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VI. Fehler eines Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen
63
Als Vertragspartner des Patienten haben Krankenhausträger und Arzt für die Fehler der von ihnen herangezogenen Gehilfen nach § 278 BGB einzustehen. Für die Gehilfen selbst kann eine deliktische Haftpflicht in Frage kommen. Der Garantiehaftung für Erfüllungsgehilfen liegt der Gedanke zugrunde, dass der Schuldner durch die Indienstnahme von Gehilfen im eigenen Interesse seinen Geschäftskreis erweitert und darum das mit der Arbeitsteilung verbundene Personalrisiko zu tragen hat. Nach ständiger Judikatur ist Erfüllungsgehilfe, wer rein tatsächlich mit dem Willen des Schuldners, also des Krankenhausträgers oder des Arztes, als dessen Hilfsperson bei der Erfüllung der geschuldeten Leistung tätig wird. Der Erfüllungsgehilfe kann in den Betrieb des Schuldners integriert sein, aber auch selbstständig tätig werden. Auf eine Weisungsbefugnis kommt es daher nicht an.[120]
64
Nimmt der behandelnde Arzt einen Konsiliarius in Anspruch, kommt es für die Haftung auf die vertraglichen Beziehungen an. Zieht der behandelnde Arzt im ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis seines Patienten einen Konsiliarius hinzu, so kommt zwischen diesem und dem Kranken regelmäßig ein weiterer selbstständiger Arztvertrag zustande, mit der Folge, dass der Konsiliararzt selbst liquidiert und auch selbst gegenüber seinem Patienten haftet.[121] Fehlt es an diesem Vertrag, honoriert der beauftragende Arzt den Konsiliarius und haftet auch für den Konsiliarius nach § 278 BGB.[122] Entsprechendes gilt für den hinzuzuziehenden Laborarzt. Haftungsansprüche zwischen dem beauftragenden Arzt und den Konsiliarius bleiben davon unberührt.
65
Auch der Urlaubsvertreter des niedergelassenen Arztes gilt grundsätzlich als dessen Erfüllungsgehilfe[123]. Der Vertreter selbst haftet dem Patienten, sofern keine Überweisung an ihn vorliegt, grundsätzlich nur deliktisch.[124]
66
Ist der Arzt Teil einer ärztlichen Gemeinschaft, hängt die Frage des Haftungsschuldners von der Art der ärztlichen Kooperation ab.[125] Bei der Praxisgemeinschaft haften die Partner nur für die Rechtsgeschäfte und Handlungen, die sie in Verfolgung des Gesellschaftszwecks vornehmen, gesamtschuldnerisch. Deliktisch indessen bleibt jeder von ihnen mangels Weisungsunterworfenheit für die eigenen Fehler passiv legitimiert. Für das Praxisnetz gilt das gleichermaßen.[126]
67
Wird eine Gemeinschaftspraxis als Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrieben, ist nach neuerer Rechtsprechung[127] die Gesellschaft selbst Haftungssubjekt und haftet grundsätzlich selbst für Fehlbehandlungen ihrer als Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) handelnden Ärzte und Gehilfen aus dem mit ihr geschlossenen Behandlungsvertrag.[128] Sie ist auch deliktsrechtlich verpflichtet. Die einzelnen Ärzte sind mangels Weisungsabhängigkeit zwar keine Verrichtungsgehilfen i.S.d. § 831 BGB, die Behandlung durch den Arzt ist aber der Geschäftsführung für die Gemeinschaftspraxis zuzurechnen und analog § 31 BGB ihr als eigenes Handeln zuzuordnen.[129] Die Ärzte der Gemeinschaftspraxis haften daneben akzessorisch mit ihrem Privatvermögen als Gesamtschuldner für vertragliche und deliktische Verbindlichkeiten analog §§ 128, 130 HGB. Im Innenverhältnis haftet nur der Arzt, der für den Schaden verantwortlich ist.[130]
68
Haben sich Freiberufler in einer Partnerschaftsgesellschaft zusammengeschlossen, so haften die Gesellschaft und die Partner für Verbindlichkeiten gesamtschuldnerisch (§ 8 Abs. 1 PartGG). Nach § 8 Abs. 2 PartGG haften im Schadensfall aber nur die an der Behandlung beteiligten Ärzte neben der Partnerschaft. Deliktisches Handeln wird der Partnerschaft gemäß § 31 BGB zugerechnet.[131]
69
