Seewölfe Paket 22

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„Anpacken“, sagte Shane zu Batuti. „Wir bescheren den Himmelhunden ein paar heiße Minuten, mein Junge. Hast du auch genüg Zielwasser getrunken?“
„Heißes Wasser mit Rum“, erwiderte der Gambia-Mann grinsend.
„Das dürfte genügen.“
„Und nachher gibt’s eine Extraration“, sagte Siri-Tong.
„Drei Hurras“, sagte Big Old Shane und begann, die Bogensehne zu spannen. „Und jetzt Dampf. Gleich der erste Pfeil muß sitzen.“
Auf Parallelkurs segelten die beiden Zweimastschaluppen des Luis Campos, die eine unterhalb des Kielwassers der „Caribian Queen“, also südlich versetzt, die andere oberhalb und somit nördlich. Sie lagen auf Backbordbug und befanden sich auf Rufweite. An Bord der Schaluppe in Lee – südlich – befand sich der Admiral. Aus schmalen Augen beobachtete er den Zweidecker, und seine Miene war etwas verkniffen.
Bei aller Eitelkeit und Gespreiztheit zählte er zu jener Sorte, die sich nicht so leicht von einem einmal ins Auge gefaßten Ziel abbringen ließ. Er wollte den Zweidecker und die Frau, diese atemberaubende, faszinierende Eurasierin, haben. Ganz davon abgesehen hegte er aber auch Rachegelüste, einmal wegen der Dresche, die er und seine Spießgesellen in der „Schildkröte“ auf Tortuga bezogen hatten, zum anderen wegen des Verlustes der dritten Schaluppe, von der noch zehn Mann hatten geborgen werden können.
Fünf Kerle waren ertrunken oder im Beschuß des Zweideckers tödlich verletzt worden. Auf beiden Schaluppen befanden sich jetzt je zwanzig Mann, und jeweils ein Ausguck stand vorn am Bug und spähte unausgesetzt zum Feind hinüber. Diese beiden Männer hatten den strikten Befehl, ausschließlich das Schiff im Auge zu behalten und jede Kursänderung oder welches Manöver auch immer unverzüglich zu melden.
Campos hatte die Absicht, den ganzen Tag über Fühlung zu halten und in der Nacht dann noch einmal einen Enterversuch zu unternehmen. Zwar war ihm inzwischen klar geworden, daß er die „Caribian Queen“ nicht mal eben so „im Vorbeigehen“ vereinnahmen konnte. Auch wußte er mittlerweile, daß er es mit einem äußerst harten und kampftüchtigen Gegner zu tun hatte. Aber dennoch rechnete er sich Chancen aus, wenn er nach Mitternacht aus dem dunklen Sektor der See heraus schnell und überraschend mit beiden Schaluppen längsseits ging und enterte.
Doch die Umstände waren nicht so vielversprechend und günstig, wie er sich das ausmalte. Mit anderen Worten: Der Einsatz seiner Männer ließ schon jetzt zu wünschen übrig. Sie waren von den beiden Auseinandersetzungen mit dem Gegner entnervt und verbiestert, und irgendwie spürten sie, daß sie sich auch ein drittes Mal die Zähne ausbeißen würden – an der „Chinesenhure“ und ihrem verfluchten Schiff, auf dem sich eine Ansammlung von Teufeln zu befinden schien.
Der Bugausguck in der Schaluppe des Admirals beispielsweise stand da und schlief mit offenen Augen. Was schert mich der Zweidecker, dachte er immer wieder, soll er doch zum Teufel gehen.
Sein Kumpan auf der anderen Schaluppe war auch nicht sehr viel aufmerksamer. Hinzu kam, daß sich zwei seiner Mitstreiter vorn auf der Back in die Haare geraten waren. Sie stritten sich wegen einer Wette herum.
„Und ich hab’ doch gewonnen!“ stieß der eine aus. „Wetten, daß der Wind aus Nordosten anhält, hab’ ich dir gesagt! Und das tut er auch, verdammt noch mal!“
„Er dreht auf Osten!“ rief der andere.
