Seewölfe Paket 22

- -
- 100%
- +
Arthur Gretton unterbrach die Rote Korsarin.
„Wenn ich dazu etwas bemerken darf, Madam“, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. „Es war nicht unsere Aufgabe und lag auch nicht in unserer Macht, den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen, die Sie gerade angesprochen haben, zu überprüfen.“
Siri-Tong schüttelte zornig den Kopf.
„Wollen Sie damit sagen, daß Sie und auch diese anderen Männer sich einer Strafexpedition großen Ausmaßes angeschlossen haben, ohne von deren Richtigkeit und Notwendigkeit überzeugt zu sein?“
„Äh – nein, Madam, das wollte ich damit nicht sagen“, erwiderte Gretton sichtlich verlegen. „Man hat uns vielmehr deren Richtigkeit glaubhaft versichert.“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, sagte Siri-Tong. „Offensichtlich hat man deren Notwendigkeit sogar der englischen Königin glaubhaft versichert, sonst hätte sie wahrscheinlich niemals diesem Unternehmen zugestimmt. Fest steht auf jeden Fall, daß Sir Andrew Clifford und Sir Henry Battingham, zwei Männer von Adel, aber nicht mit adliger Gesinnung, die Anstifter dieser Intrige waren. Das gleiche trifft auf John Killigrew, den dritten im Bunde, zu. Drei Verbrecher haben es demnach fertiggebracht, einen anderen Mann in Abwesenheit zu verleumden, schmutzige Verdächtigungen auszusprechen und zu erreichen, daß ein Verband zu seiner Gefangennahme in Marsch gesetzt wurde.“
Siri-Tong schwieg hier einen Moment. Sie hatte ruhig und sachlich gesprochen. Jetzt aber wurde ihr Ton eine Nuance schärfer.
„John Killigrew und seine Mannschaft“, fügte sie hinzu, „wurden in der Bucht dieser Insel von Philip Hasard Killigrew und mir gestellt und überwältigt. Als Ehrenmann forderte der Seewolf, dessen Gradlinigkeit und Fairneß selbst den Spaniern ein Begriff ist, Genugtuung für die schändlichen Verleumdungen seiner Person. Ich habe ihm abgeraten mit der Begründung, Lumpen könnten einem Mann ohne Fehl und Tadel nicht die Ehre nehmen. Doch der Seewolf blieb bei seiner Entscheidung, und ich mußte sie akzeptieren, denn wer eines Mannes Ehre verletzt, muß auch bereit sein, dafür geradezustehen und zu kämpfen. Ich weiß nicht, inwieweit ich von Ihnen erwarten kann, mir in diesem Punkt beizupflichten …“
„Natürlich müssen wir Ihnen da beipflichten, Madam“, sagte Marc Corbett.
Sir Edward und Arthur Gretton nickten bestätigend, während Charles Stewart nur höhnisch grinste.
„Sehen Sie“, sagte Siri-Tong, „nicht mehr und nicht weniger als das forderte Philip Hasard Killigrew von diesen beiden Männern. Jetzt konnten sie ja zeigen, wie ernst ihre Absicht war, im Auftrag der Krone einen Betrüger, Hoch- und Landesverräter zu stellen und im Kampf Mann gegen Mann ihr Ziel durchzufechten. Philip Hasard Killigrew ließ ihnen sogar die Wahl der Waffen. Sir Andrew Clifford als erster wählte die Pistole, John Killigrew den Säbel. Das Pistolenduell fand dort drüben am Strand statt. Die Duellanten sollten sich Rücken an Rücken und mit geladener Pistole aufstellen, dann losmarschieren und durften sich erst umdrehen und schießen, wenn der Befehl ‚Feuer frei!‘ gegeben wurde. Aber was tat der Ehrenmann Andrew Clifford? Nach etwa vier Schritten drehte er sich um und schoß Philip Hasard Killigrew eine Kugel in den Rücken. Clifford büßte für diese feige Tat, denn er wurde von einem Pfeil durchbohrt, den ein Mann aus der Crew des Seewolfs abgeschossen hatte. Dieser Pfeilschuß ersparte uns, Clifford an die Rah zu hängen. Alles weitere wissen Sie, Gentlemen. Was ich jedoch noch nicht weiß, das möchte ich jetzt von Ihnen erfahren: Warum hat dieser Mann“, Siri-Tong deutete auf Charles Stewart, „zusammen mit Männern aus der Crew des John Killigrew in der letzten Nacht noch einmal versucht, das Schiff des Seewolfs zu überfallen? Hatte er dazu einen Auftrag?“
Es war abermals Marc Corbett, der einen Schritt vortrat und erregt den Kopf schüttelte.
