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1Die situativ-kooperative Führung
1.1Sich und andere besser verstehen
Im Laufe unseres Lebens entsteht in uns aufgrund von Erfahrungen ein Bild, das wir von uns selbst und von der Umwelt machen. Wir wollen es «Selbst-Bild» nennen. Dieses Selbst-Bild ist individuell geprägt und deckt sich nicht mit dem Bild, das andere von uns haben. Da wir nun unsere individuelle Welt als «Realität» betrachten, führt dies im Führungsalltag zwangsläufig immer wieder zu Missverständnissen (Parikh, 1994).
Im Allgemeinen nehmen wir an, dass unsere eigenen Vorstellungen von Führung und Autorität «wahr» und «richtig» sind. Viele Führungskräfte fragen sich kaum, welches ihre typischen Verhaltensweisen sind und wie ihr Verhalten auf andere Menschen – z. B. auf die Mitarbeitenden – wirkt.
Sich besser zu verstehen, ist deshalb die Grundlage jeglicher Führungsarbeit. Es ist sogar eine grundlegende Forderung, welche die Griechen mit dem «Erkenne dich selbst» ja nicht nur für Führungskräfte auf ihren Tempel gemeisselt haben.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Veränderung.
Vieles kann ich bei anderen besser begreifen und akzeptieren, wenn ich mich selbst etwas besser kenne. Wir beginnen daher mit einem Fragebogen zum Führungsverhalten.
1.2Das eigene Führungsverhalten kennenlernen
Sie finden auf den folgenden Seiten je vier Aussagen zu sieben elementaren Verhaltensbereichen im Umgang mit Mitarbeitenden.
Lesen Sie zunächst die vier Sätze A bis D unter dem ersten Punkt (Verhalten beim Ziele-Setzen). Betrachten Sie jeden dieser vier Sätze als eine mögliche Beschreibung Ihres eigenen Verhaltens. Setzen Sie eine 4 zu jenem Satz, der am ehesten auf Sie zutrifft, und zwar so, wie Sie Ihrer Meinung nach tatsächlich sind, und nicht, wie Sie sein möchten oder sein sollten. Geben Sie dann jenem Satz eine 3, der Ihr Verhalten am zweitbesten beschreibt. Fahren Sie mit den restlichen Sätzen fort, indem Sie der drittbesten Schilderung Ihres Verhaltens eine 2 und dem Satz, der am wenigsten auf Sie zutrifft, eine 1 zuordnen.
Verhalten beim Ziele-Setzen
A Ich stecke das Ziel möglichst hoch und setze kurze Termine. Nur bei starker Herausforderung der Mitarbeitenden entsteht eine gute Leistung.
B Der oder die Mitarbeitende soll sich die Ziele möglichst selbst setzen, da er oder sie sich bei selbst gesetzten Zielen mehr anstrengt. Ich gebe höchstens Richtwerte oder sehr grobe Ziele vor.
C Wichtiger als eine Zielsetzung durch mich ist es, dass die Mitarbeitenden ihre Aufgaben gemäss Stellenbeschreibung pflichtgemäss erfüllen. Ziele, die von der Geschäftsleitung kommen, gebe ich selbstverständlich nach unten weiter.
D Ich vereinbare mit meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen regelmässig Ziele, sodass sich Unternehmensziele und individuelle Ziele ergänzen. Die Mitarbeitenden sollen diese Ziele verstehen und akzeptieren, aber auch gleichzeitig durch sie herausgefordert werden.
Verhalten beim Planen
A Ich mache nur da Pläne, wo es die Situation erfordert. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin soll sich auf seine / ihre eigene Weise «durchbeissen».
B Ich stelle die Pläne so auf, dass eine langfristige Entwicklung gesichert und jeder Abschnitt klar umrissen ist. Pläne sollen gut durchdacht sein und die Mitarbeitenden aktivieren.
C Ich mache Vorschläge, überlasse aber die Feinplanung den Mitarbeitenden. Ich vertraue ihren Fähigkeiten. Zudem sollen sie einen grossen Handlungsspielraum haben.
