Seewölfe Paket 22

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„Sofern sie von den Spaniern nicht ausgerottet wurden“, sagte Karl von Hutten bitter. „Viele wird es nicht mehr geben, seit die Dons diese Gebiete unterjocht und versklavt haben.“
„Da hast du allerdings recht, Karl. Dennoch sollte es uns gelingen, einen guten Führer anzuheuern.“
„Das werden wir ganz sicher versuchen. Wo gedenkst du die Landenge zu überqueren?“ fragte Ribault.
„Ich schlage vor, daß wir sie an der schmalsten Stelle überqueren, und die befindet sich zwischen der Bucht von San Blas auf der karibischen Seite und der Mündung des Rio Bayano, der einige Meilen weiter östlich von Panama in den Golf von Panama fließt. Das wäre diese Stelle hier, die auf der Karte eingezeichnet ist. Ich habe sie heute morgen bereits markiert.“
Alle steckten die Köpfe zusammen und beugten sich über die Karte.
„Ja, genau“, sagte von Hutten. „Das hat außerdem noch den Vorteil, daß wir fast die Hälfte der gesamten Strecke zum Golf von Panama auf dem Bayano mit Flößen zurücklegen können.“
Hasard nickte. Genau das hatte er auch sagen wollen.
„Was haltet ihr von diesem Vorschlag?“
Ausnahmslos alle stimmten zu. Das war der kürzeste und vernünftigste Weg, obwohl auch er mit Schwierigkeiten verbunden war. Aber es gab keine bessere Strecke als jene, die Hasard vorgeschlagen hatte.
„Wie gelangen wir zur Bahia San Blas?“ erkundigte sich Dan.
„Ich habe mir gedacht, daß Siri-Tong unsere beiden Mannschaften mit der ‚Caribian Queen‘ zur Bahia bringt.“
„Sehr gut, auf dem Zweidecker haben wir genügend Platz.“
„Dann ist da noch etwas“, sagte Hasard. „Als wir damals im Kanal der Pharaonen die ‚Isabella‘ aufgeben mußten und vom Nil nach England zurückkehrten, trugen wir breite Ledergürtel mit Innentaschen, um von dem verlorenen Schatz wenigstens etwas als Betriebskapital mitzunehmen. In den Taschen hatten wir Perlen, Gold- und Silbermünzen. Das werden wir auch jetzt wieder tun, genau wie damals. Ich werde nachher mit Will Thorne reden, damit er genügend Gürtel anfertigen kann. Wir brauchen eine Menge Kapital, wenn wir Jeans Vorschlag, zwei Schiffe samt Ausrüstung zu kaufen, verwirklichen wollen. Die Gürtel behindern uns selbst auf schwierigen Pfaden nicht, sehen unauffällig aus und bergen doch einen unermeßlichen Wert. Auch Schnapphähne und Beutelschneider werden kaum auf die Idee verfallen, daß wir Reichtümer mit uns herumtragen. Da klimpern dann auch keine Münzen, die unnötige Aufmerksamkeit erregen könnten.“
„Auch das ist ein guter Vorschlag“, sagte Ribault. „Füllen wir uns also die Gürtel, so arm sind wir ja nicht.“
Die Männer lachten leise. Nein, so arm waren sie wahrhaftig nicht, die harten Kerle vom Bund der Korsaren.
Hasard ließ Rotwein auftischen, dann wurden weitere Einzelheiten geplant und besprochen. Da sie das alles sehr sorgfältig und überlegt taten, wurde es später Abend. Dann standen auch die letzten Details fest – bis auf die Unwägbarkeiten, die ein Unternehmen dieser Art barg und die sich nicht einmal abschätzen ließen.
5.
Am zweiten Oktober 1594 waren alle Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen. Das „Unternehmen Potosi“ begann.
Es war Vormittag, über der Schlangen-Insel wölbte sich halbkreisförmig ein seidiger blauer Himmel.
Hasards Crew, die sich jetzt bereits an Bord des düsteren Zweideckers „Caribian Queen“ befand, bestand aus insgesamt neunundzwanzig Männern. Ribaults Crew rekrutierte sich aus einundzwanzig Männern und der Schlangen-Kriegerin Araua.
