Seewölfe Paket 22

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Sir Robert Monk winkte entrüstet ab. So etwas hatte er nun wiederum nicht bezweckt.
„Nicht doch, Mister O’Leary. Die beiden Kisten hat sich Mister Stewart sehr redlich angeeignet. Seien sie ihm also gegönnt. Außerdem ist es doch nichts gegen das, was man wirklich an Land ziehen könnte. Ich denke da ganz besonders an die Ladung der ‚Lady Anne‘.“
Der Bootsmann riß die Augen weit auf.
„Die ist futsch, Sir Robert. Da ist nichts mehr zu machen.“
„Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wenn ich einen Weg finden würde, um die ‚Lady Anne‘ doch noch zu erwischen – würden Sie mich unterstützen?“
„Darauf können Sie Gift nehmen“, erwiderte O’Leary begeistert.
„Na fein. Dann tun Sie mir einen Gefallen und schildern Sie mir genau, was sich ereignet hat, als Sie diesen englischen Piraten und dem schwarzhaarigen Teufelsweib in die Hände fielen.“
O’Leary nickte grimmig. In der Erinnerung an das Geschehen trat ein seltsames Leuchten in seine Augen.
„Das ist vielleicht ein Weib“, sagte er heiser. „Mann, die würde ich mir gern noch mal genauer ansehen und …“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als sei ihm bewußt geworden, daß der kumpelhafte Ton unpassend war. „Verzeihung, Sir. Sollte sich nicht so anhören, als ob ich Sie für meinesgleichen halte.“
Sir Robert winkte gönnerhaft ab.
„Schon gut, Mister O’Leary. Wenn wir unter uns sind, brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Also fangen Sie an. Die ganze Crew der ‚Lady Anne‘ stand wohl ziemlich unter Alkohol, wenn ich richtig gehört habe.“
„Kann man wohl sagen“, erwiderte O’Leary und grinste. Dann begann er zu berichten, wie man vor Anker gegangen wäre in der Hoffnung, „nackte Indianerweiber“ aufzustöbern. Das nackte Weib, das man dann prompt in einer Lagune entdeckt hätte, wäre natürlich keine Indianerin, sondern die verdammte Piratin gewesen. Und wenn man nicht zu tief in die Humpen geschaut hätte, wäre man in eine solche Falle natürlich nicht getappt. Aber so hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen, und die gesamte Mannschaft einschließlich Sir John Killigrew wäre von dem Seewolf und der Korsarin gefangengenommen worden.
Umständlich begann O’Leary zu beschreiben, was zu dem Duell zwischen Sir Andrew und Philip Hasard Killigrew geführt und dann ein so verrücktes Ende genommen hatte.
Sir Robert winkte jedoch ab.
„Diese Einzelheiten sind für uns nicht so wichtig. Viel wichtiger ist etwas anderes: In welche Richtung haben sich die Piraten gewandt, von denen die ‚Lady Anne‘ übernommen wurde?“
O’Leary zögerte. Er begriff sehr wohl, daß dies der springende Punkt war. Was, wenn man diesem aalglatten Sir nun doch nicht trauen konnte? Wenn er doch mit seiner Clique unter einer Decke steckte und auch in diesem Fall ein falsches Spiel im Sinn hatte?
Sir Robert spürte, welche Bedenken dem Bootsmann durch den Kopf gingen.
„Wir müssen uns gegenseitig klaren Wein einschenken“, sagte er daher. „Ich kann verstehen, daß Sie daran nicht so recht glauben wollen, Mister O’Leary. Deshalb erkläre ich es ganz deutlich: Wir sollten gemeinsam versuchen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren und die Goldbeute zurückzuerobern. Natürlich werden wir das Gold nicht der Krone übereignen, sondern unter uns aufteilen. Genauso, wie das Sir John vorgehabt hat.“
O’Leary begann zu grinsen. Eben dies war genau nach seinem Geschmack.
