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Title Page
Die Einleitung in die Materie
Und der Gewinner ist …
Depression – das wird nun hart
Die Aufnahme
Luisa kommt
Druck ablassen
Meine alte Psychologin
Keine Entspannung
Meine Diagnose – eventuell
Wut in mir
Schöne Momente
Er lebt im Herzen weiter
Langweiligster Tag
Der letzte Tag
Kapitel 14
Meike Hockmann
Monster im Kopf
Mein Weg mit der Depression
Autobiografie
DIE EINLEITUNG IN DIE MATERIE
Es ist der 20.08.2018. Ein Montag. Aber darum geht es gar nicht. Ich möchte euch mitnehmen. Mitnehmen auf den Weg, um meine Monster im Kopf zu bekämpfen. Ich möchte einfach, dass ihr das alles versteht. Versteht, was los ist. Versteht, wie es mir geht, wie ich fühle – wenn ich überhaupt fühle.
Aber erst mal ganz von vorne. Was ich habe? Ich habe Monster im Kopf. Nein, natürlich keine echten. Es gibt ja keine Monster. Und nein, ich höre auch keine anderen Stimmen im Kopf. Ich bin nicht schizophren. Ich habe lediglich eine Depression, vielleicht auch eine Wochenbettdepression. Das ist noch nicht ganz sicher. Die einen sagen, ich habe eine schwere Wochenbettdepression, die anderen eine Depression. Das wird sich noch herausstellen. Die einen sagen so, die anderen so. Ich habe nämlich zwei Therapeutinnen. Eine von der psychologischen Beratungsstelle, zu der mich meine Hebamme geschickt hat, und eine in der Psychologischen Ambulanz in Haselünne, in die mich Dr. Ruhe, mein Hausarzt, überwiesen hat. Morgen fahre ich wieder nach Haselünne, um mit den Ärzten zu reden, die mich eventuell stationär aufnehmen werden. Voraussetzung dafür ist, ich darf keine Suizidgedanken haben. Das Problem: Ich hab welche. Ich müsste also eigentlich auf die geschlossene Station kommen, dafür müsste ich mir aber bereits etwas angetan haben. Das habe ich aber nicht. Also kann mir in Haselünne schon einmal nicht geholfen werden. Aber ich fahre morgen dennoch hin, weil ich einfach nach jedem Strohhalm greife. Ich will, dass es mir besser geht. Eine Beraterin vom Sozialen Dienst hat mir auch die Klinik in Bremervörde vorgeschlagen. Hannes hat gleich dort angerufen. Die würden mich wohl aufnehmen. Donnerstag schau ich mir die Klinik an. Ich steh auf der Warteliste ganz oben. Heute war auch das Jugendamt da. Die werden, wenn ich stationär aufgenommen wurde, Kontakt zur Klinik aufnehmen und mir nach dem Aufenthalt auch mit einem Psychologen beiseite stehen.
Wie man sieht, bekommt man Hilfe. Auch wenn es dauert, und die Wartezeit das alles nicht unbedingt besser macht. Aber das Schlimmste ist, dass du jedem Menschen immer und immer wieder alles erzählen musst. Du willst einfach nur Hilfe, und alles, was die Ärzte und Psychologen tun, ist dir Tabletten aufzuschreiben. Und da kommen wir zur anderen Sache. Die Tabletten. Ich bekomme seit sechs Tagen Medikamente. Antidepressiva. Sechs Tage lang sollte ich erst einmal eine halbe Tablette nehmen, damit die Nebenwirkungen so gering wie nur möglich ausfallen. Gering ist aber gar nichts. Ich habe vermehrt Suizidgedanken und bin dauerhaft müde. Müde – ja, das war ich auch schon vor den Tabletten. Es ist nicht zu vergleichen mit eurer Müdigkeit. Ihr seid müde, weil ihr einen harten Tag hattet oder wenig geschlafen habt in der letzten Nacht. Bei mir ist es anders, mein ganzer Körper ist müde. Während meine Gedanken hellwach sind und andauernd in meinem Kopf rumrennen. Ja, wirklich, sie rennen. So viele Gedanken auf einmal rennen hin und her und halten einfach nicht an. Kurz gesagt: Während mein Körper völlig erschöpft ist, gibt mein Verstand keine Ruhe und lässt mich nachts nicht schlafen.
