Seewölfe Paket 22

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Barba warf ihm einen zweiten Blick zu. Dieser Blick war so fürchterlich, daß dem Adjutanten das Blut in den Adern gefror. Er sah das narbige wilde Gesicht und die Pranken, die der Kerl jetzt zu gewaltigen Fäusten schloß. Das ernüchterte ihn recht schnell, und so warf er dem wüsten Kerl nur einen irritierten Blick zu.
Dann drehte er sich um und kehrte an den Tisch zurück, wo die anderen ihn erstaunt ansahen.
„Was ist?“ fragte der Admiral ungeduldig. „Was hat sie gesagt?“
„Sie gab überhaupt keine Antwort, Admiral. Die beiden anderen Kerle auch nicht, sie übersahen mich einfach. Und der Hauklotz da vorn faselte davon, daß er die Kuh fliegen lassen würde.“
„Hier gibt’s keine Kühe“, sagte der Admiral verärgert, „also kann er auch keine fliegen lassen. Der Kerl spinnt wohl!“
„Ich schlage vor, daß wir hier mal andere Saiten aufziehen sollten“, sagte Molino. „Der Kerl pöbelte mich ziemlich übel an. Vielleicht verstehen sie eine andere Sprache besser.“
„Da bin ich ausnahmsweise mal ganz deiner Meinung, Molino. Aber vielleicht hast du etwas falsch gemacht. Ich versuche es noch einmal im guten und werde dir zeigen, wie man eine Dame mit Charme und Grandezza erobert. Paß gut auf, du kannst viel dabei lernen.“
Der Admiral erhob sich, pumpte sich auf und drückte die Brust raus, daß er kaum noch seine Stiefel sehen konnte. Dann stelzte er gespreizt zu der anderen Nische hinüber, wobei er sich kühn und verwegen nach allen Seiten umblickte.
„Jetzt kräht der Gockel selbst“, sagte Carberry, dem absolut nichts entgangen war und der sich über Barbas Spruch köstlich amüsiert hatte.
Jetzt würde wirklich gleich die Kuh fliegen, denn er konnte als „frommer Pilger“ nicht zulassen, daß der Gockel Siri-Tong anquatschte.
Grinsend schob er das Täubchen ein wenig zur Seite und hob seinen Bierhumpen hoch.
Der Admiral mußte an ihm vorbei, wenn er zur anderen Nische wollte.
Carberry grinste so freundlich wie ein Rübenschwein und hob den Humpen noch höher, als der Gockel heranstelzte.
Als Luis Campos auf gleicher Höhe war, den Blick jetzt kühn voraus auf die Nische gerichtet, stellte der Profos ihm ein Bein. Er tat das so ganz nebenbei und nahm auch noch einen Schluck.
Der Admiral sah das Hindernis nicht, weil er seine Brust zu sehr aufgebläht hatte. Er stolperte und fiel der Länge nach auf die Nase.
Carberry begann dröhnend und schadenfroh zu lachen. Auch die anderen brüllten lachend los, als der Admiral bäuchlings auf den staubigen Dielen der Kneipe landete.
Der Profos konnte sich kaum beruhigen. Jetzt hatte er genau das erreicht, was er wollte. Der Stunk war da, also konnte man dem Affen gleich etwas genauer auf den Zahn fühlen.
Luis Campos lief knallrot an. Unbeschreibliche Wut stand in seinen Augen, als er mit einem schnellen Satz wieder auf den Beinen war.
„Welcher Hund war das?“ brüllte er.
„Das war ich, der Bordgeistliche“, sagte Carberry feixend. „Warum mußt du auch über meine Knochen stolpern, du Rübenschwein? Du mußt aufpassen, wo du hinlatschst, klar?“
Luis Campos sah rot. Er hatte auf diesen „Hochwürden“ ohnehin schon eine Wut, die er sich nicht erklären konnte, aber jetzt stellte ihm dieser Kerl absichtlich ein Bein und degradierte ihn bis zur Lächerlichkeit. Das konnte nur mit Blut abgewaschen werden.
