Chronik eines Weltläufers

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Die Nacht lag still und ruhig über dem Tal, doch ich konnte nicht einschlafen. Ich suchte deshalb Hatatitla auf, der im dunklen Hintergrund des Kessels weidete. Durch sein Schnauben aufmerksam geworden, bemerkte ich mehrere Gestalten, die sich von dem dunklen Felsen lösten und herabstiegen. Weil ich kein Gewehr bei mir hatte, konnte ich den Vordermann nicht abschießen. Da fiel vorn am Wassertor ein Schuss, dem bald mehrere folgten. Ein Scheinangriff, um von der Felswand abzulenken. Mit meinem Revolver gab ich Schüsse auf die dunklen Gestalten ab, schwang mich auf meinen Hatatitla und ritt in die Mitte des Lagers. Uns blieben zur Rettung nur die Höhlen um den Talkessel als letzter Zufluchtsort. Doch daran wurden wir gehindert, denn die Indianer waren schneller die Felswand heruntergekommen und mir gefolgt, als ich angenommen hatte. Es war ein wilder, grauenvoller Kampf, wie ihn sich die Einbildungskraft kaum auszumalen vermag. Old Firehand, der wie ein Fels in der Brandung stand, wurde durch einen Schuss Parranohs getroffen und brach dann lautlos zusammen. Ich fühlte einen schmetternden Schlag auf den Kopf und verlor das Bewusstsein.
Sonntag, 28. Juni 1868:
Als ich erwachte, war es dunkel und still um mich. Ich lag in einer der Höhlen und war gefesselt. Gleich darauf bemerkte ich jemanden neben mir, es war Sam Hawkens. Von ihm erfuhr ich, dass außer ihm, Winnetou, Harry und mir alle ausgelöscht seien. Doch Sam besaß noch sein Messer, mit dem wir unsere Fesseln zerschnitten. Als ich den Fellvorhang beiseiteschob, sah ich nicht nur unsere Pferde vor dem Talausgang stehen, sondern auch Parranoh, der gerade die Anweisung gab, Winnetou und Harry an den Marterpfahl zu führen. Nun war Eile geboten. Mit weiten, aber leisen Sprüngen schnellten wir hinter den Indianern her, überwältigten diese und schnitten den beiden Gefangenen die Fesseln durch, bewaffneten uns notdürftig und eilten zu den Pferden. Harry zog ich hinter mir in den Sattel. Wütendes Geheul erfüllte die Luft, Schüsse krachten, Pfeile schwirrten um uns. Ich kann unmöglich sagen, wie ich durch den engen, gewundenen Pass ins Freie kam. Da fiel hinter uns ein Schuss. Als ich mich umblickte, sah ich Parranoh auf seinem Mustang dicht hinter mir. Nach einer kurzen, aber wilden Verfolgungsjagd schoss Winnetou Parranoh aus dem Sattel und im selben Augenblick spaltete der von mir geworfene Tomahawk den Schädel des weißen Häuptlings. Parranoh hatte alle meine Waffen umhängen, die ich jetzt wieder in Besitz nahm. Dann hatten uns die verfolgenden Poncas fast erreicht und wir ritten weiter. Plötzlich flog ein ansehnlicher Reitertrupp vom Waldsaum her zwischen uns und die Verfolger herein, schwenkte gegen die Roten um und stürmte ihnen im gestreckten Galopp entgegen. Es handelte sich um eine Abteilung Dragoner aus Fort Randall. Bei ihnen befanden sich auch Will Parker und Dick Stone. Dann ging es zur ‚Festung‘ zurück. An der Zugangsschlucht aber saß Sam Hawkens und schoss die ankommenden Poncas aus dem Sattel, sodass diese nicht mehr in die Festung eindringen konnten. Im Talkessel angekommen, eilten Harry und Winnetou zur Leiche Old Firehands. Doch zu aller Erstaunen war dieser gar nicht tot, er hatte bloß eine sehr schwere und mit großem Blutverlust verbundene Verwundung. Gegen Mittag stellten sich die Dragoner wieder ein. Sie hatten die Poncas zu Paaren getrieben und dabei keinen Mann eingebüßt.
