- -
- 100%
- +
Der Sergeant schmunzelte. „Kaum zu glauben, wie weit sich die Siedler schon überall verteilt haben.“
„Wenn sich Washington und die Indianer erst einmal geeinigt haben, wird es noch viel schlimmer werden! Dann werden alle nur noch hierher wollen! Neues, freies Land! Es wird von Siedlern und Heimstättern, Gesetzlosen und Herumtreibern nur so wimmeln.“
„Das befürchte ich auch.“ Nachdenklich legte Ron den Kopf schief. Auf seiner Stirn bildeten sich kleine Fältchen. „Dann wird es genauso zugehen wie in Oregon damals, als der große Run anfing und tausende von Menschen das Land stürmten!“
„Hmm“, machte Julie und hob die Schultern. „Ich bin froh, dass wir uns nicht an so etwas beteiligt haben.“
Ron hob die Brauen. „Dafür habt ihr etwas anderes getan.“ Es klang scharf und er verbesserte sich hastig, als er ihr betroffenes Gesicht bemerkte. „Ich meine, es war ja in erster Linie die Schuld von diesem Halunken und nicht eure und...“
„Nein“, fiel Julie ihm ins Wort. „Es war auch teils unsere. Wir hätten nur auf einen Mann hören sollen, der sich erkundigt hat und der eine Ahnung hatte, aber wir wollten alle nur schnellstmöglich irgendwo ankommen.“
„Julie...“ Seine langen, schlanken Finger fassten sie an der Taille. Er richtete sich auf. Jetzt, da er direkt vor ihr stand, fiel ihr Größenunterschied umso deutlicher auf. Julie musste ihren Kopf weit in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können. Er lächelte sanft zu ihr herab. Die Wärme und Güte, die dabei von ihm ausgingen, übermannten sie. Er vermochte Gefühle in ihr auszulösen, die sie nicht kontrollieren konnte und die sie noch nie zuvor für einen Menschen empfunden hatte. Würde jetzt ein Cherokee zur Tür hereinkommen – sie würde sich zwischen ihn und den Sergeant stellen.
„Oh, Ron!“ Hastig schlang sie ihre Arme um seinen muskulösen, sehnigen Körper und presste ihr Gesicht an sein Hemd. Sie fühlte, wie seine Lippen ihr einen Kuss aufs Haar drückten und schlagartig wurde ihr bewusst, wie ungehörig sie sich benahm. Ein Mädchen warf sich doch nicht einem Mann um den Hals! Was sollte er jetzt von ihr denken? Sie fuhr zurück.
Seine blauen Augen betrachteten sie zärtlich und voller Wärme. Er lächelte. Einen Augenblick schien er zu zögern, dann beugte er sich zu ihr hinab. Seine Lippen drückten sich sacht auf die ihren. Er wartete einen Moment ab, was geschehen würde.
Julie schloss die Augen. Abgesehen von Hardy war sie noch nie von einem Mann geküsst worden und das hier war völlig anders. Wie von alleine legten sich ihre Arme um seinen Hals und sie erwiderte seinen Kuss. Es war ein herrliches, ein unbeschreibliches Gefühl! Sie konnte es nicht länger leugnen und verdrängen – sie liebte ihn. Sie liebte Sergeant Ron McVeagh und sie empfand Dinge, wenn er in ihrer Nähe war und sie anlächelte oder berührte, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten.
Immer und immer wieder suchten sich ihre Lippen und Ron wurde mutiger, seine Küsse leidenschaftlicher und intensiver. Julies Arme, die sich fest um seinen Hals klammerten, ermutigten ihn. Er presste sie fest an sich. Unter dem dicken Stoff ihres Kleides konnte er ihre runden, festen Brüste spüren und es kostete ihn einige Überwindung, endlich von ihr abzulassen. Ihre großen, bernsteinfarbenen Augen betrachteten ihn und er fragte sich, was wohl in ihrem Kopf gerade vor sich ging.
