- -
- 100%
- +
Der Lärm nahm zu, und nach einer weiteren überwundenen Grundstücksgrenze erreichte ich die Quelle. Im Garten einer großen Villa mit Pool fand eine Grillparty statt. Viele gut angezogene Menschen saßen mit Flaschen, Gläsern, Tellern auf teuer aussehenden Gartenmöbeln. Zwischendurch lief ein Hund.
Am Grill stand ein Mann, der wie der Herr des Hauses aussah. Lachen, Musik, Konversation. Viel zu viel für mich. Ein Englisch sprechender Depp trat mir beim Vorbeigehen auf den Fuß und merkte es nicht einmal, ein anderer Snob rannte mich beinahe um.
Eine Party ist kein guter Ort für einen Unsichtbaren.
Vor allem nicht ab dem Moment, an dem mich der Hund witterte und mich anbellte. Knurrend hockte er vor der Terrasse. Es sah zum Glück aus, als belle er den Grillmeister an.
Ich schlich um den Grill herum, das blöde Vieh folgte mir. Der Herr des Hauses fluchte, der Hund bockte. Unauffällig stupste ich eine Wurst von einem Teller, auf dem sich das Fleisch türmte. Der Hund kannte, kläffte, schnappte sich die Wurst, der Hausherr schimpfte noch lauter und trat nach dem Köter, der jaulend verschwand.
Blödes Vieh.
Unter dem großen Proteststurm einiger anwesender Tierfreunde, den beschwichtigenden Worten des Grillmeisters und einem anschließenden Prösterchen (auf alle aussterbenden Tierarten, die nicht gegessen werden können) schnappte ich mir ein Schnitzel und verkroch mich in den Schatten einer Buchenhecke.
Dort verschlang ich gierig das Schnitzel, vermied jeden Blick auf meinen Magen oder besser: auf den Ort, an dem er sich befinden musste, wischte mir die Finger an Blättern ab und streunte fürs Erste gesättigt weiter.
Ich pinkelte in den Pool des Nachbarhauses, streifte noch durch ein paar Gärten, rüttelte zunehmend frustriert an verschlossenen Türen und überlegte, zu Tine und Laura zurückzukehren, um vielleicht ganz unauffällig noch einen wegstecken zu können, verwarf den Gedanken und ging, müde geworden, auf dem Grundstück eines verschlossenen Hauses ans Ufer.
Dort ragte ein Gartenpavillon auf das Wasser. Ein Chaos empfing mich. Liegen, Sessel, Kissen, Handtücher. Da hatte wohl die Putzfrau frei. Ein laues Lüftchen wehte über den See. Motorboote, Segler, Kinderlachen. Ich spürte, wie das Adrenalin aus meinem Körper wich und die Müdigkeit in mich kroch.
Unsichtbar.
War ich das vorher nicht auch schon gewesen? Wer vermisste mich denn? Katrin? Die hatte mit mir abgeschlossen. Unsere Wohnung war gekündigt, und sie würde froh sein, wenn sie ihre Sachen abholen konnte, ohne dabei auf mich zu stoßen.
Meine Mutter? Die rief nur alle Jubeljahre an. Mein kleiner Bruder? Wir hatten nicht mehr viel Kontakt, seit er in die USA gezogen war und dort bei einem großen IT-Unternehmen als Programmierer Karriere machte.
Mein Vater? Bis der in seiner südfranzösischen Kommune von diesem Unglück erfuhr, konnten Wochen vergehen. Ihm fiel selten auf, dass ich mich wochenlang nicht meldete.
Suchte man im Institut nach mir? Sollte ich zur Polizei? Sollte ich mich stellen und das Risiko eingehen, dass mit mir Experimente angestellt wurden? Was, wenn ich krank war, wenn mich die Strahlung langsam tötete?
Na und, dachte ich, dann ist es halt so. Bis dahin, so beschloss ich, würde ich das Beste aus dieser Situation machen.
Nur ein kurzes Nickerchen, damit ich am Abend zu Tine und Laura gehen und ficken konnte. Ich legte mich in eine Liege, in der ein weiches Polster verhinderte, dass mir der Bambus das Blut abschnürte.
