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Eden wurde ganz warm ums Herz bei so viel Umsicht, und sie sagte: „Vielen Dank, das ist wirklich nett von Ihnen.“
„Anscheinend muss ich aufstehen und mir mein Strickzeug selbst holen!“, rief Miss Trudy in diesem Moment.
Beau grinste Eden an und sagte: „Das ist mein Stichwort.“
Als er weg war, flitzte Eden ins Wohnzimmer und fand dort den Strickkorb mit einem gerippten, blaugrauen Strickzeug. Sie brachte ihn Miss Trudy, die das Strickzeug nahm und wortlos zu stricken begann.
Micah hatte inzwischen aufgehört zu malen und schaute sich einen Zeichentrickfilm im Fernsehen an. Nachdem Eden Miss Trudy versorgt und im Haus für Ordnung gesorgt hatte, kümmerte sie sich um das Abendessen. Sie schaute ins Tiefkühlfach und fühlte sich völlig überfordert. Sie hatte gehofft, dort etwas Einfaches zu finden, etwas in einer Packung mit einer Gebrauchsanweisung auf der Rückseite, aber es gab nicht ein einziges Fertiggericht, sondern nur tiefgekühlte Hähnchenbrüste und Hackfleisch. Sie hatte keine Ahnung, was sie damit anstellen sollte.
Sie hatte sich eigentlich immer gewünscht, Kochen zu lernen, und nach ihrer Heirat mit Antonio hatte sie sich vorgestellt, ihm jeden Abend ein viergängiges Candlelight-Dinner zu servieren, aber davon hatte er nichts wissen wollen. In der Welt, in der er lebte, war das nicht die Aufgabe einer Ehefrau. Dafür hatte man Personal. Das Äußerste, was sie in dieser Beziehung hatte erreichen können, war, ihm nach Micahs Geburt auszureden, eine Nanny einzustellen.
Als sie Miss Trudy gefragt hatte, wo ihre Kochbücher wären, hatte die Frau nur laut und spöttisch gelacht und dann gesagt: „Richtige Köche brauchen kein Rezept.“
Eden wünschte, sie hätte daran gedacht, Beau zu fragen, ob sie den Computer benutzen dürfe. Sie brauchte jetzt dringend den Rat einer Expertin, aber als sie in Miss Trudys Zimmer schaute, lag sie mit geschlossenen Augen da, und ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Eden brachte es nicht übers Herz – und hatte auch nicht die Nerven –, sie zu wecken, und zog deshalb leise die Tür wieder zu.
Es sah also ganz so aus, als wäre sie in dieser Angelegenheit auf sich allein gestellt. Eden holte einmal tief Luft und atmete dann langsam wieder aus. Nun komm schon, Eden. Du hast wirklich schon Schlimmeres überstanden. So schwer kann es doch nicht sein, ein Abendessen zu kochen.

„Die Brötchen sind in einer Minute fertig“, sagte Kate, als sich die Familie um den Esstisch versammelte.
Beau sprach das Tischgebet und reichte die Schüssel Riley, der sie an Zac weitergab. Ihm hing der Magen schon in den Kniekehlen vor Hunger, aber als er den ersten Bissen von dem dampfenden Gulasch im Mund hatte, war er zunächst irritiert über die unterschiedlichen Temperaturen und Konsistenzen in seinem Mund. Die Sauce war heiß, aber irgendetwas – war es das Fleisch? – war noch hart und eiskalt. Die seltsame Konsistenz lenkte ihn vorübergehend von dem Geschmack ab, aber nicht lange.
Irgendein Gewürz, er wusste nicht so genau, was es war, schmeckte penetrant hervor, und er hoffte, so etwas nie wieder in den Mund zu bekommen.
Im selben Moment hustete Riley neben ihm, presste sich dann die Serviette vor den Mund, und Beau war sich ziemlich sicher, dass das Gulasch aus seinem Mund ein neues Zuhause gefunden hatte. Als er dann selbst den ersten Bissen hinunterwürgte, war er für einen Moment ein wenig neidisch auf seinen Bruder.