Blitzschnell griff er zum Gürtel und zog ein langes, dünnes Messer. Sein Arm holte schon aus, da war diese narbige Visage plötzlich verschwunden. Der Stich ging ins Leere.
In der Nische sprangen die Kerle auf, als wären sie von giftigen Nattern gebissen worden. Sie alle wollten ihrem Admiral zu Hilfe eilen, um die Scharte wieder auszuwetzen.
Poch da waren auch noch die Seewölfe und die Männer von Siri-Tong und Jean Ribault, die bereits auf der Lauer lagen.
Carberry stand seitlich neben dem Admiral, der mit einem lauten Wutschrei herumfuhr.
„Dich bring’ ich um!“ kreischte Campos wild.
„Da mußt du aber eine Culverine nehmen“, schlug der Profos vor, „und nicht den Pikser.“
Sein Arm schoß unglaublich schnell vor, packte das Handgelenk, drehte es hart herum und drückte mit aller Kraft zu, bis dem Admiral das Wasser in die Augen stieg und er das Messer fallen ließ.
Mac Pellew bückte sich, hob es auf und sagte trocken: „Danke, Ed. So was kann man immer in der Kombüse brauchen.“
Der Profos nahm Maß und feuerte seine gefürchtete Rechte ab, eine Faust, die einem explodierenden Faß voller Schießpulver glich. Den Admiral erwischte sie voll auf der Brust. Er raste los, überschlug sich, polterte über die Dielen und schrammte hart an die Theke, hinter welcher der dicke Diego zeterte und jammerte.
Aber Campos war auch hart im Nehmen. Zwar hatte ihm dieser harte Schlag die Luft aus den Lungen getrieben, und er sah ständig rote Nebel um sich kreisen, aber jetzt packte ihn ein unglaublicher Jähzorn, eine wilde, heiße Wut. Er schnappte sich den nächsten Humpen von der Theke und wollte ihn Carberry auf den Schädel donnern.
Nun war Diego ein Mann mit einer Marotte, und die bestand darin, daß er ein ausgesprochener Kakteenliebhaber war. Überall in seiner Kneipe standen die Dinger in Töpfen und Schalen herum.
Was sich schon einmal bewährt hat, dachte der Profos, würde sich auch wieder bewähren, und so schnappte er sich einen großen Kaktus mit langen borstigen Stacheln. Als der Humpen niedersauste, trat Ed blitzschnell zur Seite und drückte dem Admiral den Kaktus ins Gesicht.
Die Antwort war ein wilder verzweifelter Schrei, der in der höchsten Tonlage abrupt abbrach.
Der Admiral hatte die Augen geschlossen und sah aus wie ein Stachelschwein im Rüschenhemd, als hätte er sich tagelang nicht rasiert. Die Stacheln ragten nach allen Seiten aus seinem Gesicht.
„Hau ihm bloß nicht auf die Visage, Ed“, maulte Mac Pellew, „sonst verletzt du dich, und ich kann dir die Stacheln wieder rausziehen, wozu ich heute nicht die geringste Lust habe.“
„Ist gut“, sagte der Profos und setzte dem Admiral die Faust knallhart in den Magen.
Luis Campos brach stöhnend zusammen.
Der Profos hievte ihn am Kragen seiner Jacke hoch und schleppte ihn zur Tür, um ihn draußen abzuladen, „weil Stachelschweine hier nichts zu suchen haben“, doch da traf den Profos selbst etwas ins Kreuz.
In der Kneipe tobte mittlerweile eine prächtige Schlacht. Gerade als Carberry am Schott war, flog ihm ein Mann hart ins Kreuz. Der Riese Barba hatte die Kuh fliegen lassen, einen Kerl am Schlafittchen gepackt und nach alter Manier einfach quer durch die Kneipe gefeuert.
„Nun mal langsam“, brummte Ed, „immer einer nach dem anderen und nur nicht drängeln.“
Er feuerte den Admiral schwungvoll nach draußen und kümmerte sich dann um den Kerl, der ihm ins Kreuz geflogen war. Der wackelte ein bißchen mit dem Kopf und blickte nicht ganz durch. Er grinste auch etwas verzerrt.
