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Nachdem die Bühne abgeräumt und meine Ausrüstung gesichert war, flitzte ich raus zum Truck, der mit ausgeklappter Rampe schon in Position stand, um mit dem Einladen zu beginnen. Mit dem Fahrer ging ich in den Laderaum und gemeinsam mit einem Team Abbauhelfer platzierten wir die Cases wie bei einem Puzzlespiel, um eine möglicht große Ladedichte zu erreichen. In einigen Teilen der USA erlaubten die einflussreichen Gewerkschaften der Crew nur Anweisungen und Hinweise beim Beladen, damit ihre Leute arbeiten konnten. Ich hatte natürlich nichts dagegen, doch es verzögerte die ganze Sache erheblich.
Beim Ausladen in der nächsten Stadt stellten die Schmarotzer eins der größten Hindernisse dar – Typen mit fragwürdigen Verbindungen zur Band, die ständig bei Rockkonzerten auftauchen und einem immer im Weg stehen. Der Haufen von „ehemals wichtigen Personen, die niemals wichtig waren“, bestand aus allen nur erdenklichen Posern, die nur daran interessiert waren, backstage gesehen zu werden (am liebsten mit der Band oder prominenten Besuchern), und sich beim kostenlosen Essen und den Getränken zu bedienen. Sie waren scharf auf Einladungen zu den After-Show-Partys, exklusiven Pässen, Geschenken und allem, wirklich allem, was sie wichtig aussehen oder erscheinen ließ.
Schmarotzer denken oft, dass die komplette Show einzig und allein für ihr Vergnügen veranstaltet wird. Verdreckte Roadies? Igitt! Diese Möchtegerne-VIPs oder Freunde von Freunden ließen sich allerdings nie in Würzburg, Newcastle oder Omaha, Nebraska sehen, sondern nur in den großen Städten.
Wenigstens durften sie sich bei einer Show niemals an den Bühnenseiten aufhalten. Der Raum war allein der Crew vorbehalten und gelegentlich sehr, sehr guten Bekannten und den Frauen oder Freundinnen der Musiker, die von den Seiten aus dem Auftritt zusahen.
„Ratty, heute Abend kommt ein Special Guest. Wir haben ihm versprochen, dass er sich das Konzert von deiner Seite aus anschauen darf.“
„Kommt überhaupt nicht in Frage. Die stehen einem ständig im Weg rum. Die kapieren das nicht. Ich muss beim Gig so viel machen. Ihr wisst doch, wie Fred ist. Auf gar keinen Fall.“
„Sorry, Ratty, aber wir haben es ihm schon versprochen.“
„Und ich habe euch gerade eben meine Meinung gesagt. Kommt nicht in die Tüte! Die Bühnenseite muss frei sein, damit ich anständig arbeiten kann.“
„Ratty …“
„Nein, auf gar keinen Fall – kapierst du es nicht?“
„Es ist Mick Jagger.“
„Oh, alles in Ordnung. Was möchte er trinken?“
Für einen Briten ist sein Haus seine Burg, und für einen britischen Roadie ist seine Burg die Bühne – eine Festung, ein sicherer Hafen, während der Show beschützt von der Security, einem Haufen muskelbepackter Schränke aus den USA oder aus Londons East End. Big Paul, Big Doug, Tunbridge, Big Wally, Wally Gore, Big Terry, Big Black Vic – alle in den USA geborenen Männer waren tatsächlich sehr groß und kräftig. Ab einem bestimmten Zeitpunkt 1981 arbeiteten drei Aufpasser für uns, die alle Wally hießen. Der Aufpasser Mad Jack, ein beängstigender Kampfkunstexperte, entdeckte einmal eine abgerissen wirkende Figur, die hinter Freds Flügel lauerte, und stampfte auf ihn zu, um ihn wegzureißen. Bei dem zwielichtigen Charakter handelte es sich allerdings um mich, und so durfte Jack seine Dienste schon vor Tourende quittieren.
Ein anderer Security-Mann, der nicht sehr lange für uns arbeitete, war ein muskelbepackter Kerl, dessen enthüllende Fotos wir in einem Schwulenmagazin entdeckten – und die daraufhin in der gesamten Crew die Runde machten.
