Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46

- -
- 100%
- +
„In dem Lager ist es mindestens seit Sommer 1933 zu ungewöhnlich schweren Mißhandlungen der Häftlinge gekommen. Die Häftlinge – wurden nicht nur ähnlich wie in dem Schutzhaftlager Bredow bei Stettin grundlos mit Peitschen und anderen Werkzeugen bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen, sondern man quälte sie auch auf andere Weise, so unter anderem mit Hilfe eines ausschließlich zu diesem Zweck konstruierten Tropfapparates, unter dem die Häftlinge so lange stehen mußten, daß sie schwere eitrige Verletzungen der Kopfhaut davontrugen...“ (787-PS).
Ich will mich nicht damit aufhalten, die schauerlichen Vorgänge in den Konzentrationslagern im einzelnen zu beschreiben. Daß man Menschen schlug, ihnen die Nahrung entzog, sie quälte oder sie umbrachte, wurde zu einer alltäglichen Gewohnheit, – so sehr, daß die Peiniger abgestumpft und unbekümmert wurden. Wir werden Ihnen einen Bericht vorlegen, aus dem hervorgeht, daß in Plötzensee in einer Nacht 186 Personen hingerichtet wurden, während der Befehl nur für 180 Personen galt. Ein anderer Bericht beschreibt, wie die Familie eines Opfers versehentlich zwei Urnen mit Asche erhielt. Lagerinsassen wurden gezwungen, sich gegenseitig hinzurichten. Im Jahre 1942 erhielten sie fünf Mark je Hinrichtung, aber am 27. Juni 1942 wies SS-Brigadeführer und General der Waffen-SS Glücks die Lagerkommandanten an, dieses Honorar auf drei Zigaretten herabzusetzen. Im Jahre 1943 befahl der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, daß die Prügelstrafe an russischen Frauen von Polinnen zu vollziehen sei und umgekehrt. Der Preis war jedoch nicht genau festgelegt: „einige Zigaretten“ wurden als „Belohnung“ zugestanden. Das Menschenleben war unter den Nazis immer mehr entwertet worden, bis es schließlich weniger galt als eine Handvoll Tabak, – Ersatztabak. Aber es gab auch einige Spuren menschlicher Milde; am 11. August 1942 erließ Himmler einen Befehl an die Kommandanten von vierzehn Konzentrationslagern, daß nur deutsche Gefangene das Recht haben, andere deutsche Gefangene zu schlagen (2189-PS).
Geheimnis und Ungewißheit sollten außerdem die Qual von dem Lagerinsassen auf seine Familie und seine Freunde übertragen. Männer und Frauen verschwanden aus ihrer Wohnung, aus ihrem Geschäft oder von der Straße, – und man hörte nichts mehr von ihnen. Daß eine Benachrichtigung ausblieb, ging nicht auf eine Überlastung der Behörde zurück; es lag vielmehr Plan und Absicht darin. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD berichtete, daß nach einem Führerbefehl sorgenvolle Unruhe in der Familie eines Festgenommenen hervorgerufen werden solle (Dokument 668-PS). Verschleppungen und geheime Festnahmen wurden in einer fast gespenstischen Findigkeit mit dem Stichwort „Nacht und Nebel“ umgeben (Dokument L-90, 833-PS).
Eine der vielen Anordnungen für diese Angelegenheit gibt auch die Aufklärung:
„Der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht befiehlt, daß die von Zivilpersonen in den besetzten Gebieten begangenen Straftaten der bezeichneten Art von den zuständigen Kriegsgerichten in den besetzten Gebieten nur abzuurteilen sind, wenn
a) das Urteil auf Todesstrafe lautet
und b) das Urteil innerhalb von 8 Tagen nach der Festnahme verkündet wird.
Nur wenn beide Voraussetzungen gewährleistet werden, verspricht sich der Führer und Oberste Befehlshaber der Wehrmacht von der Behandlung der Strafverfahren in den besetzten Gebieten die erforderliche abschreckende Wirkung. Andernfalls sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme liegt
a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten,
b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf“ (833-PS).