„Da geht’s raus“, sagte der Profos, packte den Kerl am Genick und am Hosenboden und feuerte ihn schwungvoll hinterher.
Jetzt war die Holle los. Die Frauenzimmer hatten kreischend das Weite gesucht oder sich in den Nischen verkrochen. Die Kerle des Admirals waren keineswegs zimperlich, aber sie hatten sich ein wenig übernommen, wie sie jetzt feststellen mußten, denn hier kämpften wahre Teufel, die erbarmungslos einen nach dem anderen abräumten und nach draußen beförderten.
Diego jammerte und stöhnte, als ein paar Tische zu Bruch gingen, Barba sich eine Bank griff und damit rundum säbelte. Gleich mehrere Kerle flogen wie Strohpuppen durch die Kneipe.
Mac Pellew klatschte begeistert in die Hände. Die Idee Carberrys, mit Kakteen zu hantieren, fand er geradezu genial. Die Kerle quiekten immer wie die Schweinchen, wenn sie damit drangsaliert wurden, und sie waren auch immer höllisch überrascht, wenn ihnen so ein stachliges Ding unversehens am Hintern hing.
Matt Davies prügelte sich gerade mit einem geiergesichtigen Kerl herum. Er hatte ihm mit seinem Haken schon das Hemd bis zum Gürtel aufgeschlitzt, aber jetzt zog der Kerl ein Messer und hampelte vor der Nische herum, in der Mac Pellew mit seinen stacheligen Wurfgeschossen Aufstellung genommen hatte. Da waren so prächtige Kakteen, die sich „Schwiegermutterstuhl“ nannten und tatsächlich wie ein runder Hocker aussahen. Allerdings war das Sitzen darauf nicht empfehlenswert, denn das Ding bestand fast nur aus üblen Stacheln.
Der Geiermann stieß nach Matt, verfehlte ihn aber.
Mac Pellew hatte den Stachelhocker einladend hingestellt, und als der Geiermann jetzt davorstand, griff Mac nach dem Rest seines aufgeschlitzten Hemdes und zog daran wie an einem Fall.
Der Kerl setzte sich auch prompt. Aber wie! Mac Pellew staunte über die vielseitige Mimik des Mannes. Der brüllte erst einmal wie am Spieß, laut und gellend, dann wurde sein Gesicht faltig und welk, dann wieder ganz glatt und schließlich so verrunzelt wie altes Leder. Er warf auch gleich sein Messer weg, doch damit er nicht auf dumme Gedanken verfiel, stauchte Mac ihn noch ein bißchen, indem er beide Hände auf den schmierigen Schädel drückte.
Der Kerl hampelte, zappelte, kreischte und brüllte. Er schrie immer lauter und griff mit beiden Händen an seinen Achtersteven, wobei er natürlich in die Stacheln griff.
Mac Pellew fand das ausgesprochen lustig. Das war noch prächtiger, als mit Bratpfannen oder Kochlöffeln zu schlagen.
Was ein erwachsener Mann dabei so alles an Tönen von sich gab, war einfach unglaublich. Nicht mal Babys kreischten so laut, wenn sie im eigenen Kielwasser schwammen.
„Jetzt hast du aber lange genug drauf gesessen“, sagte Mac grämlich, „geh runter, ich brauch’ das Ding noch für einen anderen.“
Der Kerl sprang auf und flitzte los, beide Hände auf die Sitzfläche gepreßt, Zeter und Mordio schreiend. Er kannte kein Ziel, er rannte einfach drauflos, bis er in der Nähe der Tür landete.
Dort lauerte der Profos, und als der Kerl heran war, trat er ihm überflüssigerweise noch mit dem Stiefel in den Hintern. Das trieb die Stacheln noch weiter in sein Sitzfleisch. Der Schreihals sauste in die Dunkelheit hinaus und verschwand. Sein Gebrüll war auf ganz Tortuga zu hören.
Molino schließlich schloß auch noch Bekanntschaft mit der stacheligen Flora Tortugas. Er war an Paddy Rogers geraten, der ihn mächtig durchgeklopft hatte. Jetzt rannte er auf Mac Pellew zu, an dem fast alle vorbeimußten, und wollte noch einmal drauf schlagen.