Auch ein Physiotherapeut aus München gehörte auf Freds Wunsch zu unserer Truppe. Er behandelte ihn während der Genesung von einer Bänderverletzung im Knie, die er sich 1984 auf einer Kneipen- und Club-Sause zugezogen hatte. Verständlicherweise plagten Fred Zweifel, ob das Gelenk all die Torturen auf der Bühne überstehen würde. Mercury war ein sehr vielfältiger Charakter, vor allem aber ein Musiker, der sang und auf der Bühne leistungsstark wie ein Athlet eine beeindruckende Show ablieferte. Trainierte er? Arbeitete er hart an sich, um vor einer kräftezehrenden Tour in Form zu kommen? Absolvierte er mit viel Disziplin ausgewählte Übungen oder quälte er sich mit einer Diät? Nein. Er machte gelegentlich ein paar Dehnungsübungen und zeichnete sich vor allem durch einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst aus. Nicht zu vergessen, ein paar Wodka.
Der Physiotherapeut Dieter Breit war unter dem Namen The Fizz [„Dr. Schampus“] bekannt und in bestimmten Kreisen hielt man ihn für einen Luxus-Praktiker, doch der Mann rettete Fred und zahlreiche Shows, als das mercurianische Knie bei einem Auftritt in Hannover Ende 1984 schlapp machte. Er kümmerte sich wenige Wochen darauf auch erfolgreich um Rogers böse Knöchelverstauchung nach einem Fall in Sun City. Tourneen sind für einen Körper eine Schwerstbelastung und Dr. Schampus bearbeitete auch meinen Rücken, wenn er mal nicht wollte. Meistens war das der Fall, wenn einer meiner großen, amerikanischen Tourbrüder mich sturzbesoffen durch die Lobby eines Hotels geschleudert hatte.
Das Beladen dauerte immer unterschiedlich lange, je nachdem, was ich dem Rücken zumuten konnte, wie viele Schmarotzer uns im Weg standen und wie gut die örtlichen Roadies waren. Wenn wir in der Stadt, in der das Konzert stattgefunden hatte, übernachteten und eine Party in Aussicht stand, beschleunigte das gehörig unser Tempo. Der Packvorgang nahm manchmal mehrere Stunden in Anspruch, doch in Tempe, Arizona, stand der Truck direkt an der Bühne, sodass wir nur 45 Minuten benötigten, gerechnet ab dem Zeitpunkt des Endes der Show. Ein 45 Fuß langer Trailer! Ein Fuß [30,48 cm] pro Minute – persönlicher Rekord!
Das Packen von Trucks ist eine schmutzige und unangenehme Tätigkeit, wobei Beulen am Schienbein, Schrammen, Splitter, Abschürfungen und eingequetschte Finger zum normalen Alltag gehören. Beim Beladen des Trucks achtete ich deshalb immer darauf, den örtlichen Hilfskräften Kippen und Drinks zu spendieren, um sie moralisch aufzubauen. Das Ganze war nie ein Spaß, sondern ein Job, den man mit möglichst guter Laune (Drinks!) erledigen musste, um die Plackerei schnell hinter sich zu bringen. Bei Kälte, Feuchtigkeit oder Minustemperaturen war der Job eine miese Quälerei. Zum Beispiel 1979 in Jugoslawien, mitten im Winter: Fred schenkte mir für das Beladen in der eisigen Kälte ein knallbuntes Paar Handschuhe und eine Mütze. Ich war zutiefst gerührt. Doch sie waren nicht vor Ort gewebt worden und stammten nicht von einer osteuropäischen Firma; er hatte sie in der lokalen Filiale von C&A in Zagreb gekauft.