Sein Blick ging ganz kurz zu Kate, deren Blick fest auf ihren eigenen Teller gerichtet war, und auch ihr Sohn kaute mit gerunzelter Stirn.
„Herr im Himmel, was soll denn das sein?“
„Tante Trudy!“, ermahnte Beau sie.
„Da ist ja genug Salbei drin, um zehn Jahre Hitzewallungen zu verhindern.“
Salbei – ja, genau, das war der penetrante Geschmack.
Kate wurde rot und erklärte: „Es tut mir wirklich leid, aber ich hatte kein Rezept – und ich wollte nicht ohne Erlaubnis den Computer benutzen.“
„Sie können ihn gern benutzen“, sagte Riley und hustete noch einmal. „Ich bitte Sie sogar inständig darum.“
Ganz kurz blitzte Angst in Kates Blick auf, und sie sagte: „Nächstes Mal wird’s besser – versprochen!“
Beau warf Riley einen finsteren Blick zu und sagte dann zu Kate, die ganz krank aussah: „Ist schon okay. Sie können den Computer jederzeit benutzen. Dann essen wir heute Abend eben einfach nur die Brötchen.“
„Was riecht denn hier so?“, erkundigte sich jetzt Tante Trudy misstrauisch, genau in dem Moment, als auch er den Geruch von etwas Verbranntem bemerkte.
„Die Brötchen!“, rief Kate, sprang auf und sauste in die Küche.
Rileys und Beaus Blicke begegneten sich über den Tisch hinweg, und Riley fragte: „Möchte noch jemand außer mir Chicken Wings aus dem Roadhouse?“

Beau brachte seinen Teller zur Spüle und fragte: „Kann ich Ihnen noch bei irgendetwas helfen?“
Sie waren fertig mit dem Essen, das sie geholt hatten, und seine Brüder richteten Tante Trudy ein Lager auf dem Sofa im Wohnzimmer her.
„Bitte nicht. Das hier ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann“, antwortete Kate, stellte die Teller ins Spülbecken, drehte sich dann um und sah ihn zerknirscht an. „Das mit dem Abendessen tut mir wirklich leid. Es kommt nicht wieder vor, versprochen.“
Ihre blonden Ponyfransen fielen ihr in die sorgenvoll gekrauste Stirn, und es juckte ihn in den Fingern, sie zurückzustreichen, sodass er sicherheitshalber die Hände in die Hosentaschen steckte.
„Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken. Sie haben ja auch nicht von sich behauptet, eine Sterneköchin zu sein.“
„Ich habe nicht viel Erfahrung im Kochen, aber ich lerne schnell. Wenn ich ein paar Rezepte habe, komme ich schon zurecht.“
„Das glaube ich auch“, beruhigte er sie, fragte sich aber, wie sie wohl als Mutter bisher ohne auch nur die geringsten Grundkenntnisse im Kochen zurechtgekommen war. Sogar er war ja in der Lage, ein paar einfache Gerichte zuzubereiten.
„Beau“, rief jetzt Zac vom Wohnzimmer aus. „Kommst du bitte mal?“
Er überließ das Aufräumen in der Küche Kate und Jack und ging wieder ins Wohnzimmer.
Das Sportprogramm im Fernseher dort war auf stumm geschaltet, und alle schauten Riley an.
„Was ist denn los?“, fragte Beau.
„Riley muss mit uns reden, sagt er“, antwortete Zac.
„Du hast eine Frau kennengelernt, oder?“, fragte Tante Trudy.
Riley verdrehte die Augen und antwortete entnervt: „Nein, Tante Trudy, habe ich nicht!“
Sie versuchte ständig, die Brüder unter die Haube zu bringen, was seltsam war, denn sie selbst hatte nach dem Tod ihres Mannes vor vierzehn Jahren jeden Versuch anderer abgewehrt, sie zu verkuppeln.
