- -
- 100%
- +

NARI KAHLE
Wie soziale Innovationen
unsere mobile Zukunft
revolutionieren
Mit einem Vorwort
von Friedensnobelpreisträger
Prof. Dr. Muhammad Yunus

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.
Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss.
Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
© 2021 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Das E-Book basiert auf dem 2021 erschienenen Buchtitel »Mobilität in Bewegung« von Nari Kahle © 2021 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-060-5
ISBN epub: 978-3-96740-097-7
Lektorat: Eva Gößwein, Berlin | www.evagoesswein.de
Übersetzung Vorwort: Nikolas Bertheau
Umschlaggestaltung: Stephanie Böhme Strategische Konzeption und Design, Neuwied Titelillustration, Illustrationen an den Kapitelanfängen und Porträts: George Agas
Grafiken: Tobias Heller
Foto der Autorin (Buchrückseite): Paul Meixner | www.paulmeixner.de
Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg | www.buch-herstellungsbuero.de
Copyright © 2021 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.
www.gabal-verlag.de
www.gabal-magazin.de
www.facebook.com/Gabalbuecher
www.twitter.com/gabalbuecher
www.instagram.com/gabalbuecher
Für alle heutigen und zukünftigen Mobilitätsrevoluzzer:innen auf dieser Welt
Inhaltsverzeichnis
Vorwort von Professor Muhammad Yunus
EINLEITUNG
Mobilität im Umbruch
Die vergessene Dimension von Nachhaltigkeit
Gemeinwohl als wirtschaftliches Ziel in der Mobilität
Der Beginn einer Reise
Kapitel 1 EIN SOZIALES ZEITALTER
Mobilität als Spiegel unserer Gesellschaft
Die dunkle Seite der Mobilität
Zeit, zu handeln
Radfahren für alle
Zur bedingungslosen Grundmobilität
Das Für und Wider eines kostenlosen Nahverkehrs
Mobilität für alle neu denken
Kapitel 2 UNTERWEGS IN DER STADT
Warum uns Städte zum Umdenken bringen
Das beste Mobilitätsangebot ist auf uns zugeschnitten
Mobilitätsplattformen: Das Amazon des Transports
Was macht eine Mobilitätsplattform so nützlich?
Die Schattenseiten der Mobilitätsplattformen
Mobilität für eine lebenswerte Stadt
Warum Städte um das Auto geplant sind
Die Stadt der kurzen Wege
Kapitel 3 TEILEN VERBINDET
Das oBike-Desaster
Vom Besitzen zum Benutzen
Was ist vom ursprünglichen Sharing-Ansatz geblieben?
Ridepooling für soziale Teilhabe
Weitere gesellschaftliche Effekte von Ridepooling
Das Dilemma von neuen geteilten Mobilitätsangeboten
Carsharing für das Gemeinwohl
Kapitel 4 OFFENE DATEN: VON HACKERN UND FREIWILLIGEN
Wie Bikesharing aus Versehen gehackt wurde
Der Open-Source-Gedanke in der Mobilität
Offene Mobilitätsangebote dort, wo sie sich nicht rentieren
Offene Daten für innovative und soziale Ansätze
Eine Forderung nach mehr offenen Mobilitätsdaten
Die Open-Data-Strategie einiger Städte
Von den Erfahrungen anderer lernen
Eine größere Open-Data-Community
Kapitel 5 NEUE IDEEN IM LÄNDLICHEN RAUM
Warum Mobilität auf dem Land ein Thema für sich ist
Warum der Linienbus keine Chance mehr hat
Wenn Nahverkehr immer mehr »on demand« fährt
Digitale Mobilitätsangebote für eine nicht digitale Zielgruppe
Ein autonom fahrender Shuttle auf dem Land
Warum Carsharing auf dem Land noch Zeit braucht
Wenn Fahrten geteilt werden
Kommen die Produkte zum Menschen?
Kapitel 6 EINE FAIRE ELEKTROMOBILITÄT
Ein Umdenken in unserer Gesellschaft
Wann ist Elektromobilität wirklich nachhaltig?
