Seewölfe Paket 22

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„Welche?“ fragte Barba grinsend. „Die Dons oder die verdammten Engländer?“
„Ja, das ist die Frage“, erwiderte sie. „Eigentlich sind ja weder die einen noch die anderen Freunde, die Spanier aber natürlich noch weniger als die Engländer.“
„Warum halten wir uns nicht raus?“ fragte Barba grinsend. Er wußte aber sehr genau, daß er Siri-Tong dadurch nur provozierte.
„Hör auf“, sagte sie. „Ich bin jetzt zu Späßen nicht aufgelegt. Wägen wir die Dinge einmal ab. Bei den Engländern ist es im Grunde nur diese verdammte Adels-Clique, die wir zum Teufel wünschen, weil sie Hasard zur Strecke bringen wollte.“
„Ja, die hätten es verdient, daß man sie langsam erwürgt“, sagte Juan mit finsterer Miene.
„Aber die anderen, die sind gar nicht so schlecht, was?“ sagte Barba zur Roten Korsarin. „Oh, ich weiß schon, auf was du hinauswillst.“
„Es gehört ja auch kein Scharfsinn dazu.“
„Du willst ihnen helfen?“
„Die Engländer allgemein liegen ja mit den Spaniern in einer Art Dauerfehde“, sagte sie mit nachdenklicher Miene. „Ohne offiziell Krieg gegeneinander zu führen.“
„Und dort, auf der Insel, sind sie sich wieder mal in die Haare geraten“, sagte Juan. „Was haben wir damit zu tun? Sollen die sich doch gegenseitig umbringen.“
„Auf diesem Standpunkt könnte auch ich stehen“, sagte sie. „Aber ich tue es trotzdem nicht. Das ist eine ganz miese Art, die Dinge zu betrachten, Juan, laß dir das gesagt sein.“
„Und was ist die richtige Art?“
„Diese Engländer sind bis auf Sir Johns Lumpenkerle und die Adelsaffen sowie diesen wüsten Kapitän von der ‚Dragon‘ alles in allem recht prächtige Leute.“
„Ich komm da nicht mehr mit“, sagte Juan. „Sind sie nun unsere Feinde oder nicht? Liegt ihretwegen der Seewolf im Sterben oder nicht?“
„Er liegt nicht im Sterben“, sagte Barba.
„Seht den Dingen doch ins Auge!“ stieß Juan wütend hervor. „Warum gaukeln wir uns gegenseitig was vor? Was für Kerle sind wir eigentlich? Irgendwann erwischt es jeden von uns!“
„Ja“, entgegnete Siri-Tong. „Und ich weiß, was du sagen willst, Juan. Wir sollen uns schon mal auf das Schlimmste vorbereiten. Auch das ist richtig, ich widerspreche dir nicht. Aber denke bitte auch sachlich.“
„Das tue ich. Diese Engländer können mir gestohlen bleiben.“
„Sicher, mir auch. Aber die Fairneß?“
„Die gibt’s nicht mehr. Clifford hat Hasard in den Rücken geschossen“, sagte Juan aufgebracht.
„Kaum einer seiner Kameraden war damit einverstanden“, sagte die Rote Korsarin. „Und zwei Kapitäne hatten sich mit ihren beiden Schiffen ja bereits von dem Verband abgesondert und getrennt, weil sie mit der Jagd auf den Seewolf nicht einverstanden waren.“
„Das waren die klügsten Kerle von allen“, sagte Barba.
„Paradox ist das alles schon“, sagte sie. „Wir sind hierher zurückgesegelt, um den Engländern die Leviten wegen des nächtlichen Überfalls mit ihrer einen Jolle zu lesen – und jetzt stellt sich eine Situation dar, ihnen eventuell aus der Klemme zu helfen.“
„Das löse mal“, sagte Juan. „Das ist doch alles Mist.“
Sie lächelte plötzlich ein wenig. „Erst kümmern wir uns um unsere spanischen Freunde und dann um die englischen. Den Spaniern gebührt der Vorrang, die Engländer sind das kleinere Übel. Einverstanden?“
„Voll und ganz“, entgegnete Barba.