„Ist nicht wahr! Er weht noch immer aus Nordosten!“
„Du bist ein blöder Hund und willst mich an der Nase herumführen!“ zischte der zweite Kerl. „Aber ich kriege einen Silberling von dir, und nicht du von mir!“
„Soweit kommt’s noch, du Geizhals!“
„Wie hast du mich genannt?“
„Einen dummen Sack!“
Gleich prügeln sie sich herum, dachte der Ausguckposten, und mit höhnischem Grinsen sah er ihnen zu, wie sie drohend ihre Fäuste bewegten. Der Schaluppenführer sah zwar auf und begann zu fluchen, aber das schien auch nicht mehr viel zu nutzen. Die beiden Streithähne waren voll in Fahrt und schickten sich an, aufeinander loszugehen.
Inzwischen waren auch die Männer an Bord der Campos-Schaluppe auf die Auseinandersetzung aufmerksam geworden und reckten die Hälse. Der Ausguck im Bug versuchte immer wieder, sich durch Seitenblicke ein Bild von der Lage drüben zu verschaffen.
Mann, die hauen sich gegenseitig die Jacke voll! dachte er.
Der Admiral fuhr hoch. „Was ist da drüben los?“ schrie er. „Was zum Teufel hat das zu bedeuten?“
„Du Schwein!“ schrie der erste Streithahn. „Dir geb’ ich was aufs Auge, und dann hole ich die Silberlinge aus dir raus, einen nach dem anderen!“
„Du kannst mich kreuzweise!“ brüllte der zweite. „Keine müde Münze kriegst du von mir!“
„Aufhören!“ schrie der Admiral. „Seid ihr verrückt? Ich peitsche euch aus, ihr Hunde!“
Sie schienen es nicht zu hören. Der erste hieb seinem Kumpanen was an die Ohren, und dieser begann zu wanken, quittierte den Ausfall aber mit einem Haken, der ebenfalls traf, und zwar die Bauchgegend des Kerls. Beide fluchten und stöhnten, aber dann brach das Unheil über die Schaluppen her, und die Wette und der Streit und alles andere waren mit einem Schlag vergessen.
Beide Ausgucks hatten nicht bemerkt, daß man inzwischen dem Zweidecker aufzusegeln begann, weil bei diesem die Segel nicht mehr voll zogen. Sie killten zwar noch nicht, waren jedoch so gestellt, daß sich ihre Vortriebskraft beträchtlich verminderte. Und jetzt, in diesem Moment, stieg der erste Pulverpfeil von Big Old Shane und Batuti vom Heck der „Caribian Queen“ auf und senkte sich im wahrsten Sinne des Wortes aus heiterem Himmel auf die Schaluppe von Luis Campos.
Der Pfeil sauste fast senkrecht von oben zwischen Vormast und Großmast nach unten, durchschlug ein Stück gewachstes Segeltuch, mit der die Mittschiffsluke abgedeckt war, und explodierte im mittleren Laderaum. Campos selbst und ein paar andere Kerle hatten lediglich etwas Huschendes gesehen, und bevor sie begriffen, um was es sich handelte, war die Hölle los.
Die Detonation ließ die Schaluppe erzittern, ein Feuerblitz schoß aus der Luke hoch, und eine fette Qualmwolke stieg auf. Die Männer brüllten und fluchten durcheinander, rempelten sich gegenseitig an und stolperten über ihre eigenen Füße. Ein dicker Kerl, der auf den Namen El Gordo hörte, wurde glatt umgerissen und landete mit hörbarem Krachen und Poltern auf den Planken.
„Dämonen!“ schrie einer von ihnen. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu!“
„Ja, hier spukt’s!“ brüllte ein anderer.
Die entsetzte Überraschung war im Explodieren der Pulverladung vollkommen. Die Kerle glaubten tatsächlich an ein Werk des Teufels, und für kurze Zeit war die Wuhling total. Verblüfft blickten auch die Männer der zweiten Schaluppe zu Campos’ Zweimaster, und fragende Rufe wehten zum Admiral und dessen Meute hinüber.
„Was ist los?“
„Was ist passiert? Was hat das zu bedeuten?“
Campos, El Gordo und die anderen waren inzwischen wie gelähmt und richteten ihre starren, entgeisterten Blicke auf die noch qualmende Luke.