Die Ärzte-GmbH haftet als juristische Person für Behandlungsfehler der beteiligten Ärzte und Helfer vertraglich und deliktisch. Daneben haben angestellte Ärzte persönlich und gesamtschuldnerisch für eigene Fehler einzustehen, die zu einer Schädigung des Patienten geführt haben.[132]
70
Da für das MVZ gemäß § 95 Abs. 1 S. 6 SGB V alle genannten zulässigen Gesellschaftsformen gewählt werden können,[133] folgt das Haftungsrecht der gewählten Rechtsform.[134]
VII. Krankenhausträger
71
Den Krankenhausträger[135] kann eine Haftpflicht aufgrund eines totalen Krankenhausvertrages oder eines Krankenhausvertrages mit Arztzusatzvertrag auch für den Chefarzt als seinen Erfüllungsgehilfen treffen.[136] Insbesondere bei kirchlichen Häusern kann sich die Suche nach dem richtigen Beklagten extrem schwierig gestalten. Im Rahmen gespaltener Vertragsverhältnisse haftet der Krankenhausträger nicht für Fehler des selbstliquidierenden (Beleg-)Arztes, die diesem bei dem persönlich geschuldeten Dienst unterlaufen.[137] Das gilt nicht nur für die stationäre, sondern auch für die teilstationäre Behandlung.[138] Zum Pflichtenkreis des Krankenhausträgers indessen gehört es, falls nicht anders vereinbart, die ärztliche und nichtärztliche Assistenz zu stellen, auf die der selbstliquidierende Arzt angewiesen bleibt; insoweit droht dem Träger dann auch eine Haftpflicht nach § 278 BGB. Bildet die Pflege des Patienten einschließlich der Gabe von Medikamenten und Infusionen in erster Linie eine Vertragsaufgabe des Krankenhausträgers, der damit eine eigene Verantwortlichkeit für das eingesetzte Personal trägt, so kann der pflegerische Dienst doch auch zum Pflichtenkreis des Arztes gehören, „soweit es um die von ihm dem Pflegepersonal zu gebenden Instruktionen“ geht. „Die erforderlichen Anweisungen für die Behandlungspflege zu geben, ist Sache des die Behandlung führenden Arztes.“[139]
72
Bei einer Klage gegen die Arztseite darf der Anwalt keinesfalls den Krankenhausträger übersehen. Er ist regelmäßig der solventeste und präsente Beklagte. Unterlässt der Anwalt eine Klage gegen den Krankenhausträger, wird das regelmäßig zu seiner Haftung führen[140].
VIII. Selbstliquidierende Ärzte und Belegärzte
73
Der selbstliquidierende Chefarzt oder Klinikdirektor wird jedenfalls im Rahmen seiner Pflichten zur persönlichen Behandlung des Patienten aus einem gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrag oder aus einem Zusatzvertrag zum Krankenhausvertrag nicht nur für eigene Rechnung tätig, sondern haftet grundsätzlich auch selbst.[141] Dies gilt auch für den Belegarzt.[142] Dieser hat damit auch für die ihm nachgeordneten Ärzte einzustehen, die er als Assistenten heranzieht oder denen er medizinische Aufgaben überträgt. Leistungen der Beleghebamme schuldet der Belegarzt nicht. Er hat jedoch für deren Fehler einzustehen, sobald er die Behandlung der Gebärenden übernommen hat, denn damit gilt die Hebamme kraft Berufsrecht als seine Gehilfin.[143]
74
Nimmt der selbstliquidierende Arzt medizinische Dienste und Hilfen anderer Fächer in Anspruch, so eröffnen sich neue Verantwortlichkeiten, nämlich Einstandspflichten des Krankenhausträgers und der selbstliquidierenden Ärzte der zusätzlich befassten Disziplin. Für eigene Koordinations-, Kommunikations- und Informationsfehler bleibt er selbstverständlich verantwortlich.[144]
75
Die nichtärztliche Grund- und Funktionspflege gehört zur Verantwortlichkeit des Krankenhausträgers, nicht des liquidationsberechtigten Arztes. Dies gilt grundsätzlich auch für die Behandlungspflege, es sei denn, dieser Dienst hinge so eng mit der ärztlichen Tätigkeit zusammen, dass den die Behandlung leitenden Mediziner die Direktions- und Kontrollzuständigkeit trifft.[145]
76
Kommt ein Wahlleistungsvertrag wegen formeller Mängel nicht zustande, führt das einerseits zum Verlust des Honoraranspruchs, andererseits dazu, dass der Wahlarzt nicht aus Vertrag haftet. Die Haftung obliegt dann dem Krankenhausträger. Anderes gilt freilich, wenn die Beteiligten auf die Wirksamkeit des Vertrages vertrauend alle Leistungen erbracht haben[146].
