Snørgl der Waldwicht

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„Es ist so schön, man hält es kaum aus!“ schwärmte nun auch Pokki und er hatte vor Rührung wieder einmal ganz feuchte Augen.
Die Luft flirrte durch die Flügelschläge der Schmetterlinge. Nie zuvor war mir bewusst, wie viele unterschiedliche Arten es gab.
„Wenn mich nicht alles täuscht, nennt man diesen dort ‚Schachbrettfalter‘“, vernahmen wir in das allgemeine Staunen die Stimme von Svipdapur.
„Du kennst dich mit Schmetterlingen aus?“ fragte Pokki erstaunt. „Das wusste ich ja gar nicht!“
„Oh ja, dort ist ein ‚Zitronenfalter‘ und dort ein ‚Taubenschwänzchen‘. Da ein ‚Tagpfauenauge‘ und dort ein ‚Resafalter‘. Dies hier ist ein ‚Admiralsfalter‘ und dort hinten den nennt man ‚Schwalbenschwanz‘.“
„Beeindruckend!“ rief ich aus und das war noch echt untertrieben.
„Dankeschön!“ sagte er leicht verlegen. „Ich kenne sogar einen Reim über Schmetterlinge. Soll ich ihn einmal aufsagen?“ fragte er und allgemeine Zustimmung brach aus.
Er stellte sich in eine sehr merkwürdige Pose und deutete beim Sprechen zwischen den Schmetterlingen und dem Himmel hin und her.
„Wer Schmetterlinge lachen hört
der weiß, wie Wolken schmecken“
Alle klatschten und jubelten.
„He, ich bin doch noch gar nicht fertig. Das ist doch noch viel länger!“ sagte er erstaunt.
„Ja, lieber Svipdapur, das haben wir befürchtet!“ lachte nun auch Sóla. Svipdapur ist nämlich unser Dichter, musst du wissen und wenn er anfängt ein Gedicht oder einen Reim vorzutragen, ist er nicht mehr zu bremsen.

Bewohner aus dem Tal der Schmetterlinge
Xanthi
Und wir liefen weiter in das Tal hinein.
„Lauft doch nicht so schnell!“, japste Stubbur. „Zum Wicht noch einmal. Ich schwitze! Das gibt es doch gar nicht!“ und bei diesen Worten wischte er sich erneut den Schweiß von der Stirn. Auch mir war seit Kurzem sehr warm und ich nahm an, dass es von der Aufregung kam.
Wir folgten den Elfen noch eine kleine Weile, bis sie plötzlich und unvermittelt stehen blieben. Was wir dann sahen, erschreckte uns zutiefst. Waren wir bisher durch unzählige Blumenfelder geschritten, standen wir nun vor einer völlig zerstörten Fläche: abgerissene Blumenstiele, zerdrückte Orchideenblüten und unzählige zerquetschte und zertretene Pflanzen. Ein Ort der Verwüstung. Und es bewegte sich nicht ein einziger Schmetterling!
„Ach du meine Güte!“ rief Stubbur aus und schlug sich die Hände vor den Mund.
„Entsetzlich! Grauenvoll! Wie schrecklich!“ riefen nun auch die anderen.
Mit tränenerstickter Stimme wandte sich Elin an uns: „Ja, das ist es wirklich. Hört mir nun jedoch aufmerksam zu, damit ihr das ganze Ausmaß dieser schrecklichen Tat verstehen könnt… Wie euch sicherlich schon aufgefallen ist, gibt es nicht nur unzählig verschiedene Farben bei den Schmetterlingen, sondern auch Gestalten. Während ihres Lebens verwandeln sie sich sehr oft. Zunächst werden aus den Eiern flugunfähige Raupen, die unter intensiver Nahrungsaufnahme erheblich wachsen. Dabei wechseln sie mehrfach ihre Haut gegen eine größere, was man ‚Häutung‘ nennt.“
„So, wie bei den Schlangen?“ fragte Pokki und schüttelte sich dabei.
„Ja, so ähnlich, wie bei den Schlangen. Nachdem sie die Haut einige Male gewechselt haben, entwickeln sie sich unter einer sehr festen Haut schließlich in eine sogenannte ‚Puppe‘. In diesem Zustand bilden sich ihre Flügel aus und sie verändern sich in eine flugfähige Form: dem Falter.“
„Verzeih, dass ich dich unterbreche, liebe Elin. Aber ich habe eine Frage“, meldete sich Reifur zu Wort und hob tatsächlich den Finger in die Höhe, genau wie in der Schule.
