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„Man, unsere Athletin sieht man es ja mittlerweile tatsächlich an, dass sie Schwanger ist!“, sagte Angela kurz darauf bewundernd, ehe sie im nächsten Moment Annes Top einfach ein Stück hochzog. „Ja, wenn das mal kein süßer Spitzbauch ist!“, legte sie daraufhin ihre rechte Hand auf Annes Bauch und streichelte diesen dann mit zarten, aber festen Kreisbewegungen. „Da wird sich der Vater aber freuen!“, sah sie Anne vordergründig grinsend ins Gesicht, bevor sie anfügte: „Apropos, wo wir gerade von dem Vater reden, ist Ole eigentlich auch da?“.
„Du weißt genau das Ole nicht der Vater des Kindes ist! Also was soll das?“, nahm Anne Angelas Hand von ihrem Bauch. „Und nein, Ole ist nicht da! Er arbeitet mit den anderen Männern den Maibaum auf“, fügte sie so wütend wie schon lange nicht mehr hinzu, während sie sich sorgsam wieder bedeckte. Dabei fixierte sie Angela aus dem Augenwinkel heraus. ‚Nein, sie hatte Angela und ihre Spielchen wirklich nicht vermisst!‘, grollte sie innerlich, bevor sie kurz bewusst tief bis in den Bauch hinein atmete.
„Also dann“, besann sie sich wieder auf ihren eigentlichen Plan, wobei sie Angela mehr breit grinsend als lächelnd ansah. „Willkommen auf La Gomera! Soll ich dir vielleicht mit dem Gepäck helfen?“
„Nein danke!“, lächelte Angela ebenso zurück, ehe sie ihr Gepäck aufhob.
Mit schnellen, raumgreifenden Schritten ging Angela zur Finka hinüber, wobei sie schon von weitem die Deads mit Touch of Grey aus der Wohnküche Dröhnen hörte. Dort angekommen huschte ihr ein diebisches Lächeln übers Gesicht, während sie bewusst leise von hinten auf Leonora zuging, die am Arbeitstisch in die Musik versunken Brotteig knetete und dabei leise mitsummte. Kaum das sie hinter Leonora getreten war, legte Angela ohne Vorwarnung ihre Arme einfach um Leonoras Hüften, wobei sie sanft ihren Nacken küsste, bevor sie ihr laut ins Ohr schrie: „Hallo Lennie, hier hat sich ja wirklich gar nichts verändert!“.
Wie von Blitz getroffen, zuckte Leonora kurz zusammen, bevor sie ihre Hände aus dem Teig zog und diese so nach oben schnellen ließ, als ob sie sich ergeben wollte. Mit kreidebleichem Gesicht und stark pochendem Herzen drehte sie sich daraufhin langsam nach hinten um. „Angela, du? Du hast mich ja eben fast zu Tode erschreckt, so etwas kannst du doch nicht machen!“, sagte sie erbost, ehe auch sie zu Lächeln anfing. „Oh wie schön, dass du es doch noch rechtzeitig geschafft hast! Warte bitte einen Moment! Der Teig ist eh gleich fertig und kann dann gehen“, sah sie kurz hilflos auf ihre mit Brotteig verschmierten Hände, ehe sie ein paar abschließende Knetbewegungen machte und den Teich noch ein paar Mal mit Schwung auf die Arbeitsplatte knallte. Daraufhin ging sie zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf, über den ein Schild klebte mit der Aufschrift: agua de lluvia, und wusch sich gründlich die Hände. Nachdem sie dann auch noch die Musik leiser gedreht hatte, wandte sie sich wieder Angela zu und nahm sie überschwänglich in den Arm. „Gut siehst du aus! Sag, wie geht es dir?“, dabei drückte sie sie fest an sich.
„Danke Lennie, wie immer alles in bester Unordnung. Unkraut vergeht halt nicht!“, erwiderte Angela die Umarmung. „Auch wenn ich nicht glauben kann, dass ich im Moment gut aussehe! Ehrlich gesagt, habe ich seit Tagen nicht geduscht, da ich auf der Fähre keine Kabine mehr bekommen habe. Doch das war mir egal, ich wollte doch unbedingt heute hier ankommen! Heute ist doch Beltane, oder?“
„Sicher Kind, sicher! In einer Stunde ziehen wir los. Nimm dir etwas zu essen und dann ab unter die Dusche! Beltane ist immerhin das Fest der Reinigung und dass solltest du nicht so begehen!“, griff sie sich an die Nase und winkte mit ihrer rechten Hand in Richtung des Badezimmers.
