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Materialien aus den Betrieben: Der Beobachtungsauftrag kann die Aufgabe beinhalten, Materialien aus dem Betrieb mitzubringen (z.B. Brotrezepte). Da unterdessen praktisch alle Lernenden über ein Smartphone verfügen, kann das auch heissen, dass sie im Betrieb Fotos von erlebten Situationen machen und diese beispielsweise auf eine gemeinsame Plattform hochladen (Cattaneo & Felder 2018).
Zu Schritt 3: Mittelschwere Aufgabe stellen und die Lernenden in Gruppen erarbeiten lassen, wie sie diese mit ihrem bereits vorhandenen Wissen angehen würden
Hintergrund: C1 Subjektive Erfahrungsbereiche; C4 Lernziel richtige Antwort; C5 Erfahrung und Instruktion; C8 Gewisse Ungewissheit
Schritt 2 als Voraussetzung: Entscheidend ist hier, dass der vorangegangene Schritt erfolgreich abgeschlossen wurde, das heisst, dass alle Lernenden eine konkrete, möglichst in ihren Erfahrungen verankerte Vorstellung der fraglichen Situation haben.
Keine Anleitung: Entscheidend ist, dass die Lehrperson jeder Versuchung einer einführenden Anleitung oder der kurzen Repetition wichtiger Konzepte widersteht und die Lernenden einfach einmal machen lässt (Hintergrund: C2 Erfahrungen und Ressourcen). Unter anderem erhält man nur so einen unverfälschten Blick auf das Vorwissen, das ihnen aktuell zur Verfügung steht.
Mittelschwere Aufgabe: Die Aufgabe sollte nicht so schwer sein, dass die Lernenden keine Chance haben, auch nur annähernd zu einer Lösung zu gelangen. Es sollte aber eine echte Aufgabe sein, die die Komplexität der Situation einfängt und die Lernenden herausfordert. Idealerweise erleben die Lernenden in diesem Schritt, dass sie zwar durchaus schon einiges wissen und können, dass es aber gewisse Aspekte gibt, zu denen sie noch etwas dazulernen müssen und können.
Typischerweise entspricht eine durchschnittliche Aufgabe, so wie sie im beruflichen Alltag immer wieder auftritt, diesen Anforderungen. Auch wenn die Lernenden dann die Aufgabe in ihren Gruppen nicht wirklich lösen können, sollte ihnen klar sein, dass man eine solche Lösung früher oder später von ihnen erwarten wird und dass es sich daher lohnt, sich intensiv damit auseinanderzusetzen.
Keine künstliche Erschwerung: Stellt man eine realistische Aufgabe und zeigt sich dabei, dass das Vorwissen der Lernenden ausreicht, die Aufgabe zu bearbeiten, ist dies kein Grund, die Aufgabe künstlich zu erschweren. Vielmehr ist das ein positives Zeichen dafür, dass die Lernenden bereist beherrschen, was man am Ende der Ausbildung von ihnen erwartet.
Zu Schritt 4: Die Lösungen der Lernenden gemeinsam kritisch besprechen
Hintergrund: C1 Subjektive Erfahrungsbereiche; C5 Erfahrung und Instruktion
Präsentation der Lösungsversuche: Am besten lassen sich die Lösungen der Gruppen vergleichend besprechen, wenn jede Gruppe ihre Lösung auf einem Flipchart darstellt. Diese können zum Vergleich nebeneinander aufgehängt werden.
Positive Aspekte würdigen: Wichtig ist, dass die Diskussion nicht nur Schwächen hervorhebt, sondern dass auch Stärken festgehalten werden. Vielleicht produziert eine Variante zwar keine exakte Lösung, doch eine gute Näherung, die im aktuellen Fall sogar für praktische Zwecke genügen würde. Ebenso ist es möglich, dass eine Variante nur im aktuellen Fall funktioniert, aber in anderen Fällen versagt, etc.
Gegenbeispiele einsetzen: Funktioniert die Lösung einer Gruppe ausschliesslich im aktuellen Fall, kann man darauf mithilfe geeigneter Gegenbeispiele hinweisen (Hintergrund: C7 Schnelles Denken, langsames Denken). Dadurch bereitet man den Boden vor für eine allgemeinere, breiter einsetzbare Variante in Schritt 5.