Mittwoch, 1. Juli 1868:
Um die Pferde ausruhen zu lassen, blieb der Trupp drei Tage im Tal. Während dieser Zeit wurden die Toten beerdigt, dann lud man uns ein, Old Firehand, sobald er die Reise aushalten könne, in das Fort Randall zu bringen, wo er leidliche Pflege und vor allem sachgemäße ärztliche Behandlung finden werde. Wir sagten gern zu.
Donnerstag, 1. Oktober 1868:
Drei Monate später war Old Firehand zwar gerettet, aber immer noch sehr schwach, sodass wir ihn bisher nicht nach Fort Randall hatten schaffen können. Es war vorauszusehen, dass sich Old Firehand selbst nach seiner Genesung noch lange werde schonen müssen. Deshalb hatte er sich entschlossen, sobald er die Reise unternehmen könnte, nach Osten zu seinem älteren Sohn zu gehen und Harry mitzunehmen. Die Fellvorräte, die sich hier angesammelt hatten, konnten nicht für immer hier liegen, sondern mussten verkauft werden. Durch die Soldaten hatten wir erfahren, dass sich drüben am Cedar Creek ein Pedlar (Händler) aufhielt, der alles Mögliche aufkaufte und die Waren auch mit barem Geld bezahlte.
Samstag, 3. Oktober 1868:
Winnetou und ich machten uns deshalb auf den Weg und kamen schon am zweiten Tag an den Cedar Creek. Wo nun den Pedlar finden? Es gab in der Nähe ein Blockhaus, in dem ein weißer Ansiedler wohnte, bei dem wollten wir uns erkundigen. Erst als er tatsächlich wusste, wer wir waren, ließ er uns in seine Hütte, denn er befürchtete, von den Okananda-Sioux überfallen zu werden, die momentan in dieser Gegend ihr Unwesen trieben. Ein Gehilfe des Pedlars sollte heute Abend zurückkommen. An ihn könnten wir uns dann wegen des Verkaufs der Felle wenden. Als dieser eintraf, wurde ich das Gefühl nicht los, dass man ihm nicht ganz trauen könne, zumal er angeblich nicht wusste, wo sich Mr. Braddon, der Pedlar, momentan aufhielt. Da wir nicht in der Hütte schlafen wollten, legten Winnetou und ich uns hinaus zu unseren Pferden. Nachts wurden wir beide wach und sahen, dass einige Gestalten auf das Blockhaus zukrochen. Wir konnten uns eine schnappen. Es war der Häuptling der Okananda-Sioux selbst, für uns ein guter Fang. Durch Verhandlungen erreichten wir, dass die Indianer abzogen, ohne sich am Besitzer der Blockhütte zu vergreifen, der sich ohne ihre Erlaubnis hier niedergelassen hatte. Rollins, der Gehilfe des Pedlars, aber wollte ihnen nachgehen, um zu sehen, ob sie wirklich die Gegend verlassen würden.
Sonntag, 4. Oktober 1868:
Am Morgen ritten wir mit Rollins vom Blockhaus fort, um ihn zu Old Firehand zu führen, wo er sich die Felle ansehen wollte. Unterwegs trafen wir auf drei Fußgänger, die sich auf Stöcke stützten und angaben, von den Okananda-Sioux überfallen worden und jetzt nach Fort Randall unterwegs zu sein. Sie schlossen sich uns an. Und da mein Misstrauen gegen Rollins wieder aufgekommen war und Winnetou zudem die Meinung hegte, die drei angeblich von den Indianern Überfallenen schauspielerten nur, waren wir beide doppelt vorsichtig. Als es dunkel wurde und auch noch zu regnen anfing, lagerten wir nicht draußen auf der Prärie, sondern in einem nahe gelegenen Wäldchen. Winnetou schien plötzlich etwas zu bemerken, denn er setzte zu einem ‚Knieschuss‘ an, legte sein Gewehr dann aber wieder ab und wollte nun die Pferde inspizieren gehen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er zurückkam. Zu spät bemerkte ich, dass sich ein völlig Fremder Winnetous Saltillodecke übergehängt hatte. Er schlug mich mit dem Gewehrkolben besinnungslos.