Hässliche Streifen, so wusste ich, würde er ja nicht hinterlassen.
Ich legte mich zurück und schloss die Augen. Die Helligkeit blieb.
So ein Scheiß.
Ich sah mich um, nahm ein gebrauchtes Handtuch von einem der anderen Sessel und legte es mir über die Augen, damit es dunkel wurde.
Wie spät mochte es sein? Die Sonne war hinter dem Haus versunken. Nach acht? Von Ferne brandete das Lachen der Party herüber. Noch immer war es heiß. Ich schwitzte und bekam Lust darauf, in den See zu springen und mich abzukühlen.
Was, dachte ich noch, wenn ich aufwache und wieder sichtbar bin? Was, wenn dann die Besitzer des Pavillons auftauchten und mich so, nackt, vorfanden?
Nur ein kurzes Nickerchen, ein Schläfchen, als Unsichtbarer.
Würde ich ein Loch im Wasser hinterlassen?
Über diesen Gedanken schlief ich ein.
Lieber allein, als böse…
1.
Ich träumte von Katrin, träumte von Kommandos, von unausgesprochenen Vorwürfen. Träumte von Forderungen, von Überforderungen und fühlte mich seltsam gefangen in meiner Beziehung.
Mein Herz raste, als mich die mir direkt ins Auge scheinende Sonne weckte. Ich starrte regelrecht in den hellgelben Ball, der über den Baumwipfeln stand.
Der Anblick schmerzte. Ich schloss die Augen, presste die Lider fest zusammen, das Bild blieb. Mein Arm, den ich vor die Augen hielt, brachte keine Linderung. Er war wie aus Glas. Dann erst wachte ich richtig auf.
Ich war unsichtbar. Mein Arm, meine Augenlider, mein Kopf – für niemanden mehr sichtbar, es sei denn, man würde einen Eimer Farbe über mich auskippen.
Das Experiment im Institut, die toten Wissenschaftler, die verbrannten Kleider und meine verlorene Identität. Das alles kam mir wieder zu Bewusstsein. Hier auf einer Hollywoodschaukel in einem Kleingarten, zwischen Gartenzwergen und Kinderplanschbecken. Ich zog die graue Pferdedecke, in die ich mich eingehüllt hatte, über den Kopf. Mich fröstelte ein wenig. Die Sonne schien gerade aufgegangen zu sein.
Wieso dachte ich an den letzten Sex mit Katrin? Ihren Ritt auf mir, ihre Pläne für mein Leben. Ich hockte mich auf den Rand des Planschbeckens und ließ die Beine ins Wasser baumeln. Vögel zwitscherten, zwei Eichhörnchen hüpften durch die Morgensonne. Es war beinahe romantisch.
Die Sonne stand ganz links von mir im Osten. Katrin. Sie hatte mich nicht mehr in den Arsch gefickt. Dass sie nur noch Sex mit mir wollte, wenn sie mich reiten konnte, war eine Sache. Aber sie hatte sich ansonsten auch nicht mehr für meine Bedürfnisse interessiert. Immer häufiger war der Gedanke daran, sie zu treffen, zu sehen, zu spüren, angenehmer als sie tatsächlich zu treffen, zu sehen, zu spüren.
Die Distanz war aufregender als die Nähe. Die Vision schöner als die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit war anstrengend, war fordernd, war launisch und kniete sich nicht hin, hatte eine andere Meinung, war intelligenter, erfolgreicher, schöner, besser. Die Wirklichkeit war kritisch, mäkelnd und nie so willig, wie die Fantasie.
Ich dachte mit dem Schwanz, war mit dem Dildo im Arsch aufgewacht und mir meiner eigenen Unzulänglichkeit bewusst geworden.
Mein Studium hatte ich nie abgeschlossen, mein Leben hatte ich nie auf die Reihe bekommen. Stattdessen hatte ich mich an der Fantasie aufgegeilt, wie Katrin von einem anderen Mann gefickt wurde, in den Arsch, wie sie sich vor ihren Kollegen kniete oder es mit einer anderen Frau trieb.
