Seewölfe Paket 22

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Siri-Tong strich sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn.
„Na schön“, sagte sie. „Unser zweiter Angriff wird den Dons wohl zeigen, daß sie sich hier ein wenig zuviel vorgenommen haben. Zwar können wir den Angriff nur auf die seeseits liegende Galeone unternehmen, aber das dürfte die Lage auch schon endgültig entscheiden.“
„Das meine ich auch, Madam“, sagte Henry Scrutton, während die übrige Crew bereits hart zupackte, um die „Caribian Queen“ auf Gegenkurs zu bringen.
Schon wenig später rauschte die „Caribian Queen“, den Südwestwind ausnutzend und über Backbordbug liegend, auf die Kriegsgaleonen zu. Alle Mann waren auf Stationen. Andy Fulham, der kleine, rundliche Koch aus Twickenham an der Themse, hatte abermals kleine, gußeiserne Becken mit glühenden Holzkohlen aus der Kombüse gebracht und an den Geschützen verteilen lassen. Die Mannen an den Steuerbord-Culverinen hielten bereits die Luntenstöcke in der Hand. Es sah nicht gerade gut aus für die Dons, und die Gesichter der rauhen Gesellen an Bord des Zweideckers verhießen alles andere als einen Freudentanz.
Barba hatte sich mit finsterem Gesicht an einer Heckdrehbasse postiert. Ray Chiswell, der Schiffszimmermann aus Brighton an der englischen Südküste, hatte das Ruder übernommen und bewegte kraftvoll den riesigen Kolderstock.
Siri-Tong hatte das Messingspektiv ans Auge gesetzt, um die Vorgänge an Deck der spanischen Kriegsschiffe zu beobachten. Die Wuhling, die sie sah, entlockte ihr ein Kopfschütteln.
Die Dons hatten das erneute Heransegeln des fremden Zweideckers ohne Zweifel bemerkt und wußten sehr wohl, was die Stunde geschlagen hatte.
Don Gregorio de la Cuesta, dem Capitán des Zweierverbandes, glänzte der Sehweiß auf der Stirn. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich über das glatt zurückgekämmte Haar.
„Teufel auch!“ flüsterte er. „Dieses verdammte Schiff kehrt tatsächlich zurück. Mögen alle Heiligen uns beistehen.“
Der Erste Offizier, ein gedrungener Typ, der meist ein überlegenes Grinsen zur Schau trug, schluckte hart.
„Die scheinen in der Tat noch nicht genug zu haben, Señor Capitán!“ stieß er erregt hervor. Das Grinsen war längst aus seinem Gesicht verschwunden. „Wir werden alle Hände voll zu tun haben, um dieses hartnäckige Gesindel abzuwehren. Ich werde mich sofort darum kümmern, daß die Geschütze einsatzbereit sind.“
Don Gregorio schüttelte erbittert den Kopf.
„Tun Sie das vorsichtshalber“, sagte er. „Aber ich schätze, daß es uns nicht viel nutzen wird. Wir wühlen mit unseren Kanonenkugeln höchstens das Wasser auf. Um dem Zweidecker gefährlich werden zu können, fehlt uns der richtige Schußwinkel. Richten Sie Ihr Hauptaugenmerk lieber auf die Drehbassen, Musketen und Tromblons. Wir müssen in der Tat auf alles gefaßt sein.“
„Jawohl, Señor Capitán, ich werde sofort alle Männer zusammentrommeln.“
Der Kommandant nickte zustimmend.
„Nur die Männer an den Pumpen und die Zimmerleute müssen wohl oder übel auf ihren Posten bleiben“, bemerkte er.
Der Erste Offizier gab die Befehle Don Gregorios weiter. Die Wuhling auf den Decks der beiden Kriegsschiffe verstärkte sich noch. Einige Männer bekreuzigten sich, als sie den heransegelnden Zweidecker erblickten. Sie wußten sehr wohl, daß sie in ihrer gegenwärtigen Situation nur eine geringe Chance gegen jenes düstere Schiff hatten. In Windeseile wurde alles herbeigeschleppt, was die Waffenkammer aufzubieten hatte. Viele Männer zeigten unverhohlene Angst.