„Sehr gerne. Bitte stelle deine Frage“, lächelte Elin ihm nun wieder zu.
„Naja, vielleicht klingt die Frage jetzt etwas dumm, aber wie können diese zerbrechlichen Flügel denn in diesem Puppenkokon wachsen, ohne dass sie beschädigt werden?“ fragte er dann tatsächlich.
„Zunächst einmal, lieber Reifur: es gibt keine dummen Fragen. Nur wer nicht fragt, bleibt dumm. Deine Frage ist sogar sehr interessant, denn auch ich habe mich als junge Elfe gefragt, wie das wohl gehen kann. Nun, die Antwort möchte ich dir gern geben und ich denke, sie wird auch die anderen interessieren: Die Schmetterlinge haben in ihren Flügeln ganz zarte Flügeladern. Solange sie sich in dem Kokon befinden, sind sie weich und liegen am Körper an. Diese werden nach dem Schlüpfen, wenn sie noch schlaff und unbeweglich sind, mit einer Blutflüssigkeit gefüllt. Danach setzen sie sich an einen sicheren und vor Fressfeinden geschützten Ort und lassen die Flügel trocknen. Erst dann ist es ihnen möglich, mit ihnen zu fliegen.“
„Wie lange leben denn Schmetterlinge?“ wollte nun Gulltoppur wissen.
„Das ist ganz unterschiedlich: manche Schmetterlinge leben nur wenige Tage bis Wochen und andere hingegen ein Jahr. Das kommt ganz auf die Art an und wo sie leben, lieber Gulltoppur!“
Nach diesen Worten blickte sie in die Runde und an unseren Gesichtern konnte sie bestimmt erkennen, wie beeindruckt wir von ihrem Wissen waren.
„Schmetterlinge können durch feine Härchen an ihren Fühlern, die sich am Kopf befinden, riechen, manche auch tasten, schmecken und Temperaturen wahrnehmen. Einige von ihnen habe sehr kurze Fühler und andere hingegen sehr lange und manche unter ihnen kommen von sehr weit her.“
„Nun habe ich eine Frage, liebste Elin. Sag, was meinst du damit, dass sie von sehr weit her kommen?“ fragte nun Léttféti neugierig.
„Auch diese Frage möchte ich gern beantworten: der Xanthi zum Beispiel, wie wir ihn nennen, kommt ursprünglich aus Madagaskar und ernährt sich von dem Blütennektar einer einzigen Orchidee!“
„Wie essen die denn?“ wollte daraufhin Gosi wissen.
„Dazu haben sie einen Saugrüssel, mit dem sie nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Meist ist es Blütennektar, aber auch Pflanzensäfte, Honigtau und den Saft von faulendem Obst. An heißen Tagen saugen sie auch gerne das Wasser aus kleinen Pfützen. Nun aber möchte ich erklären, warum ich euch das alles erzählt habe: Während manche Arten von Schmetterlingen viele Nahrungspflanzen haben und weit verbreitet sind, gibt es doch einige Arten, die nur wenige oder sogar nur auf eine einzige Pflanze zur Nahrungsaufnahme angewiesen sind. Bei uns hier im Tal der Schmetterlinge haben wir es geschafft, dass eine ganz besondere Art von Faltern leben kann. Wie euch sicherlich aufgefallen ist, ist es hier sehr warm und fast schon ein wenig schwül. Nun, dieses Klima lieben diese Falter, die aus Madagaskar zu uns gebracht worden sind. Ich meine den ‚Xanthopan morgani‘ (die Menschen sprechen das Ksantopan morgani aus). Das besondere an ihm ist, dass er einen zwanzig Zentimeter langen Rüssel hat.“

Xanthopan Morgani
„Xanthi“
Schwer beeindruckt von dem, was wir gerade erfahren hatten, blickten wir uns um.
„Seht doch, ist das dort ein solcher Schmetterling?“, fragte Galdur und wir sahen in die Richtung, in die er mit ausgestrecktem Arm zeigte.
Und er hatte recht. Sóla war es, die mit wenigen Schritten bei dem Schmetterling war und sich zu ihm hinunter beugte. Vorsichtig folgten wir ihr, um nicht noch mehr von den Blüten zu zertreten.