„Ich...ich muss weitermachen, sonst werde ich nicht fertig. Und dann muss ich nach Hause, meine Eltern warten“, stieß sie atemlos hervor und senkte den Kopf, damit er nicht sehen konnte, wie sich ihre Wangen rot verfärbten.
Er lächelte. „Natürlich. Ich muss auch zurück zu den Männern.“
Er löste seine Arme und gab sie frei. Ihre Hände strichen kurz über seine Brust hinab, bevor sie sich abwandte und zur Verbindungstür trat.
„Vielleicht...nun ja, vielleicht sind meine Stiefel ja mittlerweile trocken.“
Er folgte ihr zum Hinterzimmer und lehnte sich in den Türrahmen. Seine blauen Augen glitten durch den kleinen Raum, der an die Praxis angrenzte. „Hier hat Doktor Retzner gelebt?“
„Ja.“ Julie trat an den kleinen Herd, rechts hinter der Tür und betastete ihre Reitstiefel. Sie zuckte die Schultern. „Ich fürchte, das Bad im halbgefrorenen Bach hat ihnen den Rest gegeben.“
Ihre Hände griffen nach ihrem Reitrock, den sie an einer Schnur darüber aufgehängt hatte. Auch er war noch nass und sie wandte sich lächelnd dem jungen Sergeant zu. „Macht nichts. Meine Eltern sehen es sowieso lieber, wenn ich mich wie eine richtige Dame kleide.“
Ron schmunzelte, während seine blauen Augen sie liebevoll betrachten. Niemand, glaubte Julie, kann so warm und gütig und herzlich zugleich auf einen herabsehen, wie er es vermag.
„Das...das da sind alles die Medizinbücher, in denen er immer gelesen hat“, sagte sie, nur um das Schweigen zu brechen und deutete auf den kleinen Tisch am anderen Ende des schmalen Zimmers, der sich unter der Last der dicken, schweren Bände bog. „Ich lese so oft wie möglich darin, aber es hilft am Ende meist doch nicht. Ich bin eben kein Arzt und ich verstehe vieles nicht.“
Außer einem Bett, einem Stuhl und einem Schrank befanden sich keine weiteren Möbelstücke in der winzigen Stube, die für Doktor Retzner leicht ausgereicht hatte.
„Wenn wieder ein Arzt mit einem Siedlertreck ankommt“, meinte Ron, „kann er gleich hier einziehen. Es ist schon alles da.“
„Nicht ganz“, warf Julie ein und deutete auf den Schrank. „Ich habe Hardys...ich meine, Doktor Retzners Sachen verschenkt. Seine Hosen und Hemden, die Jacken und Schuhe. Er braucht sie ja nicht mehr und...nun, ich bin sicher, dass er das so gewollt hätte. Es wäre ihm nicht recht gewesen, wenn seine Kleidung ungenutzt und sinnlos herumhängt. Es gibt genügend Männer hier, die sie gerne und dankbar genommen haben.“
Ron biss sich kurz auf die Lippen. Er hörte die Wehmut und den Schmerz über den Verlust aus ihrer Stimme heraus. „Ihr...ihr seid euch wohl sehr nahe gestanden?“
Julie schluckte. Ihr Blick glitt durch den vertrauten, spartanisch eingerichteten Raum. „Er hat mir sehr viel beigebracht. Er hat mir geholfen, als ich wirklich jemanden gebraucht habe und vor allem: Er hat mir gezeigt, wer ich bin und was ich möchte. Das werde ich ihm nie vergessen.“
Rons blaue Augen schauten sie lange und abschätzend an. Er hätte gerne weiter gefragt, doch er ließ es bleiben. Er spürte, dass sie dazu noch nicht bereit war, dass die Wunde noch zu groß war, noch zu frisch. Er lächelte sein eigenes, unvergleichliches Lächeln und streckte den Arm nach ihr aus.
