Chronik eines Weltläufers

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Rattler sollte noch am selben Tag den Martertod sterben. Als er jedoch laut schrie und jammerte, band man ihn los, stieß ihn in das Wasser des Rio Pecos und zwei junge Buben im Alter von etwa zehn Jahren feuerten ihre Gewehre auf ihn ab. Danach sprach ich mit Winnetou darüber, wie wir uns zum ersten Mal begegnet waren und dass ich dem sterbenden Klekih-petra versprochen hatte, ihm, Winnetou, treu zu bleiben.
Dienstag, 30. Oktober 1860:
Unter großer Feierlichkeit wurde zwischen Hawkens, Stone, Parker und den Apatschen die Pfeife des Friedens geraucht, wobei die üblichen langen Reden gehalten wurden.
Mittwoch, 31. Oktober 1860:
Heute kehrten die Kundschafter zurück, die den Kiowas gefolgt waren. Sie meldeten, dass die gegnerischen Scharen ohne Unterbrechung fortgezogen seien und demnach nicht die Absicht hegten, jetzt eine Feindseligkeit auszuführen.
Dienstag, 20. November 1860:
Nun folgte eine Zeit der Ruhe, für mich allerdings doch eine Zeit angestrengter Tätigkeit. Winnetou hatte es darauf abgesehen, mich in die ‚indianische Schule‘ zu nehmen. Wir waren oft ganze Tage fort und machten weite Ritte, wobei ich mich in allem, was zur Jagd und zum Kampf gehörte, üben musste. Wir krochen in den Wäldern umher, wo ich vortrefflichen Unterricht im Anschleichen erhielt. Er führte förmlich ‚Felddienstübungen‘ mit mir aus. Wie oft kam ich dann ermüdet und zerschlagen heim! Und doch gab es noch keine Ruhe für mich, denn ich wollte die Sprache der Apatschen erlernen und nahm im Pueblo Unterricht.
Mittwoch, 21. November 1860:
Am Abend brachte Winnetou mir einen fein gearbeiteten und mit roten indianischen Stickereien verzierten Jagdanzug von weißgegerbtem Leder, denn meine Kleidung sah sogar für indianische Augen sehr herabgekommen aus.
Donnerstag, 22. November 1860:
Als ich den Anzug am nächsten Morgen anlegte, saß er wie angegossen. Und kurze Zeit später befand ich mich im Haupttal, um mich im Werfen des Tomahawks zu üben.
Samstag, 24. November 1860:
Zwei Tage später sattelte ich meinen Rotschimmel, um mit Winnetou auf die Büffeljagd zu reiten.
Montag, 26. November 1860:
Am Abend dieses Tages sagte mir Intschu tschuna: „Wir werden in die Gegend reiten, wo ihr gearbeitet habt. Du wirst die unterbrochene Arbeit vollenden und dann den Lohn bekommen, der euch versprochen wurde. Wir reiten mit dir und dreißig Krieger werden uns begleiten.“ Er sagte mir, dass auch Nschotschi mitkäme, um in St. Louis all das zu lernen, was auch weiße Mädchen kennen würden. „So wollen wir nicht zögern, denn es ist schon die Zeit des späten Herbstes, auf den schnell der Winter folgt. Wir können schon morgen aufbrechen.“
Dienstag, 27. November 1860:
Der Tag hatte kaum begonnen, ein Spätherbstmorgen, dessen Kühle bewies, dass es Zeit gewesen war, den Ritt nicht länger aufzuschieben. Es gab ein kurzes Frühstück und dann wurden die Pferde gebracht. Es war eine beträchtliche Zahl von Packtieren dabei, von denen einige meine Messgeräte tragen sollten. Statt meines Rotschimmels brachte mir Winnetou einen prächtigen Rapphengst indianischer Schule, den er mir schenkte und der auf den Namen ‚Hatatitla‘ hörte. Winnetous Tier war dem meinen gleichwertig und hieß ‚Iltschi‘.