Die Batterie und ihre Rohstoffe
Von verantwortungsvollem und fairem Rohstoffbezug
Ein Hoffnungsschimmer namens Blockchain
Das Leben einer Batterie nach dem Auto
Unsere eigene Rolle
Kapitel 7 SELBSTFAHREND ODER SELBST FAHREN
Mehr Technik für mehr Sicherheit
Wenn Autos miteinander kommunizieren
Wie fährt ein Auto von allein?
Realistische Chance oder Träumerei?
Wer fährt sicherer: Mensch oder Maschine?
Neue Chancen für unsere Gesellschaft
Von der Bezahlbarkeit und den Bezahlmöglichkeiten
Wollen wir autonomes Fahren überhaupt?
Kapitel 8 DIE VERÄNDERUNG VON ARBEIT
Warum sich ein Perspektivenwechsel lohnen kann
Wie sich Mobilitätsjobs verändern
Autoproduktion und Beschäftigung
Von neuen Jobs rund um Mobilität
Arbeitsvermittelnde Plattformen und ihre Verantwortung
Brauchen wir eine neue Form von Gesellschaftsvertrag?
Über Verantwortung und Arbeit in einem Mobilitäts-Start-up
Kapitel 9 VON TECHNISCHEN ZU SOZIALEN INNOVATIONEN
Fortschritt und Innovation in unserer Gesellschaft
Innovationen mit einem gesellschaftlichen Mehrwert
Wenn Innovationen weltbewegende Probleme lösen
Soziale Innovationen gestern und heute
Mobilitätsinnovationen für eine bessere Welt
Drohnen, die Menschenleben retten
Eine soziale Vision von Mobilität
Kapitel 10 EPILOG
Von Erwartungen und Wünschen an Mobilität
Physische Mobilität: Schneller und weiter mit dem Hyperloop
Digitale Mobilität: Wie mobil müssen wir eigentlich sein?
Warum Mobilität heute mehr denn je in Bewegung ist
Anmerkungen und Quellen
Gesprächspartner:innen
Dank
Die Autorin
Vorwort von Professor Muhammad Yunus

Ich erinnere mich noch lebhaft an eine der eindrücklichsten Reisen, die ich jemals unternommen habe. Im Jahr 1955 erhielt die Pfadfindergruppe, zu der ich gehörte, die Chance, nach Europa und Nordamerika zu reisen, um in Kanada am World Scout Jamboree der Boy Scouts Association, einem internationalen Pfadfindertreffen, teilzunehmen.
Ich war fünfzehn Jahre alt. Es war eine unvergessliche Reise voller Eindrücke, die sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt haben. So war es wahrlich ein Erlebnis, den Atlantik hin und zurück auf Luxuslinern zu überqueren, zu sehen, wie die Länder Europas aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs auferstanden, und die Welt mit den Augen eines Kindes zu betrachten, das im ländlichen Umfeld eines südasiatischen Landes aufgewachsen war. Diese Reise war eine phänomenale Erfahrung. Was ich als Fünfzehnjähriger hier lernen durfte, sollte mein gesamtes weiteres Leben prägen.
Schneller, als wir es uns gewünscht hätten, rückte der letzte Tag des Pfadfindertreffens näher. Das Ende unseres großen Abenteuers schien sich anzukündigen. Das betrübte uns sehr, denn wir spürten, dass es für uns noch so viel zu entdecken gäbe. Die Organisator:innen unserer Reise hatten jedoch eine andere Idee. Sie dachten sich: Warum machen wir die Rückreise nicht zu einem Teil des Abenteuers für die 27 Jugendlichen? Also änderten sie den Reiseplan und beschlossen, uns auf dem Landweg durch ganz Europa bis nach Karatschi in Pakistan zu bringen, wo unsere Reise offiziell begonnen hatte. Sie würden den Flugpreis sparen und für das Geld stattdessen drei Kleinbusse kaufen, die anschließend in den Besitz der Pfadfinderorganisation Pakistans übergehen würden.