Offene Fragen sammeln: Wichtig ist, all diese Stärken und Schwächen, all die Ideen und Schwierigkeiten der einzelnen Gruppen festzuhalten und zu würdigen. Im Idealfall steht am Ende des Schritts eine Liste von Anforderungen an ein professionelles Vorgehen und daneben Fragen, die die Lösungsversuche der Gruppen offengelassen haben (Hintergrund: C4 Lernziel richtige Antwort).
Wenn es keine Fragen gibt: Hin und wieder haben die Lernenden mit der Aufgabe keine Schwierigkeiten und beherrschen bereits, was man ihnen beibringen wollte. Dann kann man die Bearbeitung dieser Situation abbrechen und zu einer neuen Situation übergehen. Schritte 5 bis 8 erübrigen sich in diesem Fall.
Zu Schritt 5: Vorgehen einführen, Benutzung an realistischem Beispiel modellhaft vormachen
Hintergrund: C5 Erfahrung und Instruktion
Gebrauch modellieren: Wichtig ist, dass in diesem Schritt nicht das Verfahren abstrakt dargestellt, sondern sein realistischer Gebrauch modelliert wird (Hintergrund: C2 Erfahrungen und Ressourcen). Die Lernenden sollen erleben, wie eine Fachperson das Verfahren in einer realistischen Situation einsetzt und was diese sich dabei so denkt. Dieser Fokus auf den Gebrauch hilft der Lehrperson idealerweise dabei, sich auf das zu konzentrieren, was wesentlich ist. Theoretische Details, die zwar auch noch interessant wären, aber für den Gebrauch keine Rolle spielen, treten in den Hintergrund (Hintergrund: C3 Situierte Abstraktion). Dafür erhalten praktische Abwägungen mehr Gewicht, die bei der Umsetzung im beruflichen Alltag wichtig sind (Beispiele: B1 und B2).
Antwort auf Fragen: Ziel ist es, das, was die Lernenden aufgrund ihres Vorwissens schon beherrschen, auf ein neues, professionelleres Niveau zu heben. Dies funktioniert am besten, wenn es gelingt, das Vorgehen so darzustellen, dass die Lernenden direkt erleben, wie dadurch ihre Fragen (Schritt 4) beantwortet beziehungsweise ihre Schwierigkeiten (Schritt 3) behoben werden (Hintergrund: C4 Lernziel richtige Antwort). Erreichen kann man das unter anderem, indem man diejenigen Aspekte des Verfahrens mit einem direkten Bezug zu den Fragen und Schwierigkeiten hervorstreicht.
Keine Show: Mit «modellhaft vormachen» ist nicht die perfekte Vorführung eines gut vorbereiteten Beispiels gemeint. Eine solche einstudierte Demonstration weckt gerade bei schwächeren Lernenden die falsche Vorstellung, dass eigentlich alles ganz einfach sein sollte. Wichtig ist, dass die Lernenden ein realistisches Bild davon bekommen, was es auch für eine erfahrene Person bedeutet, solch eine Aufgabe anzugehen (Hintergrund: C8 Gewisse Ungewissheit).
Dazu gehört unter anderem, dass man durch lautes Denken sichtbar macht, was man sich alles Schritt für Schritt überlegen muss. Am besten gelingt das, wenn man keine vorbereitete Aufgabe verwendet, sondern sich von den Lernenden eine geben lässt. Dadurch wird man gezwungen, selbst all die Überlegungsschritte zu machen, die es zur vollständigen Bearbeitung der Aufgabe braucht. Und die Lernenden erleben, wo auch eine erfahrene Person noch nachdenken muss und allenfalls etwas ins Stocken gerät.
Hintergrundtheorie: Manchmal spricht das modellierte Vorgehen für sich allein, und den Lernenden ist sofort klar, warum und wie es die Probleme löst, die sie in Schritt 3 und 4 angetroffen haben. Meist benötigen sie dazu aber die eine oder andere Erklärung. Schritt 5 ist daher auch der Ort, um die notwendige Hintergrundtheorie einzuführen und daraus einzelne Aspekte des modellierten Vorgehens zu begründen.
Man kann gut zuerst das Verfahren modellieren und dann erst die Theorie einführen, um einige Aspekte des Vorgehens damit zu erklären. Es ist aber auch umgekehrt möglich, zuerst den notwendigen theoretischen Hintergrund vorzubereiten und dann das Vorgehen auf diesem Hintergrund darzustellen. Wichtig ist einzig, dass Theorie und Verfahren eng aufeinander bezogen sind.