„Okay, ich geh mich dann mal frisch machen“, gab Angela ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sie ihre Sachen von Boden aufsammelte und ging.
Wie bei einem Kind rieb Sophia Martin liebevoll mit einem frischen, harten Handtuch über den Rücken, die Brust und den Armen, wobei sie gleichzeitig immer wieder seinen Nacken küsste.
Martin saß währenddessen auf dem Wannenrand und genoss das behaglich, sinnliche Gefühl, welches sie mit dem Handtuch auf seiner Haut und in ihm auslöste. Doch als sie anfing seine Stümpfe vorsichtig zu trocknen, und zu betasten, öffnete er die Augen und sagte: „Nicht, dass mag ich gar nicht!“. Dabei legte er seine Hand auf ihre, um sie so am Weitermachen zu hindern.
„Oh, entschuldige bitte!“, sah sie überrascht und ein wenig gekränkt zu ihm hoch. „Das tut mir leid! Ich wollte diesen schönen Moment nicht zerstören“, erhob sie sich langsam und nahm sein Gesicht in ihre Hände, um zärtlich seine gekräuselten Lippen zu küssen, bevor sie sein Gesicht in ihren vollen Busen presste.
Kurz genoss Martin das Gefühl darin zu versinken, und ihren lieblichen Geruch in sich aufzusaugen. Doch dann mit einem Mal legte er seine Hände gegen ihr Becken und stieß sie unsanft von sich weg. „Danke, das reicht!“, sagte er dabei schroff, ohne aufzuschauen, wobei er schwer ein- und ausatmete.
„Ach Martin, nun komm schon! Ich hatte mich doch schon entschuldigt!“, sah sie mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis zu ihm hinunter, bevor sie sich unsicher neben ihn auf den Wannenrand setzte, wobei sie den Wunsch unterdrückte, ihn in den Arm zu nehmen. Stattdessen legte sie ihren Kopf zur Seite und betrachtete ihn eine Zeitlang, bis sie die angespannte Stille nicht länger ertrug: „Weißt du, ich mag dich einfach so, wie du bist!“.
„Danke, dass ist nett! Nur, was weißt du denn schon großartig von mir. Außer das du mich vorhin hier vorgefunden hast, wobei es ziemlich offensichtlich war, dass ich die Nacht mit deiner Mutter verbracht habe“, sah er ihr ungläubig in die Augen, bevor er sich unsicher von ihr abwandte.
„Und das sagt mir, dass sie einen ziemlich guten Eindruck von dir haben muss. Ansonsten hätte sie dich nicht eingeladen über Nacht zu bleiben. Sie hat nämlich eine ziemlich gute Menschenkenntnis und hat bestimmt ebenso deine sehr schöne Aura bemerkt“, rückte sie vorsichtig ein Stück näher an ihn heran und küsste ihn sanft über den Rücken.
„Das ist ja man interessant! Ich habe also eine sehr schöne Aura und was genau siehst du darin?“, sah er sie irritiert an.
„Oh, du meinst, was ich genau darin sehe?“, lächelte sie ihn an, bevor sich konzentriert ihre Stirn kräuselte. „Also, zunächst einmal spüre ich nur deine Astralaura und die hat zurzeit sehr starke Blautöne, welche die darunterliegenden Purpurroten Töne überdecken.“
„Ach so, ja dann, dann ist ja alles klar!“, lachte Martin plötzlich spöttisch, während er sich daran machte seine Prothesen anzulegen. „Und ich kann mir denken das ist nichts Gutes, oder Hippiekind?“, drehte er sich zu ihr hin und warf ihr einen kurzen kritischen Blick zu.