Damit ihr versteht, warum die Therapeuten meinen Zustand für eine Depression beziehungsweise eine Wochenbettdepression halten, gewähre ich euch noch einen Einblick in meine Gedanken.
Ich stoße meine Tochter ab. Nicht weil Luisa anstrengend oder ein Schrei-Kind ist oder nicht ›gewollt‹ war. Nein! Das ist es alles nicht. Es ist, als wäre eine kleine unsichtbare Wand zwischen uns, die mich davon abhält, sie zu drücken, zu wickeln oder zu füttern. Diese Wand haben die kleinen Monster in meinem Kopf gebaut. Ich nenne sie Monster, weil ich das Ganze etwas personalisieren möchte. Um es verständlicher für euch zu machen. Die Monster bauen diese Wand immer weiter auf, machen sie höher und dicker und ich kann sie nur dann durchtrennen, wenn sie schlafen oder unvorsichtig werden. Ja, sie schlafen auch mal. Und in diesen Momenten zerstöre ich die Wand und kann mit Luisa wieder schmusen und sie lieb haben, wieder eine Mutter sein, so wie sie es braucht. Doch dann wachen die Monster auf oder bemerken, dass die Mauer einfällt, dann sind sie böse auf mich und bauen diese noch stabiler wieder auf. Wenn die Monster böse auf mich sind, ist es ganz schlimm. Sie manipulieren meinen Verstand und machen aus mir selbst ein Monster. Als wenn sie mich verwandeln würden. Auf einmal habe ich dann böse Gedanken, wie an einen Suizid oder daran, dass ich Luisa etwas Schlimmes antun könnte. Oder ich werde aggressiv. Und das wundert mich besonders. Ich war doch nie aggressiv. Aber das sind die Monster; die wissen, dass ich sie durch die Medikamente und mithilfe der Therapeuten besiegen kann und das wollen die nicht. Die wollen einfach nicht sterben. Die wollen meinen Verstand übernehmen, bis ich nicht mehr ich bin. Manchmal schaffen sie das. Macht mir das alles Angst? Ja, oft sogar. Aber ich kann mich nicht wehren, sie sind viel stärker als ich. Fast unbesiegbar, so scheint es mir. In den Momenten, in denen ich böse Gedanken habe oder aggressiv bin, haben die Monster komplett meinen Verstand und mein Wesen übernommen. Ich vergleiche das immer mit einem Parasiten. Der möchte den Wirt auch ganz einnehmen. Manchmal denke ich aber auch, dass die Monster recht haben. Sie haben Angst vor den Tabletten, weil diese sie umbringen. Die Monster wollen mich vielleicht nur schützen, da diese auch mich umbringen könnten. Mein Blick auf die Welt könnte verzerrt werden, ich selbst könnte nicht mehr wirklich in ihr sein. Ich erhalte eine aufgesetzte, chemische Fröhlichkeit. Ich bin ruhig, obwohl ich ausbrechen möchte. Das ist doch nicht richtig. Mir muss es doch auch so gut gehen. Ohne Therapeuten und ohne Medikamente. Das ging doch früher auch. Warum jetzt nicht mehr? Das will ich herausfinden. Darum habe ich mich entschieden, mich einweisen zu lassen und euch auf die spannende oder auch verstörende Reise mitzunehmen. Vielleicht werde ich manchmal viel zu einem Thema schreiben, vielleicht auch wenig. Vielleicht drücke ich mich hier und da kompliziert aus, vielleicht auch mal wie ein Kind. Aber alles, was ich schreiben werde, sind meine Gedanken. Und diesen lasse ich freien Lauf.