Welche Reihenfolge man wählt, hängt unter anderem von den Vorlieben der Lernenden ab. Manche verlieren bei einem vorangestellten Theorieblock den Faden, andere können ohne vorgängige Orientierungshilfe der modellhaften Vorführung des Vorgehens schlecht folgen. Wenn sich anhand der Theorie erklären lässt, warum die Lernenden im Schritt 3 Schwierigkeiten hatten, ergibt es mehr Sinn, diesen Teil der Theorie vor dem Vorgehen zu behandeln. Dient die Theorie hingegen dazu, Aspekte des Vorgehens zu begründen, ist sie für die Lernenden leichter einzuordnen, wenn sie nachher zum Thema gemacht wird.
Hintergrundtheorien dienen typischerweise dazu, die verschiedenen Elemente der im Zentrum stehenden Handlungssituation zu ordnen und zueinander in Verbindung zu bringen. Dieses Ziel entspricht dem Ziel von A3 Phänomene einordnen. Vor allem, wenn eine grössere Menge Hintergrundtheorie eigeführt werden muss, kann man an dieser Stelle auch A1 Handeln vorbereiten unterbrechen und einmal vollständig und ausführlich A3 Phänomene einordnen durchspielen.
Zu Schritt 6: Die Lernenden eigene Beispiele erfinden lassen, bis sie sich sicher fühlen
Hintergrund: C6 Varianten des Übens
Anleiten: Eventuell ist es zweckmässig, zuerst ein, zwei Beispiele im Plenum zu erfinden und zu bearbeiten. Dann sollten die Lernenden in Gruppen üben, bis sie sich sicher fühlen. Manchmal braucht es für die Gruppenphase nochmals ein bereits formuliertes Beispiel, um die Aufgabenproduktion in Schwung zu bringen. Beim Arbeiten in den Gruppen benötigen die Lernenden zu Beginn meist noch mehr oder weniger Unterstützung (sowohl beim Erfinden der Beispiele wie beim Lösen). Mit der Zeit kann und muss diese aber wegfallen. Gegen Schluss kann man sogar dazu übergehen, spontan zusätzliche Schwierigkeiten in die Beispiele der Lernenden einzubauen.
Wörtliche Umsetzung: Ein Verfahren kann man nur einüben, wenn man sich in der Übungsphase strickt an das vorgeschlagene Vorgehen hält. Wichtig ist daher, dass alle Lernenden angehalten sind, das in Schritt 5 modellierte Vorgehen so gut es ihnen gelingt zu nutzen und nicht hier schon Varianten zu produzieren. Eine Diskussion über Varianten und Grenzen des Vorgehens wird auf später verschoben (vgl. «Reflexion» unten).
Anzahl: Besteht eine Klasse aus 20 Lernenden, die je eine Aufgabe erfinden, 19 Aufgaben ihrer Kolleginnen und Kollegen lösen und dann nochmals 19 Lösungen zu ihrer Aufgabe korrigieren, wurde gut und genug geübt.
Lösungen: Alle, die eine Aufgabe beisteuern, geben separat dazu eine Musterlösung ab. Anhand dieser Lösung korrigieren sie dann die Lösungsversuche der anderen Lernenden. Dies ist nur zielführend, wenn die Musterlösungen korrekt sind. Um dies sicherzustellen, kann die Lehrperson in der Zeit, in der die Lernenden an den Aufgaben arbeiten, die Musterlösungen kontrollieren. Spannender und interaktiver geschieht dies aber, wenn die Lernenden ihre Musterlösungen irgendwo aufhängen. Die Lernenden können dann ihre eigene Lösung mit den Mustern vergleichen. Typischerweise entsteht bei nicht korrekten Musterlösungen, aber auch bei Aufgaben, zu denen es mehrere akzeptable Lösungen gibt, bald einmal eine rege Diskussion zwischen den Lernenden, da nicht alle mit der Musterlösung einverstanden sind. Die Lehrperson kann diese Diskussion nutzen, um alternative Lösungen, typische Schwierigkeiten und typische Fehlüberlegungen zu thematisieren.