Bei dem Wort Hippiekind musste Sophia grinsen, war ihr Vater doch der Antihippie schlecht hin und wie ihre Eltern zueinander finden konnten und sie dabei herauskommen konnte, ist ihr bis heute ein Rätsel. So gab sie sich mittlerweile mit der Annahme zufrieden, dass dies eigentlich nur mit Drogen zu tun haben konnte. Unabhängig davon konzentrierte sie sich weiter darauf, Martins Frage zu beantworten: „Okay, kurz zusammengefasst: Du bist ein spiritueller, kreativer und zielorientierter Mensch, nur neigst du zur manischen Depression und Isolation!“.
„Na super, dann hat deine Mutter dir also doch von mir erzählt. Das ist ja…“, fing er gerade an sich aufzuregen, da wurde er mitten im Satz dadurch unterbrochen, dass sich erneut die Wohnungstür öffnete.
Kopfschüttelnd sah Leonora Angela amüsiert hinterher, wobei sie Anne bemerkte, die die Begrüßung der beiden aus einigem Abstand beobachtet hatte. Kurz betrachtete sie Anne eingehend, ehe sie sagte: „Irgendwie verspüre ich gerade eine Spannung in der Luft, die noch nicht da gewesen ist, bevor Angela hier aufgetaucht ist. Hast du dafür vielleicht eine Erklärung?“.
„Ich, nein wieso?“, schüttelte Anne verneinend ihren Kopf, während sie dabei abwehrend ihre Arme vor der Brust verschränkte und auf den Boden starrte.
„Schade, denn ich wüsste nur zu gerne, warum Angela in dir so viele negative Gefühle auslöst“, setzte Leonora ein mütterliches Lächeln auf und ging ein paar Schritte auf Anne zu.
„Häh, wie kommst du denn auf so was?“, wurde Annes Stimme mit einem Mal eine Nuance tiefer und aggressiver.
„Oh, das ist nicht schwer zu erraten. Deine Körperhaltung und deine Stimmenlage sagen mehr als 1.000 Worte, Kind“, strich Leonora Anne aufmunternd über ihre verschränkten Arme.
„Okay, du hast ja Recht! Ich bin eine lausige Schauspielerin“, verzog Anne das Gesicht, wobei sie ihre Arme resignierend sinken ließ. „Ach, ich weiß auch nicht, Angela ist mir einfach zu extrem. Alles an ihr ist so…. Grrr!“, hob sie ihre Arme erneut in die Höhe, wobei ihre Finger eine krallenartige Stellung einnahmen. „Außerdem mag ich nicht, was sie mit Ole anstellt. Oh, …“, stockte sie mit einem Mal, wobei sie Leonora flehend ansah. „Das darfst du aber niemanden erzählen, versprochen? Und schon gar nicht Lotta!“
„Warum sollte ich ihr etwas verraten, was doch ganz offensichtlich ist?“, strich Leonora kurz über Annes mittlerweile rötlich schimmernden Wangen.
„Was, das ist jetzt schon offensichtlich?“, empörte sich Anne von neuen, während sie ihre Armmuskulatur anspannte.
„Nein, woher denn?“, konnte Leonora sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Angela ist lediglich eine schöne und selbstbewusste junge Frau, die ihre Umwelt mit ihren Reizen zu dominieren weiß. Kein Wunder also, dass ihr die Männer zu Füßen liegen! Die Männer meinen zwar immer das starke Geschlecht zu sein, doch sind sie es wahrlich nicht.“
„Tja, wenn das man alles wäre. Mit dieser Erkenntnis lebe ich schon lange!“, brummte Anne, bevor sie sich auf den Absatz umdrehte und die Küche ohne ein weiteres Wort verließ.
Bizarrer Habitus
Kurz sah Roswita sich verblüfft in ihrer Wohnung um, dann lächelte sie, als sie ihre Tochter und Martin im Badezimmer entdeckte: „¡Holà! Das ist ja schön, dass ihr euch schon miteinander bekannt gemacht habt. Ich will auch nicht weiter stören. Ich habe lediglich meine Athame vergessen und die brauche ich doch nachher“, lächelte sie entschuldigend, ehe sie zu einer Kommode ging und aus einer der Schubladen eine kunstvoll verzierte, hölzerne Schatulle herausholte.
