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Wer sich vertiefter mit dem Leitmedienwechsel beschäftigen möchte, dem sei einerseits die untenstehende Literatur empfohlen. Andererseits enthält der Anhang A »Gesetze des Digitalen« in Kurzform die wichtigsten ökonomischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge des Digitalzeitalters.
Kernaussagen
› Die Digitalisierung und die daraus entstehende Automatisierung und Vernetzung führen dazu, dass der vernetzte Computer das Buch zunehmend als Leitmedium ablöst.
› Wir befinden uns mitten in diesem Leitmedienwechsel, dessen Umfang, Ende und Konsequenzen nur schwer abzuschätzen sind.
› Die Auswirkungen des Leitmedienwechsels sind vergleichbar mit denjenigen bei der Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks und betreffen alle Bereiche unseres Lebens.
› Ökonomisch betrachtet drohen durch den aktuellen Leitmedienwechsel Arbeitslosigkeit und ein steigendes Wohlstandsgefälle.
› Auf der gesellschaftlichen Ebene führt der Leitmedienwechsel zu einem Kontrollverlust sowohl von Organisationen als auch von Einzelpersonen.
› Computer prägen das Denken und Handeln sowohl von Einzelnen als auch von Organisationen.
Weiterführende Literatur
› Pedro Domingos (2015): The Master Algorithm

› Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee (2014): The Second Machine Age

› Michael Seemann (2014): Das Neue Spiel – Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust

› Constanze Kurz und Frank Rieger (2013): Arbeitsfrei

› Mercedes Bunz (2012 ): Die stille Revolution

› Dirk Baecker (2007): Studien zur nächsten Gesellschaft

› David Weinberger (2007): Das Ende der Schublade. Die Macht der neuen digitalen Unordnung

› Michael Giesecke (2002): Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft

› Lev Manovich (2001): The Language of New Media

› Manuel Castells (1996): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft

› Nicholas Negroponte (1995): Total Digital

› Klaus Haefner (1982): Die neue Bildungskrise

› Alvin Toffler (1970): Future Shock

Alle zitierten Quellen dieses Kapitels finden Sie unter

2 Wie soll die Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren?

Der durch Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung getriebene Leitmedienwechsel vom Buch zum Computer birgt große Herausforderungen für Wirtschaft, Gesellschaft und Individuen. Wie soll die Schule damit umgehen

Bevor der Autor selbst Stellung bezieht, wird in diesem Kapitel zunächst das gesamte Spektrum aufgezeigt, welche Reaktionsweisen auf den Leitmedienwechsel an Schulen zu beobachten sind. Diese »Leitmedienwechsel-Reaktionsskala« erleichtert einerseits den Überblick über die Debatte. Die Skala kann aber auch ganz konkret in Diskussionen hilfreich sein, um verschiedene Gesprächsbeiträge und Standpunkte einordnen und die dahinterstehenden Positionen voneinander abgrenzen beziehungsweise überhaupt erkennen zu können.
Leitmedienwechsel-Reaktion 0: Ignorieren
Die einfachste Art, auf den Leitmedienwechsel zu reagieren, besteht darin, den Wandel auszublenden oder die Folgen für Schule und Bildung zu leugnen

Weniger klar ist die Sache bei Bildungsexpertinnen und -experten. Einerseits existiert eine Fülle an spezifischer Literatur, die sich mit der Frage beschäftigt, welche Konsequenzen die Digitalisierung für Lehrpläne, Unterrichtsgestaltung, Lehrerinnen- und Lehrerausbildung und Schulhausinfrastruktur haben sollten




Leitmedienwechsel-Reaktion -1: Gegensteuern!
Einfacher einzuordnen sind die Reaktionen derer, die in der Digitalisierung vor allem negative Folgen für Schule und Bildung sehen und entsprechend gegensteuern möchten. Oft wird ein idealisiertes Bild der bisherigen Schule dem Schreckensszenario einer vollständig digitalisierten Lebenswelt gegenübergestellt. Gemäß dieser Argumentation ist es die Aufgabe der Schule, eine möglichst von der Digitalisierung unberührte Umgebung zu erhalten

› Kinder benötigen Primärerfahrungen, computervermittelte, virtuelle Erfahrungen können diese nicht ersetzen und würden die Kinder nur verwirren und überfordern.