D In meinen Plänen stehen Gewinn- und Kostendenken im Vordergrund. Ich plane nur so weit, wie ich es aufgrund meiner Erfahrung als nötig erachte, sorge aber dafür, dass die Pläne konsequent eingehalten werden.
Verhalten bei der Ideensuche
A Bringen andere Ideen ein, so versuche ich, möglichst neutral zu bleiben und nicht Partei zu ergreifen.
B Ich höre zu und suche neue Ideen und Meinungen. Ich habe zwar klare Vorstellungen, bin aber jederzeit bereit, bei guten Vorschlägen meine Meinung zu ändern.
C Ich ziehe es vor, Ideen anderer Personen zu übernehmen und nicht die eigenen in den Vordergrund zu stellen oder gar durchzusetzen.
D Ich stehe für meine Ideen auch dann ein, wenn nicht alle mit mir einig sind und ich gezwungen bin, andere dadurch zu enttäuschen.
Verhalten beim Entscheiden
A Ich gehe auf alle Vorschläge ein und komme mit meinen Entscheidungen den Mitarbeitenden möglichst entgegen. So vermeide ich Widerstände, und die Mitarbeitenden reagieren positiv.
B Ich schliesse mich wenn möglich den Entscheidungen anderer an, trage jedoch meinen Teil zum Entscheid bei, wenn man dies verlangt.
C Ich entscheide so viel wie möglich in eigener Instanz aufgrund meiner Erfahrungen, denn ich trage für die Folgen auch die Verantwortung. Ich lege grossen Wert darauf, Entscheidungen durchzusetzen.
D Entscheidungen sollen begründet und vernünftig sein, deshalb arbeite ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Entscheidungsfindung, bis die beste Entscheidung gefunden ist.
Verhalten beim Realisieren
A Ich setze mich selbst unter Druck, da nur mit Selbstdisziplin schnelle Erfolge möglich sind. Bei Schwierigkeiten verstärke ich meinen Einsatz und versuche, mich durchzusetzen.
B Ich ermutige und unterstütze meine Mitarbeitenden, wann immer es möglich ist. Meine Tür ist immer offen. Oft erledige ich eine Arbeit selbst, um die Mitarbeitenden nicht zu überlasten.
C Ich überlege mir vor der Durchführung meiner Arbeit, wie ich mit dem geringsten Aufwand am schnellsten vorankomme.
D Ich bin über die laufende Entwicklung stets informiert und setze jeweils Prioritäten. Auftretende Schwierigkeiten untersuche ich, um daraus für den Fortgang der Arbeit zu lernen.
Verhalten beim Kontrollieren
A Ich kontrolliere das, was die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter nicht selbst kontrollieren kann. Mehrheitlich konzentriere ich mich dabei auf das Ergebnis. Abweichungen sind Anlass zur Analyse und zu Verbesserungsmassnahmen.
B Meine direkten Stichprobenkontrollen sind streng, aber gerecht. Ich will damit feststellen, ob ich eingreifen oder korrigieren muss oder ob neue Anweisungen erforderlich sind.
C Ich kontrolliere auf unauffällige Art. Bei Fehlern hebe ich das Positive hervor. Kritikgespräche sind stets konstruktiv und ermunternd.
D Meine Aufgabe ist es, ein Kontrollsystem einzurichten, das «automatisch» funktioniert, das heisst mir die persönliche Kontrolle weitgehend abnimmt.
Verhalten bei Konflikten
A Ich möchte von Anfang an verhindern, dass Konflikte entstehen. Treten sie aber trotzdem auf, versuche ich, die Mitarbeitenden zu beruhigen und wieder ein gutes, freundliches Klima herzustellen.
B Wenn Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte entstehen, versuche ich, neutral zu bleiben und mich aus der Diskussion rauszuhalten. Meist wächst dann ohnehin Gras darüber.
C Wenn Konflikte und Schwierigkeiten entstehen, versuche ich, die Gründe herauszufinden und die Ursachen mit allen Beteiligten zu klären.
D Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind meistens nur zu beseitigen, indem man klar die eigene Meinung durchsetzt.