Zu plumper Grausamkeit kam wissenschaftliches Geschick. „Unerwünschte“ wurden ausgelöscht, indem man ihnen irgendwelche Lösungen in den Blutkreislauf einspritzte, oder sie erlitten in Gaskammern den Erstickungstod; man erprobte die Wirkung vergifteter Kugeln an ihnen (L-103).
Neben allem Grausamen in diesen Versuchen stand das schmutzig Widerwärtige, nicht aus der Verkommenheit Untergeordneter entstanden, sondern ersonnen von führenden Köpfen der Nazi-Verschwörung. Am 20. Mai 1942 ermächtigte Generalfeldmarschall Milch den SS-Obergruppenführer Wolff, im Lager Dachau mit sogenannten „Kälteversuchen“ zu beginnen; vier Zigeunerinnen wurden dafür zur Verfügung gestellt. Himmler erlaubte dann, diese „Versuche“ in anderen Lagern fortzusetzen (1617-PS). Aus den Berichten des leitenden „Arztes“ von Dachau geht hervor, daß die Opfer in kaltes Wasser getaucht wurden, bis ihre Körpertemperatur auf achtundzwanzig Grad Celsius sank, worauf sie alle augenblicklich starben (1618-PS). Das war im August 1942. Aber der „Arzt“ verbesserte sein Verfahren. Im Februar 1943 konnte er berichten, daß dreißig Personen auf siebenundzwanzig bis neunundzwanzig Grad „abgekühlt“ worden waren, wobei ihre Hände und Füße weiß froren, und daß ihre Körper dann durch ein heißes Bad bald wieder völlig „aufgewärmt“ worden waren. Der Triumph der Nazi-Wissenschaft waren jedoch „Erwärmungsversuche durch animalische Wärme“. Um das Opfer, das beinahe erfroren war, wurden Körper Lebender Frauen gelegt, bis es wieder zu sich kam und auf seine Umgebung mit Geschlechtsverkehr reagierte (1616-PS). Damit erreichte die Verkommenheit der Nazis ihren tiefsten Stand.
Ich belaste nicht gern das Protokoll mit solchen krankhaften Geschichten, aber wir haben die traurige Aufgabe, über Männer zu Gericht zu sitzen, die Verbrecher sind, und dieses sind die Dinge, die sich nach Aussage ihrer eigenen Helfershelfer zugetragen haben. Wir werden Ihnen die Konzentrationslager im Film genau in dem Zustand zeigen, in dem die Armeen der Alliierten sie bei ihrer Ankunft vorgefunden haben, und die Maßnahmen, die General Eisenhower treffen mußte, sie zu säubern. Unser Beweismaterial wird widerwärtig sein, und Sie werden sagen, ich hätte Ihnen den Schlaf geraubt. Aber das sind die Dinge, die den Ekel und Abscheu der Welt erregt und dazu geführt haben, daß in den zivilisierten Ländern jede Hand sich erhob gegen Nazi-Deutschland.
Deutschland wurde eine riesige Folterkammer. Die Schreie der Opfer wurden in der ganzen Welt gehört und ließen die Gesitteten erschauern ringsum. Ich gehöre zu denen, die während des Krieges die meisten Greuelgeschichten mißtrauisch und mit Zweifel aufgenommen haben. Aber die Beweisstücke, die wir vorlegen, werden überwältigend sein, und ich wage vorauszusagen, daß nicht eines meiner Worte widerlegt werden wird. Die Angeklagten werden nur ihre persönliche Verantwortung abstreiten oder behaupten, ihnen seien diese Dinge nicht bekannt gewesen.