Montag, 5. Oktober 1868:
Als ich wieder zu mir kam, graute bereits der Morgen. Ich war gefesselt. Da vernahm ich eine Stimme, die ich kannte: Es war die Stimme von Santer, dem Mörder von Intschu tschuna und Nscho-tschi, dem Vater und der Schwester Winnetous. Winnetou, den man krummgeschlossen hatte, und ich befanden uns in einer sehr misslichen Lage, denn von Santer hatten wir beide keine Gnade zu erwarten, zumal dieser ja wusste, dass Winnetou immer hinter ihm her sein würde, um seinen Vater und seine Schwester zu rächen. Uns konnte nur eine List helfen, wir mussten Santers Habgier nach Gold und Reichtum wecken, um ihm vielleicht dadurch zu entkommen. Santer war der Pedlar, den wir gesucht hatten, und die drei hilfsbedürftigen Fußgänger waren seine Gehilfen, während Rollins angeblich nicht zu ihm gehörte und gestern Abend entkommen war. Als wir beide dann allein zusammenlagen, sprachen wir heimlich über den Goldschatz, den Winnetou angeblich nur eine Tagesreise von hier versteckt hatte, denn wir ahnten, dass Santer unser Gespräch belauschen würde. Seine Gier nach Reichtum und Gold schien momentan größer zu sein als die, uns zu töten, denn wir würden ihm ja sowieso wieder in die Hände fallen. Dann wurden die drei Helfer von Santer losgeschickt, die Umgegend nach Rollins abzusuchen und ihn zu fangen. Und sie brachten ihn tatsächlich nach einiger Zeit herbei. Santer und Rollins spielten ihre Rollen so, als ob sie gute Bekannte seien, die sich nach langer Zeit wieder einmal sahen. Sie taten schließlich so, als ob Rollins es durch seine Fürsprache fertig brächte, dass wir später mit allem, was wir besaßen, freigelassen werden sollten. Santer ritt mit den anderen fort und Rollins sollte uns am Abend befreien, sodass wir in der Nacht Santer nicht mehr folgen konnten. Als uns Rollins dann die Fesseln abnahm, ritten wir mit ihm in der Dunkelheit in Richtung der ‚Festung‘.
Dienstag, 6. Oktober 1868:
Am Morgen wurde eine kurze Rast gemacht und gegen Mittag wieder. Dann schnappten wir uns Rollins und banden ihn an einen Baum. Später, nach der Überwältigung Santers, wollten wir ihn hier abholen. Wir ritten etwas seitwärts zurück, denn wir wollten nun Santer abfangen, der uns bestimmt auf unserer Spur folgte. Es war noch anderthalb Stunden Tag, und bis dahin musste er uns eingeholt haben. Als wir etwas später in der Ferne einen Reiter sahen, der in die Richtung ritt, aus der wir Santer erwarteten, ahnten wir nichts Gutes. Ich ritt zurück und stellte fest, dass jemand Rollins befreit hatte und dass dieser Jemand, der Fußspur nach, kein anderer als Sam Hawkens gewesen sein konnte. Ich jagte zu Winnetou zurück und wir ritten nun auf unserer alten Fährte so weit, bis wir auf eine Spur von vier Reitern trafen, die mit einem anderen Reiter zusammengetroffen waren und eine andere Richtung eingeschlagen hatten. In der hereinbrechenden Dunkelheit mussten wir die Verfolgung aufgeben und ritten stattdessen zur ‚Festung‘, wo wir ankamen, als der Mond aufging. Da sich der Zustand von Old Firehand etwas verschlechtert hatte, bat mich Winnetou, hierzubleiben und nicht mit ihm Santer zu jagen, denn ich würde hier jetzt notwendiger gebraucht.