Auswertung des Fragebogens
Die nachstehende Tabelle hilft Ihnen, die Antwort auf die Frage zu finden: «Welches Verhalten trifft am ehesten auf mich zu?»
Beginnen Sie mit dem Verhaltenselement «Verhalten beim Ziele-Setzen». Übertragen Sie die Werte des Fragebogens in die Tabelle. Fahren Sie anschliessend mit den anderen Verhaltenselementen fort. Zählen Sie schliesslich die Werte jeder Spalte zusammen.

1.3Führen verlangt soziale und technische Fähigkeiten
Um Ihnen eine Interpretation Ihrer Daten zu ermöglichen, wählen wir als theoretische Grundlage den soziotechnischen Ansatz zur Mitarbeiterführung (Blake und Mouton, 1978, 1994; Blake und McCanse, 1992; Fritsch, 2006; Reddin, 1977; Hersey und Blanchard, 1969). Gary Yukl (2012) spricht bei den aufgaben- und beziehungsorientierten Führungsfunktionen von «Meta-Kategorien».
Dieser Ansatz geht davon aus, dass eine optimale Führung zum einen eine ausgeprägte Fähigkeit voraussetzt, Sachziele zu erreichen. Dazu braucht es vor allem technische Fähigkeiten wie Ziele-Setzen, Planen, Entscheiden, Durchsetzen, Realisieren und Kontrollieren. Zum anderen setzt optimale Führungsarbeit soziale Fähigkeiten voraus wie Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, Zuhören, Vertrauensgewinn, Motivieren usw.
Das Ziel der Führungsschulung ist in der Regel die Förderung sowohl der technischen als auch der sozialen Fähigkeiten der Führungskräfte.

Der soziotechnische Ansatz zur Mitarbeiterführung ermöglicht die Beschreibung verschiedener Verhaltensstile. Wir beschränken uns hier auf vier Stile:

Stil I
Führungskräfte in diesem Verhaltensbereich







Dieser Führungsstil entspricht im Allgemeinen dem «Laisser-faire»-Führungsverhalten.
Stil I: Das Reglement im Mittelpunkt

Stil II
Führungskräfte in diesem Verhaltensbereich








Dieser Führungsstil entspricht im Allgemeinen dem «karitativen» Führungsverhalten.
Stil III
Führungskräfte in diesem Verhaltensbereich








Dieser Führungsstil entspricht im Allgemeinen dem «autoritären» Führungsverhalten.
Stil IV
Führungskräfte in diesem Verhaltensbereich








Dieser Führungsstil entspricht im Allgemeinen dem «kooperativen» Führungsverhalten.
Wie steht es bei mir?
Die Auswertungsdaten des Fragebogens (vgl. hier) ermöglichen Ihnen nun eine erste grobe Standortbestimmung. Führungsverhalten besteht aus Elementen aller vier Stile. In vielen Fällen neigen Führungskräfte aber zu einem der Verhaltensbereiche. Diese Tendenz lässt sich in der Summe ablesen. Der Verhaltensstil mit der höchsten Punktzahl weist auf den dominanten Führungsstil hin. So verhalten Sie sich im Allgemeinen – wenigstens Ihrer Meinung nach. Interessant ist auch die zweithöchste Punktzahl. Sie weist auf Ihren Ersatzstil hin, auf den Sie ausweichen, wenn Sie mit dem dominanten Stil keinen Erfolg haben oder wenn sich dieser Stil aus irgendwelchen Gründen nicht eignet.
Befragt man die Mitarbeitenden nach dem Verhaltensstil der Vorgesetzten, nennen diese in der Regel den Ersatzstil. Der Stil mit den tiefsten Werten ist ein Führungsverhalten, das Sie im Allgemeinen ablehnen. Falls Sie diesen Stil bei Ihrem oder Ihrer Vorgesetzten orten, sind Konflikte und Stress programmiert.
Sind die Unterschiede zwischen den summierten Punktzahlen der Verhaltensstile sehr gering, bedeutet dies möglicherweise, dass Sie Ihr Verhalten schnell der jeweiligen Situation anpassen oder dass Ihr Führungsverhalten für andere nicht ausgeprägt und somit schwer zu beurteilen ist.
1.4Optimales Führungsverhalten ist situationsgerecht
Dem soziotechnischen Ansatz zur Mitarbeiterführung entsprechend, beschreibt der Stil IV im Sinne des kooperativen Stils ein optimales Führungsverhalten, denn es zielt darauf ab, dass beste Leistungen erbracht werden und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden möglichst gross ist. In der Praxis jedoch wird sich einmal eine stärkere Betonung der zwischenmenschlichen Dimension, ein andermal, z. B. in einer Krisensituation, eine stärkere Betonung der Sachziel-Dimension aufdrängen.
Führungsverhalten wird durch sehr viele Faktoren aus der technologischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Umwelt beeinflusst. So beeinflussen u. a. auch die Fähigkeiten und die Motivation der Mitarbeitenden das Führungsverhalten (Hersey, Blanchard, 1969, Hersey, Blanchard, Dewey, 2012).