Rileys Gesicht wirkte versteinert. Seine Augenbrauen stießen über der Nasenwurzel zusammen, und sein Kinn war entschlossen vorgeschoben.
Seine Miene machte Beau Angst, und er beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und fragte: „Was ist denn los, Bruderherz?“
„Es ist eine Frau. Ich sag’s euch. Es ist diese Millie Parker aus dem Frumpy Joe’s, oder? Als wir das letzte Mal dort waren, hat sie wild mit dir geflirtet“, spekulierte Miss Trudy jetzt.
Riley zog eine Grimasse in ihre Richtung und sagte: „Wenn es eine Frau gäbe, dann würde ich sie doch ab und zu mit herbringen, oder? Nein, ich muss mit euch über meine Zukunftspläne reden. Ich …“, Riley starrte auf den Couchtisch zwischen ihnen und fuhr dann fort: „Ich habe mich freiwillig zu den Marines gemeldet.“
„Du hast was?“, fragte Zac völlig entgeistert.
„Grundgütiger …“, murmelte Tante Trudy.
Beaus Herz rumpelte einmal heftig, was eine Serie innerer Beben auslöste, und dann fragte er völlig entgeistert: „Wieso denn das?“
„Ich rede doch schon lange davon“, antwortete Riley.
„Reden tun wir ja über vieles, aber wir hätten doch nie damit gerechnet, dass du es wirklich ernst meinst“, sagte Beau mit gerunzelter Stirn.
Riley funkelte ihn angriffslustig an und sagte: „Ich schon.“
„Ohne es auch nur kurz mit uns zu besprechen?“ Beau konnte nicht fassen, dass sein Bruder eine so wichtige Entscheidung getroffen hatte, ohne sie dazu um ihre Meinung zu fragen. Das sah ihm eigentlich gar nicht ähnlich.
„Ich bin vierundzwanzig und brauche eure Zustimmung nicht“, bemerkte Riley nur.
„Und wann geht’s los?“, erkundigte sich Zac.
„In vier Wochen.“
„Also noch vor Weihnachten?“, fragten Beau und Miss Trudy fassungslos wie aus einem Mund.
„Unserem ersten Weihnachten ohne Vater?“, fügte Beau hinzu.
„Wir hatten doch auch vorher schon kein richtiges Weihnachten mehr“, antwortete Riley darauf nur.
Sie hatten wirklich nicht mehr richtig Weihnachten gefeiert, seit ihre Mutter vor zwölf Jahren an Heiligabend gestorben war. „Aber trotzdem … ausgerechnet in der Zeit, in der auf der Farm mit den Weihnachtsbäumen am meisten zu tun ist, und bei all dem, was sonst noch nebenbei läuft … genau da beschließt du abzuhauen?“
„Ich hau nicht ab, sondern ich schließe mich der Army der Vereinigten Staaten von Amerika an“, erklärte er.
„Na, wenn du es sagst …“, sagte Beau ironisch.
„Jetzt hör auf, so zu reden, als wäre ich feige. In den meisten Familien ist man stolz, wenn jemand aus den eigenen Reihen zur Army geht.“
Das kurze Schweigen darauf verstärkte die Anspannung im Raum noch.
Beau sah Riley scharf an, aber Zac legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Lass mal gut sein, Beau. Es ist nun mal so.“
„Wir haben doch schon unsere Eltern verloren, und jetzt setzt du irgendwo am anderen Ende der Welt dein Leben aufs Spiel. Was, wenn du in einem Leichensack zurückkommst, was dann?“
Riley verdrehte die Augen und antwortete: „Ich werde nicht sterben, Beau.“
„Das kannst du doch gar nicht wissen“, entgegnete der.
„Jetzt kommt schon, Leute“, sagte Zac. „Beruhigt euch mal. Wir schlafen jetzt erst einmal eine Nacht darüber und reden dann morgen weiter, ja?“
Beau stand auf, ging im Zimmer auf und ab und sagte: „Ich fass es einfach nicht, dass du das gemacht hast.“
„Und ich fasse es einfach nicht, dass du darauf so reagierst“, entgegnete Riley.
