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In diesem Licht verwundert es nicht, dass sowohl in der Urgemeinde von Jerusalem als auch in den Anfängen der christlichen Mission Frauen genannt werden. So wissen die Bücher des Neuen Testaments von Frauen zu berichten, die sich in den Gemeinden als Prophetinnen, karitativ Engagierte, theologische Lehrerinnen (Apg 18,26), missionarische Mitarbeiterinnen und Förderinnen hervortun. In Joppe sorgt Tabita für hilfsbedürftige Witwen; in Jerusalem stellt Maria, die Mutter des Markus, ihr Haus der Gemeinde zur Verfügung; in Philippi nimmt die Purpurhändlerin Lydia Paulus und seine Begleiter in ihr Haus auf, wie auch in 1 Kor 11,4 von prophetisch redenden und betenden Frauen und Männern die Rede ist. Schließlich richtet sich auch 1 Kor 14,34 nicht grundsätzlich gegen das Prophezeien und Zungenreden von Frauen, wenn es an dieser Stelle heißt: „Die Frauen sollen in der Versammlung schweigen.“ Denn entweder handelt es sich hier um eine spätere judenchristliche Interpolation oder es wird einzelnen, ofensichtlich etwas undisziplinierten Frauen ungestümes Dazwischenreden verboten, um dadurch die damals ohnehin etwas gefährdete Ordnung des charismatisch bewegten Gottesdienstes aufrechtzuerhalten. Diese Interpretation legt jedenfalls die Tatsache nahe, dass christliche Frauen z.B. in kleinasiatischen Gemeinden des 1. und 2. Jahrhunderts keineswegs geschwiegen haben.
DASSMANN (wie S. 12) 172f. (Frauen bei Jesus und in der frühen Kirche).
SCHÜRMANN, Heinz, Das Lukasevangelium (= Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 3/1) Freiburg Basel Wien 1969, 446f. (Verhältnis Jesu zu Frauen).
2.5.2 Ein frühes Beispiel: Christliche Frauen als Autoritäten kleinasiatischer Gemeinden des 1. und 2. Jahrhunderts
Das Wirken früher Christinnen als Autoritäten kleinasiatischer Christengemeinden des 1. und 2. Jahrhunderts ist ohne den Kontext der zeitgenössischen kleinasiatischen Gesellschaft nicht denkbar. Wie Inschriften dieser Ära bezeugen, sind Frauen dieses Raums in Handel und Gewerbe selbständig tätig und verwenden einen Teil ihres Vermögens bisweilen für Projekte, die in ihrer Heimatstadt ihrem Sozialprestige dienen. So treten beispielsweise in Ephesus Frauen als Wohltäterinnen auf, indem sie auf eigene Kosten prachtvolle öffentliche Gebäude errichten lassen. Darüber hinaus steigen kleinasiatische Honoratiorentöchter des 2. Jahrhunderts in ihren Heimatstädten zu höchsten öffentlichen Ämtern auf. Nollé erklärt dieses Phänomen mit den personellen Engpässen dieser Familien, die zur Behauptung ihrer Position darauf angewiesen sind, auch weibliche Familienmitglieder auf der politischen Bühne ihrer Heimatstadt agieren zu lassen, zumal z.B. im kleinasiatischen Selge „der Familienclan [der Plancii Magniani] weitgehend mit der als politische Körperschaft agierenden Stadt identisch [war]. Die Stadt war zum überdimensionalen Haushalt (oikos) dieser Familie geworden. Damit schwächt sich natürlich das Anstößigste an der Amtsführung von Frauen, [nämlich] das Heraustreten aus dem Oikos, merklich ab. Die Frauen blieben, folgen wir dieser Betrachtungsweise, gewissermaßen doch im Oikos, in einem Oikos, der [… freilich] an Größe und damit auch an Bedeutung gewonnen hat.“41 Außerdem ist die damalige Bevölkerung Kleinasiens den Anblick öffentlich fungierender Frauen in priesterlichen Ämtern gewöhnt. Denn in vielen kleinasiatischen Städten sind Göttinnen die ersten Stadtgottheiten und ihre erstrangigen Kultdienerinnen sind folglich Frauen, während männliche Priester einer solchen Göttin oft nur als Gehilfen einer Frau amtieren (vgl. Abb. 12).
