Chronik eines Weltläufers

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Freitag, 2. Juli 1869:
Nun wurden unsere Pferde und die der Geiseln gebracht. Das war, als gerade der Tag zu grauen begann. Dann setzten wir uns in Bewegung. Wir kamen durch eine grandiose Landschaft, bis wir das Tal des Grand River erreichten. An einer Furt überquerten wir den Fluss und sahen eine breite Spur, die von Weißen herrühren musste. Winnetou und Old Firehand vermuteten, dass es der Cornel mit den Tramps sei. Wir folgten der Fährte bis zu einer felsigen Stelle, wo wir abbiegen konnten, um auf einem nur uns bekannten, sehr steilen Pfad in das Hirschtal zu gelangen. Die Sonne war schon am Untergehen, als wir in das Tal hinabstiegen, einen riesigen Kessel mit Freiflächen und Bäumen, unter denen mehrere andere Utah-Stämme lagerten. Winnetou, Old Firehand und ich schlichen hinzu und konnten nochmals zwei Häuptlinge, die gerade das Lager verlassen hatten, gefangen nehmen und in unser Lager bringen. Als wir wieder in der Nähe der Roten waren, entdeckten wir die Leichen der Tramps, die in die Hände der Utahs gefallen waren. Kurz darauf erschienen weitere Utahs: Es war der ‚Große Wolf‘ mit seinen Kriegern, die uns verfolgt hatten. Wir drei waren auf Bäume geklettert, um nicht entdeckt zu werden. Während die Utahs noch miteinander sprachen, erschollen vom anderen Ende des Tales mehrere Schreie, dann stürzten sich Navajo-Indianer auf die Utahs und es entwickelte sich ein furchtbarer und blutiger Kampf zwischen den verfeindeten Stämmen, wobei jedoch die Navajos in Unterzahl waren und wieder weichen mussten. Alle Utahs machten sich an die Verfolgung und nur ein Häuptling blieb im Lager zurück. Wir beschlossen, ihn mit uns zu nehmen, doch da kam auch schon der Hobble-Frank, schlug ihn nieder und schleppte ihn mit sich fort. Wir folgten ihm und erlebten, dass er noch einen zweiten Indianer niederschlug. Zusammen begaben wir uns mit den beiden Gefangenen in unser Versteck. Die Utahs kehrten zurück, und zwar als Sieger. Winnetou schlich nochmals hin und erfuhr, dass sie drei Häuptlinge vermissten und noch in der Nacht ihre Toten begraben wollten. Anschließend gedachten sie, anstatt uns einzufangen, erst ihre Häuptlinge zu befreien, von denen sie annahmen, dass sie sich in den Händen der Navajos befänden.
Samstag, 3. Juli 1869:
Am Morgen sahen wir die Utahs abziehen. Wir gingen zu deren Lager, wo sie die Tramps tot und skalpiert zurückgelassen hatten. Beim Cornel fanden wir die geraubte Zeichnung nicht, und wenn sie nicht von den Utahs zurückzuerlangen war, musste man sich auf mein Wissen um das Versteck der sagenhaften Schätze verlassen. Dann ritten wir, geführt von Winnetou, auf einem Schleichweg dem Silbersee zu.