Auch dem Zweiten Offizier war deutlich anzusehen, daß er schon freudvollere Tage erlebt hatte. Der dickliche Mann mit dem feisten Gesicht war kreidebleich geworden.
„Es wäre sicherlich besser gewesen, wir hätten uns nicht mit dem Lumpenpack da drüben auf der Insel angelegt, Señor Capitán“, sagte er keuchend, nachdem er vom Quarterdeck zum Achterdeck aufgeentert war. „Offensichtlich haben wir damit dieses Teufelsschiff auf den Plan gerufen.“
Don Gregorio de la Cuesta legte die Stirn in Falten.
„Was soll das heißen?“ fragte er scharf. Nur mühsam gelang es ihm, die eigene Nervosität zu verbergen. „Wollen Sie etwa die Richtigkeit meiner bisherigen Entscheidungen anzweifeln?“
„Nein, nein, Señor Capitán!“ Der feiste Kerl geriet ins Stottern. „Na-natürlich nicht. Aber – aber unsere Lage ist nicht gerade die beste …“
„Das habe ich inzwischen selber bemerkt“, sagte Don Gregorio frostig. „Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigentlichen Aufgaben, statt hier unsinnige Behauptungen aufzustellen, die dazu angetan sind, die Moral unserer Mannschaften zu schwächen. Haben Sie das verstanden?“
„Ver-verstanden, Señor Capitán“, tönte es mit brüchiger Stimme. Dann drehte sich der Zweite um und enterte eilig zum Quarterdeck ab.
Don Gregorio de la Cuesta setzte sich mit dem Kapitän der zweiten Galeone in Verbindung, um wenigstens noch die nötigsten Absprachen zu treffen. Doch es war unmöglich, eine bestimmte Abwehrtechnik zu entwickeln, zumal die beiden Schiffe nicht nur hart angeschlagen, sondern auch manövrierunfähig waren. So wurden die Soldaten und Mannschaftsmitglieder, die nicht unbedingt zum Lenzen gebraucht wurden, mit Tromblons und Musketen bewaffnet und hinter die Schanzkleider gescheucht.
Sobald sich der Zweidecker in der Reichweite der Musketenkugeln befand, gab Don Gregorio den Feuerbefehl. Er, der sonst stolz und aufrecht seinen Platz auf dem Achterdeck einzunehmen pflegte, kauerte sich ebenfalls auf die Planken, um sich vor dem hereinbrechenden Inferno zu schützen.
Weder die Musketenschüsse noch das Krachen der Drehbassen konnten die „Caribian Queen“ zurückhalten. Auch die wilden Flüche und Verwünschungen, die dem Zweidecker entgegengebrüllt wurden, hatten keine Wirkung bei Siri-Tong und ihrer harten Crew. Die Mannen wußten, daß sie den längeren Arm hatten und daß die Dons mit Imponiergehabe von ihrer aussichtslosen Lage ablenken wollten.
Barba, der bereits mit brennendem Luntenstock an einer Heckdrehbasse ausharrte, warf der Roten Korsarin einen ungeduldigen Blick zu.
„Wie steht’s, Madam?“ rief er. „Wenn ich noch ein bißchen warte, versenge ich mir die Fingerspitzen und fliege selber in die Luft.“ Dabei huschte ein breites Grinsen über sein wildes Gesicht.
Siri-Tong schenkte ihm ein kurzes Lächeln, und das war Öl auf sein Haupt. Ein Lächeln von Madam – so ähnlich mußte das Paradies einmal ausgesehen haben, in dem Adam und Eva einst lebten. Zumindest war Barba dieser Meinung. Und beileibe nicht nur er.
Die Rote Korsarin wartete den richtigen Zeitpunkt ab. Erst als die „Caribian Queen“ querab auf etwa fünfzig Yards Distanz an die spanischen Galeonen herangesegelt war, hob sie die rechte Hand.
„Feuer frei!“ tönte es Sekunden später über die Decks, und nahezu gleichzeitig senkten Henry Scrutton und die Männer an den Steuerbordgeschützen und Drehbassen ihre brennenden Luntenstöcke auf die Zündkanäle.
