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Dass es Schwierigkeiten im Kommissariat gegeben hatte, die mit dem Weihbischof in direkter Verbindung standen, war trotz der staatlich gewirkten Isolation in Paderborn nicht verborgen geblieben. Jedoch ergibt sich aus den Quellen ein ambivalentes Bild, wie Lorenz Kardinal Jaeger mit diesen Problemanzeigen umging und sie bewertete. Quellenkritisch eher skeptisch zu beurteilen sind Notizen von Adolf Brockhoff, anlässlich eines der seltenen Gespräche zwischen dem Kardinal und Teilen seines Magdeburger Klerus in Ost-Berlin 1965. Weihbischof Rintelen sei demnach in Kardinal Jaegers Auffassung: „Kein Gesprächspartner. Er entzieht sich. Er bagatellisiert. Er verharmlost. Sie sind zu stark und zu selbstbewusst für ihn!“231 Pfarrer Brockhoff hielt in einem offiziellen Brief an den Paderborner Kardinal 1970 nochmals fest: „Schon lange ist das Kommissariat ohne eine echte Führung. Das wissen Sie so gut wie ich. In dem Gespräch, das Sie mir im Januar 1966 gewährten und das Sie spätestens (‚in welcher Form auch immer!‘) im Mai desselben Jahres fortsetzen wollten, haben Sie das bestätigt, was viele wussten und was der Berliner Bischof z.B. - gar nicht zimperlich - laut aussprach.“232
Der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch scheint für die Nachfolgeregelung in Magdeburg eine als ambivalent zu charakterisierende Schlüsselrolle eingenommen zu haben. Er selbst hatte in einem vertraulichen Brief an den Paderborner Erzbischof und Kardinal seine Rolle eher passiv dargestellt und die Initiative allein bei Lorenz Jaeger gesehen.233 Erzbischof Jaeger war über die Darstellung in diesem Brief in höchstem Maß empört. Er verfasste daraufhinquer über den Brief des Berliner Kardinals - handschriftlich seine Wahrnehmung der Entwicklungen: „Die Vorgeschichte die schon in der 3. Konzilsperiode anfing, als der H.H. Apost. Nuntius mir mündlich interessierte, dass für Exz. Rintelen, der der Aufgabe nicht mehr gewachsen sei, ein Nachfolger oder ein Koadjutor bestellt werden müsste. Ich habe widersprochen, weil das Urteil darüber mir und nicht Erzb. Bengsch zustehe. Nachfolgende Aussprache in Rom + erneut später in Ostberlin hat Erzb. Bengsch versprochen, ein loyales Verhalten gegenüber WB Rintelen + dem Erzb. Kommissariat Magdeburg. De facto hat Erzb. Bengsch in Bad Godesberg weiter gegen Rintelen gearbeitet, wie gelegentliche Äußerungen des Herrn Nuntius mir gegenüber gezeigt haben.“234 Offensichtlich war Kardinal Jaeger weder während des Konzils in Rom noch zu einem späteren Zeitpunkt bereit, sein bischöfliches Alter Ego in Magdeburg abzusetzen. Stattdessen informierte er seinen Weihbischof über die Berliner Pläne235 und versicherte ihn seiner Loyalität.236
Flankiert wird der Befund aus kirchlichen Quellen durch Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Prälat Otto Groß237, einer der engsten Mitarbeiter von Kardinal Bengsch im Ost-Berliner Ordinariat und zugleich der bischöflich beauftragte Verhandlungspartner mit dem MfS in der DDR, entfaltete in einem Gespräch 1968 verschiedene Gedanken und Einschätzungen des Berliner Erzbischofs zur Lage im Kommissariat Magdeburg, die der Führungsoffizier festhielt.238 Kardinal Bengsch sei demnach der Meinung gewesen, dass das Kommissariat in einer „gefährdeten Lage“239 sei, weil hier „einflussreiche Gruppen katholischer Geistlicher und Laien vorhanden [sind S.H.], die in Opposition zur Leitung der katholischen Kirche in der DDR stehen.“240 Bengsch habe wenig Zutrauen in die Fähigkeiten der dortigen kirchlichen Verantwortlichen, denn er befürchte, dass „Weihbischof Rintelen/ Magdeburg und Weihbischof Schräder/ Schwerin ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen sind.“241 Für den Berliner Kardinal „stehe ernsthaft die Frage, Bischof Rintelen in den Ruhestand zu schicken.“242 Die Abberufung sei nur deshalb noch nicht erfolgt, weil es nach Ansicht von Bengsch keinen Nachfolger im Kommissariat Magdeburg gäbe, der „wirksame Maßnahmen gegen die in Aufruhr geratenen Geistlichen und Laien einzuleiten und Ruhe und Ordnung im Bereich des Kommissariates wieder herzustellen“243 vermag.