Mag die geschilderte Öffnung der kleinasiatischen Gesellschaft für öffentlich tätige Frauen auch in erster Linie die Frauen der dortigen Mittel- und Oberschicht betreffen und mag diese Öffnung auch die Grenzen des antiken Oikos nicht überschreiten, so dürfte das zugehörige Milieu doch einen gut vorbereiteten Boden für die nicht zuletzt die Frauen aufwertende Botschaft Jesu darstellen. In diesem Licht ist es jedenfalls besser verständlich, warum das wohl im kleinasiatischen Raum entstandene Johannes-Evangelium eine Gemeinde des ausgehenden 1. Jahrhunderts spiegelt, in der eine Frau namens Maria Magdalena im Auftrag Jesu und mit Billigung der Gemeinde die Auferstehung Jesu öffentlich bezeugt, in der eine Samariterin die Frohe Botschaft Jesu empfängt und mit Erfolg in ihrer Heimatstadt verkündet und in der eine Frau namens Martha als Repräsentantin der Gemeinde das Messiasbekenntnis ablegt.
Des Weiteren wirken hier von der Mitte des 1. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts eine Reihe von Christinnen, die man zweifellos als Gemeindeautoritäten bezeichnen kann. Denn seit den christlichen Anfängen lassen sich in Kleinasien bis in die Mitte des 2. Jahrhunderts einige Prophetinnen nachweisen. So gelten die im 1. Jahrhundert in Ephesus und Hierapolis lebenden Töchter des Philippus noch der kleinasiatischen Kirche des ausgehenden 2. Jahrhunderts als Autoritäten apostolischer kirchlicher Überlieferung. Ammia wirkt in der ersten Hälfte oder in der Mitte des 2. Jahrhunderts in der Gemeinde von Philadelphia als Prophetin und erfreut sich noch im Kleinasien der 60er Jahre des 2. Jahrhunderts eines hohen Ansehens. Wie am Beispiel dieser Prophetinnen deutlich wird, sind es also nicht zuletzt Frauen, die das zu den urchristlichen Gemeindeautoritäten zählende Prophetentum bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts in der kleinasiatischen Kirche aufrechterhalten.42 Die Ursache für ihr fortan beobachtbares Verschwinden dürfte in dem allmählich zum Abschluss kommenden Ausbauprozess der kleinasiatischen Kirchenorganisation zu suchen sein, in der das im Urchristentum übliche charismatische Prophetentum keinen Platz mehr hat.

Abb. 12 Am Prunktor von Perge befindet sich eine Statue der Plancia Magna, die als Priesterin des städtischen Kaiserkults ein Diadem trägt, das mit den Büsten von Mitgliedern des Kaiserhauses geschmückt ist.
Neben Prophetinnen lassen sich in Kleinasien auch christliche Lehrerinnen namhaft machen. An erster Stelle ist hier Priska in der urchristlichen Ära als theologische Lehrerin des Apollos zu nennen. Vor allem ist es aber Thekla, eine wahrscheinlich von Paulus bekehrte Frau, die im ausgehenden 2. Jahrhundert von einem pseudepigraphischen Autor als eine im Raum von Antiochien, Iconium und Seleucia öffentlich wirkende Lehrerin dargestellt wird, was wiederum die Existenz entsprechender christlicher Lehrerinnen im damaligen kirchlichen Erscheinungsbild Kleinasiens nahe legt.