Augenblicke danach wurde das riesige Schiff wie von einer unsichtbaren Faust durchgeschüttelt. Die schweren Eisenkugeln der Steuerbordkanonen stoben mit einem unheimlichen Brüllen und Fauchen aus den gußeisernen Rohren und schlugen mit Urgewalt in die Steuerbordseite der seewärts liegenden Galeone.
Ein infernalisches Krachen und Bersten erfüllte die Luft. Holztrümmer, Segeltuchfetzen und Teile von Masten und Rahen wurden hochgewirbelt und klatschten schließlich ins Wasser, denn die Verhakung der Rahen löste sich plötzlich – teilweise sogar mit Gewalt, infolge der rapiden Krängung. Die Steuerbordseite der Galeone war von den Kugeln des Zweideckers regelrecht aufgebrochen worden.
Über die Decks der spanischen Schiffe dröhnte ein vielstimmiger Aufschrei. Das Wasser schoß durch die Lecks und Löcher in die Unterdecksräume.
Dichter Pulverqualm wölkte auf und brannte den Männern in den Augen. Dann wurden die Schwaden jedoch vom Wind in kleine, grauschwarze Fetzen zerrissen und seewärts getrieben. Die Scharen von Möwen, die die Schiffe umsegelt hatten, stoben kreischend auseinander.
Siri-Tong erblickte deutlich Don Gregorio de la Cuesta, der wild gestikulierend seine Befehle brüllte. Aber die nutzten nicht mehr viel. Bereits jetzt war abzusehen, daß das Schiff nicht mehr zu retten war. Deshalb dachten die Soldaten und Crewmitglieder auch nicht mehr an eine Verteidigung – wozu auch? Rette sich wer kann – so lautete jetzt die Devise, allen Kommandos, die Don Gregorio brüllte, zum Trotz. Die Wuhling war unbeschreiblich.
Etlichen Männern gelang es, auf die andere Galeone hinüberzuhangeln. Einige erreichten das Schiff durch einen gewagten Sprung. Weit mehr stürzten jedoch ins Wasser oder gelangten nicht mehr rechtzeitig genug an Deck, weil sie in den unteren Räumen mit dem Lenzen der eindringenden Wassermassen beschäftigt waren und schon seit einiger Zeit an den Pumpen Knochenarbeit geleistet hatten.
Die „Caribian Queen“ aber halste und drehte den Bug nach Norden hoch.
„Wann folgt der nächste Streich, Madam?“ wollte Barba wissen.
Siri-Tong zuckte mit den Schultern.
„Warten wir’s ab“, sagte sie lakonisch, denn durch den Kieker hatte sie gesehen, was sich drüben an Land abspielte, und womit sie eigentlich nicht gerechnet hatte. Im Gegensatz zu den Spaniern, die weder Zeit noch Gelegenheit hatten, die Strandregion der Insel im Auge zu behalten, hatte sie trotz des kurzen Gefechts nicht versäumt, nach den Engländern Ausschau zu halten. Und das mit Erfolg. Es war ihr nicht entgangen, daß sich dort einiges tat.
Henry Scrutton, der mit seinen Mannen hervorragende Arbeit an den Geschützen geleistet hatte, enterte abermals auf das Achterdeck, um zu hören, was es weiter zu tun gab, während in den beiden Kanonendecks eifrig die Kanonenrohre gewischt wurden, um die Stücke so schnell wie möglich nachzuladen.
„Du hältst Ausschau nach den Engländern, Madam?“ Der Stückmeister warf Siri-Tong einen fragenden Blick zu. „Meine lieben Landsleute sitzen wahrscheinlich da drüben im Gebüsch und wagen nicht, den kleinen Finger zu rühren. Offenbar haben Sie Schiß vor uns, Madam, was man ihnen kaum verdenken kann.“
„Du irrst dich, Henry“, erwiderte Siri-Tong. „Mir scheint eher, die Kerle haben die Gunst der Stunde genutzt.“ Sie reichte ihm den Kieker und Henry Scrutton setzte ihn sofort ans Auge.