„Wenn das so ist“, sagte er gedehnt, „sind wir uns natürlich einig, Sir Robert. Also, ich habe leider nur gesehen, wie die ‚Lady Anne‘ mit einem Teil von diesen Halunken losgesegelt ist.“ Umständlich begann er zu beschreiben, wie die Karavelle nach Südosten gesegelt sei und damit einen Kurs entlang der Atlantikseite der Bahama-Inseln aufgenommen habe. O’Leary hatte indessen nur eine ungefähre Vorstellung von den Bahamas. Das Kartenmaterial, über das Sir John Killigrew verfügt hatte, war alles andere als das Beste gewesen, was es derzeit für Navigationszwecke in der Karibik gab.
„Ihr Bericht gibt Anlaß zur Hoffnung“, sagte Sir Robert im Tonfall eines Schulmeisters, der einen besonders willigen Zögling lobt. „Ich kann also davon ausgehen, daß Sie und Ihre Crew mit von der Partie wären, wenn wir die erforderliche Ausrüstung zusammenhaben?“
„Klar doch“, sagte O’Leary großspurig. „Wir sind alle dabei. Das Wichtigste, was wir brauchen, wären wohl Waffen, denke ich.“
„Womit Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben“, erwiderte Sir Robert. „Ich möchte Sie allerdings bitten, über unser Gespräch vorerst Stillschweigen zu bewahren. Wir müssen Unruhe vermeiden. Denken Sie an die Crew der ‚Dragon‘.“
O’Leary nickte eifrig. Er genoß es, so vollständig ins Vertrauen gezogen zu werden. Dieser Monk war schon ein raffinierter Bursche. Wenn es einer schaffte, die ‚Lady Anne‘ zurückzuholen, dann vermutlich er. Denn mit dem alten Killigrew konnte man wohl kaum mehr rechnen.
4.
Als er mit dem Bootsmann zur großen Lichtung zurückkehrte, stellte Sir Robert Monk fest, daß Charles Stewart von seinem Kontrollgang offenbar noch nicht zurückgekehrt war. Die Stimmung in seiner Crew schien ihn nicht im mindesten zu interessieren.
Vor sich hin lächelnd ging Sir Robert auf den Trampelpfad zu, der zum Strand führte. Wenige Minuten später erreichte er das offene Sandgelände. Die Sonnenglut traf ihn mit der Wucht eines Hiebes. Augenblicklich spürte er, wie die Schweißperlen auf seiner Stirn hervorzutreten begannen. Am liebsten wäre er sofort wieder ins Dickicht geflüchtet, wo er immerhin vor den sengenden Sonnenstrahlen geschützt war.
Aber das Ziel, das er ins Auge gefaßt hatte, ließ ihn durchhalten.
Er sah, daß Stewart mit seinem einfältigen Leibwächter palaverte. Wahrscheinlich erhielt das Monstrum neue Verhaltensmaßregeln. Die Sorge um die beiden Goldkisten schien das einzige zu sein, was bei dem ehemaligen Kommandanten der „Dragon“ eine Rolle spielte.
Sir Robert blieb am Rand des Dickichts stehen und mußte grinsen. Er brauchte sich nur zu bemühen, Stewarts Denkweise in Sachen Gold auf größere Ziele zu richten. Die beiden läppischen Kisten schienen für ihn alles zu sein, was er jemals ersehnt hatte.
Sir Robert gab sich wie ein ausruhender Spaziergänger, der den idyllischen Blick auf die Bucht bewundert. Er zwang sich zur Zurückhaltung. Bei Leuten vom Schlage Stewarts durfte man nicht mit der Tür ins Haus fallen. Das erweckte meistens ihr Mißtrauen. Eher sachlich und beinahe gelangweilt mußte man sie dazu bringen, von sich aus Interesse zu entwickeln.
Stewart bemerkte ihn schließlich, ließ seinen Leibwächter allein und stapfte auf den Falschspieler zu.
„Was treibt Sie in die Sonne, Sir Robert?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Nachdenklichkeit“, erwiderte Monk einsilbig.
„Zukunftssorgen?“ Stewart grinste breit. „Keine Angst. Als Schiffbrüchige stehen wir gar nicht mal so schlecht da.“
„Mit den drei Jollen? Seien Sie ehrlich, Mister Stewart, es könnte besser sein. Das Beispiel haben wir schließlich vor Augen.“ Sir Robert deutete in die Richtung, in der sie beide die andere Gruppe unter Tottenham und Corbett wußten.