Die Ursprünge meines Spitznamens lassen sich bis in die Teenager-Zeit zurückverfolgen, als ich einen Truck belud. Man rief mich immer, wenn die Drecksarbeit anstand und ich in den Spalt zwischen der aufgestapelten Ausrüstung und dem Dach kriechen musste, um einen weiteren kleinen Gegenstand dort hineinzuquetschen. Der Fahrer auf dieser Mott-The-Hoople-Tour 1974 sagte, ich sähe mit meinem langen, glatten und fettigen Haar und dem dünnen Körper wie eine vorbeihuschende Ratte aus. Aus „The Rat“, wie man mich nannte, wurde „Ratty“, dank Brian May, der mich so bei meiner ersten Queen-Probe ein Jahr später nannte – der Name blieb an mir hängen. Als Fred bei den Proben erfuhr, dass einer seiner Mitarbeiter für Mott The Hoople gearbeitet hatte und Rat geschimpft wurde, erwiderte er mit einer eleganten Handumdrehung (er trug einen silbernen Armreif in Schlangenform) und einem Fingerschnipsen: „Oh, nein! Ich werde ihn Peter nennen.“ Das hielt jedoch nicht lange an.
Fred, wie er nun mal war, schmückte den Spitznamen aus und mit einem französischen Dreh wurde ich „Ratoise“. Gelegentlich, wenn er mit dem einfachen Mann (also mir) kommunizieren und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte, schrie er in einem gewitzelten Cockney-Akzent: „Ere-Rats!“
Hatten wir die Türen des Trucks geschlossen und verriegelt, war es an der Zeit, sich vom Adrenalinschub zu erholen, der durch die Intensität des beinahe schon militaristisch anmutenden Packens der Ausrüstung am Ende einer energiereichen Show verursacht wurde. Nun hatten wir frei – bis zum nächsten Konzert. Als nächstes unterhielten wir uns darüber, wohin es gehen soll und welches Transportmittel wir nehmen. Mussten wir weiterfahren, wollte ich augenblicklich los und rührte nicht den kleinsten Tropfen Alkohol an. Übernachteten wir jedoch in der Stadt, ging es erst ins Hotel, um den gröbsten Dreck abzuwaschen und ein bisschen Aftershave aufzutragen, oder in unseren Arbeitsklamotten direkt in den Club, die Bar oder zur Party. Einige Frauen mögen den Schweißgeruch arbeitender Männer – sagte man mir zumindest.
Pheromone oder so was.
Queen spielten häufig mehrere Konzerte an einem Veranstaltungsort, was uns die Chance bot, nach der Arbeit noch einen draufzumachen. Wenn erst mal die Ausrüstung gesichert und alles abgeschlossen war, gingen wir zur Garderobe der Band, die dort meist vom Stress runterkam und entspannte. Abgesehen vom kostenlosen und erstklassigen Alk sowie einem kleinen Snack, hatten wir dort die Möglichkeit, uns direkt über die diversen Aspekte des Auftritts zu unterhalten.
Abhängig von der Auftrittszeit wurde die Gruppe nach der Show von geladenen Gästen besucht. Doch meist waren es nur wenige Personen. Mum und Dad besuchten die Großbritannien-Konzerte, meist in den Midlands oder den Regionen im Westen. In der NEC-Arena in Birmingham führte ich meine Eltern in die Garderobe, wo Fred sich noch in voller Bühnenkluft entspannte. Augenblicklich umsorgte er meine Mutter, setzte sie auf seinen Schoß, fragte sie nach allem nur Erdenklichen und was sie so gemacht habe. Trotz der Tatsache, dass Fred nur eine kleine Familie hatte, agierte er recht familienorientiert und sorgte sich mit aufrichtigem Interesse um Angehörige seiner Kollegen.
Dad saß zusammen mit John Deacon draußen auf einer Treppe. Die beiden unterhielten sich wie waschechte Kumpel mit einem Dosenbier in der Hand. Auch Brian und Roger begrüßten meine Eltern warmherzig, erkannten sie bei jeder Ankunft wieder und erinnerten sich an vorherige Besuche.
Mum brachte mich oft in Verlegenheit, denn sie brachte mir zu den Shows Essen mit.
„Mum – sie füttern uns schon durch, keine Sorge.“
„Aber du siehst so blass aus – und bist so dünn.“
„Tja, es ist eine harte Arbeit und ich bin nicht dünn, sondern schlank, einfach fit.“
Die eingemachten Zwiebeln waren populäre Hausmannskost, die besonders gut Trip Khalaf schmeckte, dem amerikanischen Tontechniker von Queen.