In jener Wirrnis geheimer Überwachung und ränkevoller List, wie sie von einem modernen Staate noch niemals ertragen worden ist, in einer Verfolgung und Folterung, wie sie die Welt seit vielen Jahrhunderten nicht mehr heimgesucht haben, wurde alles, was anständig und mutig zugleich war im deutschen Volke, vernichtet. Was anständig, aber schwach war, wurde eingeschüchtert. Offener Widerstand, der nie mehr als matt und unentschlossen gewesen war, verschwand. Aber Widerstand, wie ich gern feststelle, blieb immer vorhanden, wenn er auch nur in Ereignissen wie dem mißlungenen Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 offenbar wurde. Als der Widerstand sich nur noch unterirdisch halten konnte, hatten die Nazis den Staat in ihre Gewalt gebracht.
Sie ließen sich aber nicht daran genug sein, die Stimmen des Widerspruchs stumm zu machen. Sie schufen sich ein System der Aufsicht und Lenkung, das im Werben um Zustimmung und Bereitwilligkeit nicht minder wirksam war als ihre Einrichtungen zum Niederhalten des Gegners. Eine Propaganda, wie sie bis dahin nicht bekannt war, erweckte in der Partei und ihren Gliederungen immer von neuem Begeisterung und Hingabe, wie wir Demokraten sie nur für einige Tage vor einer großen Wahl aufbringen können. Sie stützten sich auf das von ihnen geprägte und ausgebildete „Führerprinzip“, das die Herrschaft der Partei und des von der Partei beaufsichtigten Staates über das Leben und Denken des deutschen Volkes in sich zusammenfaßte, eines Volkes, das gewohnt ist, zu dem Staat – gleichgültig wer ihn regiert – mit einem geheimnisvollen Schauer der Ehrfurcht aufzublicken, wie er meinem Volke unbegreiflich ist.
Alle diese Führungsmittel wurden von Anfang an mit einem Eifer ohnegleichen zu dem einen Zweck benutzt, Deutschland kriegstüchtig zu machen. Wir werden aus den eigenen Unterlagen der Nazis nachweisen, wie die militärische Ausbildung und die Aufstellung einer Luftwaffe im geheimen betrieben wurde, bis dann schließlich die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. Die Männer aus Wirtschaft, Industrie und Finanz beteiligten sich an dem gemeinsamen Plan und forderten eine weitgehende Anpassung der Industrie und der Geldwirtschaft, um mit einer beispiellosen Zusammenfassung aller Hilfsquellen und Kräfte die Kriegsvorbereitungen zu unterstützen.
Deutschland überholte seine Nachbarn in der Aufrüstung so sehr, daß es in etwa einem Jahre die gesamte Militärmacht des europäischen Festlandes, mit Ausnahme Sowjetrußlands, zu zerschlagen und dann die russischen Armeen bis zur Wolga zurückzudrängen vermochte. Diese Vorbereitungen waren so gewaltig, daß sie weit über das für die Verteidigung Notwendige hinausgingen. Jeder der Angeklagten – und jeder Deutsche, der sich Gedanken machte – wußte denn auch sehr wohl, daß sie Angriffszwecken dienen sollten.
Angriffsversuche.
Bevor die Nazis zum offenen Angriffskrieg übergingen, unternahmen sie einige ziemlich vorsichtige Versuche, den Geist und den Widerstandswillen derer zu erproben, die ihnen im Wege standen. Sie rückten vor, aber nur so weit, wie die anderen nachgaben, und hielten sich eine Rückzugsstellung frei, falls sie auf eine Stimmung treffen sollten, die Beharrlichkeit gefährlich machte.
Am 7. März 1936 besetzten die Nazis das Rheinland und gingen dann dazu über, es unter Verletzung des Vertrages von Versailles und des Locarnopaktes zu festigen. Sie stießen auf keinen wesentlichen Widerstand und wurden ermutigt, den nächsten Schritt zu tun: die Einverleibung Österreichs. Trotz wiederholter Versicherungen, daß Deutschland keine Absichten auf Österreich habe, wurde der Einmarsch vollzogen. Die Drohung mit einem Angriff zwang Schuschnigg, als österreichischer Bundeskanzler zurückzutreten und den Nazi-Angeklagten Seyß-Inquart an seine Stelle zu setzen. Dieser öffnete sofort die Grenze und forderte Hitler auf, nach Österreich einzumarschieren, „um die Ordnung aufrechtzuerhalten“. Am 12. März begann der Einmarsch. Am nächsten Tage erklärte sich Hitler zum Oberhaupt des österreichischen Staates und übernahm den Oberbefehl über die österreichische Wehrmacht. Ein Gesetz wurde verkündet, das Österreich an Deutschland angliederte.