Mittwoch, 7. Oktober 1868:
Noch schien der Morgenstern hell, da ritten wir miteinander hinaus in den Wald, und gerade als es tagte, hielten wir an der Stelle, wo wir vor der neuen Fährte Santers umgekehrt waren. Ein Druck seiner Hände für mich, ein lauter, gellender Zuruf an seinen Rappen, und er jagte davon, dass sein langes, herrliches Haar wie eine Mähne hinter ihm herwehte.
Mittwoch, 28. Oktober 1868:
Ich war in das Lager von Old Firehand zurückgekehrt. Einige Tage später erfuhren wir von den Soldaten, die die Verbindung zwischen Fort Randall und der ‚Festung‘ aufrecht hielten, dass einige Jäger und Fallensteller einer Pelzhandelsgesellschaft im Fort angekommen waren und sich dort einige Zeit von den Strapazen der Jagd erholen wollten. Sie wären vermutlich bereit, Old Firehands Bestand aufzukaufen. Daraufhin ritt Sam Hawkens mit Dick Stone und Will Parker hinüber ins Fort, um die Abholung der Felle zu organisieren. Als alles zu Old Firehands Zufriedenheit erledigt war, konnte man an eine Abreise nach Osten denken, zumal sich sein Zustand rasch gebessert hatte. Gemeinsam ritten wir nach Fort Randall, wo wir uns vom ‚Kleeblatt‘ verabschiedeten, das nach Westen zu den Black Hills wollte.
Im Fort ging ich zum Store, um meine Munition zu ergänzen, und fand hier eine Gesellschaft von Männern, die um einen ‚Old Shatterhand‘ saßen und mit Begierde seinen Flunkereien lauschten. Ich fragte ihn, ob er wirklich Old Shatterhand sei, und als er die Frage bejahte, erklärte ich, dass ich der einzige Mann sei, der das Recht besitzt, diesen Namen zu führen. Da er mich hierauf einen Lügner nannte, führte ich den Beweis, dass ich die Wahrheit gesagt hatte: Ich gab ihm die Faust an den Kopf. Wie ich erfuhr, war er ein aus Iowa gebürtiger Fallensteller namens Stoke.5
Ich begleitete Old Firehand und Harry bis nach Omaha, wo sich Firehand bei seinem älteren Sohn erholen wollte. Eigentlich war es meine Absicht, in die Heimat zurückzukehren: doch wohin mit meinem Hatatitla? Da es hier oben bald Winter wurde, gedachte ich mir ein entsprechendes Quartier zu suchen. Mir fiel der Bärenjäger Baumann ein, dem ich ja versprochen hatte, irgendwann bei einer meiner Nordamerika-Reisen einmal wieder vorbeizukommen. Deshalb lenkte ich Hatatitla nach Westen zu.
Ende Februar 1869:
Der Winter brach kurzfristig herein. Ich hatte es gerade noch rechtzeitig zum Haus des Bärenjägers geschafft, das an einem Nebenflüsschen des South Fork of Cheyenne ganz im Osten Wyomings lag. Martin Baumann war seit Kurzem verheiratet. Seine Frau Anna Maria stammte aus einer deutschen Einwandererfamilie, die sich hier in der Nähe niedergelassen hatte. Auch Wohkadeh, der junge Mandan-Indianer, hatte sich inzwischen eine Frau genommen und wohnte jetzt bei den Upsarokas. Hobble-Frank, der sich viel bei den Baumanns sehen ließ, war noch unterwegs. Es würde sicher Frühjahr werden, bis er hier wieder auftauchte.