Reflexion: Für jedes praktische Vorgehen müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein, damit es sinnvoll eingesetzt werden kann. Die Lernenden können das eingeübte Vorgehen im praktischen Alltag nur dann sinnvoll einsetzen, wenn sie sich dessen bewusst sind. Gegen Ende des Schritts 6 ist es ein guter Moment, um mit ihnen diesen Aspekt zu thematisieren. Am besten greift man dazu nochmals auf die Lösungsversuche von Schritt 3 zurück und bespricht, inwiefern und unter welchen Bedingungen das eingeübte Vorgehen die dort erlebten Schwierigkeiten behebt. Dabei zeigt sich manchmal auch, dass in einigen Fällen eine der Gruppenlösungen das praxistauglichere Vorgehen darstellt und somit dem von der Lehrperson eingeführten Vorgehen vorzuziehen ist (Beispiel: B2 Randumfang einstellen).
Zu Schritt 7: Die Lernenden Spickzettel für die Arbeit im Betrieb erarbeiten lassen
Hintergrund: C3 Situierte Abstraktion; C7 Schnelles Denken, langsames Denken
Für den Betrieb: Wenn die Situation auch oder nur an einer Prüfung vorkommt, ist es sinnvoll, auch für diesen Einsatz im Rahmen des rechtlich Erlaubten einen Spickzettel zu erstellen. Von der Grundidee her geht es aber darum, einen Spickzettel für den Gebrauch im Betrieb zu erstellen. Die Lernenden müssen sich daher folgende Frage stellen: Wenn ich morgen im Betrieb mit genau dieser Situation beziehungsweise Aufgabe konfrontiert bin, was brauche ich da als Gedächtnisstütze, damit ich versuchen kann, das Gelernte einzusetzen?
Kurzfristiger Gebrauch: Ein Spickzettel kann eine kurzfristige und eine langfristige Rolle erfüllen. In der kurzfristigen Funktion hilft er den Lernenden, sich im Betrieb daran zu erinnern, wie sie überhaupt vorgehen sollen (z.B. «Zuerst …, dann … Nicht vergessen …!»). Wird das entsprechende Vorgehen mit der Zeit zur Routine, verliert diese Komponente des Spickzettels ihre Bedeutung. Kann sich aber keine Routine ausbilden, weil die entsprechende Situation zu selten auftritt, ist es sinnvoll, dass auch dieser Teil des Spickzettels irgendwo überlebt und später wieder zur Verfügung steht.
Langfristiger Gebrauch: Langfristiger brauchbar können für das Vorgehen zentrale Grössen und Daten sein, die man einfach kennen muss, um den Arbeitsablauf durch Nachschlagen beziehungsweise Nachrechnen nicht zu behindern (Beispiel: B2 Randumfang einstellen). Die Lernenden können daraus ein persönliches Nachschlagewerk aufbauen, das sie unter Umständen längere Zeit während ihrer beruflichen Karriere begleitet.
Individuelle Form: Wichtig ist allerdings, dass die Lernenden nicht einfach Material kopieren, sondern eine Darstellungsform finden, die für sie individuell hilfreich ist, die ihnen genau die Unterstützung bietet, die sie brauchen (Hintergrund: C3 Situierte Abstraktion).
Unterstützung: Brauchbare Spickzettel zu schreiben, muss gelernt werden. Anfänglich ist nicht zu erwarten, dass alle Lernenden gleich das für sie brauchbare Format finden. Es braucht daher etwas Beratung und dann auch gemeinsame Diskussionen, bis ein gutes Format gefunden ist. Sinnvoll ist es, bei Schritt 8 (Erfahrungsberichte aus dem Betrieb) auch die Brauchbarkeit der jeweiligen Spickzettel zu evaluieren und allenfalls daraus Konsequenzen für ein nächstes Mal zu ziehen.
Zu Schritt 8: Die Anwendung im Betrieb diskutieren
Hintergrund: C6 Varianten des Übens; C7 Schnelles Denken, langsames Denken; C8 Gewisse Ungewissheit
Zeitaufwand: Die Bedeutung dieses Schritts darf man nicht unterschätzen. Wird er ernst genommen, kann er schnell mehr Zeit beanspruchen als alle anderen Schritte zusammen! Gelerntes, das man im Prinzip verstanden hat, unter Alltagsbedingungen situationsangemessen zu nutzen, ist keineswegs trivial (Hintergrund: C2 Erfahrungen und Ressourcen).