„Du meine Güte!“ entfuhr es ihm Augenblicke später. „Die haben tatsächlich etwas vor. Weißt du was, Madam? Die Burschen werden mir langsam wieder etwas sympathischer.“
Siri-Tong nickte.
„Man braucht wohl nicht zu raten, warum sie so eilig ihre Jollen heranschleppen. Sie werden versuchen, die andere Galeone zu entern. Und diese Idee finde ich – von ihrer Warte aus gesehen – gar nicht schlecht. Die Chancen stehen sogar recht gut dafür, denn die Dons haben im Augenblick mit sich selber genug zu tun.“
Barbas Gesicht verdüsterte sich. Die alten Zweifel, ob es richtig war, den Engländern indirekt zu helfen, kehrten zurück.
„Ich nenne das verrückt, Madam“, sagte er, „einfach verrückt. Schließlich sind wir extra noch einmal von den Pensacola Cays hierher gesegelt, um mit den Engländern wegen des nächtlichen Überfalls auf die ‚Isabella‘ noch ein Hühnchen zu rupfen, und jetzt arbeiten wir diesen Burschen geradezu in die Hände. Es tut mir leid, Madam, aber ich finde das einfach bescheuert, jawohl!“
Barba war wütend geworden, und er wußte auch warum. Die Engländer wollten den Seewolf, den ihre eigene Königin, Elisabeth I., mit einem Kaperbrief ausgestattet und zum Ritter geschlagen hatte, zur Strecke bringen. Und er, Barba, war jetzt womöglich im Begriff, den Kerlen zu einem Schiff zu verhelfen. Zeitweise verstand er die Welt nicht mehr.
Die Rote Korsarin legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Du solltest Hasards Landsleute trotzdem nicht alle über einen Kamm scheren“, sagte sie beschwichtigend. „Bei allem Verständnis für deine Argumente – du weißt so gut wie ich, daß es unter diesen Engländern eine ganze Reihe von anständigen Kerlen gibt, die nicht verdient haben, den Dons in die Hände zu fallen. Den adeligen Rädelsführern haben wir das schmutzige Handwerk ja bereits gelegt, und gerade deshalb sollten unsere Rachegefühle gegen die Schiffsmannschaften der Vernunft weichen. Wir wollen uns schließlich nicht mit der Adelsclique auf eine Stufe stellen, nicht wahr?“
Siri-Tong spielte damit auf den hinterhältigen Haufen um Sir Andrew und Sir Henry an, von denen allerdings der erstere inzwischen tot und der letztere als Gefangener auf der „Caribian Queen“ weilte. Der dritte Schurke, nämlich der alte Killigrew, befand sich als Gefangener auf der „Isabella IX.“, dem Schiff der Seewölfe.
Barba stieß einen Knurrlaut aus.
„Wahrscheinlich hast du wieder einmal recht, Madam“, entgegnete er. „Vielleicht halte ich die Dinge wirklich nicht genau genug auseinander. Die Mannen, die unter dem Kommando dieser Adelsaffen fuhren, mußten wohl oder übel nach deren Musik tanzen, zumindest, was das einfache Decksvolk betrifft.“
„So sehe ich das auch, Barba“, sagte Henry Scrutton. „Und ich muß zugeben, daß mein Zorn auf meine Landsleute schon größer gewesen war als jetzt. Ich habe mich inzwischen auch daran gewöhnt, die Dinge etwas nüchterner zu betrachten.“
„Als Engländer fällt dir das wahrscheinlich leichter“, meinte Barba und setzte ein Grinsen auf. „Mein Dickschädel aber ist ein bißchen härter, und manche Dinge brauchen eben etwas länger, bis sie da durch sind.“
Siri-Tong lehnte sich gegen die Querbalustrade des Achterdecks. Die oberen Knöpfe ihrer roten Bluse hatte sie geöffnet, weil die Sonne heiß vom Himmel brannte.
„Ich glaube, daß es in dieser Angelegenheit noch einiges zu klären gibt“, fügte sie ergänzend hinzu.
„Wie meinst du das, Madam?“ fragte Barba.
„Nun, ich kann eigentlich nicht mehr so recht glauben, daß die Mannschaften und Offiziere der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘ immer noch darauf versessen sind, Hasard als Gefangenen nach England zu bringen.“
Barba blickte sie verwundert an.