„Ich auch“, erklärte Juan. „Aber laß bloß deine Kuh nicht wieder fliegen, sonst platzt mir noch der Kragen.“
Gereizt waren sie alle. Sie hatten den Verband besiegt, aber sie hatten immer noch das Problem mit Hasard, dessen Fieber nicht mehr zu sinken schien. Wie sollte es weitergehen? Von Stunde zu Stunde nahm das, was Juan bereits prophezeit hatte, mehr und mehr Gestalt an. Der Seewolf war am Ende – so sah es jedenfalls aus.
So ließ diese Crew von Teufelskerlen einen Teil ihrer Wut an den „verfluchten Dons“ aus, die ja auch mit Schuld hatten, daß Hasard ein gehetzter Mann war, der von einer Legion von Gegnern verfolgt wurde. Im übrigen waren spanische Kriegsschiffe sowieso stets das „rote Tuch“ für den Bund der Korsaren.
„Na, dann mal los“, sagte Barba grinsend. „Da werden sich unsere lieben englischen Freunde aber gewaltig freuen, schätze ich.“
„Klarschiff zum Gefecht!“ sagte die Rote Korsarin.
„Aye, aye“, sagten die Männer und begaben sich auf ihre Posten. Gefechts- und Manöverstationen wurden besetzt, und bald öffneten sich die Stückpforten des Zweideckers wie gähnende Mäuler. Die schweren Geschütze wurden ausgerannt.
Gefechtsklar pirschte sich die „Caribian Queen“ von Südosten her an die beiden Galeonen des Don Gregorio de la Cuesta heran, die inzwischen hintereinander vor der Bucht der Insel ankerten. Hier, an Bord der Schiffe, war man völlig auf die Ereignisse in der Bucht konzentriert und vernachlässigte daher das Umfeld. Auch wurden eben noch die letzten Schiffbrüchigen des gescheiterten Landeunternehmens aus dem Wasser geborgen. So erfolgte der Angriff der Roten Korsarin wie aus heiterem Himmel.
Sie hatte das Überraschungsmoment voll auf ihrer Seite. Wie ein Raubtier, das in eine Herde von Kühen oder Schafen einfällt, war sie plötzlich heran und schlug zu. Die „Caribian Queen“ war ein Spukwesen, das sich lautlos näherte und dann in ein feuer- und eisenspuckendes Monstrum verwandelte.
Um den vollen Schußwinkel zu haben, lagen die beiden spanischen Galeonen genau in West-Ost-Richtung, den Bug nach Westen gerichtet. Achtern hatten Heckanker ausgebracht werden müssen, denn der Wind wehte nach wie vor aus Südwesten.
So kam nun der Teufel über die beiden Galeonen, deren Mannschaften mit den Backbordbreitseiten beschäftigt waren und die Steuerbordkanonen demzufolge nicht gefechtsbereit hatten. Als de la Cuesta und seine Offiziere bemerkten, was die Stunde geschlagen hatte, war es bereits zu spät. Sie konnten nur noch entsetzte Rufe ausstoßen und sich in Deckung werfen.
In einem Anlauf von achtern aufsegelnd, schob sich die „Caribian Queen“ heran, und ihre Geschützmündungen spien jäh die todbringenden Ladungen aus. Geifernde Dämonenmäuler, flammende Rachen – jede Art von Vergleich bot sich an. Das drohende Unheil gaukelte den schreienden Spaniern die furchtbarsten Bilder vor.
Sie war da, und der Hagel ihrer Kanonenkugeln fegte in einem einzigen Höllengewitter die Decks der östlich ankernden Galeone buchstäblich sauber. Auch die Drehbassen krachten und donnerten, und dann war der Spuk schon vorbei und zog weiter und wandte sich dem nächsten Gegner zu, auf dessen Decks ebenfalls schreiender Zustand herrschte. Die untere Batterie der „Caribian Queen“ dröhnte, und auch die westlich versetzt ankernde Galeone empfing schwere Treffer.
Von dieser Salve wurden die Ankertrossen zerschossen. Die Galeone trieb achteraus und verfing sich in der hinter ihr ankernden Galeone. Wieder gellten die Schreie der Männer.