Er begrüßte sie immer sehr freundlich: „Hello, Mrs Hince.“ Dann zeigte er mit dem Finger auf mich und sagte kopfschüttelnd: „Wie fühlt man sich als am meisten peinlich berührte Frau in ganz Großbritannien?“
Sie nahm es mit Humor.
Wenn wir nach dem Konzert mit einem Bus über Nacht weiterfuhren, konnten wir uns darin erst einmal abregen und runterkommen, bis die Tontechniker, mit denen wir reisten, ihren Job erledigt hatten.
Sobald Queen die Garderobe verlassen hatte, checkten wir, was wir noch an Essen plündern konnten. Bei den Tourneen Mitte der Siebziger war dort nicht viel zu finden, denn es gab noch keinen Catering-Service, der mit uns reiste. Ein geiziger Veranstalter beauftragte meist einen Assistenten, das übriggebliebene Essen so schnell wie möglich beiseite zu schaffen, um es am nächsten Tag wieder aufzutischen – zum vollen Preis. Jener Assistent hatte sich zuvor kritisch über unsere Crew ausgelassen, und so entschieden wir, ihm eine Lektion zu erteilen. Der Kerl bewahrte zur Sicherheit ein neues, schickes, weißes Sporthemd in der Garderobe auf. Wir „entführten“ das teure Kleidungsstück, legten es vor der Newcastle City Hall auf den Gehweg und zündeten es mit Feuerzeugbenzin an.
Als er fragte, ob jemand die geschätzte Neuerwerbung gesehen habe, wurden ihm mehrere Polaroids ausgehändigt, die zuerst das Hemd in Flammen und dann den kleinen Aschehaufen zeigten. Danach achtete er bei jeder Begegnung darauf, für uns Käse und Plätzchen aufzubewahren.
In Europa wurde uns die Zwischenmahlzeit, im Grunde genommen also das reguläre Abendessen, vom Tour-Koch „Toad In The Hole Of Barry Wales“ im Catering-Bereich serviert. Barry Wales? Keine Comicfigur, sondern das kleine Seestädtchen im Süden von Wales. Mittlerweile weiß ich, dass St. David der Schutzpatron von Wales ist, aber werden denn wirklich alle männlichen Nachkommen nach ihm benannt? Der Name des Catering-Besitzers lautete Dave Keeble und die bei ihm angestellten Köche hießen Dave Thomas und Dave Lewis. Man rief die drei allgemein und mit aller Liebenswürdigkeit „Dave, Dave and Dave“. Als die Queen-Tourneen größer wurden, stellten sie einen zusätzlichen Koch ein, den sie Steve nannten, woraufhin es hieß: „Dave, Dave, Dave and not Dave.“
Dieses walisische Quartett – auch bekannt als „die walisische Magen-Mafia“, die „Innereien-Saboteure“ und „die kulinarischen Kriminellen“ – bereiteten für gewöhnlich herzhafte Kost, um eine hart arbeitende Mannschaft nicht vom Fleisch fallen zu lassen: Steaks, Auflauf aus Hackfleisch und Kartoffelbrei, Spaghetti Bolognese, Chili con Carne und ähnliche Mahlzeiten. Dennoch backten sie für die stets größer werdende Zahl von Vegetariern leckere Omelettes. Das Team brutzelte auch die Mahlzeiten für Queen, wobei Dave x 3 + 1 das Menü durch lokale Produkte und Spezialitäten der verschiedenen Regionen Europas bereicherten, durch die wir gerade tourten. Die US-Abteilung der Crew ging ihnen ständig auf die Nerven, den Truthahn für das traditionelle Thanksgiving zu beschaffen, obwohl der Bühnenmanager sie nach Kräften zu überzeugen versuchte, dass in Boston edelster, frischer Hummer zum Feiertag gehört – aber vergebens. Sie einigten sich auf „Thousands on a Raft“, in Haute-Cuisine-Kreisen auch bekannt als „Bohnen auf Toast“. Die lokalen Produkte wurden mit all den ach so gesunden und aus Großbritannien importierten Zutaten ergänzt: Marmite, HP-Soße, Worcester-Soße, Marmelade und Senf.