KAPITEL 1
UND DER GEWINNER IST …
Den Termin in Haselünne zur stationären Aufnahme hatte Hannes, mein Ehemann, abgesagt. Ich wäre da gerne hingegangen. Warum weiß ich selber nicht. Wohl habe ich mich da nicht gefühlt, eher im Gegenteil. Dennoch wollte ich den Versuch wagen. Aber die hätten mich nicht aufgenommen, denn meine Suizidgedanken sind allgegenwärtig. Ich hab sie nicht immer – das dürft ihr nicht falsch verstehen. In diesem Augenblick zum Beispiel spüre ich sie gar nicht. Aber wie ich euch schon verraten habe, kommen diese immer dann hoch, wenn meine kleinen Monster sich wehren, wenn sie Angst haben, zu sterben.
Hannes und ich sind dann also am Donnerstag den 23.08.2018 nach Bremervörde gefahren. Dort fühlte ich mich wohl. Nicht auf Anhieb, aber nach einer kleinen, sehr detaillierten Führung doch schon sehr. Die Chefärztin Frau Meyer meinte auch, dass es sinnig wäre, wenn ich so schnell wie möglich aufgenommen würde. Sie spürte eine Leere in mir, aus der ich nicht ausbrechen könne. Diese Frau hat es auf den Punkt gebracht. So ist der Gewinner bezüglich der Wahl zu einer stationären Aufnahme auch die Gustav-Friedrich-Klinik in Bremervörde. Erst hatte Frau Meyer mir Angst gemacht. Sie hat mich angemault, fragte, warum ich als Mutter nicht in der Lage wäre, meine Tochter zu versorgen. Ich hatte Tränen in den Augen, weil sie so direkt und mit einem gemeinen Ton in der Stimme fragte. Aber als ich dann die fünf magischen Wörter »Ich kann es einfach nicht« aussprach, verstand sie und redete netter mit mir. Hannes und ich sagten ihr, dass wir uns wünschten, dass die Aufnahme erst ohne Luisa erfolgen solle. Sie sollte dann erst im Laufe der Behandlung dazu kommen. Diese Entscheidung konnte die Ärztin auch mittragen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, da ich mich absolut nicht in der Lage sah, alleine mit Luisa klarzukommen.
Wir erzählten ihr außerdem von unserer kirchlichen Hochzeit, die am 31.08.2018 stattfinden sollte. Sie schlug nur die Hände über dem Kopf zusammen und fragte mich, ob ich dies überhaupt schaffen würde. In diesem Moment wusste ich, dass sie die Richtige für mich ist. Sie fragte mich. Sie fragte einfach nach, ob ich es schaffe. Sie verstand mich, sie sah nicht nur, dass es mir einfach nicht gutging, sondern auch, dass es anstrengend für mich sein würde, vor so vielen Leuten – besonders vor jenen, die nichts von meiner Lage wussten – eine Maske aufzusetzen. Das nämlich bedeutet einfach Anstrengung pur. Man muss die ganze Zeit fröhlich und glücklich sein, obwohl man innerlich kalt und leer ist. Ihr könnt euch das vielleicht nicht vorstellen, aber genauso ist es. Aber Frau Meyer verstand einfach. Ohne dass ich mich erklären musste. Sie fragte einfach, ob ich es schaffen würde, diese Maske für einen ganzen Tag aufrecht zu erhalten. Und ich? Ich antwortete mit einem ängstlichen »Ich muss da jetzt durch«. Und auch das verstand sie.