Natürlich gab es Bedenken. Manche sagten: »Nein, die Distanz ist zu groß, um sie mit Kleinbussen zu überwinden.« Andere sagten: »Nein, da müssten wir zu viele Grenzen passieren.« Zuletzt aber waren alle dafür. Wir waren jung und fanden alles besser, als nach Hause zu kommen und wieder zur Schule gehen zu müssen.
Den Atlantik überquerten wir auch diesmal per Schiff. In London angekommen, trafen wir alle erforderlichen bürokratischen und anderen Vorbereitungen für die lange Reise. Die erste Etappe führte uns nach Wolfsburg in Deutschland, wo wir im Werk von Volkswagen drei nagelneue Kleinbusse erwarben (besser bekannt als Bulli). Unmittelbar vom Werksgelände setzten wir zu unserer langen Fahrt an.
Jeder einzelne Tag der Reise war Spannung pur. Wir fuhren von Stadt zu Stadt und nahmen auch Umwege in Kauf, um besonders interessante Städte zu besichtigen, die nicht direkt entlang der Route lagen. Dort, wo es uns gefiel und wir mehr sehen wollten, blieben wir länger. Unvorhergesehene Umstände führten ebenfalls zu längeren Aufenthalten. Am Ende dauerte die Fahrt von Deutschland entlang der Mittelmeerküste durch Länder wie die Türkei, den Libanon, Irak und Syrien bis zurück nach Karatschi vier Monate. Hinzu kamen zwei weitere Wochen für den Weg quer durch Indien bis in meine Heimatstadt Chittagong in Bangladesch.
Auf unserer langen Reise begegneten wir so vielen warmherzigen und gastfreundlichen Menschen, dass sich die ganze Welt für uns anfühlte wie unser Zuhause.
Diese Erfahrung brachte mich zu der festen Überzeugung, dass wir globale Mobilität brauchen, um allen Menschen ein Umfeld zu ermöglichen, in dem sie Orte erreichen und die Welt erkunden können. Menschen auf der ganzen Welt sind begierig darauf, ihre Nachbarländer und die große Welt zu bereisen und hautnah zu erleben.
Auch im Alltag sind wir Menschen auf Mobilität angewiesen. Ohne Mobilität können wir nicht leben. Mobilität ist eine Lebensnotwendigkeit, wo immer wir uns befinden. Dabei unterscheidet sie sich natürlich abhängig von den ökomischen Gegebenheiten eines jeden Landes.
In Bangladesch beispielsweise besitzen die meisten Menschen kein eigenes Auto. Sie können sich schlicht keines leisten. Aber ich denke, das verschafft Bangladesch zugleich die Chance, die Zukunft besser zu planen. Wir können gewissermaßen bei null anfangen. Das gibt uns die Möglichkeit, mehr über den Transport für die Masse nachzudenken anstatt über private Autos. Wir können uns für umweltfreundliche Lösungen entscheiden. Wir können uns auf grüne Antriebe konzentrieren und fossilen Treibstoffen eine Auslauffrist setzen. Wir können neue Mobilitätsdienste für selbst organisierte Fahrgastgruppen einführen, die ihre Routen, Zeiten und Fahrpreise selbst bestimmen – für die einmalige Fahrt genauso wie auf regelmäßiger monatlicher Basis. Wir können die Nutzung von Fahrzeugen durch jeweils nur eine Person unattraktiv machen.
Bangladesch ist das am dichtesten besiedelte Land der Welt. Im Schnitt leben hier auf einem Quadratkilometer mehr als 1000 Menschen. Was würde passieren, wenn jede Person ein eigenes Auto hätte – womöglich auch noch mit fossilem Antrieb? Wir gehören bereits jetzt zu den Hauptleidtragenden der Klimakatastrophe. Da sollten wir nicht auch noch maßgeblich zu ihrer Verschärfung beitragen.
Mobilität ist aus verschiedenen Gründen ein großes Problem in Bangladesch. Die zwei wichtigsten sind die Luftverschmutzung und die Zahl der Verkehrstoten. In Dhaka, der Hauptstadt des Landes, ist der Verkehr schlicht unerträglich. Dhaka gehört weltweit zu den Städten mit der schlechtesten Luftqualität. Verkehrsstaus und Hupkonzerte sind hier fester Bestandteil des Alltags.