Der zweite Koch der „Isabella“ hielt schnell die Schale vor sein Gesicht. In der Schale befand sich ein recht übler Geselle, klein von Wuchs, aber sehr breit und stachlig. In den schlug Molino mit letzter Kraft hinein. Seine Faust bohrte sich mitten in den Kaktus und blieb darin stecken.
Mac ließ die Schale los und besah sich das Unglück. Molino trug den Kaktus wie einen stacheligen Handschuh. Er riß das Maul auf und brachte es vor Schmerzen nicht mehr zu. Seine Augen waren hervorgequollen, sein Blick total glasig.
„Hilfe“, gurgelte er erstickt.
„Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“, sagte Mac. „Was haust du auch in den unschuldigen Kaktus!“
Der Profos beförderte Molino schließlich hinaus zu dem Haufen, der bereits vor der Kneipe lag. Dann blickte er sich bedauernd um.
„Schade“, sagte er, „aber das war das letzte Rübenschwein. Ging ein bißchen zu schnell, findest du nicht auch?“
„Ja, leider, und dabei sind hier noch so viele von den Stacheldingern. Ich hab’ die Idee von dir übernommen, Ed. Du hast doch hier schon mal einem Kerl einen Kaktus zu fressen gegeben.“
„Ja, ein Soldat war das. Hat ihm gar nicht geschmeckt, das Ding, obwohl es ein Melonenkaktus war. Ich fragte ihn noch höflich, ob es ihm auch schmecke, aber das hat er mit Kopfschütteln verneint. Undank kennt eben keine Grenzen.“
„Ja, da ist was dran“, sagte Mac Pellew tiefsinnig. „Wir sollten ein paar mit aufs Schiff nehmen.“
In der Kneipe sah es wüst aus. Ein paar Bänke waren zu Bruch gegangen, und ein paar Kakteen lagen zermatscht am Boden. Humpen und Flaschen waren umgekippt, und unter einer Bank lag noch ein Kerl, dem beide Klüsen dichtgehauen waren. Er stöhnte leise und begann auf allen vieren durch die Kneipe zu kriechen.
Der Profos goß ihm aus einem Humpen kühles Bier über den Schädel. Der Kerl schlabberte und erkundigte sich dann mit wehleidiger Stimme, ob noch jemand einen ausgebe. Er schien nicht den geringsten Durchblick mehr zu haben.
„Ich“, sagte Ed. „Ich begleite die Gäste immer bis zur Tür.“
Etwas später war auch der Kerl draußen, und die anderen, die sich draußen noch versammelt hatten, machten sich humpelnd und fluchend auf den Weg. Aus weiter Ferne war immer noch ein dünnes, kreischendes Stimmchen zu hören. Es gehörte zweifellos dem Kerl, der auf Mac Pellews „Schemel“ Platz genommen hatte.
„Das muß gefeiert werden“, sagte Ed, „ich denke, wir bleiben bei Lage laufend, wenigstens vorerst.“
„Aber nur bis Mitternacht, Ed“, sagte die Rote Korsarin, „dann brechen wir auf, denn morgen früh segeln wir. Da können wir keine Brummschädel gebrauchen.“
„Aye, aye, Madame“, sagte der Profos grinsend. „Das ist ein Wort. Dann bleiben wir doch bei Lage laufend. Lieber wäre mir allerdings langes Saufen gewesen.“
Diego ging händeringend durch seine Kneipe und besah sich die Trümmerstücke.
„Mein Gottchen“, sagte er weinerlich, „daß das nicht einmal in Ruhe vor sich geht. Immer muß geprügelt werden. Und meine schönen Kaktusse sind auch fast alle hin.“
„Kakteen heißt das“, sagte Mac Pellew. „Das ist nämlich die Mehrzahl von Kaktus.“
„Quatsch, Mehrzahl“, sagte Diego. „Es heißt ja auch Lokusse, und nicht Lokeen. Wo hat die Welt jemals solchen Quatsch gehört! Wer ersetzt mir nun den Schaden?“
„Das übernehmen wir selbstverständlich“, sagte Ribault. „So haben wir es in England immer gehalten, und so halten wir es auch hier. Um Mitternacht rechnen wir ab.“
Pünktlich um Mitternacht brachen sie auf. Zapfenstreich und Abmarsch, denn morgen früh ging es in See.
