Ricarda Huch: Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 1 - Band 181e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski

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In Mainz selbst, das nach dem Untergang der städtischen Freiheit allmählich ganz teils unter klerikalen, teils unter französischen Einfluss geriet, wurde der Erfinder der ars sancta et divina, den die gebildete Welt pries und feierte, vergessen; aber grade die Franzosen waren es, die sein Andenken in seiner abgestumpften Vaterstadt neubelebten. Sie, die den Erfinder jener Kunst, durch die der menschliche Gedanke bis in die fernsten Länder und bis in die niedrigste Hütte verbreitet wird, ebenso verehrten, wie sie die Kirche verabscheuten, trafen, sowie sie Mainz als ihnen gehörig betrachteten, Anstalten, um sein Gedächtnis dauernd zum Ausdruck zu bringen. Napoleon ließ einen Platz inmitten der Stadt anlegen, der Gutenberg gewidmet sein sollte, und der, wenn er so groß, wie er geplant war, ausgeführt worden wäre, zugleich ein Bild der Revolution dargestellt hätte, die mit großen scharfen Linien das krause Mittelalter durchschnitt und zur Seite warf. Dort steht jetzt das Standbild, das Thorwaldsen schuf und, um dem Erfinder, der die Welt bereicherte, seine Ehrfurcht zu beweisen, der Stadt schenkte. Wunderbar ist es, dass die Kraft des erlöschenden Geschlechts, auf dem die Blüte des goldenen Mainz zum großen Teil beruhte und mit dem sie schwand, sich in einem letzten Sprössling sammelte, um grade die Kunst hervorzubringen, die den Charakter des Lebens so wesentlich, segensreich und zerstörend, veränderte. Sie schob sich zwischen Mensch und Mensch, begünstigte die Entwicklung des modernen wissenschaftlichen Menschen, machte aus dem Sänger und Dichter den Schriftsteller, lähmte die Phantasie und die mündliche Überlieferung, die, indem sie Sage, Legende und Mythos schafft, bedeutungslose Tatsachen zu ewiger Wahrheit erhebt. Sie war ein Geschenk scheidender Jugend an die gereifte Menschheit, vereinigend, erhaltend, erhellend.
Bei dem großen Gutenbergfest, das die Stadt Mainz im Jahr 1900 veranstaltete, indem sie das Geburtsjahr Gutenbergs auf 1500 festsetzte, waren zwei alte Herren von Molsberg anwesend und wurden als letzte Glieder eines alten Mainzer Geschlechts ausgezeichnet. Der Molsbergerhof lag an der Korbgasse, und das schöne Haus Zum Krummen Ring, in dem noch ein Rittersaal erhalten ist, gehörte dazu. Da der erste Molsberg um 1277 genannt wird, hat sich die Familie über 700 Jahre erhalten, und die beiden Letzten mögen den losgerissenen und zerstreuten Menschen von heute erschienen sein wie ein Band, das sie mit den Vätern verknüpfte.
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