„Weiß Paige es eigentlich schon?“, erkundigte sich Beau jetzt.
„Warum sollte ich es ihr denn sagen?“, fragte Riley daraufhin. „Na, weil sie dich lieb hat, du Blödmann. Schließlich bist du schon seit einer Ewigkeit ihr bester Freund.“
Darauf reagierte Riley nur mit einem frustrierten Schnauben.
„Aber offenbar bedeuten dir zehn Jahre Freundschaft ja nicht so besonders viel. Hast du eigentlich überhaupt an jemanden außer dich selbst gedacht, als du diese Entscheidung getroffen hast?“, fragte Beau. Da kam Riley auf ihn zu und sagte mit zynischem Unterton: „Ach, das musst du gerade sagen.“
„Was soll denn das nun wieder heißen?“, fragte der daraufhin.
Wütend starrte Riley ihn an und sagte dann: „Nichts! Gar nichts soll das heißen!“
„So, es reicht jetzt, ihr beiden!“, mischte sich Tante Trudy ein. „Im Wohnzimmer wird nicht gestritten.“
Zac trat zwischen die beiden und sagte: „Jetzt komm mal wieder runter, Riley. Beau kümmert sich schon sein ganzes Leben um uns, das weißt du ganz genau. Er fühlt sich eben für uns verantwortlich.“
„Und was ist mit der Farm?“, fragte Beau und schaute an Zac vorbei, damit er Riley sehen konnte. „Was ist mit deinem Leben hier? Willst du das wirklich alles einfach so hinter dir lassen?“
„Was denn für ein Leben?“, fragte Riley. „Ich habe hier doch nichts anderes als die Arbeit. Tante Trudy hat euch, Zac hat das Roadhouse, du hast Paige …“
„Du hast Paige doch auch“, sagte Beau und merkte, wie ganz kurz ganz viele Gefühle gleichzeitig in Rileys Miene aufflackerten, bevor er sich umdrehte und sich fast verzweifelt mit der Hand in den Nacken fuhr.
Tante Trudy erhob sich jetzt ganz langsam und griff nach ihren Krücken.
„So, ich glaube, für heute Abend habe ich genug Theater gehabt. Ich gehe ins Bett“, sagte sie, bedachte die beiden Streitenden mit einem durchdringenden Blick und fügte noch hinzu: „Ihr beiden benehmt euch wie Zwölfjährige, und ich bin zurzeit nicht in der Verfassung, eine Rauferei zu verhindern.“
„Warte, ich helfe dir“, sagte Beau und ging zu ihr hin. Er war immer noch völlig aufgewühlt wegen der Neuigkeiten, die er gerade von Riley erfahren hatte. Aber Tante Trudy scheuchte ihn mit einer Geste weg und schaute ihn finster an. „Ich kann ganz gut allein ins Bett gehen. Du bleibst gefälligst hier und glättest ein bisschen die Wogen.“
Nachdem sie weg war, herrschte erst einmal eine ganze Weile Schweigen.
Riley hatte die Arme vor der Brust verschränkt und saß mit verkniffenem Mund und angriffslustig vorgeschobenem Kinn da. Beau stellte sich vor, dass sein Bruder verwundet würde oder, noch schlimmer, gar nicht wieder zurückkäme. Er glaubte nicht, dass er nach dem Verlust der Eltern auch noch den des jüngeren Bruders verkraften würde. Er schluckte, weil er einen dicken Kloß im Hals hatte, nahm seinen Mantel von der Garderobe, zog ihn an und sagte: „Ich bin draußen in der Scheune und hänge die Kränze auf.“
„Brauchst du Hilfe?“, fragte Zac.
„Nee“, antwortete er nur einsilbig.
Und dann trat er hinaus in die Dunkelheit, so aufgewühlt, dass er die beißende Kälte im Gesicht kaum spürte.