Irgendwo zwischen den Trümmern erhob sich de la Cuesta mit ruß- und blutverschmiertem Gesicht, schüttelte die Faust gegen den Feind und brüllte: „An die Geschütze! Feuer! Gebt es diesen Hunden! Zahlt es ihnen heim!“
Am Strand der Bucht erschienen ein paar Gestalten – Ross und einige seiner Kameraden. Sie warfen ihre Mützen hoch, lachten und brüllten und forderten den spanischen Gegner gleichsam heraus. Doch dessen Backbordkanonen schwiegen.
„Die Dons haben Besseres zu tun!“ schrie Ross. „Sie müssen sich den Rücken freihalten!“
„Hurra!“ schrie einer seiner Kameraden. „Die Korsarin ist wieder da! Die schickt der Himmel!“
„Hurra!“ schrien auch die anderen.
Das Triumph- und Beifallsgebrüll dröhnte über die Bucht und mischte sich mit dem entsetzten Gebrüll der Spanier.
Corbett blickte dem Zweidecker nach, der jetzt nach Westen ablief.
„Sie läßt nachladen“, sagte er. „Aber es ist bestimmt nicht der Himmel, der sie schickt, mein lieber Bush.“
„Sondern? Der Seewolf?“
„Der auch nicht. Sie hat ihre eigenen Gründe, hier noch einmal aufzukreuzen.“
„Aber mit den Spaniern hat auch sie nicht gerechnet.“
„Sie räumt kurz mit ihnen auf“, sagte Corbett. „Sie hat wirklich den Teufel im Leib. Aber die Frage lautet, was sie anschließend unternimmt. Ich schätze, sie hat noch ein Hühnchen mit uns zu rupfen.“
„Mit uns? Wegen Stewarts eigenmächtigem Handeln?“
„Genau deswegen“, erwiderte Corbett. „Eigentlich haben wir keinen Grund zum Jubeln, finde ich …“
ENDE

1.
Man schrieb den 24. August im Jahre des Herrn 1594. Die Nachmittagssonne brannte heiß vom tiefblauen Himmel der Karibik. Den Männern, die sich mit ihren Waffen hinter zerklüfteten Felsen und dichtem Gestrüpp verschanzt hatten, rann der Schweiß in Strömen über die Gesichter.
„Verstehen Sie, was da vor sich geht, Sir?“ fragte nun Marc Corbett, der Erste Offizier der ehemaligen „Orion“, nachdem er seine Muskete nachgeladen hatte.
Sir Edward Tottenham, der Kommandant, schüttelte nachdenklich den Kopf, denn auch für ihn waren die Ereignisse vor dem Ufer der Nordbucht noch immer sehr verwirrend.
Fast schien es, als habe die Hölle ihre Pforten geöffnet, seit die beiden spanischen Kriegsgaleonen Kurs auf die einsam gelegene Insel genommen hatten, die zu den Grand Cays gehörte. Wie aufgeplusterte Schwäne, die zischend und fauchend Nesträuber vertreiben wollten, waren die Schiffe vor die Buchteinfahrt gesegelt, wo ihnen die Wracks der „Orion“ und der „Dragon“ den Weg versperrten.
Dann waren sie hintereinander – den Bug jeweils nach Westen gerichtet – vor Anker gegangen und hatten die Schiffbrüchigen zur Kapitulation aufgefordert. Da die Engländer jedoch abgelehnt hatten, sich in spanische Gefangenschaft zu begeben, hatte Capitán Don Gregorio de la Cuesta schließlich den Feuerbefehl gegeben.
In kurzer Zeit hatten die Backbordbreitseiten der beiden Kriegsschiffe die Hütten der Engländer zerschmettert. Die schweren Kanonenkugeln wirbelten riesige Sandfontänen hoch und zerfetzten zahlreiche Stämme von Palmen und Farnbäumen. Selbst das Mangrovendickicht, das stellenweise das Ufer überwucherte, war unter anhaltenden Beschuß genommen worden.