„Was ist mit dir geschehen?“
Mit leiser Stimme erzählte uns der kleine Schmetterling nun, was geschehen war …
„Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie kamen und über uns herfielen. Es waren drei Gestalten, die ich zunächst nicht erkennen konnte. Jeder von ihnen hatte einen großen Sack bei sich und einer von ihnen rupfte wahllos und sehr grob die Orchideen von den Stielen. Die beiden anderen hatten zusätzlich auch noch ein Netz bei sich, mit dem sie uns Schmetterlinge eingefangen haben. Merkwürdig war der Nebel, der sich kurz zuvor gebildet hatte. Der hat uns wie betäubt, so dass wir nicht davonfliegen konnten.“
Erst jetzt fiel mir der lange Rüssel auf, der hauchzart über dem Arm von Sóla hing. Auch er schien sehr kraftlos zu sein.
„Mach dir keine Sorgen, lieber Xanthi. Wir werden dich erst einmal wieder kräftigen. Die Wichte werden uns helfen, euch wieder zusammen zu bringen“, flüsterte Sóla und lächelte ihm beruhigend zu.
Die Sternorchidee
„Wie meinst du das?“, fragte ich erstaunt.
„Nun, mein lieber Snørgl, das ist rasch erklärt und durch diese Erklärung werdet ihr verstehen, warum das hier für die Xanthis, die Orchideen und uns eine so große Katastrophe ist.“
Und so berichtete sie uns von dieser wundersamen Pflanze die manchmal ‚Stern von Madagaskar‘ oder auch ‚Sternorchidee‘ genannt wird. Sie ist an der Ostküste Madagaskars heimisch und hat eine ganz besondere Eigenschaft, die sonst keine Orchidee weltweit hat: Sie hat einen bis zu vierzig Zentimeter langen Lippensporn (das ist der Bereich direkt an der Blüte, in dem die Orchidee den Blütennektar sammelt) und kann nur von einer einzigen Schmetterlingsart bestäubt werden: Dem Xanthopan Morgani.
Was für ein Wunder der Natur, dachte ich mir. Also braucht die Orchidee den Schmetterling und der Schmetterling die Orchidee zum Überleben!
„Ach du lieber Wicht! Und beides wurde gestohlen? Die Schmetterlinge und die Orchideen? Ja aber, warum? Ich verstehe den Sinn nicht? Und warum können die hier bei euch im Tal der Schmetterlinge leben, wenn sie doch eigentlich in Madagaskar zu Hause sind“, rief ich aus und konnte meine Aufregung kaum verbergen.
„Mein lieber Snørgl! So viele Fragen, die mir zeigen, dass du verstanden hast, warum wir so entsetzt sind. Nun, auf deine Frage, warum die drei Wichte dies getan haben, möchte ich etwas später eingehen. Doch zunächst: es heißt sie leben ‚auf‘ Madagaskar, da Madagaskar die viertgrößte Insel der Welt ist. Und um auf deine Frage zu antworten, wie sie hier bei uns leben konnten: wie ihr sicherlich bemerkt habt, ist es hier nur in diesem Bereich sehr warm und schwül. Dieses Klima haben wir speziell für die Sternorchideen und die Xanthis geschaffen!“ erklärte sie uns.
„Ja aber, wie kamen die denn hierher?“ fragte nun auch Vegard interessiert.
„Nun, meine lieben Freunde ist es an der Zeit, euch ein Geheimnis zu verraten. Ein Geheimnis, das hier an diesem Ort bleiben muss. Gebt mir euer Ehrenwort, dass ihr es für euch behaltet und dieses Wissen nicht missbrauchen werdet, um euch zu bereichern!“ fuhr sie in sehr strengem Ton fort.
Und wir sprachen alle im Chor:
„Wir versprechen es!“
„Es ist die Aufgabe meiner lieben Schwestern und mir, das magische Pulver herzustellen. Mit Hilfe anderer Elfen war es möglich, hier bei uns ein für die Orchideen und Schmetterlinge notwendiges Klima zum Überleben zu schaffen. Wir benötigen ein wenig Nektar der Sternorchideen und zudem eine unglaubliche Kostbarkeit, die uns die Xanthis schenken: den Schmetterlingsstaub, um das magische Pulver herzustellen. Die dritte und auch wichtigste Zutat muss allerdings auch weiterhin geheim bleiben!“

Sternorchidee
Mit großen Augen und offenen Mündern sahen wir die Elfen an.