Micah flitzte zur Toilette, und Eden stellte den Besen zurück in den Schrank. Sie hatte den Streit zwischen den Brüdern und auch Beaus plötzlichen Abgang genau mitbekommen und zögerte jetzt, ins Wohnzimmer zu gehen. Am liebsten hätte sie sich klammheimlich fortgestohlen, aber das kam ihr dann doch irgendwie feige und unprofessionell vor. Es war ihr erster Abend in der Familie, und sie hatte mit dem Gulasch und den verbrannten Brötchen nicht gerade einen guten Eindruck hinterlassen. Als sie also jetzt wieder ins Wohnzimmer kam, saßen Zac und Riley mit dem Rücken zu ihr immer noch vor dem auf stumm geschalteten Fernseher.
„Es ist wegen Paige, oder?“, fragte Zac Riley in dem Moment, als sie in der Tür stand.
„Ich wollte schon immer zur Army, das weißt du doch“, antwortete Riley.
„Aber du bist nie gegangen“, sagte Zac und sah seinen Bruder an. „Ich habe neulich Abend genau deine Miene gesehen, als Beau gesagt hat, dass das zwischen Paige und ihm etwas für immer ist.“
„Was hast du denn erwartet?“, fragte Riley jetzt aufgebracht. „Dass ich einfach hierbleibe und zuschaue, wie mein Bruder die Frau heiratet, die ich liebe?“
Ach du liebe Güte, dachte Eden und trat wieder den Rückzug an.
„Es ist schon schwer genug, die beiden ständig zusammenzusehen …“, fügte Riley noch hinzu.
In dem Moment knarrte der Holzfußboden unter Edens Füßen, und Riley drehte sich mit einem Ruck um. Seine Augen wurden ganz groß, und er sah sie mit durchdringendem Blick an.
Mist. „Äh … tut mir leid. Ich wollte nur gute Nacht sagen. Ich wollte wirklich nicht …“
„Wie viel haben Sie gehört?“, fragte Zac.
Eden zuckte zusammen, während Riley sich abwandte und in zynischem Ton sagte: „Na großartig! Ganz großartig.“
„Ich sag nichts weiter. Das geht mich doch alles gar nichts an“, beteuerte sie und griff nach ihrer Jacke. „Wir tun einfach so, als wäre das hier nie passiert, ja?“
In dem Moment hörte sie, wie die Badezimmertür ging und Micah in die Küche kam. Sie half ihm in seine Jacke und verabschiedete sich mit einem Lächeln von den beiden Brüdern. Aber nur einer der beiden lächelte zurück.

ACHT
Es war ein furchtbarer Tag gewesen. Was war sie bloß für eine Mutter, die nicht einmal ein anständiges Essen kochen konnte!? Sie fand es immer noch unbegreiflich, dass Beau sie nicht sofort wieder entlassen hatte.
Eden brachte erst Micah ins Bett, nahm dann ein ausgedehntes Bad und versuchte, ihr schlechtes Gefühl abzuschütteln. Danach traf sie Paige im Esszimmer an. Als sie den Raum betrat, strich die Katze ihr um die Beine, und sie bückte sich, um dem Tier über den runden Buckel zu streichen.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich reinkomme?“, fragte sie Paige.
„Natürlich nicht“, antwortete die und blickte von ihrem Laptop auf. Ihre hübschen blauen Augen waren gerötet, und neben dem Laptop lag ein zerknülltes Papiertaschentuch.
Eden hatte das Gefühl, dass Paige eben erst von Rileys Entschluss erfahren hatte. Irgendwie beneidete sie den Kerl auch ein wenig, weil er so viele Menschen hatte, denen er etwas bedeutete.
Paige schniefte einmal kurz und fragte dann: „Na, wie war dein erster Tag? Hast du Miss Trudy überlebt?“
Eden schnitt ein Gesicht und antwortete: „Sie war wirklich mein kleinstes Problem heute. Ich habe das Abendessen so gründlich vermasselt, dass wir am Ende Chicken Wings aus dem Roadhouse holen mussten.“
Paige lachte lautlos und tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen ab.