„Nein, einen Auftrag hatte er nicht, Madam“, sagte er mit zorniger Stimme. „Mister Stewart hat auf eigene Faust gehandelt, nachdem wir uns zuvor von ihm getrennt hatten. Und nicht nur von ihm hatten wir uns getrennt, sondern auch von der Mannschaft des John Killigrew und von der Adelsgruppe um Sir Henry Battingham. Wir ließen Mister Stewart mit einer der Jollen abziehen. Wir wollten mit ihm nichts mehr zu tun haben, denn er hatte seine Besatzung im Stich gelassen, als die ‚Dragon‘ sank. Für uns war das Grund genug, uns von ihm zu trennen, zumal er vorher versucht hatte, die ‚Orion‘ zu entern, weil sein Schiff im Gefecht beschädigt worden war …“
„Lüge, alles Lüge!“ rief Charles Stewart dazwischen. „Die Kerle wollen sich Ihnen gegenüber nur herausreden, Madam!“
Barba, der mit verschränkten Armen einige Schritte hinter Siri-Tong stand und die Gesprächsszene mit unbewegtem Gesicht verfolgte, setzte sich in Bewegung.
„Soll ich diesen Kerl zur Ruhe bringen, Madam?“ fragte er.
Siri-Tong vollführte eine abwehrende Geste.
„Laß es, Barba“, erwiderte sie. „Wenn es nötig sein sollte, daß du dir die Hände an einem solchen Mann beschmutzt, sage ich es dir.“
Barba trat wieder zurück, nicht ohne dem grobschlächtigen Stewart einen finsteren und vielversprechenden Blick zuzuwerfen.
„Darf ich weiterreden, Madam?“ fragte Marc Corbett höflich.
„Fahren Sie fort.“ Siri-Tong nickte mit ernstem Gesicht.
Der Erste Offizier der „Orion“ räusperte sich.
„Heute morgen kehrte Mister Stewart allein zurück und forderte uns auf, mit den Jollen Ihre beiden Schiffe bei den Pensacola Cays zu überfallen. Wir lehnten das jedoch ab und setzten ihn gefangen.“
„Und was geschah mit der Jolle und den Kerlen von John Killigrew?“ fragte Siri-Tong.
Marc Corbett lächelte beinahe schadenfroh.
„Die Burschen warfen Stewart hier bei der Insel außenbords und segelten davon. Vermutlich, weil sie sich in den Besitz von zwei Goldkisten setzen wollten, die Stewart dem ‚ehrenwerten‘ Sir Henry Battingham mehr oder weniger entwendet hatte, bevor die ‚Dragon‘ unterging.“
„Interessant!“ entfuhr es der Roten Korsarin. Dann warf sie Charles Stewart, der sie mit haßerfüllten Augen anstarrte, einen verächtlichen Blick zu. Nach kurzem Überlegen gab sie den Befehl, den spanischen Verbandsführer auf die „Caribian Queen“ zu holen. „Mal sehen“, sagte sie, „was unsere spanischen Freunde zu berichten haben.“
Kurze Zeit danach hatte sich auch Don Gregorio de la Cuesta zu der Reihe derer gesellt, die nervös von der Kuhl zum Achterdeck hochblickten. Auch er tat es mit recht gemischten Gefühlen, denn im stillen rechnete er mit allem – selbst mit dem Schlimmsten. Was sollte er schon als spanischer Kapitän von den Engländern zu erwarten haben? Oder noch schlimmer: was würde sich dieses Piratenweib wohl einfallen lassen? O ja, Don Gregorio fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut, und als man ihn auf den Zweidecker gebracht hatte, waren seine Knie regelrecht weich geworden.