Aus dem Verhaltensgitter können wir ableiten, dass bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit hoher Fachausbildung und gleichzeitig tiefer Motivation der Verhaltensstil II meistens erfolgreicher ist als etwa der Verhaltensstil III; Motivationsprobleme können wohl kaum mit dem Verhaltensstil III gelöst werden. Andererseits würde es eher wenig nützen, stark motivierte Mitarbeitende, denen für die Erledigung einer Aufgabe aber das notwendige Fachwissen fehlt, im Sinne des Verhaltensstils II Mut und Trost zuzusprechen. Hier ist der Verhaltensstil III situationsgerechter. Unser Schema zeigt auch, dass bei hochmotivierten Fachleuten sogar der Verhaltensstil I «erfolgreich» sein kann. So werden sehr gute Arbeitsresultate erzielt, ohne dass die Führungskraft starken Einfluss auf das Erreichen der Sachziele und auf die menschliche Dimension zu nehmen braucht: Der «Laden läuft von selbst», die Führungskraft wird überflüssig oder frei für neue Aufgaben.
In der aktuellen Führungsforschung (Yukl, 2012) werden die beiden Metakategorien «task-oriented» und «relation-oriented behavior» noch ergänzt durch die Kategorien «change-oriented behavior» und «external leadership behavior» (z. B. firmeninternes und firmenexternes «Networking») (Stiefel, 2013). Malik (2006) bringt es auf den Punkt. Für ihn umfassen Führungsaufgaben: für Ziele zu sorgen, zu organisieren, zu entscheiden, zu kontrollieren, Mitarbeitende zu fördern und in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Für ihn bedeutet Führen auch: delegieren, motivieren, kommunizieren (nach oben und nach unten, nach innen und nach aussen), beurteilen, innovativ sein sowie lernen und sich selbst weiterentwickeln.
Diese erste, recht allgemeine Standortbestimmung möchten wir nun etwas weiter vertiefen. Wir verbinden dabei den soziotechnischen Ansatz zur Mitarbeiterführung mit einem Konzept aus der Psychotherapie.
1.5Führungsverhalten und Psychotherapie
Befragt man die psychologische Forschung nach Versuchen, das zwischenmenschliche Verhalten zu erklären, so findet man heute eine Fülle von Denkmodellen und Methoden (Pawlik, 2006). In der Führungsschulung ist die Transaktionsanalyse seit vielen Jahren auch in Europa stark verbreitet (Hablitz und Stingelin, 1990; Hagehülsmann und Hagehülsmann, 2007), während sie in den USA – anfänglich in der Astronautenausbildung – die Bewährungsprobe bereits hinter sich hat. Diese vom amerikanischen Psychoanalytiker Eric Berne entwickelte Methode ist ein psychotherapeutisches Verfahren, das Patientinnen und Patienten eine bessere Einsicht in die unterschiedlichen Beziehungen zu anderen Personen und zu sich selbst gibt. Eric Berne war ein Schüler von Paul Federn, der seinerseits Schüler Sigmund Freuds war. Bei der Transaktionsanalyse handelt es sich also um psychoanalytisches Gedankengut, das mit Elementen der humanistischen Psychologie verbunden wird. Seit ihren Anfängen wird die Transaktionsanalyse vor allem zu therapeutischen Zwecken ständig weiterentwickelt (Hennig und Pelz, 2007; Schmid, 2003, 2004).
Mitte der sechziger Jahre haben Verhaltenswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen erkannt, dass die Transaktionsanalyse (TA) auch in nicht-therapeutischen Situationen zum besseren Verständnis der zwischenmenschlichen Beziehungen beitragen kann. Die TA wird heute nicht nur in der Psychotherapie, ihrem zentralen Anwendungsgebiet, eingesetzt, sondern auch in der Pädagogik, der Erwachsenenbildung, in Organisationen und vor allem auch in der Ausbildung von Führungskräften und im Coaching (Barnes, 1979, 1980, 1981; Kälin, 1995; Kälin, Michel-Alder, Schmid-Keller 2003, Rüttinger, 1996; Schlegel, 1979, 1993, 1995; Schmid, 2007; Stewart und Joines, 2010; Wagner, 1987).
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