„Da waren die Jungs doch sicher begeistert. Sie lieben nämlich Chicken Wings.“
Mit ihrem glatten Haar und den großen blauen Augen war Paige eine aparte Erscheinung. Sie war zierlich mit einer sportlichen Figur und Rundungen an den richtigen Stellen. Außerdem war sie auch noch unglaublich nett. Es war jedenfalls absolut nachzuvollziehen, was Beau – und auch Riley – an ihr fanden.
„Dann gehe ich also davon aus, dass du nicht so viel Erfahrung im Kochen hast, was?“
Eden zupfte an der Manschette ihres geliehenen Pyjamaoberteils und antwortete: „Ja, das könnte man wohl so sagen. Aber mit ein bisschen Übung bekomme ich das sicher bald hin.“
„Du hast noch gar nicht gesagt, wo du eigentlich herkommst, oder?“, fragte Paige jetzt.
Eden strich sich das Haar hinter die Ohren und antwortete: „Aus dem Süden.“
„Aber du hast gar keinen Akzent“, bemerkte Paige.
„Du schon, ein bisschen jedenfalls“, sagte Eden darauf. „Ich habe noch nie zuvor den Akzent von Maine gehört.“
„Beau hat gesagt, dass du eigentlich nur auf der Durchreise bist und dir dann deine Sachen gestohlen worden sind“, fuhr Paige unbeirrt fort.
Sie hätte sich auf keinen Fall zu Paige setzen sollen, dachte Eden jetzt und erklärte dann:
„Ja, im Grunde ist alles weg, was ich besessen habe. Und zu allem Überfluss ist auch noch mein Wagen liegengeblieben. Wir bleiben so lange, bis der Wagen repariert und Tante Trudy wieder auf den Beinen ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich für den Job bin … und dafür, dass ich eine Bleibe habe. Beau und seine Familie sind wirklich großartig.“
Paiges Blick schweifte zu ihrem Handy, und ihre Miene wurde traurig.
„Alles in Ordnung?“, fragte Eden.
„Ach, ich habe gerade mit Beau telefoniert … Riley hat sich freiwillig zu den Marines gemeldet“, antwortete Paige und klappte ihren Laptop zu.
Froh über den Themenwechsel, sagte Eden: „Ich habe versehentlich mitgehört, wie sie darüber gesprochen haben. Kennst du die Callahan-Brüder schon lange?“
„Ja, seit Riley und ich vierzehn sind.“ Offenbar dachte sie jetzt an die Zeit damals zurück, denn sie lächelte wehmütig und erzählte: „Er hat mich eines Tages nach der Schule zu einem Basketballspiel herausgefordert, und ich habe ihn geschlagen.“
„Autsch“, bemerkte Eden lächelnd.
„Ja, das kann man wohl sagen. Das hat ihm damals echt zugesetzt, aber er hat es ganz gut weggesteckt. Hilfreich war aber wahrscheinlich auch, dass er mich seitdem Hunderte Male besiegt hat. Als er irgendwann einen gewaltigen Wachstumsschub hatte und richtig muskulös wurde, hatte ich keine Chance mehr gegen ihn. Inzwischen fordere ich ihn beim Poolbillard heraus, da kann ich es immer noch mit ihm aufnehmen.“
Doch dann erstarb ihr Lächeln, und ihre Lippen bebten, als sie bewegt sagte: „Er ist mein bester Kumpel, und ich kann einfach nicht glauben, dass er weggeht.“
Es musste schwer sein für Riley, eine Frau zu lieben, für die er ganz eindeutig nicht mehr als ein Freund war, und mit ansehen zu müssen, wie sie sich in seinen großen Bruder verliebte. Kein Wunder, dass er wegwollte.
„Und wie ist es dazu gekommen, dass du jetzt mit Beau zusammen bist?“, fragte Eden.