IX. Instituts- und Chefarztambulanzen
77
Zusätzlich zur vollständigen Krankenhausbehandlung ist gemäß § 115a SGB V die vor- und nachstationäre Behandlung durch das Krankenhaus ebenso wie gemäß § 115b SGB V das ambulante Operieren im Krankenhaus zugelassen.[147] Als Folge dieses Systemwechsels in der Krankenversorgung treten Krankenhausambulanzen auf, die sich in der Hand des Trägers befinden (Institutsambulanz); damit wird dieser alleiniger Vertragspartner des Patienten und einstandspflichtig.[148] Entsprechend der Rechtslage bei der stationären Versorgung sind Leistungserbringung, Haftung und auch Liquidation konzentriert.[149]
78
Bei der Krankenhausambulanz kommt es also bezüglich der Haftung darauf an, ob es sich um eine vom Chefarzt oder vom Krankenhausträger betriebene Ambulanz handelt. Mit der Überweisung des Kassenpatienten in die Chefarztambulanz und der Aufnahme zur Behandlung kommt ein Behandlungsvertrag zwischen diesem und dem beteiligten Chefarzt zustande.[150] „Vertragspartner des Kassenpatienten, der an die Krankenhausambulanz überwiesen wird, ist ausschließlich der an der kassenärztlichen ambulanten Versorgung beteiligte Chefarzt” – abgesehen von der trägereigenen Ambulanz. Denn der Chefarzt ist über seine Mitgliedschaft bei der Kassenärztlichen Vereinigung durch den öffentlich-rechtlichen Gesamtvertrag mit der Krankenkasse des sozialversicherten Kranken verbunden. Nicht das Krankenhaus als Institution, also dessen Träger, soll die ambulante Behandlung übernehmen, „sondern der Chefarzt der Ambulanz, der sozialversicherungsrechtlich gegenüber dem Kassenpatienten allein dazu befugt ist, sofern es nicht um eine Einweisung zur stationären Behandlung oder um eine Notfallbehandlung in der Ambulanz geht”.[151] Unklarheiten darüber, ob der Patient vertragsärztliche Leistungen oder Krankenhausleistungen in Anspruch genommen hat, dürfen haftungsrechtlich nicht zu seinen Lasten gehen.[152] „Wenn nämlich in den Räumlichkeiten des Krankenhauses durch angestellte Ärzte des Krankenhausträgers ambulante Operationen durchgeführt werden, ohne dass die behandelnden Ärzte oder der Chefarzt zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt sind, wird auf Grund des gesetzlichen Leitbildes der Anschein erweckt, dass zumindest der Krankenhausträger als von Gesetzes wegen grundsätzlich zur ambulanten Operation zugelassener Leistungsträger sozialrechtlich befugt ist. Deshalb muss dem gesetzlich Versicherten in dem Fall, dass keine anderen sozialrechtlich als befugt anzusehenden Ärzte zu ermitteln sind, jedenfalls der Krankenhausträger als zumindest auf Grund eines Organisationsverschuldens nach § 823 Abs. 1 BGB Haftender zur Verfügung stehen.”[153]
79
Auch der Privatpatient, der sich im Krankenhaus ambulant behandeln lässt, tritt grundsätzlich in vertragliche Beziehungen zu dem Chefarzt, der die Ambulanz betreibt und gemäß seiner Abrede mit dem Krankenhausträger liquidationsberechtigt ist. Dieser Vertrag kommt auch dann zustande, wenn in Abwesenheit des Chefarztes nur der diensthabende nachgeordnete Krankenhausarzt Dienste leistet.[154]
80
Kommt es in der ambulanten Krankenversorgung zu einer ausschließlichen Vertragsbeziehung zwischen Patient und Chefarzt (Chefarztambulanz), haftet letzterer allein[155]. Dagegen folgt der BGH für die stationäre Behandlung dem patientenfreundlichen Grundsatz der umfassenden Leistungs- und Haftungskonzentration beim Krankenhausträger.[156] Die haftungsrechtliche Differenzierung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung findet angesichts legislativer Bemühung um eine effektivere Verzahnung der beiden Versorgungsformen[157] keine Entsprechung im Sozialrecht. Darin liegt die Gefahr zunehmender Divergenz zwischen Haftpflicht- und Sozialversicherungsrecht.[158]
X. Beamtete Ärzte
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Beamtete Ärzte haften nach § 839 BGB, der insoweit als lex specialis § 823 BGB verdrängt (Dopplung). Die Haftung des Beamten wird auf den Staat übergeleitet, wenn der Beamte hoheitlich handelt (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG). Handelt der Beamte hingegen im fiskalischen Tätigkeitsbereich des Staates, so greift die Staatshaftung nicht ein. Vielmehr bleibt es dann bei der Eigenhaftung des Beamten nach § 839 BGB[159]. Nach ständiger Spruchpraxis betätigt sich der beamtete Arzt regelmäßig nicht hoheitlich, sondern fiskalisch[160]. Bei ihm kommt daher in der Regel nur die Eigenhaftung aus § 839 BGB in Betracht. Sie gilt für beamtete Ärzte sowohl gegenüber Privatpatienten als auch gegenüber gesetzlich Versicherten.