Dann ging sie zur Tür zurück und ergriff eine Leinentasche, die sie kurz zuvor dort abgestellt hatte, dabei lächelte sie den beiden erneut zu: „Ich muss jetzt leider gleich wieder los. Aber wir sehen uns ja Morgen, bei den anderen oben in der Siedlung zum Maitanz. Also gut bis dann, ich muss mich jetzt leider beeilen. Ach, und Martin, heute Nacht werde ich es wohl nicht mehr schaffen. Also steht es dir frei, wo und wie du sie verbringen willst!“, warf sie ihm einen entschuldigenden Blick zu und wandte sich von ihnen ab, um zu gehen.
Dann stockte sie jedoch: „Ach was soll’s“, kam sie strahlend auf die beiden zu. „So viel Zeit muss sein! Schön, so ein erfrischendes Bad hätte ich jetzt auch gerne genommen!“, roch sie kurz an Martin, der immer noch stocksteif dasaß und sich nicht rührte. „Mm, riechst du gut!“, beugte sie sich weiter zu ihm runter und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Danach wandte sie sich ihrer Tochter zu, die im Gegensatz zu Martin völlig entspannt neben ihm saß. „Gut siehst du aus, mein Augenstern. Amüsiert euch ruhig weiter, ich muss jetzt leider wirklich los!“, gab sie auch ihrer Tochter einen Kuss, bevor sie ihre Nase kurz in Sophias krausen, nassen Haaren vergrub.
„Buenas noches madre! Y pásatelo muy bien“, lächelte Sophia daraufhin ihre Mutter an.
„Tambien!“, fuhr Roswita mit dem Handrücken über Sophias Gesicht, bevor sie etwas in Martins Blick entdeckte, als sie ihn erneut ansah. „Oh, ist alles in Ordnung?“, sah sie ihn daraufhin besorgt an.
„Ja, mach dir bitte keine Sorgen. Wir beide verstehen uns blendend!“, legte Sophia zum Beweis ihre Hand auf Martins Oberschenkel. „Grüß bitte die anderen von mir und sag Lotta ich bin morgen auf jeden Fall dabei!“
„Bien“, küsste Roswita ihrer Tochter noch einmal auf die Stirn und lächelte beim Gehen Martin zu, dessen Gesicht sich mittlerweile zu einer fragenden Fratze gewandelt hatte.
Kaum hatte sich die Eingangstür hinter Roswita geschlossen, verließ Martin polternd das Badezimmer und kleidete sich wortlos an. Dabei wich er bewusst Sophias fragenden Blicken aus, während seine Gedanken Achterbahn fuhren. Denn als Lustobjekt für Mutter und Tochter herzuhalten, war selbst unter seiner kaum noch vorhandenen Würde. Alt 68‘er oder das was auch immer hier von der freien Liebe übriggeblieben ist, hin oder her: ‚Wie konnten die beiden nur so schamlos sein!‘. Oder vielmehr: ‚Wie konnte er nur so schamlos sein?‘.
Nicht, dass das was er bisher getan hatte, nach westlichen Moralvorstellungen immer einwandfrei gewesen war. Immerhin hatte er ein Kind mit der Zwillingsschwester seiner verstorbenen, großen Liebe. Doch dies hier hatte eine andere Qualität und war selbst in seinem Wertesystem ein No-Go. Sicher, Roswitas Aufmerksamkeit tat ihm gut und ohne sie hätte er es vielleicht auch schon vor ein paar Tagen getan und wäre von den alten Kackfelsen in die selbstgewählte Erlösung gesprungen. Und obwohl sie vom Alter her gut seine Mutter sein konnte, hatte sie ihn begehrt und er sie, was er immer noch nicht glauben konnte. Hatte er vielleicht am Ende ein Mutterkomplex und stand auf Milfs?
‚So ein Quatsch!‘, huschte ihm ein schelmisches Lächeln übers Gesicht. Denn auf einmal musste er an Sophia denken, die hier einfach aufgetaucht war und ihn quasi in Vorbeigehen vernascht hatte, wie ein Erdbeereis an einem sonnigen Tag, und sie, hatte er ja auch begehrt. Doch je mehr er darüber nachdachte, umso benutzter fühlte er sich.