Montag, 8. März 1869:
Als es Frühjahr wurde, hielt ich es nicht mehr aus. Ich versprach den Baumanns, bald wieder vorbeizukommen; vielleicht wäre bis dahin ja auch der Hobble-Frank eingetroffen. Meinen Hatatitla ließ ich bei ihnen zurück, weil ich ihn etwas schonen wollte, und nahm mir ein anderes Pferd. Unterwegs stieß ich auf einen Trupp Fallensteller, bei denen ich eine Nacht lagerte. Sie wollten in das obere Missouri-Gebiet, kannten aber die Gegend nicht. Ich ließ mich breitschlagen und sagte ihnen als Führer zu, nannte ihnen aber meinen Jagdnamen nicht. Wir hatten erst einige Tage unser Lager im Dakota-Territorium aufgeschlagen, als wir plötzlich im Morgengrauen von Ogellallah-Indianern überfallen wurden, wobei alle Fallensteller niedergemacht und skalpiert wurden. Ich hatte versucht, meinen Kameraden beizustehen, und viele der Angreifer abgewehrt, wobei mancher verwundet wurde oder gar sein Leben lassen musste. Als die Ogellallah erkannten, wer ich war, versuchten sie meiner habhaft zu werden. Gegen so viele Gegner war ich machtlos. Man nahm mich gefangen und schleppte mich ins Dorf der Ogellallah. Dort stellte man mich vor die Wahl, entweder die Tochter des Häuptlings Ma-ti-ru zu heiraten oder am Marterpfahl zu sterben. Natürlich ließ ich mich nicht auf eine solche Zwangsheirat ein. Auch die Tochter des Häuptlings, mit der ich mich heimlich aussprechen konnte, wollte mich nicht zum Mann, denn es gab bereits einen jungen Krieger, den sie gerne geheiratet hätte. Um mir und damit auch sich selbst zu helfen, lockerte sie meine Handfesseln so, dass es nicht auffiel, ich mich aber jederzeit freimachen konnte. In der Nacht darauf, als alles außer den beiden Wächtern vor meinem Zelt schlief, machte ich meine Hände frei, löste die Bande von meinen Füßen, lockerte die hintere Zeltwand und schlich mich unbemerkt zum Zelt des Häuptlings, wo ich meine Waffen wusste. Ich kam unbemerkt in sein Zelt und konnte ihn, während er noch schlief, bewusstlos schlagen. Die beiden Frauen, Mutter und Tochter, musste ich natürlich fesseln und ihnen, der Tochter aber nur zum Schein, einen Knebel in den Mund schieben. Dann fesselte ich auch den Häuptling, suchte meine Waffen und sonstige Sachen zusammen, die man mir abgenommen hatte, und schlich mich unbemerkt wieder aus dem Zelt. An dem Tag, als wir hier ankamen, hatte ich genau gesehen, wohin das Pferd des Häuptlings geschafft wurde, und ich hoffte, es dort noch zu finden. Tatsächlich entdeckte ich es etwas abseits der Herde und konnte auf ihm entfliehen.6
Freitag, 11. Juni 1869:
Als ich wieder bei den Baumanns eintraf, war der Hobble-Frank aufgetaucht und hatte zwei alte Bekannte mitgebracht, nämlich den Dicken Jemmy und den Langen Davy. Eigentlich wollte ich jetzt bald hinunter an den Rio Pecos, um zu sehen, ob Winnetou von der Verfolgung Santers zurück sei, und um meinen Hatatitla bei ihm zu lassen. Doch man bat mich, noch einige Zeit zu bleiben, was ich auch nicht bereute. Wir besuchten Wohkadeh bei den Upsarokas, worüber dieser sich herzlich freute. So ging die Zeit dahin, bis ich es wiederum nicht mehr aushielt. Ich wollte unbedingt nach Süden zu den Apatschen. Hobble-Frank, der Dicke Jemmy und der Lange Davy wollten an den Colorado River. Das war mir lieb, denn nun war ich bis hinunter ins New-Mexico-Territorium nicht ganz allein auf mich gestellt. Wir konnten ein großes Stück miteinander reiten, obwohl es ein Umweg für mich war, bevor ich mich dann von ihnen trennen musste. Ursprünglich hatte ich vor, noch an den Silbersee zu reiten, der nicht allzu weit von unserer Route im Nordosten von Utah lag, denn ich kannte nähere Einzelheiten von einem Goldschatz, den es dort geben sollte. Doch ich kam wieder davon ab, denn was konnte mich das interessieren. Am nächsten Tag sollte der Aufbruch sein.