„Er ist vier Jahre älter als Riley, deshalb hatte ich ihn eigentlich gar nicht auf dem Schirm. Aber ich war viel mit der Familie zusammen, als der Vater gestorben ist, und eines Abends sind Beau und ich uns dann im Roadhouse über den Weg gelaufen und haben bis zur Sperrstunde miteinander geredet. Uns gehen nie die Gesprächsthemen aus. Er ist wirklich ein toller Kerl. Heute Abend ist er total aufgewühlt, weil Riley schon so bald nach dem Tod des Vaters weggeht … ich weiß auch nicht, was er sich dabei denkt.“
„Es hat vorhin so geklungen, als wären sie auch zuvor schon aneinandergeraten“, bemerkte Eden.
Daraufhin grinste Paige nur schief und sagte: „Folgendes musst du über die Callahan-Männer wissen: Sie haben alle einen starken Willen, sind überbehütend und glauben, dass sie alles wissen. Außerdem sind sie die begehrtesten Junggesellen der Stadt – obwohl Beau ja zurzeit vergeben ist. Es war ein Heulen und Zähneklappern, als wir zusammengekommen sind, aber mittlerweile ist ja auch Zac wieder zu haben. Er ist vor etwa einem Monat von seiner Verlobten sitzengelassen worden. Die drei sind vielleicht alle ein bisschen ungehobelt, aber das liegt daran, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter von ihrem Vater großgezogen worden sind, fast ohne weiblichen Einfluss in ihrer Teenagerzeit.“
„Und was ist mit der Tante?“, erkundigte sich Eden.
„Du hast doch Miss Trudy schon kennengelernt, oder?“, fragte Paige feixend.
„Also ich hoffe ja, dass sich die Gemüter bis morgen wieder ein bisschen beruhigt haben. Heute Abend war die Stimmung jedenfalls ziemlich aufgeheizt“, bemerkte Eden.
„Ach, das legt sich schon wieder, wirst sehen“, sagte Paige. „Die Callahan-Brüder sind aufbrausend, aber nicht nachtragend.“
Doch es legte sich nicht. Am nächsten Tag erschien Riley nicht zum Abendessen und ging der Familie offenbar bewusst aus dem Weg.
Eden musste immer wieder ihr Gähnen unterdrücken, denn Micah hatte in der Nacht zuvor wieder einen Albtraum gehabt. Sie war von seinem Schreien aufgewacht, hatte seinen kleinen verschwitzten Körper ganz fest in die Arme genommen und versucht, ihn mit Worten zu beruhigen, aber Paige war anscheinend von dem Lärm aufgewacht, denn sie hatte sich am Morgen nach dem Kleinen erkundigt.
Ein Anruf bei der Autowerkstatt ergab nichts Gutes. Es sei tatsächlich ein defekter Zylinderkopf, sagte der Mechaniker, und der Motor müsse ausgetauscht werden. Etwa tausend Dollar sollte die Reparatur kosten. Den ganzen Nachmittag überlegte Eden, was sie tun sollte, gab dann aber schließlich die Reparatur in Auftrag. Mit einem Austauschmotor würde der Wagen dann wahrscheinlich noch eine ganze Weile durchhalten. Sie teilte dem Mechaniker aber auch gleich mit, dass sie die Reparatur nicht auf einen Schlag würde bezahlen können.
Am Montagabend ging sie zu Fuß in die Stadt, um im Lebensmittelladen ihren Gehaltscheck einzulösen und dann in dem Lokal ihre offene Rechnung zu begleichen. Danach ging sie in den Secondhandladen, den sie entdeckt hatte und der sich als wahre Fundgrube erwies. Sie fand warme Wintersachen für Micah und eine Jeans sowie eine billige Handtasche für sich selbst.
Auf dem Rückweg zu Paiges Haus kamen sie an einem Laden für gebrauchte Bücher vorbei, wo ihr im Schaufenster ein Buchumschlag ins Auge fiel, der ihr bekannt vorkam. Sie blieb stehen und sah, dass es ein Buch von Debbie Macomber war.