Donnerstag, 29. November 1860:
Die ersten Tage unserer Reise verliefen ohne irgendein Ereignis. Wir erreichten schon nach drei Tagen die Stelle, wo Klekih-petra von Rattler ermordet worden war.
Freitag, 30. November 1860:
Am anderen Morgen ging es weiter, aber vorerst noch eine Strecke den gleichen Weg, dem wir seinerzeit bei der Vermessung gefolgt waren. So kamen wir in die Gegend, wo unsere Messarbeit so plötzlich durch den Überfall unterbrochen worden war. Die Pfähle steckten noch und ich hätte nun sofort wieder beginnen können, tat es aber nicht, denn die restlichen Leichenteile der umgekommenen Weißen und Kiowas lagen noch da und wir begruben erst alles, was die Geier und andere Raubtiere von ihnen noch übrig gelassen hatten.
Samstag, 1. Dezember 1860:
Ich fing erst am nächsten Morgen meine Arbeit an. Abgesehen von den Kriegern, die mir die nötigen Handreichungen leisteten, half mir besonders Winnetou dabei und seine Schwester kam kaum von meiner Seite.
Montag, 3. Dezember 1860:
Ich erreichte trotz der Schwierigkeiten des Geländes den Anschluss an die nächste Abteilung schon nach drei Tagen.
Dienstag, 4. Dezember 1860:
Ich bedurfte nur noch eines vierten Tages, um die Zeichnungen und das Tagebuch zu vervollständigen. Am Abend des Tages war die Arbeit beendet und ich verpackte die Messgeräte in die Decken. Dann war ich fertig und das war gut, denn der Winter rückte schnell heran. Die Nächte waren schon empfindlich kalt, sodass wir die Feuer bis zum Morgen nicht ausgehen ließen.
Mittwoch, 5. Dezember 1860:
Wir machten uns reisefertig und brachen am Morgen auf. Die beiden Häuptlinge hatten sich für den gleichen Weg entschieden, auf dem ich von Sam in diese Gegend gebracht worden war.
Donnerstag, 6. Dezember 1860:
Als wir diesem Weg zwei Tage gefolgt waren, trafen wir auf vier Reiter. Es waren Weiße. Sam Hawkens fragte nach Woher und Wohin und erzählte auch, dass wir mit den beiden Häuptlingen und Nscho-tschi nach St. Louis wollten. Der Sprecher der vier hieß Santer, die Namen der anderen habe ich mir nicht gemerkt. Dann ritten sie weiter. Winnetou rügte Sam, weil er so viel erzählt hatte, denn er war instinktiv misstrauisch geworden. Mit ihm folgte ich den vieren ein Stück nach, doch als wir nach einiger Zeit sahen, dass sie weiterritten, kehrten wir um. Am Abend machten wir an einem Wasser halt. Nach dem Abendessen sagte Intschu tschuna, dass er morgen früh mit seinen Kindern von hier fortgehen, um Nuggets zu holen, und erst am Mittag zurückkehren werde. Wir sollten unbedingt am Lagerplatz bleiben, denn er würde den Ort, wo das Gold liege, keinem Menschen verraten oder gar zeigen und jeden niederschießen, der es wagte, ihnen heimlich zu folgen. Da schoss Sam Hawkens plötzlich in die Büsche und behauptete, zwei Augen gesehen zu haben. Die Apatschen durchkämmten das ganze Unterholz, konnten aber nichts Verdächtiges feststellen.