„Sollen wir nicht doch lieber einen Treffpunkt vereinbaren, an dem wir euch wieder abholen?“ fragte die Rote Korsarin. „Überlege es dir, Hasard, eins der Schiffe vom Bund der Korsaren kann euch zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder aufnehmen.“
„Nein“, sagte Hasard, der darüber auch schon nachgedacht hatte. „Es hat keinen Zweck, und zwar deshalb, weil sich der vereinbarte Termin zu einem Zeitdruck entwickeln könnte. Und den möchte ich auf jeden Fall vermeiden, wir sind dann eingeschränkt und können nicht so handeln, wie wir wollen. Ich habe für das Unternehmen einschließlich Hin- und Rückreise etwa sechs bis sieben Monate berechnet. Das ist nur über den Daumen gepeilt, Siri-Tong, eine ganz genaue Zeit kann ich der vielen Unwägbarkeiten wegen nicht angeben. Mit Zwischenfällen müssen wir immer rechnen. Wenn wir jetzt acht Monate brauchen, den Abholtermin aber auf sieben Monate ansetzen – das wäre also Anfang Mai nächsten Jahres –, dann wartet das Schiff wochenlang, das uns am Treffpunkt abholen soll, und es fehlt auf der Schlangen-Insel. Das ist einfach unmöglich.“
„Und wie habt ihr euch die Rückkehr vorgestellt?“
„Wir werden selbst sehen, wie wir von der karibischen Panamaküste wieder zur Schlangen-Insel zurückkehren. Vielleicht gelingt es uns nach altbewährter Manier über ein Enterunternehmen in Nombre de Dios oder Porto Bello. Das muß sich ganz aus der Situation heraus ergeben, das kann ich jetzt noch nicht sagen.“
„Dann laufen wir zunächst Tortuga an, danach bringe ich euch zur Bahia San Blas.“
„Ja, du kannst in Ruhe alles einkaufen, was gebraucht wird. Vor allem Holz für Ramsgate und anderes Zeug für die Werft. Holz wird Diego nicht vorrätig haben, jedenfalls nicht in so großer Menge, aber er hat gute Bezugsquellen auf Hispaniola, wo er das Holz bestellen kann.“
„Ich habe eine lange Liste dabei“, sagte Siri-Tong lächelnd. „Eigentlich beneide ich dich um das Unternehmen“, fügte sie dann hinzu.
„Mich reizt es selbst, mächtig sogar“, gab Hasard zu. „Es ist wie ein erwartungsvolles Prickeln in den Adern.“
Sie lächelten sich an und zwinkerten sich zu. Mindestens ein halbes Jahr lang würden sie sich nicht sehen. Siri-Tong dachte etwas wehmütig und traurig an die lange Zeit. Doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Oliver O’Brien kam, um sich zu verabschieden. Die meisten anderen hatten es bereits getan. Auch Old O’Flynn, der auf seiner „Empress“ hockte und den es mächtig juckte, daß er diesmal nicht mit von der Partie war. Er hatte noch behauptet, seiner Galionsfigur würde in der langen Zeit ein eisgrauer Bart wachsen, aber das hielt Hasard bei der Xanthippe für höchst unwahrscheinlich. Vielleicht kriegte sie in der Zeit noch ein paar Warzen dazu.
„Noch irgendwelche Anordnungen, Sir?“ fragte Oliver O’Brien.
„Nein, es ist alles geregelt. Du hast das Kommando über die ‚Isabella‘, wie besprochen. Sollte sie eingesetzt werden, stehen die Männer der Ramsgate-Werft und auch die Männer der anderen Besatzungen zur Verfügung. Gib schön auf unser Schiffchen acht, Oliver, wir lassen es zum erstenmal freiwillig zurück.“
„Und paß auf Arwenack und meinen Sir John gut auf!“ rief der Profos. „Die dürfen ja leider nicht mit, nur Plymmie.“
„Du weißt, warum ich das angeordnet habe, Ed. Wir steigen bei unserem Marsch nach Potosi in Schnee- und Eisregionen auf, und da können wir weder Papageien noch Affen gebrauchen. Dein Sir John würde einen kalten Hintern kriegen und Arwenack …“
„… einen kalten Affenarsch, Sir, ich weiß. Deshalb bleiben sie ja auch zurück“, sagte der Profos friedfertig. Er grinste sogar, als er sich umdrehte.
