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Petra M. Jansen
SATT STATT STARK
Dekadenztexte & Sozialkritik
Sozial- und gesellschaftskritische Essays,
eine zeitkritische Auseinandersetzung mit dem Appell
an Reaktivierung von Herz und Verstand
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2015
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Autorin
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel
Impressum
Prolog
Die Wahrheit
Klare Worte
Fluchtort Himmel
Wähle 69 69 viermal die 6
Klinik Speed
Hausmannskost
Der Mythos lebt
Wohin des Weges?
Nein!
Verpackte Engel
Depressionen
Entmündigt
Sekten
Virtuelle Identitätsverluste
Mein Hirn, mein Sack, mein Konto
Schau dir deine Freunde an
Rudelficken
Toxic illusions
Von Spinnern und Nieten
100.000 Mal
Gestatten, sie halten einfach mal die Klappe!
Vergangenheiten
Lasst uns froh und munter sein
Scheiße, ist das schwer
Anderswelten
Gackernde Hühnchen
Rocker
Lilly ist tot. Es lebe Lil
Schämst du dich nicht?
Totenkult
Eingeigelt
Hab keine Angst
Alles Scheiße
Kaputte Seele
Menschenleben
Weg, weg
Gnadenlose Welt
Ich
Es ist, was war
Der Schriftsteller
Prost Wahlzeit!
Der Märtyrer
Stille Sehnsucht
Job und weg
(über)sinnliche Esorotik
Hippies
Wir sterben alleine
(ver-)arm(t)e Kunst
Der Schrei
Spiegelbilder
Der Haken hat keinen Haken
Der Schein
Sweet child of mine
Machen wir’s jetzt mal wie die Regierung
Zu viel Liebe
Irrtümlich gedacht
Vertrauen
Von Kuttenträgern, Althippies & Junkies
Lebensmut
Komische Gedanken
Seelennot
Verstehen
Vom Mann zum Depp
Zerrissenheit
Mäzen und Mäzenatin
Hoch stapeln
Maskenball
Rufmord
Ausgelaugt und rausgekotzt
Herdengeschlurfe
Tu mir nicht weh
Das Armband
Wolken
Petra M. Jansen
Prolog
„Ich schreibe ungern über den Senf, wenn ich nach der Beschaffenheit der Wurst gefragt werde.“
Dieses Buch widme ich der Gesellschaft und den wenigen Menschen, die sich nicht von den Medien und ihrer eigenen Egozentrik manipulieren lassen. Denen, die einen dringenden Handlungsbedarf sehen und ein Zeichen zum Umdenken setzen wollen. Sozialkritische Texte – und ich nenne sie in diesem Buch bewusst Dekadenztexte – sind oft hart, aber wahr. Erkennen sie doch die versteckten Wahrheiten hinter der maroden Fassade von Kommerz, Konsum, Mainstream, Volksverdummung oder ethisch verwerflichen Abgründen. Aufwachen! Schöne Künste begleiten unsere Kultur und die Künstler dieser Welt sind es, die niemals schweigen dürfen. Dieses Buch steht für Respekt, Wahrheit und Ethik und ich habe keine Angst vor der Provokation der Öffentlichkeit. Die reine Wahrheit scherzt nicht. Sie schmerzt!
Die Wahrheit
Ich werde mich so lange vor ihr verbeugen
stets zu Diensten sein
ihr freundlich begegnen
sie umarmen
so lange
sie keine Zweifel lässt.
Wenn dann
und dann
es sich bewahrheitet
was sie nicht ist,
wirft ein Schatten Asche auf ihre Spur
verbeugt sich der Satan
vor ihrer Fresse.
Sehe ich den Sternenhimmel.
Ohne Sterne.
Klare Worte
sprich Klartext,
dann wissen Menschen was los ist
sprich, was IST,
dann kann man es verstehen,
sprich die Wahrheit,
dann kann man sich entscheiden,
sprich alles aus,
dann hat jeder die Wahl
spreche,
wenn du sprechen magst,
sage nichts,
wenn du es nicht kannst
bist du frei
von Ängsten und Zweifeln,
bist du
ehrlich,
wahrhaftig und wahr.
Also sprich!
Und halt die Klappe,
wenn du nicht sprichst
und nur redest.
Fluchtort Himmel
Sei das Schaf in der Herde, Hirten sind wieder „in“.