Freitag, 7. Dezember 1860:
Nach dem Frühstück machte sich Intschu tschuna mit seinem Sohn und seiner Tochter auf den Weg. Ich legte mich ins Gras, aber ich hatte keine Ruhe. Es war etwas in mir, das mich forttrieb. Deshalb warf ich mein Gewehr über und entfernte mich. Intschu tschuna hatte das Lager südwärts verlassen. Deshalb wandte ich mich nordwärts. Da traf ich zu meinem Erstaunen auf eine Fährte, die von drei Personen herrührte. Sie hatten Mokassins getragen: Intschu tschuna, Winnetou und Nscho-tschi. Ich durfte nicht weitergehen, sondern setzte meinen Weg nun in östliche Richtung fort. Schon nach kurzer Zeit traf ich auf eine zweite Fährte, die von vier Männern stammte, die Stiefel und Sporen getragen hatten. Die Spur führte in die Richtung, wo ich die beiden Häuptlinge wusste. Das musste Santer mit seinen drei Gefährten sein, der uns wahrscheinlich gestern Abend belauscht hatte und wusste, dass Winnetou und sein Vater Gold holen wollten. Sie waren also in höchster Gefahr. Ich musste möglichst schnell hinter den Buschkleppern her. Dann hörte ich mehrere Schüsse fallen. Einige Augenblicke darauf erscholl ein Schrei. Jetzt war ich am Rand der Lichtung. Fast in der Mitte lagen Intschu tschuna und seine Tochter. Links von mir standen zwei Kerle, von Bäumen geschützt, mit angelegten Gewehren. Rechts versuchte einer, Winnetou zu umgehen. Ich schoss die beiden hinter dem Baum nieder. Dann sprang ich hinter dem dritten her. Er floh in den Wald hinein. Es war Santer. Es war nicht möglich, ihn einzuholen. Deshalb kehrte ich zu Winnetou zurück. Intschu tschuna war tot, Nschotschi öffnete kurz die Augen, bevor auch sie starb. Ich blieb noch einige Zeit bei meinem Blutsbruder, dann vereinbarten wir, dass ich mit zehn Apatschen die Fährte Santers aufnehmen sollte, während ihm die anderen Krieger helfen würden, die Bestattungsvorbereitungen zu treffen. In unserem Lager herrschte Entsetzen, als ich die Nachricht vom Tode Intschu tschunas und seiner Tochter brachte. Kurze Zeit später brachen wir auf und entdeckten die Fährte Santers, der wir folgten, bis es dunkel wurde.
Samstag, 8. Dezember 1860:
Zur Mittagszeit wendete sich die Spur mehr südlich. Hawkens vermutete, dass sich Santer zu den Kiowas flüchten wollte. Kurz vor Abend entdeckten wir drüben am jenseitigen Ufer ein Lager der Kiowas. Wir banden unsere Pferde an und setzten uns nieder, um den Anbruch der Dunkelheit zu erwarten. Hier nahm ich einen Späher der Kiowas gefangen. Sam Hawkens wollte allein das Indianerlager beschleichen. Ich folgte ihm jedoch, gelangte über das Flussbett, legte mich nieder, kroch vorwärts und konnte sogar die Kiowas, die sich mit Santer unterhielten, belauschen. Da bemerkte ich, dass man Sam gefangen hatte. Ich sprang unter die Indianer, fasste Sam beim Arm und riss ihn mit mir fort. Aber plötzlich war er weg und wurde wieder ergriffen. Als wir uns später nochmals dem Lager näherten, waren die Kiowas verschwunden.
Sonntag, 9. Dezember 1860:
Als der Tag zu dämmern begann, sahen wir, dass die Spur der Kiowas in südöstliche Richtung ging. Ich hatte gestern Abend ihr Gespräch belauscht und wusste, dass sie zum Nugget Tsil unterwegs waren, Santer des Goldes wegen und die Kiowas, um Winnetou zu fangen. Wir konnten jetzt auf dem kürzesten Weg zurückreiten.
Montag, 10. Dezember 1860:
Deshalb kamen wir schon kurz nach Mittag vor der Schlucht an. Wir ließen die Pferde und den Gefangenen unter der Obhut eines Apatschen unten im Tal und stiegen empor. Dort sahen wir, wie fleißig die zwanzig Apatschen gewesen waren, um das Begräbnis ihres Häuptlings und seiner Tochter vorzubereiten. Ich erfuhr, dass das Begräbnis am nächsten Tag stattfinden sollte.
