- -
- 100%
- +
Da musste Hansen ran. Gleich morgens!
Es war ruhig am Morgen des 24. Dezembers. Mein Espresso war noch heiß, als ich mit Hansen telefonierte.
»Wenn du meinst, dass es so wichtig ist, dann komm rüber«, sagte er und schien genervt.
Ich fuhr die zwei Kilometer vom LKA-Neubau am Tempelhofer Damm zur Friesenstraße ins Backsteinensemble.
»Seine Frau stirbt, und am nächsten Abend streitet er mit einer anderen? Das ist schon verdächtig!«
Hansen lachte. »Du weißt aber schon, dass du nach der StPO als Sachverständiger nicht ermitteln darfst. Du bist sowieso auf dem Holzweg. Gestern habe ich noch den Hausmeister befragt, mit dem Herzog ab und an ein Bier trinkt. Ja, er hat mal erwähnt, seine Frau würde sich in der Badewanne die Haare trocknen. Da ist doch alles stimmig.«
»Stimmig konstruiert«, sagte ich.
Hansen wurde unwirsch: »Also gut, ich werde mich noch beim zuständigen Revier nach ihm erkundigen. Du kannst mich in einer Stunde abholen, dann fahren wir in die Weisestraße zu der Frau, mit der er sich gestritten hat. Zufrieden?«
Mir blieb Zeit für ein paar Einkäufe in der Marheinicke-Halle gleich um die Ecke. Schließlich war Heiligabend.
Es war nicht mehr viel Verkehr, als ich mit Hansen nach Neukölln in die Weisestraße fuhr. Bei Karstadt am Hermannplatz wurden die letzten Kunden rausgelassen.
Eine kleine Frau in Jogginghose und Parka öffnete die Tür.
Als sie den Dienstausweis sah, zuckte sie. »Ja, gestern Abend war dieser Herzog hier. Er wollte eine Lok bei mir kaufen. Den ganzen Ramsch von meinem verstorbenen Mann hab’ ich schätzen lassen und annonciert. Dieser Herzog wollte unbedingt ein bestimmtes seltenes E-Lok-Modell der Firma Märklin. Krokodil nannte er es. Ich wollte 2800 Euro dafür haben, es war auf über 3000 geschätzt. Herzog war mehrmals da. Ich sollte es zurücklegen, bis er das Geld hat. Vor drei Tagen hab ich’s einer Frau verkauft, die zahlte bar. Und: Wer zahlt, bekommt’s. Gestern kam dann Herzog. Getobt hat er. Die Lok war für mich reserviert! schrie er. Vertragsbruch! Aufgeführt wie ein Irrer hat er sich.«
Ich musste erst mal meinen Espresso haben. Hansen war mehr für ein Bier im Bienenkorb in der Hermannstraße gleich um die Ecke. Das Bier dort war das Beste, weil es Tag und Nacht pausenlos gezapft wurde.
Im Bienenkorb verzichtete ich auf das, was sich dort Kaffee nannte. Mein Mineralwasser war eine selten bestellte Spezialität.
Auf dem Tresen stand ein geschmückter Plastikbaum. Ein Paar stritt sich laut. Sie schlug ihm ins Gesicht. Dann küssten sie sich.
Hansen war sauer. Er wollte den Vorgang abschließen.
»Fehlschuss, mein lieber Kollege, nix mit anderen Frauen. Auch auf dem Revier habe ich nichts in Erfahrung gebracht. Die Herzogs haben noch vor einem Jahr im Horstweg in Charlottenburg gewohnt. Vollkommen unauffällig. Du siehst Gespenster.«
»Horstweg? Da war ich doch bei einem Suizid in der Badewanne und habe die Messungen durchgeführt. Die Verstorbene war unheilbar krank gewesen. Die Wohnung war nicht beschlagnahmt, der Schlüssel beim Nachbarn hinterlegt. Diese hellroten Lederpantoffeln! Die hatte ich damals schon bei dem Nachbarn gesehen. Der Nachbar war Herzog! Er hatte sich den Ablauf und den Zweck der Messungen erklären lassen. Scherzhaft hatte ich ihm von der Möglichkeit einer billigen Scheidung mit Wanne und Haartrockner erzählt. Unfall, Selbstmord, Mord – keine Chance, das nachzuweisen.«
»Blödsinn«, sagte Hansen. Er wollte die Mordkommission nicht einschalten. »Die lachen uns nur aus. Selbst wenn du recht hättest, wo ist das Motiv? Jetzt trenn dich endlich von deiner fixen Idee. Hier läuft kein Spielfilm. Mach du Untersuchungen, und ich mache Ermittlungen.«
Ich wollte nicht aufgeben. Noch nicht. »Lass uns noch einmal unter einem Vorwand zu Herzog fahren. Sag ihm, dass ich ihn vom Horstweg kenne. Vielleicht kommt was dabei raus.«
Hansen seufzte. »Na gut, weil Weihnachten ist, aber dann gib endlich Ruhe.«
Ach ja, Heiligabend. Ich hatte mir schon immer gewünscht, an diesem Tag dienstlich unterwegs zu sein. Meine Frau würde mit ihrer Mutter erst mal alleine feiern. »Ich muss nur noch zu Hause anrufen!«
Hansen trank sein Bier aus und ließ mich zahlen.