„Warum sollten sie das denn nicht mehr sein? Schließlich war es doch von Anfang an das Ziel dieser Burschen gewesen, den Seewolf gefangen nach England zu schaffen, und zwar nur wegen der haltlosen Vorwürfe und Anschuldigungen dieser verdammten Adelsclique, die sich zudem noch persönlich daran bereichern wollte. Hat der versuchte Überfall in der vergangenen Nacht das nicht bestätigt?“
Siri-Tong schüttelte den Kopf.
„Nicht unbedingt“, erwiderte sie. „Ich denke sogar, daß es mit diesem Überfall eine andere Bewandtnis hat, zumal bis auf den Kapitän der ‚Dragon‘ und einen Adeligen nur Kerle aus der Horde des alten Killigrew in der Jolle hockten.“
„Hm“, meinte Barba nachdenklich. „Ein bißchen merkwürdig ist das schon. Vielleicht sollte man das bei Gelegenheit einmal klären, um endlich zu erfahren, was bei den Engländern eigentlich läuft. So langsam weiß man nämlich schon nicht mehr, wie man dran ist. Was man auch tut – es kann immer verkehrt sein.“
Siri-Tongs ebenmäßiges Gesicht wirkte entschlossen.
„Wir werden das schon noch herausfinden“, sagte sie. „Trotzdem meine ich, wir sollten nicht verhindern, daß die Engländer die spanische Galeone kapern – falls ihnen das überhaupt gelingt. Vielleicht sind sie dankbar, dann ein Schiff zu haben, mit dem sie aus der Karibik verschwinden können. Gute Erinnerungen werden sie an diese Reise ohnehin nicht knüpfen. Die meisten werden froh sein, wenn sie das alles hinter sich haben.“
Barba wiegte den Kopf hin und her.
„Gegen ihr Verschwinden hätte wohl niemand etwas einzuwenden, es wäre das Vernünftigste für sie und für uns. Wenn ihnen die spanische Galeone dabei hilft – meinetwegen, meinen Segen sollen sie haben. Zum Teufel, du hast mich wieder einmal überzeugt, Madam.“
„Das hat aber ziemlich lange gedauert“, bemerkte Henry Scrutton mit einem Augenzwinkern.
„Halt du dich da gefälligst raus, du Rohrkrepierer“, brummte Barba und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Allein dein englischer Vorname macht dich schon höchst verdächtig, den Kerlen in die Hand zu arbeiten. Großer Gott, wie kann man nur Henry heißen. Da fehlt nur noch der Sir, und wir hätten es schon wieder mit einem Sir Henry zu tun. Kann man das noch aushalten, Madam?“
Siri-Tongs Mandelaugen blitzten belustigt auf.
„Ich denke schon. Solange unser Sir Henry nicht damit anfängt, ständig daneben zu schießen, nehmen wir sogar diesen Vornamen in Kauf, oder?“
„Schon gut, schon gut.“ Barba seufzte. „Ihr wißt ja, daß ich hart im Nehmen bin.“
Henry Scrutton und Barba enterten zur Kuhl ab. Es gab noch eine Menge für sie zu tun, zumal sie wußten, daß die „Caribian Queen“ zunächst nur nach Norden ablief, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten und dann notfalls erneut einzugreifen.
3.
Bei den Spaniern herrschte das reine Chaos.
Die seewärts treibende Galeone lief voll Wasser und würde in kurzer Zeit sinken. Durch den erneuten Angriff des Zweideckers hatte es Tote und Verletzte gegeben. Selbst Don Gregorio de la Cuesta, der es samt seinen Offizieren noch geschafft hatte, auf die andere Galeone überzuwechseln, sah in mancher Hinsicht aus wie ein gerupftes Huhn.
Sein Uniformrock war durch umherfliegende Holztrümmer am linken Ärmel aufgerissen worden. Über seine Stirn zog sich eine blutige Schramme, der er jedoch kaum Beachtung schenkte. Den furchterregendsten Anblick bot der Zweite Offizier, dessen feistes Gesicht von Ruß und Pulver geschwärzt war.