Gesättigt von den Resten aus der Garderobe unserer Meister, schlenderten wir durch den jeweiligen Veranstaltungsort, während man die letzten Showelemente abbaute und das Gebäude für das nächste Konzert vorbereitete. Zu solch einem Zeitpunkt eine leere Arena zu betreten, wird zu einer beeindruckenden Erfahrung. Ein riesiger Raum, in dem vor ein oder zwei Stunden noch Tausende Menschen wie gebannt ein Spektakel beobachtet hatten, war nun eine Ansammlung von zusammengestellten Metallstühlen, großen summenden Industriereinigungsmaschinen, quietschend manövrierenden Gabelstaplern, Lichtgerüsten, an denen Ketten entlang krächzten, und einer Vielzahl von Stimmen, die durch den ganzen Lärm angestrengt schrien, Anweisungen gaben und Beleidigungen austeilten. Rauch und der Staub der Pyrotechnik hing immer noch in der Luft und vermischte sich mit dem stechenden Gestank der Reinigungsflüssigkeit, Abgasen der Gabelstapler und dem Geruch von fallengelassenem Popcorn – das alles hinterließ ein süßliches, ekliges Kratzen im Hals. Morgen würde ein neuer Tag sein, an dem sich in dem kalten Beton-Kokon die Hoffnungen und Träume einer anderen gesellschaftlichen Schicht treffen und sie ihren Leidenschaften nachgehen würden. Heute Nacht hatten die siegreichen Gladiatoren aber das Colosseum verlassen und der magische Flaschengeist war wieder sicher eingesperrt – nur darauf wartend, wieder zu entweichen.
Den uniformierten hispanischen und asiatischen Einwanderern, die in US-Stadien als Reinigungskräfte schufteten, den Boden und die Toiletten putzten und dabei einen gelben, fluoreszierenden Eimer auf Rollen hinter sich herzogen, war es egal, wer Freddie Mercury oder ein anderer Rock-Act war. Sie versuchten hier nur das saubere Image der USA zu bewahren. Eigentlich wollten sie bei ihrer Familie sein und das Leben führen, das ihnen der amerikanische Traum versprach und ihr Traum ihnen vorgaukelte. Ein gutes Leben.
Moment mal – was machte ich eigentlich aus meinem Leben? Klar, es war ein gutes Leben: Um die Welt reisen und als Sahnehäubchen Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Doch ich hätte meine Zeit auch mit etwas Sinnvollerem verbringen können. Zum Beispiel für eine Wohltätigkeitsorganisation in der Dritten Welt arbeiten, mich an der medizinischen Forschung beteiligen oder Kundgebungen zur globalen Erwärmung oder der Umweltverschmutzung abhalten. Über all diese Themen habe ich seit damals nachgedacht. Doch zu der Zeit verschwendete ich keine Gedanken daran, denn ich hatte schlichtweg zu viel Spaß. Wie war ich eigentlich zu dem Job gekommen? Und wo hatte das alles begonnen? In einem Supermarkt in Fulham, im Südwesten von London. Allerdings hatte ich keine Regale befüllt, sondern Verstärker und Boxen gestapelt.
Früher hatte ein altes Kino an dem Platz gestanden, den nun der Supermarkt einnimmt. Nachdem es in den frühen Siebzigern geschlossen worden war, hatte die „Super Group“ Emerson, Lake & Palmer darin ihr gigantisches Equipment gelagert und es Manticore genannt. Abgesehen von der Aufbewahrung der Ausrüstung und den genutzten Büroräumen, wurde es an damals populäre Bands vermietet, die es für Aufnahmen und zum Proben nutzten. Man hatte die Kinositze herausgerissen, und ein verdreckter und schäbiger Teppich erstreckte sich bis zur Theaterbühne, die groß genug war, um den wichtigsten Rock-Shows Platz zu bieten. Obwohl Fallschirmseide zur Verschönerung und Isolierung vom Balkon aus über dem alten Parkett herunterhing, war Manticore im November 1973 – als ich Queen erstmalig begegnete – ein kalter und verdammt ungemütlicher Ort. Ich arbeitete zu der Zeit für Mott The Hoople, eine großartige Rockband, die gerade von einer erfolgreichen US-Tour zurückgekehrt war. Mich beeindruckte das ganze Brimborium mit amerikanischen Markenzeichen, das Richie und Phil, Motts erste Vollzeit-Roadies, aus den Staaten mitgebracht hatten. Das wollte ich schon immer mal machen – in die USA reisen! Mit einer Rockband auf Tour gehen, wäre die Erfüllung eines Traums gewesen – mit kleinen Glöckchen als Bonus. Freiheitsglöckchen!