„Das ist die Rache der Wasserdämonen“, murmelte einer von ihnen.
„Hör mit diesem dämlichen Quatsch auf!“ fuhr der Admiral ihn an. „Wer glaubt denn an so was? Wir …“
Weiter gelangte er nicht, denn genau in diesem Moment huschte das Unheil erneut heran. Ein zweiter Pfeil raste zischend und qualmend auf den Zweimaster nieder und verschwand im Laderaum.
„Nein!“ brüllte der Admiral. „Aufhören!“
Dann explodierte auch dieser Pfeil, und wieder herrschte Zustand. Die Kerle stießen die übelsten Verwünschungen aus, und El Gordo rammte den ihm am nächsten Stehenden die Ellenbogen in den Leib, so daß es dieses Mal sie waren, nicht er, die zu Boden gingen.
Inzwischen war es Luis Campos, der als erster begriff, was sich abspielte. Er ballte die Hände zu Fäusten und zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. Ja, jetzt sah er es: Mit einem Blick voraus zur „Caribian Queen“ erkannte er, daß sie ihr aufgesegelt waren. Gleichzeitig gewahrte er auch, daß an ihrem Heck etwas in die Luft aufstieg – ein Pfeil, der in einer Kurve in den Himmel raste, seinen Scheitelpunkt erreichte und sich dann wieder senkte.
„Hölle!“ Mit diesem Aufschrei und einem einzigen Satz war Campos bei seinem Rudergänger, stieß ihn zur Seite, legte Ruder und fiel mit der Schaluppe ab. Sehr schnell gehorchte sie dem Manöver und drehte den Bug nach Südwesten. Fast glaubte Campos, aufatmen zu dürfen. Und doch gab es keinen Grund dafür.
Denn der dritte Pulverpfeil, der von Big Old Shane und Batuti abgefeuert worden war, war dieses Mal für die andere Schaluppe bestimmt, auf der man die beiden Explosionen an Bord der Admiralsschaluppe zwar gehört hatte, sie aber nach wie vor nicht zu deuten wußte. Während diese Kerle noch zu ihrem Anführer und dessen Mannschaft blickten, zischte der Pfeil in die Back ihrer Schaluppe und flog dort mit einem heftigen Knall auseinander.
„Nein!“ Einer der beiden Kerle, die sich vorher miteinander gestritten hatten, schrie es und stürzte nach achtern. Sein Kumpan folgte ihm. Aber der Ausguck hüpfte brüllend herum, weil ihm etwas glühend Heißes ans Bein geflogen war.
„Abfallen!“ brüllte Campos zu seiner Schaluppe Nummer zwei hinüber. „Raus aus der Schußrichtung, ihr Idioten! Das sind Pfeile!“
Pfeile? Erst jetzt begriff der Schaluppenführer, was los war. Er wollte das Ruder packen und das Manöver nachvollziehen, das der Admiral gerade durchführte, aber er hatte nicht die geringste Chance, dadurch Pfeil vier zu entgehen.
Der nämlich surrte gerade von der Sehne des Eibenbogens. Dieses Mal handelte es sich um einen Brandpfeil. Er näherte sich mit hoher Geschwindigkeit und traf mit geradezu unheimlicher Präzision sein Ziel. Er schlug in den Großmast der Schaluppe zwei, blieb stecken und brachte das Holz zum Schwelen und Kokeln.
„Es brennt!“ schrie einer der Streithähne.
„Hilfe, ich bin verwundet!“ brüllte der Ausguck, der immer noch Schwierigkeiten mit seinem Bein hatte.
Aber jetzt raste schon wieder ein Pulverpfeil vom Heck der „Caribian Queen“ auf die Schaluppe zwei zu. Er stieß auf ihren achteren Bereich hinunter und explodierte genau neben dem Rudergänger.
Ein gellender Schrei wehte über die See. Die Explosion hieb den Kerl um. Augenblicklich lief die Schaluppe aus dem Ruder und schoß in den Wind. Ja, sie drehte nach Luv hoch, statt abzufallen, und das Geschrei und das Fluchen an Bord wollte nicht mehr aufhören.