Schließlich sei noch auf die in christlichen Hausgemeinden wirkenden Frauen Kleinasiens eingegangen. In den paulinischen Gemeinden von Ephesus und Laodizea (oder Hierapolis) machen sich zunächst in Priska und Nympha zwei Frauen bemerkbar, die Paulus als Mitarbeiterinnen grüßt und als Autoritäten von Hausgemeinden charakterisiert. Folglich könnte er bei anderer Gelegenheit – neben Männern – auch Frauen meinen, wenn er etwa im Philipper-Brief die dortigen Gläubigen zusammen mit ihren anonymen „Episkopen und Diakonen“ (Phil 1,1) grüßt. Denn unter diesen sind zumindest unter den Diakonen auch Frauen denkbar, da in Röm 16,1 in der Person der Phöbe ein weiblicher Diakon bezeugt ist43 und Plinius der Jüngere um 112 im kleinasiatischen Bithynien von ähnlichen christlichen ministrae zu berichten weiß.
Wie ist die bisher behandelte Phänomenologie Kleinasiens zu interpretieren? Ohne Zweifel stoßen die ersten christlichen Missionare im Kleinasien des 1. und 2. Jahrhunderts auf ein für Frauen relativ offenes Milieu, weshalb auch das in dieser Region inkulturierte Christentum zunächst entsprechende Züge trägt. In diesem Licht wird es verständlich, warum die soeben kurz vorgestellten kleinasiatischen Frauen in ihren Gemeinden als maßgebliche Autoritäten wirken bzw. sich in kirchlichen Tätigkeitsfeldern bewegen, die seit dem Ausbau der antiken Kirchenorganisation ausschließlich von Männern wahrgenommen werden. Gerade in letzterer Erscheinung zeichnet sich aber im Kleinasien des ausgehenden 2. Jahrhunderts ein deutlicher kirchlicher Wandel ab: Die ursprünglich relativ locker miteinander kommunizierenden Ortsgemeinden, die vor allem im antiken Oikos beheimatet44 und daher für weibliche und männliche Autoritäten gleichermaßen offen sind, entwickeln sich nunmehr zu regional und überregional systematisch vernetzten Ortskirchen. Den Beginn dieses Prozesses markiert um 195 jene kleinasiatische Bischofssynode, die Bischof Polykrates von Ephesus auf Initiative Bischof Viktors von Rom zur Klärung des Osterfeststreits einberuft.45 Meines Erachtens macht sich hier nämlich ein neuer Inkulturationsvorgang des Christentums bemerkbar, indem sich die kleinasiatische Kirche des ausgehenden 2. Jahrhunderts im Zuge ihrer systematischen regionalen und überregionalen Vernetzung auf die Rezeption imperialer Verwaltungs-, Repräsentations- und Kommunikationsstrukturen einlässt und folglich auf ihre ursprünglich zumindest im Oikos für Frauen offene Position verzichtet; denn eine über die Grenzen des Oikos hinaus öffentlich wirkende Frau ist im Römischen Reich – ja selbst in Kleinasien – nicht denkbar und folglich auch nicht auf einer die Grenzen des Oikos überschreitenden Bischofssynode.
HOFMANN, Johannes, Christliche Frauen im Dienst kleinasiatischer Gemeinden des ersten und zweiten Jahrhunderts. Eine prosopographische Studie, in: Vigiliae Christianae 54 (2000) 283-308 (Frauen im Johannes-Evangelium, kleinasiatische Prophetinnen, Lehrerinnen und weibliche Autoritäten von Hausgemeinden).
NOLLÉ, Johannes, Frauen wie Omphale? Überlegungen zu ‚politischen‘ Ämtern von Frauen im kaiserzeitlichen Kleinasien, in: DETTENHOFER, Maria H. (Hg.), Reine Männersache? Frauen in Männerdomänen der antiken Welt, München 1996, 229-259 (Frauen in der antiken kleinasiatischen Gesellschaft).