Dienstag, 6. Juli 1869:
Nach einigen Tagen näherten wir uns dem Ziel unseres beschwerlichen Ritts. Als wir in dem Felsenkessel ankamen, wo Old Firehand eine Ader gefunden hatte, zeigte er dem Ingenieur Patterson ein Stück Silber, der sofort die Reinheit dieses Edelmetalls bestätigte. Hier musste ein ungeheurer Reichtum verborgen sein, dessen Fund Old Firehand mit allen teilen wollte, die sich ihm angeschlossen hatten. Doch bevor wir uns weiter damit beschäftigten, mussten wir erst für unsere Sicherheit sorgen, denn die Navajos und hinter ihnen die verfolgenden Utahs konnten recht bald auftauchen. Deshalb ritten wir weiter, denn der Silbersee lag noch zwei Stunden von uns entfernt. Noch hatten wir den Silbersee nicht erreicht, als wir auf Timbabatschen-Indianer trafen. Mit ihnen ritt dann unser gesamter Trupp weiter und bald sah man Wasser schimmern. Der Silbersee war erreicht. In der Mitte des Sees lag eine grüne Insel mit einem seltsamen Luftziegelbau. Auf dem Grasstreifen standen mehrere Hütten, in deren Nähe einige Kanus am Ufer angebunden waren. In und bei den Hütten lagen Indianer. Timbabatschen. Dann kamen auch der ‚Große und der Kleine Bär‘ und begrüßten uns. Auch der Häuptling der Timbabatschen, ‚Langes Ohr‘, kam herbei, ein finsterer Gesell mit langen Beinen und Armen, die ihm etwas Orang-Utan-Ähnliches gaben. Er hatte einst Tante Droll Gewehr und Kugelbeutel gestohlen, die ihm dieser jetzt wieder abnahm, dann aber doch schenkte. Um vor den Utahs sicher zu sein, schickte Old Firehand Frank, Droll, Davy, Jemmy, Bill und Uncle mit fünfzig Indianern hinunter an die schmalste Stelle des Cañons. Bald kam ein Bote von ihnen und unterrichtete uns, dass man weiter hinuntergezogen sei, um den bedrohten Navajos gegen einen vierfach stärkeren Feind zu helfen. Damit wir unsere Geiseln, die gefangenen Utah-Häuptlinge, in Sicherheit wussten, wurden sie auf die Insel im See gebracht und dort in einen kellerartigen Raum geschafft. Ich unterhielt mich mit dem ‚Großen Bären‘ über die Insel, den Schatz, der vermutlich darunter lag, und über die Vorrichtung, mittels derer man den See ablaufen lassen konnte. Dann mussten wir alle hinunter, denn unsere Leute unten am Cañon schienen in arger Bedrängnis zu sein. Wir wehrten den Ansturm der Utahs ab, wobei es eine Menge Tote auf deren Seite gab. Sie erhielten die Erlaubnis, ihre Toten abzuholen, ohne dass wir schießen würden. Dann trafen Winnetou, Old Firehand und ich uns mit vier Utah-Häuptlingen zwischen den Fronten und zeigten ihnen die Wampuns der anderen drei Häuptlinge, von denen sie angenommen hatten, sie befänden sich in den Händen der Navajos. Wir bestanden auf sofortigen Frieden, die Häuptlinge aber wollten zuerst mit ihren Leuten darüber beraten. Es begann zu dämmern und wurde bald Nacht. Old Firehand, der etwa eine Stunde später die Wachen inspizierte, stellte fest, dass ‚Langes Ohr‘ von seinem Posten verschwunden war und die Utahs zum Silbersee führte. Winnetou ging auf Kundschaft und informierte uns, dass die Utahs am Eingang des Cañons ein Loch geöffnet hätten. Da wusste der ‚Große Bär‘, dass sie durch einen Geheimgang zur Insel im Silbersee vordringen wollten. Er erklärte Winnetou, was dieser auf sein Zeichen hin tun sollte. Auf der Insel zündete er ein Feuer an, worauf da drüben ein kurzes, hohles Rollen zu hören war, dann das Zischen des Wassers, und nun ein Krachen, als ob ein Haus einstürze. Auf dem See entstand ein Strudel und das Wasser floss in den Gang, in dem sich die Utahs befanden. Mich überfiel ein Grausen, denn das bedeutete den Tod von weit über hundert Menschen. Wir gingen in den Keller des Hauses und hörten da unten ein Geräusch, und dann sahen wir einen Roten mit einer Fackel auftauchen. Es war das ‚Lange Ohr‘, der einzige Mensch, der sich aus diesem Inferno retten konnte. Statt ihn wegen seines Verrats zu töten, zwang der ‚Große Bär‘ das ‚Lange Ohr‘, das den Timbabatschen gehörende Gebiet an Old Firehand abzutreten.
Mittwoch, 7. Juli 1869:
Als es Tag wurde, ging ich zu den Utahs, die nicht mit in den Gang eingedrungen waren, und sagte ihnen, was geschehen war und dass auch die Navajos mit zweihundert Mann eingetroffen seien. Sie hatten also gar keine Chance mehr, etwas gegen uns zu unternehmen. Mit den von uns gefangenen Häuptlingen wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt. Die Gefangenen wurden freigegeben, und alle, Utahs, Navajos und Timbabatschen, verpflichteten sich, den Bleichgesichtern, die im Felsenkessel wohnen und arbeiten wollten, Freundschaft zu erweisen und allen Vorschub zu leisten.