Über die Decks der inselseits ankernden Galeone dröhnten laute Flüche. Dem davonsegelnden Zweidecker wurden wilde Drohungen und Verwünschungen nachgebrüllt. Manche Männer, die dem Tod nur um Haaresbreite entgangen waren, kniffen stumm die Lippen zusammen und schickten ein stilles Stoßgebet zum Himmel.
Ihre bleichen Gesichter wurden immer noch von der Angst geprägt, die sie durchgestanden hatten. Wußte der Himmel, was als Nächstes geschah. Die meisten waren davon überzeugt, daß der kampfstarke Zweidecker abermals wenden würde, um auch noch die eine verbliebene Galeone zu versenken.
Don Gregorio de la Cuesta war außer sich vor Wut.
„Die Bastarde haben ein regelrechtes Zielschießen auf uns veranstaltet!“ stieß er hervor. „Es sollte mich nicht wundern, wenn das üble Piratenweib, das den Zweidecker befehligt, auch noch versuchen würde, uns auszuplündern. Irgend etwas muß sie mit ihren Angriffen bezwecken.“
„Vielleicht steht sie mit den Engländern drüben auf der Insel im Bunde“, sagte der Zweite und wischte sich über sein kohlrabenschwarzes Gesicht.
„Unsinn!“ erwiderte Don Gregorio. „Die beiden Schiffe der Engländer wurden ebenfalls versenkt. Wahrscheinlich hatte auch da der Zweidecker die Hände im Spiel. Fast drängt sich der Eindruck auf, daß die Piraten Schätze auf dieser gottlosen Insel versteckt haben und deshalb jeden vertreiben wollen, der sich ihr nähert.“
„Diese Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen“, bemerkte der Kapitän der inselseits ankernden Galeone mit blassem Gesicht. „Die Frau auf dem Achterdeck des Piratenschiffes muß schon ein Teufelsweib sein.“
„Wem sagen Sie das!“ stieß Don Gregorio wütend hervor. „Es mag zwar ungewöhnlich sein, daß ein Schiff von einer Frau kommandiert wird, aber damit wird dieser Zweidecker nicht minder gefährlich für uns. Wenn man uns auch noch diese Galeone abschießt, die ohnehin beschädigt ist, werden wir selber zu dieser verdammten Insel hinüberschwimmen müssen. Nur fragt sich dann, ob uns die Engländer überhaupt an Land gehen lassen. Wir stecken in einer verteufelten Situation, Señores.“
Daran hegte niemand einen Zweifel, und alle Offiziere waren sich darüber im klaren, daß sie im Falle eines erneuten Angriffs mit dem ihnen verbliebenen Schiff alles auf eine Karte setzen mußten.
Der Kapitän der Galeone brüllte nach Absprache mit de la Cuesta den Befehl zum Ankerhieven über die Decks. Das Schiff mußte schleunigst Abstand zu der sinkenden Galeone gewinnen und manövrierfähig werden. Gleichzeitig wurde die totale Gefechtsbereitschaft angeordnet.
Doch die Señores auf dem Achterdeck sollten bei ihren Vorbereitungen empfindlich gestört werden, und zwar von ganz anderer Seite, als sie erwartet hatten.
Der Kapitän des Schiffes war es, der plötzlich mit ausgestrecktem Arm zur Insel hinüberdeutete.
„Verdammt!“ entfuhr es ihm mit heiserer Stimme. „Die Engländer scheinen uns angreifen zu wollen.“
Jetzt wandten auch die übrigen Offiziere ihre Aufmerksamkeit der Bucht zu und sahen die Bescherung – viel zu spät allerdings, um dem Enterangriff noch ausweichen zu können. Die Boote der schiffbrüchigen Engländer waren schon zu nahe heran.
„Wie es scheint, sind wir in eine klug aufgestellte Falle gestolpert“, sagte der Zweite Offizier Don Gregorios. „Der Zweidecker muß wohl doch etwas mit den englischen Bastarden zu tun haben. Kaum drehte er nach Norden hoch, da werden wir auch schon von der Insel her angegriffen. Ich fresse einen Besen, wenn das keine abgesprochene Sache war, Señor Capitán.“
Fast schien es, als habe der Zweite mit dem rußgeschwärzten Gesicht diesmal recht, auch wenn es da noch einige Ungereimtheiten gab, für die man noch keine Erklärung gefunden hatte.