Inzwischen hatte in vielen Wohnungen schon das Licht gewechselt. Die Weihnachtsbäume waren beleuchtet. Im Treppenhaus am Richardplatz hörten wir Weihnachtslieder.
Herr Herzog öffnete uns die Tür. Es schaute ins Leere und schien sich über unseren Besuch nicht zu wundern. Wir gingen ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand das Modell einer E-Lok. Das Krokodil. Ich erkannte es sofort. Daneben lag zerknülltes Weihnachtspapier. Hansen wollte etwas sagen. Herzog winkte ab. Er setzte sich auf die Couch, sank in sich zusammen. Mehrmals bewegte er die Lippen, bevor er sprechen konnte.
»Wer zahlt, bekommt’s!«
Er nahm die Lok zärtlich in die Hände. »Ich hab’s nicht gewusst! Letzte Woche sah ich die Anzeige einer Frau Repp. Sie löste eine Sammlung auf. Im Angebot war auch das Krokodil, genau das hier. Nicht mehr für 120 DM wie damals, sondern jetzt für 2800 Euro. Viel Geld! Soviel hatte ich nicht. Trotzdem! Ich musste es haben!« Herzog streckte uns die Lok entgegen.
»Meine Frau hatte doch diese Erbschaft gemacht. Fast 12 000 Euro! Ich hab sie angefleht, mir etwas abzugeben, wenigstens zu leihen. Sie wollte alles für Reisen ausgeben. Natürlich waren wir bisher nie verreist. Blödsinn. Vorgestern hat sie mir Reiseprospekte gezeigt, mich spöttisch angesehen und von einer Bahnreise in die Schweiz, zum Gotthard geschwärmt. Da fahren deine E-Loks im Original! Später hat sie aus der Badewanne gerufen: Wir könnten gleich nach Weihnachten fahren. Vielleicht sehen wir ein Krokodil. Schallend hat sie gelacht. Ausgelacht hat sie mich! Ich weiß nicht mehr, wie ich den Fön aus dem Schrank geholt, eingesteckt, in die Badewanne geworfen habe …«
Er hielt die Lok immer noch in den Händen, strich mit den Fingerkuppen über die Metallgussteile und berührte sanft die Stromabnehmer.
»Frau Repp wollte das Krokodil noch ein paar Tage für mich zurücklegen. Hat sie gesagt. Versprochen hat sie es. Jetzt hatte ich das Geld. Und dann das: Wer zahlt, bekommt’s!«
Er starrte auf die Lok. »Und heute finde ich im Schrank ein verpacktes Geschenk. Meine Frau hat es für mich gekauft. Das Krokodil. Für mich. Zu Weihnachten.«
Brigitte Hähnel
Suse und die sieben Särge
Die Sehnen der aufgetauten Babypute ließen sich kinderleicht entfernen.
Die Höhe der Miete stimmte, und auch die Quadratmeteranzahl entsprach Suses Vorstellungen. Vom Balkon des Zwölfgeschossers konnte sie sogar bis zum Froschpfuhl sehen. Oder war es der Untersee? Nach dem Nervenkrieg der Scheidung sollte ihr dieses neue Zuhause in Hellersdorf all das geben, was sie bisher vermisst hatte: Selbstbesinnung, Abschottung, vor allem aber Anonymität. Tag für Tag würden jetzt stetig die Frustpfunde von ihr abfallen und mit ihnen die Enttäuschungen der letzten Jahre. Keine so genannten Spezialistenkonsultationen mehr, keine gegenseitigen Schuldzuweisungen, keine falschen Hoffnungen. Im Sommer könnte sie sogar mit dem Rad in die Buchhaltung des kleinen Hönower Kartonagenbetriebes fahren, in dem sie, oh Wunder, trotz ihrer Überqualifizierung problemlos untergekommen war.