Ich wollte mich überflüssig machen, weil ich überzeugt davon war, es seit langem zu sein und von Niemandem vermisst zu werden.
Doch nun, endlich, vermisste mich niemand. Jetzt war ich verschwunden. Jetzt musste ich niemandem Rechenschaft ablegen.
Ich konnte sein, was ich wollte, und wenn es bedeutete, wie mein Vater zu sein.
Mit den Füßen in angenehm kühlem Wasser starrte ich in die aufgehende Sonne. Ein lauer Wind kräuselte die Oberfläche des Swimmingpools.
Ficken, ohne an die Konsequenzen zu denken. Das eigene Leben leben, selbst wenn es nach oberflächlichen Reizen gierte.
Meine Augen brannten. Ich spürte, wie sich die Lider schlossen, aber der See verschwand nicht.
Wie spät es wohl sein mochte? Meine innere Uhr und der Sonnenstand, die Ruhe und die frische Luft ließen mich auf nicht einmal 7 Uhr tippen.
Die Nacht war warm geblieben. Trotz meiner Nacktheit hatte ich kaum gefroren und nur einmal zum Handtuch gegriffen, um meine unsichtbare Blöße zu bedecken.
Ich setzte mich auf. Eine Ente schwamm vorbei. Im Osten lugte die Sonne gerade über den Horizont. In einem kurzen Moment des Schrecks fürchtete ich, wieder sichtbar zu sein, sichtbar in einem Gartenpavillon einer Villa am Kleinen Wannsee.
Ich hätte es besser wissen müssen, schließlich konnte ich die Augen nicht schließen. Meine Hände waren unsichtbar, mein Bauch, meine Füße.
Ich konnte die Abdrücke sehen, die mein Körper auf dem Polster hinterließ, konnte sehen, wie sich der Schaumstoff ausdehnte, kaum dass ich das Gewicht verlagerte.
Ich fühlte mich wohl. Der Reaktorunfall zeigte noch keine unwillkommenen Begleiterscheinungen. Meine Haare waren noch auf meinem Schädel, ich spürte keine Übelkeit, nur Appetit. Mühelos konnte ich mich von meinem Nachtlager erheben und zusehen, wie das Gras von meinen unsichtbaren Füßen niedergedrückt wurde.
Langsam stieg die Sonne höher an einen wolkenlosen Himmel. Heiß würde es wieder werden, und ich hatte noch keine Ahnung, dass ich als Unsichtbarer die längste und extremste Hitzewelle erleben würde, die je Mitteleuropa heimgesucht hatte.
Ich bekam Lust, mich zu erfrischen, wenn ich schon keine Dusche nehmen konnte, und stieg über eine kleine Leiter in den See. Fasziniert beobachtete ich, wie mein unsichtbarer Körper das Wasser verdrängte, als hätte Moses das Rote Meer geteilt.
Das Wasser nahm meine Konturen an wie ein in den See geworfenes Aquarium, so dass ich bis auf den Grund sehen konnte, dort wo ihn meine Füße berührten. Zu einer Glocke geformt legte ich meine Hände auf das Wasser und drückte sie hinunter. Eine Luftblase bewegte sich durch das Wasser hinab, wo sie sich in viele kleine Bläschen aufteilte.
Ich kaum aus dem Staunen nicht heraus.
Die Sonne glitzerte bald auf dem Wasser und wurde von der Innenseite der Wasserwand reflektiert. Sie gingen durch mich hindurch und doch spürte ich wieder die Wärme.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich plantschte, Wasser schweben und Luftblasen steigen ließ, wurde mir die Gefahr, entdeckt zu werden, zu gegenwärtig, und ich stieg wieder aus dem See.
Kaum an Land jedoch, bekam ich einen Schreck. Das Wasser lief nicht einfach von mir ab, es blieb an der Körperbehaarung hängen. Mein Schamhaar wurde sichtbar, die Härchen an meinen Beinen, meinen Armen, und ich war mir sicher, dass auch die Haare auf meinem Kopf sichtbar geworden waren.
Ich griff nach einem Handtuch.
Nach dem Abtrocknen wurde ich wieder vollständig unsichtbar.