Während des letzten Jahres hat die Welt aus der Covid-19-Pandemie einige höchst wichtige und positive Dinge mit Blick auf die Mobilität gelernt. Die Pandemie hat uns gezwungen, unsere Mobilität drastisch zu verringern. Wir haben uns daran gewöhnt, viele Dinge auch ohne Mobilität zu meistern. Viele dieser wertvollen Veränderungen unserer Lebensweise, die die Pandemie uns aufgedrängt hat, werden wir auch dann beibehalten, wenn die Pandemie dereinst hoffentlich Vergangenheit sein wird. Es sind Veränderungen, die uns gefallen. Wir sagen ihnen eine große Zukunft voraus. Wir haben erfahren, dass wir Büros und ganze Unternehmen von zu Hause aus betreiben können. Wir tun dies nicht länger im Sinne einer Notfallmaßnahme, sondern weil es für uns bequem ist und unter Umweltgesichtspunkten ratsam erscheint. Wir haben erkannt, dass wir die meisten unserer Meetings virtuell abhalten können. Das spart Zeit (wir stecken nicht länger in Staus fest, was sich in Dhaka über Stunden hinziehen kann) und Geld. Wir können jetzt zu unseren Meetings und Konferenzen so viele Teilnehmer:innen einladen, wie wir nur wollen – von überall im Land und in der Welt und ohne die Hilfe einer Eventorganisation. Für Bildungseinrichtungen ist der virtuelle Alltag zur neuen Normalität geworden. Wir haben gesehen, wie Parlamentssitzungen und hochrangige UN-Meetings virtuell stattfinden können. Konferenzen wurden globaler – ganz ohne zusätzliche Kosten. Jede virtuell durchgeführte globale Veranstaltung spart Tonnen von Kohlenstoffemissionen. Virtuelle Meetings und Zusammenkünfte werden auch künftig helfen, die Gefahr einer globalen Ausbreitung von Viren zu reduzieren.
Plötzlich schießen die unterschiedlichsten Online-Unternehmen aus dem Boden. Viele unserer neuen Verhaltensweisen wurden uns von den Umständen aufgenötigt, aber wir werden sie fortan beibehalten, nachdem wir mittlerweile Gefallen an ihnen gefunden haben. Und wir werden sie im Lauf der Zeit weiter ausgestalten und noch mehr zu schätzen wissen.
Es gilt, Mobilität im Lichte dieser neuen Realität vollkommen neu zu denken. Die Pandemie hat einen wichtigen Lernprozess in Gang gesetzt. Wir werden den virtuellen Umgang miteinander weiter pflegen – nicht nur, um uns vor der Pandemie zu schützen, sondern unserer Umwelt und unserer Gesundheit zuliebe. Wir sollten baldmöglichst Richtlinien aufstellen, um virtuelle anstelle von physischen Interaktionen auf den unterschiedlichsten Ebenen zu fördern. Die Aufsichtsräte sollen ihr Management auffordern, Wege zu finden, wie sie die Menge der zurückgelegten Flugzeug- und Autokilometer Jahr um Jahr verringern können. Dies wird die virtuelle Interaktion fördern.
Mobilität, ja. Aber Mobilität muss mit sozialer und ökologischer Verantwortung verbunden werden. Mobilität ist ein Bereich, in dem es unerlässlich ist, die individuellen mit den kollektiven Bedürfnissen in Übereinstimmung zu bringen. Durch die Balance von sozialer und ökologischer Verantwortung ergibt sich ein klares Bild für die Zukunft der Mobilität: Sie muss verantwortungsbewusst, nachhaltig, bedarfsgerecht, einfach, hilfreich und erschwinglich sein. Und dabei muss uns stets bewusst sein: Als Alternative bleibt uns immer auch die virtuelle Option.