82
Schwierig ist, dass das deutsche Recht für die beiden staatlichen Tätigkeitsbereiche mit unterschiedlichen Beamtenbegriffen arbeitet. Im Rahmen der Eigenhaftung des Beamten fallen unter § 839 BGB nur Beamte im statusrechtlichen Sinne[161], also Personen, denen eine Ernennungsurkunde mit den Worten „unter Berufung in das Beamtenverhältnis“ ausgehändigt worden ist, unabhängig davon, ob die Beamten auf Dauer, auf Probe, auf Widerruf oder auf Zeit berufen sind. Nichtbeamte im öffentlichen Dienst, etwa Angestellte oder Arbeiter, haften demzufolge nach § 823 BGB.
83
Betätigen sich hingegen Arzt oder auch Pflegepersonal ausnahmsweise hoheitlich (etwa Polizei-[162] und Truppen[163]), dann haftet statt ihrer gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG die Körperschaft, in deren Dienst sie stehen. Eine statusrechtliche Beamteneigenschaft ist dafür nicht erforderlich, vielmehr gilt hier der haftungsrechtliche Beamtenbegriff[164]. Demnach haftet der Staat für jeden, der in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit handelt. Darunter werden sowohl sonstige Personen in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen verstanden, „wie Soldaten oder Richter“[165], als auch Personen, die in privatrechtlichen Dienstverhältnissen zum Hoheitsträger stehen und sogar Beliehene.
84
Betreibt der Krankenhausträger eine Institutsambulanz, gehört die ärztliche Leistung zu den Dienstaufgaben, mit der Folge, dass dem beamteten Arzt auch das Verweisungsprivileg zusteht.[166]
XI. Notarzt
85
Der Notarztdienst kann privatrechtlich oder hoheitlich organisiert sein. Ist die Wahrnehmung des Rettungsdienstes als hoheitliche Tätigkeit einzustufen, so finden die Grundsätze der Amtshaftung Anwendung (§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG)[167]. Demzufolge haftet der Notarzt nicht persönlich, sondern der Träger des Rettungsdienstes. Nach Auffassung des BGH entspricht es „dem hoheitlichen Charakter der Durchführung rettungsdienstlicher Aufgaben sowohl im Ganzen wie im Einzelfall [. . .], dass auch die ärztliche Tätigkeit im Rahmen eines rettungsdienstlichen Einsatzes als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu beurteilen ist“. Damit wurde die frühere Rechtsprechung, „nach der die Tätigkeit des Notarztes im Verhältnis zum Notfallpatienten auch dann auf einem privatrechtlichen Rechtsverhältnis gründet, wenn in dem betreffenden Bundesland der Rettungsdienst öffentlich-rechtlich organisiert ist“, ausdrücklich aufgegeben.[168] Ist demnach der Rettungsdienst eines Bundeslandes in öffentlich-rechtlicher Form organisiert, was für einen Großteil der Bundesländer mit steigender Tendenz zu bejahen ist,[169] so übt auch der Notarzt eine hoheitliche Tätigkeit aus.[170] Bundesweit finden unbestritten die Amtshaftungsgrundsätze auf den leitenden Notarzt Anwendung.[171] Entsprechendes gilt für die Haftung von Mitarbeitern[172]. Insoweit bestehen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Passivlegitimierten (Landkreis oder Zweckverbände).[173]
XII. Hebammen
86
Ist eine Hebamme Leiterin eines Geburtshauses, obliegen ihr neben ihrer geburtshilflichen Tätigkeit auch Leitungs- und Organisationspflichten wie einem Krankenhausträger, die dazu führen, dass ihr ärztliches Fehlverhalten bei der Entbindung zuzurechnen ist.[174]
I. Überblick
87
Nach Bejahung eines zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestandes, stellt sich auf der Rechtsfolgenseite die Frage nach Inhalt, Art und Umfang des zu ersetzenden Schadens. Die einschlägigen Regelungen hierzu sind die §§ 249 ff., 842 ff. BGB und die entsprechenden spezialgesetzlichen Normen des AMG, des ProdHaftG für Medizinprodukte, des GenTG, sowie des BVG für Opferentschädigungsfälle.