„Wie ist Ihr Name, Señor?“ fragte Siri-Tong, die die spanische Sprache sehr gut beherrschte.
„Don Gregorio de la Cuesta“, lautete die Antwort, „Kommandant der Kriegsgaleone …“
„Schon gut“, unterbrach ihn Siri-Tong, die von Adelstiteln und hochtrabenden Amtsbezeichnungen nicht sehr viel hielt. „Ich erwarte, daß Sie mir einige Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Vergessen Sie dabei nicht, daß Sie sich in meiner Gewalt befinden.“
Bei diesem Hinweis schluckte Don Gregorio, obwohl er diesen Umstand bisher noch keinen Augenblick vergessen hatte.
„Ich werde wahrheitsgemäß antworten, Señora.“
Siri-Tong konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn sie auf die Kuhl hinunterblickte. Da standen sie, die Befehlshaber und Kommandanten, die sonst so Großen und Mächtigen. Aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, wirkten sie zerknirscht, nervös und verunsichert. Vor allem das hagere Gesicht des Spaniers zeigte eine auffallende Blässe.
„Nun, Señor“, fuhr sie fort, „ich möchte wissen, ob es ein Zufall war, daß Sie mit Ihren beiden Kriegsgaleonen hier auf die schiffbrüchigen Engländer gestoßen sind.“
Don Gregorio schüttelte den Kopf.
„Nein, das war kein Zufall, Señora“, erwiderte er. „Meine Schiffe befanden sich im Fort St. Augustine an der amerikanischen Ostküste. Als der englische Verband vorbeisegelte, erhielt ich den Auftrag, auszulaufen, um – nun ja, um die Absichten der Engländer zu überprüfen …“
„Aha“, sagte Siri-Tong. „Und was sollten Sie nach dieser Überprüfung, wie Sie das nennen, tun? Sollten Sie nach St. Augustine zurückkehren, um Bericht zu erstatten?“
„Nein, Señora, das heißt, später schon, aber …“
„Aber?“
„Zunächst hatte ich, wie bereits gesagt, den Auftrag, den Engländern nachzuspüren. Dann sollte ich Havanna anlaufen und den Gouverneur wegen dieses Verbandes warnen.“
„Und wie erfuhren Sie dann, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gab?“
Der Capitán zuckte hilflos mit den Schultern.
„Das ergab sich fast von allein, Señora“, berichtete er. „Wir sichteten am heutigen Vormittag eine mit Westkurs segelnde Jolle, die wir stoppten und durchsuchten. Dabei entdeckten wir zwei Kisten mit Goldbarren, die den Stempel der Münze von Potosi aufwiesen. Wir waren deshalb davon überzeugt, es mit Piraten zu tun zu haben und sahen uns genötigt, die Jollenbesatzung gefangenzunehmen. Dabei erfuhren wir durch das Verhör eines englischen Bootsmanns, der O’Leary heißt, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gäbe. Da die Grand Cays nicht weit entfernt waren, sind wir hierher gesegelt.“
Siri-Tongs Hände ballten sich zu Fäusten.
„War das alles, was Sie von diesem O’Leary erfahren haben?“
Der Spanier senkte einen Augenblick den Kopf, dann aber redete er weiter, wohl wissend, daß er keine andere Wahl hatte.
„Nein, das war nicht alles, Señora. Der Bootsmann berichtete auch über die Ziele und Aufgaben des englischen Verbandes, und – und er sagte auch, wo El Lobo del Mar, der Seewolf, zu finden sei. Daraufhin habe ich die Engländer drüben auf der Insel zur Kapitulation aufgefordert. Angegriffen habe ich sie erst, nachdem sie sich geweigert hatten, sich zu ergeben.“
Die Rote Korsarin nickte. Alle Mosaiksteinchen paßten überraschend gut zusammen, deshalb war sie auch davon überzeugt, daß Don Gregorio die Wahrheit gesagt hatte.