Das beunruhigte mich. Ich beschloss, etwas dagegen zu tun.
Das Haus am See blieb mir verschlossen, aber kaum war ich über einen Zaun geklettert und auf die Straße getreten, wusste ich, wie spät es war: Es war Zeit, ins Büro zu fahren.
Schräg gegenüber öffnete sich ein breites Tor, und ein BMW fuhr heraus. Noch bevor ich reagieren konnte, schloss sich das Tor wieder. Ich drehte mich. Irgendwo klappte eine Tür. Ich rannte weiter über den kühlen Asphalt. Nackt. Ein geiles Gefühl.
Ich bin frei, schoss es mir wieder durch den Kopf, ich kann tun und lassen, was ich will.
In dieser Minute, in der ich in einem noblen Wohnviertel nackt über die Straße lief, um unerkannt in ein fremdes Haus einzubrechen, ging ich ganz in diesem Gefühl auf.
Frei.
Kurz darauf hörte ich Stimmen aus der Richtung, in die ich lief, ein Motor wurde angelassen, und ich sah, wie sich ein elektrisches Tor zur Auffahrt öffnete. Die Villa war alt, oder auf alt gemacht, mit Säulen vor dem Eingang, dahinter eine gelbe Fassade mit Sprossenfenstern unter einem Giebeldach. In einer Garage standen zwei Nobelkarossen. In der Tür, sehr schick, eine Frau, Handtasche und Schlüssel in der Hand.
Der erste Mercedes rollte aus der Garage, ein elektrischer Fensterheber summte. Eine Männerstimme aus dem Inneren des Fahrzeugs.
»Ich hab den Brief vergessen, kannst du? Liegt auf dem Küchentisch.«
Die Frau in der Tür hob die Hand und verschwand im Haus. Wieder der Fensterheber, das Aufheulen des Motors, das Rasseln des Tores.
Ja, dachte ich, wie geil ist das denn?
Ich rannte die letzten Meter, huschte durch das offene Tor auf das Grundstück, rannte zur Eingangstür. Der Mercedes rollte auf die Straße. Im Haus war es kühl. Schritte auf den Fliesen. Schlüsselrasseln. Die Frau, Ende 40, im Businessanzug, kam mir entgegen, einen Brief in der Hand. Sie stellte sich noch einmal vor den Spiegel im Flur, wischte sich über die Nase, presste die rotgeschminkten Lippen aufeinander.
Ich wich zurück, presste mich in an die Wand. Sie stand nur wenige Zentimeter entfernt, riss sich von ihrem eigenen Anblick los, verließ das Haus.
Die Türknallte. Ein Schlüssel wurde gedreht. Das Fenster, dachte ich erschrocken, ich kann durch ein Fenster raus. Ganz bestimmt.
Sekunden später klappten Türen, heulte ein Motor auf. Rattern, Garagentor, Einfahrt. Aus.
Im Haus war es still. Es roch sauber. Nach Putzfrauenwerk.
Ich schlenderte durch den Flur in die Küche.
Ein fremdes Haus, wieder einmal, aber diesmal reizte mich nicht die Suche nach Pornos, Schätzen, nackter Haut.
Ich hatte ganz andere Pläne.
Am Küchentisch jedoch blieb ich hängen. Die Schlagzeile der Morgenpost traf mich in den Magen wie ein Gammelfleisch-Döner.
»GAU in Berlin - 7 Tote bei Reaktorunglück«.
Mit einem Mal war sie wieder da. Die verdrängte Tatsache, dass ich, Leon Bloch, 34 Jahre alt, seit einem Unglück nicht nur unsichtbar, sondern jetzt, in der prallen Sonne eines frühen Berliner Morgen, feststellen musste, dass ich auch für tot erklärt worden war.
Ich blätterte die Zeitung auf und fand alle Infos vom Unfall im Institut am gestrigen Tag.
Über geringe Strahlung wurde berichtet, über tote Wissenschaftler, einen 34jährigen Journalisten, der bis auf seine Brieftasche restlos verbrannt war, bis zur andauernden Suche nach einer Ursache.