Ob neben der Kritik an Rintelens mangelndem Durchsetzungsvermögen bei Disziplinarangelegenheiten244 auch eine vom MfS wahrgenommene Düpierung des Berliner Kardinals anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Bistums Magdeburg 1968 eine Rolle gespielt haben könnte, bleibt offen.245 Wahrscheinlicher dürfte es hingegen sein, dass Bengsch in Rintelen einen Unsicherheitsfaktor für die kirchenpolitische Phalanx der Berliner Ordinarienkonferenz gegenüber dem SED-Staat erblickte. Weihbischof Rintelen hatte 1969 zusammen mit Staatssekretär Seigewasser ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht246 und damit die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz, die sich ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen gegenüber staatlichen Stellen zur Maxime gemacht hatte, massiv unterlaufen.247 Dies drängte Prälat Groß in einem anderen Zusammenhang zu der Feststellung: „Dieses Kommunique übertrifft alle unsere Befürchtungen und ist ein Beweis dafür, wie notwendig der Wechsel in Magdeburg ist...Praktisch ist hiermit die Einheit der Bischöfe in politischen Dingen gebrochen und durch das Verhalten von Weihbischof Rintelen hat der Staat sein Ziel erreicht.“248 Die Einheit im Klerus und die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz gegenüber dem Staat aber waren die zentralen Grundsätze des Berliner Erzbischofs und Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz.249
Die Notwendigkeit im Jahr 1969 einen Nachfolgekandidaten für den amtierenden Weihbischof Friedrich Maria Rintelen zu finden, ergab sich demnach aufgrund dreier Umstände: die kirchenpolitisch brisante Situation im geteilten Deutschland machte eine zufriedenstellende Stabilisierung des Amtes in Magdeburg durch eine praktikable Nachfolgeregelung zwingend erforderlich. Die kirchenrechtliche Vorschrift zur Emeritierung von Auxiliarbischöfen drängte spätestens 1969 zu einer effektiven Lösung. Hinzu kam die Kritik am Führungsstil des Kommissars und der daraus resultierende, bereits länger gehegte Wunsch verschiedener kirchlicher Ebenen, einen Nachfolger zu bestellen. In diesem Geflecht unterschiedlicher Motive dürften letztlich die kirchenpolitischen Erwägungen dominiert haben.250 Andernfalls hätte man schon eher reagieren können. Es gilt zu beachten, dass in Magdeburg - und das unterschied die Situation ganz wesentlich von der in Köln, New York oder Paris -, zu den konziliar motivierten Beteiligungserwartungen der Priester und Laien eine kirchenpolitisch höchst angespannte Situation hinzutrat. Die konziliar geprägten Hoffnungen auf ein Mitspracherecht der Ortskirche bei der Nominierung eines Bischofs trafen in der DDR auf die kirchenpolitischen Planspiele bischöflicher Hinterzimmer und stellten daher einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor für geheime Absprachen dar.