Donnerstag, 8. Juli 1869:
Am nächsten Morgen schlug die Trennungsstunde. Die Utahs zogen nord- und die Navajos südwärts. Auch die Timbabatschen kehrten in ihre Dörfer heim. Das ‚Lange Ohr‘ versprach, wegen des Verkaufs des Felsenkessels Beratung zu halten und dann das Ergebnis mitzuteilen.
Sonntag, 11. Juli 1869:
Er kehrte schon am dritten Tag zurück und berichtete, dass die Versammlung darauf eingegangen sei.
Montag, 19. Juli 1869:
Zunächst ritt Old Firehand mit dem ‚Großen Bären‘ und dem ‚Langen Ohr‘ nach Salt Lake City, wo der Kauf in Ordnung gebracht wurde. Winnetou und ich aber verabschiedeten uns von allen und verließen ebenfalls das Camp.
Montag, 26. Juli 1869:
Wir ritten nach Ogden, wo Winnetou und ich Abschied nahmen, ohne jedoch einen Zeitpunkt für ein weiteres Treffen zu vereinbaren. Ich bestieg die Pacific-Atlantic-Bahn nach Osten, während Winnetou meinen Hatatitla an sich nahm, um den weiten Weg zu den Apatschen anzutreten. Ich wollte mit der Eisenbahn bis Omaha fahren und dann auf einem Flussboot den Missouri hinunter bis nach St. Louis.
Freitag, 30. Juli 1869:
In St. Louis erwartete mich eine traurige Nachricht. Als ich das Haus von Mr. Henry aufsuchte, wurde mir von einer fremden Frau geöffnet. Ihre Familie war erst vor ein paar Wochen hier eingezogen und hatte das Haus von der Stadt gekauft. Was mit dem Vorbesitzer geschehen war, konnte sie mir nicht sagen. Ich ging daraufhin zu jener Familie, die mich damals bei meinem ersten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten als Hauslehrer engagiert hatte und von der aus ich damals mit Sam Hawkens als Vermesser bei der Eisenbahn in den Westen gegangen war. Man erzählte mir, dass Mr. Henry vor einigen Monaten überraschend gestorben sei. Niemand habe gewusst, dass er krank war. Als er sich, wie sonst üblich, nicht mehr hatte sehen lassen, seien sie in sein Haus gegangen und hätten ihn tot im Bett gefunden. Er müsse da schon einige Tage gelegen haben. Da er keine Verwandten hatte und auch kein Testament vorhanden war, fiel sein gesamter Besitz in die Hände der Stadt. Was aus seiner Werkstatt geworden war, in der er seinen ‚Henrystutzen‘ gefertigt hatte, wussten sie nicht. Wir besuchten sein Grab auf dem Zentralfriedhof. Auf einem rohen Holzkreuz standen nur sein Name und das Todesjahr. Ein Vaterunser und ein Ave Maria waren der letzte Gruß, den ich ihm nachschicken konnte. Das also war mein Abschied von Mr. Henry, dem ich so viel zu verdanken hatte.
Mittwoch, 11. August 1869:
Ich musste noch einige Tage bei der Familie bleiben. Von hier aus machte ich einen Abstecher nach Moberly in Missouri. Dort erkundigte ich mich nach den Familien der Brüder Burning. Ich sagte nicht, wer ich war, und begnügte mich damit zu erfahren, dass der Kapitän von Fort Hillock den Anverwandten die acht Beutel mit dem vollen Inhalt übermittelt hatte.8
Montag, 16. August 1869:
In New York erkundigte ich mich nach einer Fahrgelegenheit nach Europa, vornehmlich nach Deutschland. Ein Schiff von Hapag Lloyd sollte am Montagmorgen, also heute in aller Frühe abdampfen. Vorher war ich, wie inzwischen schon bei mehreren Aufenthalten in New York, noch bei der deutschsprachigen ‚New Yorker Staatszeitung‘ gewesen, und man war dort froh, wieder einige meiner Reiseerlebnisse drucken zu können. Da ich aber erst kurz vor der Abfahrt mit dem Artikel fertig werden konnte, vereinbarte ich, mein Honorar beim nächsten Aufenthalt in New York abzuholen. Ich hatte die ganze Nacht von Sonntag auf Montag zu schreiben. Dann steckte ich das Manuskript in einen Umschlag und ließ es bei der Redaktion abliefern. Inzwischen aber hatte ich mich zum Hafen fahren lassen, und seit zwei Stunden liegt New York bereits hinter uns. Ich hoffe, in etwa zehn Tagen wieder zu Hause zu sein.
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