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Trotz der Arbeit auf der Kleinsiedlung waren die Ferien am schönsten. Und zumindest den Sonntag hielten die Eltern frei. Mutter pflanzte Gemüse an und Vater nahm die Ernte im Rucksack mit zur Stadt, wo er sie an Privatkundschaft verkaufte. Da es jedoch immer mehr Abnehmer für das Gemüse gab, musste er bald immer mit dem Auto fahren. Das Hansa-Hotel und Woermann & Brock-Einzelhandel wurden ebenfalls ständige Abnehmer. Auch das Hotel Europahof und Eggers-Hotel kauften von uns Gemüse. Inzwischen hatten wir noch zwei weitere Owambo-Männer eingestellt, die sehr fleißig waren. In den dreiwöchigen Juniferien schaufelte ich mit dem einen Owambo ein Wasserloch. Wir mussten nun einen zweiten Brunnen bauen, weil Mutter einen zusätzlichen Garten anlegte.
In einigen Jahren wuchsen Zucker- und Wassermelonen im Überfluss und im nächsten Jahr gab es wieder ganz wenig Ernte. Ich erinnere mich noch gut, dass wir einmal so viele Zuckermelonen ernteten, dass wir nach Walfischbucht fahren mussten, um sie dort einfach auf der Straße zu verkaufen. Abends bin ich mit dem Whippet nach Nonidas-Station gefahren, wenn ein Personenzug unterwegs war und verkaufte Melonen während der Haltezeit im Zug. Der Lokführer hupte dann schon, wenn er fast bei der Station war, ich sprang schnell in den Laster und raste hin. Der Zug stand dann etwas länger, damit jeder kaufen konnte. Der Lokführer bekam immer einige Melonen umsonst und auch Billy erhielt seinen Teil. Die Verspätung des Zuges konnte der Lokführer trotzdem wieder ganz gut aufholen, so dass der Zug pünktlich in Usakos ankam.
Herr Lindau von der Siedlung Brockenfels erntete in einem Jahr so viele Tomaten, dass er einen großen Vertag mit der Fischfabrik in Walfischbucht schließen wollte, um Fisch in Tomatensoße in Dosen einzumachen. Der Vertrag kam aber nicht zustande, worüber Herr Lindau dann heilfroh war, da im nächsten Jahr die Tomatenernte sehr kläglich ausfiel.
So gab es gute und schlechte Jahre und man konnte nie wissen, wie die Ernte ausfallen würde.
In den Juniferien half ich auch oft bei Onkel Gustav. Er hatte von der Regierung die Farm Jakkalswater gepachtet, wo sein Trockenvieh auf Weide stand. Die Milchkühe, die „trocken“ waren, wurden hierhergebracht und die, die frisch gekalbt hatten und gemolken werden sollten, wurden zur Siedlung getrieben, von wo aus er Butter, Milch und Sahne verkaufte. Außerdem schlachtete er auch selbst und verkaufte Frischfleisch. Seine Frau, Tante Sofie, fuhr drei Mal in der Woche mit dem Eselskarren nach Swakopmund, um die Produkte zu verkaufen. Sie konnten jede helfende Hand gebrauchen und ich verdiente mir so ein schönes Ferientaschengeld, mit dem ich mir ein Francis-Barnett-Motorrad kaufte. Es war alt und verrostet, dafür aber billig. Billy half mir, es zu überholen und wieder fahrtüchtig zu machen. Anmelden konnte ich es nicht, da ich ja unter sechzehn war und noch keinen Führerschein besaß. Sonntags fuhren Billy und ich meist mit dem Motorrad zum Angeln. Den Fisch verkaufte Billy dann an das EggersHotel. Er kaufte sich von dem Entgelt meistens eine Flasche Brandy und ich bekam den Rest bar in die Hand. Es war ein gutes Zusatzgeld und ich sparte alles, damit ich mir eines Tages ein größeres Motorrad leisten konnte. Ersatzteile bestellte Billy für mich in Johannesburg bei Motor Cycle Works. Alles kam per Post und wir hatten zumindest keine Ersatzteilprobleme.