„Ihr blöden Hunde!“ brüllte Campos zu ihnen hinüber. „Bringt euch in Sicherheit!“
Campos hatte beim Abfallen unterdessen halsen lassen und gab Fersengeld nach Osten. So entfernte er sich rasch wieder aus der gefährlichen Nähe des Zweideckers, die Pfeile konnten ihn nicht mehr erreichen.
„Pützen her!“ schrie er. „Wasser schöpfen! Schüttet es in den Laderaum! Beeilung! Wird’s bald?“
Allmählich kehrte die Disziplin an Bord zurück, und die Kerle führten seine Befehle aus. Es zischte im Laderaum, als das Wasser in das entstandene Feuer klatschte. Ein scharfer, beißender Geruch breitete sich aus.
Auf der Schaluppe zwei herrschte unterdessen nach wie vor schlimmster Zustand. Keiner wußte, was er tun sollte. Das Schicksal, das den Rudergänger getroffen hatte, setzte den anderen zu, so hartgesotten sie auch waren. Er war schwer verletzt und wälzte sich in seinem Blut. Seine Schreie waren furchtbar. Der Schaluppenführer versuchte, etwas für ihn zu tun, aber er sah, daß jede Hilfe zu spät kam.
Der Ausguck war im Bug zusammengesunken und hielt sich das schmerzende Bein.
„Santa Madre de Dios“, murmelte er. „Heilige Mutter Gottes – jetzt kommen sie.“ Er blickte zur „Caribian Queen“, und seine Augen weiteren sich in namenlosem Entsetzen.
4.
Hasard stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“, nicht weit von Shane und Batuti entfernt. Dieses Mal sparte er nicht mit lobenden Worten, denn die beiden Teufelskerle stellten wirklich unter Beweis, daß sie ihr Metier verstanden. Keiner konnte mit diesem Bogen besser umgehen als sie, und keiner vermochte so viele Treffer zu erzielen. Alle Pfeile saßen im Ziel – eine erstaunliche Leistung.
Sofort erfaßte Hasard die Situation, als die eine Schaluppe abfiel und die andere in den Wind schoß. Er fuhr herum, mit dem Blick suchte er Siri-Tong. Sie stand am Steuerbordschanzkleid und sah zu ihm.
„Achtung!“ rief er ihr zu. „Die Lage solltest du jetzt nutzen!“
Auch sie hatte begriffen. „Anluven!“ rief sie. „Barba! Ruder legen, wir drehen nach Norden hoch!“
„Aye, Sir!“ stieß Barba grimmig hervor. „Sofort, Madam!“
Dann drehte sich der Bugspriet der „Caribian Queen“ nach Norden, und mit einem raschen, behenden Überstag-Manöver ging sie durch den Wind und segelte hart am Wind über Steuerbordbug an die Schaluppe Nummer zwei heran, auf der immer noch alles drunter und drüber ging.
„Klar zum Gefecht!“ rief Siri-Tong.
Längst waren die Geschütze wieder ausgerannt, und die Männer standen an den Kupferbecken mit den Luntenstöcken in den Händen bereit. Sie entfachten die Enden der Zündschnüre, blickten zu Siri-Tong und warteten ihren Befehl ab.
Der ertönte jetzt, denn der Zweidecker war nahe genug an die Schaluppe herangesegelt.
„Feuer frei!“ schrie Siri-Tong – und schon senkten sich die glimmenden Lunten auf die Bodenstücke der Kanonen.
Zu spät, viel zu spät reagierten die Kerle an Bord des Zweimasters. Sie schrien noch auf, gestikulierten und stürzten an die Waffen, aber der Beschuß war vernichtend.
Als erstes gerieten sie in das Drehbassenfeuer der Backbordseite des Zweideckers. Die Kugeln rasten über die Piraten hinweg, zerhackten das Rigg und rissen das Großsegel mitsamt der Gaffel nach unten. Da war es vorbei mit der Wendigkeit und Schnelligkeit der Schaluppe, sie konnte ihrem Gegner nicht mehr entwischen.
Mit den schweren Stücken der „Caribian Queen“, die jetzt dröhnend ihre Ladungen entließen, war das Schicksal der Schaluppe und ihrer Besatzung endgültig besiegelt. Es krachte und donnerte, knackte und splitterte, und Trümmerteile wirbelten durch die Luft. Ein einziger gellender Schrei ertönte noch.