Mittwoch, 30. Juni 1869:7
Wir waren in Wyoming zum North Platte River geritten und über Fort Laramie nach Cheyenne gekommen, einem Städtchen, das erst 1867 entstanden war und an der Union-Pacific-Eisenbahn-Linie lag. Wir hätten nun ohne Weiteres mit der Bahn weiterfahren können, doch wir zogen einen Ritt durch die Natur vor und erreichten bald darauf das Colorado-Territorium, wo wir die Richtung nach Denver einschlugen. Die ‚Queen City of the Plains‘, wie man Denver auch nannte, war die Hauptstadt dieses Territoriums, etwa 25 Kilometer von den beginnenden Rocky Mountains entfernt. Die Stadt war, obwohl erst 1857 gegründet, schon mächtig im Aufblühen begriffen. Von Denver aus waren wir dann im Westen des Staates Colorado angekommen, da, wo sich nördlich des Gunnison River die Mountains erheben, und hatten, obgleich es noch nicht weit über Mittag war, heute doch schon eine bedeutende Strecke zurückgelegt. Ich rechnete mir aus, dass wir am Abend am Elk Creek übernachten würden. Dann würde für uns die Trennung kommen. Meine drei Begleiter wollten zunächst in die Elk Mountains und dann zu den Book Mountains hinüber, während ich nach Süden abbiegen würde, um zwischen den San Juan Mountains und dem San Luis Park den Rio Grande entlang nach New Mexico in das Gebiet des Rio Pecos zu kommen. Da stießen wir auf einen Trupp Soldaten, die uns vor den Utah-Indianern warnten, welche das Kriegsbeil ausgegraben hatten. Natürlich waren wieder Weiße daran schuld, nämlich eine Gesellschaft von weißen Goldsuchern, die in ein Utah-Lager eingebrochen waren, um Pferde zu rauben, wobei viele Indianer und anschließend bei deren Rachefeldzug alle Räuber bis auf sechs getötet wurden. Nun schien hier in der Gegend der Teufel los zu sein. Wir dankten den Soldaten für die Warnung und ritten weiter. Nach etwa einer halben Stunde erreichten wir ein dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsenes Waldstück, wo wir in einer Lichtung lagerten und unser verspätetes Mittagsmahl hielten. Da kamen auf unserer Spur zwei Weiße angeritten, zwei der Pferdediebe, die ich mit zwei Faustschlägen unschädlich machte. Kaum war das geschehen, wurden wir auch schon von Indianern umzingelt. Es waren Yampa-Utahs mit ihrem Häuptling ‚Großer Wolf‘, die uns als Feinde ansahen, weil sie uns mit den beiden Mördern angetroffen hatten. Durch meine Überredungskunst und durch des Häuptlings Angst vor meinem ‚Zaubergewehr‘, dem Henrystutzen, erreichte ich, dass wir mit ihm und seinen zweihundert Kriegern in das Utah-Lager reiten konnten, um uns dort der Beratung der Ältesten zu unterwerfen. Die beiden Pferdediebe und Mörder aber wurden als Gefangene mitgenommen, um am Marterpfahl zu sterben.