Die Ferienarbeit bei Onkel Gustav war vielseitig. So musste ich unter anderem auch mit der Sense Luzerne für die Kühe schneiden. Eines Nachmittags fuhr ich wieder um vier Uhr zu seiner Siedlung und schnitt das Futter. Als Onkel Gustav von Jakkalswater zurückkehrte, bekam ich meinen Lohn: zwei Schilling und sechs Penny, dazu einen vier Wochen alten Welpen. Tante Sofie brannte gerade Schnaps von Pfefferminze, die bei ihnen im Garten wuchs. Ein großer Kupferkessel stand auf dem Holzofen, von dem aus durch ein kleines Rohr das Destillat in ein großes Glas tröpfelte. Zur weiteren Belohnung bekam ich ein Schnapsglas von dem warmen Gebräu. Es schmeckte herrlich und sogleich bekam ich noch ein Gläschen. Das Resultat war, dass die Erde etwas schwankte, während ich, meinen Welpen unter dem einen Arm, das Fahrrad über dem anderen, singend zu Hause ankam. Zum Entsetzen der Mutter war ihr Bub mit dreizehn Jahren betrunken. Onkel Gustav musste sich eine Predigt anhören, die sich gewaschen hatte. Zu Mutters weiteren Ärger war sein einziger Kommentar: „Früh übt sich, wer ein Meister werden will.“ In meinem späteren Leben war ich dann tatsächlich bei so mancher Gelegenheit ein Meister.
Auch während weiterer Ferien bat mich Onkel Gustav immer wieder um Hilfe. Wenn meine Eltern mich entbehren konnten, nahm ich die Arbeit gerne an. Immer wenn wir das Trockenvieh nach Jakkalswater hin- und die Milchkühe zurückbrachten, mussten wir alles, was im Weg stand, zum Beispiel Esel, einfach mitnehmen, egal wem sie gehörten. Onkel Gustavs These war, dass es ja schließlich nicht unsere Schuld war, wenn diese Tiere sich uns einfach anschlossen.
Als ich eine nagelneue Schubkarre für die Arbeit vorfand, erklärte er mir, dass er sie sich bei Woermann & Brock als Entgelt mitgenommen hätte. Er hatte am Vortag dort fünf Sack Zement gekauft. Da gerade keine Hilfskraft zur Verfügung stand, um ihm die Säcke auf seinen Eselskarren zu laden, fuhr er sie mit der Schubkarre selbst aus dem Laden. Da sei es doch nur recht und billig gewesen, dass er die Karre gleich mit aufgeladen habe. So war er, der Onkel Gustav, liebenswert, aber trotzdem ein Gauner durch und durch.
Auf der elterlichen Siedlung waren für die beiden Owambo-Arbeiter inzwischen auch Unterkünfte aus Zementsteinen gebaut worden. Da Milchprodukte sehr begehrt in Swakopmund waren und oft Mangel herrschte, hatte Vater eines Tages eine brillante Idee. In den Juniferien rief er mich zu sich und sagte: „Bruno, jetzt sind Ferien, du bist nun schon vierzehn Jahre alt und damit groß genug. Am Montag bringe ich dich mit dem Owambo Lukas in die Nähe von Karibib, ich möchte dort auf der Farm Ababis drei Kühe bei dem Farmer Gladis kaufen. Du und Lukas bringt die Kühe mit den zwei Kälbern dann zu Fuß, entlang des Swakop, zurück zur Siedlung.“
Ich hatte keine Ahnung was „in der Nähe von Karibib“ hieß und auch nicht, wo der Lauf des Swakop Riviers verlief. Vater sagte: „Es ist recht einfach: Von der Farm bis zum Rivier ist noch gute Weide, danach finden die Kühe im Flussbett genug Grün. Den Weg solltet ihr in etwa fünf Tagen schaffen.“ Der Owambo Lukas und ich bekamen jeder einen alten, geflickten Rucksack. Dann wurde gepackt: ein gusseiserner Dreibeintopf, Streichhölzer, Maismehl, ganz wenig Zucker, denn zu viel davon machte, laut Vater, nur schlapp, Kaffee, Corned Meat aus südafrikanischen Armeebeständen und ein paar Pakete Trockenfleisch. Milch sollten wir unterwegs direkt von den Kühen melken. Billy lieh mir noch sein Tesching-Gewehr und gab mir viele Patronen mit, damit ich unterwegs Perlhühner schießen konnte. Er riet mir außerdem: „Wenn die zäh sind, koch sie einfach die ganze Nacht, im Revier gibt es ja genug Holz.“ Vater füllte noch zwei große alte Wassersäcke, made in Germany, noch aus Oranjemund stammend, und ab ging es mit dem Nash-Bakkie Richtung Wüste.