Industrie-Heizlüfter, angetrieben mit Gas aus großen Flaschen, wärmten den Proberaum nur unzureichend auf, und so trugen die Crew und die Musiker dicke Jacken, Mäntel und sogar Schals. Mott The Hoople zählten damals zu den populärsten Acts und standen auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie waren bereit, zu einer ausgedehnten Großbritannien-Tour aufzubrechen. Nach einigen Tagen Arbeit im Manticore tauchten Queen, die die Vorgruppe sein sollten, bei den Proben auf. Es erschien ein wenig seltsam, dass Queen, die bei der EMI unter Vertrag standen, als Support einer CBS-Band auftraten, denn meistens achtete man darauf, dass die Bands vom selben Management oder einer gemeinsamen Plattenfirma kamen. Die vier Typen waren scharf darauf zu spielen und setzten sich unter Druck. In jenem November bibberten wir im Manticore alle vor Kälte, doch Queen probten in voller Bühnenkluft, was bedeutete: Hauchdünne Seide, mit Spitze besetzte Hemden und leichter, bei jeder Bewegung schwebender Satin. Sogar John Harris, ihr ursprünglicher Tontechniker, trug zum Mischen einen schwarzen Samtanzug und hauchzarte Handschuhe. Und wer war wohl der stolzierende Poser mit Make-up, der mit einem abgesägten Mikroständer über die Bühne tänzelte und einen einzelnen Kettenhandschuh trug?
Der Band stand nur eine kurze Probezeit zur Verfügung, und um ehrlich zu sein, beachtete ich sie kaum, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, Tee zu machen, diverse Gegenstände schwarz überzupinseln, Botengänge zu erledigen und all die Dinge zu machen, die man von einem 18-jährigen Frischling erwartet. Brian May war der erste, der sich mit Motts Crew anfreundete und ich durfte seine komische selbstgebaute Gitarre testen. Mich erstaunte, dass er keine „richtige“ Gitarre besaß: Eine Gibson, eine Fender oder vielleicht sogar eine Guild, wie die Jungs von Mott The Hoople. May spielte darüber hinaus mit alten Sixpence-Stücken und nicht mit Plektren. Ich schob das alles auf die Tatsache, dass Queen eine neue, sich gerade hoch kämpfende Band waren, die sich kein gutes Equipment leisten konnte. Sogar sein alter, ziemlich mitgenommener Vox-AC-30-Verstärker stand auf einem Klappstuhl. Ich vermutete, er hatte seine Ausrüstung für einen Zandra-Rhodes-Dress geopfert, den Queen zu der Zeit so gerne trugen. Als ich ihn jedoch spielen hörte, verflog mein Mitleid. Ich hatte niemals zuvor so hohe, aber trotzdem voluminöse und facettenreiche Töne gehört, wie Brian sie mit seiner Gitarre produzierte. Er war verdammt gut, und Queen strahlten ein wenig von Led Zeppelins Grundstimmung aus, unterschieden sich aber dennoch grundlegend von ihnen.
Ich kann mich nicht erinnern, damals mit Freddie Mercury gesprochen zu haben. Ich dachte wohl, dass es ein ziemlicher blöder Name für einen Rockstar sei. Für mich waren „Freds“ Bauern, Bauarbeiter oder der Typ von nebenan, der im Pub Darts spielt. Ich konnte ja nicht ahnen, dass diese Band sich so profund auf mein zukünftiges Leben auswirken würde. Auf der Tour 1973 begrüßte die Mott-Crew die Musiker von Queen mit einem Nicken und unterhielt sich gelegentlich mit ihnen. Doch eine nähere Freundschaft kam nicht zustande. Roger zeigte ein bisschen Anerkennung und John war John, ruhig und in sich gekehrt. Fred war schon damals ein einzigartiges Individuum. Er benahm sich wie ein Star. Ein großer Star.