Der Abschied scheint ihm diesmal gar nicht sonderlich schwerzufallen, dachte Hasard erstaunt. Aber das bewirkte wohl die Aussicht auf das bevorstehende Abenteuer, sonst hätte sich der Profos sicher die Haare gerauft, daß er seinen Liebling zurücklassen mußte.
Die letzten kamen, um sich zu verabschieden, unter anderem auch der grummelnde Wikinger, der behauptete, vor ein paar Nächten sei ihm der Himmel auf den Kopf gefallen. Seinen Helm hatte er wieder ausgeklopft, keine Beule war mehr zu sehen, und schön poliert hatte er ihn auch.
Auf der „Caribian Queen“ wurden die Leinen gelöst. Sie war jetzt zur Genüge bemannt: Hasards Crew, dann die Crew Ribaults und die Männer der Roten Korsarin.
In den Felsen standen die bronzefarbenen Gestalten der Schlangen-Krieger und -Kriegerinnen, die den Männern nachwinkten. Arkana und viele andere säumten die Pier.
Am Ruder des Zweideckers stand Barba, das Monstrum von einem Bootsmann. Er grinste, aber es sah aus, als hätte er die Zähne gefletscht.
Langsam löste sich der Zweidecker und kam frei. Die Segel wurden gesetzt, und dann nahm er langsam Fahrt auf.
Old O’Flynn stierte ihnen wie ein kranker Hund nach. Sein Gesicht war so verrunzelt und von Falten durchzogen, wie sie es lange an ihm nicht mehr gesehen hatten. Sein Bootsmann Martin hockte neben ihm und reichte ihm zur Beruhigung eine Buddel, die O’Flynn jedoch nur griesgrämig anstarrte.
„Die segeln jetzt direkt nach Potosi“, maulte er, „und bringen es fertig, einen alten, kranken Mann einsam zurückzulassen. Eine Schande ist das, sage ich dir, Martin.“
„Jaja“, sagte Martin, „aber die segeln nicht nach Potosi, weil das hoch in den Bergen liegt, wie ich gehört habe. Die segeln nach Arica, weil es in Potosi …“
„Fängst du jetzt auch damit an?“ fauchte der Alte. „Das sind doch nur Ablenkungsmanöver, ich blicke da genau durch.“
„Jaja“, murmelte Martin, damit der Alte endlich Ruhe gab. Der begann ihn ebenfalls langsam mit seinem Potosi zu nerven.
„Sei froh, daß du dein eigenes Schiff hast. Hier bist du dein eigener Herr, auf dem Zweidecker hättest du doch nichts zu melden. Hier bist du Admiral und Kapitän zugleich, kannst auslaufen, wann du willst, und brauchst dich niemandem unterzuordnen.“
„Aber meine Crew besteht nur noch aus einem Mann. Das ist ein bißchen wenig für ein Schiff.“
„Das langt“, sagte Martin trocken. „Du ersetzt glatt drei Mann, damit sind wir wieder komplett.“
„Hm, da ist was dran. Dann gib doch mal die Buddel rüber, dann schluck’ ich für die drei anderen Kerle gleich einen mit.“
Er hob die Rumbuddel und schickte dem durch den Felsendom segelnden Zweidecker einen letzten Gruß nach.
Als die „Caribian Queen“ den Felsendom passiert hatte, griff der Wind und füllte die Segel des düsteren Schiffes, das vormals der Black Queen gehört hatte.
„Ziemliches Gewühl“, sagte Big Old Shane, „das ist man gar nicht mehr gewohnt, mit so vielen Kerlen zu segeln. Sonst fahren wir immer unterbemannt.“
Das fand auch Ferris Tucker, aber man würde sich ja nicht allzulange auf der Pelle sitzen, bis das Ziel erreicht war.
Sie waren jetzt etwa drei Stunden auf See. Die Schlangen-Insel lag weit achteraus und war nicht mehr zu sehen. Kurs Tortuga lag an.