Die Mobilität der Zukunft muss das Ziel verfolgen, den Verkehr zu reduzieren. Den Vorrang sollten zwei- und dreirädrige Gefährte haben, während das typischerweise lediglich mit einer Person besetzte Auto zum Auslaufmodell werden sollte – zumindest, solange es nicht mit grüner Energie betrieben wird und sehr viel weniger öffentlichen Raum in der Stadt beansprucht als das typische Auto von heute.
Wenn wir diese Ziele erreichen wollen, benötigen wir kreative Ideen und innovative sogenannte Social Businesses. Sowohl im Mobilitätssektor wie auch in seinem Gegenstück, dem virtuellen Sektor, der uns hilft, den Mobilitätsbedarf zu verringern. Ein Social Business ist ein von sozialem Bewusstsein getriebenes Unternehmen. Es ist ein Unternehmen, das keine Gewinnabsicht verfolgt, sondern sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientiert und seine Aufgabe darin sieht, Probleme der Menschheit zu lösen. Mittlerweile werden überall auf der Welt Social Businesses zur Entwicklung nachhaltiger Mobilitätslösungen gegründet. Massive Anstrengungen sind erforderlich, damit daraus eine Kraft wird, die das Potenzial hat, echte Veränderungen zu bewirken. Ich werde nicht müde, Unternehmen, Technologieexpert:innen und jungen Menschen Mut zu machen, immer wieder mit der kreativen Herangehensweise der Social Businesses neue Ideen zu entwickeln, um Mobilitätsprobleme zu bewältigen. Die Aufgabe eines Social Business ist es, mit unternehmerischen Mitteln Lösungen für die Probleme des Menschen und des Planeten zu finden. Wir definieren ein Social Business als ein nicht auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen zur Lösung von Problemen unserer Gesellschaft.
Weil es Social-Business-Unternehmer:innen nicht darauf absehen, persönlich Gewinn aus dem Unternehmen zu ziehen, können sie all ihre Kreativität voll und ganz der unternehmerischen Lösung des eigentlichen Problems widmen.
Warum sollte jemand an Social Business interessiert sein? Ganz einfach: Geld macht zwar glücklich, aber andere glücklich zu machen, macht noch sehr viel glücklicher.
Unternehmertum kann aus dem einfachen Grund die Form von Social Business annehmen, weil der Mensch von Natur aus keine Gelddruckmaschine ist. Menschen sind vielmehr dazu geschaffen, zweierlei Interessen zu verfolgen: persönliche und Kollektivinteressen. Doch aus irgendeinem Grund sind wir ausschließlich damit beschäftigt, persönliche Interessen zu verfolgen, indem wir Gewinnmaximierung als Unternehmensziel festlegen. Social Business hingegen ist eine Form des Wirtschaftens, das sich diesem zweiten Grundanliegen gegenüber öffnet: dem Gemeinwohl zu dienen.
Social Business verfolgt keine persönlichen Gewinninteressen. Es ist ausschließlich dem kollektiven Glück gewidmet, indem Probleme der Allgemeinheit gelöst werden. Wenn wir Mobilität als eine kollektive Aufgabe verstehen, müssen wir auch nach sozialen und unternehmerischen Lösungen suchen. Social Business ist der geeignete unternehmerische Ansatz dafür.
Und hier kommt nun Nari Kahle ins Spiel. Sie hat dieses inspirierende Buch über Sozialinnovator:innen und ihre Initiativen im Mobilitätssektor geschrieben. So erhalten alle diejenigen eine Plattform, die sich mit viel Einsatz um die Verwirklichung gesellschaftlicher Ziele im Bereich der Mobilität bemühen. Alle diese Disruptor:innen einer sozial orientierten Mobilität streben danach, bessere Mobilitätsmodelle zu entwickeln, als wir sie heute haben. In Nari Kahles Buch lernen wir Social Changemaker kennen, die fest daran glauben, dass es möglich ist, unsere Mobilität durch die Kraft des Unternehmertums zu verbessern.
Ich bin davon überzeugt, dass Social-Business-Initiativen unsere Mobilität verändern können, genauso wie sie unsere Lebens- und Arbeitswelt grundlegend verändern. Ich lade Sie ein, einen Blick auf die neuen Ideen dieser Social Changemaker aus dem Mobilitätsbereich zu werfen, die mit viel Engagement interessante Lösungen für die bestehenden gesellschaftlichen Herausforderungen finden und umsetzen.