„Den Ausgang dieses Kampfes kenne ich“, fuhr sie fort. „Wie aber sah Ihr weiteres Vorhaben aus – im Hinblick auf das, was O’Leary ausgeplaudert hatte?“
„Danach“, erwiderte der Spanier, „wollte ich versuchen, den Seewolf zu finden und zu stellen, und zwar noch vor der Fahrt nach Havanna.“
„Gerade so hatte ich mir das gedacht“, sagte Siri-Tong. „Wie viele Kerle befanden sich bei O’Leary, und was geschah mit ihnen?“
„Es waren sechzehn, Señora. Ich nahm sie als Gefangene zunächst an Bord meines Schiffes, dann aber wurden sie von der Galeone da drüben wegen der besseren Platzverhältnisse übernommen. Dort befinden sie sich jetzt noch in der Vorpiek hinter Schloß und Riegel.“
Marc Corbett und die anderen Engländer, die dem in Spanisch geführten Gespräch folgen konnten, horchten auf. Siri-Tong aber traf ihre ersten Entscheidungen.
„Ich danke Ihnen, Señor, daß Sie meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet haben“, sagte sie. „Und nun sollen Sie erfahren, was mit Ihnen und Ihren Landsleuten geschehen soll.“
Don Gregorios Gesicht verkrampfte sich in banger Erwartung. Was, um Himmels willen, hatte sich dieses Piratenweib ausgedacht? Eigentlich war diese Frau nicht nur hübsch und energisch, sondern machte auch einen anständigen Eindruck. Irgendwie wollte das landläufige Bild einer Piratin nicht zu ihr passen. Aber das konnte auch täuschen, das würde sich gleich herausstellen.
„Sie werden mit Ihren Männern die Galeone verlassen“, entschied sie. „Die englischen Gefangenen, die Sie in die Vorpiek gesperrt haben und bei denen es sich um Lumpenkerle des Mister John Killigrew handelt, werden Sie mitnehmen.“ Süffisant fügte sie hinzu: „Ich betrachte diese Kerle nach wie vor als Ihre Gefangenen.“
Don Gregorio sah sie verblüfft an. Hatte sie wirklich gesagt, er könne die Galeone verlassen? Bei Gott, und er hatte sich im Geiste schon an einer Rah baumeln sehen!
„Im übrigen“, führ die Rote Korsarin fort, „können Sie Ihre Jollen mit an Land nehmen, ebenso Hieb- und Stichwaffen. Die Mitnahme von Schußwaffen erlaube ich nicht. Andererseits habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie einige Werkzeuge mitnehmen wollen, um die Hütten wieder aufzubauen, die Sie selber zerschossen haben. Für immer werden Sie wohl nicht auf dieser Insel festsitzen, denn Sie haben ja die Möglichkeit, eine Jolle zur Küste von Florida hinübersegeln zu lassen, um von St. Augustine Hilfe anzufordern.“
Don Gregorio de la Cuesta atmete erleichtert auf. Tonnenschwere Lasten fielen ihm von der Seele, obwohl es nicht gerade erfreulich war, sein Schiff aufgeben zu müssen und auf einer Insel ausgesetzt zu werden. Aber er hatte Schlimmeres erwartet – für sich und seine Landsleute. Offenbar hatte er doch den richtigen Eindruck von dieser Frau gewonnen, die gemäß den Schilderungen des englischen Bootsmannes ein „blutrünstiges Piratenweib“ sein sollte. O’Leary hatte ohne Zweifel stark übertrieben. Er selbst war inzwischen fast schon geneigt, ein Prachtweib in ihr zu sehen.
Für einige Augenblicke floß Don Gregorio fast über vor Dankbarkeit, ja, er fühlte sich sogar genötigt, einen erlesenen Kratzfuß zu zelebrieren.
„Ich danke Ihnen zutiefst für Ihre Großzügigkeit, Señora“, sagte er, „und ich bin entzückt, Sie kennengelernt zu haben. Ich kann nur versichern, daß Sie mich und meine Landsleute fair behandelt haben.“
Darüber wunderten sich auch die Engländer, die ebenfalls weit Schlimmeres erwartet hatten.
Als erster räusperte sich Marc Corbett.