Donnerstag, 1. Juli 1869:
Am nächsten Morgen wurden die zwei weißen Mörder, die sich jedoch in den Augen der Indianer wie ‚Memmen‘ zeigten, von Bluthunden zerrissen. Und einer dieser Bluthunde stürzte sich auch auf mich. Er hätte mich zerfleischt, wenn ich ihn nicht beim Zusammenprall abgefangen und mit meinem bekannten Faustschlag niedergestreckt hätte. Nun begann in indianischer Weise die entscheidende Sitzung über unser Schicksal. Dann kam das Urteil: Obwohl wir als Weiße in den Augen dieser Indianer unser Dasein verwirkt hatten, sollten wir nicht am Marterpfahl sterben, sondern unser Leben in verschiedenen Zweikämpfen verteidigen. Der ‚Große Wolf‘ suchte drei Krieger aus: Der ‚Rote Fisch‘ sollte mit dem klapperdürren Langen Davy um die Wette schwimmen; der ‚Große Fuß‘, dessen Muskeln wie Wülste hervortraten, gegen den Dicken Jemmy mit dem Messer kämpfen; und der ‚Springende Hirsch‘ mit dem Hobble-Frank, der auf einem Bein etwas lahmte, um die Wette rennen. Mit mir würde Häuptling ‚Großer Wolf‘ selbst kämpfen, und zwar mit Messer und Tomahawk. Durch einen Trick, den ich beim Losen anwandte, konnte der Lange Davy bei seinem Wettkampf mit der Strömung schwimmen, während sein Gegner dagegen ankämpfen musste. Es gab ein Heulen, als feststand, dass Davy schneller war als der ‚Rote Fisch‘. Der Dicke Jemmy hebelte seinen viel größeren Gegner über den Rücken aus und hätte den ‚Großen Fuß‘ ohne Weiteres erstechen können. Der Hobble-Frank schickte den bereits fast siegreichen ‚Springenden Hirsch‘ durch eine List auf eine falsche und weitere Strecke und gewann das Rennen. Und auch ich besiegte den ‚Großen Wolf‘, der bewusstlos zu Boden ging, nachdem ich ihm den Griff des Bowiemessers auf die Herzgrube geschlagen hatte. Während sich die Roten um ihren Häuptling scharten, gingen wir zu unserem Zelt, nahmen unsere Waffen und bestiegen die Pferde. Durch die Zelte gedeckt, bemerkte man unser Fortreiten zu spät. Natürlich würde man uns verfolgen, weshalb wir versuchten, auf steiniges Gelände zu kommen, damit unsere Spuren nicht so schnell entdeckt wurden. Noch waren wir nicht weit genug vom Utah-Lager entfernt, da trafen wir gänzlich unverhofft und unerwartet auf zwei alte Freunde, die unsere Zweikämpfe aus der Ferne beobachtet hatten, nämlich auf Winnetou und Old Firehand, die mit etwa vierzig Jägern und Rafters auf dem Weg hinauf zum Silbersee waren, um eine Mine auszubeuten. Bei ihnen befanden sich die Westmänner Gunstick-Uncle, Humply-Bill und Tante Droll mit dem etwa sechzehnjährigen Fred Engel, ein Ingenieur namens Patterson mit seiner Tochter Ellen sowie ein Lord Castlepool aus Old England. Wir vereinbarten, dass wir bis zum Night Cañon weiterreiten sollten, während Winnetou und Old Firehand mit ihren Leuten den uns verfolgenden Utahs nachritten, sodass wir sie in dem Cañon einschließen konnten. Wir erreichten unser Ziel und durchritten den Cañon, der am Ende so eng war, dass ein Mann allein zahlreiche Verfolger in Schach halten konnte. Als die Utahs endlich ankamen und sie auf meine Warnung hin nicht halten blieben, wurden sie von uns eingeschlossen und mussten sich gefangen geben. Nach ihrer Entwaffnung wurde der Weiterritt angetreten. Winnetou und Old Firehand hielten sich mit mir an der Spitze der Schar. Hinter uns ritt der Hobble-Frank neben Tante Droll. Ich hörte aus ihrem Gespräch, wie beide verwundert feststellten, dass sie miteinander verwandt waren und als Kinder zusammen gespielt hatten. Im Laufe unseres Ritts erreichten wir einen größeren und viel breiteren Cañon, in dem wir lagern wollten, weil es langsam Abend wurde. Winnetou, Old Firehand und ich waren bereit, die Roten freizugeben. Mit der Friedenspfeife wurde zwischen den Utahs und uns ein Freundschaftspakt geschlossen. Danach verließen uns die Indianer und ritten in Richtung Night Cañon zurück. Winnetou aber folgte ihnen heimlich, um zu sehen, ob sie wirklich die Gegend verließen, was sie auch taten. Dass sie dann doch umgekehrt waren, merkten wir erst später.