Daß der Admiral ihnen blutige Rache geschworen hatte, ahnten sie nicht. Der gab sich mit der Niederlage noch lange nicht zufrieden.
9.
Am vierten Oktober gegen neun Uhr morgens lief die „Caribian Queen“ aus und nahm Kurs auf die Windward-Passage.
Sie waren noch keine halbe Stunde lang unterwegs, als der Ausguck drei zweimastige Schaluppen meldete, die achteraus auftauchten und weit hinten im Kielwasser des Zweideckers segelten.
Die Schaluppen waren schnell und wendig, und sie holten erstaunlich schnell auf.
Siri-Tong drehte sich unbehaglich um, denn die drei Schaluppen waren mit Sicherheit nicht zufällig aufgekreuzt und befanden sich auf dem gleichen Kurs wie sie.
Barba nahm den Kieker und blickte lange hindurch. Dann drehte er sich grinsend zu der Roten Korsarin um.
„Das ist Ihr Verehrer von gestern, Madame, der Kerl, der sich Admiral nennen ließ.“
„Der aufgeblasene Gockel aus Diegos Spelunke?“ fragte Siri-Tong erstaunt.
„Ja, genau, Madame. Er steht auf dem Achterdeck der mittleren Schaluppe und beobachtet uns ebenfalls durch ein Spektiv. Sollen wir wieder mal die Kuh fliegen lassen, Madame?“
Siri-Tongs Augen blitzten zornig. Sie war nahe daran, zu explodieren, als sie ebenfalls einen Blick durchs Spektiv warf. Da stand dieser Laffe von gestern tatsächlich auf dem Achterdeck und winkte!
„Klar Schiff zum Gefecht!“ befahl sie. „Hoch mit den Stückpforten. Diesem Kerl zeigen wir es.“
Die Crew rannte auf die Stationen. Kurz darauf flogen die Stückpforten hoch, die Rohre wurden ausgerannt.
Die Rohre waren gerade ausgerannt, als die Schaluppen unvermittelt auf Distanz gingen, was Siri-Tong noch mehr ärgerte. Erregt beobachtete sie, wie die eine Schaluppe mit dem Admiral an Bord im Kielwasser zurückblieb, während die beiden anderen außerhalb der Schußweite heranzogen, als wollten sie den Zweidecker begleiten.
Sie setzten sich querab an die Seiten der „Caribian Queen“, die eine an Backbord, die andere an Steuerbord. Für die Geschütze waren sie nicht zu erreichen.
Das tat der Admiral sehr geschickt. Er hielt so weit Distanz, daß sie nichts ausrichten konnten, sich aber ständig belästigt fühlten.
Siri-Tong ließ an die Schaluppe heransegeln, die sich auf der Backbordseite befand, um den Kerlen eine Ladung zu verpassen.
Doch sobald sie auch nur etwas den Kurs änderte, wich die Schaluppe sofort aus. Drehte sie auf die andere zu, dann wurde drüben das gleiche Manöver ausgeführt. Die Schaluppen waren schneller und wendiger und nicht zu fassen. Siri-Tong sah, daß sie schwer mit Drehbassen bestückt waren.
Noch ein paar Male wiederholte sie das Manöver – immer mit dem gleichen Mißerfolg. Die Kerle auf den Schaluppen grinsten, wie sie durch den Kieker erkannte. Das ließ ihre Wut noch größer werden.
„Die wollen uns vorerst nur ein wenig ärgern“, sagte Hasard beruhigend. „Aber sie werden bei Tage wohl kaum angreifen, das werden sie eher nachts versuchen. Vermutlich wollen sie uns entern.“
„Was ist bei uns schon zu holen“, schnaubte die Rote Korsarin verächtlich.