Dienstag, 11. Dezember 1860:
Während des Begräbnisses durfte Winnetou dem großen Schmerz über den Tod seines Vaters und seiner Schwester noch Ausdruck geben. Gleich nach dem Begräbnis befahl er den Apatschen, sich zum Aufbruch bereitzumachen und die Pferde aus dem Tal heraufzuholen. Winnetous Plan war, die Kiowas in eine enge Felsschlucht zu locken, die einem schmalen Canon glich. Er brachte uns nordwärts von der Blöße in den Wald hinein, der in einer ziemlich steilen Senkung niederfiel. Dann erreichten wir eine hohe, senkrechte Felsmauer. Sie war durch eine schmale Schlucht gespalten. Der Ausdruck ‚Falle‘ passte gut auf den engen Durchgang, durch den wir nun kamen. Es wurde schon langsam dunkel, als sich unsere beiden Gruppen trennten und Stellung bezogen. Da bemerkte ich, dass wir belauscht worden waren, wahrscheinlich von Santer selbst. Ich musste ihm unbedingt nach, trotz der Dunkelheit. Er konnte nur zu den Kiowas zurück. Ich war früher bei ihnen als er und konnte dadurch hören, was er mit ihnen besprach. Er kannte unseren Plan und wusste, dass wir uns geteilt hatten, um die Kiowas in der Falle festzusetzen. Nun wollten sie den Spieß umdrehen, erst unsere Gruppe überfallen und dann am Morgen Winnetou überrumpeln. Ich eilte zurück und führte meine Leute in der Dunkelheit zu Winnetou, der völlig überrascht von unserem Auftauchen war. Wir holten unsere Pferde und folgten ihm in die Prärie hinaus.
Mittwoch, 12. Dezember 1860:
Als es hell geworden war, beobachteten wir die Schlucht. Es regte sich nichts da drüben. Als wir dann die Prärie südlich vom Nugget Tsil erreichten, sahen wir eine Fährte. Die Kiowas waren also fort, wahrscheinlich auf dem Weg zu ihrem Dorf. Nun folgten wir ihrer neuen Fährte. Wir befanden uns zwischen dem Canadian und dem Quellgebiet des nördlichen Red-River-Armes.
Freitag, 14. Dezember 1860:
Am nächsten Morgen erreichten wir den Nordarm des Red River, dem wir noch einen zweiten Tag abwärts folgten. Im Winkel zwischen dem Salt Fork und dem Red-River-Nordarm lag das Kiowa-Dorf, dessen Häuptling Tangua war. Wir ritten einen weiten Bogen und hofften, nicht entdeckt zu werden. Aus weiteren Vorsichtsgründen benutzten wir dazu die Nacht.
Samstag, 15. Dezember 1860:
Als Winnetou und ich auf Kundschaft wollten, erblickten wir zwei Reiter. Es waren Händler, die aus dem Dorf der Kiowas kamen. Von ihnen erfuhren wir, wo Hawkens steckte und auch wo Santer untergebracht war. Wir verlegten unser Lager sicherheitshalber auf eine Insel etwas abwärts mitten im Fluss. Als es dunkel geworden war, brachen Winnetou und ich auf, um zum Dorf der Kiowas zu gehen. Dort trennten wir uns: Winnetou wollte sich an Santer heranmachen und ich hoffte, den auf einer Insel gefangenen Sam Hawkens befreien zu können. Doch dort befand sich auch ein Sohn des Häuptlings, Pida, der ‚Hirsch‘, der gerade mit Sam sprach. Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen. Sie hatten Winnetou gesehen, aber noch nicht erwischt. Ich konnte Hawkens heute nicht befreien, dafür aber den Sohn des Häuptlings niederschlagen und mit dem Bewusstlosen in seinem Kanu stromabwärts fahren. Das Kanu stieß ich später in den Fluss. Es begann zu regnen, und zwar so heftig, dass es mir unmöglich war, die Uferstelle zu finden, die unserer Insel gegenüberlag.