Daher sehnte er sich in die vertraute Einsamkeit seiner Höhle zurück und nach dem Wahnsinnsgefühl, oben auf den Kackfelsen zu stehen, der ihm jederzeit die Möglichkeit bot, dies alles hier selbstbestimmt zu beenden. Denn nur dort oben fühlte er sich wirklich frei in der Entscheidung, was seine Zukunft betraf. So verabschiedete er sich Wortkarg von Sophia und verließ kurz darauf Roswitas Wohnung und machte sich auf, in seine Eremitage zurückzukehren.
Schon von weitem konnte Martin flackernde, helle Lichter sehen, die seine geliebte Bucht erhellten. Missmutig, dort nicht die ersehnte Einsamkeit zu finden, ging er deswegen nicht hinunter zur Bucht, sondern um sie herum und zum alten Kackfelsen hinauf.
Oben angekommen, hielt er erstaunt die Luft an, als er zur Bucht hinuntersah, ehe er sich im nächsten Moment bäuchlings nach vorne auf die noch warmen Steine fallen ließ, um nicht gesehen zu werden.
Denn dort unten am Strand hatten sich nicht ein paar Touristen versammelt, wie er zunächst vermutet hatte. Sondern dort unten schritt eine Prozession aus Frauen, die lediglich mit einem Blumenkranz auf dem Kopf bekleidet waren, um einen Kreis aus grünen und roten Fackeln. Währenddessen rezitierten sie irgendwelche Verse in einer Art Singsang, die er nur kaum oder nur bruchstückhaft verstand und die wohl irgendetwas über einen Rundgang aussagten, den sie gerade beschritten.
Ungläubig blinzelnd kniff er sich mit dem rechten Daumen und Zeigefinger in den linken Unterarm, um auszuschließen, dass er träumte. Doch der Schmerz war so real, wie dann wohl auch die Prozession der spärlich bekleideten Frauen, die er unter sich sah. So wagte er kaum zu atmen, während er sich die Szene unten am Strand genauer besah.
In der Mitte des Kreises befanden sich zwei sorgsam geschichtete, unterschiedlich hohe Holzhaufen. Davor stand ein steinerner Tisch, der wie ein Altar aussah und auf dem zwei Kerzen brannten. Zwischen den Kerzen befand sich auf einer kleinen weißen Decke ein Kelch, sowie auf einer kleinen schwarzen Decke ein silberner Dolch. Davor standen in einer Reihe vier silberne Schalen.
Außerhalb des Kreises entdeckte er links und rechts mehrere kleine Tische, die in einer Reihe standen und auf denen sich Früchte, Käse, Brote, sowie Flaschen mit rotem Inhalt befanden. Auf den Boden davor standen mehrere Stallleuchten, deren Kerzen im inneren jedoch nicht brannten.
Nachdem er beobachtet hatte, wie die Damen den Kreis noch 2-mal abgeschritten waren, blieben sie mit einem Mal stehen und stellten sich mit den Rücken zum Holzhaufen auf, während sie vernehmlich summten. Dann lösten sich vier Frauen feierlich aus dem Kreis und schritten zu dem vermeintlichen Altar.
Dort angekommen, ergriff sich jede der Frauen eine Schale und zündete deren Inhalt mit einem Streichholz an, der daraufhin so stark zu qualmen anfing, dass Martin einen Moment später meinte, Rosen, Weihrauch und Flieder zu riechen.
Mit der vor sich hin räuchernden Schale in beiden Händen haltend, stellte sich jede der vier Frauen mit den Rücken den Holzstapeln zugewandt, in eine der vier Himmelsrichtungen auf. Daraufhin verstummte das Summen und der Rest der Frauen drehte sich wie auf ein geheimes Zeichen hin zu den vier Frauen um.
Einen Augenblick später trat eine der Frauen ein Stück vor und hob ihre Schale bedächtig über den Kopf, während sie so laut sprach, dass selbst Martin sie deutlich hören konnte: „Ich rufe den purpurroten Wind des Ostens; Ort der heiligen Energien. Wir, die Senoras del la Luna llena, erbeten deinen Schutz!“. Dann führte sie andächtig die Schale zurück in die Ausgangsposition und trat einen Schritt zurück.