Die Dons hatten sich ziemlich wild gebärdet und fürwahr ein eindrucksvolles Feuerwerk geboten. Aber eben auch nur das, denn die Mannschaften und Offiziere der „Orion“ und der „Dragon“, denen dieser Angriff gegolten hatte, lagen außerhalb des Schußbereiches der spanischen Kanonen in Deckung.
Aber nicht der ungestüme Angriff hatte bei den Engländern Verwunderung ausgelöst, sondern das erneute Auftauchen jenes düsteren Zweideckers, der schon vor dem Angriff der beiden Kriegsgaleonen die „Orion“ und die „Dragon“ versenkt hatte.
Diesmal jedoch war das kampfstarke Schiff, das einer feuerspeienden Festung glich, wie ein düsterer Racheengel auf die spanischen Galeonen losgegangen und hatte den schiffbrüchigen Engländern damit unerwartete Schützenhilfe geleistet.
Was aber hatte das alles zu bedeuten? Was bezweckte man auf dem Zweidecker damit? Auf diese Fragen wußte noch niemand so recht eine Antwort – weder Sir Edward Tottenham und Marc Corbett noch Arthur Gretton, der Erste Offizier der „Dragon“.
Die Engländer hatten sich nach den ergebnislosen Verhandlungen mit den Spaniern an strategisch wichtige Punkte der Insel zurückgezogen, so zum Beispiel an gut getarnte Stellen der West- und Ostseite der Bucht. Dort waren die Scharfschützen in Stellung gegangen, nachdem man sich dazu entschlossen hatte, den Angreifern die Stirn zu bieten. Das war ihrer Meinung nach immer noch besser, als den Rest seines Lebens auf einer spanischen Galeere oder aber in irgendeinem Bergwerk zu verbringen.
Tottenham und Corbett hatten die Führung auf der Westseite übernommen, Gretton auf der Ostseite. Er führte das Kommando über die Mannschaft der „Dragon“, seit man ihren Kapitän, den grobschlächtigen und rücksichtslosen Charles Stewart, wegen seiner üblen Machenschaften gefangengesetzt hatte.
An der Südseite der Bucht hatten sich nur wenige Männer „eingegraben“ und das spanische Kanonenfeuer stoisch über sich ergehen lassen. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die Dons, die sich vorwiegend auf die Hütten und das Stranddickicht konzentriert hatten, in gewissem Sinne mit Kanonen nach Spatzen schossen. Daß die mühsam errichteten Hütten dabei zu Bruch gegangen waren, beeindruckte die beiden Schiffsmannschaften nicht sonderlich, denn die konnte man notfalls wieder aufbauen.
Charles Stewart, den gefangenen Kapitän der „Dragon“, hatte man unter Bewachung ins Inselinnere gebracht. Auch die Jollen, die man nach der Versenkung der beiden Schiffe hatte retten können, befanden sich außerhalb des direkten Gefahrenbereichs. Im Grunde genommen waren die Engländer jetzt froh, daß die „Orion“ und die „Dragon“ als Wracks die Buchteinfahrt versperrten oder doch zumindest stark einengten. Gewissermaßen war das ein Vorteil für sie, denn die gesunkenen Schiffe hatten den Spaniern das Manövrieren erschwert und ein Einlaufen in die Bucht verhindert.
Unter diesen Voraussetzungen hatten die Chancen der Engländer, „ihre“ Insel zu verteidigen, gar nicht so schlecht gestanden, und manch einem von ihnen war ein Grinsen über das Gesicht gehuscht, als das heftige Kanonen- und Drehbassenfeuer der Spanier das Uferdickicht zerrupft hatte. Ja, es war ihnen sogar gelungen, sechs Boote der Dons, die auf der Insel landen wollten, mit gezieltem Musketenfeuer zu durchlöchern. Die Soldaten hatten Mühe gehabt, zu ihren Schiffen zurückzuschwimmen.
Dann aber war plötzlich dieser Zweidecker aufgetaucht und hatte sich auf die beiden Kriegsgaleonen gestürzt – und das mit durchschlagendem Erfolg. Ja, das gut armierte Schiff war wie der Teufel über die Spanier gekommen, deren Aufmerksamkeit sich voll auf das Stranddickicht konzentriert hatte.