Mittags kamen wir auf Ababis an. Vater schloss mit dem Farmer Gladis den Handel mit den Kühen ab und verabschiedete sich mit den Worten: „Ihr beide habt alles, was man braucht. Schöne Ferien, Bruno!“ Dann fuhr er in einer großen Staubwolke davon.
Am nächsten Morgen sollte es losgehen. Während ich bei Gladis im Farmhaus übernachtete, hatte Lukas auf der Werft bei den Farmangestellten geschlafen. Er hatte die Gelegenheit genutzt und sich bei den Leuten schlaugemacht, wo genau wir trecken mussten. Die Damara-Arbeiter kannten die Gegend gut und so war Lukas schon etwas besser über die Route im Bilde. Frau Gladis gab mir auch noch ein Päckchen mit selbstgebackenem Biskuit und ein Farmerbrot mit. Voll bepackt machten wir uns dann auf den Weg, die Kühe mit zwei Kälbern vor uns hertreibend.
Lukas sagte, dass unser Treck einen Monat dauern würde, dies zumindest hatten die Arbeiter behauptet. Das waren keine guten Nachrichten und obwohl ich sehr gespannt war auf die Dinge, die auf uns zukommen würden, machte ich mir auch entsprechend Sorgen.
Am ersten Tag ging alles gut. Wir waren stundenlang durch die wogenden Grasflächen der endlosen Namib-Wüste gelaufen. Gegen Abend trafen wir dann auf ein einsam gelegenes Gehöft. Es war die Farm Ubib von einem Herrn Kruger.
„Wo kommt ihr denn her, seid ihr wahnsinnig, zu Fuß nach Swakopmund?“, war seine erste Frage.
„Ja, Herr Kruger, es muss halt sein, sonst bekommen wir unsere Kühe nicht zu unserer Siedlung“, antwortete ich.
Wir wurden mit gutem Essen versorgt und im Haus untergebracht. Am nächsten Morgen gab Herr Kruger uns noch mehr Vorräte mit. Außerdem zeichnete er uns eine Skizze von seiner Landkarte ab. Jetzt planten wir neu, der Weg, den Lukas auf der Werft besprochen hatte, wurde korrigiert. Herr Kruger sprach gut Herero, was auch Lukas beherrschte und so konnte er ihm alles noch mal deutlich erklären. Er verfasste auch einen Brief in Herero, da weiter draußen auf dem einen Viehposten Herero-Arbeiter stationiert waren. Sie sollten uns von dort aus weiter die Richtung weisen.
Dank dieser Hilfe gelangten wir schließlich am nächsten Abend bei Ukuib endlich an den Swakop. Hier war die Landschaft viel zerklüfteter. Der Fluss hatte sich über Jahrtausende tief in die Schichten der Wüste gefressen und dabei die verschiedenen Gesteinslagen freigelegt. In der Abendsonne leuchteten die Felswände in allen Braun-, Grau- und auch Rosatönen. Als wir schließlich unten im Flussbett angekommen waren, bereiteten wir uns auf dem Feuer schnell unsere Mahlzeit zu, rollten unsere dünnen Matten im weichen Sand aus und legten uns dann erschöpft unter dem südlichen Sternenhimmel schlafen. Das Feuer brannte die ganze Nacht und die Kühe, die wir angebunden hatten, blieben ganz in der Nähe, damit herumstreunendes Raubwild sie nicht attackieren konnte.