„Ich muß Sie darauf hinweisen, Madam“, sagte er, „daß sich drüben an Land noch etwa vierzig unserer Leute befinden, die zurückgeblieben sind, um uns Feuerschutz zu geben.“
„Nachdem sie sich ergeben haben, werden sie herübergeholt auf die spanische Galeone“, sagte Siri-Tong. „Ihre Waffen sind in einem gesonderten Boot unterzubringen.“
Mit dieser Entscheidung hatte Marc Corbett gerechnet, aber da war noch etwas, was geklärt werden mußte.
„Außerdem, Madam“, fuhr er fort, „befinden sich noch sieben Gentlemen aus dem Kreis des Sir Henry Battingham sowie zwölf Kerle des John Killigrew auf der Insel …“
„Dort werden sie auch bleiben“, unterbrach ihn Siri-Tong schroff. „Meinetwegen können sie den Spaniern Gesellschaft leisten.“
Don Gregorio de la Cuesta wurde von der Roten Korsarin entlassen, um das Übersetzen zur Insel zu organisieren. Einige Mannen von der „Caribian Queen“ wurden damit beauftragt, die Vorgänge zu überwachen.
5.
Siri-Tong wandte sich erneut den Engländern zu. Diesmal sprach sie direkt Charles Stewart an, der mit verbissenem Gesicht auf die Planken stierte.
„Was haben Sie mit Ihrem Überfall auf das Schiff des Seewolfs bezweckt, Mister Stewart?“
Stewart hob den Kopf und grinste spöttisch.
„Das ist – mit Verlaub gesagt – eine dämliche Frage, Madam“, erwiderte er geradezu provozierend. „Denn erstens einmal haben wir von Ihrer Majestät, der Königin, den Auftrag gehabt, einen Betrüger, Spion und Verräter namens Philip Hasard Killigrew zu fangen und nach England zu bringen. Zweitens hätte sich durch den Überfall für uns die Möglichkeit ergeben, uns in den Besitz von zwei Schiffen zu bringen, da die eigenen, die ‚Orion‘ und die ‚Dragon‘, ja bekanntlich von Ihnen versenkt wurden. Im übrigen, Madam, bin ich es als Offizier gewohnt, die Befehle Ihrer Majestät auszuführen. Ich sehe deshalb überhaupt nichts Verbrecherisches an meiner Handlungsweise, im Gegenteil – es wäre ein Akt des Ungehorsams gegen die Königin gewesen, wenn ich nicht so gehandelt hätte, wie ich es getan habe.“
Marc Corbett fuhr empört dazwischen.
„Was dieser Kerl hier behauptet, ist ungeheuerlich, Madam. Er dreht und wendet den Spieß, wie es ihm in den Kram paßt und findet sogar noch Entschuldigungen für seine niederträchtige Verhaltensweise. Außerdem stimmt es nicht, daß ein Befehl Ihrer Majestät, der Königin, vorliegt. Er kann keinen Beweis dafür erbringen, denn ein schriftlicher Befehl oder Auftrag der Königin für die Gefangennahme Sir Hasards existiert höchstwahrscheinlich nicht. Mein Kommandant, Sir Edward“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf ihn, „hat jedenfalls weder von der Königin noch vom Lordadmiral einen solchen Befehl erhalten.“
„Das ist sehr interessant, Mister Corbett“, sagte Siri-Tong. „Auf welche Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“
„Nun, ich sagte ja bereits, daß der ‚Orion‘ kein schriftlicher Befehl vorlag. Außerdem haben bereits die Kapitäne Rooke und Wavell, die Kommandanten der ‚Centurion‘ und der ‚Eagle‘, von Sir Henry Battingham verlangt, einen solchen Auftrag einsehen zu dürfen, aber Sir Henry hat das abgelehnt und sich damit herausgeredet, Sir Andrew Clifford sei im Besitz dieser königlichen Order.“
„Wurde das jemals überprüft?“
„Nein, Madam, denn Sir Andrew war zu diesem Zeitpunkt bereits Geisel des John Killigrew und konnte demzufolge nicht befragt werden. Deshalb nahmen wir zunächst an, daß Ihre Majestät Sir Henry oder Sir Andrew vielleicht nur eine mündliche Order erteilt hat und darauf vertraute, daß diese sich bei den Kommandanten der vier Kriegsgaleonen durchsetzen würden.“
„Das ist eine sehr schwache Vermutung“, bemerkte Siri-Tong, „wenn nicht sogar eine sehr haltlose, mit der man lediglich versucht hat, seine Handlungsweise moralisch zu rechtfertigen. Immerhin aber führen die Spuren immer wieder zu diesem Mister Clifford und Mister Battingham, die ich eingangs als die Urheber der ganzen Intrigen bezeichnet habe.“
„Das mag durchaus sein, Madam, aber uns fehlte eben immer der Beweis für unsere Vermutungen, und solange wir nicht das Gegenteil beweisen konnten, mußten wir uns dem vermeintlichen Willen der Königin unterordnen …“
Siri-Tong sah Marc Corbett scharf an.