Stewart war geneigt, aufzubrausen. Ein versteckter Vorwurf lag in den Worten Sir Roberts. Er, Stewart, hatte sich nur um die beiden Goldkisten gekümmert, als die „Dragon“ gesunken war. Der Crew Anweisungen für sinnvolle Bergungsmaßnahmen zu geben, war ihm nicht eingefallen.
„Bei Corbett lagen die Dinge anders“, sagte Stewart pikiert. Er zwang sich, seinen aufkeimenden Groll herunterzuschlucken. „Die hatten nicht vorher so ein Theater mit ihren Jollen erlebt, wie es bei uns der Fall war.“
„Nennen Sie das Kind ruhig beim Namen“, entgegnete Sir Robert. „Der mißglückte Enterversuch hat uns ins Hintertreffen gebracht. Aber das muß nicht so bleiben, und Sie verstehen mich völlig falsch, Mister Stewart, wenn Sie denken, ich würde Ihnen etwas vorwerfen.“
„Was dann?“ Charles Stewart zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Was meinen Sie damit, es müsse nicht so bleiben?“
Sir Robert lächelte mild.
„Ich stehe nicht zufällig hier und lasse mir die Sonne auf den Pelz brennen. Das, was ich mit Ihnen zu besprechen habe, möchte ich nicht an die große Glocken hängen.“
Stewarts Staunen wich erkennbarer Spannung.
„Hören Sie auf mit der Geheimniskrämerei“, forderte er heiser. „Reden Sie bitte so, daß es ein normaler Mensch wie ich verstehen kann.“
„Aber gern. Es handelt sich um die ‚Lady Anne‘ und ihre Ladung. Beides brauchen wir noch lange nicht abzuschreiben.“
„So? Und warum nicht?“ Stewarts Spannung schlug in Skepsis um.
„Weil ich Anhaltspunkte über den Kurs habe. Wir können die ‚Lady Anne‘ verfolgen und kapern.“
„Sie spinnen“, sagte Stewart respektlos und im Brustton der Überzeugung.
Sir Robert schluckte es, ohne mit der Wimper zu zucken. In einer Ausnahmesituation galten eben außergewöhnliche Regeln. Wenn er sich mit Männern wie Stewart oder O’Leary verbündete, dann mußte er auch deren rüpelhaftes Benehmen erdulden. Monk hatte in dieser Beziehung wesentlich mehr Weitblick als die übrigen Gentlemen aus seiner Clique.
„Ich spinne keineswegs“, widersprach er höflich. „Was wir brauchen, sind lediglich zwei Jollen und eine kleine, aber schlagkräftige Truppe. Damit setzen wir uns möglichst noch in dieser Nacht von der Insel ab und segeln nach Südosten. In diese Richtung ist nämlich die ‚Lady Anne‘ verschwunden. O’Leary, der Bootsmann des alten Killigrew, hat das beobachtet. Man kann daraus immerhin folgern, daß sich der Schlupfwinkel des Killigrew-Bastards und seiner Meute irgendwo südöstlich der Bahama-Inseln befinden muß. Wenn Sie kein Wagnis auf sich nehmen wollen – bitte. Ich für meinen Teil habe jedenfalls nicht vor, hier auf der Insel zu versauern.“ Charles Stewart blinzelte ungläubig. Was der sehr ehrenwerte Sir Robert da von sich gab, klang nach äußerster Entschlossenheit. Bereits bei dem gescheiterten Enterunternehmen hatte er immerhin bewiesen, daß er in der Lage war, bei einer Sache mit anzupacken – ganz im Gegensatz zu den übrigen Hochwohlgeborenen.
Stewart gab sich einen Ruck. Es konnte also von Vorteil sein, die Andeutung Monks ernst zu nehmen.