„Wir haben jetzt keine Zeit, über diese Vorgänge lange zu diskutieren“, sagte Don Gregorio erregt. „Ob wir in eine Falle gestolpert sind oder nicht, ist in unserer gegenwärtigen Lage ohne Bedeutung. Wichtig ist nur, daß wir alles tun, um diese Sache zu überstehen. Was ist mit der Gefechtsbereitschaft?“
Der Kapitän des Kriegsschiffes vollführte eine hilflose Geste.
„Meine Männer sind noch vollauf damit beschäftigt, die Galeone wieder gefechtsklar zu machen“, erwiderte er. „Solange unsere Schiffe ineinander verhakt waren, war das nicht in vollem Ausmaße möglich gewesen.“
Don Gregorios Gesicht wurde rot vor Zorn.
„Dann bringen Sie Ihre Schlafmützen gefälligst auf Vordermann!“ brüllte er wenig vornehm. „Wenn wir weitere Zeit verplempern, haben wir keine Chance mehr!“
Die Wuhling auf der Kriegsgaleone Seiner Majestät, des Königs von Spanien, nahm kein Ende.
Die Engländer hatten den zweiten Angriff der „Caribian Queen“ auf die spanischen Kriegsgaleonen mit größter Genugtuung beobachtet, und nahezu alle waren abermals in lautes Freudengeheul ausgebrochen, als sie sahen, welch verheerende Folgen der Angriff gehabt hatte. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die zerschossene Galeone sinken würde.
Noch während die Kanonen des Zweideckers krachten, waren die Männer von der „Orion“ und der „Dragon“ mit ihren acht Jollen aus dem Uferdickicht hervorgebrochen und hatten die Boote über blitzschnell untergelegte handige Baumstämme zum Wasser gerollt. Dann waren sie auf das Kommando Marc Corbetts hin hineingesprungen und auf Teufel komm raus losgepullt. Sir Edward Tottenham hatte sich den Mannen angeschlossen. Er war von der Westseite her noch rechtzeitig auf den Trupp Marc Corbetts gestoßen, der die Boote aus dem Versteck geholt hatte.
An die 120 Mann waren es, die sich auf die acht Boote verteilt hatten. Die restlichen nahezu vierzig Kämpfer waren auf der Insel zurückgeblieben, um mit ihren Musketen den Kameraden Feuerschutz zu geben.
„Die Galeone kann jeden Moment sinken“, sagte Marc Corbett. „Fast sieht es so aus, als habe der Zweidecker die andere absichtlich für uns übriggelassen.“ Er saß auf der achteren Ducht einer Jolle, über seinen Knien lag eine feuerbereite Muskete.
Sir Edward zog die Stirn kraus.
„Hoffentlich haben Sie recht, Mister Corbett. Wenn der Zweidecker allerdings zurückkehrt und erneut angreift, bevor es uns gelungen ist, die Galeone zu entern, werden wir viel Glück brauchen.“
Die Nachmittagssonne webte einen flirrenden Hitzeschleier über der Bucht. Den Rudergasten, die echte Knochenarbeit leisteten, floß der Schweiß in Strömen über den Körper. Hinzu kamen die lästigen Moskitos, die in Ufernähe manch einem der Männer ein Fluchen entlockten. Dennoch wußten sie, auf was es ankam. Sie trieben die Boote mit allen zur Verfügung stehenden Kräften durch das kabbelige Wasser.
Marc Corbett, der die Galeone scharf beobachtete, entging die plötzliche Wuhling an Bord nicht, als sich die Boote schon ziemlich dicht an sie herangeschoben hatten.
„Die Dons scheinen uns bemerkt zu haben“, sagte er zu Sir Edward. Über sein braungebranntes Gesicht huschte ein spöttisches Grinsen. Im stillen hatte er sich längst über die Schlafmützigkeit der Spanier gewundert.










