wurden, das ebenfalls neu erdacht wurde: »Volk wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen«, schrieb Klemperer 1933, »an alles gibt man eine Prise Volk«.
Wir sollten also davon reden, dass die AfD durch sprachliche Grenzüberschreitungen versucht, Normalität zu verschieben – Normalität, aus der die Politik ableitet, was gesellschaftliche Probleme sind und welche Antworten im Spektrum von möglichen Problemlösungen zur Verfügung stehen. Der Überfluss an aggressiven Begriffen, welche die AfD und ihre Gesinnungsgenossen aus dem Spektrum der Neuen Rechten dafür einsetzen, füllt mittlerweile ganze Wörterbücher. Das »Wörterbuch des besorgten Bürgers« von Wissenschaftlern der Universität Leipzig dokumentiert, welche rechtsradikalen Begriffe in den letzten Jahren Karriere machten und zum Teil aus der Zeit des Nationalismus rehabilitiert wurden. Solche Begriffe beziehen sich zum allergrößten Teil auf den ideologischen Kern des Rechtspopulismus – also die Bedrohung des stets aufrichtigen Volkes durch das notorisch korrupte Establishment und die von ihm instruierte Massenmigration. Laut dieser rechtspopulistischen Wirklichkeit leben wir unter einer »Kanzlerdiktatorin« statt unter einer demokratisch legitimierten Regierung. Das zentrale Projekt der »Volksverräter« ist der »Bevölkerungsaustausch« beziehungsweise die »Umvolkung« der »Biodeutschen«, welche durch die »Asylflut« erreicht werden soll, von der gelenkten »Lügenpresse« publizistisch legitimiert und von »grün-links versifften« »Gutmenschen« beklatscht wird. Diese »illegale Masseneinwanderung« erfüllt möglicherweise gar den Tatbestand des »Völkermordes« nach der entsprechenden UN-Konvention, in jedem Fall aber gelte es, das »Völkische« zu stärken und die »Männlichkeit« in Deutschland wiederzuentdecken, um »wehrhaft« zu werden. Weil die Zeit davonrenne, sei jetzt eine »Tat-Elite« gefragt, die dem Treiben der »Pseudo-Elite« ein Ende bereite. Diese wörtlichen Zitate stammen aus den Mündern von Alexander Gauland, Frauke Petry, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Ralph Weber und Jörg Urban. Menschen, die allesamt Spitzenämter in der AfD oder mindestens Mandate für die Partei in Landtagen einnehmen bzw. einnahmen.
Im Dunstkreis der AfD gesellen sich zu diesem Standardvokabular Begriffe aus dem sogenannten »vorpolitischen Raum«, also außerhalb von Parteien und politischen Institutionen. Dort operieren Initiativen wie Pegida, das Institut für Staatspolitik oder die Identitäre Bewegung, die mitunter vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aber von AfD-Vertretern als »Vorfeldorganisation«, also natürliche Verbündete, gesehen werden.17 Ihre Symbole sind bei AfD-Kundgebungen regelmäßig präsent. Für die Wirkung auf die Zielgruppe spielt es keine große Rolle, ob ein AfD-Politiker in seiner Rede selbst die Regierung als »Volksverräter« beschimpft oder ein paar Burschen in der erste Reihe diese Parole anstimmen, wenn der Redner selbst nur den Namen Merkel ausspricht. Spitzenpersonal wie Alice Weidel oder Jörg Meuthen würden Begriffe wie »Volksverräter« – eine Ableitung von dem unter Hitler eingeführten Strafbestand des »Volksverrats« – nicht öffentlich sagen, aber sie bekunden gerne Verständnis für das Gefühl, was bei den Menschen dahinterstecke, die diesen Begriff rufen. Eine indirekte Legitimierung also. Im rechten Milieu gehören auch Begriffe wie »Invasoren«, »Rapefugees«, »Fickilanten« oder noch weitergehende Entmenschlichungen wie Tier-Begriffe zum Sprachgebrauch für geflüchtete Menschen. Zur Anwendung kommt diese Sprache auch vermehrt im digitalen Raum: Eine Analyse der Financial Times ergab für den Monat Mai 2016, dass im Durchschnitt 30 Begriffe aus der NS-Zeit in den Kommentaren unter einem einzigen Facebook-Beitrag der AfD von den Nutzenden verwendet wurden.18