Brave Herden brauchen keine Hunde, aber die sind doch so süß.
Dem Himmel sei Dank, es heilen alle Wunden.
So steht’s geschrieben!
Ja, da haut die hohle Hand vor die Stirn, doch es tut sich nichts.
Kein Ruck! Zückt die Intelligenz nicht sein Schwert?
Abgestumpft. Mensch macht sich untertan. Und das auch noch freiwillig.
Um Himmels willen! Fundamentalismus und Fanatismus reichen sich die Hand.
In einem bekloppten Land, einem Land des Untergangs.
Na klar. Wenn die Deppen höfisch kniend ängstlich vor dem verschlingenden Boden unter den Füssen zurücktreten und bloß keinen Schritt nach vorne wagen. Dann darf man sich nicht wundern über den desolaten Zustand unsere Welt. Herrje, was stand da geschrieben?
Das riesige Ungeheuer frisst gefräßig seine Beute, die unbedarft darüber latscht?
Nicht, dass die Gläubigen nun von ihrer Haltung abweichen, beileibe nicht.
Geht auch gar nicht, da hat Großes schon allergrößten Schaden angerichtet.
Außerdem war Maria ja Jungfrau. Diese aber hat tatsächlich ein Kind geboren und wie geht das? Retorte? Künstliche Befruchtung?
War die Wissenschaft schon weiter als wir alle dachten?
In einer Zeit, in der kräutersammelnde, emanzipierte Damen auf dem Scheiterhaufen verbrannten, weil der Aberglaube so allmächtig war?
In einer Zeit, die paradiesisch war mit all ihren Seuchen und Kriegen?
Grausam. Unfrei.
Richard Dawkins ist wohl ein Schwätzer, der Mann hat sicher den Pakt mit Satan geschlossen. Genau. Sodom & Gomorra im Jahre 2012 und auf einer Welt ohne Zukunft. Obwohl uns ja versprochen wurde, dass die Menschen Rettung finden, aber darüber bestimmt ja ein Monarch. Eigentlich ein König und der darf ja mit Macht gar nix an der Krone haben, oder wie? Beten wir mal alle, dass der Erdboden uns nicht verschlingt, aber dafür brauchen wir Verstand, Mut, Engagement und klare internationale Absprachen.
Versiegt unser Glaube, landen wir in der Hölle und schmoren vor uns hin.
So steht’s geschrieben!
Und das wird uns erwarten, wenn wir uns nicht sofort alle gefälligst der absoluten Gehirnwäsche unterziehen und uns in falsch verstandene Religiosität flüchten.
Wähle 69 69 viermal die 6
Augenringe weggetüncht, Spuren der Nacht zwischen Frühstücksspeck und Kakao. Das Telefon ist stumm. Der Schulbus kommt in zehn Minuten. So lange hatte er auch gebraucht. Heute Nacht am Telefon. Gleich geht’ s einkaufen! Gummibärchen, Puffreis und saure Zungen und vielleicht war noch ein kleines Mittagsschläfchen drin. Viel Zeit war nicht. Um halb elf musste die Tiefkühlkost eingeräumt sein und Frau Weber – von drei Straßen weiter – wartete dann auch. Zweimal pro Woche und schwarz, versteht sich. Nebenher Schreibarbeiten, Telefonakquise und Seitenpflege online.
Lisa und Simon hatten heute länger Schule. Eine Zigarette und ‘ne Tasse Kaffee, mehr ging nicht im Moment. Irgendwo hatte sie ihre Tabletten. Leben – den ganzen Tag und die ganze Nacht. Irgendwann wird es besser werden.
Er zahlte nichts, keine Kohle kam rüber und sie liebte ihre Kinder. Und wie sie die liebte! Sie waren jedes Kotzen wert, jede Sekunde, die sie zusätzlich heimlich machte, weil es gutes Geld brachte. Ein Scheißjob. Ohne Bezahlung vorab gab’ s gar nichts. Kein Wort, keine Silbe, kein Stöhnen. Letztens geilte sich einer daran auf, dass sie ihn in Windeln durch’s Wohnzimmer peitschte. Er pinkelte sich voll. Sie ekelte sich. So was hinterlässt Spuren, sie war nicht abgebrüht. War keine alte Hure, die das gewohnt war. Telefonwichser. Sie tat es wegen des Geldes. Er gegen seine Einsamkeit.