Innerhalb kurzer Zeit waren die Decks der östlich ankernden Galeone durch das Drehbassenfeuer des Zweideckers leergefegt worden. Dem davorliegenden Kriegsschiff war es noch schlechter ergangen, denn seine Ankertaue waren zerfetzt worden, so daß es achteraus trieb und sich mit schweren Treffern in der hinter ihm ankernden Galeone verfing.
Obwohl die Engländer für das Geschehen noch keine Erklärung gefunden hatten, waren sie in lautes Beifallsgebrüll ausgebrochen. Am liebsten hätten sie der schwarzhaarigen Frau und ihren Mannen an Bord des Zweideckers vor Begeisterung die Hände geschüttelt. Doch während das düstere Schiff nach seinem Überraschungsangriff nach Westen ablief, hatten sie die aus dem Wasser ragenden Masten der „Orion“ und der „Dragon“ daran erinnert, daß auch sie selber schon auf sehr unliebsame Weise Bekanntschaft mit diesem Schiff geschlossen hatten.
Marc Corbett, der hinter einem Felsbrocken kauerte, wandte sich an seinen Kapitän.
„Sir“, sagte er, „was immer diese bemerkenswerte Frau bewogen haben mag, die Spanier anzugreifen – sie hat uns damit zu einer einmaligen Chance verholfen. Ich finde, daß wir diese Chance schleunigst nutzen sollten.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Sir Edward Tottenham mit einem leichten Stirnrunzeln.
„Wenn wir jetzt schnell und entschlossen handeln, Sir“, erwiderte Corbett, der die Gunst der Stunde blitzartig erkannt hatte, „müßte es möglich sein, eine der beiden angeschlagenen Galeonen zu entern.“
„Zu entern?“ Sir Edward warf seinem ersten Offizier einen verwunderten Blick zu. „Wie kommen Sie auf diese Idee, Mister Corbett? Wir sind zwar eine stattliche Anzahl von Männern, aber wir dürfen dennoch nicht vergessen, daß wir es mit zwei gut ausgerüsteten Kriegsschiffen zu tun haben. Ich möchte auf jeden Fall ein Blutvergießen in unseren Reihen vermeiden.“
„Das ehrt Sie, Sir“, sagte Corbett. „Durch das Eingreifen des Zweideckers hat sich unsere Situation jedoch ganz entscheidend verbessert. Auch unser Musketenfeuer hat die Spanier sicherlich davon überzeugt, daß sie die Insel nicht so einfach überrennen können. Zur Zeit aber sind sie stark mit sich selber beschäftigt. Eine bessere Chance, eine der beiden Galeonen zu entern, wird sich uns nie wieder bieten …“
„Hm.“ Sir Edward nickte. „Genaugenommen haben Sie recht, Corbett.“ Die Blicke des Kommandanten der gesunkenen „Orion“ schweiften zu den beiden Kriegsgaleonen hinüber, um die es gegenwärtig schlecht bestellt war. Sie waren völlig ineinander verhakt. Die westliche Galeone hing regelrecht an der anderen. Der Zweidecker hatte die Bug- und Heckankertrosse zerschossen, so daß sie bei dem derzeit herrschenden Südwestwind gegen die hinter ihr ankernde Galeone getrieben war. Ihre Backbordseite hing längsseits der Steuerbordseite der anderen. Die Rahen waren ineinander verfangen.
Außerdem hatte die westliche Galeone bedenkliche Treffer in der Wasserlinie empfangen. Tottenham konnte sich gleich den anderen Männern lebhaft vorstellen, wie dort unter Deck fieberhaft gearbeitet wurde, um die gefährlichen Lecks abzudichten.
Marc Corbett, dem es unter den Nägeln brannte, riß den Kapitän aus seinen Gedanken.
„Was werden Sie unternehmen, Sir?“ fragte er voller Ungeduld. „Meiner Meinung nach sollten wir keine Zeit verlieren.“
Sir Edward Tottenham nickte abermals.