Die Hochzeit
»Freust du dich schon auf deine Hochzeit?« – »Bist du schon aufgeregt?« – »Bald ist es so weit, ich freu mich so darauf.«
Wenn ich noch einmal einen dieser doofen Sätze höre, raste ich aus. Ich weiß, dass diese nur gut gemeint sind und dass auch viele gar nichts von meiner Situation wissen. Aber diese Sätze machen mich jedes Mal ein Stückchen trauriger, ein Stückchen ängstlicher und ein Stückchen unsicherer. Klar, jetzt kann man natürlich sagen, dass ich nur ›kalte Füße‹ bekomme. Das ist aber nicht so. Ich bin bereits verheiratet und ich weiß, dass ich den besten Mann der Welt an meiner Seite habe. Wieso sollte ich kalte Füße haben, nur weil ich mir noch den kirchlichen Segen abholen möchte? Nein, das ist alles Schwachsinn. Diese Sätze machen mich einfach wahnsinnig. Ich würde am liebsten jedes Mal antworten: »Nein, ich freu mich nicht. Nicht, weil ich Hannes nicht mehr heiraten möchte, sondern weil es mir nicht gut geht und ich nicht weiß, ob ich den ganzen Tag lang die fröhliche und glückliche Braut spielen kann, oder ob die kleinen Monster in meinem Kopf nicht doch wieder mein Wesen einnehmen und ich komplett aggressiv oder böse werde.« Klingt hart, oder? Aber genauso wäre meine Antwort gewesen. Aber man möchte anderen Leuten nicht erzählen, wie man fühlt. Die würden es nicht verstehen und dich nur seltsam anschauen und so etwas sagen wie: »Ach, das wird schon alles werden, mach dir keinen Kopf.« Super! Der Satz ist auch auf meiner Liste der Sätze, die Depressive definitiv nicht hören wollen. Natürlich ist mir auch bewusst, dass all diese Menschen es nur gut meinen. Aber es tut eben nicht gut. Deswegen beantworte ich die oben genannten Sätze einfach immer mit einem schönen, maskenhaften Lächeln und einem: »Ja, ich freu mich total auf die Hochzeit. Ich bin so aufgeregt, das kannst du dir gar nicht vorstellen.« Damit ist das Thema durch. Ich setz einfach meine Maske auf und zeige und sage den Leuten genau das, was sie hören wollen, denn alles andere würden sie seltsam finden.
Und dann war der große Tag gekommen. Ich muss sagen, ich war aufgeregt. Jetzt denkt ihr bestimmt: »Oh, siehst du, sie war aufgeregt. Also müssen doch ein paar Emotionen in ihr stecken.« Falsch! Mir war es egal, ob meine Haare gut aussehen oder ob Hannes mich wohl hübsch finden oder ob mein Schleier den ganzen Tag im Haar halten würde. Ich war aufgeregt, weil ich Angst hatte, dass die kleinen Monster alles kaputt machen. Ich hatte Angst, dass meine Maskerade einfach bröckelt und die Monster mein Wesen einnehmen. Schwer zu verstehen? Ihr könnt euch das so vorstellen, als wäre ich eine Schauspielerin. Meine Rolle war die einer glücklichen Braut und kurz bevor der Regisseur sagt »Action« ist man aufgeregt und nervös, weil man denkt, dass man seinen Text vergisst oder die Rolle nicht gut genug verkörpert. Versteht ihr das? Nur in dieser Hinsicht war ich aufgeregt. Aber ich habe natürlich allen gesagt, dass ich aufgeregt sei, weil ich möchte, dass alles perfekt wird und ich Hannes gefalle. Ich habe den Leuten also wieder das gesagt, was sie hören wollten und nicht, dass es mir schlecht geht und meine Gedanken um ganz andere Sachen kreisen. So ist es einfacher. Wenn ihr das komisch findet, seid mal ehrlich zu euch. Hättet ihr das verstanden, wenn ich einfach ehrlich gewesen wäre? Wahrscheinlich nicht.
Nach der Hochzeit wurde ich dann oft gefragt, wie ich die Hochzeit empfunden habe. Ich schaffe es auch bei dieser Frage einfach nicht, komplett ehrlich zu sein. Also habe ich mir eine Standardantwort zurechtgelegt: »Es war ziemlich stressig, aber sonst war die Hochzeit ganz schön.« Natürlich war die Hochzeit schön. Das ist nicht gelogen. Da waren so schöne Momente wie zum Beispiel, dass mein Papa mich zum Altar geführt hat, die Blicke von den Gästen in der Kirche, die Trauung selbst, unser erster Tanz, das Spiel um unser Geschenk von den Trauzeugen, die Laternen mit unseren Bildern und die Torte.