Nachts schliefen die beiden Engel, für die sie spermageilen Anrufern ihre Hotline öffnete. Das Telefon log ihm vor, was ihn kurzweilig erigieren ließ. Anonym, dreckig, alles ist erlaubt.
Wähle sechs neun sechs neun, viermal die sechs und die dralle, nasse, heiße Blonde, die in Wahrheit eine kämpfende Brünette ist, holt dich wieder runter. Für’ n paar Euro, fast umsonst …
Engel wollen fliegen, dafür darf der Teufel lachen.
Klinik Speed
Einbett-Belegung haben wir nicht. Blutdruckmessung fünf Uhr fünf. Um elf folgt der Rattenschwanz der Visite. Mittagessen, scheiße. Wir sind doch kein Hotel! Die Rezeption ist rund um die Uhr besetzt, Service am Kunden hat Priorität.
Es stöhnt der Nachbar auf der Pritsche, nachmittags die ganze Roma-Sippe. Schwester!!! Helfen sie mir mal auf’ s Klo, der Beutel an mir, der will nicht mit! Irvana und Jolanda eilen herbei, ein gehetzter Blick auf die Zeiger. Wo sind denn bloß die Tabletten? Ivana hatte sie doch heimlich hinterlegt?
Der Chefarzt ist schon fertig mit der Line – feiner, weißer Staub unter seiner Nase. Na, wer sagt’s denn? Speed, Crack, Koks, diverse Pillen.
Ganz im Sinne der Patienten. Rund um die Uhr. Schicht für Schicht beste Qualität!
Hausmannskost
Deftige Hausmannskost, da weiß man(n) was man(n) hat. Langjährig erprobt. Nicht ganz, der Herr – es wird sich gern woanders ausgetobt. Canapées serviert im attraktiven Schürzchen, auf nackter Haut. Nur die Hacken an den Hacken, die kauft er ihr!
Mediterrane Kost und vor allem Scampi, mit viel Knoblauch, für die Potenz. Schlaff hängt der Sack, da nützt auch kein schwarzer Frack. War wohl doch ‘ne Spur zu scharf?
Derweil die Gattin auf den Gatten wartet, schnippelt sie schon mal die Zwiebelchen für die Kartoffeln. Wie e r sie doch liebt! Herr-je!
Die hausgebackene Alltags(ge)mahlzeit ist zum Verzeihen seiner Fehltritte stets bereit. Die Gattin wartet also artig-brav wie ein Schaf, während ihr Gatte gerade fremd begattet. An der Latte hat er es nicht, aber sie einen an der Latte! Duldet sie sein umtriebiges Spiel mit hochgestecktem Haar, damit nichts in die Kartoffeln rutscht. Ihr Herz rutscht in die Hose, wüsste sie davon, die Edle.
Ihm rutscht das Hirn in die runtergelassene Hose, es scheppert das Metall an seinem Gürtel. Die Geliebte ist das Buffet auf dem Esstisch? 9 ½ Wochen in drei Minuten. Und der Spuk ist vorbei!?
Hunger treibt jetzt den Geliebten, umtriebig tätschelt er sie lächelnd an den Herd.
Die Hacken hat sie anbehalten, gibt ihm damit einen Tritt in seinen Arsch. Schlaff hängt der Sack, immer noch – tja, Hausmannskost ist er halt gewohnt.
Die Gattin schmeißt die Kartoffelscheibchen in die Pfanne, Lady Chatterley schmeißt ihn im hohen Bogen raus. „Tausche Scampi gegen Bratkartoffeln“, denkt der alte Sack und rennt nach Haus’.
Bratkartoffelduft erwartet ihn, seine Gattin auf dem Esstisch. Der Nachbar kam nur kurz vorbei, es roch so gut nach Hausmannskost. Und bei ihm zu Hause gab’s ja nur Hummerschwänzchen, Wein und Wachtel-Ei.