Im Jargon der Rechtspopulisten gibt es auffallend viele sprachliche Bilder, also Metaphern, die sofort bestimmte Assoziationen im menschlichen Gehirn hervorrufen. Besonders wirkungsvoll sind Metaphern, wenn sie ein übergeordnetes »Framing« aktivieren. Framing ist ein wichtiges Mittel der politischen Kommunikation, es ist Politik mit sprachlichen Mitteln. Dabei wird zu einem Sachverhalt ein ganz bestimmter Deutungsrahmen (»Frame«) mitgeliefert, eine Denkschablone, mittels derer die Fakten interpretiert werden sollen. Fakten haben nie eine Bedeutung für sich, sie müssen stets eingeordnet werden. Ein bekanntes Framing-Beispiel geht so: Ein Arzt kann gegenüber einem Patienten vor einer Operation von einer »neunzigprozentigen Überlebenschance« oder einem »zehnprozentigen Sterberisiko« sprechen. Der gleiche Fakt, aber zwei verschiedene Frames – Leben und Tod – die bei den betroffenen Patienten zwei unterschiedliche Entscheidungen befördern. Experimente haben nachgewiesen, dass Menschen bei der Betonung des Sterberisikos eher von der Operation absehen würden und bei Herausstellung der Überlebenschance zur Einwilligung neigen.
Die Effektivität des politischen Framings besteht darin, dass es an Werte, persönliche Erfahrungen, Narrative, Ideologien, aber auch Emotionen andockt und dabei eine wertebezogene Interpretation von Fakten bewirkt. Und Menschen formen ihre Einstellungen in erster Linie auf Grundlage ihres Wertefundaments. Daher sind nicht Fakten der zentrale Vermittler von Politik, sondern deren sprachliche Verpackung. Über Hirnscans erforscht die Kognitionswissenschaft, was bei Menschen im Gehirn vorgeht, wenn sie bestimmte politische Botschaften lesen oder hören. Es gibt Frames, die sich im politischen Diskurs über Jahrzehnte hinweg festgesetzt und den Handlungsspielraum der Politik somit in eine bestimmte Richtung eingeschränkt haben. Die Steuerpolitik ist besonders gebeutelt von einem ganz bestimmten Framing. Steuern zu zahlen, empfinden wir als »Steuerlast«. Für Orte, wo man dieser »Belastung« entgehen kann, nutzen wir Metaphern von Sehnsuchtsorten wie »Steueroase« oder »Steuerparadies«. Menschen, die sich ihrem fairen Steuerbeitrag zur Gesellschaft entziehen, gestehen wir Flüchtlingsstatus zu, nennen sie »Steuerflüchtlinge«. Es ist nicht verwunderlich, dass bei einem solchen Framing niemand ein positives Verhältnis zu Steuern entwickeln wird. Dass wir mit unseren Beiträgen zentrale staatliche Aufgaben wie Bildung, soziale Absicherung oder die Polizei finanzieren und dafür eine Flatrate auf öffentliche Güter, etwa Straßenbeleuchtung, Fahrradwege oder Hochwasserschutz bekommen, dafür gibt es keinen Frame in den Debatten zur Steuerpolitik. Der Handlungsspielraum der Politik wird dadurch stark eingeschränkt, mit Steuererhöhungen lässt sich nichts gewinnen, obwohl wir alle von Steuern auf die eine oder andere Weise profitieren.