Eines mussten wir ihnen auch noch ganz fest versprechen: niemals darf man den Schmetterlingen an die Flügel fassen, um diesen Schmetterlingsstaub zu erhalten. Denn in Wirklichkeit sind es winzige Schuppen, die zu tausenden auf ihren Flügeln wie kleine Dachziegel angebracht sind. Und bei jeder Berührung verlieren sie sehr viele davon. Wenn das geschieht, können sie nicht mehr fliegen und verhungern.
Versprich bitte auch du, lieber Leserling es niemals zu tun! Danke!
Ein neuer Auftrag
„Und was können wir für euch tun?“ wandte sich nun Djarfur an die Elfen.
„Nun, ihr lieben Freunde, schon seit geraumer Zeit haben wir bemerken müssen, dass die verbannten Wichte etwas im Schilde führen. Jedoch ahnten wir nicht im Geringsten, um was es dabei ging. Zu Zeiten, als sie noch in unserem Wald lebten, wurden sie des Öfteren dabei beobachtet, wie versuchten, den Glühwürmchen oder auch uns zu folgen, wenn wir zum See gingen. Ihr müsst wissen, dass bis zu diesem Ereignis der See noch nicht zusätzlich durch die Nixen bewacht wurde.“
Nachdenklich und mit in die Ferne gerichtetem Blick verharrte Sóla nach diesen Worten und wir machten nicht einen Muckser. Nur das Rascheln des Federkleides des lieben Kibuz konnten wir hören, als er auf die Elfe zuschritt.
„Sie führrrrren im Schilde nichts Gutes! Mit den Kobolden haben sie sich verrrrrbündet. Sie haben die Wichte angestiftet, drrrrrum geschah Schrrrrrreckliches. Ich frrrrrage mich, was denkt ihrrrrr?“
„Ja, lieber Kibuz. Auch wir befürchten, dass die Kobolde hinter dieser Tat stecken. Was auch immer sie den Wichten versprochen haben: ohne die Kobolde wären sie niemals auf die Idee gekommen, die Orchideen und die Schmetterlinge zu stehlen. Da sind wir uns ganz sicher. Nur die Kobolde können wissen, wie wichtig beides zusammen für uns ist. Nur sie haben das Wissen um die Zutaten für das magische Pulver. Jedoch kennen sie nicht die letzte Zutat und das Geheimnis der Zubereitung“, sagte nun die schönste aller Elfen, meine liebe Lýsa.
„Sie haben die Orchideen zerstört und die Schmetterlinge entführt. Einige wenige Pflanzen scheinen sie säuberlich abgeschnitten zu haben. Gerade so, als würden sie die Orchideen für sich selbst benötigen. Für uns bedeutet das, dass wir keine magisches Pulver mehr herstellen können!“
Nun schluchzte sie herzzerreißend. Sie tat mir so leid, dass auch ich feuchte Augen bekam. Und weißt du was, lieber Leserling? Das erging nicht nur mir so und keiner von uns schämte sich dafür.
„Nur das wenige Pulver, das wir noch in Verwahrung haben, ist uns geblieben“, sagte nun Elin und nahm Lýsa tröstend in die Arme.
„Das magische Pulver ist die Grundlage aller unserer Salben, Tinkturen. Ohne das magische Pulver könnt ihr nicht mehr mit euren Glückskindern reisen und alle magischen Gegenstände verlieren ihre Kräfte. Nur ihr könnt uns neue Orchideen bringen und die Schmetterlinge befreien. Ihr müsst die Schmetterlinge unbedingt finden!“
Darum musste sie uns nicht ein zweites Mal bitten! Sofort waren wir alle Feuer und Flamme. Jeder stimmte zu, den Elfen zu helfen und ihnen die Orchideen und Schmetterlinge zu bringen.
„Äh, Moment mal… Von wo sollen wir die denn holen?“ fragte Vökull und sah entgeistert in die Runde.
„Ihr findet die Orchideen nur auf Madagaskar, lieber Vökull!“ lächelte Elin ihn an.
Okay… nun standen wir mit offenen Mündern und großen Augen da.
„Wie sollen wir das denn bitte machen?“
Die Hände in den Hüften stand Vökull da und schüttelte den Kopf.
„Das, meine lieben Wichte besprechen wir, wenn wir wieder im Wald sind“ rief Vegard laut in die aufgeregte Menge, denn inzwischen fragten alle durcheinander, wie das möglich sein sollte.
„Es wird Zeit für eine neue Reise! Eine gemeinsame Reise!“ hörten wir Dagbjartur noch sagen, bevor lautes Jubelgeschrei ausbrach und sämtliche Wichtenmützen in die Höhe flogen.

Vökull
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