Die Drohung mit dem Angriff war erfolgreich gewesen, ohne Widerstand hervorzurufen. Dennoch waren Befürchtungen wachgeworden. Sie wurden beschwichtigt durch eine Versicherung an die Regierung der Tschechoslowakei, daß kein Angriff gegen dieses Land beabsichtigt sei. Wir werden nachweisen, daß die Nazi-Regierung zu jener Zeit die Pläne für den Angriff bis in die Einzelheiten ausgearbeitet hatte. Wir werden Ihnen die Schriftstücke vorlegen, nach denen die Verschwörer planten, einen Zwischenfall zu schaffen, um den Angriff zu rechtfertigen. Sie erwogen sogar die Ermordung ihres eigenen Gesandten in Prag, um einen genügend dramatischen Zwischenfall zu schaffen. Sie führten nach Kräften eine politische Krise herbei, die den Sommer hindurch anhielt. Hitler setzte den 30. September als den Tag fest, an dem die Truppen zum Schlag bereit sein sollten. Unter der unmittelbaren Kriegsdrohung schlossen England und Frankreich am 29. September 1938 in München mit Deutschland und Italien ein Abkommen, das die Tschechoslowakei aufforderte, der Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland zuzustimmen. Mit der deutschen Besetzung am 1. Oktober 1938 wurde dieses Abkommen vollzogen. Das Münchener Abkommen hatte zugesichert, daß sich keine weiteren Angriffshandlungen gegen die Tschechoslowakei richten sollten, aber diese Zusicherung der Nazis war leicht gegeben und schnell gebrochen. Am 15. März 1939 marschierten die Nazis unter Mißachtung des Münchener Abkommens in Böhmen und Mähren ein und besetzten dieses Gebiet, das Kernstück der Tschechoslowakei, soweit es noch nicht an Deutschland abgetreten war. Wieder war der Westen bestürzt, aber er fürchtete den Krieg. Er sah keinen anderen Ausweg als den Krieg und hegte dennoch die verzweifelte Hoffnung, daß der fiebernde Drang der Nazis nach Ausdehnung sich nun beruhigt haben möge. Die Nazi-Welt aber war berauscht von diesen – in offenem Bündnis mit Mussolini und im heimlichen mit Franco – eingeheimsten Erfolgen die auf keinen Widerstand gestoßen waren.
Nachdem die Verschwörer dann zur Täuschung und um Aufschub zu gewinnen, ihren Frieden mit Rußland geschlossen hatten, gingen sie zu dem letzten Teil ihres Planes über, den Krieg von neuem zu beginnen.
Angriffskrieg.