2.2Gescheiterte Lösungsversuche
Der Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger war lange Zeit weder an einer Statusänderung des Magdeburger Kommissariates hin zu einer Apostolischen Administratur noch an einer personellen Veränderung an der Spitze des Kommissariates interessiert.251 Erst im Jahr 1969 änderte er aufgrund verschiedener Umstände seine Einstellung. Ausschlaggebend dürfte eine Mitteilung des Apostolischen Nuntius Erzbischof Konrad Bafile252 im Mai bzw. Juni 1969 gewesen sein, wonach Papst Paul VI. zur Klärung des seit zwei Jahren schwebenden Fragenkomplexes nunmehr gewillt sei, für den Bereich der DDR Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge zu ernennen.253 Als Koadjutor wird im Kirchenrecht ursprünglich derjenige bezeichnet, der dem Diözesanbischof mit dem Recht der Nachfolge zur Seite gestellt wird.254 Diese Regelung des Hl. Stuhls für die DDR stellte einen Koadjutor nun einem Auxiliarbischof, der als Kommissar tätig war, bei und beschrieb damit ein kirchenrechtliches Novum. Für diesen „para-kanonischen Koadjutor“ wurde die Bezeichnung „Adjutor oder Adjutorbischof“ gebraucht.255 Mit der geplanten Einsetzung durch Rom konnte man die Schwierigkeit umgehen, dass die Adjutorbischöfe für Paderborn und Osnabrück ernannt werden müssten und damit als „westliche Beauftragte angesehen und möglicherweise in ihrer Amtsführung behindert“256 würden. Kardinal Bengsch hatte sich unmittelbar vor der Entscheidung des Heiligen Stuhls zugunsten einer solchen Adjutorreglung in Rom erfolgreich eingesetzt. Er drängte in seinem kirchenpolitischen Bericht für Rom am 2. Mai 1969 darauf, dass „die vorgesehenen Nachfolger sobald als möglich den jetzt noch im Amt befindlichen Jurisdiktionsträgern als Titularbischöfe zur Hilfe an die Seite gegeben werden...“257 Denn er fürchtete für den Fall einer plötzlichen Vakanz, dass „von Seiten der Ost-CDU und auch von Seiten ‚progressiver’ katholischer Kreise Kandidaten genannt und hochgespielt werden, die für die Kirche nicht akzeptabel sind.“258 Darüber hinaus wollte er vorbereitet sein, sollte der Staat seine seit Jahren wiederholte Drohung wahr machen und einen von Westdeutschland ernannten Nachfolger boykottieren.
Während einer Sitzung des Hauptausschusses der Deutschen Bischofskonferenz wurden Kardinal Jaeger die massiven kirchenpolitischen Probleme verdeutlicht, die bei einer erneuten Entsendung eines westdeutschen Weihbischofs in die DDR im Falle einer Nachfolgeregelung zu befürchten stünden.259 Mutmaßlich auf einer weiteren Konferenz der beteiligten westdeutschen Bischöfe mit Kardinal Bengsch am 3. Juli 1969 in Westberlin ließ er sich schließlich davon überzeugen260, dass man durch die von Rom vorzunehmende Einsetzung von Adjutorbischöfen einen Schlussstrich unter die bisherige innerkirchliche Entwicklung ziehen könne.261
Die Suche nach geeigneten Nachfolgekandidaten für die amtierenden Kommissare gestaltete sich höchst unterschiedlich. Da man sich auf eine jurisdiktionelle Zusammenlegung der Kommissariate in Meiningen und Erfurt unter der Leitung von Weihbischof Hugo Aufderbeck verständigt hatte, mussten nur Kandidaten für Schwerin und Magdeburg gefunden werden. Als Nachfolger für den Schweriner Kommissar Weihbischof Schräder262 konnte man sich schnell auf einen Namen einigen. Den Wünschen des Osnabrücker Bischofs und des Schweriner Klerus entsprechend, wurde der Berliner Weihbischof Heinrich Theissing263 als Nachfolger nominiert264; Alfred Bengsch ließ ihn ohne Widerstand ziehen. Für Magdeburg wurde der zweite Weihbischof des Erzbistums Paderborn Paul Nordhues265 vorgeschlagen.266 1941 zum Priester geweiht, übernahm Nordhues nach mehreren Vikariatsstellen in der sowjetischen Besatzungszone 