„Angenommen, wir würden es schaffen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren“, sagte er, „dann brauchen wir auf jeden Fall Schußwaffen. Wir haben zwar einige, aber es fehlt uns das Pulver dafür. Mit Blankwaffen eine Crew des Killigrew-Bastards anzugehen, ist viel zu riskant. Das sage ich Ihnen klipp und klar, auch wenn Sie mich für einen Feigling halten.“
„Um Himmels willen, nein! Sie haben völlig recht, Mister Stewart.“ Abermals deutete Monk zum Lager der „Orion“-Crew. „Wissen Sie, daß die da drüben ziemlich viele Pulverfässer abgeborgen haben? Nun gibt es drei Möglichkeiten: Entweder rücken die Burschen freiwillig ein paar Fässer heraus, oder wir holen sie uns mit Gewalt, oder wir bezahlen sie.“
„Bezahlen?“ Stewart schüttelte fassungslos den Kopf. „Womit denn?“
„Ganz einfach. Mit einem von den Goldbarren aus den beiden Kisten.“
„Was?“ Stewart schnappte nach Luft. „Ist das Ihr Ernst? Das Gold gehört mir. Ich denke nicht daran, es für irgendwas anderes …“
„Denken Sie lieber nach“, fiel ihm Sir Robert ins Wort. „In der augenblicklichen Lage ist das Gold so wertlos wie der Sand, auf dem wir stehen. Was wollen Sie denn damit anfangen? Wie können Sie überhaupt sicher sein, das Gold jemals an einen Ort zu bringen, wo es Ihnen von Nutzen ist? Fest steht doch, daß wir auf Pulver nicht verzichten können. Und Sie wissen ganz genau, daß die beiden anderen Möglichkeiten ausscheiden. Freiwillig rücken Tottenham und Corbett das Pulver nie heraus. Mit Gewalt werden wir es uns nicht holen können, weil die Kerle in der Übermacht sind. Also?“ Charles Stewart dachte eine Weile nach.
„Ich bin einverstanden“, sagte er schließlich. „Gehen wir erst mal rüber, und verhandeln wir mit ihnen.“
Der Lagerplatz der „Orion“-Crew befand sich in einer Schneise, die vom Strand aus weit in das Dickicht reichte.
Das Kreischen von Sägeblättern übertönte den Lärm, den die Tierwelt landeinwärts, im Dschungel verursachte. Auch Hammerschläge waren jetzt häufiger zu hören. Die Tauchergruppe, die mittlerweile beim Wrack der „Orion“ im Einsatz war, hatte neben anderen Materialien auch Nägel geborgen. Nein, es mangelte an nichts, was man für den Bau eines soliden Lagers brauchte.
Marc Corbett hatte den Männern beim Kochfeuer einen kurzen Kontrollbesuch abgestattet und unternahm jetzt einen Rundgang durch das weiträumige Gelände, auf dem die Wände der einzelnen Hütten in die Höhe zu wachsen begannen. Auf Pläne hatte man verzichtet. Gemeinsam mit Sir Edward Tottenham und dem Schiffszimmermann hatte Corbett lediglich die Plätze bestimmt, an denen die Hütten stehen sollten.
Für den eigentlichen Bau war der Schiffszimmermann verantwortlich. Er hatte den Männern die erforderlichen Instruktionen gegeben und ihnen verklart, nach welchem Muster die kleinen Holzgebäude aus soliden Baumstämmen errichtet werden sollten.
Lächelnd verharrte Corbett einen Moment, als er den Kapitän der „Orion“ erblickte. Sir Edward arbeitete in der Gruppe des Schiffszimmermanns mit. Er war damit beschäftigt, aus Tauwerk Faserstränge abzuteilen, mit denen die Baumstämme verzurrt werden sollten. Es war wichtig, daß die Hütten eine hohe Stabilität hatten. Denn vom Hörensagen wußte man, wie verheerend die Stürme in diesem Teil der Neuen Welt sein sollten.
Sir Edward hatte darauf bestanden, sich selbst für eine der Arbeitsgruppen einzuteilen. Er hatte dem Ersten Offizier die Aufsicht abgetreten, denn er selbst wollte, wie er Corbett vertraulich gesagt hatte, durch ordentliches Zupacken einen klaren Kopf gewinnen. Auch die übrigen Offiziere waren Tottenhams Beispiel gefolgt. So gab es praktisch niemanden, der etwa daran gedacht hätte, sich in den Schatten zu legen und zu faulenzen.