Pater David blickte zu den Gestalten, die wie Puppen durch die Luft flogen und im Wasser landeten. Er bekreuzigte sich und sagte: „Gott sei ihren armen Seelen gnädig. Herr, vergib ihnen, denn sie wußten nicht, was sie taten.“
Das Grollen des Donners verebbte, Stille trat ein. Zerschossen ging die Schaluppe auf Tiefe. Nur wenige Atemzüge dauerte es, dann war sie verschwunden.
„Nun sinkt sie in Gottes tiefen Keller“, sagte Pater David. „Und dort finden diese Männer endlich ihre Ruhe.“
Mulligan stand neben ihm. „Ob das wohl jemals aufhören wird, Pater? Daß man sich gegenseitig an die Gurgel geht, meine ich.“
„Es liegt in der Natur des Menschen.“ Der Gottesmann war ein nüchterner und klarer Denker, der den Tatsachen ins Auge sah und die Realitäten nahm, wie sie waren.
„Auge um Auge, Zahn um Zahn, so steht es in der Bibel, nicht wahr?“ sagte Mulligan. „Aber man soll auch dem, der einen schlägt, die andere Wange hinhalten. Wie paßt das zusammen? Nein, das geht doch nicht. Das wird nie funktionieren.“ Er blickte zu der Schaluppe des Admirals, die inzwischen nur noch ein Punkt an der östlichen Kimm war. „Lieber wäre mir gewesen, wir hätten die andere Schaluppe erwischt. Auf der befindet sich nämlich dieser Kerl, dieser Hund von einem Admiral. Der verheizt seine Männer, und es ist ihm völlig egal. Aber wie lange sie noch mitmachen, weiß ich nicht.“
„Du glaubst, seine Crew könnte gegen ihn meutern?“ fragte Baxter.
„Ja.“
„Das würde unser kleines Problem ganz von allein lösen“, meinte Pater David.
Inzwischen hatten die Männer der drei Crews aufgeatmet, und auch die Rote Korsarin und Araua zeigten erleichterte Mienen. Die Bedrohung durch die Zweimastschaluppen hatte sich zu einer permanenten Gefahr auszuweiten gedroht, aber jetzt schien sie vorläufig gebannt zu sein. Der Admiral hatte zwei von seinen ursprünglich drei Schiffen verloren – wenn er jetzt noch einmal einen Angriff wagte, mußte er wirklich den Verstand verloren haben.
„Eins steht fest“, sagte der Seewolf lächelnd, als sich Shane und der Gambia-Mann zu ihm umwandten. „Deine Idee hat eine glänzende Feuerprobe bestanden, Shane.“
„Danke. Na ja, so toll war’s nun auch wieder nicht. Vielleicht kann man an der Methode auch noch einiges verbessern“, sagte der graubärtige Riese bescheiden und auch ein bißchen verlegen.
„Jetzt hat auch der Admiral die Hosen voll“, sagte Batuti. „Und wir sind ihn los.“
„Nicht zu früh triumphieren“, warnte Hasard. „Es sind immer noch alle Möglichkeiten offen, vergeßt das nicht, und man darf nie etwas ausschließen.“
„Ja, sollte uns denn eine einzige Schaluppe noch Kopfzerbrechen bereiten?“ rief Juan.
„Möglich wäre es“, erwiderte Siri-Tong. „Aber das lassen wir auf uns zukommen. Im übrigen sollten wir uns die Sache mit dem Bogen für künftige Fälle merken. Es ist wirklich gut, daß dir das eingefallen ist, Shane.“
„Ja, ja“, sagte der und wurde noch etwas verlegener. „Aber es hätte nicht so gut geklappt, wenn Al nicht auf die Sache mit der Bleibeschwerung hingewiesen hätte.“
„Natürlich, ein Lob steht auch unserem Al zu“, sagte Hasard. „Die Pfeile waren vorn ballistisch hervorragend getrimmt, das habe auch ich gesehen.“
„Es war mein Einfall, aber Shane hat das Blei drauf genagelt“, sagte Al.