Hasard sah ein paarmal scharf vom Achterdeck zum Vormars, dann schüttelte er den Kopf.
Nach einer Weile glaubte er wieder, etwas gesehen zu haben, doch als er genauer hinblickte, sah er wiederum nichts. Es war ihm, als hätte sich dort ein Mann hinter den Segeln versteckt, denn einmal glaubte er, eine haarige Hand gesehen zu haben.
Natürlich ist das Quatsch, dachte er, denn wer sollte sich da wohl verstecken?
Als er zum dritten Male eine huschende Bewegung sah, ließ es ihm keine Ruhe mehr. Er verließ das Achterdeck und ging zur Kuhl.
Jetzt sah er den „Mann“ ganz deutlich. Er hockte im Vormars, hielt sich mit einer Hand fest und hatte die Zähne zu einem fürchterlichen Grinsen gefletscht. Mit der anderen Hand kratzte er sich die haarige Brust.
Arwenack, der Schimpanse, hing in aller Unschuld da oben, und es hatte verteufelt den Anschein, als grinse er.
Zwischen Hasards Augenbrauen bildete sich eine scharfe Falte des Zorns und des Unmuts.
Das war ja wohl die Höhe! Jetzt befand sich dieses grinsende Affenvieh trotz ausdrücklichem Verbot doch an Bord, und natürlich würde kein Mensch wissen, wie er dahin gelangt war.
Er wollte gerade ein hartes Donnerwetter loslassen, als er zusammenzuckte.
„Fallen Anker! Affenärsche, hopp auf, ihr müden Säcke“, krakeelte eine krächzende Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging. Es folgten noch weitere unflätige Worte und ein übles Gezeter.
„Scheißkahn“, kreischte es noch einmal grell. Unter der Persenning des Beibootes rumorte es.
Hasard war wie erstarrt. Jetzt war nicht nur Arwenack an Bord, was schon gereicht hätte, nein, dieser zeternde Geier hatte ebenfalls das Schiff geentert und steckte unter der Persenning im Beiboot.
Voller Zorn hob Hasard die Persenning an. Heraus flatterte Sir John, ließ etwas auf die Planken klatschen und entschwand mit wildem Flügelschlag kreischend und zeternd zur Großrah. Dort wiederholte er aufgebracht die Worte, die ihm der Profos in liebevoller Kleinarbeit vorgekaut hatte.
Dem Seewolf platzte der Kragen. Sein Gesicht lief rot an. Die Kerle, die eben noch über die Entdeckung gegrinst hatten, blickten jetzt ziemlich verstört drein.
„Was, zum Teufel, habe ich ausdrücklich angeordnet?“ schrie Hasard. „Ich habe gesagt, daß Arwenack und Sir John an Land zu bleiben hätten! Das habe ich ausdrücklich befohlen. Wie sind die Viecher an Bord gelangt, kann mir das vielleicht einer sagen?“
Keiner konnte es, wie er schon angenommen hatte. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, sie waren alle ja sooo unschuldig.
Hasards Zeigefinger deutete auf den Profos, dann auf Batuti, der mit den Augen rollte und sich total hilflos gab.
Arwenack war Batutis Liebling und Sir John der ausgesprochene Liebling des Profos’. Folglich steckten die beiden Kerle dahinter, und hatten ihre Viecher an Bord geschmuggelt.
„Tretet doch mal näher, ihr beiden Halunken!“ rief er. Dann wandte er sich zuerst an Batuti.
„Wie ist der Affe an Bord gelangt, Batuti? Kannst du mir das erklären?“
Batuti sah den Seewolf treuherzig an. Dann hob er hilflos die breiten Schultern und rollte erneut mit den Augen.
„Nix weiß, Sir, wirklich nicht. Ich habe Arwenack zuletzt in Old Donegals Rutsche gesehen, ganz bestimmt, Sir.“
„Beim Biersaufen, was?“ fragte Hasard gallig. „Da hat er wohl eine Runde ausgegeben.“
„Nein, Sir, Arwenack trinkt kein Bier. Missis Mary hat ihm eine Kokosnuß gekauft, und Arwenack hat Milch aus Kokosnuß genuckelt, ganz bestimmt, Sir.“
Hasard sah den Neger biestig an, doch der blickte immer noch so treuherzig, als könne er kein Wässerchen trüben.