Tot. Ich war tot. Nicht nur für Katrin – für den Rest der Welt ebenfalls. Endlich.
Mir schossen Tränen in die Augen und für einen Moment genoss ich das Gefühl der Trauer. Doch nach wenigen Sekunden schon reichte es mir. Mein Selbstmitleid war wie die geheuchelte Zärtlichkeit eines Fremden.
Schluss.
Neuanfang. Wieder einmal.
Zur Sicherheit klapperte ich alle Zimmer ab, um auszuschließen, dass sich irgendwelche verpennten Teenager vor der Schule drückten, doch ich traf auf keinen anderen Menschen.
Das Bad war weniger protzig als erwartet und hatte seine letzte Renovierung bestimmt vor zehn Jahren gesehen. Der Rasierschaum stand vor dem Spiegel, der Ladyshave hing in der Dusche an einem kleinen Haken.
Ich riss die Schubladen auf und fand schließlich einen Rasierapparat mit Langhaarschneider. Ich stellte mich vor den großen Spiegel, bewunderte den schwebenden Rasierapparat, den Stecker, der sich von selbst in die Steckdose schob und den Schalter, der sich von ganz alleine auf an bewegte.
Vorsichtig schor ich mir den Kopf. Anfangs befürchtete ich noch, der angestrengt brummende Langhaarschneider würde seine Arbeit verweigern, doch langsam kam ich voran.
Eine gefühlte Stunde später stopfte ich die unsichtbaren Haare mit meiner unsichtbaren Hand in einen Kosmetikmülleimer und fuhr mir über die Stoppeln auf meinem Schädel.
Weiter.
Ich rasierte mir die Beine mit dem Langhaarschneider und schließlich auch die Haare rund um meinen Schwanz.
Anschließend stellte ich mich unter die Dusche und griff zum Rasierschaum.
Ich war gar nicht darauf vorbereitet, und so überraschte es mich, dass ich, je mehr Schaum ich auf meinen Beinen und meinem Schwanz verteilte, Stück für Stück wieder sichtbar wurde.
Bald sah ich aus wie der Marshmallow-Mann, in den ein Ladyshave breite Bahnen schnitt, durch die hindurch man die Duschkabine sah.
Keine Zentimeter ließ ich aus. Kopf, Gesicht, Achseln, Bauch, Scham, Beine, Po und sogar die Arme rasierte ich. Zweimal wechselte ich zwischendurch die Klinge. Die Schaumdose leerte ich komplett.
Bald wusch ich mit Seife die letzten Schaumreste ab, fuhr mir mit der Hand über den Körper und schauderte, so fremd fühlte ich mich an.
Fremd und gut.
Jetzt war ich wirklich nicht mehr Leon. Jetzt war ich niemand. Jeder. Unsichtbar.
2.
Auf dem Weg zur S-Bahn fühlte ich wieder diese Erregung. Ich war nackt. Ich war mitten in Berlin. Niemand konnte mich sehen. Und ich hatte Hunger. Die Straße vor den Villen war leer. Ab und zu fuhr ein Auto, meist war es ein teurer Wagen aus Werken in Bayern oder Baden-Württemberg, an mir vorbei.
Vergnügt und immer wieder über meinen glattrasierten Körper streichend schlenderte ich über den Bürgersteig. Kurz nach zehn erreichte ich die S-Bahnstation.
Backshop, Ticketautomat, Kiosk. Berlin, dich lob ick mir.
Die Sonne war längst heiß, der Himmel war blau, die Bäume grün und der Duft der Croissants im Backshop am Eingang zur S-Bahn einfach unwiderstehlich. Die Fliesen vor dem gläsernen Verkaufstresen waren angenehm kalt.
Hinter dem Tresen stand eine junge Dame, die meinen Penis sofort wieder zum Hüpfen brachte, und schob ein Tablett mit Backwerk in den Ofen. In der Auslage präsentierten sich Nuss-Nougat-Croissants, Apfeltaschen, Schokobrötchen und Brezeln. Mein Magen knurrte.