Ich will diese Rede nicht verlängern, indem ich im einzelnen der Entwicklung bis zum Ausbruch des Angriffskrieges nachgehe, der mit dem Einmarsch in Polen am 1. September 1939 begann. Die Vorgänge werden Ihnen aus den Dokumenten, darunter den Akten des Oberkommandos der Wehrmacht, dargelegt werden. Die Pläne waren lange im voraus festgelegt worden. Bereits im Jahre 1935 ernannte Hitler den Angeklagten Schacht zum „Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft“ (2261-PS). Wir besitzen das Tagebuch des Generalobersten Jodl (1780-PS); den „Plan Otto“, Hitlers eigenen Befehl zum Angriff auf Österreich, falls List und Kniff versagen sollten (C-102); den „Plan Grün“, den Entwurf für den Angriff auf die Tschechoslowakei (388-PS), den Plan für den Westfeldzug (375-PS, 376-PS), Funks Brief an Hitler vom 25. August 1939, in dem der lange Weg der wirtschaftlichen Vorbereitungen ausführlich beschrieben wird (699-PS), den streng geheimen Mobilmachungsplan für 1939/40, der geheime Maßnahmen während einer „Zeit der Spannung“ anordnet, in welcher „der Kriegszustand aus außenpolitischen Rücksichten nicht befohlen wird, auch wenn es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit einem äußeren Feinde kommt“. Dieses letzte Dokument – 1639-A-PS – ist in unseren Händen, obwohl in einem Geheimbefehl vom 16. März 1945 angeordnet worden war (1640), diese Pläne zu verbrennen, falls die alliierten Truppen in das Innere Deutschlands eindringen sollten. Wir besitzen auch die Anweisung Hitlers für den „Fall Barbarossa“, die unter dem Datum des 18. Dezember 1940 den Grundgedanken des Feldzugsplans für den Angriff auf Rußland umreißt (446-PS).
Das Original dieses Dokumentes trägt die Initialen Keitels und Jodls. Diese planten den Angriff, und zwar lange Zeit vor den Kriegserklärungen. Wir haben sehr genaue Unterlagen über den „Fall Weiß“, den Plan für den Angriff auf Polen (C-120).
Damit begann der Krieg. Der Plan war von Keitel am 3. April 1939 gezeichnet worden. Schritte zum Angriff wurden von untergeordneten Kommandeuren unternommen, von denen einer am 14. Juni 1939 einen Befehl herausgab, der folgendes voraussah:
„Der Herr Oberbefehlshaber des Heeres hat die Bearbeitung eines Aufmarsches gegen Polen angeordnet, der den Forderungen der politischen Führung nach überraschender Kriegseröffnung und schnellen Erfolgen Rechnung trägt...
Ich mache den Kommandierenden Generalen, den Div.-Kdren. und Kommandanten weitestgehende Beschränkung des Kreises der zunächst einzuweisenden Persönlichkeiten und des Umfanges der Einweisungen zur Pflicht und bitte alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Kenntnisnahme Unbeteiligter zu verhindern...
Die Operation soll, um einer geordneten polnischen Mobilmachung und Versammlung zuvorzukommen, überraschend mit in Grenznähe bereitgestellten und vorwiegend gepanzerten und mot. Kräften eröffnet werden. Die hierbei gegenüber der poln. Grenzsicherung bestimmt erwartete Anfangsüberlegenheit und Überraschung, soll durch schnelles Nachführen weiterer Teile des Heeres, auch gegenüber dem aufmarschierenden polnischen Heer aufrechterhalten werden...
Ergibt sich aus der Entwicklung der politischen Lage, daß eine Überraschung bei Kriegsbeginn wegen fortgeschrittener Abwehrbereitschaft des polnischen Heeres nicht in Frage kommt, wird der Oberbefehlshaber des Heeres die Eröffnung der Feindseligkeiten erst nach Versammlung ausreichender weiterer Kräfte befehlen. Alle Vorbereitungen sind auf der Grundlage der Überraschung des Feindes zu treffen...“
Wir besitzen ebenfalls den Befehl des Angriffes auf England, wieder mit den Initialen Keitels und Jodls. Der Anfang des Befehls lautet wie folgt: Obwohl die britische militärische Stellung „hoffnungslos“ ist, zeigen sie nicht das geringste Anzeichen von Nachgiebigkeit (442-PS). Nicht weniger belastend ist die Niederschrift über Hitlers Besprechung mit seinen höchsten Ratgebern.
Bereits am 5. November 1937 erklärte Hitler den Angeklagten Göring, Raeder und Neurath unter anderem, daß die deutsche Aufrüstung so gut wie beendet sei und daß er sich entschlossen habe, beginnend mit einem blitzartig schnellen Angriff auf die Tschechoslowakei und Österreich, mit Gewalt einen größeren Lebensraum für die Deutschen in Europa zu sichern, nicht später als 1943 bis 1945, vielleicht aber schon im Jahre 1938 (386-PS).