Doch noch bedeckte Schnee die abgezirkelten Straßen am U-Bahnhof Lewin-Straße. Sogar in einer Ecke des Balkons hatte der Nordwind ihn angehäuft. Die tönernen Blumenkästen, von der Vormieterin zurückgelassen, erinnerten mit ihren weißen Hauben an gepuderte Stollen. Die symbolischen Windeln des Christkindes, so hatte sie über den weißen Zuckerbezug gelesen. Nur die Pflanzenstrünke, die wie kleine Grabkreuze herausragten, störten den festlichen Anblick. Fette Henne, hatte sie der Verwalter aufgeklärt, sehr pflegeleicht. Er könne aber auch die Kästen entsorgen lassen. Nein, nein, sie störten nicht, hatte sie abgewehrt. Im Frühjahr würde sie die Pflanzen gegen aufrechte gelbe Husarenköpfchen und gegen den blau strahlenden Männertreu austauschen.
Mit der einsetzenden Dämmerung begannen hinter vorgezogenen Gardinen die Umrisse erleuchteter Weihnachtsbäume zu schimmern. Wenn sie sich jetzt noch die bunt zappelnden Lichtschlauchrentiere, -schneemänner und -nikoläuse an den Fenstern wegdachte (diese verdammte Sehnsucht nach Helligkeit!), dann endlich konnte sie kommen, die langersehnte besinnliche Festtagsstimmung.
Suse atmete die kalte, klare Winterluft tief ein, um dann befriedigt an ihrer Zigarette zu ziehen. Noch keine Minute hatte sie ihren Umzug bereut.
»Soll ick mir den Tod holen?«, klagte es ungeduldig aus dem Wohnzimmer. Es war ein Fehler gewesen, die Mutter über Weihnachten herzuholen. Wider besseres Wissen hatte sich Suse von der allgemeinen Weihnachtsseligkeit überwältigen lassen. Sentimentale Gans, schalt sie sich, nahm genervt einen letzten Zug, stieß den Rest der Zigarette in den Blumenkasten und drückte ihn langsam aus. Der Schnee um die Kippe herum schmolz mit einem winzig kleinen Greinen. Wie bei einem unzufriedenen Säugling.
»Dass du dir die verdammte Qualmerei nich endlich abjewöhnen kannst!« Die Mutter verschwand nahezu im Ledersessel neben der geschmückten Nordmanntanne. Als ob auch sie mit zunehmendem Alter langsam zerschmolz. Suse kannte sie in den letzten Jahren nicht anders als frierend und lamentierend. Neuerdings aber spürte sie auch selbst, wie sich die Kälte an ihr zu schaffen machte. Sie kroch unbemerkt an den Außenseiten der Oberarme empor und ließ sich auch durch kräftiges Reiben nicht vertreiben. Sollte sie ihrer Mutter immer ähnlicher werden? Oder wurde sie einfach nur alt? »Wenn dir kalt is, zieh dir doch was an«, sagte die Mutter. »Haste keene Strickjacke?«
Ein Knabenchor im Fernsehen sang inbrünstig von der stillen Nacht. In den aufgerissenen Mündern der Kinder blitzten kleine, spitze Raubtierzähne.
»Der Raucher und der Hurenbock friert selbst im wärmsten Winterrock. Heißt es nicht so, Mama?« Den Spruch kannte Suse seit ihrer Kindheit, da hatte er ihrem Vater gegolten. Nur dass damals nicht vom Raucher, sondern vom Säufer die Rede gewesen war.
»Dir fehlt een Kerl, det is allet«, antwortete die Mutter, die keinen Sinn für Suses Ironie hatte. »Eena, der dir endlich een Kind macht.«
Und dich zur Großmutter, dachte Suse. Nicht einmal vor dem weihnachtlichen Fernseher gab die Mutter Ruhe, und so war es ihr mehr als recht, dass es läutete. Die neugierige weißhaarige Nachbarin von gegenüber stand mit einem Teller Stollenscheiben vor der Wohnungstür. Es soll Glück bringen, in der Weihnachtszeit möglichst viele verschiedene Stollen zu probieren. Davon hatte Suse noch nie etwas gehört. Doch zu ihrem Erstaunen kannte sich die Mutter darin aus, oder gab zumindest vor, sich darin auszukennen und winkte den Besuch herein.