Ich hoffe, dass Ihnen die im Buch vorgestellten neuen Ansätze, soziale Lösungen auf wirtschaftlich nachhaltige Weise zu verfolgen, zu vielen neuen Erkenntnissen verhelfen, und wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.
Professor Muhammad Yunus
Gründer der Grameen Bank
Friedensnobelpreisträger 2006
EINLEITUNG
Mobilität im Umbruch
Seit über zehn Jahren beschäftige ich mich mit sozialen Fragen in der Wirtschaft. Damit, wie die Wirtschaft Lösungen zu den wichtigsten und drängendsten Problemen der Gesellschaft finden kann. Wie Unternehmen einen positiven Beitrag für ihr soziales Umfeld leisten können und sollten. Ich beschäftige mich mit sozialen Geschäftsmodellen, sozialen Start-ups und sozialen Innovationen. Warum? Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unser Wirtschafts- und unser Sozialsystem im Umbruch befinden. Es findet ein Umdenken statt. Fragen nach dem Sinn und Ziel der aktuellen Marktwirtschaft werden wichtiger. Soziale und ökologische Aspekte drängen sich auf die Agenden der großen Wirtschaftsforen, Medien und politischen Diskurse. Für mich ist klar: Wir denken Wirtschaft zu einseitig, wenn wir sie unter dem alleinigen Ziel der Gewinnmaximierung betrachten. Es ist an der Zeit, in Projekten und wirtschaftlichen Vorhaben den Nutzen für Menschen und Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen.
Eigentlich dachte ich, die Mobilitätsbranche sei nichts für mich. Meine Schwerpunkte sah ich in anderen Wirtschaftszweigen und an den Universitäten. Und dann landete ich bei einem Arbeitgeber, der auf den ersten Blick so gar nicht zu meinen Themen passte: bei einem der weltweit größten Automobilhersteller. Ich startete in einer sicherlich ungewöhnlichen Position: als Referentin des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG im Kontext der vielleicht am stärksten gelebten Mitbestimmung der Welt. Etwas später im Buch möchte ich mehr darauf eingehen, inwiefern diese Zeit meinen Blick auf Arbeit und unternehmerische Verantwortung für immer verändert hat.
Ich dachte nicht, dass ich mich jemals in einem Automobilkonzern heimisch fühlen würde. Doch dann tauchte ich tief ein in den Alltag, die Herausforderungen und die Entwicklungen des gigantischen Automobil- und Mobilitätskosmos. Ich lernte viel und sprach mit meinen Kolleg:innen, war bei Diskussionen mit Vorstandsmitgliedern und dem Aufsichtsrat dabei und traf in Pitches auf Berufseinsteiger:innen und Gründer:innen. Außerdem sprach ich viel mit der jungen Generation, mit NGOs, Gewerkschaften und Konsumentenvertreter:innen außerhalb des Unternehmens. Mir wurde klar: Mobilität ist vielschichtig, facettenreich und unfassbar spannend.
So habe ich meine Leidenschaft für das Thema entdeckt. Kaum ein Wirtschaftsbereich ist für uns als Gesellschaft so prägend, so verbindend und so unersetzlich. Alle sind auf Mobilität angewiesen. Nicht zuletzt deshalb werden Diskussionen bisweilen hoch emotional geführt. Wir alle haben eine Meinung. Wir alle sind betroffen.
Nicht nur die Wirtschaft, auch die Mobilität befindet sich im Umbruch. Sie wird auf der ganzen Welt neu erfunden. Die uns jahrzehntelang so vertrauten Fahrzeuge, Antriebe und Verkehrsinfrastrukturen werden in naher Zukunft anders aussehen oder vielleicht gar nicht mehr existieren. Die aktuellen Entwicklungen zeigen in eine sehr eindeutige Richtung: Mobilität wird moderner, digitaler, vernetzter, umweltfreundlicher, geteilter, offener, zugänglicher, gerechter und sie wird vor allem sozialer.