Auch über das weitere Vorgehen war sich Marc Corbett mit Sir Edward einig. Zunächst einmal sollten die Hütten fertig werden. Erst dann würde man darangehen, die im Süden und im Südosten gelegenen Inseln zu erkunden. So hatte es ihnen auch die rassige Frau auf dem Zweidecker geraten. Übereinstimmend waren die Männer zu der Erkenntnis gelangt, daß dieser Rat wirklich fundiert und keineswegs nur dahergeredet war.
Unvermittelt näherten sich eilige Schritte. Corbett hörte sie trotz des Lärms der Bautätigkeit und wandte sich um.
Einer der Männer vom Kochfeuer nahm vor dem Ersten Offizier Haltung an. Corbett forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu reden.
„Sir, der Posten schickt mich. Ich soll Ihnen mitteilen, daß Sir Robert Monk und Kapitän Stewart unseren Kommandanten zu sprechen wünschen.“
Einen Atemzug lang war Corbett verblüfft. Dann aber sagte er sich, daß er im Grunde mit etwas Derartigem gerechnet hatte. Ja, er hatte geahnt, daß vom Lager der „Dragon“-Crew und der Killigrew-Horde irgendwann Verdruß ausgehen würde. Deshalb hatte er auch den Posten am Rand des eigenen Lagerplatzes aufgestellt. Die Vorsichtsmaßnahme war auf jeden Fall berechtigt.
Daß sich Monk und Stewart formell anmeldeten, besagte nichts. Es konnte ohne weiteres sein, daß hinter ihnen schon die Strolche lauerten, die mit Säbeln und Messern zum Angriff gerüstet waren. Aber das würden sie bestenfalls bei Nacht riskieren. Selbst dann hatten sie kaum eine Chance, da sie zahlenmäßig unterlegen waren.
Sie würden es also mit Tricks versuchen.
Deshalb mußte man auch diesem Sir Robert und dem anderen Kerl mißtrauen, der in Corbetts Augen längst kein Kapitän mehr war.
„Ich verständige Sir Edward“, entgegnete der Erste Offizier. „Sagen Sie dem Posten, die Gentlemen mögen dort warten.“
„Aye, aye, Sir.“ Der Mann salutierte und wandte sich um.
Nachdenklich ging Corbett unterdessen auf die Arbeitsstelle von Sir Edward zu. Wie richtig es war, die Hütten zu bauen, bestätigte sich für ihn schon jetzt. Daß die Kerle um Stewart und Monk etwas im Schilde führten, war mehr als nur eine Ahnung. Bevorstehende Schwierigkeiten lagen für Corbett buchstäblich in der Luft.
So schlug er denn zwei Fliegen mit einer Klappe – wie beabsichtigt: Die Hütten schützten die Crew vor Sturm und Regen. Aber wesentlich wichtiger war der Schutz der wertvollen Ausrüstungsgegenstände vor Langfingern vom anderen Lager.
Für Marc Corbett gab es nichts mehr daran zu deuteln: Kapitän Charles Stewart hatte sich als verantwortungsloser Mensch und vor allem als krasser Egoist entpuppt. Mit seinem nächtlichen Enterangriff auf die „Orion“ hatte er bewiesen, als was er einzuschätzen war, nämlich als charakterloser Lump. Als Offizier der Marine Ihrer Majestät, Königin Elisabeth I., war er nicht mehr anzusprechen. Ja, mit seiner unglaublichen Verhaltensweise hatte er sich selbst außerhalb des Offizierskorps gestellt.
Sir Edward hob den Kopf, als er Corbetts gewahr wurde. Der Erste Offizier trat ohne Zögern auf ihn zu. Es war also klar, daß es sich nicht um ein vertrauliches Gespräch handeln würde. Nach Corbetts Meinung konnten die Männer ruhig hören, um was es ging.
„Erfreuliche Neuigkeiten scheinen Sie nicht zu haben“, sagte Tottenham nach einem kurzen Blick auf Corbetts ärgerliche Miene.
„In der Tat nicht“, erwiderte der Erste. „Sir Robert und Charles Stewart möchten Sie sprechen, Sir. Der Posten, den ich am Rand des Lagers aufgestellt habe, konnte die beiden zum Glück abfangen. Wahrscheinlich hätten sie sonst erst einmal ausgiebig herumgeschnüffelt, ehe wir sie überhaupt bemerkt hätten.“
Sir Edward nickte. Seine Miene hatte sich verdüstert.