„Komm. Es wird Zeit, dass du mit deiner Arbeit fertig wirst und ich muss zurück zu den Männern. Sie werden sich schon fragen, wo ich mich verlaufen habe!“
„Ja“, erwiderte Julie und nahm seine Hand. „Ich muss mich beeilen.“
Er zog sie an sich, um sie noch einmal lange und leidenschaftlich zu küssen, dann wandte er sich ab und griff nach seinem Hut, der auf dem Behandlungstisch lag.
„Bis morgen, Julie.“
„Gute Nacht, Ron.“
Er ging zur Tür, fasste die Klinke, hielt jedoch noch einmal inne. Er drehte sich zu ihr herum und stellte fest, dass sie ihm regungslos nachblickte.
Er lächelte sie an. Ein äußerst zufriedenes, sehr männliches Lächeln machte sich auf seinem gutaussehenden Gesicht breit und er riss die Türe auf, um hastig hinaus in die Kälte und Dämmerung zu treten. Der eisige Windhauch, der ihm entgegenschlug, brachte ihn in die Gegenwart zurück und ließ ihn unsanft auf die harte Erde zurückfallen. Es war gut, dass er ging. Jede weitere Minute hätte ihn Überwindung gekostet und den Wunsch, ihr näher zu sein, als er im Augenblick durfte, noch verstärkt. Langsam marschierte er die Straße zur Pension hinab. Seine langen, schlanken Beine in den blauen Hosen und den hohen Stiefeln griffen weit aus und ohne es zu wissen, lächelte er vor sich hin. Sie schien so ganz anders zu sein als all die Mädchen, denen er vorher begegnet war, so natürlich und ehrlich und voller Vertrauen in das Leben und ihr Glück. Gleichzeitig war sie gebildet und zurückhaltend und dennoch mit dem nötigen Selbstbewusstsein ausgestattet. Ein Mädchen, das sich ein Mann wie er nicht einmal gewagt hatte, zu erträumen. Ein Mädchen, das vielleicht akzeptieren konnte, wer er war und wie er es bevorzugte zu leben, die es vielleicht sogar genießen konnte. Es gab nichts, was er sich in diesem Moment sehnlicher wünschte.
Julie war noch immer nicht damit fertig die Medikamentenliste zu vervollständigen, als Hugh die Türe aufdrückte und ins warme Innere trat.
„Na?“, fragte er scheinheilig und grinste. „Waren noch viele Patienten hier?“
Julie schüttelte den Kopf. „Nein, heute Abend überhaupt niemand. Nur heute Vormittag musste ich Miklós die Hand verbinden, weil er sie sich im Stalltor eingeklemmt hat und dann war ich draußen bei den Stromsons.“
„Aha! Und – wie geht es Geertje?“
„Gut! Hervorragend! Sie achtet sehr auf sich und befolgt alle meine Anweisungen!“
„Das gefällt dir, was?“ Er lachte leise auf und sprang beiseite, als sie die leere Holzkiste nach ihm warf. Sie krachte gegen die Wand neben der Tür.
„Sei still! Sag mir lieber, was du willst!“
„Dich zum Abendessen holen! Vater ist ziemlich böse, weil du schon wieder zu spät kommst!“
„Dafür kann ich nichts!“, entrüstete Julie sich aufgebracht und zog die oberste Schublade des Schreibtisches auf, um die Liste darin zu verstauen. „Ich habe schließlich hier alleine das zu tun, was Hardy und ich vorher zu zweit geschafft haben.“
„Nicht ganz“, verbesserte Hugh sogleich. „Die schweren Fälle schickst du doch schon zum Arzt in Fort Gibson.“
„Ich kann auch nicht operieren oder irgendwelche komplizierten Sachen behandeln!“, fuhr Julie ihn ärgerlich an. „Sonst werde ich noch wegen Mordes verklagt!“
Hugh grinste verschmitzt. „Ich weiß, Schwesterherz. Du bist ungeheuer mit einem gewissen jungen Sergeant beschäftigt, der jeden Tag diese Praxis aufsuchen muss! Er scheint wirklich an einer sehr ernsten Krankheit zu leiden!“
Julie schnappte nach Luft. „Oh, du!“ Sie errötete und ärgerte sich noch mehr, denn sie wusste, dass sie sich damit verraten hatte.