Der Mythos lebt
Haarig, bissig, blutig nimmt er bei Vollmond seine grausame Gestalt an um zu morden. Blut steht für Fruchtbarkeit und Leben. Wehe, die Sonne geht auf und scheint ihm ins Gesicht. Dann ist es aus mit der Finsterkeit. Fell glätten, abstreifen und lächelnd in den Tag hinein. Fabelwesen, die mit einer Silberkugel „erlegbar“ sind. Oder es kommt tatsächlich noch ein Vampir. Scheiße, Mensch! Da wird bei Tageslicht aus der Bestie glatt ein Mensch. Na so was? Nachts findet sie statt, nur nachts. Die Verwandlung von Gut ins Böse, was für ein Stress. Nicht menschlich, nicht tierisch, was denn nun? Her mit den Vampiren, sie rammen die Zähne in den Hals und saugen das Vieh aus. Gut so. Denn das Mittelalter ist vorbei, ebenso die Sagen, die uns Menschen in früheren Zeiten in Angst und Schrecken versetzt haben. Klauen griffen nachts nach ihnen, die Jungfrau wurde im Schlaf vernascht. Raus das Blut aus den Adern, abgesaugt vom bösen Wolf. Pure Steel! “Only pure steel” – kann den Mythos töten. Aber wenn, dann wenigstens für alle Zeiten. So sagt es die Überlieferung.
Kraulen wir derweil dem Katzenweib die Tatzen, wer weiß? Vielleicht verwandelt sie sich des Nachts in ein keifendes, beißendes Ungeheuer? Katzen sind sowieso dämonisch klug und sagenumwobene Fellwesen. Hündisch sind sie nicht, aber ihre Seele ist fein rein. Katzenkrallen rammen sich dir exakt dann in deine Haut, wenn du nicht folgst und brav untertan bist. Ohne Vorwarnung erfolgt der Hieb der Katzentatzen. Fabelwesen waren sie auch schon immer. Heute quellen sie in jede virtuelle Community bis zum Erbrechen. Kotzen Formen, kacken Rosen, schnurren Hymnen. Echt jetzt? Ich glaube eher, wir haben alles was am Sträußchen!
Tiere sind Tiere, sie lieben genau den, der gut für sie sorgt. Sie lieben den, der ihnen Wohlergehen gibt und das Lebewesen respektiert. Keine Dämonen. Keine Fabelwesen. Keine Mythen. Einfach Tier. Seien wir einfach Mensch. Ohne Aberglaube und falschen Mythen. Realitätsfremd. Gebeutelt durch unseren eigenen Mist, den wir nicht verarbeiten können. Wenn’s dann ganz eng wird im Kopf, streicheln wir Katzentatzen und erfinden Gruselmonster. Tatsächlich jenseits von Gut und Böse. Mittendrin in der Psychiatrie.
Wohin des Weges?
Wenn sie das wüsste. Sie wusste nicht wohin, nicht woher und nicht warum. Stand sie schon einmal da? Hier an dieser Stelle? Oder schien es nur so, wie schon mal da gewesen und eine Wiederholungstat? Tat sie eigentlich überhaupt etwas dazu oder war es ihr verdammtes Schicksal, das sie auf der Stelle treten ließ?
Wenn sie das wüsste. Sie wusste nicht woher und sie wusste nicht was nun. Sie stand schon einmal genau an dieser Stelle und war genauso ratlos wie vorher. Es ging einst vorwärts, dann ein wenig um die Ecke, dann auf der Überholspur weiter, dann folgte der Crash. Das Leben ist halt so.
Wenn sie es nur wüsste. Warum war es so? Was war denn eigentlich geschehen? Was ist passiert, dass sie so gar nicht mehr wusste, was eigentlich passieren sollte? Damit sie nicht wieder stand, sondern ging. Doch wohin? Welcher Weg war der Richtige? Wenn sie es nur wüsste.
Auf einmal standen sie drum herum. Sie waren einfach da. Und sie hatte niemanden gerufen, hatte nach niemandem verlangt. Da standen sie nun und schauten sie an. Ruhig. Wartend. Liebend.
Es waren genau drei. Einer war er, der zweite war Er, der dritte war ER. Er war es einst, wollte es wieder sein. Er war ein Freund, wollte Geliebter sein. ER war die Liebe, war Vergangenheit und Gegenwart. ER und Er gebaren Liebe, er sah es kommen. Sie alle kamen in Liebe und sie wusste nicht wohin.
Drei sind drei zu viel. So stand sie da und glotzte. Sie konnte nur einen Weg gehen, nur einen einzigen Weg, nicht rechts, nicht links, nur geradeaus. Er sah es aus dem linken Augenblick, Er sah es aus dem rechten Augenblick, ER wollte ihre Hand und ging zur Sonne.