Ich brauchte nur ein paar Minuten auf der falschen Seite des Tresens zu warten, bis die Verkäuferin in den hinteren Teil ihres Ladens ging, um Teig aufzutauen. Dann schnappte ich mir eine Handvoll Croissants und Apfeltaschen, stopfte sie in eine große Tüte, schnappte mir eine Flasche Tafelwasser vom Tresen, und noch ehe die junge Dame wusste, wie ihr geschah, flüchtete ich bereits mit meiner Beute.
Es sah für mich schon seltsam aus, wie die Tüte vor mir Augen in der Luft schwebte. Wie muss es erst für andere ausgesehen haben? Doch bis auf ein paar kurzsichtige Omas und ein paar Alkis, die nur Augen für ihre Dose Bier hatten, wurde niemand Zeuge meines Mundraubes.
Nach einem ausgiebigen Mahl auf einer Bank am See ruhte ich so lange, bis sich der unansehnliche Klumpen Teig in meinem Magen aufgelöst hatte, und beschloss, in die erste S-Bahn, die nach Berlin-Mitte fuhr, zu steigen.
An der Tür rempelte mich ein Penner an, dem ich eigentlich aus dem Weg gehen wollte. Er merkte gar nicht, dass zwischen ihm und der Trennwand noch ein halber Meter Platz gewesen war.
Mit mir stiegen auch zwei hübsche Mädchen eins und blieben an der Tür stehen blieben, ihre Rucksäcke zwischen die Füße gestellt. Schülerinnen? Studentinnen? Turnschuhe, Jeans, ein Top, das den Bauch frei ließ und Brustwarzen, die den Stoff durchbohrten, als wäre er aus hauchdünner Seide.
Beide Mädchen waren stark geschminkt und hatten die langen Haare zu einem Zopf gebunden, der zwischen den nackten Schulterblättern baumelte.
Auf einen BH hatten sie verzichtet. Vorsichtig schlich ich mich bis auf einen halben Meter heran. Ich konnte die Farbe des Lippenstiftes als Schicht erkennen und den Atem der beiden auf meiner Haut spüren. Die eine beugte sich vor.
Ich konnte zwischen den eng zusammenstehenden Brüsten bis fast zum Bauchnabel sehen. Wieso erregte mich der Anblick so sehr, dass ich fast kam, ohne auch nur daran zu denken, in sie einzudringen? Diese makellose Haut zweier fleischiger Hügel machte mich derart an, dass ich beinahe zugegriffen hätte.
Die Bahn bremste ab. Nikolassee.
Die Teenager stiegen aus und ich hatte Zeit und Lust, also folgte ich ihnen.
War nicht heute Donnerstag? Gingen sie zur Schule? Je weiter wir kamen, die beiden voran, ich hinterher, umso mehr Menschen drängten sich auf dem Fußweg, der von der S-Bahnstation in den Grunewald führte. Aber erst als ich einen Wegweiser sah, dämmerte es mir.
Bei diesem Tag ging niemand in die Schule. Heute war Badetag im Strandbad Wannsee. Der beste Ort, zu spannen, sowohl am Strand als auch unter den Duschen. In Erwartung geiler Erlebnisse lief ich voraus, konnte ich doch sicher sein, die beiden Teens im Bad wieder zu sehen.
Während sie sich an der in die Schlange stellten, ging ich an den Wartenden vorbei, stieg die Stufen hinab und sah mich um.
Gut, ich musste zugeben, dass der Anblick von Frauen im Bikini nicht wirklich neu für mich war. Ungewohnt jedoch waren die Nähe und die Tatsache, dass mich niemand blöd anmachte, weil ich zu offensiv gestarrt hatte. Nicht die Angestarrte, nicht der Freund und auch nicht Katrin.
Katrin. Wir waren am Ende, was Sex anging, nicht mehr kompatibel gewesen. Sie ritt mich wie einen lahmen Ackergaul, um ihre Stärke zu demonstrieren, und ich holte mir mein Stück Arsch, auf das ich so sehr stand, aus dem Internet. Pornos jeglicher Ausprägung und Spielart waren zu meinem Katalysator geworden, um nicht so zu werden wie mein Vater, nicht schwanzgesteuert.