Sonntag, 16. Dezember 1860:
Der Regen hörte auf und der Tag begann zu grauen. Ich fand die Uferstelle und Winnetou half mir, meinen Gefangenen auf die Insel zu bringen. Wir planten, ihn gegen Sam Hawkens und gegen Santer auszutauschen. Unverhofft kam ein Kanu an uns vorbei: Es war Santer, der in Eile flussabwärts fuhr. Da hielt es Winnetou nicht mehr bei uns und er glaubte, mir unten an der Mündung des Rio Boxo eine Nachricht hinterlassen zu können. Dann ritt er mit seinen Apatschen fort, um Santer zu verfolgen. Mit dem Kanu, worin ich Pida entführt hatte, ruderte ich flussaufwärts, dem Kiowa-Dorf entgegen. Dort presste ich Sam Hawkens von Tangua mit dem Versprechen los, seinen Sohn Pida und den anderen Gefangenen freizulassen. Ich fuhr mit Sam im Kanu zurück zu unserer Insel, während uns zwei andere Kanus mit vier unbewaffneten Kiowas folgten, denen wir die beiden Gefangenen übergaben. Dann stiegen wir auf unsere Pferde und lenkten sie zur linken Seite des Flusses hinüber. Es galt, in dieser Nacht einen tüchtigen Ritt zu tun.
Freitag, 4. Januar 1861:3
Als sich Winnetou von mir getrennt und ich Sam Hawkens befreit hatte, gelangten wir nach einem wahren Gewaltritt an die Einmündung des Süd-Arms in den Red River, trafen aber keinen von Winnetous Apatschen an. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns direkt nach St. Louis zu wenden, wo wir nach langem Ritt heute Abend ankamen. Von Mr. Henry, den ich sofort aufsuchte, erfuhr ich, dass Winnetou hier gewesen war, aber Santer noch nicht hatte einholen können. Er wollte ihm nach New Orleans folgen.
Mr. Henry erzählte mir auch, dass im November vergangenen Jahres ein neuer Präsident gewählt worden war, nämlich der Republikaner Abraham Lincoln. Daraufhin sei, wie vorher angekündigt, der Staat South Carolina aus der Union ausgetreten und weitere Staaten des Unteren Südens wollten folgen. Wie es schien, brachen die Vereinigten Staaten von Amerika auseinander, und Mr. Henry prophezeite, wenn das geschehe, käme es bestimmt zu einem Bürgerkrieg.
Samstag, 5. Januar 1861:
Mit Sam Hawkens war ich im Vermessungsbüro der Atlantic and Pacific Company, um die Messgeräte und die Zeichnungen abzuliefern und meinen vereinbarten Lohn abzuholen.
Samstag, 12. Januar 1861:
Die Hälfte der Summe, die den Lohn meiner Arbeit bildete, schickte ich nach Hause und den größeren Teil der anderen Hälfte hinterlegte ich auf einer Bank als Rücklage. Ich hatte den Atem der Savanne getrunken, doch nicht lange genug, um ihrer Lockungen überdrüssig geworden zu sein, denn am nächsten Tag wollte ich wieder ins Indianerland aufbrechen.
Dienstag, 30. Juli 1861:
Ich verwendete die Wintermonate zu Sprachstudien bei verschiedenen Indianerstämmen, die den Apatschen freundlich gesinnt waren. Im Frühling wechselte ich dann über das Felsengebirge hinüber und besuchte die Mormonenstadt am Großen Salzsee. Es lockte mich dann, noch weiter nach Norden in die Gegend des Yellowstone-Sees zu reiten. Ich hatte dort oben ein gefährliches Erlebnis mit den Sioux-Ogellallah zu bestehen: Ich stand auf einem Felsen, und sie konnten mich mit ihren Kugeln nicht erreichen. Da trat ich hervor und erbot mich, mit dreien von ihnen zu kämpfen, sie mit dem Tomahawk und ich ohne Waffe. Ich habe sie alle drei mit der Faust erschlagen, darunter Pethaschitscha (‚Böses Feuer‘), den stärksten Mann des Stammes.4 – Hierauf überstieg ich abermals das Felsengebirge und wendete mich nach Süden.