„Mann, ihr seid alle ganz schön bescheiden“, sagte Dan O’Flynn, der inzwischen längst wieder an Deck war. „Aber wie ist das, wollen wir unseren Sieg nicht gebührend feiern? Hab’ ich vorhin nicht was von einer Extraration Rum gehört? Oder täusche ich mich?“
„Her mit dem Rum!“ rief die Rote Korsarin – und vorn, in der Kombüse, waren Gerumpel und ein paar saftige Flüche zu vernehmen. Schließlich stolperte Cookie ins Freie und sagte: „Verdammt noch mal, Mac hat mir schon wieder auf die Füße getreten.“ Die Flasche Rum und einige Mucks hatte er aber dabei.
„Mit Absicht?“ fragte Jeff Bowie grinsend.
„Nein, mit voller Wucht.“
„Die Kombüse ist zu voll“, sagte Carberry. „Das habe ich vorhin schon festgestellt. Aber auf mich hört ja keiner.“
„Fangt jetzt nicht wieder damit an!“ rief die Rote Korsarin. „Ich will von der Kombüse nichts mehr hören, verstanden?“
„Aye, aye“, brummelten die Männer – und dann wurde der Rum ausgeteilt, und sie stießen lachend miteinander an.
„Eins kommt bei der Geschichte mit dem Langbogen noch hinzu“, sagte Jean Ribault auf dem Achterdeck. „Bei Pfeil und Bogen ist die Schußfolge natürlich erheblich schneller als bei den Feuerwaffen. Das hat sich deutlich ausgewirkt.“
„Ja“, pflichtete Hasard ihm bei. „Bei unseren Kanonen und Musketen haben wir das umständliche Auswischen und Nachladen, das viel zuviel Zeit erfordert. Es gibt zwar Waffen wie den Radschloß-Drehling und den Schnapphahn-Revolverstutzen, aber die sind auch noch nicht der Weisheit letzter Schluß.“
„Am besten sind da noch die Drehbassen“, sagte Al Conroy. „Weil sie hinten geöffnet werden, ist man mit dem Nachladen etwas schneller fertig.“
„Aber auch das Will gelernt sein“, sagte Siri-Tong. „Eine ungeschickte Ladenummer kann da sehr viel verpatzen.“
„Ob das Problem eines Tages wohl noch mal gelöst wird?“ fragte Karl von Hutten, der gerade zu ihnen getreten war.
„Mit Sicherheit“, erwiderte Ribault. „Aber das wird wohl noch ein paar Jahrzehnte dauern.“
„Jahrhunderte“, sagte Hasard. Er hatte seine Muck geleert und warf wieder einen prüfenden Blick zur östlichen Kimm. „Aber darüber sollten wir uns jetzt keine Gedanken machen. Der Admiral ist verschwunden. Wir können unsere Reise fortsetzen.“
„Sollte der Narr wirklich noch mal auftauchen, kriegt er einen Pfeil in den Achtersteven“, sagte Shane. „Sollte er wirklich so dumm sein, kommt er nicht mehr mit heiler Haut davon.“
„Laßt uns in Ruhe abwarten, was weiter geschieht“, sagte die Rote Korsarin.
Jean Ribault mußte unwillkürlich grinsen. „Ich sage, daß er doch ein hartnäckiger Verehrer ist, dieser Admiral. Er ist vernarrt in dich.“
„Ich bin entzückt!“
„Ich meine, er steigt vielleicht doch noch an Bord und versucht, dich zu verführen“, fuhr Ribault unbeirrt fort. „Was tust du dann?“
„Ja, was tue ich dann wohl?“
„Nimm mal an, er bedroht dich mit einer Pistole oder so.“
„Das heizt mal wieder deine schmutzige Phantasie an, was?“ stieß sie aufgebracht hervor. „Aber das sieht dir ähnlich. Hör bloß auf, mich damit anzuöden. Ich finde das kaum noch lustig.“
„Aber, Madam!“ rief Barba mit seiner dröhnenden Baßstimme. „Wir würden dich doch verteidigen – alle Mann!“
„Zur Hölle mit dem Admiral“, sagte Siri-Tong und übersah Hasards Lächeln. „An die Arbeit jetzt! Alle Mann auf ihre Posten! Wir gehen wieder auf Kurs Südsüdwest!“
Kurze Zeit darauf lag die „Caribian Queen“ wieder auf ihrem alten Kurs und pflügte bei anhaltendem Wind aus Nordosten die See. Die Männer verrichteten ihren normalen Decksdienst und stellten dabei die unterschiedlichsten Überlegungen an.