Der Führer erklärte am 23. Mai 1939 seinem Stab:
„Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung... Neben der Fruchtbarkeit wird die deutsche, gründliche Bewirtschaftung die Überschüsse um ein mehrfaches steigern... Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen und bleibt der Entschluß: bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen. An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Es wird zum Kampfe kommen“ (L-79).
Am 22. August 1939 sprach Hitler wiederum zu Angehörigen des Oberkommandos der Wehrmacht und teilte ihnen mit, wann der Befehl zum Beginn der militärischen Operationen ausgegeben werde. Er sagte dabei, daß er propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben werde... „gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht... Brutales Vorgehen... Der Stärkere hat das Recht.“ (1014-PS.)
Am 23. November 1939, nachdem die Deutschen die Polen überfallen hatten, gab Hitler folgende Erklärung ab:
„... Zum erstenmal in der Geschichte haben wir nur gegen eine Front zu kämpfen, die andere ist zur Zeit frei. Aber niemand kann wissen, wie lange es so bleibt. Ich habe lange gezweifelt, ob ich erst im Osten und dann erst im Westen losschlagen sollte. Grundsätzlich habe ich die Wehrmacht nicht aufgestellt, um nicht zu schlagen. Der Entschluß zum Schlagen war immer in mir. Früher oder später wollte ich das Problem lösen. Zwangsläufig wurde entschieden, daß der Osten zunächst zum Ausfall gebracht wurde“ (789-PS).
Die blutigen Folgen sind bekannt. Grenzzwischenfälle wurden inszeniert, Forderungen auf Gebietsabtrennungen erhoben. Als Polen ablehnte, marschierten die deutschen Truppen am 1. September 1939 ein. Warschau wurde zerstört. Polen fiel.
Nach ihrem Plan setzten die Nazis alles daran, ihren Angriff schnell auf ganz Europa auszudehnen und den Vorteil der Überraschung über ihre unvorbereiteten Nachbarn zu gewinnen. Trotz wiederholter Versicherungen friedlicher Absichten fielen sie am 9. April 1940 in Dänemark und Norwegen ein, am 10. Mai 1940 in Belgien, Holland und Luxemburg und am 6. April 1941 in Jugoslawien und Griechenland.
Als Teil der Vorbereitung der Nazis auf den Angriff gegen Polen und seine Verbündeten hatte Deutschland am 23. August 1939 einen Nichtangriffspakt mit Sowjetrußland abgeschlossen. Es war nur ein Vertrag, der Aufschub schaffen wollte; so war denn die Absicht, ihn nur so lange zu halten, als Zeit erforderlich war, sich auf seine Verletzung vorzubereiten. Am 22. Juni 1941 warfen die Nazis nach lange erwogenen Plänen ihre Truppen ohne jede Kriegserklärung in das Sowjetgebiet.
Die gesamte europäische Welt stand in Flammen.
Verschwörung mit Japan.
Die Angriffspläne der Nazis machten es erforderlich, sich irgendwelcher Verbündeten im asiatischen Raume zu bedienen, und sie fanden unter den Japanern Männer verwandten Geistes und gleicher Ziele. Sie waren Brüder und paßten zueinander.
Über eine Unterhaltung mit dem japanischen Botschafter in Berlin, General Oshima, am 31. Januar 1939 machte Himmler eine Aufzeichnung, in der es heißt:
„Darüber hinaus sei es ihm (Oshima) bis jetzt gelungen, zehn Russen mit Bomben über die kaukasische Grenze herüberzubringen. Diese Russen hatten den Auftrag, Stalin umzubringen. Eine Anzahl weiterer Russen, die er ebenfalls herübergeschickt hätte, seien an der Grenze erschossen worden.“ (2195-PS).