„Verdammt noch mal! Profos!“ brüllte Hasard dann.
Edwin Carberry trat einen Schritt vor. Wenn Batuti treuherzig geguckt hatte, dann übertraf ihn dieser narbige Kerl von einem Profos um das Doppelte an schauspielerischem Talent. Der Profos sah wieder mal wie ein Unschuldsengel aus, dem man den Heiligenschein geklaut hat.
„Sir?“ fragte er unsagbar erstaunt und verwundert. „Edwin Carberry meldet sich zur Stelle, Sir.“
„Mister Carberry“, sagte Hasard fast heiser vor Wut. „Kannst du mir vielleicht verraten, wie dieser Geier an Bord gelangte und es fertigbrachte, sich im Beiboot unter einer Persenning zu verstecken? Für eine logische Erklärung wäre ich außerordentlich dankbar, Mister Carberry.“
„Welcher Geier, Sir?“ fragte der Profos harmlos.
Ein so eisiger Blick traf den Profos, daß er unwillkürlich zusammenzuckte.
„Ach, Sir John, Sir? Ja, der Geier, hol’s der Geier! Hm, weiß der Teufel, wie das Vieh an Bord gelangte. Ich war ja auch ganz erstaunt. Da krakeelt er plötzlich los und …“
„Halte keine Volksreden, Mister Carberry“, fauchte Hasard. „Ich will eine klare und schnelle Antwort.“
Inzwischen hatten sich wieder Schaulustige eingefunden, die jetzt ganz offen grinsten. Sogar Mac Pellew sperrte das Maul auf und starrte den Profos an, der sich immer wieder die Hände an den Hosen abwischte, als seien seine Flossen wer weiß wie schmierig. Aber das war bloße Verlegenheit von Ed.
„Ja, wenn ich das nur wüßte, Sir. Ich habe ihn auf der Schlangen-Insel beim Taubenschlag zurückgelassen.“
„Beim Taubenschlag – einen Papagei beim Taubenschlag?“
„Na ja, damit er nicht so einsam ist. Ich dachte, die könnten sich vielleicht etwas unterhalten, die Tauben und Sir John, meine ich.“
„Und jetzt ist er hier an Bord“, sagte Hasard.
„Ja, furchtbar ist das, Sir“, murmelte der Profos, wobei er wieder an der Hose herumwischte.
„Nun, dem werden wir Abhilfe verschaffen“, sagte Hasard kalt. „Das verzögert zwar unser geplantes Unternehmen, aber die Schuld daran werden jene Gentlemen tragen, die die Viecher an Bord geschmuggelt haben. Wir sind jetzt drei Stunden auf See, und drei Stunden brauchen wir für die Rückkehr zur Insel. Bis wir diesen Punkt wieder erreicht haben, ist fast ein Tag vergangen.“
Der Profos schluckte betroffen und sah seinen Kapitän fassungslos an.
„Umkehren, Sir?“
„Ja, umkehren, was sonst?“
„Oh, oh, oh!“ murmelte Mac Pellew. „Da sehe ich schwarz, pechschwarz. Das gibt ein Unglück, wir werden verloren sein.“
„Quatsch kein dummes Zeug, Mac!“ fuhr ihn Hasard an.
„Sir“, sagte Mac Pellew weinerlich. „Es gibt da eine alte Seemannsregel, und die gilt auch für uns. Ein Schiff, das sich bereits auf See befindet, darf nicht noch einmal umkehren – das bringt Unglück. Ich weiß das aus eigener Erfahrung, Sir.“
Mac Pellew begann zu lamentieren und zu nörgeln. Schließlich rang er die Hände und zog ein Gesicht, als seien sie längst untergegangen und müßten um ihr Leben schwimmen. In den düstersten Farben malte er den anderen die Zukunft aus.
Ben Brighton hatte sich unter die Neugierigen gemischt und hörte belustigt zu. Für ihn stand fest, daß die beiden Kerle heimlich die Viecher an Bord gebracht hatten, und auch der Seewolf wußte das. Es ließ sich nur nicht beweisen, zumal beide auch so harmlos taten.