2.5.3 Restriktive Tendenzen in den Pastoralbriefen
Vor dem Hintergrund der kleinasiatischen Beispiele wird Paulus also zu Unrecht unterstellt, er habe die Frauen in 1 Kor 14,34 zum Schweigen in der Kirche verurteilt. Zwei Generationen nach ihm, also etwa um 100, machen sich unter dem Einfluss der römisch-patriarchalischen Umwelt aber tatsächlich restriktive Tendenzen bemerkbar. Bei der Interpretation von 1 Tim 2,11-14 wird man nämlich wirklich von einem Lehrverbot für Frauen sprechen müssen. Freilich plädiert selbst der erste Timotheusbrief nicht gänzlich gegen das Mitwirken von Frauen in der Gemeinde. Der für kirchliche Amtsträger gedachte Tugendspiegel von 1 Tim 3,11 verlangt wohl vielmehr von ihren Frauen: „Ebenso sollen die Frauen ehrbar sein, nicht verleumderisch, sondern nüchtern und in allem zuverlässig.“ Man erwartet von diesen Frauen also ein angemessenes Verhalten und rechnet ausdrücklich mit ihrem kirchlichen Engagement. Nachhaltigere Wirkung erzielt freilich 1 Tim 5,3-16 mit seinen Anweisungen über die Witwen.
2.5.4 Die Witwen und Gemeindejungfrauen als kirchlicher Stand
Zunächst geht es in 1 Tim 5,3-16 um die Fürsorgepflicht der Gemeinde für die offensichtlich besonders hilfsbedürftigen Witwen. Doch fallen bei der Beschreibung der Witwen Formulierungen auf, die über die Regelung ihrer Versorgung hinausgehen. So entspricht das Gebot, nur einmal verheiratet gewesen zu sein, den Amtskriterien für den Bischof und die Diakone. Diese Vorschrift hat also, ebenso wie die anschließend aufgezählten moralischen Qualitäten, nichts mit ihrer Bedürftigkeit zu tun. Die wahre Witwe soll vielmehr beharrlich Tag und Nacht zu Gott beten. Alter, Erfahrung und guter Ruf qualifizieren sie außerdem dazu, jungen Frauen beizustehen und sie im Glauben zu unterweisen. Daraus lässt sich zwar kein kirchliches Amt rekonstruieren, doch scheinen Ansatzpunkte für zwei spezifische Aufgaben der Witwen auf: ihr Einsatz als Beterinnen der Kirche und als Lehrerinnen für Frauen.
So wachsen sie allmählich in einen kirchlichen Stand hinein. Denn die Versorgung der von der Gemeinde anerkannten Witwen führt dazu, dass sie ihr Engagement in Gebet, geschlechtsspezifischer Lehrtätigkeit und karitativer Sorge um Waisen, Kranke und Gefangene nicht als beliebiges Handeln, sondern als Erfüllung von beispielhaft-christlichen Standespflichten auffassen, die man kirchlicherseits von ihnen erwartet.
Zu ihnen gesellen sich die so genannten Gemeindejungfrauen, Gruppen von unverheirateten Frauen, deren standesartiges Zusammenwachsen mit den Witwen bereits Ps.-Ignatius um 170 bezeugt. Grüßt er doch am Schluss seines Briefs an die Smyrnäer „die Jungfrauen, die man Witwen nennt“ (Smyrn. 13,1). Diese jungfräulich lebenden Asketinnen, die einige Jahrzehnte später bereits in klosterähnlichen Gemeinschaften anzutreffen sind, sind es, die fortan – ob verwitwet oder nie verheiratet – den Standesnamen Witwen tragen.
Im 3. Jahrhundert mehren sich die Nachrichten über den Stand der Witwen. Sie empfangen beträchtliche kirchliche Privilegien und sind an bestimmte Standespflichten gebunden. Doch kann bei ihnen nicht von kirchlichen Amtsfunktionen die Rede sein. Versorgt und geehrt von der Gemeinde gehören vor allem Enthaltsamkeit, Gebet und karitative Dienste für bedürftige Mitchristen zu ihren Charismen. Im Lauf des 3. Jahrhunderts geraten die Gemeindewitwen freilich immer mehr an den Rand des Gemeindelebens und bilden bisweilen eine klosterähnliche Gemeinschaft. Die ursprünglich im Gemeindeleben verankerten Aktivitäten der Witwen übernehmen dagegen – von Ortskirche zu Ortskirche unterschiedlich organisiert und mit bestimmten Kompetenzen ausgestattet – die so genannten Diakonissinnen.