88
Die Leistung von Schadensersatz bezweckt den Ausgleich des Nachteils den der Geschädigte aufgrund des schädigenden Ereignisses erlitten hat (Ausgleichsfunktion).[175] Zu ersetzen ist dabei der volle Schaden, welcher durch das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis eingetreten ist (Totalreparation)[176], wobei der Schaden am Integritätsinteresse[177] gemessen wird.
89
Grundsätzlich ist der Schadensersatzanspruch nach § 249 Abs. 1 BGB und § 253 Abs. 1 BGB auf Naturalrestitution[178] gerichtet. Das bedeutet die Wiederherstellung des Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte, durch die Person des Schädigers.[179]
90
Nicht nur beim Tod des Patienten, sondern auch in zahlreichen Fällen der Körper- und Gesundheitsverletzung scheidet eine Wiederherstellung im strengen Sinne aber aus. Selbst wenn sie möglich ist, kann der haftende Arzt sie häufig nicht vornehmen, weil der Patient das Vertrauen zu ihm verloren hat.[180] Bei gestörtem Vertrauensverhältnis darf der Patient daher Abhilfe bei einem anderen Arzt suchen (§ 249 Abs. 2 BGB).[181] Ihm steht nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB insoweit ein Geldersatzanspruch zu.
II. Schadensarten
91
Im Rahmen der Systematisierung ist sowohl zwischen dem unmittelbaren, mittelbaren und den Folgeschäden dritter Personen, als auch zwischen dem materiellen und immateriellen Schaden zu differenzieren. Vgl. hierzu 1. Teil, 6. Kap.
1. Unmittelbare, mittelbare und Folgeschäden bei Dritten
92
Der unmittelbare Schaden ist derjenige Schaden, der am verletzten Recht oder Rechtsgut selbst entstanden ist. Im Arzthaftungsrecht führt er in der Regel zum Ersatz materieller Schäden, wie etwa der Heilbehandlungs- und Pflegekosten (§ 249 Abs. 2 BGB) und zu einem Schmerzensgeldanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB.[182]
93
Zu den mittelbaren Schäden zählen hingegen solche Einbußen und Nachteile, die durch das schädigende Ereignis verursacht worden; die also als Folge der Gesundheitsbeeinträchtigung entstehen. Dies sind etwa der entgangene Gewinn (§ 252 BGB), die Kosten für Krankenbesuche und der Verdienstausfall.[183]
94
Eine dritte Gruppe bilden die Folgeschäden, welche sich bei Dritten verwirklichen, wie z.B. der Verlust von Unterhaltsansprüchen, Ersatzansprüche wegen entgangener Dienste oder auch Ersatzansprüche wegen Beerdigungskosten (§§ 844, 845 BGB).[184]
2. Materielle und immaterielle Schäden
95
Der erlittene Nachteil kann materieller oder immaterieller Natur sein.
a) Materielle Schäden
96
Ein materieller Schaden liegt vor, wenn der Schaden in Geld bemessen werden kann und nicht der Persönlichkeitssphäre zuzuordnen ist. Als quantifizierbar wird ein Schaden dann angesehen, wenn sich seine Höhe nach objektiven Gesichtspunkten und frei von subjektiven Eindrücken und Empfindungen der betroffenen Person ermitteln lässt[185], indem die aufgrund des haftungsbegründenden Schadensereignisses bestehende Güterlage mit der ohne dieses Ereignis bestehenden Güterlage verglichen wird (Differenzhypothese)[186].