Aber an all die schönen Momente konnte ich nicht denken. Mein Kopf war voll mit den Dingen, die schief gegangen waren. Und das waren sehr viele. Ich konnte mich auf meiner Hochzeit nicht fallenlassen und den Tag genießen. Mein Kopf war voll mit Gedanken – der Ablauf in der Kirche und die ganzen Dinge, die in der Kirche nicht perfekt gelaufen sind, die Kosten, die auf uns zukommen würden und die Frage, wann ich diese ganzen Rechnungen überweisen sollte, warum einige unserer Gäste nicht gekommen waren, ob die anderen wohl Spaß hatten und ob ich allen gerecht geworden bin und so weiter. Normalerweise würde eine Braut doch anders über ihre Hochzeit denken, oder? Aber ich habe leider mehr schlechte Gedanken im Kopf als gute. Eigentlich weint eine Braut doch auch bei der Hochzeit, oder? Ich aber habe nicht einmal geweint. Nicht, als mein Papa mich zum Altar führte, nicht bei der Trauung und auch nicht auf der Hochzeitsfeier. Warum habe ich nicht geweint auf meiner eigenen Hochzeit, fragt ihr euch? Ich bin leer. Ich fühle einfach nichts. Da ist nur Leere und Kälte. Auch das werdet ihr vielleicht nicht verstehen, weil es immer heißt, bei einer Depression ist man die ganze Zeit traurig und weint nur rum. Sehr falsch! Aber das erkläre ich euch alles im nächsten Kapitel. Hier ist nur wichtig, dass meine eigene Hochzeit für mich unwahrscheinlich stressig war wegen einer Maskerade, die aufrecht erhalten werden musste, da die Monster mich nicht zum Monster machen sollten.
KAPITEL 2
DEPRESSION – DAS WIRD NUN HART
Wundert euch nicht, wenn ich mich öfter wiederhole. Das mache ich ganz bewusst, damit ihr mich einfach besser versteht.
Depressionen sind nicht immer gleich. Manche heulen einfach ohne Grund rum. Manche erstarren. Manche leben auch jahrelang so weiter und merken die eigene Veränderung gar nicht. Aber es geht nicht um andere. Sondern wirklich nur um mich. Wie geht es mir mit meinen Monstern? Ich muss sagen, selber gemerkt, dass ich mich verändert und von Luisa entfernt habe, habe ich nicht. Es kam wirklich schrittweise und ganz langsam. Da Mama immer da war und sich um Luisa gekümmert hat, konnte ich in aller Ruhe meinen Zwängen, wie permanent das Haus putzen, nachgehen. Und da es mir körperlich gut ging, hab ich meinen inneren Zerfall nicht mitbekommen. Als Hannes irgendwann aufgefallen ist und mich darauf ansprach, warum ich Luisa nicht mehr füttere oder sie in den Arm nehme, wurde es mir erst richtig bewusst. Ich fühle mich nicht zu meinem eigenen Kind hingezogen. Mir war Luisa egal – und sie ist es mir immer noch. Mir war es wichtiger zu putzen, als mich um mein eigenes Kind zu kümmern. Ich war und bin froh, wenn Luisa nicht da ist. Irgendwann kamen sogar Gedanken daran auf, wie ich sie loswerden könne. Im Klartext: wie ich ihr etwas antun könne. Und dann fühlte ich Hass. Und Wut. Hass auf mich, dass ich nicht normal sein und mein Kind lieben kann. Wut, weil ich mich missverstanden fühlte und die Leute um mich herum nur sagten: »Du bist doch aber eine Mutter.« Oder: »Luisa ist doch total pflegeleicht. Wie kannst du da überfordert sein?«
Und da sich dieser Selbsthass und diese unendliche Wut in mir aufstauten, wurden meine Monster davon genährt. Sie wuchsen und wuchsen und ich wurde leerer und kälter. Ich wurde so leer und kalt, dass ich sogar daran dachte, mir das Leben zu nehmen, da ich ohne Freude nicht mehr leben wollte.