„Ich werde mit diesen Männern nicht reden“, sagte er entschlossen. „Beide haben versucht, die ‚Orion‘ anzugreifen und zu entern. Wenn ihnen in den Wirren des Geschehens nicht die Flucht gelungen wäre, lägen sie jetzt in Ketten. Nein, mit Männern dieses Schlages spreche ich nicht.“
„Aye, aye, Sir“, entgegnete Marc Corbett, und es klang regelrecht begeistert. Dies war ein Kapitän nach seinem Geschmack. Die Wandlung, die sich mit Sir Edward vollzogen hatte, wurde wirklich von Stunde zu Stunde deutlicher.
„Fertigen Sie die beiden ab, Mister Corbett“, fügte Tottenham hinzu. „Jagen Sie die Kerle von mir aus weg. Aber sorgen Sie dafür, daß sie ihren Fuß nicht in unser Lager setzen. Ich bevollmächtige Sie, das in dieser Deutlichkeit zu sagen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Corbett noch einmal, noch freudiger.
5.
Die beiden Besucher sahen einigermaßen gerupft aus. Doch gemessen an dem, was sie sich geleistet hatten, waren sie im Grunde glimpflich davongekommen.
Corbett erspähte sie schon von weitem. Sie standen am Rand des Dickichts unter dem schattenspendenden Blattwerk einer etwas mehr als mannshoch wachsenden Palmenart. Der Posten, mit Muskete, Pistole und Entersäbel bewaffnet, hatte sich weisungsgemäß vor ihnen aufgebaut und den Weg versperrt. Weder Monk noch Stewart hatten gewagt, den Mann einfach beiseite zu stoßen.
Der Erste Offizier der „Orion“ wußte, daß er sich mit aller Macht beherrschen mußte. Angesichts der beiden Kerle begann die Wut in ihm aufzusteigen. Hölle und Teufel, es war schon eine Unverschämtheit, daß sie wagten, hier aufzutauchen! Normalerweise hätten sie nicht einmal verdient, überhaupt noch am Leben zu sein.
Aus einem Impuls heraus winkte Corbett den Männern beim Kochfeuer zu. Mit einer Handbewegung gebot er ihnen, Musketen mitzunehmen und ihm zu folgen. Was Monk und Stewart im Schilde führten, konnte man nie wissen. Mit einer Teufelei mußte man bei ihnen immer rechnen. Der Enterversuch hatte das deutlich genug bewiesen.
Wenige Minuten später trat Marc Corbett den beiden Halunken entgegen. Ja, Halunken waren sie in seinen Augen, nichts anderes.
Der Posten, der sie aufgehalten hatte, zog sich zu den anderen Männern zurück, die hinter dem Ersten Offizier Aufstellung genommen hatten.
Charles Stewart starrte den Ersten aus schmalen Augen an.
„Wir hatten darum gebeten, mit dem Kapitän der ‚Orion‘ zu sprechen“, sagte er bissig.
„Sie werden mit mir vorliebnehmen müssen“, entgegnete Corbett eisig. „Sir Edward Tottenham lehnt es ab, Sie zu empfangen. Er hat mich beauftragt, Sie abzufertigen. Also, was wollen Sie?“ Mit Absicht legte Corbett äußerste Geringschätzung in seine Worte. Diese Schurken sollten von Anfang an spüren, was er von ihnen hielt.
Stewart lief krebsrot an.
„Was nehmen Sie sich heraus, Mann?“ rief er wütend. „Tottenham hat Sie bestimmt nicht beauftragt, in diesem Ton mit uns zu …“
Sir Robert brachte ihn zum Schweigen, indem er ihm sanft, aber bestimmt die Hand auf den Unterarm legte.
„Wir haben keinen Grund, uns gegenseitig Unfreundlichkeiten an den Kopf zu werfen“, sagte er versöhnlich. „Nicht wahr, Mister Corbett?“
Der Erste Offizier lächelte kalt.
„Wenn es nach Sir Edward ginge, wäre ein Tritt in den Hintern die angemessene Antwort, Gentlemen.“
Charles Stewart war nahe daran, zu explodieren. Sir Robert schaffte es jedoch, ihn zurückzuhalten. Er war eindeutig geschmeidiger und anpassungsfähiger, das erkannte Marc Corbett sehr wohl. Um so mehr beschloß er, auf der Hut zu sein.