1952 die Stelle des Subregens im Paderborner Priesterseminar und leitete von 1957 bis 1961 als Regens das Priesterseminar auf der Huysburg in der DDR.267 Seine Ernennung zum Titularbischof von Cos und Weihbischof von Paderborn machte 1961 die offizielle Aussiedlung aus der DDR notwendig.268 Paul Nordhues war mit der Situation im SED-Staat durchaus vertraut und mit vielen Priestern und Katholiken im Erzbischöflichen Kommissariat und darüber hinaus bekannt.269 Auch nach seiner Ernennung zum Paderborner Weihbischof pflegte er als Bischofsvikar für die Diözesancaritas enge Kontakte zur Caritas in der DDR und besuchte sie, eingeschleust unter der Berufsbezeichnung „Sozialarbeiter“, mehrfach.270 Seine zahlreichen Aufenthalte, die langjährigen Erfahrungen in der DDR, seine Bekanntheit und nicht zuletzt die Tatsache, dass er bereits zum Bischof geweiht war und insofern eine schnelle Lösung ermöglichte, dürften ihn als Nachfolger für das Amt des Erzbischöflichen Kommissars in Magdeburg in besonderer Weise prädestiniert haben.271
Die Quellenaussagen zum Initiator dieser Nominierung sind widersprüchlich.272 In kirchlichen Kreisen nannten Otto Groß und Alfred Bengsch stets den Paderborner Erzbischof Kardinal Jaeger als verantwortlichen Impulsgeber.273 Erstaunlicherweise ist der Name Paul Nordhues gegenüber geheimpolizeilichen Stellen in der DDR schon vorher als möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht worden. Prälat Groß erwähnte gegenüber dem MfS, dass Kardinal Bengsch bereits im Jahr 1968 die Überlegung betrieben habe, den ehemaligen Rektor des Priesterseminars auf der Huysburg in Magdeburg als Kommissar einzusetzen.274 Belegt ist, dass es Alfred Bengsch persönlich war und nicht Lorenz Jaeger, der bei Weihbischof Nordhues angefragt hatte, ob er bereit wäre, nach Magdeburg zu gehen.275 Außerdem hatte Weihbischof Nordhues wiederholt seine Bereitschaft gegenüber Erzbischof Bengsch bekundet, eine endgültige Entscheidung jedoch von der noch einzuholenden Zustimmung Kardinal Jaegers abhängig gemacht, die er nicht vor Juli 1969 erwartete.276 Schließlich verweigerte der Apostolische Nuntius seine Unterstützung für die Berliner Pläne277 mit der Begründung, dass er es für kirchenrechtlich unzulässig halte, wenn nicht der zuständige Paderborner Erzbischof, sondern Kardinal Bengsch eine Nachfolgeregelung forciere.278 Aufgrund der beschriebenen Vorgänge erscheint es folgerichtig, dass die Absicht und die Pläne zur Ernennung von Paul Nordhues ihren Ursprung an der Spree hatten und Kardinal Jaeger hierüber erst nachträglich informiert wurde. Alfred Bengsch hat nicht nur inoffiziell gegen Rintelen, sondern auch für Nordhues bei Nuntius Bafile interveniert. Aufgrund der mündlich erklärten Bereitschaft des von Bengsch favorisierten Nachfolgers wandte sich der Berliner Kardinal über Prälat Groß an die zuständigen staatlichen Stellen in der DDR, um die Frage der Wiedereinbürgerung von Paul Nordhues zu eruieren.279 Er war aufgrund seiner Ernennung zum Paderborner Weihbischof 1961 legal in die Bundesrepublik verzogen und deshalb ausgebürgert worden. Groß erhielt von Seiten der DDR die Zusage, dass man Weihbischof Nordhues „auf dem Wege der Familienzusammenführung über die Liste, die die Rechtsanwälte Vogel und Stange einreichen, hereinlassen“280 würde. Die DDR legte dabei großen Wert darauf, dass diese Angelegenheit aufgrund „ihres delikaten gesamtdeutschen Charakters (Paderborn-Magdeburg) absolut vertraulich und diskret behandelt werden“281 müsse. Die Pläne zur Nachfolge waren so geheim, dass selbst der davon unmittelbar Betroffene und noch amtierende Kommissar Friedrich Maria Rintelen nichts wusste. Diese Geheimpolitik sollte nicht zu unterschätzende Folgen haben.