Politisches Framing war bis weit in die 2000er-Jahre hinein vor allem ein akademisches Thema. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman war mit seinen Frameanalysen in den 1970er-Jahren einer der Pioniere auf diesem Feld. Mittlerweile ist das Konzept hierzulande populärer geworden. Auch weil George Lakoff und Elisabeth Wehling, Linguistik-Forschende aus Berkeley, mit ihrem Buch »Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht«, das Thema 2008 einem breiteren, nicht akademischen Publikum zugänglich machten.19 Heute herrscht in allen Parteizentralen ein Bewusstsein für dieses mächtige Instrument. Zum Beispiel stellte die grüne Bundestagsfraktion nach der Bundestagswahl 2013 eine Framing-Expertin ein, die dafür sorgen soll, dass Gesetzestexte schon im frühen Entwurfsstadium nicht nur juristisch stimmig sind, sondern auch die richtigen Synapsen im Gehirn der Bürgerinnen und Bürger aktivieren. Das ist aber eher noch ein Einzelfall, fest verankert sind Framing-Strategien in der deutschen Politik längst nicht.
Bei der AfD basiert das Framing maßgeblich auf den ideologisch begründeten Grundkonstellationen von »Elite gegen Volk« und »Migranten gegen Volk«. Bei der Flüchtlingsthematik setzt die AfD drei Frames regelmäßig ein. Den ersten Deutungsrahmen gab es schon in den Medien bevor die Partei geboren war: Migration als Naturkatastrophe. Einwanderung wird als »Welle« oder »Lawine« bezeichnet. Wer solche Wörter hört, dessen Gehirn aktiviert Assoziationen von Bedrohung, Zerstörung, Verwüstung. AfD-Vertreter setzen mit »Einwanderungs-Tsunami«, »menschliche Überflutung« oder »Asylflut« gerne einen drauf, um noch apokalyptischere Vorstellungen zu evozieren. Die notwendigen Gegenmaßnahmen ergeben sich bei einem solchen Framing wie von selbst, da man sie von anderen »hereinbrechenden« Naturphänomen kennt: Begrenzung, Eindämmung, Schließung, Abschottung. Eine Diskussion über die Ursachen schließt dieser Deutungsrahmen ganz automatisch aus, schließlich entziehen sich diese bei Naturgewalten oftmals dem menschlichen Einfluss.
Der zweite Deutungsrahmen, den AfD-Politiker zu den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre benutzen, liefert eine Interpretation dessen, wer in unser Land kommt. Laut Bundesregierung kamen 2015 890.000 Asylsuchende nach Deutschland. Wie oben geschildert, bekommt eine solche Zahl erst durch das Framing eine wirkliche Bedeutung. Ein solcher Fakt kann als Chance für die Gesellschaft geframt werden oder als Bedrohung. AfD-Politiker sprechen von »Messermigranten«, kriminalisieren sie somit pauschal und fragen dann anklagend: »Wer schützt uns vor den sogenannten Schutzsuchenden?«. Oder die AfD spricht von »einer Million junger Araber«, die gekommen sind. Die Attributionskette jung, männlich, muslimisch dockt an ein fremdes, orientalisches Wertesystem an, das mit dem westlichen nicht kompatibel zu sein scheint, mehr noch, das in Form des Islams gar eine Bedrohung darstellt. Mit der religiösen Kategorisierung wird den Männern auch ein bestimmtes Frauenbild zugeschrieben. Die Deutung, dass es sich bei den Ankömmlingen ausschließlich um eine Horde arabischer Männer handelt, legt einen Assoziierungskorridor zu Begriffen wie »Rapefugees« oder »Fickilanten« der rechten Straßenbewegungen frei. In Facebook-Gruppen, die sich als AfD-Unterstützungsgruppen und nicht in erster Linie als Pegida oder Identitäre verstehen, finden sich diese Begriffe zuhauf wieder. Dort sind die Grenzen fließend, selbst wenn ein AfD-Vertreter diese Begriffe nie benutzt hat. Aber wenn Björn Höcke im Sonntagabend-Talk der ARD annahmt, dass die »Angstträume für blonde Frauen größer werden«, dann wird das Framing vom Flüchtling als Triebtäter aktiviert, ohne dass Höcke überhaupt die männlichen Flüchtlingen erwähnen muss.