„In Ordnung, Mister Corbett. Unsere Lage sieht nicht gerade rosig aus, deshalb dürfen wir in der Tat nicht wählerisch sein. Ich denke ebenfalls, daß wir die Gunst der Stunde nutzen sollten. Bitte, veranlassen Sie, daß Mister Gretton die nötigen Instruktionen erhält.“
Das ließ sich Marc Corbett nicht zweimal sagen. Er beauftragte sofort einen Meldegänger, sich so rasch wie möglich zur Ostseite der Bucht durchzuschlagen, um Arthur Gretton, der sich dort mit einem Teil der „Dragon“-Mannschaft verschanzt hatte, die Entscheidung Tottenhams mitzuteilen.
Unter der Crew der „Orion“ stieß der Entschluß, eine Galeone zu entern, auf lebhafte Zustimmung. Die Männer wußten zwar, daß dies ein äußerst riskantes Unternehmen war, aber sie waren sich auch darüber im klaren, daß sie eine solche Chance so rasch nicht wieder erhalten würden.
„Die Boote“, sagte Corbett. „Wir müssen schleunigst die Boote holen und in Strandnähe bringen.“
„Veranlassen Sie das, Mister Corbett“, sagte Sir Edward. „Aber die Männer sollen vorsichtig sein und die Deckungen gut ausnutzen, damit die Spanier unsere Absicht nicht zu früh erkennen. Außerdem sind wir ohne die Boote aufgeworfen und sitzen bis zum Jüngsten Tag auf dieser Insel fest.“
Der Erste Offizier brachte die Männer sofort in Bewegung. Jeder hatte inzwischen begriffen, um was es ging, und jeder wußte auch, daß die Jollen das einzige „Kapital“ waren, über das sie verfügten. Sie waren in ihrer derzeitigen Situation mehr wert als zahlreiche Kisten mit Gold und Edelsteinen. Deshalb hatte man die insgesamt acht Boote noch vor dem Beschuß der Dons weiter ins Inselinnere gebracht und dort gut versteckt.
Das wiederum hatte sich in doppelter Hinsicht als klug erwiesen. Zum einen wären nach dem massiven Angriff höchstens noch Trümmerstücke davon übrig, zum anderen wären die Boote – im Falle einer Landung – den Spaniern in die Hände gefallen. So aber hatten sich die Engländer die Möglichkeit offengehalten, in der Nacht mit den Jollen zu einer anderen Insel überzusetzen.
Daß sich ihnen jetzt die Chance bot, zu einem weiteren wirksamen Gegenschlag auszuholen, nachdem sie die Landungsboote der Spanier leckgeschossen hatten, stimmte die Mannen zuversichtlich. Schließlich waren sie kein kleines, hilfloses Häuflein, sondern beide Schiffsmannschaften bildeten zusammen eine Kampftruppe von etwa 160 Mann. Und allesamt waren sie rauhe Kämpfer, die zudem noch von der Aussicht beseelt wurden, sich jetzt ein Schiff erobern zu können. Kein Wunder, daß sie kräftig in die Hände spuckten, als sie aufbrachen, um die Jollen aus ihren Verstecken zu holen. Marc Corbett führte die Männer an, während Sir Edward Tottenham vorerst mit einem Beobachtungstrupp hinter den Felsen der Westseite zurückblieb.
2.
„Klar zur Wende!“ Die Stimme der Roten Korsarin tönte hell wie eine Schiffsglocke über die Decks der „Caribian Queen“. Ihr langes, pechschwarzes Haar wehte im handigen Südwestwind und ergänzte hervorragend ihre übrige Erscheinung.
Die schlanke Eurasierin stand auf dem Achterdeck und stützte die Hände in die Hüften. Ihren Mund umspielte ein Lächeln: Sie war zufrieden mit dem bisherigen Ergebnis ihres Überraschungsangriffes. Und sie lobte im stillen wieder einmal die Schlagkraft und Beweglichkeit ihres Schiffes.
Die Culverinen und Drehbassen, die Tromblons, Musketen und Pistolen waren nachgeladen worden, dafür hatte Henry Scrutton, der Stückmeister, bereits gesorgt. Alle an Bord wußten, was der Befehl zur Wende zu bedeuten hatte.
Barba, der finster dreinblickende Steuermann, warf Siri-Tong einen fragenden Blick zu.