› Kinder benötigen Bewegung, und Computernutzung führt zu phlegmatischem Herumsitzen und damit zu Haltungsschäden und Übergewicht.
› Kinder benötigen eine geschützte Kindheit, die sie vor gewalthaltigen und pornografischen medialen Einflüssen der rohen Erwachsenenwelt abschirmt.
› Kinder müssen vor falschen Anreizen geschützt werden. Digitale Medien fördern Konsumismus und liefern zu leichte Erfolgserlebnisse, was die Anstrengungsbereitschaft und damit die Schulleistungen senkt.
› Kinder müssen selbst denken lernen und sollen dies weder dem Computer überlassen noch sich mit oberflächlichen Antworten aus dem Internet zufriedengeben.
Eine konstruktive Diskussion ist mit Vertreterinnen und Vertretern dieser Position manchmal schwierig, vor allem dann, wenn eine absolute Entweder-oder-Position vertreten wird, die mitunter auch sektiererische Züge annehmen kann. Kapitel 7 beschäftigt sich intensiver mit der Frage, wie mit dieser destruktiven Pauschalkritik umgegangen werden kann.
Leitmedienwechsel-Reaktion 1: Integration in alle Fächer
Während dies die ersten beiden Reaktionsweisen verneinen, sind sich die Vertreter der nächsten Positionen darin einig, dass der Leitmedienwechsel ein Thema darstellt, das die Schule betrifft. Es gibt allerdings unterschiedliche Auffassungen darüber, wie stark sich die Schule vom Leitmedienwechsel beeinflussen lassen soll. Die derzeit verbreitetste Position geht davon aus, dass die Digitalisierung alle Lebensbereiche betrifft und deshalb auch in alle Schulfächer integriert werden sollte

Leitmedienwechsel-Reaktion 2: Es braucht ein Fach
Ohne Zeitgefäß fehle dem Thema die notwendige Verbindlichkeit, monieren die Verfechterinnen und Verfechter eines eigenen Fachs. Im Vergleich zu den als Fächer strukturierten Bereichen würden überfachliche Aspekte auf mehreren Ebenen oft marginalisiert, wenn die Ressourcen fehlen. In der Schule würden sich Lehrkräfte daher eher auf Themen konzentrieren, für die Noten vergeben werden. In der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern werde das Gewicht stärker auf die Fächer als auf überfachliche Aspekte gelegt, sowohl was die Ausbildungszeit der Studierenden als auch was die Schaffung von entsprechenden Lehrstühlen betrifft. Schulbehörden und Schulleitungen würden Weiterbildungen eher als unumgänglich akzeptieren, wenn das Thema auf dem Stundenplan stehe, und Lehrmittelhersteller sähen eher einen Markt für Themen, die in der Schule als Fach definiert sind. Angesichts der Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre betrachten Kritiker die Integrationsvariante als gescheitert. Erst ein eigenes Fach mit Zeitgefäß und Noten sorge für die notwendige Verbindlichkeit

Leitmedienwechsel-Reaktion 3: Es braucht sowohl ein Fach als auch Fächerintegration
Die Wahl zwischen Integration und eigenem Fach sei ein falsches Dilemma, das in den letzten 30 Jahren oft die Bildungspolitik blockiert habe, entgegnen demgegenüber die Vertreter der Leitmedienwechsel-Reaktion 3: Während bei der Integration in alle Fächer die Verbindlichkeit fehlt, droht bei der Schaffung eines eigenen Fachs das Thema an eine Speziallehrkraft ausgelagert zu werden. Die übrigen Lehrerinnen und Lehrer fühlten sich damit nicht mehr verpflichtet, sich um Aspekte der Digitalisierung zu kümmern, denn dafür sei ja nun jemand anderes zuständig. Damit ist die Empfehlung zum Leitmedienwechsel bei dieser Position kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch: Es brauche sowohl ein Fach als auch eine Fächerintegration