Von Vorgruppen erwartete man, dass sie den ihnen gebührenden Platz einnahmen. Trotz mangelnden Erfolgs gaben sich Queen reserviert, manchmal sogar arrogant und verlangten während der Tour eine Menge, was so manchen nervte und aufregte. Das änderte sich auch nicht. Die Crew kategorisierte Queen als einen Haufen Poser. Obwohl ich einige der Stücke mochte, irritierte mich ihr super-selbstbewusster und stolzierender Sänger. Die Mott-Roadies waren sich darin einig, dass Queen es niemals schaffen würden. Auf gar keinen Fall. Dennoch war ich von den Freundinnen von Queen beeindruckt: vier attraktiven, cool anmutenden und scharf aufgebrezelten Ladies, die einige der Auftritte besuchten. Modisch wurden sie nur von der Band übertrumpft, die teurere und beeindruckendere Gewänder und Blusen trug.
Im Jahr darauf spielten Queen kurzzeitig als Vorgruppe von Mott The Hoople in den USA, doch mir blieb der tänzelnde Poser mit nur einem Handschuh erspart, da ich für den David-Bowie-Gitarristen Mick Ronson auf dessen UK-Tour arbeitete. Ich hatte es also noch immer nicht in die Staaten geschafft. Ein Jahr später erhielt ich das kurzfristige Angebot, als Roadie für Brian May einzuspringen, weil sein Mann ausgestiegen war und sie dringend einen Ersatz für eine US-Tour suchten. Allerdings tauchte Brians Techniker doch wieder auf, woraufhin man mir einen anderen Job anbot, die Betreuung des Schlagzeugs und des Pianos. Drums: Ähnlich dem Aufbau eines Meccano-Bausatzes. Flügel: Verdammt viele Saiten, die man einzeln stimmen musste. Das wollte ich nicht, und so ließ ich das Angebot sausen. Erneut hieß es: USA – nein! Dann, als die verschiedenen Formationen von Mott The Hoople ihren kreativen Geist ausgehaucht hatten, nahmen Richie, Phil und ich das Angebot von Queen an, die gerade begannen, an ihrem vierten Album zu arbeiten: eine kleine Kollektion von Songs, zusammengefasst unter dem Titel A Night At The Opera. Queen wurden größer und größer und suchten eine Crew mit genügend Erfahrung – und einen 20-Jährigen, der den Unterschied zwischen einer Les Paul und einer Les Dawson kannte und sich um den Bass und das Schlagzeug kümmerte. (Bechstein? War das nicht eine deutsche Biermarke?)
„Er ist jung, er ist begeisterungsfähig – er soll sich mal um Fred kümmern.“ Vielen Dank auch. Das war Mitte der Siebziger gewesen: Schlaghosen, Haarmähnen in der Federschnitt-Frisur, hochhackige Schuhe und Plateaustiefel, Satin, Samt, knallenge Kostüme, Stars und Glitzer … und das Video zu diesem Song. Bohemian Bloody Rhapsody! Gedreht auf Bühne 5 in den Elstree Film Studios während einer kurzen Unterbrechung der Tourneeproben, war das für uns eine nicht sonderlich willkommene Ablenkung. Wir arbeiteten praktisch rund um die Uhr, um die neue Show auszuarbeiten, und so empfanden wir es als eine nervige Angelegenheit, da man ständig umbauen, sich aus dem Kamerawinkel heraushalten, Ruhe bewahren und warten musste. Insgesamt war es aber nicht ganz so schlimm. Dieses kleine sechsminütige Filmchen kam eigentlich ganz gut rüber und half Queen, Karriere zu machen. Es gab durchaus Bands, für die ich lieber gearbeitet hätte, doch der geschilderte Augenblick stellte sich als ausschlaggebend für meine Laufbahn und mein Leben heraus. Auf Queen wartete eine Welttournee. Nach der Mühsal einer Konzertreise durch Großbritannien, würde ich endlich in die USA kommen, und dann nach Japan und Australien.