Hatte Campos die Nase voll? Oder hatte er die Lektion immer noch nicht begriffen? Nun, sie wußten nicht, wie der Kerl sich verhalten würde, aber die nächsten Stunden würden zeigen, wie weit sein Starrsinn und seine Verbohrtheit gingen.
Mit finsterer Miene hockte Luis Campos auf der achteren Segellast seiner Schaluppe. Dieser schlanke und geschmeidige Mann trug ein schwarzes Spitzbärtchen, kleidete sich wie ein Pfau und benahm sich dabei auch sehr gespreizt. Was Frauen betraf, hielt er sich für unwiderstehlich. Er stammte aus Portugal und hatte in der Karibik eine Horde von nahezu vier Dutzend Schnapphähnen aus aller Herren Länder um sich versammelt. Sie waren Abenteurer und Deserteure, entlaufene Sklaven oder ganz einfach auch Faulpelze und Glücksritter, die sich einbildeten, auch ohne Arbeit schnell reich zu werden.
Campos war ein größenwahnsinniger, aber nichtsdestoweniger gefährlicher Mann, verschlagen und ohne Skrupel, dabei aber auch ziemlich intelligent. Er ließ sich mit „Admiral“ anreden, und die Kerle kuschten vor ihm, weil er sehr schnell mit dem Messer bei der Hand war. Er verstand sich aufs Kämpfen und auch auf die Seemannschaft, denn bevor er sich der Piraterie verschrieben hatte, war er auf verschiedenen Handelsfahrern Erster Offizier gewesen.
Doch der Traum vom schnellen Geld, von einem großen Schiff und einer schönen, wilden und rassigen Frau schien vorerst ausgeträumt zu sein. Für jene, die ihr Leben gelassen hatten, war alles vorbei. Sie würden nie wieder in Kneipen mit Huren zusammenhocken, kühne Pläne schmieden und große Töne spucken. Sie waren tot, und an ihnen hatten nur noch die Haie ihre Freude.
Der Admiral trauerte nicht um sie. Kerle wie sie waren bei ihm Mittel zum Zweck. Er benutzte sie, um selbst sein Ziel zu erreichen. Wenn er reich genug war, würde er sie alle ausbooten. Sie waren allesamt primitive, geistlose Kerle, wertlose Kreaturen in seinen Augen, die nichts taugten. Was bedeutete es schon, wenn sie krepierten?
Das Problem indes war die Tatsache, daß er jetzt nur noch eine Schaluppe und eine Crew von zwanzig Kerlen hatte. Seine kleine Flotte existierte nicht mehr, obwohl sie doch so wendig und wehrhaft gewesen war. Eben: Der Gegner war hart und mächtig und ließ sich nicht überrumpeln.
Unter diesem Aspekt schien es vernünftiger zu sein, schleunigst nach Tortuga zurückzukehren und sich zu verkriechen. Die Schmach war groß genug, und es würde einige Zeit dauern, bis die Bande die Niederlage überwunden hatte und für neue Taten zu haben war.
Aber es gab dabei noch eine Gefahr – daß nämlich die letzten Getreuen, die ihm geblieben waren, „fahnenflüchtig“ wurden und ihn im Stich ließen. Dann saß er ganz allein da und würde einige Schwierigkeiten haben, neue Leute für seine Unternehmungen zu finden. Und neue Schaluppen? Wie sollte er die bekommen? Kaufen konnte er sie nicht, es fehlten ihm dazu die Mittel. Aufbringen konnte er sie nur, wenn er eine ausreichend starke Mannschaft zusammen hatte.
Wie er es auch drehte und wendete, die Rückkehr nach Tortuga war eine Niederlage, und zwar auf der ganzen Linie. Sollte er sich in eine andere Richtung wenden, vielleicht nach Kuba segeln oder nach Florida? Auch das brachte nichts Konkretes, höchstens noch mehr Unsicherheiten und Ungewißheiten.