Die beiden Frauen begannen sofort über Weihnachtsbräuche zu schwatzen, während Suse erstaunt zusah wie ihre Mutter, die beim Kaffee ihre Berliner Stolle entrüstet abgelehnt hatte (Die Jalle, du weeßt doch, dass ick et mit der Jalle habe!), mit der Nachbarin nun auch noch diesen zusätzlich in sich reinstopfte. Sie fragte sich, wieso zwei alte Frauen so versessen darauf waren, Glück zu haben.
Natürlich ließ es sich die Mutter nicht nehmen von den drei Fehlgeburten zu erzählen und von der vergeblichen Hormonbehandlung. Suses hassvolle Blicke ignorierte sie dabei. Und natürlich löste die erfolgreiche Schwangerschaft von Suses wesentlich jüngerer Nachfolgerin die gebührenden Kommentare aus.
»Ja, die Jüter der Welt sind unjerecht verteilt«, lamentierten die beiden alten Weiber unisono. Noch immer aber gelte die alte Regel ihrer eigenen Großmütter: Lieba eens uff dem Kissen als eens uff dem Jewissen. Von da aus führte sie der Gesprächsfaden geradewegs zu den Eismüttern, die ihre Neugeborenen umbrachten und danach schockfrosteten oder in Blumenkübeln vergruben.
Die Erwähnung vom Gefrosteten erinnerte Suse an den morgigen Festtagsbraten und sie entschuldigte sich mit Küchenarbeiten. In der winzigen Küche lehnte sie sich erleichtert an den tröstlich brummenden Kühlschrank, ehe sie zu Schneidbrett und Messer griff. Die Sehnen der aufgetauten Babypute ließen sich kinderleicht entfernen.
Der kleine Vogel, mit einer Basilikumhonigkruste verfeinert, reichte für beide Feiertage. Allerdings war Suse die einzige gewesen, die sich den Bauch damit vollgeschlagen hatte. Die Mutter hatte ihre verdiente Gallenkolik bekommen und mittags schweigend Haferschleim gelöffelt.
Nach drei Tagen fuhr Suse erleichtert die alte Frau ins Heim zurück. Während der Fahrt fragte die Mutter beiläufig, warum Suse ihr nie vom Selbstmord der Vormieterin erzählt hatte. Das hätte ihr die Nachbarin unter dem Mantel der Verschwiegenheit anvertraut. Wieder zu Hause angekommen, erschien Suse die Wohnung stark verändert. Als ob ein ungebetener Gast die Wohnung betreten hätte. Wo mochte es ihre Vormieterin getan haben? Suse spürte, wie ihr Brustkorb eng wurde und flüchtete auf den Balkon. Der Schnee auf den Blumenkästen war inzwischen harschig geworden. Sie schnitt sich in die Finger, als sie einen der Pflanzenstrünke aus dem Boden ziehen wollte. Wie von unsichtbaren Händen festgehalten, klemmte er fest in der gefrorenen Erde. Jetzt überkam sie die Unruhe erneut. Wie so oft, wenn sie dieses innerliche Flackern spürte, begann sie zu backen. Während des Backens quollen stinkende Rauchwolken aus der Herdtür. Weit hinten im Herd entdeckte sie schließlich eine verkohlte Packung Whiskas.
Auf dem Wege zu den Müllcontainern begegnete ihr naserümpfend die Nachbarin. Sie sei doch hoffentlich keine Katzennärrin wie ihre Vorgängerin und beabsichtige nicht, sich diverse Stubentiger zuzulegen? Suse verneinte vehement. Im Nachhinein ärgerte sie sich über ihr Verhalten. Was ging das die Alte an?
Sie war erleichtert, dass sie am nächsten Tag endlich wieder zur Arbeit gehen konnte.