„Mußten Sie das wirklich, Mister Corbett?“
Der Erste Offizier der früheren „Orion“ senkte für einen Augenblick den Kopf.
„Nun ja, Madam, einige haben auch anders gehandelt. Die Kapitäne Rooke und Wavell zum Beispiel zogen aus dem Fehlen einer schriftlichen Order die Konsequenzen und verließen den Verband – das sei um der Wahrheit willen gesagt.“
Die Rote Korsarin richtete jetzt ihren Blick auf Sir Edward Tottenham, den Kommandanten der „Orion“.
„Und welche Meinung vertreten Sie, Mister Tottenham?“ fragte sie mit etwas Spott in der Stimme. Sie hatte längst erkannt, daß dieser Mann nicht nur sehr zurückhaltend, sondern auch ein Zögerer war und froh sein konnte, einen so tüchtigen und geradlinigen Kerl wie seinen Ersten Offizier zur Seite zu haben.
Sir Edward gab sich einen Ruck und bemühte sich, der Frau auf dem Achterdeck in die Augen zu sehen.
„Ich muß meinem Ersten Offizier beipflichten, Madam. Es gibt höchstwahrscheinlich keine schriftliche Order Ihrer Majestät, der Königin. Infolgedessen hatte ich mich inzwischen entschlossen, auch eine mögliche mündliche Order zu ignorieren, da sie ja als solche für mich nicht verbindlich ist. Sollte ich je nach England zurückkehren, werde ich einen ausführlichen Bericht über den Verlauf des unseligen Unternehmens anfertigen und den Lordadmiral darauf hinweisen, daß es ein grober Fehler war, vier Kriegsgaleonen Ihrer Majestät ohne einen verantwortlichen Befehlshaber und ohne eine klare Order in See gehen zu lassen, noch dazu in der stillen Erwartung, die vier Kommandanten würden sich einer Gruppe von Höflingen unterordnen, die weder von der Seefahrt noch von der entsprechenden Kriegführung eine Ahnung haben.“
Marc Corbett bedachte seinen Kapitän mit einem überraschten Blick. Donnerwetter, sagte er sich, mir scheint, der Alte hat inzwischen einiges dazugelernt. Aber es sollte noch besser kommen, denn Sir Edward Tottenham redete weiter – mit knarrender, erbitterter Stimme.
„Leider habe ich viel zu spät erkannt, daß es den Höflingen bei einer Gefangennahme Philip Hasard Killigrews nur darum gegangen wäre, sich dessen angebliche Schatzbeute anzueignen. Seine eigentliche Person wäre für diese Männer nur das Mittel zum Zweck gewesen. So ungeheuerlich diese Behauptung auch klingen mag – sie entspricht der Wahrheit. Das Versprechen, diese Schatzbeute später der Königin abzuliefern, war nichts anderes als reine Heuchelei, denn diese ehrlosen Burschen hätten genau das Gegenteil davon getan. Das gleiche muß ich leider auch in bezug auf Mister Stewart sagen, der meines Erachtens vor ein Kriegsgericht gehört …“
Charles Stewart, der Sir Edward haßerfüllt ansah, begann augenblicklich zu toben.
„Das ist eine Unverschämtheit!“ brüllte er. „Dieser Mann lügt, ich werde ihm das Maul stopfen, jawohl!“ Dann versuchte er, sich trotz seiner Handfesseln auf Tottenham zu stürzen und ihm die Fäuste ins Gesicht zu schlagen.