Natürlich gibt es Momente, in denen ich lache. Aber es ist ein anderes Lachen als eures. Mein Lachen ist aufgesetzt, meine gute Stimmung ist eine Maske – ein Selbstschutz, damit andere Leute nicht sehen, wie es mir geht. Wenn ich jeden Tag so wäre, wie ich mich fühle, dann hätten sich so viele von mir abgewandt. Warum? Weil viele einfach nicht damit klarkommen, wenn man nicht wie gewohnt funktioniert. Und in dieser Gesellschaft muss man normal funktionieren, sonst ist man anders und wird ausgestoßen.
Die Monster in meinem Kopf bekomme ich aber nicht weg. Sie sind immer da und brechen manchmal aus. Ihr könnt es euch so vorstellen: Ich stehe in einem Käfig. Dieser wurde von den Monstern gebaut und sie bewachen ihn. Die Monster sind manchmal unvorsichtig, da sie von den Medikamenten verwirrt werden, oder sie schlafen und lassen die Tür des Käfigs auf. Das ist der Moment, in dem ich ausbreche und wieder ich bin. Ich renne dann schnell zu der Mauer, die mich emotional von Luisa trennt und versuche, diese zu durchbrechen. Durch den Lärm, der dadurch verursacht wird, werden die Monster hellhörig, sperren mich zurück in den Käfig und bauen die Mauer noch stabiler auf als zuvor. Die Monster werden durch meinen Fluchtversuch böse und nehmen mein Wesen dann ganz ein, machen, dass ich diese schlimmen Gedanken habe oder aggressiv werde oder einfach anders auf die Menschen wirke. Und jedes Mal, wenn ich wieder im Käfig sitze, bin ich kalt und leer und kraftlos. Mit jedem Fluchtversuch aber entferne ich mich immer mehr von Luisa, da die Mauer jedes Mal noch höher, noch stabiler wird. Es ist also ein Teufelskreis. Je mehr ich mich emotional Luisa annähere, desto schlimmer wird alles. Ich habe im vorherigen Kapitel bereits angedeutet, dass ich lange nicht mehr geweint habe und das stimmt auch. Wenn ich im Käfig bin, dann wird mir jegliche Lebenskraft, Freude, Glück, Liebe und auch Traurigkeit genommen. Ich verspüre nur Leere und Kälte. Und wenn man völlig emotionslos ist, dann kann man auch nicht weinen. Nicht bei Freude und nicht bei Trauer. Ich bin im Käfig also wie erstarrt. Ich möchte raus und mich den Monstern stellen. Diese bekämpfen. Aber wie? Sie sind einfach zu stark. Und je länger ich im Käfig sitze, desto stärker werden die Monster. Ich brauche Hilfe, das ist mir bewusst.
KAPITEL 3
DIE AUFNAHME
Am 04.09.2018 war es dann so weit. Ich wurde stationär in der Gustav-Friedrich-Klinik in Bremervörde aufgenommen. Hannes, Papa und Luisa sind mit mir zur Klinik gefahren. Ich hab mich schlecht gefühlt. Ich wollte nicht hier hin. Verstand nicht, warum ich hierher sollte. Ich bin schließlich nicht verrückt. Und nur Verrückte müssen in eine Psychiatrie. Aber ich fühlte mich normal im Kopf. Das sind doch nur Depressionen. Die kommen und gehen einfach. Ich habe mich gefühlt, als sollte ich abgeschoben werden. Als wenn die Gesellschaft mich nicht aushielt und ich an einen Ort gebracht werden musste, wo man mich nicht länger ertragen muss. Das kann doch nicht richtig sein, oder? Ich habe doch nichts verbrochen.
Als ich dann meinem Zimmer zugeteilt wurde und ich die Sachen auspacken musste, wusste ich, dass es nun ernst wird. Am Anfang hatte ich noch die Hoffnung, dass ich wieder mitgenommen werde. Aber so war es nicht. Als Hannes, Papa und Luisa mich verließen, flossen wirklich das erste Mal seit Langem Tränen, aber auch nur kurz. Ich hatte Angst, alleine hier zu sein und nicht klarzukommen und war wütend, dass sie mich hier einfach abgesetzt hatten. Ich fühlte mich betrogen. Betrogen von meinen liebsten Menschen. Wollten sie mich auch nur von sich stoßen? Bin ich denen zu viel? Kommen die nicht mit mir klar? Diese Gedanken kreisten in meinem Kopf herum und machten mich so unheimlich wütend.