Am 27. September 1940 schlossen die Nazis ein Militär- und Wirtschaftsbündnis zwischen Deutschland, Italien und Japan auf zehn Jahre. In diesem Vertrag kamen die Mächte überein, „im großasiatischen Raum und in den europäischen Gebieten Seite an Seite zu stehen und zusammenzuarbeiten, wobei es ihr vornehmstes Ziel ist, eine neue Ordnung der Dinge zu schaffen und aufrechtzuerhalten“.
Am 5. März 1941 unterzeichnete der Angeklagte Keitel eine Geheime Kommandosache, in der mitgeteilt wurde, daß der Führer „für die Zusammenarbeit mit Japan“ folgendes befohlen habe: „Japan ist so bald wie möglich zum aktiven Handeln im Fernen Osten zu bringen... Zur Vorbereitung der Zusammenarbeit ist es erforderlich, die japanische Wehrkraft mit allen Mitteln zu stärken. Hierzu ist von den Oberkommandos der Wehrmachtsteile den japanischen Wünschen auf Mitteilung deutscher Kriegs- und Kampferfahrungen und Unterstützung wehrwirtschaftlicher und technischer Art in umfassender und großzügiger Weise zu entsprechen.“ Als gemeinsames Ziel wurde angegeben, England rasch niederzuzwingen und „die Vereinigten Staaten dadurch aus dem Kriege herauszuhalten“. (C-75.)
Am 29. März 1941 erklärte Ribbentrop dem japanischen Außenminister Matsuoka, die deutsche Wehrmacht stehe bereit, gegen Rußland loszuschlagen. Matsuoka beruhigte Ribbentrop erneut über den Fernen Osten. Japan, sagte er, tue im Augenblick so, als ob es an Singapore überhaupt nicht interessiert sei, beabsichtige aber, loszuschlagen, wenn der richtige Augenblick kommt. (1877-PS). Am 5. April legte Ribbentrop Matsuoka eindringlich dar, daß ein Eintritt Japans in den Krieg „zur Beschleunigung des Sieges beitragen“ werde und mehr in Japans als in Deutschlands Interesse läge, da er Japan die einmalige Gelegenheit gäbe, seine nationalen Ziele zu erreichen und eine führende Rolle in Ostasien zu spielen (1882-PS).
Aus dem Beweismaterial dieses Prozesses wird sich weiter ergeben, daß Deutschland einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten sowohl von seinem atlantischen Vorfeld aus plante, wie es ihn auch von seinem Vorfeld im Stillen Ozean aus anstiften wollte. Eine erbeutete Denkschrift aus dem Führerhauptquartier vom 29. Oktober 1940, verlangt bestimmte Auskünfte über Luftstützpunkte und Nachschubmöglichkeiten und fährt dann fort:
„Den Führer beschäftigt im Hinblick auf seine spätere Kriegführung gegen Amerika die Frage der Besetzung der Atlantischen Inseln. Es werden hier diesbezügliche Erwägungen angestellt.“ (376-PS).
Am 7. Dezember 1941, einem Tage, der, wie der verstorbene Präsident Roosevelt erklärte, „in Schande fortleben wird“, schien dem deutschen Angriff der Sieg gewiß. Die Wehrmacht stand vor den Toren Moskaus. Japan nutzte die Lage aus, und während seine Unterhändler in Washington ein diplomatisches Ablenkungsmanöver vollführten, griff es hinterhältig ohne Kriegserklärung die Vereinigten Staaten in Pearl Harbour und auf den Philippinen an. Angriffe auf das Britische Empire und die Niederlande im südwestlichen Pazifik folgten schnell. Diese Angriffe wurden in der einzig möglichen Weise beantwortet, mit sofortiger Kriegserklärung und bewaffnetem Widerstand, der nach vielen langen Monaten der Rückschläge langsam stärker wurde, bis schließlich die Achse zu Boden geschlagen und ihre Opfer befreit waren.
JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender, ich wünsche nun einen neuen Verhandlungsgegenstand aufzunehmen: „Die Verbrechen bei der Führung des Krieges.“ Es ist fünf Minuten vor der Gerichtspause. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich die Gerichtspause jetzt eintreten lassen.