Winnetou, Old Firehand und ich saßen nachher noch ein wenig am Lagerfeuer zusammen. Winnetou erzählte mir nur ganz kurz von der Verfolgung Santers, dessen Spur er schon bald verloren hatte, wodurch er sein Vorhaben aufgeben musste. Ich konnte jetzt erst Old Firehand fragen, wie er seine Verwundung aus dem vergangenen Herbst überstanden habe. In Omaha bei seinem Sohn war er in gute Pflege geraten und seine robuste Natur hatte die Wunden so gut heilen lassen, dass er sich schon im Frühjahr nach Osten gewandt hatte, um einen Ingenieur ausfindig zu machen, der dabei helfen würde, eine ihm bekannte Silbermine auszubeuten. Der Begleiter von Tante Droll, der junge Fred Engel, hatte Anspruch auf einen dort am Silbersee befindlichen Goldschatz. Der Plan dazu befand sich aber jetzt im Besitz eines als ‚Roter Cornel‘ bekannten Schurken, den sie mitsamt seinen Tramps verfolgten. Wahrscheinlich kannten die beiden am See lebenden Tonkawa-Indianer, ‚Großer und Kleiner Bär‘ ebenfalls dieses Eldorado. Auch mir war ja bekannt, dass ein Goldschatz dort zu heben sei.
Wir lagen fast alle noch im ersten Schlaf, als wir von mehreren hundert Indianern angegriffen wurden. Es waren die Utahs, die uns trotz der mit ihrem Häuptling gerauchten Friedenspfeife erneut überfallen hatten. Wir verließen gefesselt unser Lager und mussten lange laufen, bis wir zu einem Sammellager der Utahs kamen. Dort wurden wir an das Lagerfeuer der versammelten Häuptlinge geführt, zu denen sich jetzt auch der ‚Große Wolf‘ setzte, der uns gefangen genommen hatte. Nanap neav, ein uralter Indianer, verhöhnte Winnetou so sehr, dass dieser ihn ansprang, wobei der Häuptling unglücklich stürzte und mit zertrümmerter Hirnschale tot liegenblieb. Dann wurden auch unsere Füße gefesselt und man legte uns unter Bäume, wo wir von mehreren Indianern bewacht wurden. Eine Flucht schien unmöglich. Als die meisten Indianer zu schlafen schienen, bemühte ich mich, meine Fesseln zu lösen, was mir bei einer Hand schon bald gelang. Da schob sich eine Gestalt neben mich und blieb stocksteif neben mir liegen, das konnte nur der Hobble-Frank sein, den ich nebst Tante Droll inzwischen vermisst hatte. Er schob mir langsam etwas zu: meinen Henrystutzen, den ich verloren glaubte. Mit Hilfe seines Messers konnten wir unsere Fesseln durchschneiden. Dann ging meine Weisung leise von Mund zu Mund, dass alle zu den Häuptlingen eilen sollten, sobald ich das Zeichen gab. Der ‚Große Wolf’ hatte sich soeben zu seinen Kriegern begeben. Allein die drei übrigen Häuptlinge saßen noch immer beratend an ihrem Feuer. Einige Sekunden später waren sie entwaffnet und gebunden und wir griffen nach unseren in der Nähe liegenden Gewehren. Wir würden die drei Häuptlinge als Geiseln mit uns nehmen und sie im Tal der Hirsche wieder freilassen, wenn die Utahs auf alle Feindseligkeiten verzichteten, was wiederum mit der Friedenspfeife besiegelt werden sollte.