Einmal in der Woche gönnte sie sich eine Shoppingtour im »Eastgate«. Dabei vergaß sie nie den kleinen Blumenstrauß für die Nachbarin, der sie alle vierzehn Tage den Schlüssel gab, wenn sie die Mutter besuchen fuhr. Ihren prüfenden Blicken nebst Kommentaren: Donnawetta, Sie ham abjenommen. Oder: Na, wieda een paar Gramm mehr druff?, versuchte sie mit Nachsicht zu begegnen. Aber den Vergleich mit ihrer Vormieterin (zu- und abnehmend wie der Mond) wies sie vehement zurück, obwohl ihr der Satz gefiel.
Ende Februar starb die Nachbarin. Aus schlechtem Gewissen fuhr Suse außerplanmäßig zu ihrer Mutter. Sie brachte es allerdings nicht fertig, ihr vom Grund der Fahrt zu erzählen. Auf der Rückfahrt setzte Blitzeis ein und es gelang ihr gerade noch rechtzeitig, genervt die Raststätte Berstetal zu erreichen.
Der Heizungsmonteur an ihrem Tisch nahm es gelassen. Seine Lederweste verströmte einen Geruch, der Suse schwindlig machte. Irgendwann fand sie sich im Laderaum seines Kombis wieder. Nach anfänglichem endlosem schmerzhaften Gefummel (Ich habe aber nix dabei. Was, du auch nicht? Aber du nimmst doch die Pille?) wollte sie alles schnell hinter sich bringen und brachte schließlich ein zustimmendes Gemurmel zustande. Das umso mehr, weil er, was ihr äußerst peinlich war, die Wülste um ihre Taille aufgeregt knetete. Es ging dann sehr schnell. Die Autobahn war auch bald wieder befahrbar und er hupte dreimal zum Abschied. Zuhause verschwendete sie keinen Gedanken mehr an ihn. Nur gelegentlich beim Zähneputzen fiel ihr seine ungeschickte Art zu küssen ein.
Die knospenden Zweige der Birken vor dem Küchenfenster hingen inzwischen schwerer durch. Auch Suse spürte einen Kräfteschub. Sie beschloss, wieder einmal die Mutter herzuholen. Gemeinsam könnten sie die Balkonkästen herrichten und sich zusammen in der Sonne wärmen.
Sehr zur Verwunderung Suses hatte die Mutter die Nachricht vom Tode der Nachbarin gelassen zur Kenntnis genommen: »Det is der Lauf der Welt. Eena jeht, een andra kommt.«
Umso mehr erstaunte es sie dann, dass die alte Frau sich über die Pflanzenmenge ereiferte: »Wat das jekostet hat!«
»Sieben Kästen, Mama!«, gab Suse zu bedenken. »Die gesamte Balkonfront muss neu bepflanzt werden.«
»Ab jetzt trägste Verantwortung, da solltest du deine Kohle bessa zusammenhalten.«
Verantwortung? Die Mutter wird auch immer wunderlicher, dachte Suse, während sie begann, die Erde im ersten Kasten auszutauschen. Bröcklig und sperrig lag sie in ihrer Hand. Dann Suses gellender Aufschrei: »Mörderhaus!«
Die Mutter drückte sie beiseite: »Biste ruhich!«, und besah sich den Kasteninhalt. »Mach dia nich lächerlich.« Aber bevor ihr das Kind wegen ein paar bleichen Knöchelchen völlig durchdrehte, schickte sie es erst mal das Telefon holen. Währenddessen inspizierte sie die übrigen Kästen. »Ach, du meine Jüte!«
Aber war da nicht dieses Whiskas gewesen? Ohne mit der Wimper zu zucken, ließ sie sich von der leichenblassen Suse die Handynummer vom Verwalter geben und beschied ihn mit knappen Worten nach oben. »Weg damit. Weg damit, mit allen.« Dabei umfing ihre Geste alle sieben Kästen.
Wieder war es Weihnachten geworden. Wieder saß die Mutter im Sessel neben einer geschmückten Nordmanntanne. Endlich traute sich Suse die unausgesprochene Frage zu stellen, die ihr schon lange auf der Seele brannte.
»Und du bist sicher, dass es Katzenknochen gewesen waren?«
»Sicha?«, sagte die Mutter gedehnt. »Wat is schon sicha im Leben?« Und dabei ruhte ihr Blick wohlgefällig auf dem hellblauen Bündel in ihrem Arm, das ihr gerade auf die hellgraue Seidenbluse gekotzt hatte. »Speikind, Jedeihkind. Heißt et nich so?«
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.