ER stand da, wo sie stand und nicht wusste, wohin. Sie schaute nicht nach hinten, nicht nach rechts, nicht nach links und ging geradeaus. Alleine. Der Weg ist vorgezeichnet.
Nein!
Ein Nein ist ein Nein. Und kein Ja. Was ist so schwer daran zu verstehen? Ist mein Nein kein nein? Ist mein Nein ein Vakuum, in dem nichts herrscht? Eine Blase, eine ungefüllte Blase? Keine Aussage, die ich ernsthaft spreche? Rede ich umsonst? Spreche ich und rede andersrum, meine ich es eigentlich ganz anders? Warum sage ich es dann nicht einfach?
Aber das tue ich doch und ich sage nein. Nein, zu etwas, was ich nicht will. Etwas, was ich nicht mag, nicht kann, nicht darf, nicht habe. Ganz einfach nicht will.
Das Nein ist eine Grenze, an der eine zu leistende Leistung scheitert. Oder eben dein Wunsch, dein Verlangen, deine Gier.
Es stößt an eine Mauer, die nicht wahrgenommen werden will.
Warum also ist nun ein klares Nein gar kein Nein und eher ein Ja oder zumindest – der für dich banale, aber für mich brachiale Versuch – es wenigstens zu einem Vielleicht werden zu lassen?
Geht mein Nein nicht? Geht es nicht? Und warum geht es denn nicht? Kann ich nicht nein sagen, nur weil du ein Ja erwünschst?
Ein Nein ist ein Ja – durchaus ist es ein Ja.
Ja. Zu mir als Mensch. Und zu dir als Gefährte. Zu dem ich ein auch ein Nein senden muss, wenn wir Ja zum Leben sagen.
Verpackte Engel
Zuerst merkt man es gar nicht. So verdammt gut verkleidet ist dein fieses Wesen, verborgen hinter dem Lachen eines Engels. Zauberhaft, demütig, weltbewegend offen und herzlich ehrlich eroberst du die Herzen. Deine armen Opfer laufen dir ins Messer, dessen Klinge du schärfst, wenn sie schlafen. Sie schlafen und träumen von Liebe, dabei lauert der Hass. Nicht Hass auf sie, Hass auf dich selbst. Du kannst dich nicht ausstehen und kannst nicht raus aus deiner Schlangenhaut. Häutest dich und streifst deinen elenden, stinkenden Unrat einfach ab. Der bleibt liegen und verrottet, so wie deine Seele längst verrottet ist. Doch da ist sie wieder, die gleiche Last, der gleiche Dreck wächst wieder nach. Du kannst abstreifen, was du willst – es bleibt immer der kalte Körper.
Deine Hände zart wie ein Stück Samt, streicheln die Lust und Liebe ins Gehirn. Die gleichen Hände, die später den Mittelfinger zeigen. Oder mit dem Finger zeigen. Oder vor der Nase fuchteln. Scheißegal, dir ist es scheißegal, wie du verletzt. Du merkst es nicht. Innerlich tot. Innerlich ausgelaugt und äußerlich eine Täuschung. Man hat dir den Freischein mitgegeben, mit dem du andere tötest. Das tust du gerne, du erhabenes Ding. Unter dem Mantel der Gnade, unter dem Mantel der Demut, dem Mantel der Liebe.
Dein Schwanz ist ein Werkzeug aufzuspießen. Genussvoll reingerammt, versenkt in Liebestiefen – spritzt er sein Gift mittenrein, tropft erleichtert ab. Danach.
Verdammte Lüge – in Gestalt eines guten Menschen – und begibst dich allzu gerne noch in die Märtyrerrolle. Nur feine Dinge tust du doch: helfen, heben, geben, lenken, lieben.
Verpiss dich, du verlogenes Teil! Brechen kann man dich nicht, allzu schlängelnd schlängelst du dich durchs Leben. Kein Gewissen, keine Schuld, keine Sünde. Wozu denn auch? Opfer sind halt schwache Wesen, die es einfach nicht lernen. Sie machen alles falsch und sie sind nicht, wie du es willst. Deshalb werden sie ermordet. Du stichst zu! Genau dann, wenn sie von Liebe träumen.