„Du bist heute wieder einmal sehr gründlich, Madam“, sagte er. „Zuerst hast du den Dons unsere Backbordseite präsentiert, und jetzt gedenkst du ihnen wohl auch noch zu zeigen, wie ihnen unsere Steuerbordseite schmeckt, nicht wahr?“
„Du hast es erraten, Barba“, erwiderte die Rote Korsarin. „Ich bin nicht für halbe Sachen, und wenn ich mich für eine bestimmte Strategie entschieden habe, dann werden Nägel mit Köpfen gemacht. Das muß aber nicht unbedingt heißen, daß ich die Galeonen der Spanier um jeden Preis versenken will. Es gibt wahrhaftig auch noch andere Wege, den Señores zu zeigen, wohin der Hase läuft.“
Barba wurde hellhörig.
„Das Versenken wäre wohl nur noch ein Kinderspiel“, sagte er, denn auch er hatte beim Ablaufen gesehen, daß die westliche Galeone stark beschädigt und die andere getrieben war. „Wenn wir denen noch ein paar Löcher durch die Planken pusten, werden sie der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘ rasch Gesellschaft leisten.“
Henry Scrutton, dessen fingerlange Narbe über der rechten Augenbraue weithin sichtbar war, enterte zum Achterdeck auf.
„Die Männer an den Geschützen sind bereit, Madam“, meldete er. „Von uns aus kann das Tänzchen fortgesetzt werden. Ich finde sogar, daß die Gelegenheit sehr günstig ist. Daß die eine Galeone jetzt längsseits der anderen liegt und sie damit zur Seeseite hin abdeckt, dürfte die Dons während unseres Angriffs nicht gerade begeistern.“
Siri-Tong lächelte zufrieden.
„Wenn überhaupt, kann nur die an der Seeseite liegende Galeone feuern. Viel zu befürchten ist jedoch auch von ihr nicht – wie sich die beiden Schiffe ineinander verhakt haben. Sie krängt so stark nach Steuerbord, daß ihre Stücke auf dieser Seite höchstens noch ins Wasser schießen würden.“
Barba winkte ab. „Die können es sich überhaupt nicht leisten, eine Kanone zu zünden, sonst fallen die beiden lecken Särge schon durch die Erschütterung auseinander.“
Barba, der wie ein wüster Schlägertyp aussah, jedoch ein grundanständiger und aufrechter Mann war, rieb sich die riesigen Pranken. Vor dem ersten Angriff hatte er der Sache noch skeptischer gegenübergestanden, weil es ihm etwas schwergefallen war, sein Feindbild einer gewissen Rangordnung zu unterwerfen. Wenn sich schon die Engländer nicht unbedingt als Freunde erwiesen hatten, warum sollte man dann den Spaniern was aufs Haupt geben, nur weil sie sich ebenfalls um diese „Freunde“ kümmerten?
Barba hatte seine Ansichten etwas korrigiert, nachdem man sich an Bord der „Caribian Queen“ darauf geeinigt hatte, daß einem die Engländer wohl doch etwas näherstanden als die Spanier. Eigentlich trug bei den Engländern nur die hochnäsige Adelsclique die Schuld an den Streitereien.
Sonst gab es auch eine Menge prächtiger Kerle unter den Offizieren und Schiffsmannschaften, die es verdienten, gegen die angreifenden Spanier in Schutz genommen zu werden. Wenn man es recht überlegte, waren nur die „Adelsaffen“ sowie Sir John mitsamt seinem Anhang und Charles Stewart, der wüste Kapitän der „Dragon“, so richtige Lumpenkerle.
So hatte sich die „Caribian Queen“ nur um der anständigen Männer willen mit den Spaniern angelegt, deren Landsleute mit der Schlangen-Insel auch nicht gerade menschenfreundliche Ziele verfolgt und ihnen einen gnadenlosen Kampf geliefert hatten.
Von Zeit zu Zeit befand sich Barba jedoch immer noch in einem Zwiespalt der Gefühle, wenn es darum ging, den Engländern Schützenhilfe zu leisten. Nach dem ersten durchschlagenden Erfolg gegen die Dons waren diese Gefühle jedoch etwas in den Hintergrund getreten.