Am Morgen waren wir ganz zeitig wieder auf den Beinen und treckten am und im Swakop, je nachdem, wie das Gelände es zuließ, vorbei an der Farm Dieptal und dann erreichten wir Salem, wo ein Herr Bertram siedelte. Er kannte mich noch von Oranjemund her. Herr Bertram besaß ein BMW-Motorrad und wollte damit am nächsten Tag nach Swakopmund fahren. Er versprach, bei meinen Eltern vorbeizufahren und ihnen zu berichten, dass alles gut ging und wir wohlauf waren. Am nächsten Tag erreichten wir Gaub, wo einige Mischlinge wohnten. Sie nahmen uns sehr gastfreundlich auf und auch sie reichten uns allerhand zu essen.
Der fünfte Treck-Tag brach an und mittags waren wir bei Riet, wo die Familie Brockerhof siedelte. Herr Brockerhof, der selbst nicht da war – seine Familie bewirtete uns jedoch köstlich – war ein alter Schutztruppler, den ich auch kannte. Er lief nämlich einmal im Monat zu Fuß nach Swakopmund, um Post zu holen und Besorgungen zu machen. Dabei kam er regelmäßig an unserer Siedlung vorbei und trank bei den Eltern immer einen Kaffee. Nun wusste ich, dass es nicht mehr allzu weit war und dass die Damara mit ihrem Monat deutlich übertrieben hatten.
Nach dem Mittagessen bei Brockerhofs zogen wir weiter. An dem Abend, wir lagerten gerade zwischen Arcadia-Siedlung und Husab, bekam die dritte Kuh plötzlich Wehen. Mitten in der Nacht kam dann ein gesundes Kälbchen zur Welt. Husab war ein Trockenposten von „Oubaas“ Schieri-Lartz, Pepis Vater. Dort mussten wir dann zwei Tage Rast einlegen, bis das neugeborene Kälbchen kräftig genug war, um den Treck zu begleiten. Trotzdem mussten wir es abwechselnd immer wieder ein Stück weit tragen. Inzwischen waren wir bereits sieben Tage unterwegs und als wir bei der Siedlung von Familie Poser vorbeitreckten, bat ich Frau Poser, im Hansa-Hotel anzurufen und meinem Vater, wenn er dort das Gemüse ablieferte, ausrichten zu lassen, dass wir bald kommen würden. Am Abend des achten Tages erreichen wir dann endlich die elterliche Siedlung – wohlauf mit drei Kühen und drei Kälbern.
Vater war erleichtert und freute sich. Dass er stolz auf mich war, zeigte er, indem er mich immer wieder damit aufzog, dass ich drei Tage länger gebraucht hatte, als er berechnet hatte. Zwei Jahre später kaufte er vier neue Kühe bei Herrn Kruger auf Ubib und schickte mich und Lukas wieder los. Diesmal brauchten wir nur ganze drei Tage, um die Strecke zu schaffen.
Nach dem ersten Treck hatten wir dank der neuen Kühe natürlich viel Milch, die wir an die Milchwirtschaft Nonidas zu „Oubaas“ Schieri-Lartz lieferten. Ich stand also morgens eine Stunde früher auf, melkte drei Kühe und gab die Milchkannen, die ich mir an die Lenkstange hängte, dort ab. Mittags, auf dem Rückweg, nahm ich dann die leeren Kannen wieder mit. So gab es also noch mehr für mich zu tun als ohnehin schon. Aber die Eltern brauchten jeden Penny. Der Gemüseanbau wurde mehr und mehr, die Nachfrage war groß. Mutter konnte das alleine nicht mehr schaffen und so kündigte Vater schließlich bei dem Elektrizitäts-Werk, um sich ganz auf der Siedlung einzubringen. Er fuhr jeden Dienstag und auch freitags mit dem umgebauten Nash-Bakkie nach Swakopmund und lieferte die Bestellungen ab.