2.5.5 Die Diakonissinnen – Inhaberinnen eines kirchlichen Amts?
Erste Ansätze eines weiblichen Diakonats werden Mitte des 1. Jahrhunderts bei Phöbe, dem διάκονος der Gemeinde von Kenchreä, deutlich.46 Nach dieser Zeitgenossin des Apostels Paulus und den um 112 im kleinasiatischen Bithynien auftauchenden ministrae schweigen die Quellen für geraume Zeit. Erst Mitte des 3. Jahrhunderts tauchen in der syrischen Didascalía erneut weibliche Diakone auf. Didascalía 3,16 rät dem Bischof, sich Helfer für seine pastorale Arbeit auszuwählen und sie zu männlichen und weiblichen Diakonen zu bestellen. Letztere sollen vor allem Frauen betreuen, die in heidnischen Häusern leben, da der Bischof aus Schicklichkeitsgründen keinen Mann zu ihnen schicken kann. Auch bei der Taufsalbung weiblicher Täuflinge, bei der die Kandidatinnen am ganzen Körper gesalbt werden, sind Diakonissinnen als Helferinnen des Bischofs vorgesehen. Ebenso wird ihnen die Aufgabe zugeteilt, neu getaufte Frauen in den christlichen Glauben einzuführen. Abgesehen von diesen geschlechtsspezifischen Restriktionen fordert die Didascalía aber, dass die männlichen und weiblichen Diakone einig im Rat und eines Sinns im gemeinsamen Dienst sein sollen, auch wenn derselbe Geist der Diakonie in zwei Körpern wohne. In merkwürdiger Inkonsequenz bleibt der liturgische Dienst der Diakonissinnen freilich auf die Assistenz bei der Frauentaufe beschränkt. Denn von einem Dienst am Altar ist nirgends die Rede.
Selbst das in der Didascalía aufscheinende bescheidene Mitwirken der Diakonissinnen am kirchlichen Leben wird in der Folgezeit wieder zurückgedrängt. Zwar bezeugen die Apostolischen Konstitutionen des ausgehenden 4. Jahrhunderts für den syrisch-antiochenischen Raum eine mit Handauflegung verbundene Diakonissinnenweihe und ein dafür bestimmtes Weihegebet, doch schiebt Kanon 19 des Konzils von Nizäa dieser Entwicklung bereits 325 einen Riegel vor, indem er feststellt, dass die Diakonissinnen den Laien zuzurechnen sind, weil sie nicht, wie die höheren Amtsträger, eine Weihe empfangen. Besonderen Wert legt man in der nachfolgenden Gesetzgebung darauf, dass die Diakonissinnen – im Unterschied zu den Diakonen – stets unverheiratet sein oder dem Witwenstand angehören müssen. In diesem Rahmen sind die Diakonissinnen zwar in Ost und West im ganzen ersten christlichen Jahrtausend bezeugt,47 doch in den ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends verschwinden sie aus der Geschichte. Immerhin hat die Liturgie in Gestalt der Witwengelübde und der Äbtissinnenweihe Elemente der mit bischöflicher Handauflegung und Gebet verbundenen Frauen-Ordination aufbewahrt. Vielleicht bilden diese Formulare und die Phänomenologie der kleinasiatischen Christinnen des 1. und 2. Jahrhunderts eine positive Basis, die es der Kirche ermöglicht, in Treue zu Schrift und Tradition, aber auch in Offenheit für die Anforderungen der Gegenwart Konzepte für die Rolle der Frau in der Kirche zu finden.