Aber der hünenhafte Barba war bereits beim ersten Wort Stewarts den Niedergang hinuntergesprungen. Er hatte mit dieser unbeherrschten Reaktion des vierschrötigen Mannes gerechnet und kriegte ihn, noch bevor er sein Vorhaben ausführen konnte, am Kragen zu packen.
Sir Edward war einige Schritte zurückgewichen, sein Gesicht drückte Abscheu und Verachtung aus.
Der riesige Barba hielt Stewart mit beiden Pranken am Kragen fest und zog ihn ein Stück zu sich hoch.
„Geh schön artig auf deinen Platz zurück, du schmieriger Strolch“, sagte er mit gefährlich klingender Stimme. „Und achte ein wenig auf das, was du hier redest, sonst könnte es passieren, daß dir plötzlich ein paar Zähne fehlen.“
Mit Schwung stieß er den ehemaligen Kapitän der „Dragon“ auf seinen Platz zurück. Stewart wäre dabei beinahe gestrauchelt und gestürzt. Er stieß einen leisen Fluch hervor und preßte dann die Lippen zu schmalen Strichen zusammen. Barbas muskulöse Gestalt hatte ihn wohl doch davon überzeugt, daß es besser war, zunächst einmal etwas zurückhaltender zu sein. Außerdem verspürte er nicht die geringste Lust, sich vor den Augen der Offiziere und der Mannschaften eine Tracht Prügel einzuhandeln.
Auch Sir Edward nahm wieder seinen alten Platz ein.
„Ich danke Ihnen“, sagte er kurz zu Barba. Und zu Siri-Tong gewandt, fügte er hinzu: „Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, Madam. Es handelt sich weder um Lügen noch um Verleumdungen. Ich verbürge mich dafür.“
Siri-Tong nickte.
„Die Ereignisse der letzten Tage bestätigen Ihre Worte nur zu deutlich. Ich habe deshalb allen Grund, Ihnen Glauben zu schenken.“
Nach dem Gespräch mit Sir Edward sorgte die Rote Korsarin für eine weitere Überraschung.
„Holt diesen O’Leary herüber!“ befahl sie. „Wir werden auch ihn noch hören, bevor er mit den Spaniern zur Insel übersetzt.“
Der Boston-Mann, ein großer, hagerer Engländer, der im linken Ohr einen goldenen Ring trug und zu den zuverlässigsten Leuten auf Siri-Tongs Schiff gehörte, übernahm die Aufgabe, den Bootsmann auf die „Caribian Queen“ zu holen.
Barba nahm wenig später den klotzigen Mann am Schanzkleid in Empfang und brachte ihn zu den anderen Männern auf der Kuhl.
O’Leary stutzte einen Moment, als er die ihm wohlbekannten Offiziere sah. Dann pendelten seine Blicke zwischen ihnen und der Frau auf dem Achterdeck hin und her. Plötzlich zog ein verächtliches Grinsen über sein Gesicht, und er spuckte laut und vernehmlich auf die Planken.
Das hätte er besser nicht tun sollen, denn schon eine Sekunde später fegte ihn eine gewaltige Maulschelle Barbas regelrecht von den Füßen. Er torkelte ein Stück über die Kuhl, dann krachte sein Körper auf die Planken. Aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut.
Dennoch war O’Leary überraschend schnell wieder auf den Beinen.
„Das tust du kein zweites Mal mit mir, du Bastard!“ rief er keuchend und warf sich Barba mit geschwungenen Fäusten entgegen.
„Das wird sich gleich zeigen, du Großmaul!“ knurrte Barba. Dann zuckten seine Fäuste abermals blitzschnell vor.
O’Leary wurde mit elementarer Gewalt über die Kuhl gefegt, als habe eine Kanonenkugel seine Brust getroffen. Bevor er sich versah, lag er erneut auf den Planken. Diesmal stöhnte er mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und brauchte etwas länger, um sich aufzurappeln.
Barba packte auch ihn am Kragen und beförderte ihn zu seinem ursprünglichen Platz zurück.