„Es gibt ja noch eine andere Lösung“, sagte Ben sachlich. „Wir können die beiden Tierchen an Bord lassen, wenn wir bei Arica den Landmarsch antreten. Die neuen Schiffe müssen ja sowieso bewacht werden. Dann können sich die Wachmannschaften um Arwenack und Sir John kümmern. Damit wäre der Fall bereinigt.“
„Bereinigt ist er dadurch noch nicht“, sagte Hasard etwas versöhnlicher, „aber dein Argument ist stichhaltig, Ben. Gut, dann lassen wir es dabei.“
Hasards Gesicht wurde ganz ausdruckslos, als er den Profos musterte.
„Sir John tut mir leid“, sagte er, „wir haben gar kein Futter für ihn an Bord, zu dumm, wie?“
Der Profos strahlte über das ganze Gesicht.
„Oh, ich habe zufällig Sonnenblumenkerne und etwas Mais dabei“, sagte er. Dann biß er sich auf die Lippen, als er merkte, daß er Hasard auf den Leim gegangen war.
„Rein zufällig natürlich“, murmelte er. „Wie das so geht. Ich dachte, in der Kiste sei Rum, aber da war Futter drin. Na ja, und so.“
„Was, wie“, sagte Hasard freundlich. „Man sollte dir mal wieder deine Visage etwas geradeklopfen, mein lieber Ed. Du siehst nämlich verdammt schief aus. Vielleicht hängt aber auch nur dein Heiligenschein etwas schief. Der Fall ist damit erledigt.“
Der Profos verdrehte die Augen und schielte nach oben. Hm, sein Heiligenschein hing nicht nur schief, der wackelte ganz beträchtlich. Vielleicht konnte ihm Big Old Shane einen neuen schmieden.
Hasard warf den beiden Sündern noch einen schrägen Blick zu, dann kehrte er aufs Achterdeck zurück.
6.
Bei gutem Nordostwind segelte die „Caribian Queen“ am nächsten Tag vormittags in den Hafen von Tortuga.
Hasard sah sich die Südbucht an, aber dort gab es nichts Auffälliges zu sehen und schon gar nichts, was verdächtig war. Im Hafen lagen lediglich ein paar harmlose Einmaster, kleine Boote, die ganz sicher nicht von Schnapphähnen bemannt waren.
Daß sich noch drei größere Zweimastschaluppen in einer Bucht bei Portugal Point befanden, die an der Ostspitze von Tortuga ankerten, konnte er nicht wissen. Er sah auch nicht den abenteuerlich gekleideten Kerl, der sie heimlich beobachtete.
„Es genügt, wenn du heute abend mit zu Diego gehst“, sagte Hasard zu Siri-Tong. „Ich werde inzwischen mit ein oder zwei Männern hinaufgehen, die Liste mitnehmen und das Zeug ordern. Den Kleinkram können wir heute stauen, das Holz, das Diego in Hispaniola ordern muß, kannst du dann auf der Rückfahrt mitnehmen.“
„Einverstanden“, sagte die Rote Korsarin und gab ihm die Liste, die Hesekiel Ramsgate zusammengestellt hatte.
„Dann sollen mich zwei Mann begleiten“, sagte Hasard.
„Aye, aye, Sir“, sagte der Profos, der wie aus den Planken gewachsen neben dem Seewolf auftauchte. „Ich suche noch einen aus. Ich schlage vor, wir nehmen Ferris mit – wegen des Holzes, Sir.“
„So, du schlägst vor“, entgegnete Hasard. „Wer hat überhaupt gesagt, daß du mich begleiten sollst?“
„Das ist doch Tradition, Sir“, sagte Carberry erstaunt. „Man kann doch nicht einfach Traditionen über den Haufen werfen. Aber wenn du mich nicht willst, Sir, dann schließe ich mich eben solange in der Vorpiek ein und gräme mich. Ich armes Rübenschwein muß ja immer leiden.“
„Du siehst auch genau wie ein vergrämtes armes Rübenschwein aus. Aus gewissen Gründen wollte ich eigentlich auf deine Begleitung verzichten – du kennst ja diese gewissen Gründe.“
Der Profos blickte so mitleidheischend, daß er Hasard schon wieder leid tat. Er sah todunglücklich aus, als müßte er alle seine Freunde persönlich beerdigen. Dagegen war Mac Pellew ein lebenslustiger Springinsfeld. Nein, dieses Leiden-Christi-Gesicht konnte Hasard nicht länger ertragen.