„Wenn möglich, sollten wir uns doch wie zivilisierte Menschen unterhalten“, sagte Monk eindringlich.
„Bitte“, entgegnete Corbett kühl. „Sagen Sie, was Sie vorzubringen haben.“
„Gern. Es handelt sich darum, daß Mister Stewart und ich die Absicht haben, gemeinsam mit den Leuten zu einer größeren Insel überzusetzen. Denn dieses Eiland ist für zwei Schiffsbesatzungen zu klein. Das werden Sie bestätigen, Mister Corbett.“
„Nicht nur das“, sagte der Erste schneidend. „Auf dieser Insel ist vor allem kein Platz für Lumpengesindel.“
Während er den erneut Luft holenden Stewart mit eiserner Faust zurückhielt, tat Sir Robert, als hätte er die Worte Corbetts überhört.
„Leider haben wir keine Vorräte an Schwarzpulver für unsere geretteten Schußwaffen. Deshalb erlauben wir uns, anzufragen, ob Sie uns einige Pulverfässer überlassen könnten.“
Marc Corbett glaubte, sich verhört zu haben. Die Unverfrorenheit dieses Schlitzohrs überstieg alle Vorstellungskraft. Aber Corbett beherrschte sich.
„Sind Sie noch bei Trost?“ erwiderte er frostig. „Wollen Sie uns alle für dumm verkaufen – den Kommandanten, die Offiziere und die Mannschaft der ‚Orion‘?“ Bevor einer der beiden antworten konnte, schlug seine Stimme in eisige Verachtung um. „Sie hatten vor, die ‚Orion‘ in Ihre Gewalt zu bringen. Das ist ein so ungeheuerlicher Vorgang, daß er ein Nachspiel vor dem Kriegsgericht haben wird, wenn wir jemals nach England zurückkehren sollten.“
Sir Robert wedelte beschwichtigend mit der Hand.
„Hören Sie, Mister Corbett, Sie nehmen das alles ein wenig zu ernst. Ein Mensch muß in der Lage sein, die Vergangenheit zu begraben. Deshalb hatten wir um ein Gespräch mit Sir Edward gebeten, weil er aufgrund seines Alters über mehr Erfahrung verfügt. Das soll natürlich nicht gegen Sie gerichtet sein. Fassen Sie es um Himmels willen nicht so auf.“
Corbett lächelte kalt.
„Sie irren sich. Sir Edward hat nicht die Absicht, Galgenstricke auch noch mit Pulver zu versorgen. Glauben Sie im Ernst, wir helfen Ihnen, damit Sie noch einmal über uns herfallen können?“ Deutliche Ironie schwang jetzt in den Worten des Ersten Offiziers mit.
Sir Robert Monk versuchte es trotzdem noch einmal.
„Ich sagte Ihnen doch schon, Mister Corbett. Wir wollen uns nach einer größeren Insel umsehen. Dort müssen wir natürlich mit Wilden rechnen. Deshalb, und nur deshalb, brauchen wir das Schwarzpulver.“
Corbett stieß ein verächtliches Lachen aus.
„Wie können Sie erwarten, daß man Ihnen noch glaubt? Im übrigen gestatten Sie mir einen Hinweis. Hätte sich der sehr ehrenwerte Mister Stewart vor dem Untergang der ‚Dragon‘ um die Bergung des überlebenswichtigen Gutes gekümmert, dann brauchte er jetzt nicht um Pulver zu betteln. Wenn er seine Pflichten als Kommandant nicht vernachlässigt hätte, befänden Sie sich jetzt nicht in dieser Lage, Gentlemen.“
Stewart konnte sich kaum noch zurückhalten.
„Nein“, fuhr Corbett fort. „Für Sie war es wichtiger, zwei Goldkisten aus dem Besitz Sir Henrys zu stehlen. Um Schiff und Mannschaft kümmerten Sie sich einen Dreck. Was Sie sich jetzt hier leisten, ist ja wohl der Gipfel der Unverfrorenheit.“