Jeder Tag war ausgefüllt. Neben den Arbeiten auf der Siedlung mussten täglich die Schulaufgaben erledigt werden. Dann kam noch der Konfirmandenunterricht bei Pastor Schmidt dazu. Zusätzlich einmal in der Woche nachmittags zwei Stunden und dann musste ich auch noch am Sonntag zur Kirche gehen, an dem ich bisher meinen Ruhe- und Fischfangtag gehabt hatte. Meist hatte ich das Glück, dass eine benachbarte Siedlerfrau am Sonntag Milch ablieferte und so konnte ich oft mit ihr mit dem Auto mitfahren. Sie hatte so auch einen Grund, private Besuche zu machen, bis ich aus der Kirche kam. Wenn das Wetter gut war, wartete Billy schon auf mich, damit wir wenigstens am Nachmittag noch zum Angeln fahren konnten.
An einem dieser Angeltage erzählte mir Billy von einem seiner Eisenbahnkollegen, der kürzlich verstorben war. Kurz vor dessen Pensionierung fuhr er mit seinem Motorrad am Strand entlang, um zu angeln. Er war etwas kränklich, hatte Asthma, fuhr aber trotzdem regelmäßig an diesen Strandabschnitt. Eines Tages, auf der Rückfahrt, sah er ein Stück von einem hölzernen Schiffsrumpf aus den strandnahen Wogen ragen, darauf einen Schiffsnamen eingebrannt. Er schrieb diesen Namen auf seine Zigarettenschachtel und fuhr heimwärts. Zu Hause berichtete er seiner Frau davon und gab ihr die Schachtel zur Aufbewahrung. Kurz darauf verstarb er und seine Frau hatte Billy nach der Beerdigung die Schachtel gegeben. Die Ehefrau war gleich wieder zurück nach Südafrika gegangen, wo die Familie ursprünglich hergekommen war. Billy gab mir dann die leere Schachtel mit der Aufschrift und ich verstaute sie zu Hause in meinem Kleiderschrank.
Meistens kam ich spät nach Hause, wenn ich mit Billy angeln war. Aber es gab dann immer frischen Fisch und auch das Kleingeld stimmte.
Anmerkung: Viele Jahre später fand ich bei irgendeiner Sucherei den abgerissenen Deckel der alten Zigarettenschachtel wieder und erzählte einem befreundeten Anwalt von dieser Geschichte. Wir gingen nicht weiter auf die Sache ein, aber es ließ ihm doch wohl keine Ruhe und am nächsten Morgen rief er mich an und sagte: „Bruno, bring mir den Deckel doch mal ins Büro, wir sollten vielleicht einige Nachforschungen anstellen.“ Ich brachte den Deckel also zu ihm. Da der Name, der auf dem alten Stück Schiffsrumpf gestanden hatte, portugiesisch klang, beauftragte er seine Sekretärin zunächst einmal, einen Brief an das portugiesische National-Archiv in Lissabon zu schreiben. Sie sollten uns informieren, ob sie Kenntnis von einem Schiff mit diesem Namen hatten. Wir hatten den Vorfall längst vergessen, als viele Monate später die Antwort aus Portugal eintraf. Mein Freund rief mich eiligst in sein Büro. Das Segelschiff war tatsächlich unter der Flagge Portugals, sie teilten uns das genaue Jahr Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit, auf Handelsreise nach Indien gefahren. Auf der Rückreise muss es zwischen Angra Pequena und Cape Frio untergegangen sein. Die letzte Rollenmeldung war nachweislich in Angra Pequena abgegeben worden, das Schiff war aber nie am nächsten Stützpunkt, Cape Frio, angekommen. Das Archiv Lissabon hatte eine Liste der Ladung beigelegt. Diese bestand aus sechshundert Kilogramm Elfenbein, vierhundert Kilogramm Goldbarren und noch sehr vielen anderen Edelsachen. Immer wieder habe ich daraufhin an der von Billys Kollegen beschriebenen Stelle nach weiteren Hinweisen am Strand gesucht, leider ohne Erfolg. Meine Suche war allerdings aus Zeit- und Geldmangel auch nie besonders intensiv gewesen.