In Fort Sill erfuhr ich vom Colonel Olmers, dem Kommandanten des Forts5, dass am 12. April zwischen den Nord- und den Südstaaten Krieg ausgebrochen sei. Doch der werde sicher bald vorbei sein, denn der Präsident habe 75.000 Freiwillige für 90 Tage einberufen, die es den Rebellen schon zeigen würden, wer der Herr im Hause Amerika sei. Hier in Fort Sill lernte ich den Engländer Emery Bothwell kennen, der sich mir auf meinem weiteren Ritt anschloss.
Im Apatschen-Pueblo wurden wir mit Jubel empfangen. Zu meiner großen Freude war Winnetou anwesend, der schon vor Monaten, leider ergebnislos, von der Verfolgung Santers zurückgekehrt war. Wir verlebten vier Wochen bei den Apatschen, dann aber machte sich der Gedanke an die Heimat mit aller Macht in mir geltend. Auch Bothwell verlangte nach Hause. Ich nahm von Winnetou Abschied, voraussichtlich für längere Zeit. Unterwegs verabschiedete ich mich von Emery Bothwell mit der Zusicherung, ihn drei Monate später in Nordafrika, in Algier, wiederzutreffen.
Da ich St. Louis an diesem Tag nicht mehr erreichen konnte, machte ich in Jefferson City letzte Station. Ich hatte gehört, dass Mutter Thick in der Firestreet 15 ein Boarding-house besitzen sollte, wo man auch vorzüglich essen konnte. Die Tische waren ungefähr zur Hälfte von Kavalleristen der Nordstaaten-Armee besetzt6, während an den anderen Zivilisten saßen. Es waren auch einige Prärieläufer darunter und einer wusste, dass ich Old Shatterhand war. Natürlich wollte sich jeder zu mir setzen. Doch ich bat darum, allein zu essen, und verzog mich dann in meine Stube. Vermutlich wurde noch über mich geredet, denn meine Abenteuer hatten sich bei vielen herumgesprochen.
Mittwoch, 31. Juli 1861:
Am frühen Morgen verließ ich Jefferson City und als ich heute wieder in St. Louis ankam, war mein erster Gang zu Mr. Henry. Nachdem ich ihm gründlich über meine Erlebnisse berichtet hatte, öffnete er seinen Gewehrschrank, nahm den ersten fertigen Henrystutzen heraus, erklärte mir den Bau und Gebrauch der Waffe und schenkte ihn mir.
Donnerstag, 1. August 1861:
Heute Morgen war ich auf der Bank und hob mein restliches gespartes Geld ab. Morgen werde ich die Reise in die Heimat antreten.