„Eine ganze Menge. Der Gockel will den Zweidecker haben – und natürlich auch dich, dich wohl ganz besonders, nach allem, was ich von gestern abend gehört habe. Der Kerl soll ja ganz scharf auf dich gewesen sein. Mac Pellew hat mir das erzählt.“
„Dieser aufgeblasene Pfau!“ sagte sie wütend. „Was bildet sich dieses Würstchen denn ein!“
Noch zweimal wiederholten sie das Manöver, indem sie den Kurs änderten, so schnell das möglich war. Doch die Kerle waren auf der Hut und paßten höllisch auf.
Stundenlang hingen sie dem Zweidecker wie Zecken im Pelz, ohne etwas zu unternehmen.
Die Männer wurden schon ganz fuchtig und fluchten erbittert, weil die Halunken einfach nicht zu fassen waren.
„Dem hätte ich die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch abziehen sollen“, knurrte Carberry. „Aber das konnte ja keiner wissen, daß die Galgenstricke drei Schiffe besitzen. Aber wir erwischen sie schon noch, einmal werden sie einen Fehler begehen, diese dreimal verfluchten Läuse.“
Es war wirklich lästig, die Kerle immer um sich zu haben. Der Admiral nervte sie an diesem Tag ganz gehörig. Hin und wieder ließ er etwas heranstaffeln, und wenn sie auf der „Caribian Queen“ wütend reagierten und den Kurs änderten, zog er die Schaluppen sofort aus dem Schußbereich.
Das ging den ganzen Tag so und zog sich bis in die Nacht hin.
Die Kerle auf der Admiralsschaluppe sahen noch reichlich lädiert aus. Einer hatte die Augen so dicht, daß er kaum noch etwas sah. Ein anderer hatte ein faustgroß angeschwollenes Ohr und dunkelblaue Blessuren an der Stirn, wo ihn eine Faust getroffen hatte, und der Adjutant hockte mit schmerzverzogenem Gesicht an Deck und pulte sich die Stacheln aus der Hand. Die Hand war fast zu doppelter Größe angeschwollen und schmerzte fürchterlich.
Am schlimmsten aber war der Kerl dran, der sich auf Mac Pellews „Spezialschemel“ gesetzt hatte. Der mußte zu dem Schmerz auch noch den Spott ertragen, mit dem die anderen nicht geizten. Er konnte nur noch auf dem Bauch schlafen, und wenn er sich bewegte, dann verzog er jedesmal das Gesicht. Er hatte immer noch den Hintern voller Stacheln und war dementsprechend launisch. Quatschte ihn einer provozierend an, dann ging er gleich mit den Fäusten auf ihn los.
Luis Campos selbst hatte einen Brummschädel und gehörige Schmerzen auf dem Brustkasten und den Rippen. Er konnte nur ganz flach atmen. Aber er steckte voller Haß bis an die Ohren, und er hatte sich geschworen, diesen Kahn zu entern, und wenn er dabei zum Teufel ging.
Es beruhigte ihn zumindest, daß sie auf dem Zweidecker langsam, aber sicher nervös wurden. Mit seinen Kapitänskumpanen hatte er das Vorgehen genau abgesprochen, und die hielten sich daran.
„Wir werden dieses Weib kriegen“, sagte er zum Adjutanten. „Und das Schiff natürlich auch. Dieses schwarzhaarige Biest wird auf den Planken vor mir herumkriechen und um meine Gunst winseln. Und den Kerl, der mich so hinterhältig verprügelt hat, den hänge ich als ersten an die Großrah des Zweideckers.“
„Und ich bringe den Hund um, der mir diese Hand beschert hat“, schwor der Adjutant zornig. „Ich habe mir diese Schnauze ganz genau gemerkt. Der sah aus wie ein faltiger Trauerkloß, als wollte er jeden Augenblick losheulen, so richtig grämlich und verbiestert. Den hänge ich neben dem anderen Kerl an die Rah.“
Er laberte dem Admiral vor, was er alles tun würde, wenn sie den „Mistkahn“ erst einmal geentert hatten, bis es dem schließlich zu dumm wurde.