Eines Tages in den Ferien kam Pastor Schmidt auf seinem Motorrad zu Besuch. Er blieb zu Mittag und wie gewöhnlich fing dann gegen eins der Südwest-Wind zu wehen an. Gegen drei Uhr blies er dann aber so heftig, dass der Pastor unmöglich mit dem Motorrad fahren konnte. Vater sagte: „Bruno, lade das Motorrad auf den Nash und bringe den Pastor heim.“ Ich gab zu bedenken, dass ich ja noch keinen Führerschein besaß. Vater sagte: „Wenn der Pastor nicht heimkommt, hat er ganz andere Sorgen, also lasst euch nicht erwischen und bringe bitte noch die Post mit.“ So fuhr ich mit Pastors Segen das erste Mal selbständig in die Stadt hinein. Zuerst lud ich den Pastor bei der Kirche ab, danach fuhr ich zur Post, die in derselben Straße lag wie das Magistratsgebäude und die Polizeistation. Angeberisch, wie ich mich fühlte, fuhr ich dann auch noch zu Kurt und besuchte ihn im Schülerheim. Alles ging gut und ich kam ohne Probleme wieder zu Hause an. Von da ab fuhr ich auch oft allein mit dem Motorrad in die Stadt. Führerscheinlos, wie ich war, verließ ich mich dabei immer „auf Pastors Segen“. Bald war es die normalste Sache der Welt und es war allseits bekannt, dass Bruno in Swakopmund herumfuhr. Ich wurde niemals erwischt.
Das Problem kam dann erst, als ich sechzehn Jahre alt wurde und nun tatsächlich den Führerschein machen musste. Zuerst musste man einen Lehrschein beantragen, den man ohne Fahrprüfung bekam. Mit Lehrschein durfte man dann in Begleitung eines erwachsenen Führerscheininhabers das Fahren üben. Wenn man das gut genug konnte, prüfte die Polizei die Fahrtüchtigkeit. Erst dann erhielt man den eigentlichen Führerschein.
Ich fuhr also mit dem Auto in die Stadt, parkte vor der Post und ging zu Fuß rüber zur Polizei, um zunächst einmal meinen Lehrschein zu organisieren. Sergeant Venter war der oberste Polizeiwachtmeister. Er kannte meine Eltern gut und mich natürlich auch.
„Guten Morgen Sergeant“, sagte ich freundlich.
„Kann ich dir helfen, Bruno?“, fragte er.
„Sergeant, die Zeit ist gekommen, ich bin jetzt sechzehn und brauche nun einen Führerschein.“
Sergeant Venter fiel der Stift aus der Hand: „Du hast gar keinen Führerschein? Und fährst schon seit zwei Jahren hier mit dem Auto herum? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich eingesperrt!“
„Sergeant, Sie haben ja nie gefragt und ich hatte einfach Glück.“
„Geh sofort rüber zum Magistrat Maritz und hole dir dort den Lehrschein!“
„Sergeant, der Herr Maritz ist nicht besonders freundlich, der macht bestimmt Probleme.“
Sergeant Venter verdrehte die Augen und stöhnte: „Ich komme mit!“
So marschierten wir zum Magistrat. Er entnervt vorneweg und ich hinterher. Und schon tratschten die Leute auf der Straße, dass der Bruno Hoppe wohl eingelocht werden solle.