Vorbereiten: Man kann diesen Übergang in die betriebliche Anwendung vorbereiten, indem man in der Klasse vorausschauend diskutiert, was geschehen wird beziehungsweise geschehen könnte, wenn die Lernenden morgen oder nächste Woche eine entsprechende Situation in ihrem Betrieb anpacken. Am besten geschieht das im Zusammenhang mit der Erstellung der Spickzettel. Dabei kann sich zeigen, dass die Lernenden noch Informationen oder Hilfe zu Punkten brauchen, die bisher gar nicht besprochen wurden.
Nachbereiten: Allerdings lässt sich kaum vorhersehen, welche Schwierigkeiten die einzelnen Lernenden im Betrieb dann tatsächlich haben werden. Wichtiger als eine Vorbereitung auf den Einsatz des Vorgehens ist deshalb, dass die Lernenden zu einem späteren Zeitpunkt die im Betrieb gesammelten Anwendungserfahrungen in die Schule zurückbringen, um sie dann gemeinsam zu diskutieren. Dies ist typischerweise der Moment, wo die Lehrperson als erfahrene Berufsperson aus dem Vollen schöpfen kann und auch soll.
Kritische Reflexion: Dies ist dann nochmals der Moment, die Möglichkeiten und Grenzen des behandelten Vorgehens kritisch zu diskutieren, seine Stärken und Schwächen festzuhalten. Oft ergibt sich das von selbst, wenn einzelne Lernende davon berichten, dass in ihrem Betrieb anders vorgegangen wird oder dass das an der Schule behandelte Vorgehen dort explizit abgelehnt wird.
Erfahrungen reflektieren: Wenn man sich besonders intensiv mit einer Erfahrung, die die Lernenden aus dem Betreib zurückbringen, auseinandersetzen will, kann man das mithilfe von A2 Erfahrungen reflektieren machen.
A1.4 Erwähnte Literatur
Cattaneo, A. & Felder, J. (2018). Eine digitale Brücke zwischen den Lernorten. skilled, 1/18.
A2 ERFAHRUNGEN REFLEKTIEREN
Zweites Grundrezept: «Reflektierende Fallstudie»
A2.1 Die Zielsetzung
Die Lernenden machen im Betrieb täglich neue Erfahrungen in unterschiedlichsten Situationen wie «Brot backen», «ein Kundengespräch führen», «eine Klientin mobilisieren», «ein Gerüst aufstellen», «einen Computer als Server einrichten» etc. Diese Erfahrungen werden in Zukunft ihr Handeln leiten (Hintergrund: C1 Subjektive Erfahrungsbereiche). Daher ist es wichtig, sie zu reflektieren. Professionelles Handeln ist nur möglich, wenn sich die Lernenden bewusst sind, welche ihrer Erfahrungen positive Modelle abgeben, die man getrost kopieren kann (z.B. beim Gerüstbau einen Helm tragen), und welche eher negative Beispiele sind, die man meiden sollte (z.B. schnell, schnell und ungesichert am Gerüst noch eine Veränderung vornehmen).
Für viele Situationen gibt es Regeln oder Leitlinien wie «Hygieneregeln», «Sicherheitsregeln auf dem Bau», «Grundsätze eines erfolgreichen Kundengesprächs» oder «ergonomisches Arbeiten». All diese Leitlinien eignen sich, um Erfahrungen kritisch zu reflektieren, haben aber meist nicht die Form eines Verfahrens, das man erlernen könnte. Aus den «Grundsätzen eines erfolgreichen Kundengesprächs» lässt sich beispielsweise nicht direkt ableiten, was man in einem bestimmten Moment genau sagen soll. Die «Grundsätze» eignen sich aber hervorragend, um nachher darüber nachzudenken, ob das, was man im Verlauf eines bestimmten Gespräches gesagt hat, sinnvoll war (positives Modell) oder eher nicht (negatives Modell) (Hintergrund: C7 Schnelles Denken, langsames Denken).
Um den Lernenden zu helfen, ihre Erfahrungen in diesem Sinne zu reflektieren, entstand das Unterrichtsrezept Erfahrungen reflektieren.
Leseanleitung: Möchten Sie sich einfach informieren, wie dieses Rezept aufgebaut ist, dann lesen Sie hier direkt weiter. Möchten Sie aber angeleitet werden, wie Sie sich dieses didaktische Rezept am besten zu eigen machen, dann gehen Sie zu A9 Leseanleitung zu Teil A.