„Geheiligt sei die Tradition. Dann sage Ferris Bescheid, und schlage dir gleichzeitig eine Sauferei aus dem Kopf, denn daraus wird jetzt nichts. Wir ordern nur das, was wir brauchen.“
„An Saufen hätte ich nie gedacht“, entrüstete sich der Profos, „doch nicht jetzt, am hellen Vormittag.“
„Es gibt Leute, die saufen auch am hellen Vormittag, die nehmen auf die Tageszeit überhaupt keine Rücksicht.“
„So was von Unanständigkeit, pfui Teufel. Gegen ein winziges Bierchen am Abend ist ja nichts einzuwenden, aber am hellen Tag …“
Wer den Profos nicht kannte, hätte ihm diese Rolle gutgläubig abgenommen. Entrüstet blickte er sich um, ob etwa solche Kerle in der Nähe standen, die schon am hellen Tag soffen.
„Du würdest einen guten Schmierendrescher bei einer Wanderbühne abgeben, Ed“, sagte Hasard belustigt. „Also vorwärts, wir gehen zu Diego hinauf.“
Kurz darauf verließen Hasard, Ed und Ferris die „Caribian Queen“ und gingen den Serpentinenweg hinauf zur „Schildkröte“.
Um diese Zeit herrschte bei Diego kaum Betrieb. Die Kneipe erwachte erst am Nachmittag zum Leben, und vom Abend bis zum frühen Morgen ging es dann sehr hektisch zu, wenn sich Schnapphähne, Beutelschneider und Huren aller Schattierungen einfanden.
Der dicke Diego stand hinter dem Tresen und zapfte für zwei Gentlemen Bier, die gleich am ersten Tisch hockten. Das waren die einzigen Gäste.
Als er die drei Seewölfe sah, glitt ein freudiges Grinsen über sein Gesicht. Nur bei Carberrys Anblick zuckte er etwas zusammen, das konnte Diego nicht vermeiden. Diese wandelnde Granate flößte ihm immer wieder ein kaltes Grausen ein, obwohl er seinen lieben „Amigo Ed“ gern mochte. Man mußte sich nur immer wieder an seinen Anblick gewöhnen.
Die Begrüßung fiel trotzdem recht herzlich aus, denn die Arwenacks hatten dem Dicken schon oft aus der Patsche geholfen. Diego war so eine Art Ersatz-Plymson aus Plymouth. Er ähnelte dem feisten Wirt aus England nicht nur figürlich, er hatte auch dessen Schlitzohrigkeit und war geldgierig.
Hasard holte die Liste hervor, reichte sie Diego und verklarte ihm, was sie wollten.
Carberry schnappte sich den Bierhumpen, sah Diego an und schüttelte den Kopf.
„Das wäre nun aber wirklich nicht nötig gewesen“, sagte er verlegen, „so früh am Morgen schon. Aber da du mich jetzt schon überredet hast, dann prost, Gentlemen!“
Er nickte den beiden verdatterten „Gentlemen“ sehr freundlich zu, was die mit einem lahmen Grinsen beantworteten.
„Äh, hm“, sagte der eine lahm.
„Ja?“ fragte der Profos höflich.
„Äh, das Bier …“
„Kann ich nur empfehlen“, erklärte Ed. „Es ist frisch und kühl. Sie sollten sich auch eins bestellen, Gents.“
Hasard drehte sich um und warf dem Profos einen straf enden Blick zu.
„Diego war so freundlich“, sagte Ed trocken, „und da wollte ich ihn nicht beleidigen.“
„Ich will auch keinen Krach mit ihm haben“, sagte Ferris und griff nach dem anderen Humpen.