97
Ersatzfähige materielle Schäden sind beispielsweise die Heilungs-, Pflege- und Rehabilitationskosten. Diese Kosten werden generell von der GKV übernommen, und die Ansprüche gehen daher gem. § 116 SGB X auf sie über. Zu ersetzen sind auch die Aufwendungen für Krankenhausbesuche naher Angehöriger bzw. sonstiger nahe stehender Personen[187], sowie der entgangene Gewinn, einschließlich des Verdienstausfalls (§ 252 BGB).[188] Gegebenenfalls sind auch die Kosten für vermehrte Bedürfnisse, wie den behindertengerechten Umbau der Wohnung und die Anschaffung eines geeigneten Autos zu ersetzen (§ 843 BGB). Eine Erweiterung des Haftungsumfangs findet sich darüber hinaus im Deliktsrecht. So besteht, aufgrund der deliktsspezifischen Normen u.a. ein Anspruch auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens (§§ 843, 844 BGB).
98
Ist die fehlerhafte Leistung des Arztes für den Patienten völlig unbrauchbar und demzufolge ohne Interesse, besteht der (Mindest-)Schaden des Patienten darin, dass er für eine im Ergebnis unbrauchbare ärztliche Behandlung eine Vergütung zahlen soll. In diesem Fall ist der Schadensersatzanspruch unmittelbar auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerichtet ist, wenn weder der Patient noch seine Versicherung bereits bezahlt haben[189].
99
Mittelbar Geschädigte können, wie bereits erwähnt, eigene Ansprüche aus den §§ 823 ff. BGB i.V.m. §§ 844, 845 BGB herleiten. So können beispielsweise Ansprüche auf Ersatz der Beerdigungskosten oder Ersatzansprüche für Unterhaltsverluste und entgangene Dienste bei Tod des Patienten (§§ 844, 845 BGB) ersetzt werden. Bleibt ein dauernder Schaden, so kommt insoweit auch eine Rente in Betracht.[190]
b) Immaterieller Schaden[191]
100
Vgl. hierzu 1. Teil, 7. Kap.
101
Unter dem Begriff des immateriellen Schadens sind alle körperlichen und seelischen Belastungen oder Nachteile zu fassen, welche im strengen Sinne monetär nicht messbar sind.[192]
102
Dem Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens kommt nach ständiger Judikatur eine Doppelfunktion zu: Der Geschädigte soll für außerhalb der Vermögenssphäre liegende Unbill, etwa für körperliche Schmerzen oder seelische Leiden, für die Einbuße an physischen oder psychischen Funktionen trotz der Inkommensurabilität dieser Nachteile mit Geld einen Ersatz erhalten. Neben dieser vorwiegenden Ausgleichsfunktion steht vornehmlich bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit die ergänzende Genugtuungsfunktion, nach welcher der Schädiger den Verletzten durch Sühnung der Tat zu besänftigen hat.[193] Der Schmerzensgeldanspruch geht nicht auf den Sozialversicherungsträger über, ist jedoch übertrag- und vererbbar. Die Reform des Schadensrechts hat daran nichts geändert.[194] Insbesondere ist an der bisherigen Spruchpraxis[195] zur notwendigen Überschreitung der Bagatellgrenze festzuhalten, unterhalb derer ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu verneinen ist und deren Umfang die Gerichte auch zukünftig anhand der Formulierung „billige Entschädigung“ festzusetzen haben.[196] Der Anspruch umfasst auch Schmerzen, die im weiteren Verlauf der durch den schuldhaften Arztfehler ausgelösten Verletzungen auftreten.[197]
103
Die Schmerzensgeldbeträge unterscheiden sich je nach Umfang der Verletzung und können sechsstellige Summen erreichen.[198] Bei schweren Dauerschäden kommt neben dem Kapitalbetrag aber auch eine Rente in Betracht.[199] Das gilt insbesondere auch beim totalen Ausfall aller geistigen Fähigkeiten und Sinnesempfindungen, obwohl insoweit beide Funktionen des Schmerzensgeldes nicht greifen.[200] Diese Rechtsprechung dürfte durch das neue Hinterbliebenengeld nicht obsolet werden, obwohl das sachgerecht wäre[201].
104
Von größter Bedeutung für das Arzthaftungsrecht wird das sogenannte Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB sein. Ein Hinterbliebener, „der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand“, kann für das ihm „zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld“ verlangen. „Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“ Für weitere nahestehende Personen ist das Näheverhältnis zu beweisen. Zu den Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang sei auf § 8 TPG verwiesen. Der Umfang soll sich an der Rechtsprechung zu den Schockschäden orientieren. Ein gesundheitlicher Schaden beim Anspruchsberechtigten ist allerdings nicht Voraussetzung[202].