DASSMANN (wie S. 12) 173-175 (restriktive Tendenzen in den Pastoralbriefen, Witwen und Gemeinde-Jungfrauen, Diakonissinnen).
2.6 Die kirchlichen Ämter und Dienste in der Traditio Apostolica
Die so genannte Traditio Apostolica (künftig: TA) bietet einen klassischen Überblick über alle bisher behandelten und nunmehr voll ausgebildeten kirchlichen Ämter und Dienste. Bis vor einem Jahrzehnt identifizierten zahlreiche Vertreter der neueren Forschung den Verfasser der TA mit dem römischen Presbyter Hippolyt, der um 217 gegen den römischen Bischof Kallist opponiert, sich von dessen Gemeinde trennt und als Gegenbischof eine nach sehr strengen Maßstäben ausgerichtete Schismatikergemeinde leitet. Heute lehnt die Forschung diese Identifikation nicht selten ab und betont den kompilatorischen Charakter der TA.48 Aufgrund ihrer Bestimmungen über die noch zu behandelnden Bekenner (TA 9)49 dürften aber zumindest die Kapitel der TA, die sich mit den kirchlichen Ämtern und Diensten befassen, „vor den großen Verfolgungen in der Mitte des dritten Jahrhunderts“50 entstanden sein. In diesem Rahmen fällt zunächst auf, dass die TA deutlich zwischen den klerikalen Ämtern und den Diensten unterscheidet (vgl. zum Folgenden auch Abb. 13).
2.6.1 Der Klerus in der Traditio Apostolica
Zum Klerus gehören in der Gemeinde der TA Bischof, Presbyter und Diakone. Sie heben sich von den nichtklerikalen Diensten vor allem dadurch ab, dass der Bischof ihnen bei ihrer Amtseinsetzung die Hände auflegt und in einem Gebet den Heiligen Geist auf sie herabruft, damit dieser ihnen die Amtsgnade verleihe.
2.6.1.1 Der Bischof
Die TA beginnt beim Bischof mit seiner Wahl, da der neue Bischof zunächst vom gesamten Volk gewählt werden muss (TA 2). An der Wahl sind laut TA drei Personenkreise beteiligt:
1. Die Gläubigen der betroffenen Gemeinde,
2. die Bischöfe der benachbarten Ortskirchen oder zumindest einige von ihnen sowie
3. das lokale Presbyterkollegium.
Schwieriger ist die Frage nach dem Wahlablauf zu beantworten. Laut TA 2 muss der Bischof zunächst vom gesamten Volk gewählt werden, wobei über den Wahlmodus nichts verlautet. Immerhin geht aber aus TA 2 hervor, dass die Gemeinde den Gewählten auch benennt bzw. nominiert. Daraufhin ist der als untadelig qualifizierte und zum neuen Bischof nominierte Weihekandidat den Nachbarbischöfen zu präsentieren. Stimmen diese seiner Wahl und Nominierung zu, dann steht seiner Weihe nichts entgegen.51
Den eigentlichen Weiheakt beschreibt die TA verhältnismäßig knapp. Laut derselben sollen die am Weihesonntag anwesenden Bischöfe dem Weihekandidaten – unter Zustimmung aller – die Hände auflegen. Eine für die Gültigkeit der Weihe vorgeschriebene Anzahl der Bischöfe fehlt in der TA. Doch wird wohl schon damals der Mitte des 3. Jahrhunderts bei Cyprian von Karthago († 258) bezeugte Brauch üblich gewesen sein, dass möglichst alle Bischöfe der entsprechenden Provinz bei der Weihe eines neuen Bischofs anwesend sein sollen.
Die Handauflegung wird nur von den Bischöfen vollzogen, während die Presbyter schweigend dabeistehen und mit der Gemeinde in ihren Herzen um die Herabkunft des Heiligen Geistes beten. Dieses epikletische Schweigen unterstreicht die für den wirksamen Weihevollzug unverzichtbare Bitte der gesamten Gemeinde um den Heiligen Geist.