Über den prinzipiellen Schwebezustand, in dem sich die Kommissare in der DDR befanden, war Weihbischof Rintelen voll im Bilde.282 Zudem war ihm die kirchenrechtliche Norm hinsichtlich der Emeritierung von Auxiliarbischöfen bewusst. Gegenüber der Berliner Ordinarienkonferenz und gegenüber Kardinal Jaeger hatte Rintelen deshalb verschiedentlich angedeutet, dass er „mit Erreichen des 70. Lebensjahres die Leitung des Kommissariates niederlegen“283 würde. Auf die konkrete Anfrage Kardinal Jaegers über seine Zukunftsvorstellungen im Juni 1969 erwiderte Rintelen intern, dass er „nicht böse sein würde, wenn ich bald der Last und Verantwortung meines Amtes ledig würde.“284 Öffentlich hielt Rintelen allerdings daran fest, dass er auch mit 70 Jahren und darüber hinaus sein Amt ausüben wolle, da er körperlich in guter Verfassung sei.285 Aufkommende Gerüchte über eine Nachfolgeregelung dementierte er offensichtlich in Unkenntnis der tatsächlichen Pläne.286 Zugleich informierte Rintelen seinen Paderborner Erzbischof von den verschiedenen Anfragen sowie seiner Reaktion darauf und bemerkte: „Ich nehme an, dass du diesen Brief mit solchem Schmunzeln liest wie ich ihn schreibe.“287 Doch noch bevor dieser Brief in Paderborn eintraf, setzte Kardinal Jaeger seinerseits den noch amtierenden Kommissar mit den Absichten für die Regelung seiner Nachfolge schriftlich ins Benehmen.288 Der Erzbischof schlug deshalb vor, Rintelen möge für ein klärendes Gespräch nach Paderborn kommen oder, sollte er keine Reisegenehmigung bekommen, eine schriftliche Stellungnahme für den Nuntius fixieren.289 Unmittelbar darauf verfasste Rintelen ein Antwortschreiben, in dem er seine Überraschung über diese Vorgänge zum Ausdruck brachte.290 Anfang Juli 1969 fuhr Weihbischof Rintelen nach Paderborn und wurde von Nuntius Bafile und Erzbischof Jaeger über den Ablauf seiner Emeritierung informiert.291 Für die Gründung des späteren Aktionskreises Halle sind die Entwicklungen unmittelbar nach der Rückkehr von Weihbischof Rintelen aus Paderborn am 14. Juli 1969 von entscheidender Bedeutung. Entgegen einer vereinbarten oder zumindest vorausgesetzten Geheimhaltung der Vorgänge und Pläne äußerte sich Rintelen gegenüber dem Hallenser Propst Dr. Langsch zu den geheimen Planungen für seine Nachfolge.292 Gegenüber engen Vertrauten machte er „kein Hehl aus seiner Niedergeschlagenheit.“293 Mit der Enthüllung der hinter seinem Rücken betriebenen Absetzungspläne löste der desavouierte Weihbischof eine Bewegung aus, deren Konsequenzen er weder überblickt noch intendiert haben dürfte.
Die Mitglieder des Magdeburger Presbyteriums erhielten an den darauffolgenden Tagen Kenntnis von den Vorgängen um Weihbischof Rintelen und einzelne Mitglieder des Priesterrates fuhren selbst nach Magdeburg, um sich die Informationen aus erster Hand bestätigen zu lassen.294 Diese Mitteilungen gegenüber engen Vertrauten und Vertretern des Presbyteriums reichten aus, um binnen kürzester Zeit Solidarisierungsbekundungen und spontane Treffen hervorzurufen.295 Der Magdeburger Priesterrat hatte aufgrund dieser Neuigkeiten zu einer außerordentlichen Sitzung für den 22. Juli eingeladen.296 Doch einer Gruppe von Priestern vorwiegend aus dem Hallenser Raum erschien es zudem nötig, den frühestmöglichen Termin für eine Vollversammlung des Presbyteriums zu wählen, um nicht durch ein zwischenzeitliches Bekanntwerden des neuen Koadjutors den Eindruck zu erwecken, dass man sich gegen ihn formiere.297 Trotz Urlaubszeit und einer nur 24stündigen Einladungsfrist, erschienen am darauffolgenden Samstag, den 19. Juli, etwa 80 der insgesamt über 300 Magdeburger Priester, „alle nicht außer Landes weilende Mitarbeiter des Seelsorgeamtes, der Akademikerseelsorge, der Magdeburger Studentenpfarrer, der Diözesancaritasdirektor“298 sowie die beiden Pröpste von Halle und Magdeburg, die Paderborner Domkapitulare waren.299 Auf dem Treffen wurden durch den Sekretär des Priesterrates Wolfgang Simon die im Umlauf