Von Arschficken bis Zoophilie hatte ich alles durch, was man im Internet finden konnte. Nackte Haut im Überfluss, und immer wieder Arschficks. Ärsche, auf allen Vieren, Analdildos – ich hatte mein Hirn so vollgestopft, dass irgendwann echter Sex gar nicht mehr in Frage kam, mich nicht mehr reizte.
Zusehen, nicht anfassen – mehr brauchte ich nicht zu meiner Befriedigung. Und Katrin war am Ende sogar bei dem Wenigen, das sie von mir forderte, zu kurz gekommen. Jeder Sexclip, jedes JPG mit nackter Haut hatte mich weiter von Katrin entfernt. Natürlich war ich schwanzgesteuert wie mein Vater.
Wie schade, dass Katrin und ich es erst nach so langer Zeit akzeptierten.
Bevor mich die Erinnerung an meine Ex-Freundin, an den einzigen Anker, den ich in meinem Leben gehabt hatte, herunterziehen konnte, drehte ich mich nach den beiden Teens um. Sie bezahlten und kamen ebenfalls die Stufen hinab.
Ob sie sich umziehen mussten?
Meine Hoffnung wurde jäh enttäuscht, als die beiden an mir vorbei zum Strand gingen. Ich folgte ihnen, freute mich über wackelnde Pos und wippende Brüste.
Kaum jedoch hatte ich den Fuß in den Sand gesetzt, wusste ich, wie falsch meine Entscheidung gewesen war, hierher zu kommen. Jeder Schritt, den ich im Sand tat, wurde sichtbar. Sandkörner blieben verräterisch deutlich an meinen Füßen hängen, und im Gedränge, das mit jeder Minute zunahm, musste ich ständig damit rechnen, angerempelt zu werden.
Ins Wasser konnte ich nicht, die Erfahrung hatte ich bereits gemacht und ich wollte vermeiden, Panik auszulösen, weil jemand ein schwarzes Loch im Wannsee vermutete.
Das ganze Areal machte außerdem einen sehr heruntergekommenen Eindruck. Die Gebäude an der Promenade waren geschlossen, halb verfallen. Die Duschen machten einen ebenso miesen Eindruck. Aus den Toiletten roch es nach Urin, und nicht einmal über die Türen konnte ich spähen.
Außerdem war hier außer spielenden Kindern niemand zu sehen.
Enttäuscht ging ich wieder hinaus.
Mein Plan war so einfach gewesen: Ich wollte ein paar Bikinis aufknüpfen, Proleten ins Bier pinkeln und Zigaretten zerbrechen, aber ich kam gar nicht so nah heran.
Es war eine dumme Idee, herzukommen.
So geil die Teens und Twens in Bikini auch waren – mit jedem Blick stieg meine Frustration. Ich wollte anfassen, sollte penetrieren, wollte ficken. Doch hier, unter Tausenden Besuchern, die sich dicht an dicht drängten wie in einer Sardinenbüchse, hatte ich keine Chance, unbemerkt zuzugreifen.
Es war zudem nicht, was ich wollte. Gestern war ich weiter gekommen, als ich es hier jemals tun würde. Im Strandbad Wannsee hatte ich als Unsichtbarer schließlich Schiffbruch erlitten.
In diesem Moment kam eine junge brünette Dame, vielleicht Mitte zwanzig, vom Strandabschnitt. Sie trug einen Bikini, der einen perfekten Körper mühsam bedeckte. In den Händen hielt sie eine Tasche mit Badetuch und Buch sowie ein Handy Ihre Stimmung schien genau das Gegenstück zum sonnigen Tag zu sein.
Kaum war sie an mir vorbei, klingelte das Handy. Ihre Stimme war eisig.
»Ich bin auf dem Weg… Nein, ich muss noch zuhause vorbeifahren und mich umziehen…. Nein, mit der S-Bahn… Okay, wir treffen uns dann im Büro.«
Sie legte auf und seufzte.
Mein Herzschlag beschleunigte sich, und obwohl ich wusste, dass ich einen Gedanken gefasst hatte, der sich nicht zu Ende denken ließ, beschloss ich, ihr zu folgen.