Beim Magistrat Maritz angekommen, sagte der Sergeant barsch: „Gib Bruno einen Lehrschein!“
„Was, der hat gar keinen Führerschein?“
Der Sergeant antwortete, dass dies nicht sein Problem sein sollte und so stellte mir Magistrat Maritz widerwillig einen Lehrschein aus. Zum Glück war ich dort nicht alleine anmarschiert, das wäre mit Sicherheit nicht gut gegangen.
Der Sergeant fragte mich: „Wie bist du hergekommen?“
„Natürlich mit dem Auto, das steht bei der Post.“
„Nun ja, dann kannst du mich jetzt prüfungshalber auch gleich zum Eggers-Hotel fahren!“
Ich tat wie geheißen und Sergeant Venter setzte sich an die Bar im Hotel und unterschrieb auf dem Lehrschein, dass ich die Fahrprüfung bestanden hatte. Er sagte: „So, nun kannst du deinen Führerschein holen und danach holst du mich hier wieder ab.“
Eine halbe Stunde später war ich wieder beim Magistrat und gab den offiziell von der Polizei unterschriebenen Lehrschein wieder ab, um nun den Führerschein zu erhalten. Der Blick von Magistrat Maritz sprach Bände, als er mir ein Pfund Gebühr abrechnete, den Führerschein ausstellte und dann „raus!“ brüllte.
Inzwischen war Billy im Hotel zum Sergeanten an die Bar gestoßen und die beiden tranken gemütlich ein Bier zusammen. Ich sagte: „Ich habe den Führerschein, Sergeant, und kann Sie nun zurück zur Polizeistation fahren.“
„Du bezahlst die Rechnung hier zur Strafe“, sagte er und stand auf. Als ich vor der Polizeistation hielt und der Sergeant ausgestiegen war, rief ich noch: „Danke und bis Morgen dann!“
„Du Lump, ich will dich hier nicht wiedersehen“, war die Antwort.
Diesen Gefallen konnte ich dem Sergeanten jedoch leider nicht tun. Am nächsten Morgen lieh ich vorsorglich das Motorrad von Billy und erschien wieder auf dem Polizeirevier.
„Guten Morgen!“, rief ich fröhlich. Grimmig fragte er: „Was willst du schon wieder hier?“
Als ich sagte „Sergeant, ich brauche doch nun auch noch einen Motorradführerschein“, dachte ich, dass er gleich platzen würde.
Die ganze Prozedur vom Vortag wiederholte sich also. Zum Glück fanden wir anstelle des Herrn Magistrat Maritz nur eine freundliche Dame vor, die keinerlei Probleme bereitete. Sergeant Venter war inzwischen darauf gekommen, dass mein Motorrad ja nicht angemeldet, also nicht lizensiert sein konnte, da ich bisher noch keinen Führerschein besessen hatte. Schlau und voller Vorfreude fragte er mich, wo ich denn heute parke und ich solle doch einmal vorfahren. Als ich dann mit Billys angemeldeten Motorrad vorfuhr, ärgerte er sich gewaltig: „Seit wann stecken die Engländer mit den Deutschen unter einer Decke?“
Den Kommentar überhörte ich und sagte: „Bedauerlicherweise kann ich heute nicht beim Eggers-Hotel vorfahren, da Billy sein Motorrad dringend zurück braucht, außerdem habe ich nach den ganzen Ausgaben jetzt kein Taschengeld mehr übrig, um Drinks zu bezahlen.“
Nachdem ich dann endlich den Motorradführerschein in der Tasche hatte, fuhr ich schnell zurück zur Nonidas-Station und brachte Billy seine Maschine zurück.
Am nächsten Tag fuhr Vater Gemüse in die Stadt und wurde von allen möglichen Leuten angesprochen, was sein Sohn denn ausgefressen hätte, da er ja mehrmals in den vergangenen Tagen im Schlepptau von einem wütenden Polizisten ins Magistratsgebäude musste.
Sergeant Venter und ich waren noch lange Stadtgespräch und -gelächter.
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