2. ERSTE ORIENT-REISE (1861-1862)1
Sonntag, 27. Oktober 1861:
Emery Bothwell und ich hatten uns das Versprechen gegeben, uns wiederzusehen. Die Begegnung sollte in Afrika stattfinden. Dass wir uns für Algier entschieden, geschah nicht ohne Grund, denn hier lebte ein Verwandter von ihm namens Latréaumont, der Leiter eines Handelshauses war. Bei ihm wollten wir uns treffen. Dort erfuhr ich, dass Emery Bothwell die Familie verlassen hatte, um deren Sohn zu suchen. Dieser hatte eine hauseigene Karawane begleitet, die aber von der ‚Gum‘, einer Raubkarawane, überfallen worden war und sich in deren Gewalt befand. Die Wüstenräuber hatten einen Boten geschickt und Lösegeld verlangt, das Latréaumont auch bezahlte, jedoch ohne den Sohn freizubekommen. Als der zweite Bote kam, war Bothwell eben eingetroffen. Er ließ die verlangte Ware abgehen, folgte aber heimlich nach. Vor zwei Wochen kam eine Nachricht, ich solle ihm nach meiner Ankunft sofort nachkommen. Der Bote, der diese Nachricht brachte, würde mich zu ihm bringen. Er hieß Hassan Ben Abulfeda und war ein Araber vom Stamm der Kababisch. Ich beschloss, schon am nächsten Morgen abzureisen. Doch noch am selben Abend traf wieder ein Abgesandter der Wüstenräuber ein, der nochmals Lösegeld verlangte. Ich schlug ihn nieder und bat Latréaumont, ihn der Polizei zu übergeben. Unter den Dienern des Hauses befand sich auch ein Deutscher namens Josef Korndörfer aus dem fränkischen Staffelstein, der mich als Diener in die Wüste begleiten wollte.
Montag, 28. Oktober 1861:
Wie vorher bestimmt, war ich mit Hassan und Korndörfer von Algier abgereist. Wir hatten bis Batna die Steppenpost benützt, mit der wir eine halsbrecherische Fahrt hinter uns hatten. Hier dingte ich einen Beduinen, mich und meine zwei Begleiter auf Pferden über das Auresgebirge zu schaffen.
Dienstag, 29. Oktober 1861:
Schon zwölf Stunden saßen wir im Sattel und ritten zwischen Felswänden und Abgründen, in deren unterster Tiefe das Auge das graugelbe Wasser eines reißenden Bergstroms erblickte. Es war der Wed al Kantara, in dessen Fluten Jules Gérard, der kühne Löwenjäger, seinen Tod gefunden hatte. Dann ging der Ritt weiter nach dem Pass von Kantara, bis wir zur Karawanserei El Kantara kamen, wo wir für die Nacht Einkehr hielten. In dieser Nacht – es war Dienstag auf Mittwoch – schoss ich in der Nähe der Karawanserei zwei Panther, die dem Wirt schon einige Schafe gerissen hatten.
Mittwoch, 30. Oktober 1861:
Nachdem wir am Morgen die Karawanserei verlassen hatten, befanden wir uns bald inmitten der Schluchten und Steinklüfte des Auresgebirges, dessen Längsrichtung wir bis gegen Abend einhielten, um dann über seinen Kamm in die Sahara hinabzusteigen. An seinem Fuß lag das Zeltdorf, das Ziel unserer heutigen Wanderung. Wir erwarben drei Reit- und ebenso viele Packkamele nebst allen Gegenständen und Vorräten, die zur weiteren Reise notwendig waren.
Donnerstag, 31. Oktober 1861:
Am Morgen folgten wir dem Fuß des Gebirges, um die Karawanenstraße aufzusuchen. Es war ein heißer Tag, und wir befanden uns noch immer auf den Ausläufern des Gebirges. Da erblickte ich eine Reihe von Zelten, zwischen denen zahlreiche Pferde und Kamele lagen. Wir kamen zu dem Duar, wo wir erfuhren, dass fast alle Männer auf Löwenjagd seien. Ich ließ mir den Weg zu ihnen zeigen und kam gerade recht, als ein Mann niedergerissen wurde, denn ich erschoss den Löwen und der Mann war gerettet. Als Dank dafür schenkte dieser mir ein Bischarinhedschîn (Kamel), wie es in der ganzen Sahel kein zweites gab, und überreichte mir noch ein eigentümlich geformtes Korallenstück. Seine scharfen, dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ich hätte diesem Mann nie mein Vertrauen schenken können. Um ihn nicht zu erzürnen, musste ich das Tier annehmen. Als ich in der Satteldecke die Buchstaben A.L. eingestickt sah, wusste ich, dass der Besitzer zur Gum, also zu jener Raubkarawane gehörte, die Renaud Latréaumont entführt hatte. Ich verabschiedete mich von den Bewohnern des Duars und ritt mit meinen beiden Begleitern weiter.