Als sie dann weg waren und ich zurück auf mein Zimmer ging, saß ich eine ganze Weile auf meinem Bett. Ich starrte nur gegen die Wand und beruhigte mich allmählich, geweint habe ich nicht mehr. Es klopfte irgendwann an die Tür. Ich hoffte so sehr, dass ihr wiederkommt, um mich abzuholen. Aber ihr ward es nicht. Es war eine Pflegerin, die mich zur Oberärztin bringen wollte. Zu Frau Dr. Meyer, die ich bereits kannte. In dem Raum, in dem Frau Dr. Meyer saß, waren noch fünf weitere Menschen, die mich alle anstarrten und sich Notizen machten. Frau Dr. Meyer fragte mich lediglich, wie meine Hochzeit war und wie ich mich fühlte. Ich kramte also meine Standardantwort zur Hochzeit hervor und sagte ihr ansonsten, dass ich mich noch nicht besser fühlte. Dann war das Gespräch beendet. Also bin ich auch wieder zurück auf mein Zimmer gegangen.
Im Laufe des Tages bin ich dann immer noch mal rausgegangen und lernte schließlich Carolin kennen. Sie war auch erst an diesem Tag eingewiesen worden, somit auch neu. Carolin ist 44 Jahre alt und hat auch Depressionen. Sie ist super lieb und ich habe mich ein wenig aufgehobener gefühlt. Ein wenig angekommener. Ich hatte eine Person zum Reden gefunden und war nicht mehr so ausgeschlossen. Carolin und ich redeten viel und waren glücklich, dass wir in derselben Gruppe waren. Die Patienten wurden hier nämlich unterteilt in Gruppe Rot und Gruppe Grün. Wir waren beide der roten Gruppe zugeteilt worden, somit würden wir die Gruppentherapien und andere Anwendungen immer zusammen haben. Wir schauten uns auf der Station ein wenig um und verstanden uns super.
Am Abend wurde es wieder total schlimm. Mir fehlte meine gewohnte Umgebung, meine Eltern, Medo, mein Hund, und natürlich mein Ehemann. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr sie mir fehlten. Luisa fehlte mir nicht. So traurig es auch ist. Aber an sie habe ich keinen einzigen Gedanken vergeudet. Ich war sogar sehr froh, dass sie nicht da war. Kein Geräusch von ihr zu hören. Es war, als könne ich nun ohne Luisa wieder tief durchatmen. Fühlte den Druck nicht mehr, eine gute Mutter sein zu müssen. Nein, durch ihre Abwesenheit war ich einfach wieder ich. Ich war frei und unbeschwert.
Carolin schlief schon und somit konnte ich nicht mit ihr reden. Alle anderen Patienten ignorierten mich. Ich fühlte mich wieder allein. Ausgegrenzt von den anderen, da man die »Neue« ist. Im Aufenthaltsraum war ich nicht erwünscht, so fühlte es sich jedenfalls an. Ich saß also wieder in meinem Zimmer, ganz alleine und überlegte, warum ich hierhergebracht worden war. Nur wegen einer Depression? Das kann es doch nicht sein, oder? Die wollen mich bestimmt doch nur loswerden.
Die Gedanken gaben keine Ruhe und ich konnte nicht schlafen. Daher bekam ich eine Schlaftablette, die mich schnell runterbrachte und meine Gedanken ausschaltete. Es war wirklich so. Alle Gedanken waren komplett weg und ich schlief ein. Eine super Tablette! Sie ließ mich einfach mal nichts denken. In der Nacht habe ich auch nichts geträumt, zumindest konnte ich mich am nächsten Tag nicht daran erinnern. Ich habe auch komplett durchgeschlafen, ohne einmal wach zu werden. Was für eine magische Tablette!