„Du brauchst mich nicht anzuschwindeln! Ich habe Augen im Kopf!“, lachte ihr Bruder und lehnte sich gegen die Türe. „Und ganz unsensibel bin ich auch nicht!“
„Nein“, erwiderte Julie und schaute ihn fest an. „Da merkt man unsere Verwandtschaft, also: Was ist los mit dir? Du läufst seit Tagen herum, als sei etwas geschehen!“
Hugh schluckte. Er hätte wissen müssen, dass er vor ihr nichts verheimlichen konnte. Außerdem war er eigentlich ganz froh, sich jemandem mitteilen zu können. Sein Vorhaben, von dem bisher niemand etwas wusste, und sein Gewissen quälten ihn jeden Tag mehr.
„Ich...ich werde fortgehen von hier“, murmelte er undeutlich.
„Fortgehen?“, wiederholte seine kleine Schwester fassungslos. „Aber...wohin denn? Und wieso?“
„Julie!“ Eindringlich packte Hugh sie an den Oberarmen. „Wenn ich hierbleibe, wird aus mir nie etwas anderes werden als ein Lehrer, der diesen Beruf nicht studiert hat und Vaters Nachfolger!“
„Und das möchtest du nicht“, erkannte das siebzehnjährige Mädchen leise. Sie hatte es gespürt, die ganz Zeit über schon war ihr klar gewesen, dass ihn etwas Wichtiges, etwas Entscheidendes beschäftigte.
„Nein!“ Entschlossen schüttelte Hugh den Kopf. „Ich werde nach New York gehen – um Medizin zu studieren.“
„Medizin?“ Julies Augen begannen zu leuchten. „Wirklich, Hugh? Wirklich? Du möchtest Arzt werden?“
Er lächelte. „Ja, wirklich!“
Sie fiel ihm um den Hals. „Oh, das ist großartig! Wie stolz wäre Hardy darauf, das zu erfahren!“
Eine lange Pause entstand. Hugh presste sein Gesicht in ihr weiches, rotblondes Haar, das zu einem Zopf geflochten war.
„Ich habe ihn so oft dabei beobachtet, heimlich, wenn er die Patienten behandelt hat. Noch nie zuvor habe ich eine solch sinnvolle Aufgabe gesehen – anderen Menschen zu helfen.“
„Und keine verantwortungsvollere“, fügte Julie leise hinzu. Sie wusste, wovon sie sprach. Sie erlebte es beinahe täglich und fühlte sich dabei häufig so entsetzlich überfordert und alleingelassen.
„Ich werde sehr stolz auf dich sein“, erklärte sie und strahlte zu ihm hinauf.
„Tu’ mir einen Gefallen“, bat er. „Erzähl Vater und Mutter noch nichts. Bis Weihnachten werde ich auf jeden Fall noch da sein und danach...nun, das entscheidet sich, wenn ich den Brief bekomme! Hoffentlich bald!“
„Welchen Brief?“
„Die Bestätigung der Universität, dass ich mich dort einschreiben kann zum Beginn des nächsten Semesters. Ich kann nur hoffen, dass meine Qualifikationen ausreichend sind und dass sie meine Zeugnisse aus Deutschland anerkennen.“
Julie lächelte und fühlte doch gleichzeitig einen Stich in ihrem Herzen. Er würde fort gehen und sie wusste nicht, wann sie ihn wiedersehen würde. Das jedoch, was er tun wollte, war großartig. Sie wünschte nur, sie müsste nicht ertragen, ihn gehen zu lassen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.