„Halt jetzt dein Maul und nerv mich nicht!“ schrie er den Adjutanten laut an. „Oder ich hau’ dir was auf die Schnauze. Ich habe andere Sorgen als dein dummes Geschwätz. Oder siehst du nicht, daß ich scharf nachdenke?“
„Verzeihung, Admiral“, murmelte Molino. Dann drehte er sich um und zupfte weiter an seinen Stacheln in der Hand herum. Es waren so viele, daß er sie nicht einmal zählen konnte.
Der Admiral aber dachte nur noch an das schwarzhaarige Teufelsweib und das Schiff. Er gab den anderen ein Zeichen, wieder etwas näher heranzustaffeln. Dann grinste er, als der Zweidecker den Kurs änderte und wütend auf die Schaluppe lossegelte. Die wich sofort aus und ging auf Distanz, während der Zweidecker wieder auf den alten Kurs zurückfiel.
Das Spielchen bereitete ihm Spaß, und sobald Manöver gefahren wurden, schnappte er sich den Kieker und blickte aufs Achterdeck, wo die schwarze Schöne stand. Deren Gesicht war vor Wut, Zorn und Hilflosigkeit knallrot angelaufen.
„So ist’s richtig“, murmelte er. „Du wirst mir noch aus der Hand fressen, das verspreche ich dir. Kurz vor Morgengrauen, wenn ihr gar nicht damit rechnet, greife ich an.“
Zufrieden beobachtete er, daß alles so lief, wie er sich das vorgestellt hatte.
In der Nacht schien der Mond hell. Auf dem Zweidecker paßten alle scharf auf und hielten die Schaluppen pausenlos im Blickfeld.
Der Wind wehte aus Nordost. Die „Caribian Queen“ stand am Ausgang der Windward-Passage und steuerte auf die Südwestspitze von Haiti zu.
Es war kurz vor der Dämmerung. Die Rote Korsarin hatte ein paar Stunden geschlafen, aber vor Wut und Ärger keine rechte Ruhe gefunden, weil die Schaluppen sie immer noch begleiteten und keine Anstalten zum Angreifen unternahmen.
Seit zwei Stunden befand sich Dan O’Flynn im Ausguck, weil er die schärfsten Augen von allen hatte, Adleraugen, denen nichts entging, wandelnde Kieker, wie der Profos das nannte.
Alle Mann waren immer noch auf Stationen. Die Rohre waren geladen und besetzt.
„Deck!“ rief Dan. „Die beiden Schaluppen staffeln von außen heran. Die letzte bleibt im Kielwasser zurück auf Distanz.“
„Na endlich“, sagte Siri-Tong wie erlöst. „Endlich tut sich etwas. Wurde auch höchste Zeit.“
„Ja, sie staffeln heran, unauffällig, aber unverkennbar“, sagte Hasard. „Der Admiral nutzt geschickt das Zwielicht aus. So dumm ist der Kerl gar nicht.“
An den Kanonen lauerten die Schützen, denn auch sie sahen jetzt, daß die Schaluppen sich näherten. Undeutlich waren die Kerle als Schemen hinter den Drehbassen zu erkennen. Nur der Admiral hielt sich mit seinem Zweimaster höflich zurück. Vermutlich wollte er wohl erst seinen Kumpanen den Vortritt lassen und sehen, wie sich das Ganze entwickelte.
In Siri-Tongs dunklen Augen blitzte ein Licht auf. Die Entfernung betrug noch etwa hundertzwanzig Yards, schließlich verkürzte sie sich auf gut hundert. Damit befanden sich die beiden Schaluppen genau im Schußbereich. Sie zögerte jetzt keine Sekunde mehr.
„Oberes Batteriedeck: Feuer frei, Breitseite!“ befahl sie.
Durch den Zweidecker ging ein wildes Aufbrüllen. In allen Planken dröhnte und knackte es, als die schweren Brocken vom oberen Batteriedeck ihre Breitseite ausspuckten.
Lange Feuerlanzen stachen durch die morgendliche Dämmerung und tauchten das Schiff sekundenlang in grelles Licht. Der Zweidecker krängte leicht über.
Eine zweite wilde Erschütterung durchlief das Schiff, als auch die andere Breitseite losdonnerte.
Der Pulverqualm wurde vom Wind verweht und trieb als langgezogene Wolke über das Wasser.