Leitmedienwechsel-Reaktion 4: Schule muss neu gedacht werden
Die bisher beschriebenen Reaktionsweisen 1 bis 3 betrachten digitale Kompetenzen als zusätzlichen Aspekt, welcher die bisherigen Rahmenbedingungen von Schule (Lehrpläne, Fächer, Stundenplan, Prüfungsformen usw.) nicht infrage stellt. Für Vertreter der Leitmedienwechsel-Reaktion 4 hingegen ist Schule in der bisherigen Form veraltet und ungeeignet für die Herausforderungen der Zukunft. Der Grundgedanke dieser Position geht davon aus, dass in der heutigen globalisierten und vernetzten Welt die großen Probleme in interdisziplinären Teams angegangen werden müssen. Die heutige Schule sei auf die Bedürfnisse der Industriegesellschaft ausgerichtet



Das Video eines Vortrags von Sir Ken Robinson, welches diese Position mit einer sehenswerten, wenn nicht gar suggestiven Comic-Visualisierung begründet

Leitmedienwechsel-Reaktion 5: Wer redet noch von formaler Bildung?
Im Internet verfügbare Videos sind ein gutes Stichwort für die Argumentation der Leitmedien-Reaktion 5: Das Internet biete so viele Ressourcen, dass gar keine formale Bildung mehr notwendig sei. Interessierte Lernende finden im Internet sowohl massenhaft Inhalte, fertige Kurse als auch Gleichgesinnte, um sich auszutauschen. Die Schule verliere zunehmend ihr Informationsmonopol




Auch die Leitmedienwechsel-Reaktion 5 ist nicht erst in den letzten Jahren entstanden. Neil Selwyn nennt Ivan Illichs Deschooling Society


Leitmedienwechsel-Reaktion 6: Wer redet noch von Bildung?
Die radikalste Reaktionsstufe schließlich orientiert sich an der Singularitätstheorie, die unter anderem vom Informatiker und Futurologen Ray Kurzweil,




Abbildung 2.1: Mögliche Reaktionen der Schule auf den digitalen Leitmedienwechsel
Fazit
In der bildungspolitischen Diskussion findet sich eine große Bandbreite an Meinungen, was mit der Schule angesichts des Leitmedienwechsels geschehen sollte. Sie reicht von abwehrenden oder ignoranten Haltungen über gemäßigte Modernisierungsabsichten und revolutionäre Sichtweisen bis hin zur Forderung, die Schule oder gar die Bildung abzuschaffen (siehe Abbildung 2.1). Diese Positionen sind unvereinbar. In ihnen spiegelt sich weit mehr als die Frage nach der Bedeutung des Computers in der Schule wider. Die Leitmedienwechsel-Reaktionen repräsentieren ganze Welt- und Wertvorstellungen. Entsprechend schwierig sind Diskussionen zu diesem Thema. Die Leitmedienreaktions-Skala kann aber helfen, extremere Positionen in pragmatischen Diskussionen in ihre Schranken zu verweisen, entweder laut vernehmbar öffentlich oder leise für sich selbst.
Kernaussagen
› Die Bandbreite an Vorschlägen, wie die Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren soll, ist sehr groß und reicht vom Ignorieren bis zur Abschaffung der Schule beziehungsweise der Bildung.
› Die Leitmedienwechsel-Reaktionen repräsentieren Welt- und Wertvorstellungen.
› Die Leitmedienreaktions-Skala kann in Diskussionen klärend wirken.
Alle zitierten Quellen dieses Kapitels finden Sie unter

3 Welche Allgemeinbildung wird im Leitmedienwechsel benötigt?

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