A2.2 Erfahrungen reflektieren kurz gefasst
Das Rezept umfasst acht Schritte, die aufeinander aufbauen. Im Zentrum stehen:
• Eine bestimmte Situation – wie «Brot backen» oder «einen Computer als Server einrichten» –, welche die Lernenden im beruflichen Alltag immer wieder antreffen und zu der sie entsprechend schon verschiedene Erfahrungen gesammelt haben.
• Ein bewährtes Raster (Regel oder Leitlinie), mit dessen Hilfe man diese Erfahrungen als positive oder negative Modelle einstufen kann.
Schritt 1: Vorgabe einer typischen beruflichen Handlungssituation
Die Lehrperson bestimmt eine typische berufliche Handlungssituation, die im Fokus stehen soll (z.B. «Reklamationen von Kunden entgegennehmen»). Dies muss eine Situation sein, welche die Lernenden bereits erlebt haben.
Schritt 2: Geschichte wählen und erzählen
Vorschlagen: Die Lernenden machen Vorschläge zu Geschichten, die sie über Erlebnisse in der betreffenden Situation erzählen können (z.B. «eine anspruchsvolle Kundin», «ein wütender Kunde», «eine verwirrte Kundin»).
Auswählen: Alle (Lernende und Lehrperson) stimmen darüber ab, welche der vorgeschlagenen Geschichten vertieft behandelt werden soll (z.B. «ein wütender Kunde»).
Erzählen und Nachfragen: Die Lernende, die die gewählte Geschichte vorgeschlagen hat, stellt diese ausführlich dar (z.B. «Der Kunde war zuerst ganz höflich, aber dann …»). Die anderen fragen nach, wenn ihnen Dinge unklar sind oder wenn sie gern weitere Informationen hätten.
Schritt 3: Frage wählen
Fragen vorschlagen: Alle machen Vorschläge, welche Fragen sie gern anhand der erzählten Geschichte behandeln würden (z.B. «Was mache ich, wenn es zu einer Schlägerei kommt?» oder «Wie kann so etwas überhaupt passieren?»).
Fragen wählen: Alle stimmen darüber ab, welche Frage vertieft behandelt werden soll (z.B. «Wie kann so etwas überhaupt passieren?»).
Schritt 4: Raster wählen und darstellen
Wahl eines Rasters: Es wird ein Raster (ein theoretisches Konzept, ein Modell, eine Theorie) bestimmt, anhand dessen sich die gewählte Frage im Rahmen der Geschichte behandeln lässt (z.B. das Konzept des Vier-Ohren-Modells von Schulz von Thun).
Präsentation des Rasters: Eine Person beschreibt das Raster, sodass es allen präsent ist.
Schritt 5: Beschreibung
Die Geschichte wird in das Raster «eingefüllt», das heisst mithilfe der Begrifflichkeit des Rasters geordnet (z.B. Aspekte einzelner Äusserungen im Gespräch mit dem verärgerten Kunden den entsprechenden «Ohren»).
Schritt 6: Analyse
Anschliessend wird geklärt, ob das, was in der Geschichte geschehen ist, aus der Sicht des Rasters sinnvoll beziehungsweise korrekt war (z.B. «Wurde ein ‹Ohr› systematisch vernachlässigt?»).
Schritt 7: Varianten
Dieser Schritt schafft einen Freiraum, um Aspekte der Geschichte zu behandeln, die durch die vorangegangene fokussierte Analyse nicht berücksichtigt wurden. Er kann verschiedene Formen annehmen, wie beispielsweise:
Diskussionen, Input: Alle beteiligen sich an einer Diskussion, wie man beispielsweise in der Geschichte auch noch hätte vorgehen können (z.B. «Und was mache ich jetzt wirklich bei einer Schlägerei?»).
Übungen: Ausgewählte Aspekte des Rasters und seiner Anwendung werden gezielt geübt, etwa in Form von Rollenspielen (z.B. «auf Widersprüche zwischen den ‹Ohren› achten»).
Schritte 8: Konsequenzen
Individuell planen: Die Lernenden ziehen je für sich Konsequenzen aus dem Behandelten (z.B. das benutze Raster nochmals genauer durcharbeiten, in Zukunft im Betrieb anders zu reagieren …).
Schlussrunde: Die Lernenden beschreiben reihum kurz, welches ihre persönlichen Konsequenzen sind.
ERFAHRUNGEN REFLEKTIEREN IM ÜBERBLICK
1. Vorgabe einer typischen beruflichen Handlungssituation