Depressionen
Du weißt nicht, was das ist. Sie kommen einfach. Und gehen nicht. Morgens müde, mittags müder, abends am müdesten. Nachts ohne Schlaf. Augenränder und Gesichtsblässe entstellen deine Fresse. Hunger hast du keinen und nimmst trotzdem täglich zu. Kalorien zählen ist für’ n Arsch. Ein kreatives Loch in deinem Hirn. Es saugt alles aus dir raus. Gibst dir die Sporen, Tag für Tag und kommst trotzdem nicht in die Gänge.
Früher lächelten dir die Leute zu, jetzt schauen sie durch dich hindurch. „Verzeihung, junger Mann“, rempeln sie dich an. Du bist durchsichtiger als das Glas in deiner Hand. Der tiefe Blick, um dich zu ertränken hilft auch nicht weiter, Aspirin und Alka Seltzer sind deine nun traurigen Begleiter. Innerlich arm, machst du die Pillenindustrie reich: aufhellen, aufputschen, funktionieren. Top in Form, Tag für Tag, ewig lächelnd. Auf der Überholspur zeigst du allen die Arschlochkarte! Der Dämon lacht dir in die Fresse, die düstere Seite deiner Seele hat’s erwischt. Sie kommen auf leisen Sohlen. Kein Makel ist an dir. Wohl bekomm’s: Hetze, Scheinwelt, Schnelllebigkeit und Glamour. Sogar dich selbst verleugnest du!
Der Dämon ist in Wahrheit dein Engel. Der dich schützt vor’ m Untergang.
Entmündigt
Altschrott in der Welt der Jugend, keine Ahnung, wohin damit. Schuldigkeit getan, eher Ballast der Gesellschaft, der mehr kostet, als uns nützt. Wohin damit bei der Alterspyramide, in der immer mehr davon den Rentenkassen die Hosen ausziehen? Ach was! Haben die denn genug da rein bezahlt? Sechzig plus und schlimmer. Die schlürfen ihren Kaffee im Kurort auf der Bank – kosten uns ein Vermögen! Verrückte Ideen: sie lernen noch Spanisch, Computerlehre und den Tangotanz. Eigensinn ist ihr siebter Sinn, da kann man nix machen. Der dritte Umzug ins betreute Wohnen – das Altersheim ist ja was für alte Leute. Bockig. Anstrengend. Stets überpünktlich und schnell beleidigt. Generation Altmüll halt.
Wohin damit? Entmündigung per Familien-Nachwuchs, dem der Irrsinn über den Kopf gewachsen ist? Wir müssen was tun! Die Oma spinnt! Patientenverfügung ausgestellt, Nachlass geklärt. Jetzt bleibt nur noch das Warten auf den Tod. Restmüll wird getrennt entsorgt. Natur in der Natur unter’ m Baum, der Rest streuselt in die Urne. Särge sind zu teuer, alles ist vergänglich. Mit der übrig gebliebenen Kohle richtest du dich neu ein.
Ihr Mistkerle! DAS ist unser Leben! Es war unser Leben, das s i e ins Leben gebracht haben. Teilst du nur einen Punkt von dem da oben, gehörst DU entmündigt. Müll wird fein säuberlich getrennt, aber DU landest nicht im Recycling. Bist Giftmüll der Nation.
Und wirst hoffentlich niemals alt.
Sekten
Flower Power Anno Dazumal streut seine Liebesblüten. Rasta-Zöpfe, Hendrix, Gras. Selbstgehäkelte Wollsäcke sind knieumspielende Neu-Romantik. Peace. Love. Happiness. Goa, Indien, La Gomera. Byron Bay. Paradiese für Barfüßer im eingewickelten Fransenstoff. Ökologisch im Fluss gebadet, vorher die Mangos noch frisch gepflückt.
Weg von der Zivilisation findest du deine Mitte. Abgeschnitten vom Rest der Welt, die geht dir am Arsch vorbei. Ökoprodukt Mensch pur, abseits der verseuchten Welt.
Sklavenarbeit mit bloßen Händen, nach dem Modell, das Gott uns schuf. Stundenlang gebückt empfängst du abends – wenn die Trommeln die Sonne im Meer versinken lassen – dein verdientes Mahl. Be free! We love us all.
Liebe hat dich gegeißelt, fest genagelt. Am Marterpfahl der Ausbeutung von kostenlosem Personal. Keinen Cent bekommst du, dafür darfst du SEIN. Sklavenhaltung und Gehirnwäsche kostenlos. Ökologisch gebettet im Bambushaus, der Sternenhimmel über dir, der dir die falsche Richtung zeigt.