Daraufhin trat die Frau rechts von ihr einen Schritt nach vorne und sprach ebenfalls laut und deutlich: „Ich rufe den weißen Wind des Südens; Ort der Musik und des Wohlstands. Bedenke uns mit Poesie und Überfluss!“. Und ebenso wie ihre Vorgängerin und die beiden Frauen, die noch folgen sollten, hob auch sie ihre Schale während ihrer Fürbitte über den Kopf und trat zurück, sobald sie diese vorgetragen hatte.
So löste sich auch die Frau zu ihrer rechten aus dem Kreis heraus, ehe sie feierlich sprach: „Ich rufe den braunen Wind des Westens; Ort des Lernens und des Tods. Beschenke uns mit Wissen!“.
Die letzte Frau, die vortrat, erkannte Martin sofort an ihrer Stimme, war es doch die Frau, die vor ein paar Tagen so viel zu diesem Ort zu erzählen wusste! „Ich rufe den schwarzen Wind des Nordens; Ort des Kampfes und der Schlacht. Bestärke uns an diesem Ort!“
Nachdem auch diese Frau ihre Fürbitte vorgetragen und an ihren Platz zurückgekehrt war, kehrte für einen Moment Ruhe ein. Dann traten alle 4 Damen gleichzeitig vor und durch die anderen hindurch, bevor sie den Kreis 3-mal andächtig umrundeten, wobei sie die qualmenden Schalen vor sich hin und her schwenkten. Danach blieben sie abrupt stehen, wandten sich wie auf ein geheimes Kommando nach rechts und trugen die noch immer vor sich hin räuchernden Schalen zum Rand des Kreises.
Dort stellten sie die Schüsseln ab, bevor die Dame des Nordens noch einmal ihre klare Stimme erhob: „Der Kreis ist somit geschlossen. Wir befinden uns nun zwischen den Welten. Zeit und Raum sind daher nicht mehr existent!“.
‚Ja, wo bin ich denn hier gelandet?‘, staunte Martin währenddessen, dem diese Szenen doch sehr surreal vorkam. Erst als er kurz darauf zum hellen Vollmond hinaufschaute, fiel ihm ein: ‚Ach ja, heute ist Walpurgisnacht!‘. Jedoch verflog diese Erkenntnis bei genauerer Betrachtung sofort wieder, da dies hier nichts mit der Mär von auf Besen reitenden Hexen zu tun hatte, die gerade ihren Sabbat feierten. Erinnerte er sich doch noch recht genau an die Geschichte, die ihm seine Urgroßmutter erzählt hatte, als er klein war. Dennoch lief ihm ein kurzer Schauer über den Rücken, während er darüber nachdachte. Dann jedoch forderte eine neue Szene seine Aufmerksamkeit.
Denn eine Frau hatte den Kelch vom Altar genommen und wandte sich einer Frau mit einem blauen Kapuzenumhang zu, die neben ihr am Altar stand. Als Martin diese Frau näher betrachtete, entdeckte er den silbernen Dolch, der zuvor auf der schwarzen Tischdecke gelegen hatte. Diesen hielt die Frau nun so locker in ihrer rechten Hand, dass er ihn im ersten Moment für einen Zauberstab gehalten hatte. Währenddessen hatte die Frau mit dem Kelch sich vor ihr niedergekniet und den Kelch auf Augenhöhe angehoben. In dieser demütigen Position verharrte sie einen Augenblick, bevor sie mit klarer Stimme sprach: „Seht den Kelch, das Symbol der Göttin, der großen Mutter, die allen Menschen Fülle und Wissen schenkt!“.
Daraufhin nahm die Frau mit dem blauen Kapuzenumhang den Dolch andächtig in beide Hände und führte diesen langsam mit der Spitze nach oben, bis auf Augenhöhe. Dann erhob auch sie ihre Stimme: „Seht die Athame, das Symbol des Gottes, des Allvaters, der allen Menschen Kraft und Energie verleiht!", dabei präsentierte sie den Dolch allen Anwesenden, bevor sie diesen wieder auf Augenhöhe zurückführte.
Dort verharrte sie einen Moment, bevor sie ihn in die rechte Hand nahm und den Dolch mit der Spitze nach unten drehte. Langsam senkte sie diese Hand dann nach unten, in Richtung des Kelchs, dabei erschauderte Martin innerlich. Denn nun erkannte er die Frauenstimme.