Nach dem Zeugnis der TA ist die Handauflegung im 3. Jahrhundert also fest in der liturgischen Praxis der Kirche verankert. Damals erfolgen allerdings nicht nur Bischofs-, Presbyter- und Diakonenweihe unter Handauflegung. Auch während der Taufvorbereitung, unmittelbar vor der Taufe sowie bei der Taufe selbst werden Handauflegungen vollzogen. Der Sinn dieses Ritus ist eindeutig. Er beinhaltet die Herabrufung des Heiligen Geistes auf den Sakramentenempfänger. Bei der Amtseinsetzung soll den Weihekandidaten dadurch also ebenfalls nonverbal eine geistgewirkte Gnadengabe erbetet werden, die sie bleibend für ihre Aufgaben befähigt. Folglich ist die Handauflegung primär ein epikletischer Gestus.
Nach der Handauflegung spricht einer der Bischöfe unter erneuter Handauflegung das in zwei Teile gegliederte Weihegebet (TA 3). Der erste Teil besteht aus einem Lobpreis Gottes, der seine Heilstaten in einem kurzen geschichtlichen Rückblick erinnernd (anamnetisch) in die Gegenwart hereinholt und so von Abraham über die alttestamentlichen Herrscher und Priester bis zu Jesus und den Aposteln eine zusammenhängende Linie zieht. Gott selbst habe sich in diesem Sinn in der Geschichte immer wieder Priester erwählt. Ein Bruch zwischen dem levitisch-aristokratischen Erbpriestertum des Alten Testaments und den zur Diakonia verpflichteten Amtsträgern des Neuen Bunds kommt dem Verfasser der TA also nicht mehr in den Sinn. Der zweite Teil des Gebets besteht aus einer Bitte, die dem Erwählten die Kraft des leitenden Geistes erfleht. Hier liegt also eine Epiklese vor, die Gott um die Ausgießung geistgewirkter Leitungsgaben auf den Weihekandidaten bittet, damit er die Aufgaben und Vollmachten eines Hirten und Priesters ohne Tadel ausüben kann.
2.6.1.2 Der Presbyter
Den in der TA als Gemeindeleiter charakterisierten Bischof umgibt ein Kollegium von Presbytern. Wichtig ist, dass die TA nur selten von einzelnen Presbytern spricht. Mit der Kollektivbezeichnung Presbyterium weist sie auf den kollegialen Charakter des Presbyterats hin: Die Presbyter sind kollegial zusammenwirkende Helfer und Berater des Bischofs. Im Gebet zur Presbyterweihe wird daher um den Geist des Rates des Presbyteriums gebetet (TA 7), wobei der Geist des Rates sowohl die Eingliederung des Presbyters in das Kollegium als auch seine Beraterfunktion fördern soll.
Als Helfer assistieren die Presbyter dem Bischof bei der Spendung der Taufe.52 Obwohl sie im Weihegebet der TA nirgends mit der Eucharistie in Verbindung gebracht werden, kann der Dienst der Presbyter bei der Eucharistiefeier doch sicher benannt werden: Sie sprechen zusammen mit dem Bischof das Eucharistische Hochgebet, sind also seine „fast ebenbürtigen“ Konzelebranten, helfen ihm beim Austeilen der eucharistischen Gaben und vertreten ihn daher wahrscheinlich auch in seiner Abwesenheit in der Gemeinde-Eucharistie. In diesem Fall dürften sie wohl die für den Bischof vorgesehenen Gebete sprechen, da ihnen laut der TA kraft ihrer Weihe – wie dem Bischof – das Priestertum (sacerdotium) zukommt. Außerdem übernimmt in Abwesenheit des Bischofs ein Presbyter den Vorsitz beim Liebesmahl (Agape) der Gemeinde und segnet und verteilt dabei Brotstücke (eulogiae) (TA 28).