befindlichen Informationen zur Causa Rintelen bestätigt und ein Leitungsgremium, bestehend aus Theo Steinhoff, Claus Herold und Willi Verstege, per Akklamation gewählt, das die Sitzung leiten und koordinieren sollte.300 Auf der Versammlung war zudem ein Vertreter der katholischen Akademikerarbeit im Kommissariat erschienen und hatte eine von Laien verfasste Protestnote verlesen.301 Nach einer ausführlichen Debatte verabschiedete man eine Erklärung, die an Papst Paul VI., Kardinal Jaeger, Kardinal Bengsch und Weihbischof Rintelen gerichtet war und die zunächst 72 der 77 anwesenden Priester unterzeichneten, später zählte die Protestnote insgesamt 155 Unterschriften:
„Aus Solidarität mit unserem Bruder und Weihbischof Friedrich Maria Rintelen protestieren wir gegen die Verfahrensweise, mit der über den Kopf hinweg ein Koadjutor ernannt worden ist. Dieses Verhalten halten wir für unbrüderlich und vorkonziliar. Aus gemeinsamer Verantwortung für das Kommissariat erwarten wir auch jetzt noch, dass das Volk Gottes, zumindest aber das Presbyterium, bei der Ernennung eines neuen Bischofs gehört wird, zumal dessen Name bis zur Stunde nicht bekannt ist.“ 302
Für diese bis dahin einmalige Protestnote an den Papst und die Bischöfe, gab es zwei Auslöser. Zunächst ging es dem Magdeburger Priesterrat darum, den betreffenden kirchlichen Stellen „zumindest das Befremden zum Ausdruck zu bringen über diese Verfahrensweise.“303 Zu dieser Zeit wurde das Anliegen, das auch von zahlreichen Gemeinden und Gruppen geteilt wurde304, durch den noch amtierenden Magdeburger Weihbischof unterstüzt.305 Erst in zweiter Hinsicht wurde letztlich der wegweisende Impuls artikuliert, eine dem Gesit des Konzils entspringende Beteiligung des Volkes Gottes bei der Nominierung eines Nachfolgers einzufordern. Diese Chronologie zeigt, dass es sich keinesfalls um eine klerikale Revolte handelte, sondern um eine legitime Solidarisierung aus dem Geist des Konzils, die erst in zweiter Hinsicht der Forderung nach einer breiteren innerkirchlichen Mitverantwortung verpflichtet war. Auffallend ist, dass die offizielle Protestnote des Magdeburger Priesterrates nur wenige Tage später ebenfalls die konziliare Rückgebundenheit sowie innerkirchliche Kritik am Weihbischof thematisierte.306
Durch den zufällig auf der Hallenser Versammlung am 19. Juli anwesenden Priester Leonhard Harding wurden die Erklärung und ein Bericht wenige Tage später an die bundesdeutsche Presse übergeben.307 Ein daraufhin am 24. Juli 1969 erscheinender Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begründete Rintelens Resignation mit dessen Verärgerung über die Ernennung eines Koadjutors über seinen Kopf hinweg.308 Das Paderborner Ordinariat bemühte sich zwar um ein kurzes Dementi.309 Doch die Geheimhaltung war damit endgültig gebrochen. Wenige Tage später informierten die staatlichen Stellen in der DDR den Berliner Erzbischof darüber, dass sie sich nach der Pressemeldung über den Koadjutor in Magdeburg nunmehr außerstande sähen, einer Wiedereinbürgerung des Paderborner Weihbischofs zuzustimmen.310 Damit war die von langer Hand vorbereitete Ernennung von Paul Nordhues zum Nachfolger für Weihbischof Rintelen zunächst an genau dem gescheitert, was Kardinal Bengsch hatte um jeden Preis verhindern wollen: am Einfluss kirchlicher Kreise und einer staatlichen Intervention in die kirchliche Selbstverwaltung.
2.3Phasen ortskirchlicher Mitbestimmung
Sollte die Nachfolgeregelung für Weihbischof Rintelen, weil sie öffentlich diskutiert wurde auch durch eine Wahl der Ortskirche entschieden werden? Diese Frage spiegelt den Konflikt wider, der das Kommissariat Magdeburg in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 sowie zu Beginn des folgenden Jahres dominierte. Diese Zeitspanne lässt sich in drei Phasen unterteilen, mit denen jeweils unterschiedliche Kandidatenvorschläge, Interessenlagen, politische Implikationen und Grade der basiskirchlichen Mitbestimmung verbunden sind.