„Ihrer Vereinigung entspringt alles Leben!", führte Roswita weiter feierlich aus, während sie die Athame langsam in den Kelch eintunkte. Dann führte sie den von Wein tropfenden Dolch ebenso feierlich zu ihren Lippen und küsste deren Schaft. Mit den Worten: "Seid gesegnet!", legte sie die Athame vorsichtig zurück auf den Altar, bevor sie den Kelch entgegennahm, den sie ebenfalls auf den Tisch abstellte.
Was dann geschah, wollte Martin nicht mit ansehen. Denn als Roswita die Kapuze abgestreift hatte, wurden darunter zwei Hörner sichtbar. Und als ob ihn das nicht schon genug schockierte, ging sie ebenfalls in die Knie und fiel über die Frau vor ihr her, die sich in den Sand zurückfallen ließ und die Beine spreizte.
Kopfschüttelnd rollte Martin sich auf den Rücken, während seine Gedanken erneut Achterbahn fuhren. Denn solche Szenen kannte er bisher nur aus satanistisch angehauchten Pornofilmen, die sich damals seine Stubenkameraden während seiner Bundeswehrzeit angeschaut hatten.
‚Aber, Roswita eine Satanistin und wie es aussah ihre hohe Priesterin? Nein, das konnte nicht sein!‘, schüttelte er bei diesem Gedanken verneinend seinen Kopf. Denn seines Wissens fühlte sie sich als Hippie-Frau doch mit Allem verbunden. Und dies stand im krassen Gegensatz zu Satanisten, die doch eher misanthropisch veranlagt waren.
Weiterhin irritiert starrte er zu den wie immer beeindruckenden Sternenhimmel hinauf. Dabei dachte er über diesen eigenartigen Tag nach, bis ihn der Klang einer Trommel aus seinen Gedanken riss, woraufhin er die Szene unter sich wieder in Augenschein nahm. So sah er wie Roswita, die die Kapuze wieder hochgezogen hatte, mit dem Rücken vor den großen Holzhaufen stand, während sie die Arme in die Luft streckte. Mehr konnte er durch die einsetzende Dunkelheit jedoch nicht mehr erkennen.
Deshalb ärgerte er sich darüber, dass er seinen Feldstecher nicht zu Hand hatte, bis ihm plötzlich einfiel, dass er ihn doch dabeihatte. Denn sein Rucksack mit seinen Habseligkeiten lag neben ihm und darin befand sich eins seiner wenigen, verbliebenen Schätze, sein restlichtverstärkendes Fernglas. Und so lag er kurze Zeit später, wie in etlichen Biwaks geübt, hinter einen schützenden Felsen und nahm das Spektakel unter sich erneut ins Visier.
Roswita konnte er nun wieder gut erkennen, was unter anderem auch daran lag, dass sie mittlerweile eine Fackel in der Hand hielt, mit der sie feierlich auf den großen Holzhaufen zuschritt.
Dort angekommen verharrte sie einen Augenblick und reckte erneut die Arme in die Höhe, woraufhin die Trommeln verstummten und sie kurz darauf laut und deutlich ausrief: „Oh strahlender Mond, wir, die Senoras del la Luna llena, grüßen dich. Leuchte über uns und erfreue dich am Schein des Feuers!“. Dann senkte sie feierlich die Fackel zum Boden, woraufhin dort eine zweite Flamme erschien, die sich schnell ins Innere des Holzstapels ausbreitete, wobei es das übrige trocken abgelagerte Holz in Brand setzte.
Dann schritt sie zu dem kleinen Holzhaufen und entfachte dort ebenfalls ein Feuer mit der Fackel.
Was es mit den 2 Holzhaufen auf sich hatte, erschloss sich ihm immer noch nicht. Während Martin darüber nachdachte, wanderte der Brennpunkt seines Feldstechers unbewusst zwischen den Frauen hin und her, wodurch die Frage kurz in dem Hintergrund rückte. Denn live hatte er schon lange nicht mehr und dann auch noch so nahe, so viel nackte, weibliche Haut gesehen.