Freitag, 22. November 1861:
Seit unserem letzten Abenteuer waren mehrere Wochen vergangen. Wir waren noch immer nur drei Genossen und verfügten über eine hinreichende Anzahl Packkamele, um die Lasten verteilen zu können. Wir konnten sicher sein, das Bab el Ghud, wo wir Emery Bothwell zu treffen hofften, nach drei guten Tagesmärschen zu erreichen. Auf unserem Ritt durch die Sahara sah ich nach und nach drei kleine Sandberge, unter denen die Leichen dreier Araber und ihrer Kamele vergraben waren. Die Toten hatten alle einen Schuss in die Stirn erhalten, und zwar genau über der Nasenwurzel. Das konnte nur Emery Bothwell gewesen sein, denn ich kannte diesen Meisterschuss. Eine Strecke weiter begegneten wir einem Mann, der von Emery Bothwell gesandt worden war, um uns zu suchen. Wir ritten mit ihm.
Samstag, 23. November 1861:
Gegen Mittag trafen wir auf die Spur einer Karawane. Wir nahmen an, dass sich die Karawane verirrt haben müsse, denn hier gab es für mehrere Tagesreisen nicht so viel Wasser, um ein einziges Pferd zu erhalten. Der Tebu, unser neuer Führer, meinte, dass die Karawane bewusst in die Irre geführt worden sei, um sie zu überfallen. Wir beschlossen, der Karawane zu helfen. Endlich erblickten wir sie vor uns zwischen den Dünen. Die Reiter baten uns um Wasser. Ich gab jedem nur so viel zu trinken, dass mein Schlauch für alle reichte. Übrigens bemerkte ich sowohl bei dem Karawanenführer als auch bei dem obersten der Kamelreiter die verräterischen Buchstaben A.L., die mir das Übrige erklärten. Als ich dem Karawanenführer das Korallenstück zeigte, glaubte er, ich sei ein Angehöriger der Gum, und er erklärte mir, dass heute Nacht die Karawane überfallen werden sollte, die er statt zur Oase Ghat in die Richtung zur wasserlosen Bab el Ghut geleitet habe. Und dass die Gum als Zufluchtsort ein Kaßr, eine alte Römerburg, besaß und wie der Weg dorthin führte. Da kamen im raschesten Lauf vier Reiter hinter uns her, und ich erkannte denjenigen, der mir sein Reitkamel geschenkt hatte, und den Boten, der in Algier von uns gefangen genommen worden war. Ihm musste es auf irgendeine Weise geglückt sein, seine Freiheit zu erlangen. Es kam zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, in deren Verlauf ich beide erschießen musste und die beiden anderen von meinen Begleitern getötet wurden. Der Karawanenführer und sein Kumpan wurden gefesselt. Dann zog unsere Karawane weiter, obwohl wir wussten, dass die Gum in der Nähe war. Aber auch Emery Bothwell, den sie den Räuberwürger nannten, befand sich im Umkreis der Gum. Inzwischen ertönten in der Nähe Schüsse und ich erkannte an dem Knall des Gewehres, dass es sich um Emerys Kentuckybüchse handelte, womit er weitere Mitglieder der Gum eliminierte. Auch ich konnte drei Mitglieder der Gum erschießen. Dann standen wir, die wir uns in den Staaten das Wort gegeben hatten, uns in Afrika wiederzutreffen, voreinander im Innern der Sahara. Die Begrüßung war kurz, aber herzlich. Ich erzählte ihm in Kürze das Wissenswerte. Ein kurzer Meinungsaustausch brachte uns zu dem Entschluss, die Räuber zwischen zwei Feuer zu nehmen, was auch gelang. Doch dem Hedschân Bei und einigen seiner Männer gelang die Flucht.