2.3.1„Stillhalteabkommen“ und hintergründige Diplomatie
Die erste Phase erstreckte sich über einen Zeitraum von vier Monaten und begann mit der Klerusversammlung am 19. Juli 1969 in Halle. Von Anfang an war es das Anliegen der hier versammelten Priester und Laien, nicht nur das Verfahren der geheimen Nachfolgeplanungen zu kritisieren, sondern zugleich Mitbestimmungsrechte anzumelden.311 Dabei ging es nicht um die Einforderung eines bereits kodifizierten Rechtes oder einer dezidiert konziliaren Aussage, sondern um das Äußern einer aufgrund der konziliaren und postkonziliaren Entwicklung als legitim erachteten Bitte.312 Am 3. August klärte Friedrich Maria Rintelen in einem Schreiben an alle Geistlichen des Kommissariates über die bisherigen Ereignisse auf und räumte dem Klerus grundsätzlich ein Vorschlagsrecht für seinen Nachfolger ein.313 Er drängte aber zugleich darauf, die Ernennung des bisher vorgesehenen Koadjutors abzuwarten und im Übrigen jeden Ernannten als rechtmäßigen Bischof und „Gesandten Christi“314 anzusehen. Schon in den ersten Wochen nach Bekanntwerden der Ablösungspläne kursierten verschiedene Namen - vorrangig Dozenten des Erfurter Philosophisch-Theologischen Studiums315 - als mögliche Nachfolgekandidaten für Weihbischof Rintelen. Auf einer Versammlung protestierender Priester und Laien am 10. August in Nienburg erschien plötzlich Weihbischof Rintelen offensichtlich in dem Bemühen zu einer einvernehmlichen Lösung mit dem „rebellierenden“ Klerus zu gelangen.316 Es gelang ihm dabei einen Kompromiss auszuhandeln: Sollte der bisher vorgesehene Koadjutor das Amt nicht antreten können oder wollen, sicherte Weihbischof Rintelen die Übermittlung von alternativen Kandidatenvorschlägen an Kardinal Jaeger zu.317 Im Gegenzug verlangte er, dass es bis zur endgültigen Klärung dieser Angelegenheit keine öffentlichen Proteste, keine Meinungsbildung und keine erneuten Nominationen geben sollte.318 Die Versammelten willigten in diesen Kompromiss ein. Damit war der Protest vorerst kanalisiert und weitere Aktionen der kirchlichen Basis waren einstweilen sistiert.
Mitte August war jedoch vermutlich durch eine „gezielte Indiskretion aus Berlin“319 der Name des vorgesehenen Koadjutors Paul Nordhues im Kommissariat Magdeburg bekannt geworden. Zudem schrieb der im Urlaub befindliche Paderborner Erzbischof am 15. August einen Brief an die Priester seines östlichen Diözesansprengels und bemühte sich darin, die aufgebrachten Gemeinden und Priester zu beruhigen.320 Dieser Brief und der durchgesickerte Name des Koadjutors veranlassten Adolf Brockhoff zu einem Text mit der zunächst unscheinbaren Überschrift „Bemerkungen zum Kardinalsbrief.“321 Diese zweiseitige Abhandlung spiegelt jedoch in zynischer Form die innere und äußere Zerrissenheit der durch die innerdeutsche Grenze geteilten Paderborner Diözesananteile wider.322 Die interne Absprache zur Ernennung eines Koadjutors trüge nicht nur „geheime und patriarchalistische“323 Züge. Brockhoff bezweifelte auch, dass „eine kleine Gruppe von Bischofsmachern auch nur entfernt in der Lage ist, die vielschichtige Situation, in die ein neuer Bischof hineingestellt wird, zu kennen, geschweige denn sie zu berücksichtigen.“324 In provokanter Form forderte er schließlich zur Verweigerung dieser anachronistischen Praxis auf, bei der es „dem Zufall“ überlassen bliebe, wer die „Treppe kirchlicher Karriere nach oben stolpert.“325 Vielmehr sei es die Aufgabe aller Christen, auf den Geist Gottes zu vertrauen, der „der ganzen Kirche mitgeteilt ist“ und „dessen Weisungen aus dem Wechselspiel aller Charismen zu erkennen sind.“326 Statt einen geheim ernannten westdeutschen Bischof in die Kirche der DDR zu schicken, optierte er offen für eine jurisdiktionelle Trennung327 von Paderborn und Magdeburg sowie eine Kandidatenfindung im Geist des Konzils.328 Kardinal Jaeger kommentierte diese Äußerungen nicht. Allerdings vertrat er später immer wieder die Position, dass der entscheidende Grund für die Probleme die staatlich gewirkte Isolation gewesen sei.329









